1 Unser evangelisches Fundament des Glaubens Das vierfache ALLEIN der Reformation – allein die Schrift, allein Christus, allein die Gnade, allein der Glaube Das ist die theologische Revolution der Reformationszeit. Wenn man fragt: Was ist denn eigentlich das Neue, das Martin Luther und die anderen Reformatoren hervorgebracht haben, dann kann man das alles zusammenfassen in diesen vier programmatischen Aussagen: allein aus Gnade, allein durch den Glauben, allein die Schrift, allein Christus! Nun ist es freilich dieses kleine Wörtchen ALLEIN, worin der ganze Zündstoff liegt. Dieses Wörtchen Allein ist seit der Reformationszeit bis heute hoch explosiv. Ich möchte sogar sagen, dass gerade mit diesem Wörtchen die evangelische Kirche seit der Reformationszeit steht oder fällt! Allein! In diesem kleinen Wörtchen steckt die ganze evangelische Theologie. Und umgekehrt muss man sagen: Evangelische Theologie, und damit unser ganzer Glaube (!), muss sich immer wieder daran messen lassen, ob dieses kleine Wörtchen Allein tatsächlich der Ausgangspunkt und das Ziel in allem Nachdenken und evangeliumsgemäßen Leben prägt. Eine der wichtigsten Bibelstellen der Kirche (ich möchte sogar sagen: die wichtigste Bibelstelle überhaupt!) ist der Satz aus dem Römerbrief des Apostels Paulus: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, durch den Glauben!“ (Röm. 3, 28) Allerdings hat Martin Luther diesen entscheidenden Satz etwas anders übersetzt. Er hat ein kleines Wörtchen in diesen Satz eingefügt, ein Wörtchen, durch das der Kampf mit der römischen Kirche in Rom so richtig entbrannte. Es war eben dieses kleine Wörtchen allein! Und so steht dieser Satz seit Luthers Bibelübersetzung bis zum heutigen Tag in der Lutherbibel: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben!“ Von diesem ALLEIN ist die evangelische Kirche nicht gewichen. Und sie darf es auch nicht! So viel möchte ich vorab schon sagen. Allein aus Gnade, allein durch den Glauben, allein die Schrift, allein Christus! Wie kam aber Martin Luther dazu, dieses damals doch so kirchenspaltende Wort allein in seine Übersetzung einzuflechten? Ich möchte Martin Luther selbst zu Wort kommen lassen. In seiner Schrift von 1530 „Ein Sendbrief vom Dolmetschen“ schreibt er zunächst etwas Allgemeines zu diesem Thema. Ich zitiere: „Ich hab mich des beflissen im Dolmetschen, dass ich rein und klar Deutsch geben möchte. Und ist uns oft wohl begegnet, daß wir vierzehn Tage, drei, vier Wochen haben ein einziges Wort gesucht und gefragt, habens dennoch zuweilen nicht gefunden.“ Da haben wir einen kleinen Eindruck, was es heißt, einen Text zu übersetzen. Wer von uns schon einmal diese Arbeit getan hat, weiß, wie schwer das ist. Aber wie kam Luther dazu, dieses Wörtchen allein in den Text einzubauen? Luther schreibt, allerdings sehr polemisch im Blick auf seine Gegner: „Wahr ists. Diese vier Buchstaben, sola, stehen nicht drinnen, welche Buchstaben die Eselsköpfe ansehen, wie die Kühe ein neues Tor. Sehen aber nicht, dass gleichwohl die Meinung des Textes 2 in sich hat, und wo mans will klar und gewaltiglich verdeutschen, so gehört es hinein. Denn ich habe deutsch, nicht lateinisch noch griechisch reden wollen, da ich deutlich zu reden im Dolmetschen vorgenommen hatte. Das ist aber die Art unserer deutschen Sprache, wenn sie eine Rede begibt von zweien Dingen, der man eins bekennt und das andere verneinet, so gebraucht man das Wort solum (allein) neben dem Wort „nicht“ oder „kein“. Als wenn man sagt: Der Bauer bringt allein Korn und kein Geld. Nein, ich hab wahrlich jetzt nicht Geld, sondern allein Korn. Ich hab allein gegessen und noch nicht getrunken. Hast du allein geschrieben, und nicht überlesen? Und dergleichen unzählige Weisen im täglichen Brauch.“ Wir merken: Luther war ein wahrer Meister des Übersetzens! Jeder Buchstabe, jedes Wort wurde von ihm genauestens bedacht. Und was das kleine Wörtchen allein angeht, so fährt er dann in seiner eckigen und markanten Sprache weiter aus: „In diesen Reden allen, obs gleich die lateinische oder griechische Sprache nicht tut, so tut es doch die deutsche und ist ihre Art, dass sie das Wort „allein“ hinzusetzt, auf dass das Wort „nicht“ oder „kein“ desto völliger und deutlicher sei. Denn wiewohl ich auch sage: Der Bauer bringt Korn und kein Geld, so lautet doch das Wort „kein Geld“ nicht so völlig und deutlich, als wenn ich sage: Der Bauer bringt allein Korn und kein Geld; und hilft hier das Wort „allein“ dem Wort „kein“ so viel, dass es eine völlige deutsche klare Rede wird. Denn man muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man soll deutsch reden, wie diese Esel tun; sondern man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf den Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetschen; so verstehen sie es denn und merken, dass man deutsch mit ihnen redet.“ Martin Luther ist hier voll und ganz recht zu geben! Ohne dieses kleine Wörtchen allein wäre der Sinn abgeschwächt. Wir würden die eigentliche Aussage des Textes zu schwach wahrnehmen: „So halten wir dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben!“ Dieses Wörtchen allein ist damit zu dem zentralen Wort der Reformation geworden. Und es ist für uns das Wort, das für unseren Glauben zentral ist! Gott gebe uns, dass es auch so ist! Nun, wie ist das aber mit diesen vier programmatischen Sätzen der Reformation, denen eben dieses kleine Wörtchen allein voransteht? Allein aus Gnade, allein durch den Glauben, allein die Schrift, allein Christus? Wenn wir das jetzt bedenken wollen, dann müssen wir zunächst fragen, wie sich denn diese vier Aussagen zueinander verhalten. Viermal heißt es: Allein. Sollen wir das so verstehen, dass alle Aussagen ergänzend zusammengehören? Also: 1. Allein aus Gnade 2. Allein der Glaube 3. Allein die Schrift 4. Allein Christus? - Wenn wir sozusagen additiv versuchen zu erfassen, um was es hier geht, dann ist unser Versuch von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Gerade so geht es nicht! Vielmehr verhält es sich bei diesen vier Aussagen der Reformation so, dass wir uns dies in einem Bild verdeutlichen. Stellen wir uns ein wunderschönes Kollier vor. Ein Kollier kann man bewundern, man kann es sich ansehen und bestaunen. Viele Damen hängen es sich als großartigen Schmuck um den Hals. 3 Also, stellen wir uns einmal solch ein Kollier vor. Dieses Kollier hat vier Edelsteine. Und jeder Edelstein ist für sich selbst genommen wertvoll! Wir schauen uns jeden einzelnen Edelstein an. Und indem wir so jeden Stein meditieren, heißt es immer wieder: Allein! Ob man nun mit der Schrift beginnt, oder ob man mit dem Glauben, der Gnade oder mit Christus beginnt, ist dabei völlig gleichgültig. Jeder einzelne Stein birgt sozusagen alles (alles!) in sich. Und indem ich einen einzelnen Edelstein betrachte, kommt das Ganze dabei heraus. Nämlich, dass Gott durch seinen Sohn Jesus Christus sein großes „Ja“ zu uns spricht! Und diese Botschaft durch Jesus Christus heißt für uns konkret: „Ich will in dein Haus einkehren! Ich will ganz eng mit dir zusammen sein. Und indem ich, Jesus Christus, mit dir zusammen bin, hast du alles, was du im Leben und im Sterben brauchst! Glaub mir!“ Und nun, nicht anders verhält es sich mit diesen vier Signalen aus der Reformation, mit diesen vier Edelsteinen des wunderbaren Kolliers! Wenden wir uns nun jedem einzelnen reformatorischen Edelstein zu. Wir beginnen mit einem der vier Steine: (1.) Allein die Schrift! Warum allein die Schrift? Antwort: Weil allein durch das Wort der Schrift Gott sich selbst offenbart! Wenn die Reformation, und wenn wir das als Christen bekennen, dann schließt das sofort alle anderen Offenbarungsquellen aus! Zu allen Zeiten hat es das gegeben, dass Menschen gemeint haben, Gott offenbare sich z.B. im Innern des Menschen. Luther bekämpft leidenschaftlich die Schwärmer seiner Zeit. Diese Leute hatten ungeheure Vorstellungen. Sie meinten, dass Gott eben nicht durch sein Wort – wie es in der Schrift bezeugt wird – den Glauben weckt, sondern dass er das durch unmittelbare Offenbarungen in der Tiefe der Seele tue. Indem sich also Menschen mit dem Göttlichen in irgendeiner Form verbinden geschieht das, was sie dann „Glaube“ nennen. Und dann gab es auch die weitverbreitete Anschauung der kirchlichen Lehre, dass Glaube durch die ununterbrochene Verbindungslinie der bischöflichen Tradition primär Glauben wirkt. Dagegen intervenierte Martin Luther und die anderen Reformatoren leidenschaftlich. Und das mit Recht! Inmitten dieser (und vieler anderer Anschauungen) klingt nun der reformatorische Fanfarenstoß: Allein die Schrift! Allein die Schrift! Das bedeutet nichts anderes, als das mit diesem dogmatischen Lehrsatz einzig und allein zum Ausdruck gebracht wird, dass das Wort Gottes – wie es allein die Schrift bezeugt – allein die Offenbarungsquelle Gottes ist! Nicht die Natur, nicht die Vögelchen, nicht die imposante Bergwelt, aber auch nicht der menschliche Verstand. Allein die Schrift! Von außen her offenbart sich Gott. Nicht in uns, nicht in der Schöpfung, sondern allein die Schrift! Das, was die Reformation wieder ganz neu zum Leuchten gebracht hat, ist das Evangelium von Jesus Christus! Und das Evangelium von Jesus Christus ist die gute Botschaft, dass Gott aus Sündern Gerechte macht, dass Gott unannehmbare Menschen annimmt, dass ER sein Ja zu allen Menschen spricht. Diese Botschaft findet sich einzig und allein in der Schrift! 4 Ich möchte das einmal so sagen. Die biblische Botschaft, die die Reformation wieder neu zum Leuchten gebracht hat, diese Botschaft wird uns von außen her gesagt. Sie kommt nicht aus uns selbst. Das Wort Gottes kommt von außen, von Gott selbst, sozusagen in mein Gefängnis hinein. Es spricht mich an, und es macht mich frei! Und so kann es sein, dass ich ergriffen werde von dem, was Gott mir aus seiner himmlischen Welt sagt, was ER mir von außen zuruft, und zwar allein durch die Schrift! In der Schrift ist seine Botschaft „verbrieft“. Was da drin steht, dürfen wir glauben und weitergeben. Freilich, es ist ein großes Wunder, dass Gott sich an die Schrift bindet, dass ER sich so weit herablässt in unsere menschliche Sprache. Indem Jesus Christus in unsere Welt kommt, kommt ER ja als ganzer Mensch. ER redet die menschliche Sprache. ER spricht die Sprache eines bestimmten Volkes. Und ER hat das so getan, wie es jedes Kind tun muss: ER muss sprechen lernen! ER lernt die Sprache seiner Mutter, ER spricht aramäisch, das ist ein Dialekt des Hebräischen. Später wurden die Worte Jesu ins Griechische übersetzt. Während also das Alte Testament, die Worte der Propheten, auf Hebräisch niedergeschrieben wurden, wurden die Worte der Zeugen Jesu Christi in der griechischen Sprache niedergeschrieben. Wir merken: Die Bibel ist ganz Menschenwort! Und zugleich ist das, was wir in der Bibel lesen, ganz Gotteswort! Gott bedient sich der menschlichen Eigenschaften, der menschlichen Sprache! Es ist also nicht so, dass die Bibel ein Buch ist, das einfach so „vom Himmel gefallen“ wäre, sondern die Bibel ist ein Buch, das geschrieben wurde von ganz unterschiedlichen Menschen. Das, was Gott an und mit diesen Menschen getan hat, das haben sie mit ihren je unterschiedlichen Gaben und Eigentümlichkeiten schriftlich fixiert. Nun haben wir dieses Buch vor uns. Ich halte es für ein großes Wunder, dass Gott in dieser Weise vorgeht! Nicht nur, dass ER Mensch geworden ist, sondern gerade auch, dass ER „hineingekrochen“ ist in unsere Sprache, in unsere Buchstaben. Das ist ein Wunder! Machen wir uns einmal klar, was das bedeutet. Indem ER das tut, nimmt ER die Begrenzungen der menschlichen Sprache auf sich! Ja noch mehr: ER lässt sich damit herab in die Mehrdeutigkeit unserer Worte! ER stellt sich uns vor als „der Richter der Welt, als „der Vater“, als „der Sohn“. ER ist „die Liebe“. Und mit uns will ER als seine Kinder leben! Was sind das alles für Begriffe: Richter, Vater, Sohn, Liebe, Kind? Wenn wir von unsern menschlichen Erfahrungen (gerade auch mit diesen Begriffen) auf Gott schließen wollen, dann merken wir, wie zweischneidig diese Angelegenheit ist. Was für Richter haben wir denn in dieser Welt? Was für Väter? Was für Söhne und Töchter haben wir? Wie vielschichtig ist unser Wort Liebe? Und wie „verkehrt“ gehen Eltern mit ihren Kindern um und umgekehrt? Aber Gott ist in unsere Sprache gekommen. ER ist nicht wie ein Vater, wie ein Richter, wie ein Sohn, sondern ER ist der Vater, der Richter, der Sohn, usw. Wenn Gott in unsere Sprache kommt, wenn ER unsere Sprache zu seinem Werkzeug macht, dann ist das eine Erniedrigung, wie wir sie uns überhaupt nicht vorstellen können! So ganz nimmt Gott die menschliche Sprache auf sich und setzt sich immer wieder der Möglichkeit aus, vollkommen falsch verstanden zu werden! 5 Wie verstehen wir die Schrift in rechter Weise? Dass wir Gott in rechter Weise verstehen können ist das große Geschenk Martin Luthers und der Reformation. Man versteht IHN und sein Reden einzig und allein in rechter Weise in seinem Wort und durch sein Wort, wie es uns allein die Schrift bezeugt. Allein die Schrift! „Sucht nicht anderswo nach Gott, nach seinen Offenbarungen!“, schärft uns die Reformation ein. Allein die Schrift! Das ist der eine reformatorische Edelstein unseres Kolliers. Aber wie verstehen wir denn die Schrift in rechter Weise konkret? (vgl. hier den Streit vieler Bibelausleger um das rechte Schriftverständnis) Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns den nächsten Edelstein des Kolliers vornehmen: (2.) Allein Christus! Wir wissen ja alle, dass man in der Schrift lesen kann ohne etwas zu begreifen. Soviel sei an dieser Stelle schon gesagt: Christus ist die Mitte der Schrift! Und nur von Jesus Christus her verstehen wir die Schrift! Aber was heißt nun: Allein Christus? Auch hier hat Martin Luther wieder ganz neu herausgestellt, was der Apostel Paulus und die anderen Zeugen des Neue Testament sagen. Nicht ein „Emporarbeiten des Menschen zu Gott“ bringt uns die Rettung. Nicht unsere verstandesmäßigen oder gar moralischen Bemühungen ebnen uns den Weg zu Gott. Nein, es geht genau umgekehrt. Gott kommt zu uns herunter! Indem ER den umgekehrten Weg geht, indem ER als das eine Wort in unsere Welt kommt, indem ER für uns sein Leben hingibt (und das in völliger Erniedrigung!), macht ER damit alle Bemühungen unsererseits zunichte! Alle eigenmächtigen Versuche, Gott verstehen und begreifen zu wollen scheitern an dem, was ER selbst durch Jesus Christus am Kreuz für alle Welt getan hat! Nicht wir Menschen retten uns selbst. Nicht wir Menschen lieben uns „hinauf zu Gott“. Nein, ER allein ist der Weg! ER allein wirkt, und wir dürfen empfangen! Luther spricht von der „Theologie des Kreuzes“. Und wenn er das so sagt, dann bedeutet das für ihn: Der vom Tode auferstandene Jesus Christus ist der, der zuvor am Kreuz sein Leben für jeden Menschen der Welt gegeben hat! Dahin müssen wir schauen. Dorthin müssen wir sehen, auf den Mann am Kreuz! In der ersten These der „Barmer theologischen Erklärung“ heißt es (dem Evangelisten Johannes nachgesprochen): Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.“ Allein der gekreuzigte und auferstandene Herr Jesus Christus gilt! Nichts anderes! Darum: Allein Christus! Aber wie wird uns das zuteil? Antwort: Allein durch die Schrift! Und die Schrift verstehen wir allein durch Christus! Der Alttestamentler Wilhelm Vischer hat das einmal sinngemäß so gesagt: „Das Alte Testament spricht vom kommenden Messias! Das Neue Testament sagt, wer dieser ist!“ - Damit ist haargenau beschrieben, was es damit auf sich hat: Allein die Schrift, allein Christus! Wir können die Bibel nur dann recht verstehen, wenn uns Gott selber die Augen zum Verstehen öffnet. Die Augen werden uns nur von dem geöffnet, den das Neue Testament als den Christus bezeugt! Und das Alte Testament verstehen wir, wenn wir vom Neuen Testament her 6 kommen, wenn wir also von dem herkommen, der als der Messias Gottes, d.h. als der Christus bezeugt wird. Das eben unterscheidet uns als Christen von allen anderen Auslegern der Bibel, dass wir nämlich die Schrift von ihrer Mitte her auslegen und verstehen, von Jesus Christus – dem Wort Gottes – her! Dies ist evangelische Schriftauslegung! Martin Luther kann die Schrift sogar mit Windeln vergleichen. Über die Schrift sagt er: „Hier wirst du die Windeln und Krippen finden, da Christus inne liegt, dahin auch der Engel die Hirten weist. Schlecht und geringe Windeln sind es, aber teuer ist der Schatz, Christus, der drinnen liegt“. (aus: W. Vischer, Das Christuszeugnis des Alten Testaments, Bd.1, S.17) Allein die Schrift! Allein Christus! Und jetzt wollen wir uns einen weiteren Edelstein dieses wunderbaren reformatorischen Kolliers vornehmen: (3.) Allein aus Gnade! Für Luther ist Gnade das Wirken Gottes durch seinen Sohn Jesus Christus! Woher hat Luther diese Erkenntnis? Luther hat diese Erkenntnis aus dem Neuen Testament, genauer gesagt: er hat diese Erkenntnis beim Apostel Paulus entdeckt. Wenn nämlich Paulus den Inhalt seines Evangeliums, wenn er das Anliegen seiner missionarischen Botschaft an die ganze Welt in einem einzigen Wort zusammenfasst, dann sagt Paulus: Gnade! Aber was heißt dieses Wort „Gnade“? Gnade ist immer etwas, das man sich nicht verdienen kann! Gnade ist immer etwas, auf das man keinen Anspruch hat. Gerechtigkeit – wie wir sie gesellschaftlich verstehen – kann man verlangen. Gerechtigkeit kann man vor einem Gericht einklagen. Auf Gerechtigkeit haben wir einen Anspruch. Aber Gnade? Gnade empfängt man, und zwar völlig unverdient! Wir können das auch anders sagen: Gnade ist immer die wohlwollende Bewegung von oben nach unten! Wer begnadigt wird, empfängt also unverdient etwas, das ihm einfach so in den Schoß fällt. Ohne etwas geleistet zu haben empfängt man Gnade! Vielleicht verstehen wir von diesem Begriff aus, warum sich „fromme Menschen“, wie z.B. die Pharisäer im Neuen Testament, über Jesus und seine Botschaft so sehr geärgert haben: „Aus Gnade von Gott angenommen werden? Das ist doch ungerecht! Wir leisten so viel. Wir beten, fasten, geben Almosen! Und da kommt Jesus und gibt sich mit Zöllnern und Sündern ab? Die haben überhaupt kein Plus auf ihrem Konto der guten Werke! Nur Minus, lauter Schuld und Sünde! Die haben es doch nicht „verdient“!“ Ja, genau das ist es. Die haben es nicht verdient! Das ist ja eben Gnade! Dass man sich nichts vor Gott verdienen kann! Luther hat das 1524 in einem Lied so ausgedrückt: „Bei dir gilt nichts denn Gnad und Gunst, die Sünde zu vergeben; es ist doch unser Tun umsonst auch in dem besten Leben. Vor dir niemand sich rühmen kann, des muss dich fürchten jedermann und deiner Gnade leben.“ (EG 299,2) Allein aus Gnade! Das gilt es gelten zu lassen! Aber wer das nicht gelten lassen will, oder wer auch nur ein bisschen zur Gnade hinzufügen will (sei es seine Anständigkeit, ja sogar seine ganze Gläubigkeit), der setzt alles auf´s Spiel! Das ist ja die große Gefahr für alle gläubigen Menschen. Letztlich ist das ein Spiel mit dem Feuer. 7 Das hat Martin Luther sehr scharf gesehen. Und wir müssen es auch ganz deutlich sehen. Das Neue Testament ist voll mit Warnungen an Menschen die meinen, mit ihrer Gläubigkeit vor Gott bestehen zu können. Ich erinnere nur an das Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus. Der hoffnungslos verlorene, der aussätzige Lazarus wird gerettet. Und der leistungsstarke und mit Reichtum gesegnete reiche Mann geht verloren. Jesus erzählt dieses Gleichnis guten und frommen Leuten, den Pharisäern, die gerade das umgekehrte Ergebnis nach dem Tod des Reichen und des Armen gemäß ihrer Theologie erwarten. Und eben diese Leute, die sich mit dem reichen Mann identifizieren (sollen), werden von Jesus an das Wort der Gnade verwiesen: „Sie haben Mose und die Propheten; sie sollen auf sie hören!“ (Lk. 16, 29) Dies heißt hier ganz unmissverständlich: Allein die Schrift! Wir haben es längst gemerkt: die Gnade Gottes macht sich fest an eine Person, und diese Person heißt Jesus Christus! Alle biblischen Texte, alle Gleichnisse Jesu wollen von ihm her und auf ihn hin ausgelegt sein. Auch das Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus. Allein aus Gnade, allein Christus, allein die Schrift! Aber wie kommt das alles bei uns an, dieses Allein? Wie kann ich das fassen, wie wird das bei uns konkret? Darum nun der vierte Edelstein dieses wunderbaren Kolliers: (4.) Allein durch den Glauben! Zunächst einmal: Was verstehen wir unter dem Begriff „Glaube“? Glaube drückt immer eine Beziehung aus. Wenn ich sage: „Ich glaube!“, dann muss ich zugleich sagen können, an was oder an wen ich glaube. Damit haben wir schon eine Abgrenzung unternommen, in der deutlich ist, dass Glaube nichts mit „Vermutung“ oder „Nicht wissen“ zu tun hat. Indem der Glaube eine Bewegung ist, nämlich von dem, an den geglaubt wird, zu dem, der glaubt, und dann die Bewegung zu IHM zurück - indem wir diese Feststellung machen, merken wir, dass Glaube keine Abstraktion ist, sondern eine Konkretion, die je und je in´s Leben hineindrängt. Was das nun im Verhältnis Gottes zu uns Menschen angeht und umgekehrt, will ich biblisch-reformatorisch einmal so sagen: Der Glaube hat eine objektive und eine persönlich existenzielle Seite. Zunächst die objektive Seite, die allein von Gott her wunderbare Wirklichkeit ist. Es gilt festzuhalten: Glaube ist nicht eine Leistung, die man sich selbst erarbeiten kann! Gerade auch, was den Glauben auf unserer menschlichen Seite angeht: er entsteht immer neu von Gott her. Was wir schon über die anderen reformatorischen Edelsteine gesagt haben, gilt auch hier. Gott selbst ist der, der durch seinen Heiligen Geist Glauben schafft und Glaube erhält! Wenn also ein Mensch sagt: „Ich glaube an Jesus Christus!“, dann verhält es sich objektiv so, dass der Heilige Geist diesen Glauben einem Menschen schenkt. Also, nicht ich bin der Urheber und Erhalter meines Glaubens, sondern allein Gott durch den Heiligen Geist! Das ist das größte Wunder, das ein Mensch erleben kann. Aber mit diesem Wort „Erleben“ sind wir schon bei der anderen Seite des Glaubens, bei der persönlich existenziellen Seite. Wenn ein Mensch sagt: „Ich glaube!“, dann erlebt er das persönlich existenziell als seine eigene Entscheidung. Und es ist wahr. Wenn nämlich ein Mensch von Gott her angesprochen wird, wenn ein Mensch plötzlich Augen und Ohren dafür bekommt, was Gott durch seinen Sohn getan hat, dann darf und muss er 8 von sich selbst bekennen: „Ich glaube!“ Und indem ein Mensch das sagt, redet er von der Beziehung, die er zu dem hat, der ihm den Glauben geschenkt hat. Das griechische Wort, das im Allgemeinen in der Bibel mit „Glaube“ übersetzt wird, hat zugleich auch eine andere Bedeutung. Es bedeutet nämlich zugleich auch „Treue“! Dieses Wort „Treue“ sagt haargenau das aus, was Glaube ist! Wenn ich also sage: „Ich glaube“, dann sage ich damit: „Ich bin treu“! Und wenn ich sage: „Ich bin treu!“, dann muss ich auch sagen, wem ich treu bin! Wir merken, indem wir unseren Glauben artikulieren, indem wir unseren Glauben leben, spiegelt sich darin die Beziehung wider, die wir zu dem haben, an den wir glauben, dem wir treu sind. Aber indem wir das persönlich existenziell sagen, indem wir selber mit unserer ganzen Person, vom Scheitel bis zur Sohle, glauben, werden wir mit unserer ganzen Person auf den geworfen, der uns treu ist (!), der also an uns glaubt, obwohl wir völlig unglaubhaft und untreu sind! Gott glaubt an uns. Aber er glaubt nicht wegen unserer (Glaubens)Leistungen an uns, sondern er glaubt an uns allein durch seinen Sohn Jesus Christus! Noch einmal: Wie lautet der Bekenntnisruf der Reformation? Allein durch den Glauben! Glaube heißt daher jetzt von Gott her für uns: Lasst das allein gelten, was Jesus Christus in seinem Sterben am Kreuz und durch seine Auferstehung für die ganze Welt getan hat! Die Welt ist gerettet. Auch wenn sie es noch nicht weiß. Darum muss es ihr gesagt werden! Und Gott sagt es uns durch sein Wort: „Glaub´s doch! Für dich und für alle ist dies geschehen! Aber glaub´s!“ Wer das glaubt, der lässt sich von Jesus Christus umschließen. Wer das glaubt, der kann dann voller Freude sagen: „Ich bin allein durch die Gnade gerettet!“ Dieser Glaube ist es, der Martin Luther in einem Lied bekennen ließ: „Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren; es streit´ für uns der rechte Mann, den Gott hat selbst erkoren. Fragst du, wer der ist? Er heißt Jesus Christ, der Herr Zebaoth, und ist kein andrer Gott; das Feld muss er behalten.“ (EG 362,2) Dieser Glaube ist es, den Gott seinen Menschen stets neu in´s Herz, in den Mund und in die Hände legen will. Er will das tun, weil allein der Glaube rettet, weil allein dieser Glaube durchträgt im Leben und im Sterben! Was haben wir gehört? Ich möchte zusammenfassen: Wir haben das reformatorische Kollier mit seinen vier Edelsteinen betrachtet. Alle vier Edelsteine sind durch dieses wichtige Wörtchen Allein beleuchtet. Wir haben gefragt: Was bezeugt die Schrift? Wir haben festgestellt: sie bezeugt die Offenbarung Gottes, Gott gibt sich uns durch das Zeugnis der Schrift zu erkennen, und zwar: allein! Darum: (1.) Allein die Schrift! Dann haben wir gefragt: Wen zeigt uns die Schrift? Wir haben gesehen, dass die Schrift eine Mitte hat, diese Mitte heißt Jesus Christus. Von IHM redet die Schrift Alten- und Neuen Testaments. Sie bezeugt das eine Wort Gottes, das vom Himmel herabgekommen ist, das für jeden Menschen sein Leben gegeben hat und das von den Toten auferstanden ist, damit wir Menschen auch leben! Jesus Christus ist das eine Wort Gottes. Darum: (2.) Allein Christus! 9 Weiter haben wir gefragt: In welcher Weise geschieht das? Antwort: Es geschieht so, dass Gott durch Christus jedem Menschen alles schenkt. Alles Hocharbeiten, alles Hochdienen zu Gott (und sei alles unsererseits noch so gut gemeint!) rettet uns nicht! Solcher Aktivismus bewirkt immer nur Hochmut und Arroganz bei uns Menschen. Oder auch das Gegenteil: Niedergeschlagenheit und Schwermut. Was uns rettet, ist einzig und allein die Gnade Gottes. Darum: (3.) Allein aus Gnade! Zuletzt haben wir gefragt: Wie empfangen wir unsere Rettung? Wie wird das, was allein Jesus Christus an uns allein aus lauter Gnade getan hat, und wie es uns allein die Schrift bezeugt, - wie wird das auf unserer Seite wahr? Wie empfangen wir das? Antwort: Wir empfangen es so, dass wir es im Glauben einfach wahr sein lassen, dass wir im Glauben durch Jesus Christus kraft des Heiligen Geistes zu Gott sprechen und bekennen: „Du Herr, nur du allein!“ Darum: Allein durch den Glauben! Ich wünsche uns allen, dass wir mit diesem wunderbaren reformatorischen Kollier geschmückt – und so gerettet! – ein Leben in der Geborgenheit Gottes und in seiner Kraft führen! Lassen wir es gelten: Allein die Schrift! Allein Christus! Allein aus Gnade! Allein durch den Glauben! Prediger Roland Tober, Bad Oeynhausen.