Endodontische Frage 207 Die endodontische Frage Prognose endodontisch behandelter Zähne bei der Planung von Zahnersatz Wenn umfangreicher Zahnersatz geplant ist, bei dem „jeder prothetische Pfeiler zählt“, werde ich oft von meinen Patienten gefragt, ob es sich denn noch lohnen würde, diesen oder jenen Zahn vorher (nicht selten aufwändig) endodontisch vorzubehandeln. Ich bin natürlich dankbar, wenn ich genügend Pfeilerzähne zur Verfügung habe, um den Patienten festsitzend versorgen zu können. Bei herausnehmbarem Zahnersatz, vor allem bei Teleskopprothesen, wird jeder prothetische Pfeiler u. U. teuer. Oft stellt sich in diesem Zusammenhang für die Patienten die Frage, ob dieser Zahn „teuer“ erhalten werden soll. Wenn es schief geht, braucht der Patient ja möglicherweise dann doch noch das Implantat. Mich würde die Prognose endodontisch behandelter Zähne bei geplantem Zahnersatz interessieren. T. S. aus L. Antwort Liebe Frau Kollegin, nahezu jeder Zahnarzt kennt die Situation, in der Sie sich befinden, wenn es um die Kommunikation über die Prognose endodontisch behandelter Zähne geht. Insbesondere dann, wenn es sich um die Planung eines hochwertigen und damit kostenintensiven Zahnersatzes handelt. Grundsätzlich unterscheidet man in der Literatur „Survival“ (Überlebensrate) von „Success“ (Erfolgsrate). Als „Survival“ wird in diesem Zusammenhang ein funktionell im Mund befindlicher, endodontisch behandelter Zahn beschrieben. Dieser kann beispielsweise parodontal beeinträchtigt sein, eine Parodontitis apicalis aufweisen, aber symptomfrei und „kaustabil“ sein. Bei einem „Success“ ist das Ziel neben der Beschwerdefreiheit die Ausheilung der Parodontitis apicalis. Die Erfolgsraten von Wurzelkanalbehandlungen schwanken zwischen 69,6 und 81,4 % an Zähnen mit und zwischen 82,1 und 90,1 % an Zähnen ohne präoperative Parodontitis apicalis1. Der Zusammenhang dieser Daten mit der Art der koronalen Restauration ist allerdings bislang kaum untersucht. Da es im Zusammenhang mit umfangreichem Zahnersatz auch immer wieder um die Frage „Endo oder Implantat?“ geht und in Veröffentlichungen meistens mit „Survival“-Raten von Implantaten argumentiert wird, habe ich mich in diesem Artikel auch nur auf die „Survival“-Raten endodontisch behandelter Zähne bezogen. Damit können Sie in Ihrem Beratungsgespräch mit dem Patienten auf vergleichbare Prognosedaten zurückgreifen, wenn es darum geht, ggf. einen Zahn durch ein Implantat zu ersetzen. In einer Übersichtsarbeit aus der Zeitschrift „Evidence Based Dentistry“ aus dem Jahr 20112 wurden signifikante Einflussfaktoren auf die Überlebensrate endodontisch behandelter Zähne gesucht. Hierzu fanden die Autoren der Übersichtsarbeit 31 Artikel, 14 entsprachen den Einschlusskriterien und ein großer Teil davon (10) waren retrospektive Studien. Die Überlebensrate endodontisch behandelter Zähne wurde dabei mit 86 bis 93 % für einen Zeitraum von 2 bis 10 Jahren beschrieben. Hinsichtlich der Überlebensrate scheint es dabei einen Unterschied zwischen der Behandlung durch einen Spezialisten (98 %) oder einen Generalisten (89,7 %) zu geben3. Für Implantate werden Überlebensraten von 73 % bei Implantation durch einen Generalisten und 95,5 % bei Behandlung durch einen Spezialisten angegeben4,5. Endodontie 2014;23(2):207–211 Christian Holscher Dr. med. dent. Universitätsmedizin Göttingen Georg-August-Universität Poliklinik für Präventive Zahnmedizin, Parodontologie und Kariologie Robert-Koch-Str. 40 37075 Göttingen E-Mail: c.holscher@ med.uni-goettingen.de 208 Endodontische Frage Als prognostisch günstige Faktoren ermittelten die Autoren: t FTIBOEFMUTJDIOJDIUVNFJOFO.PMBSFO t FT IBOEFMU TJDI OJDIU VN FJOFO 1GFJMFS[BIO GàS festsitzenden oder herausnehmbaren Zahnersatz, t EFS;BIOWFSGàHUNFTJBMVOEEJTUBMàCFS,POUBLU zu Nachbarzähnen, t EFS;BIOJTUNJUFJOFS,SPOFWFSTPSHU Neben diesen 4 prognostisch signifikanten Einflussfaktoren werden in der Literatur weitere Faktoren genannt: t QVMQBMFSVOEQFSJBQJLBMFS4UBUVT t 2VBMJmLBUJPOEFT#FIBOEMFST t "SUEFT;BIOFT t 2VBMJUÊUVOE-ÊOHFEFS8VS[FMLBOBMGàMMVOH t WFSCMJFCFOF;BIOIBSUTVCTUBO[ t ;FJUQVOLUEFSLPSPOBMFO3FTUBVSBUJPO Da in der Literatur selbst Unterschiede in den Bewertungskriterien von „Success“ und „Survival“ beschrieben werden, ist es schwierig, Vergleiche zwischen den Studien anzustellen. Ich habe mich hier auf die prognostischen Faktoren im Zusammenhang mit dem Zahnersatz beschränkt. Die Prognose endondontisch behandelter Zähne scheint umso günstiger zu sein, je schneller (innerhalb von 90 Tagen) man sie koronal restauriert6. Eine definitive Restauration7 bzw. eine Krone8 scheinen insgesamt zu einer signifikant höheren 10-Jahres-Überlebensrate zu führen9. Unabhängig davon, um welche Zähne es sich handelt, scheinen überkronte Zähne eine höhere Überlebensrate (81 %) aufzuweisen als Zähne mit direkten Restaurationen (63 %)9, insbesondere im posterioren Bereich10. Aquilino und Caplan11 beschrieben eine signifikant höhere Frakturrate wurzelkanalbehandelter Zähne, wenn diese nicht mit einer Krone versorgt wurden. Es scheint keinen signifikanten Einfluss zwischen vitalen und wurzelkanalbehandelten Zähnen zu geben, wenn diese mit einer Krone versorgt werden. De Backer et al.12 beschreiben keinen signifikanten Unterschied in einer 18-JahresNachuntersuchung vitaler („Survival“ 74,9 %) und wurzelkanalbehandelter Zähne („Survival“ 79,4 %), die mit einer definitiven Krone versorgt wurden. Gleiches gilt für das „Survival“ von bis zu 3-gliedrigen Brücken: vitale Zähne 83,2 % (20 Jahre), endodontisch behandelte Zähne 60,5 % (20 Jahre). Für Endodontie 2014;23(2):207–211 festsitzenden Zahnersatz insgesamt wird ein nicht signifikanter Unterschied zwischen dem Survival von 77,4 % bei vitalen und 56,7 % bei nicht vitalen Zähnen in einem Zeitraum von 20 Jahren beschrieben. Andere Autoren berichten in einem ähnlichen Zeitraum (18–23 Jahre) von einer höheren Komplikationsrate bei festsitzendem Zahnersatz, wenn beim tragenden Pfeiler eine Wurzelkanalbehandlung vorliegt13. Einige Autoren bestätigen diese Ergebnisse und führen dies u. a. auch auf die Extension des Zahnersatzes zurück14. Ein definitiv restaurierter Zahn hat eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit, wenn er nicht einzeln steht. Die okklusale Belastung scheint mit dem Vorhandensein und der Anzahl an Approximalkontakten zu korrelieren15,16. Ein mesialer und ein distaler Approximalkontakt sollen nach Angaben der Autoren zu signifikant höheren Überlebensraten führen als nur ein oder kein Kontakt3. Folglich könnte also der mit einer Primärkrone definitiv versorgte und endodontisch behandelte Zahn in einer Teleskopprothese an sich eine gute Überlebensrate aufweisen, der fehlende approximale Kontakt würde aber eine insgesamt relativ ungünstige Belastung bedeuten. Wegner et al.17 beschrieben in diesem Zusammenhang eine höhere Überlebensrate (92,7 %) bei festsitzend versorgten Prothesenpfeilern als bei herausnehmbaren Prothesen (51 %). Der Grund für ein Versagen war in beiden Fällen hauptsächlich ein Retentionsverlust von gesetzten Stiften, gefolgt von einem Bruch der Stifte und/oder der Fraktur der Wurzel nach ca. 60 Monaten. Adhäsiv zementierte Stifte scheinen sich günstiger auf die Prognose auszuwirken als konventionell zementierte Stifte. Die Restauration mit Stiften soll sich aber aufgrund von Längsfrakturen der Pfeilerzähne insgesamt negativ auf die Überlebensrate auswirken18. Frühere Studien konnten keinen signifikanten Unterschied zwischen mit bzw. ohne Stift restaurierten Zähnen hinsichtlich der Langzeitprognose (1–25 Jahren, 1273 Zähne) feststellen19,20. Sundh und Odman21 berichten von einer 24%igen Verlustrate endodontisch behandelter Zähne bei Kronen und festsitzendem Zahnersatz im Vergleich zu einer 10%-Verlustrate bei vitalen Zähnen. Ist der Zahn bereits wurzelkanalbehandelt, scheint es bei festsitzendem Zahnersatz keinen Unterschied zu machen, um was für einen Zahn es sich handelt17. Anders scheint es bei herausnehmbarem Zahnersatz zu sein. Molaren haben eine Endodontische Frage signifikant bessere Prognose („no failures“) als Prämolaren (Überlebensrate 38,3 % nach 54 Monaten), Frontzähne (53,1 %) oder Eckzähne (52,5 %)17. Ng et al.18 beschrieben auf der Grundlage einer Metaanalyse aus 3 Studien eine signifikant höhere Überlebensrate für endodontisch behandelte Zähne, die weder als Pfeiler für eine festsitzende oder herausnehmbare Prothese verwendet werden. Das Risiko des Zahnverlustes scheint bei herausnehmbaren Prothesen 1,9-fach höher zu sein als für festsitzenden Zahnersatz, wie etwa Kronen22. Im Vergleich dazu sei nur kurz erwähnt, dass die Ergebnisse der wenigen Langzeitstudien für implantatgetragenen festsitzenden Zahnersatz ähnlich ausfallen. Diese Berechnungen beruhen auf den Daten aus 21 Studien mit insgesamt 3578 Implantaten und 1336 festsitzenden Teilprothesen, wobei 299 Teilprothesen mindestens ein Follow-up von 5 bis 10 Jahren hatten23. Die Überlebensrate für implantatgetragene festsitzende Teilprothesen lag nach 5 Jahren bei 95 % und nach 10 Jahren bei 86,7 %. Die Überlebensraten von Implantaten wurden ähnlich wie in anderen Studien mit 95,4 % nach 5 Jahren und 92,8 % nach 10 Jahren angegeben. In 8,6 % der Fälle trat an Implantaten mit festsitzenden Teilprothesen eine Periimplantitis nach 5 Jahren auf, danach traten in 7,3 % Fehler in der Verankerung (Lösen oder Bruch der Abutmentschraube) und in 14 % eine Komplikation der Suprakonstruktion auf. Zu Langzeitprognosen von herausnehmbaren Prothesen, die an Implantaten verankert sind, konnte ich leider keine Daten finden. das Setzen von Stiften (insbesondere Metallstifte) verringert. t 7PSBMMFNJNQPTUFSJPSFO#FSFJDITPMMUFOFOEPEPO tisch behandelte Zähne schnell (< 90 Tage) und definitiv (am besten mit einer Krone) versorgt werden. t %JF1SPHOPTFCFJFJOFS#SàDLFJTUVNTPHàOTUJHFS je mehr Approximalkontakte vorhanden sind und je kleiner die zu versorgenden Lücken sind. Herausnehmbarer Zahnersatz t %BT3JTJLPEFT;BIOWFSMVTUFTTDIFJOUCFJIFSBVTnehmbarem Zahnersatz signifikant höher (1,9-fach) zu sein als bei festsitzendem Zahnersatz. t .PMBSFOTDIFJOFOCFJIFSBVTOFINCBSFN;BIO ersatz eine bessere Prognose zu haben als alle anderen prothetischen Pfeilerzähne. Ihre Frage lässt sich also folgendermaßen beantworten: Es gibt nur sehr wenige bis widersprüchliche Daten zu den Überlebensraten von festsitzendem bzw. herausnehmbarem Zahnersatz unter Einbeziehung wurzelkanalbehandelter Zähne. Noch schwieriger ist es, die Prognosen mit denen von Implantaten zu vergleichen. Bei festsitzendem Zahnersatz fand ich keine eindeutigen Unterschiede bezüglich der Überlebensraten von wurzelkanalbehandelten Zähnen und Implantaten. Nach den Informationen meiner Recherche sollten Sie nach Möglichkeit festsitzend versorgen, eine Wurzelkanalbehandlung (vor allem mit Stiften) vermeiden und die Lücken aber klein halten. Wenn eine Wurzelkanalbehandlung nötig wird, sollten Sie den Zahn zeitnah und definitiv mit einer indi Fazit rekten Restauration versorgen. Nutzen Sie möglichst Festsitzender Zahnersatz Molaren als Verankerung bei herausnehmbarem Zahnersatz. Das Risiko für einen Zahnverlust ist insget #FJ FJOFS &JO[FM[BIOWFSTPSHVOH TDIFJOU FT WFS- samt höher als bei festsitzendem Zahnersatz, aber die gleichbar (gute) Prognosen zwischen Implanta- Option für eine implantatgetragene Prothese bleibt ten und endodontisch behandelten Zähnen zu Ihnen dann ja immer noch. Die Abbildungen 1 bis 4 zeigen Beispiele für die Bewertung endodontisch geben (vgl. Spezialist/ Generalist). t %JF 1SPHOPTF FOEPEPOUJTDI CFIBOEFMUFS ;ÊIOF versorgter Zähne bei der prothetischen Planung. wird durch eine Parodontitis apicalis sicher gemindert (ca. 10 %) und möglicherweise auch durch Dr. Christian Holscher, Göttingen Endodontie 2014;23(2):207–211 209 210 Endodontische Frage Abb. 1 Die PSA zeigt den umfangreichen festsitzenden Zahnersatz einer 64-jährigen Patientin. Im Oberkiefer rechts befindet sich eine umfangreiche und suffiziente Brückenkonstruktion (16–14–11–21–22), die sowohl vitale, als auch wurzelkanalbehandelte Pfeilerzähne (22) mit einem konfektionierten Stiftaufbau enthält (ca. 10 Jahre in situ). Die insuffiziente Brücke (ca. 10 Jahre in situ) im 2. Quadranten (23–27) weist eine ungünstig lange Spannweite und ebenso einen devitalen Pfeilerzahn auf (23). Im Unterkiefer befindet sich eine ebenso insuffiziente Brücke (33–35–37) mit kurzen Spannen und 2 devitalen Pfeilern (Zahn 35 und konfektionierter Stiftkernaufbau an Zahn 37). Der Zahnersatz im 2. und 3. Quadranten wurde daraufhin erneuert. Die Brücke im 4. Quadranten (44–45–47) mit einer kurzen Spannweite und vitalen Pfeilerzähnen ist ca. 8 Jahre alt und suffizient. Abb. 2 Die Einzelzahnaufnahme zeigt die devitalen Pfeilerzähne der Brücke im 3. Quadranten. Die Brücke war aufgrund einer Kronenrandkaries an Zahn 35 insuffizient. Bei der Abnahme der Brücke brach die restliche Zahnhartsubstanz an Zahn 35 auf Gingivaniveau ab, sodass eine Revision und Rekonstruktion mit einem adhäsiv befestigten Glasfaserstiftaufbau durchgeführt wurde. Ebenso wurde mit Zahn 37 verfahren. Der Zahn 35 wurde nicht extrahiert, um eine ungünstig lange Spannweite der Brücke zu vermeiden. b Endodontie 2014;23(2):207–211 Abb. 3 Die Einzelzahnaufnahme zeigt die klinisch und röntgenologisch unauffällige Brücke im 4. Quadranten. Diese befindet sich seit 8 Jahren suffizient in situ und weist eine günstige Spannweite zwischen den vitalen prothetischen Pfeilern auf. Abb. 4a und b Die Einzelzahnaufnahme (a) zeigt das präoperative Röntgenbild des Zahns 34, der als Pfeiler für eine suffiziente Brücke (34–37) dient. Nach klinischer Diagnostik erhärtete sich der Verdacht einer Pulpanekrose (Sensibilitätsprobe negativ, Perkussion positiv, intermittierende Schmerzen). Die Sondierungstiefe war mesial erhöht (> 7 mm) und lateral sowie apikal ist eine Aufhellung in der Einzelzahnaufnahme zu erkennen. Der Verdacht einer Längsfraktur konnte aber vor und während der endodontischen Behandlung nicht bestätigt werden. Die 2-Jahres-Kontrollaufnahme (b) zeigt eine positive Heilungstendenz nach der Wurzelkanalbehandlung. Der Zahnersatz mit einer relativ großen Spannweite konnte erhalten werden. Wäre der Zahn extrahiert worden, hätte sich die Spannweite ohne das Setzen von Implantaten ungünstig verlängert. Endodontische Frage Literatur 1. Ng YL, Mann V, Rahbaran S, Lewsey J, Gulabivala K. 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