P AUL P EUERL 1570- NACH 1625 W ELTSPIEGEL STEYR, 1613 N EUE P ADOUAN STEYR, 1611 ID 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 Titel O Musica du Edle kunst Suite Canzon I Bewahr dein Hertz Suite Suite Fröhlich zu seyn Suite Pracht Hochfart Reichthumb Golt und Gelt Suite Frisch auff und last uns singen Suite Suite Man sagt in einem sprichwort frey Suite Canzon Reichlich das glück kombt alle tag A RMONICO TRIBUTO A USTRIA Mieke van der Sluis - Sopran Hedwig Westhoff - Sopran Pascal Bertin - Altus Wilfried Jochens - Tenor Georg Nigl - Baß Brigitte Täubl - Barockvioline Ursula Weiss - Barockvioline Lorenz Duftschmid - Viola da gamba Johanna Vaelncia - Viola da gamba Thomas Wimmer - Violone Jean-Pierre Canihac - Zink Jean Tubery - Zink, Blockflöte Daniel Lassalle - Posaune Stephan Leger - Posaune Gil Jenestiér - Posaune Charly Fischer - Percussion Luciano Contini - Theorbe Luca Guglielmi - Cembalo & Orgel LEITUNG: LORENZ DUFTSCHMID cpo 999 792-2 Februar 2000 Mürzzuschlag-Steyr Rezensionen: Die Musik ist wunderbar - ganz besonders auch dieVokalsätze sind herrlich getroffen. Wem die Musik von H. Schütz gefällt, der wird das Gebotene lieben. Es ist trotz anderer Herkunft von Peuerl wie wenn beide vom selben Lehrer erzogen worden wären! Die Zusammenstellung der Vokalstimmen ist auch ein Hochgenuß von der Qualität der Sänger her hoffentlich gibt es das noch oft zu hören. Auch die Instrumentalsätze sind wunderbar gespielt - die Solostücke wie die Ensembles.Speziell die Orgelregistration sind fast ein wenig schockierend (die Kammerorganisten bemühen sich doch derzeitfast alle um eine ganz unauffälliuge, bisweilen ganz fade Registrierung!) - solch eine farbige Registrierung wird derzeit nirgends gewagt und hört man sonst nur bei Aufnahmen von Renaissancemusik aus südlichen Ländern. Der Mut zum Neuen oder Awechslungsreichen ist da ganz berechtigt, denn dieBarockzeit war ja auch eine Zeit des Aufschwunges bei Erfindungen und Entdeckungen in Physik, Chemie und Mechanik Karlheinz Schifftaler, Wien Classicstoday.com: "Spirited, expert performances that would be difficult to surpass. As usual with CPO, the sonics are as sumptuous as ever. CPO's presentation is likewise to none." FonoForum 2/2002: "Gehobene Unterhaltungsmusik, quicklebendig musiziert." Goldberg: "Großartige Musik, lebendig, brillant, ein Vergnügen. Peuerl hätte keine besseren Anwälte als diese exzellenten Musiker finden können." Der Komponist Paul Peuerl war lange Zeit nur einer relativ kleinen Anzahl von Fachleuten bekannt und das mag auch erklären, weshalb er bis heute mit allerlei Mythen umgeben ist. Es begann bereits bei seinem Namen: Auf dem Titelblatt der Newen Padouan, seiner ersten, 1611 in Nürnberg gedruckten Sammlung von Instrumentalstücken, wird er Bäwerl geschrieben. Das bedeutet offensichtlich „Bäuerl(ein)“. 1620 wird er Beuerlin und in einer Linzer Orgeltabulatur von 1613 Beurlin genannt. Diese Form ist für uns Heutige nicht mehr so eindeutig als der „kleine Bauer“ erkennbar, und noch weniger Peuerl, wie er auf den Titelblättern der Drucke von 1613 und 1625 genannt wird, während Peurl, wie der Name in vielen Schriftstücken von zeitgenössischen Amtsschreibern lautet, vielleicht der damaligen Aussprache wieder näher kommt. Darin liegt auch eine erste Erklärung für die Unterschiede: er selbst nennt sich meist Peuerl und die anderen Formen werden von Außenstehenden verwendet, wobei die Abweichungen mit der Entfernung von seiner Person naheliegenderweise zunehmen (in dem Druck von 1611 ist auch das Vorwort nicht von ihm gezeichnet, sondern stammt mit großer Wahrscheinlichkeit vom Verleger). Dazu kommen jedoch - als ein zweiter Grund - die Unterschiede zwischen den deutschen regionalen Dialekten (s.w.u.). Die Annahme, daß Peuerl, weil er nur in Österreich greifbar war, auch hier geboren sei, trifft nicht zu: er gehört zu den vielen Musikern, die im Laufe der Zeit hier zugewandert sind und sich so wohl fühlten, daß sie endgültig blieben und daher von der österreichischen Musikgeschichte vollkommen vereinnahmt wurden (die bekanntesten sind wohl Beethoven und Brahms). Ein dritter Punkt war schließlich, daß Peuerl als „Erfinder“ der sogenannten Variationensuite anzusehen und ihm damit eine der wenigen österreichischen Formschöpfungen in der Musik überhaupt zu verdanken sei. Auch das muß revidiert werden. Schließlich ist nicht zu übersehen, daß die Biographie Peuerls ohne Berücksichtigung der damaligen Verhältnisse, insbesondere hinsichtlich Gegenreformation und der Auseinandersetzungen zwischen den Konfessionen nicht richtig verstanden werden kann. Paulus Beurlin ist nach Ausweis des dortigen Taufbuches am 13. Juni 1570 in Stuttgart als Sohn des Ehepaares Hans Beurlin aus Entringen und seiner Frau Catharina geb. Ochs (Tochter des Jerg Ochs aus Stuttgart, vermählt 1563) getauft worden, also entweder am gleichen Tag oder nur wenig früher geboren. Näheres über die Eltern, seine frühen Jahre, Ausbildung etc. ist nach wie vor nicht bekannt, doch könnte in dem 1608 in Wertheim nachweisbaren Organisten Hiernonymus Beuerlin (Beuerlein) ein Verwandter vermutet werden. Verwandtschaftliche Beziehungen wären auch denkbar zu jenem Samuel Beuerlin, der seinen Namen als Agricola latinisierte, aus Markgröningen bei Stuttgart stammte, durch Vermittlung des Rektors der (protestantischen) Landschaftsschule in Linz 1584 Prädikant bei Wolf Jörger zu Tollet und Köppach (Oberösterreich) wurde und 1586 als (protestantischer) Pfarrer von Wilfersdorf (Niederösterreich) in Linz eine Frau aus Miespach heiratete. Er kommt, wenn die Auflösung des Monogramms S. / A. P. als Samuel / Agricola Peuerlin richtig ist, als Schreiber oder Besitzer der genannten Linzer Orgeltabulatur in Frage, in der sich auch Absetzungen von Instrumental-Kompositionen Peuerls befinden (versehen mit den Namensformen Beurlin oder im Genetiv Peurlini). Ebenso wäre gut denkbar, daß er die Übersiedlung von Paul Peuerl nach Österreich anregte oder vermittelte, nämlich zum 1. November 1601 als Organist nach Horn (Niederösterreich). Es ist dabei auffällig, daß sein Name (und übrigens auch der seines drei Jahre älteren Bruders Conrad, der zuletzt in Wiener Neustadt nachweisbar ist) hier nur mehr ohne die Endsilbe -in (die in der bayerischösterreichischen Mundart eben zur Bildung der weiblichen Namensformen diente und nicht, wie im Württembergischen, als Diminutiv; dazu dient hier bekanntlich das bloße angehängte -l) verwendet wurde. Außerdem hat es hier (z. B. abermals in Linz oder Enns, aber auch in Steyr oder Graz) Familien mit Namen Peuerl bereits vorher gegeben, sodaß (unabhängig davon, ob es sich dabei um Verwandte handelte oder nicht) auch in Hinsicht an eine bewußte Angleichung an die österreichischen Verhältnisse gedacht werden muß. Paul Peuerls Weg nach Horn (Niederösterreich) könnte über den Prädikanten Mag. Johann Brueder (Bructerus) gelaufen sein: er stammte aus Balingen/Württemberg, hatte in Tübingen studiert, war 1583 als Diakon nach Eferding (Oberösterreich) gekommen, war dann vierzehn Jahre lang Prädikant in Linz, bevor er 1598 in derselben Funktion nach Horn kam. Er war dort Peuerls zweifacher Vorgesetzter: als Pfarrer für den Organisten und als Inspektor der Schule für den hier gleichzeitig als Lehrer verpflichteten Peuerl. Ansonsten wissen wir über seine Zeit in Horn von 1601 bis 1609 nicht allzu viel (einzige Quellen sind die Ratsprotokolle der Stadt, die ihn ja besoldete): daß er verheiratet war und ein Kind hatte, in die dortige Bürgerschaft gut integriert (sowohl wehrpflichtig als auch Mitglied der Schützengilde) war, auch so manchen Streit ausfocht (z. B. mit den „Türmern“, die er als Unterhaltungs- und Tanzmusiker konkurrenzierte), sich rasch den Ruf eines Orgelexperten erwarb und er auch bereits komponiert hat. Offenbar hat er sich spätestens in Horn auch mit dem aus Pommern stammenden Konrektor der Schule, Jakob Tydeus (Tydaco) angefreundet. Als dieser 1608 Verhandlungen mit Steyr (Oberösterreich) aufnahm und schließlich 1609 in derselben Funktion dorthin ging, folgte ihm Peuerl offenbar ziemlich kurzfristig. Beides hängt damit zusammen, daß die oberösterreichischen Landstände, geschickt den Bruderzwist zwischen Kaiser Rudolf II. und Herzherzog Matthias ausnutzend, per 1. September 1608 in allen landesfürstlichen Städten den lutherischen Gottesdienst wiedereingeführt und sich dem sog. „Horner Bündnis“ angeschlossen hatten. So gingen auch die Protestanten von Steyr wieder daran, ihre 1599 geschlossene Lateinschule mit dem Schuljahr 1609 wieder zu eröffnen. Als Rektor holte man sich Egydius Weixelberger aus Regensburg, als Konrektor Tydeus und als Organisten der evangelischen Schulkirche Peuerl aus Horn (während als Kantor, d. i. Musiklehrer an der Schule, aus Eferding Georg Taubenrock berufen wurde, man diese beiden Funktionen in Steyr also trennte). Die Besoldung erfolgte wieder durch die Stadt und auch hier bleiben die Ratsprotokolle die wichtigsten Anhaltspunkte für Peuerls Biographie. Diesmal hatte er sich die Erlaubnis, sich als Musiker „auf Hochzeiten, Preitspillen und Mallzeiten“ der Bürgerschaft ein Zubrot zu verdienen, ausdrücklich zusichern lassen. Als Taufpaten seiner hier geborenen Kinder fungierten neben Tydeus namhafte Bürger. Auf den Titelblättern seiner gedruckten Werke wird er zunächst (1611) als „bestelter Organist bey der Evangelischen Kirchen zu Steyer“ bezeichnet, dann (1613) als „der löblichen Statt Steyer in Oesterreich ob der Ens bestelter Organist“, zuletzt (1625) aber als „Organist vnnd Orgelmacher der zeit zu Steyer“. Darüber hat man gerätselt, bis sogar ein Vertrag zwischen Peuerl und dem Abt des Zisterzienserstifts Wilhering (Oberösterreich) aus dem Jahre 1619 auftauchte. Diesem war zu entnehmen, daß das (1733 leider verbrannte) Werk einem Orgeltypus nahekam, den zur selben Zeit Michael Praetorius theoretisch formulierte. Das verwunderte zunächst ebenso wie die Verbindung zwischen einem protestantischen und offenbar nur nebenbei als solcher tätigen Orgelbauer und einem katholischen Stift. Wenn der Preis und die Kompetenz „stimmte“, spielte offenbar auch damals das religiöse Bekenntnis eher eine untergeordnete Rolle. Die andere, wohl wichtigere Frage ist biographisch einigermaßen zu klären: Es gehörte seit Jahrhunderten zum selbstverständlichen, weil notwendigen Handwerk eines Organisten, kleinere Reparaturen an seinem Instrument (insbesondere den Bälgen) selbst vornehmen zu können. Der Schritt von da zu der gar nicht so seltenen Doppelfunktion Organist-Orgelbauer (z. B. auch Paul Hofhaimer) ist daher ein gradueller und kein prinzipieller. 1606 ist eine derartige Orgelreparatur Peuerls in Horn aktenkundig (es werden sicher mehrere gewesen sein) und 1609 wollte man ihn angeblich von Horn auch deshalb nicht gerne weglassen, weil man bereits damals an einen Neubau dachte und eines Fachmanns bedurft hätte, der diesen wenigstens beobachtete. Dieser Ruf war sicher nicht von ungefähr entstanden. Und kaum war er nach Steyr gekommen und noch gar nicht endgültig installiert, hatte er auch schon auf die Mängel seiner Orgel in der Schulkirche (heute Dominikanerkirche) hingewiesen. Im Jahre 1613 hatte er endlich Erfolg: noch im Herbst wurde der Neubau in Angriff genommen, Peuerl erhielt vonseiten des Rats nicht nur eine Art Oberaufsicht, sondern auch den Auftrag, selbst mit Hand anzulegen (wofür er extra bezahlt wurde). Auch hier wußte man also seine diesbezüglichen Kenntnisse und Fähigkeiten zu schätzen. Als er im Februar 1614 um eine Beurlaubung einkam, wurde ihm diese nur mit dem ausdrücklichen Hinweis bewilligt, die Reise mit dem Orgelmacher (der also noch an der Arbeit war) abzusprechen. Der Name des Orgelbauers wird nicht erwähnt, doch stammte er zweifellos aus Steyr selbst (sonst wäre das Ganze wohl nicht in so kurzer Zeit abzuwickeln gewesen). Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelte es sich um Ulrich Schreyer, Sohn des Orgelmachers Leonhard Schreyer in Gröningen sowie Vetter und erst seit 1613 Nachfolger des Steyrer „Tischler[s] und Orgelmacher[s]“ Georg Hackher. Wahrscheinlich wollte sich Schreyer mit diesem neuen Werk in der Schulkirche als neuer Meister vorstellen. Wenn auch nichts über die Dispositionen der von ihm gebauten Werke (neben Steyr 1614 auch Freistadt 1614 und Linzer Landhauskirche 1616) bekannt ist, läßt doch seine Herkunft aufhorchen: in Gröningen bei Halberstadt hatte 1596 anläßlich der Einweihung der neuen, vom Halberstädter Orgelbauer David Beck erbauten Schloßorgel ein berühmtes Organistentreffen stattgefunden, darunter Michael Praetorius (1571-1621), der bis 1594 Organist der Schloßkirche gewesen war. Schreyer hatte wohl nicht nur bei Hacker gelernt, sondern nach Gröningen zumindest noch Kontakt gehalten. Und Peuerl hat nicht nur den Bau der neuen Steyrer Orgel durch Schreyer beaufsichtigt, sondern dabei auch mitgearbeitet und sicherlich noch viel Handwerkliches und Theoretisches dazugelernt, das er selbst später umsetzen wollte. So läßt sich die Wilheringer Disposition wohl erklären. Bereits im Herbst 1614 wurde er für eine Reise nach Horn beurlaubt, ein halbes Jahr später berichten die Horner Ratsprotokolle von der Abnahme einer durch Peuerl durchgeführten größeren Orgelreparatur in der Stephanskirche (heutige Friedhofskirche). Die ihm 1613 vom Stadtrat Steyr erteilte Erlaubnis, sich die noch brauchbaren Teile der abgerissenen Schulorgel zu behalten, hatte für ihn wohl nicht nur praktische Bedeutung. Sie setzt zunächst einmal voraus, daß er dafür einen Raum, vielleicht schon eine Werkstatt besaß. Zweifellos hängt ein seit 1919 anhängiger und sich bis 1621 hinziehender Rechtsstreit mit der Zunft der Steyrer Tischler, zu denen die Orgelmacher traditionellerweise gehörten, mit dem Bau der Wilheringer Orgel zusammen (Peuerl hatte sie „auf seine Aignen unkosten dahaimb Zu Steyr ... Inner Jahr und Tage [zu] machen“ und dann kostenlos anzuliefern und aufzustellen): offenbar wurde der Entscheid zunächst bis zur Vollendung dieser Arbeiten hinausgezögert (auffällig ist auch, daß es ausgerechnet zu dieser Zeit keine Urlaubsansuchen gibt), konnte aber dann wohl nur negativ ausfallen, weil eine Aufnahme in die Zunft war nur behausten Bürgern möglich war. Weitere, von verschiedenster Seite immer wieder ins Auge gefaßte Orgelbauten und -reparaturen in Horn (Stadtpfarrkirche St.Georg), Enns, Freistadt und Wels lassen sich derzeit nicht verifizieren oder hinreichend eindeutig auf Peuerl beziehen. Immerhin bezeichnet sich nicht nur Peuerl selbst 1625 als „Organist und Orgelbauer“, sondern anläßlich seines „Abschiedt[s] vnd Abfertigung“ vom 5. November dieses Jahres wird er erstmals auch im Ratsprotokoll so bezeichnet: möglicherweise wollte man ihm nach der durch das kaiserliche Protestantenpatent vom 4. Oktober endgültig erzwungenen Abdankung den weiteren Lebensunterhalt ermöglichen. Daß er daraufhin Steyr verlassen habe, ist jedenfalls nicht zwingend anzunehmen (noch 1627 sind in Steyr Protestanten nachweisbar); allerdings scheint sein Name weder in den Kommunionlisten der Konvertiten als auch in den bekannten Auswandererlisten (die letzte von 1629) auf (wohl aber der von möglichen Kindern). Vielleicht hat er sich als Musikant und/oder Orgelreparateur durchgeschlagen und ist er dann wohl irgendwo auf dem Lande gestorben. Abgesehen von den Linzer Tabulaturabsetzungen sind Peuerls Werke heute überraschenderweise nicht handschriftlichen, sondern nur in Drucken (einer nur unvollständig) erhalten, die ausnahmslos von Abraham Wagenmann in Nürnberg hergestellt wurden. Ein entscheidender Prozentsatz der von Wagenmann gedruckten Kompositionen stammt von in Österreich tätigen Protestanten; außerdem scheint er besondere Beziehungen zur oberösterreichischen Landschaft gepflogen zu haben. Daß Peuerls Verleger Wagenmann heißen würde, lag also irgendwie nahe. Trotzdem dürfte er ihn (jedenfalls anfangs) nicht persönlich gekannt zu haben: nicht nur die 1611 gewählte Namensform ist ungewöhnlich und auffallend, auch die Bezeichnung als Organist „der evangelischen Kirche“ ist zwar nicht falsch, aber auch nicht ganz zutreffend (denn tatsächlich bestallt war er zu diesem Zeitpunkt noch nicht und besoldet wurde er, wie dann 1613 richtiggestellt, vom Rat der Stadt), das Vorwort ist außerordentlich kurz und stereotyp, v. a. ohne die übliche Widmung an eine bestimmte Persönlichkeit. Wagenmann wollte mit Peuerls Paduanen von 1611 offenbar den ebenfalls in Nürnberg tätigen Verleger Paul Kauffmann zu konkurrenzieren beginnen. Dieser hatte bis dahin alle wesentlichen einschlägigen Neuerscheinungen (von Valentin Haußmann, Hans Leo Haßler, Johann Staden, zuletzt 1609 des ebenfalls in Oberösterreich, nämlich als Jörgerscher Schloßmusiker in Aschach tätigen Johannes Thesselius) herausgebracht. Wagenmann hingegen war bis 1610 nur als Buchdrucker tätig gewesen und hatte als Musikverleger noch nicht allzu viel Erfahrung. Das zeigt eben auch sein Vorwort „an den guthertzigen Leser“ (!), die Drucklegung könnte sogar von einem Vermittler dem neuen Verleger nahegebracht, dürfte dann aber sehr rasch durchgeführt worden sein. Das heißt auch, daß die Kompositionen entweder z. T. noch in Horn komponiert wurden, oder in Steyr in recht kurzer Zeit. Daher wird wohl auch die Konzeption dieser Suiten, in die lange Zeit aus ideologischen Gründen allzu viel „hinein geheimnist“ wurde, nüchterner zu sehen sein. Der aus mehreren Gründen (geographische und zeitliche Nähe der Komponisten, ähnliche Titelgebung der Drucke, Konkurrenzverhältnis der Verleger) naheliegende Vergleich mit Thesselius scheint aufgrund relativ deutlicher Unterschiede eher auf erstere Möglichkeit hinzudeuten. Der entscheidende Punkt aber ist (und darin hatte die frühere Auffassung durchaus recht), daß hier erstmals viersätzige Suiten vorliegen, die von einem Komponisten als solche angelegt waren und nicht, wie bis dahin üblich, vom Benutzer aus einem größeren Angebot von je gleichartigen Tänzen ad libitum zusammengestellt werden konnten. Seine Zusammenstellung ist daher auch musikalisch abgestützt: durch das mehr oder weniger starke (d. h. durch zusätzliche Stilisierung geprägte) Variationsverhältnis der Sätze untereinander (daher die Bezeichnung „Variationensuite“). Die Abfolge der Sätze ist völlig einheitlich, also viel strenger gehandhabt als in dem späteren sog. Frobergerschen Suitentyp, der stets bestenfalls idealtypisch aus Allemande, Courante, Sarabande und Gigue bestehen sollte; außerdem kam es bei diesem auf die Charakterisierung und dann erst Stilisierung der verschiedenen Tanztypen an. Daher sind diese beiden Suitenformen von vornherein nicht vergleichbar oder gegeneinander auszuspielen. Tatsache ist, daß die eine stärker vom Tanz her geprägt, und die andere, nach Peuerl nur von Schein 1617 aufgegriffene und von ihm selbst später wieder verlassene ausschließlich von der Musik her. Ob man die Verwendung des Prinzips einer variativen Vergesellschaftung wirklich als „typisch deutsch“ ansehen darf, wie dies früher geschah, ist jedoch mehr als nur fraglich. Auch die von trivialen Vorstellungen abweichende Bedeutung der Satzbezeichnung Intrade ist in dieser Richtung zu sehen: Es handelt sich eben nicht eigentlich um einen Tanzsatz, sondern um Musik zu einem Ein- oder Aufzug (lat. intrare = eintreten), d. h. zu einem stilisierten Schreiten. Ein solches ist jedoch keineswegs nur zu einem geraden Takt denkbar, sondern auch (ja gerade im Falle höherer Stilisierung, wie hier) zu ungeradtaktiger. Hierin liegt übrigens der größte Unterschied zu Thesselius, bei dem die Intrada ein geradtaktiger und geringer als die vorangehende Paduana stilisierter Satz ist. Die anscheinend durch die Titel nahegelegte Verwandtschaft von Peuerls Suiten (Newe Padouan, Intrada, Däntz vnnd Galliarda ... auff allen Musicalischen Saitenspielen gantz lustig zugebrauchen) mit denen von Thesselius (Newe liebliche Paduanen, Intraden vnd Galliarden, auff allerley Instrumenten zu gebrauchen) ist durchaus trügerisch. Es ist keineswegs so, daß Peuerl einfach in dessen dreisätzige Suiten nur einen weiteren Satz eingefügt hätte, um zu einer regelmäßigeren Satzabfolge (zweimal gerad- und ungeradtaktig) zu gelangen. Ebenso dürfte es sich bei den erwähnten Absetzungen in der Linzer Tabulatur verhalten: auch sie verweisen nicht unbedingt auf eine ältere (und Thesselius nähere) Vorstufe. Zwar handelt es sich ebenfalls um dreisätzige Suiten, jedoch bestehen diese aus einer Intrada oder (!) Padouan, der ein traditionelles Tanzpaar Dantz - Nachdantz folgt. Letzterer Satz, der früher oft nur improvisiert und nicht ausgeschrieben worden war, würde dann sowohl bei Thesselius als auch in Peuerls Druckfassung „fehlen“. Naheliegender dürfte vielmehr sein, diese Absetzungen entweder überhaupt noch nicht als verbindliche Suiten aufzufassen und/oder daß sie nur eine mögliche Ausführungsform darstellen. Alle diese Suiten sind also reichlich unabhängig voneinander und bezeugen zuerst einmal, daß man um diese Zeit um die Entwicklung entsprechender Spielmusik bemüht war. Peuerls viersätzige Suiten sind aber auch nicht, wie früher angenommen, einfach als zwei in einander verschränkte Tanzpaare (ein höher stilisiertes, „moderneres“, weil italienisches sowie ein weniger stilisiertes, älteres und deutsches, letzteres nur des regelmäßigen Wechsels von Gerad- und Ungeradtaktigkeit zuliebe vertauscht) zu verstehen. Zwar bildet das Tanzpaar Padouan und Gailliarda die Rahmensätze. Intrade und Dantz dazwischen jedoch sind nicht eigentlich als ein zusammengehöriges Tanzpaar aufzufassen, sondern als zwei selbständige und den Unterschied zwischen „schreiten“ und „tanzen“ repräsentierende Sätze. Hinsichtlich der relativen Stilisierungsgrade ist der Dantz in sämtlichen Suiten der einfachste und der Tanzfunktion noch am nächsten stehende, die Padouan aber der stilisierteste (d. h. umgekehrt: der Tanzfunktion bereits am fernsten stehende) Satz von allen. Die Freizügigkeit der Besetzung (selbst „Saitenspiel“ sollte man nicht zu eng, sondern kann man durchaus einfach als „Instrument“ verstehen) ist auf dem Titelblatt festgehalten: wichtiger ist dem Komponisten auch in diesem Sinne (und man kann hinzufügen: noch immer) die kompositorische Faktur. 1613 brachte Peuerl, als das einem Kirchenmusiker und Schulmann viel näher liegende Vokalwerk, seinen Weltspiegel heraus. Anstelle des Vorworts findet sich hier die von ihm selbst gezeichnete und mit 1. Jänner 1613 datierte Widmung an Georg Henckel von Donnersmarck, Herrn auf Gföhl und Wesendorf in Niederösterreich. Persönliche Verbindungen zu ihm sind nicht nachweisbar, doch muß er um seine Verhältnisse (wahrscheinlich noch aus seiner Horner Zeit) gut bescheid gewußt haben. Im übrigen war Georg keineswegs der bedeutendste oder reichste Sproß dieser Familie (eher wäre dies Lazarus II. gewesen, der später kaiserlicher Rat Ferdinands III. und erster Graf der Linie werden sollte). Der Titel Weltspiegel könnte von dem Schauspiel Speculum Mundi (1590) des aus Frankfurt a. d. Oder stammenden Predigers Bartholomäus Ringwaldt, der übrigens auch zahlreiche geistliche Lieder geschrieben hatte, inspiriert sein. In den Texten finden sich mehrfach Annäherungen oder Anspielungen an Liedtexte anderer Komponisten, doch ist bisher weder eine vollständige Textparallele noch ein Textautor bekannt geworden. Ihre musikalische Faktur aber könnte sogar die biographischen Ergebnisse - wenn auch nur hypothetisch - erweitern: Sie deckt sich stark mit dem Vokalwerk von Balduin Hoyoul (c.15481594), Niederländer und Lasso-Schüler, Schwiegersohn und ab 1589 Nachfolger von Ludwig Daser (c.1525-89) als Stuttgarter Kapellmeister. Sie steht deutlich in der Tradition des deutschprotestantischen Liedideals der Niederländer, also weder in der der italienischen (Sopranbetont oder an die Balletti à la Gastoldi anknüpfend) noch der deutschen Zeitgenossen. Die Vermutung, Peuerl hätte seine Ausbildung als Singknabe im Tübinger Stift erhalten, die v. a. zur Kirchen-, aber auch zur Tafelmusik und gelegentlich sogar zur Ergänzung der Stuttgarter Hofkapelle herangezogen wurden, würde sich bestens in all diese Zusammenhänge fügen. Man wird auch die nicht erhaltene 8-stimmige Motette, von der in Horn 1603 die Rede war, nicht ohne weiteres als zweichöriges, „venezianisch“ konzipiertes Stück vermuten, geschweige denn daran biographische Spekulationen knüpfen dürfen, sondern eher als ein besonders „gelehrtes“ Stück, das er zum Einstand offerierte. Hingegen erschienen vor diesem Hintergrund die dem Weltspiegel angehängten Kanzonen, weil eindeutig nach Italien verweisend, sogar als relativ neu. Die hier vorgelegte Auswahl aus den zwei ersten Druckwerken Paul Peuerls versucht, die vom Komponisten eingeräumten Möglichkeiten so vielfältig und phantasievoll wie möglich auszunutzen: von einfacher Streicher- oder Bläserbesetzung, über deren unterschiedliche Kombination und instrumental begleiteten Gesang bis zur Orgel- und Cembaloabsetzung (allerdings nicht nach der Linzer Tabulatur). Es galt nicht nur zu zeigen, was in dem Ensemble Armonico Tributo Austria steckt, sondern v. a. möglichst viel Abwechslung und lebendige Musik zu bieten. In diesem Sinne war mit einem Vorurteil gegen Peuerl endlich aufzuräumen. Rudolf Flotzinger