Gute Beziehungen werden besser, schlechte schlechter

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ERFAHRUNGSBERICHT
„Gute Beziehungen werden
besser, schlechte schlechter“
Wie sich Krebs auf die Partnerschaft auswirkt
VON JUTTA REDMANN
elten trifft eine Krebserkrankung
nur einen einzigen Menschen. Meist
ändert sich das Leben der Familienangehörigen und Partner/innen ebenso einschneidend wie das der Patienten selbst.
Die Erkrankten brauchen praktische
und emotionale Unterstützung und Hilfe
von ihrem Umfeld. Ebenso brauchen
aber auch die „Helfer“ Unterstützung,
um mit dieser oft massiven Belastung
fertig zu werden.
Auf einmal war nichts mehr wie früher.
Als ich erfuhr, dass mein Krebs unheilbar
geworden war, änderte sich auch das Leben für meinen Mann gravierend. Wir
waren Anfang 40 und hatten gehofft, zusammen alt zu werden. Mein Mann musste
und muss sich mit dem Gedanken auseinandersetzen, bald und sehr frühzeitig
Witwer zu werden. Die Angst war fortan
unser Begleiter – nicht ständig, aber immer
wieder. Er musste auch damit klar kommen, in Zukunft eine körperlich und
manchmal auch seelisch geschwächte
Partnerin an seiner Seite zu haben, die seine Unterstützung braucht. Mit der er
nicht mehr wie früher um die Welt reisen
und anstrengende Hobbies ausüben
kann. Die beruflich nur noch sehr eingeschränkt arbeiten kann und ihm die meiste
Hausarbeit
während belastender
Krebstherapien
überlässt. Die auch
manchmal durchhängt und trotz aller
emotionaler
Netzwerke ihm als
primärer Bezugsperson ihre Verzweiflung und Angst zeigt, wenn der Krebs
wieder zugeschlagen hat.
Zu unserem großen Glück hat unsere
Partnerschaft diesen Belastungen bislang
sehr gut standgehalten. Wir sind sogar an
ihnen gewachsen, und unsere Beziehung ist
auch noch inniger geworden. Wir wissen,
was wir aneinander haben und schätzen es
Jutta Redmann
mit ganz kurzen,
nach der harten
Chemotherapie
gegen ihren
metastasierenden Brustkrebs
wieder wachsenden eigenen
Haaren.
Bilder: privat
S
auch umso mehr, weil wir bei jedem
Rückfall immer wieder schmerzlich erfahren, wie begrenzt unsere gemeinsame
Zeit noch ist. Es stimmt nach meiner Beobachtung wirklich, was der Züricher
Psychotherapeut Prof. Claus Buddeberg
über Partnerschaften sagt, die mit Krebs
konfrontiert werden: „In der Regel werden
gute Ehen durch Krebs besser und
schlechte schlechter“.
Trennungen sind
meistens übereilt
Wie viele Krebskranke von ihren Partnern verlassen werden, lässt sich statistisch nicht eindeutig belegen. Aber an
wohl keiner Beziehung geht eine solche
das Leben gefährdende und oft zum Tode
haben sie eine durch die existentielle
Krise aufgewühlte Frau neben sich, die immer mehr lernt sich abzugrenzen. Die ihren Mann manchmal mit ihren Stimmungsschwankungen nervt oder ihn sogar
als Sündenbock behandelt. Manche
Frauen haben das Gefühl, nach der
Krebsdiagnose sofort alles in ihrem Leben
umkrempeln zu wollen, schreibt die Wissenschaftsjournalistin Lilo Berg in ihrem
Buch „Brustkrebs – Wissen gegen
Angst“. Nach dem Motto: „Wer weiß,
wie viel Zeit mir noch bleibt“. Dazu gehört
dann auch die Trennung vom Partner,
dem sie zumindest teilweise die Schuld
an ihrer Erkrankung zuweisen. Für manche zerrüttete Beziehungen mag ein solcher Schritt notwendig sein, für andere
ist er sicher übereilt. Trennungen in dieser
Belastungssituation, so die Diplompsychologin Carola Leppin, „machen oft nur
deutlich, wie lose oder brüchig das Beziehungsband schon gewesen ist“.
Doch auch gute Beziehungen geraten
durch eine Krebserkrankung erst einmal
durcheinander. Die an Brustkrebs erkrankte Frau fragt sich vielleicht, ob ihr
Mann weiter zu ihr steht, sie noch attraktiv
findet oder nur aus Pflichtgefühl bei ihr
bleibt. Ihr gesunder Ehemann überschüttet
„Die Angst war fortan unser Begleiter –
nicht ständig, aber immer wieder.“
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Humanes Leben · Humanes Sterben 3/2008
führende Erkrankung spurlos vorüber.
Einige gesunde Partner halten es nicht
aus, ständig mit ihren eigenen Ängsten
vor Krebs und Tod konfrontiert zu werden.
Manche Männer wünschen sich die alte
Partnerin zurück, die vor der Krebserkrankung weitgehend „funktionierte“
und ihre Bedürfnisse zugunsten des Partners oder der Familie zurückstellte. Nun
sie vielleicht mit immer mehr Informationsmaterial über Krebstherapien, verbreitet Zuversicht und einfache Lösungen, auch um die eigene Hilflosigkeit zu
überspielen. Seine Frau möchte aber viel
lieber menschliche Anteilnahme – in den
Arm genommen werden, mit ihm weinen. Umgekehrt möchte sich der an Prostatakrebs erkrankte Ehemann viel lie-
ber ablenken. Seine Frau aber fragt ihn
dauernd nach seinem Befinden und
überschüttet ihn mit einer von ihm als
übertrieben empfundenen Fürsorglichkeit, die auch aus ihren eigenen Ängsten
gespeist wird. Oder umgekehrt.
Partner als „emotionaler
Schwamm“
Der US-Psychologe und Philosoph Ken
Wilber schreibt in seinem Buch „Mut
und Gnade“ sehr offen und eindrucksvoll, wie er während der tödlich verlaufenden Krebserkrankung seiner jungen
Frau Treya immer mehr gelernt hat, als
„emotionaler Schwamm“ bereit zu stehen. Am Anfang habe er bei neuen
Metastasen immer das Bedürfnis gehabt,
seiner Frau die Angst und das Entsetzen
auszureden, und damit auch sich selbst.
„Ich wollte kein Schwamm sein, sondern
derjenige, der die Situation rettet“.
Wenn es aber nichts mehr zu retten gibt,
dann fühlte er sich hilflos. Bis er erkannte:
„Man braucht nichts zu sagen und nichts
zu tun. Man muss nur da sein“. Wie ein
Schwamm, der die negativen Gefühle
wie Verzweiflung und Wut der Partnerin
aufsaugt. Das half seiner Frau am besten,
und die Beziehung intensivierte sich.
Psychotherapeut Hans Jellouschek,
dessen Berufskollegin und Frau Margarete ebenfalls an Krebs starb, empfiehlt betroffenen Paaren in seinem Buch „Bis
zuletzt die Liebe“ nachdrücklich, nicht
nach „psychischen Ursachen für den
Krebs zu fahnden“. Abgesehen davon,
dass bisher wissenschaftlich keine solchen Ursachen festgestellt werden konnten, führe dies „so gut wie immer zu
Schuldzuschreibungen an sich und/oder
den Partner“. Und die seien in jedem
Fall kontraproduktiv. Viel wichtiger
seien folgende Fragen: „Was können wir
tun, um trotz der Krankheit die Qualität
unseres Lebens und Zusammenlebens
positiv zu beeinflussen? Wie können wir
unsere Ressourcen insgesamt stärken, so
den krankheitsbedingten Stress reduzieren
und damit die Lebensqualität steigern?“
Verlust- und Todesängste
Besonders belastend ist es, wenn der
krebskranke Partner nicht mehr geheilt
werden kann und das Sterben absehbar ist.
Diese Konfrontation stürzt erst einmal
beide in tiefe Verzweiflung. Verlustängste
des gesunden Partners wechseln sich mit
Todesängsten des Erkrankten ab. Pro-
Jutta Redmann mit ihrem Hund bei einem
Spaziergang im Wald.
blematisch wird es dann, wenn der Gesunde trotz eindeutiger Diagnose weiterhin
Zuversicht verbreitet und den Kranken
nicht los lassen kann – dieser kann sich
dann mit seinen eigenen tiefen Ängsten
nicht an ihn wenden. Oft muss er sich sogar
verstellen, eine Heilung beteuern, an die er
selbst nicht glaubt. Alles, um den gesunden
Ehemann zu beruhigen und zu trösten.
Diese Kraft haben unheilbar Kranke oft
nicht. Sie fühlen sich unverstanden, was auf
beiden Seiten der Beziehung Aggressionen
auslöst. Deshalb ist es so wichtig, schreibt
die Deutsche Krebshilfe in ihrem Ratgeber
für Angehörige; dass beide Partner über
die beide „beherrschenden Ängste“
sprechen: „Verbergen Sie ihre Trauer
und Tränen nicht um jeden Preis vor
dem Kranken, sondern gehen Sie auch in
dieser Hinsicht offen miteinander um“.
Doch auch der gesunde Partner muss
sich schützen. Bei aller Hilfsbereitschaft
und allem „Mitleiden“ muss er dringend
lernen, sich abzugrenzen und sich Auszeiten zu nehmen. Ansonsten ist er
schnell überfordert und kann nicht mehr
für den kranken Partner da sein. Manche
Angehörige werden auch selbst krank,
weil sie sich keine Zeit mehr für sich
nehmen. Oder sie bekommen durch die
Dauerüberlastung regelrechte Aggres-
sionen auf die kranke Person, wie Wilber
so aufrichtig beschreibt: „Zorn, Groll
und Bitterkeit schleichen sich unweigerlich
ein – und schreckliche Schuldgefühle,
weil man überhaupt solche finsteren Gefühle hat“. Seiner Erfahrung nach hilft es
auch da am besten, wenn man diese „finsteren Gefühle“ herauslässt. Danach
kann man auch wieder für den kranken
Partner da sein. Als beste Anlaufstelle
hat sich für Wilber eine Selbsthilfegruppe
für Angehörige erwiesen. Auch eine
Einzel-Psychotherapie hält er wie viele
Experten für hilfreich. Jellouschek rät
dem gesunden Partner, sich zusätzlich
Hilfe bei Freunden und Verwandten zu
holen – als „emotionale Tankstellen“.
Auch der Erkrankte sollte nicht alles
vom Partner erwarten, sondern sich
„Anteilnahme, Anerkennung, Fürsorge,
Anregungen, Impulse“ ebenfalls bei anderen Menschen holen. Das könne die
Situation entspannen. Ihm und seiner
Frau hat eine Paartherapie sehr gut geholfen, ihre Probleme während der
Krebserkrankung zu bearbeiten.
Oft beeinträchtigte
Sexualität
Bei fast allen Krebserkrankungen spielt
das Thema Sexualität eine Rolle. Verstümmelnde Operationen wie Brustverlust und Impotenz, schwächende Krebstherapien, das Austrocknen der Schleimhäute und eine eingeschränkte Libido
durch Chemo- und Antihormontherapie
machen Kranken und ihren Partner/innen das Leben oft zusätzlich
schwer. Schmerzen, Übelkeit, Müdigkeit
und Scham verdrängen oft sexuelle Bedürfnisse. Natürlich leidet auch die Psyche
sowohl unter der Diagnose wie auch unter
den oft belastenden Therapien. Neben
den körperlichen Folgen beeinträchtigen
Ängste und Depressionen die Lust. Dabei
ist körperliche Nähe gerade dann besonders wichtig. Auch hier gilt: Die Paare
müssen über ihre Bedürfnisse und ihre
Unsicherheit im Umgang miteinander
reden. Dann kann ein „Neuanfang auf
Nähe und Zärtlichkeit ohne Leistungsdruck gegründet werden“, schreibt Lilo
Berg. Jellouschek empfiehlt, bewusst
konkrete Zeiten für die Sexualität einzuplanen. Selbstverständlich gibt es auch
für dieses Problem Beratungsstellen,
Psychotherapeuten und Selbsthilfegruppen, an die sich betroffene Paare wenden
können.
Humanes Leben · Humanes Sterben 3/2008
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