Barbara Kaletta Anerkennung oder Abwertung Barbara Kaletta Anerkennung oder Abwertung Über die Verarbeitung sozialer Desintegration Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. 1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Frank Engelhardt / Cori Mackrodt VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15983-6 Danksagung Ich bedanke mich bei allen Personen, die mir bei meiner Arbeit behilflich waren. Das betrifft insbesondere Wilhelm Heitmeyer und Jürgen Mansel, die mir jederzeit mit Tipps, Ratschlägen und Hilfestellungen zur Seite standen Ebenfalls gilt mein Dank Beate Küpper, die mir die ersten Schritte in den Arbeitsprozess sehr erleichtert hat. Darüber hinaus danke ich denjenigen, die mir sehr engagiert durch das Vermitteln von Interviewpartnern und Bereitstellen von Räumlichkeiten, in denen ich die Interviews durchführen konnte, geholfen haben. Ein besonderer Dank gilt meinen Interviewpartnern, die so offen über ihre Ansichten gesprochen und mir so bereitwillig über ihr Leben Auskunft gegeben haben. Und schließlich bedanke ich mich bei meinen Kollegen des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung sowie meinen Mitstreitern des DFG-Graduiertenkollegs „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“, die mich nicht nur durch fachliche Anmerkungen, sondern ebenfalls durch ihre Freundschaft unterstützt haben. Bielefeld, im März 2008 Barbara Kaletta Inhalt Vorwort ................................................................................................................................................ 9 1. Einleitung ................................................................................................................................... 11 2. Grundlegende Annahmen zum Konstrukt der Anerkennung ...................................... 21 2.1 Die Theorie Axel Honneths ............................................................................................ 21 2.2 Diskussion der Anerkennungskategorien Honneths .................................................... 26 2.3 Anerkennung als Grundbedürfnis und Modus von Integration ................................. 30 Exkurs: Schattenseiten der Anerkennung .............................................................................. 34 3. Erste theoretische Annäherung an das Forschungsproblem – Anerkennung und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ................................... 37 3.1 Die Theorie der Sozialen Desintegration ....................................................................... 37 3.2 Kritisches Zwischenfazit und weiteres Vorgehen ........................................................ 42 4. Theoretische Erweiterung ..................................................................................................... 45 4.1 Ausarbeitung der Schlüsselbegriffe der Theorie der Sozialen Desintegration .......... 45 4.1.1 Emotionale Anerkennung .................................................................................... 48 4.1.1.1 Anerkennung der personalen Identität .............................................. 52 4.1.1.2 Nichtanerkennung der personalen Identität ..................................... 56 4.1.1.3 Wahrnehmung von Anerkennung und Nichtanerkennung der personalen Identität ....................................................................... 58 4.1.1.4 Anerkennung der kollektiven Identität .............................................. 62 4.1.1.5 Nichtanerkennung der kollektiven Identität ..................................... 69 4.1.1.6 Wahrnehmung von Anerkennung und Nichtanerkennung der kollektiven Identität ....................................................................... 70 4.1.2 Positionale Anerkennung ..................................................................................... 73 4.1.2.1 Kollektive positionale Anerkennung .................................................. 73 4.1.2.2 Individuelle positionale Anerkennung ............................................... 80 4.1.2.3 Kollektive und individuelle positionale Nichtanerkennung ............ 85 4.1.2.4 Wahrnehmung von kollektiver und individueller positionaler Anerkennung und Nichtanerkennung .......................... 87 4.1.3 Moralische Anerkennung ...................................................................................... 91 4.1.3.1 Moralische Anerkennung als Adressat politischer Entscheidungen .................................................................................... 93 4.1.3.2 Wahrnehmung von moralischer Anerkennung und Nichtanerkennung als Adressat politischer Entscheidungen .......... 95 4.1.3.3 Moralische Anerkennung als politischer Akteur ............................. 101 8 Inhalt 4.1.3.4 Moralische Nichtanerkennung als politischer Akteur .................... 103 4.1.3.5 Wahrnehmung von moralischer Anerkennung und Nichtanerkennung als politischer Akteur ........................................ 104 4.2 4.3 Ausarbeitung des Zusammenhangs zwischen Nichtanerkennung, Selbst und GMF .............................................................................................................. Zusammenfassung der theoretischen Weiterentwicklung ......................................... 4.3.1 Zusammenfassung der Ausarbeitung der Anerkennungskategorien ........... 4.3.2 Zusammenfassung der Ausarbeitung des Zusammenhangs zwischen Nichtanerkennung, Selbst und GMF ............................................................... 105 113 113 119 5. Empirische Weiterentwicklung des postulierten Zusammenhangs ........................ 123 5.1 Datenerhebung: Qualitative Interviews ....................................................................... 5.2 Interviewauswertung ....................................................................................................... 5.2.1 Analyseschritt I: Zusammenfassung der Anerkennungskategorien und Strukturierung der Befragten .......................... 5.2.1.1 Personale Identität .................................................................................. 5.2.1.2 Kollektive Identität ................................................................................. 5.2.1.3 Individuell positional .............................................................................. 5.2.1.4 Kollektiv positional ................................................................................ 5.2.1.5 Moralisch als Adressat politischer Entscheidungen ........................... 5.2.1.6 Moralisch als politischer Akteur ........................................................... 5.2.1.7 Gruppierung der Befragten ................................................................... 5.2.2 Analyseschritt II: Nichtanerkennung, Missachtung und Abwertung von Fremdgruppen .......................................................................... 5.2.2.1 Negative Anerkennungsbilanzen in allen drei Dimensionen – Starke Orientierung an gesellschaftlichen Werten .......................................... 5.2.2.2 Negative Anerkennungsbilanzen in allen drei Dimensionen – Starke Ablehnung gesellschaftlicher Werte ...................................................... 5.2.2.3 Negative positionale und moralische Anerkennungsbilanzen – Starke Orientierung an gesellschaftlichen Werten ........................................... 5.2.2.4 Negative positionale und moralische Anerkennungsbilanzen – Keine extreme Orientierung an gesellschaftlichen Werten ............................ 5.3 Zusammenfassung der Ergebnisse der qualitativen Interviews ................................ 123 128 128 131 136 137 139 144 145 146 148 151 163 177 185 198 6. Ergebnisdarstellung und Perspektiven für weitere Forschung ................................. 207 Anhang .................................... ......................................................................................................... 215 Literaturverzeichnis ......................................................................................................................... 221 Vorwort In modernen Gesellschaften ist vor dem Hintergrund des globalen Wandlungsdrucks eine Integrations-Desintegrationsdynamik entstanden, in der sich Zugangs-, Teilnahme- und Zugehörigkeitsprobleme mit Anerkennungsverletzungen verbinden und in Ängsten vor und Erfahrungen von Prekarität, Ausgrenzungen und Verunsicherungen ihren Ausdruck finden. Diese können unter bestimmten Umständen in zerstörerische Handlungs- oder Regressionspotenziale für eine humane Gesellschaft und liberale Republik umschlagen. Wenn auch moderne Gesellschaften einerseits über beträchtliche Integrationspotenziale verfügen und Existenz-, Partizipations- und Zugehörigkeitschancen bieten, so ist doch andererseits die zunehmende Krisenanfälligkeit der Vergesellschaftungsmuster infolge von Strukturkrisen, Regulierungskrisen und Kohäsionskrisen nicht zu übersehen. Auch wenn heute die äußere Stabilität der Gesellschaft noch nicht in Frage gestellt ist und offene Desintegrationsprozesse bisher selten geblieben sind, so steht doch die innere Qualität der demokratischen Gesellschaft angesichts beachtlicher Normverletzungen, der Rechtfertigung von Ungleichheitsideologien, der Abwertung solidarischer Orientierungen, fremdenfeindlicher Einstellungen und diskriminierender Verhaltensweisen, interethnischen Konflikten und Feindseligkeiten ein ums andere Mal auf den Prüfstand. Um diesen Fragen nachzugehen, ist einerseits der Bielefelder Forschungsverbund „Desintegrationsprozesse – Integrationspotenziale einer modernen Gesellschaft aufgelegt worden, der von 2002 bis 2005 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 17 Teilprojekten gefördert worden ist. Andererseits läuft seit 2002 bis voraussichtlich 2011 die von der VolkswagenStiftung geförderte Langzeitstudie zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Die Arbeit von Barbara Kaletta reiht sich in die skizzierte Grundproblematik ein. Dabei konzentriert sich die Autorin auf den Bielefelder Desintegrationsansatz in kritischer und weiterführender Weise. Kritisch in der Weise, dass Barbara Kaletta eine Präzisierung der Anerkennungsdimensionen vorschlägt. Sodann fokussiert sie ihre Arbeit auf den von der Theorie Sozialer Desintegration postulierten Zusammenhang zwischen dem Erleben von Anerkennungsmängeln und feindseligen Mentalitäten. Sie übernimmt diese These, um sie weiterführend zu präzisieren. Genau diese zwei Aspekte stehen im Mittelpunkt dieses Buches, das als Dissertationsprojekt im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs (GK 884) in Bielefeld begonnen und dann während der Tätigkeit als Forschungsassistentin der internationalen Forschergruppe „Control of Violence“ am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld abgeschlossen wurde. Das Buch bietet sowohl eine Präzisierung in theoretischer Hinsicht als auch empirische Hinweise dafür, dass die Forschungslinie des Bielefelder Ansatzes zur Theorie Sozialer Desintegration als Erklärungsansatz von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, d.h. der Abwertung und Diskriminierung schwacher Gruppen erfolgversprechend weiterverfolgt werden sollte. Bielefeld, im März 2008 Wilhelm Heitmeyer 1. Einleitung „Die Hölle, das sind die anderen.“ Mit dieser Aussage lässt Jean Paul Sartre sein Theaterstück ‚Geschlossene Gesellschaft’ enden (Sartre, 1999 S. 59). Geäußert wird die Wahrnehmung durch eine der drei Hauptfiguren, den Journalisten Garcin. Garcin befindet sich gemeinsam mit zwei Frauen – der wohlhabenden und eitlen Estelle und der Postangestellten Ines – in einem geschlossenen Raum. Bereits zu Beginn des Stückes wird deutlich, dass der Schauplatz der Handlung das Jenseits ist, die drei Personen also tot sind. Auch ihnen selbst ist bewusst, dass sie gestorben sind, und nun gehen sie davon aus, dass sie sich aufgrund der Taten, die sie im Leben begangen haben, in der Hölle befinden. Sie stellen sich darauf ein, physisch gefoltert und gequält zu werden, aber nichts dergleichen geschieht. Doch bald wird den dreien klar, dass sie nicht dazu verdammt sind, körperliches Leid zu ertragen, sondern dass es ihnen bestimmt ist, sich wechselseitig auf psychischer Ebene zu quälen, sich hierdurch den Tod ‚zur Hölle zu machen’ und somit gegenseitig als Folterknechte der anderen zu agieren. Spannend für die Thematik der vorliegenden Arbeit ist, dass diese gegenseitige Folter durch wechselseitig verweigerte Anerkennung eintritt. Dass es den drei Verstorbenen möglich ist, sich wechselseitig psychisch zu foltern, ergibt sich daraus, dass jede/r sich gerade nach der Anerkennung der Person im Raum sehnt, die keinerlei Interesse daran hat, diese Anerkennung zu gewähren. Während die lesbische Ines sich die Liebe der eitlen Estelle wünscht, strebt diese nach einer Bestätigung ihrer Attraktivität durch Garcin. Dieser wiederum wünscht sich eine Anerkennung auf intellektueller Ebene durch Ines. Keine der Personen ist bereit, die eingeforderte Anerkennung zu gewähren, und so verletzen und quälen sie sich wechselseitig. Das bedeutet, Jean-Paul Sartre beschreibt in seinem Theaterstück die Hölle als ein Konstrukt, das aus der Verweigerung einer begehrten Anerkennung entsteht. Wenngleich eine solche Höllenanalogie natürlich eine extreme Darstellungsweise ist, so wird hierdurch doch die elementare Wichtigkeit, die die Anerkennung anderer Personen für einen Menschen spielen kann, bzw. die Bedeutung, die eine Verweigerung von Anerkennung besitzt, deutlich. Es zeigt darüber hinaus einerseits, dass nicht für jede Person die Anerkennung einer jeden beliebigen anderen Person erstrebenswert ist – so empfinden die Figuren die Anerkennung der Person, die sich nach der Anerkennung des Betroffenen sehnt, eher als abstoßend – und andererseits, dass Anerkennung sich auf verschiedene Weise ausdrücken kann. Während sich Ines eine affektive, liebende Anerkennung von Estelle wünscht, handelt es sich bei der Anerkennung, die diese sich von Garcin erhofft, um eine Form von Bewunderung, wenn sie sich um die Bestätigung ihrer Attraktivität bemüht. Demgegenüber strebt Garcin nach einer Beachtung seines Intellekts. Es wird also deutlich, dass unterschiedliche Arten der Anerkennung von unterschiedlichen Personen ein unterschiedliches Ausmaß an Wichtigkeit für verschiedene Menschen besitzen. Welche Arten der Anerkennung mehr oder minder universell und somit für einen Großteil der Angehörigen westlicher Gesellschaften erstrebenswert sind und von welchen Personen diese in der Regel erwartet bzw. gewährt werden, ist ein Aspekt, der im Verlauf der vorliegenden Arbeit geklärt werden soll. 12 Einleitung Dass Anerkennung im menschlichen Zusammenleben eine zentrale Bedeutung besitzt, spiegelt sich unter anderem in der Häufigkeit wider, mit der sie im alltäglichen Leben wie auch in Medienberichten thematisiert wird. So gilt das Streben nach Belohnung, Erfolg, Lob, Beifall, Ehre, Beliebtheit, Wertschätzung, Popularität, Achtung, Würdigung, Respekt, Lohn, Prestige usw. als Streben nach einer gesellschaftlich nicht nur legitimen, sondern darüber hinaus erwünschten Zielsetzung. In medialen Berichterstattungen wird z.B. die Anerkennung verschiedener Lebensprofile, die Ehrung sportlicher, künstlerischer oder wissenschaftlicher Leistungen, politischer, literarischer oder gemeinnütziger Beiträge usw. thematisiert, um nur einen kleinen möglichen Ausschnitt zu nennen. Auch im wissenschaftlichen Feld fand schon früh, z.B. innerhalb philosophischer Werke, eine Auseinandersetzung mit dem Konstrukt statt, die später von weiteren Disziplinen aufgegriffen wurde. Eine Suche nach wissenschaftlicher Literatur zum Thema (soziale) Anerkennung bietet eine Fülle von Ergebnissen. In Philosophie und Sozialphilosophie setzten sich bereits Johann Gottlieb Fichte (vgl. Fichte, 1980) und Georg Wilhelm Friedrich Hegel (vgl. Hegel, 1976) mit dem Konstrukt auseinander. Hierbei fokussiert Fichte in seinen Ausführungen lediglich auf eine reziproke Anerkennung des Status als Rechtsperson, wohingegen Hegels Auseinandersetzungen mit dem Konstrukt nicht auf diese eine Sphäre beschränkt sind. Eine solche umfassendere Betrachtung der Anerkennung ergibt sich aus dem, zu dem von Fichte verschiedenen, Menschenbild Hegels. So sieht Fichte die Menschen als eigennützige, atomisierte Individuen, die lediglich aus Vernunftgründen zur Herstellung sozialer Ordnung reziprok die eigenen Freiheiten zugunsten der Anderen begrenzen und somit sowohl deren Status als Rechtsperson anerkennen als auch dadurch den eigenen Status als Rechtspersonen sichern. Im Gegensatz dazu begreift Hegel – in Anlehnung an die klassische Politik des Aristoteles – den Menschen als soziales Subjekt, das von seiner Natur her teleologisch auf ein gemeinschaftliches Zusammenleben hinstrebt. Ein solches Hinbewegen auf einen Zustand der „Sittlichkeit“ sieht Hegel durch Kämpfe um Anerkennung realisiert. Gesellschaft wird also nicht wie in der Theorie Fichtes rein vertraglich von außen erzeugt, sondern es findet ein stufenweise erfolgender Weiterentwicklungsprozess statt, der durch eine Erweiterung von Anerkennungsverhältnissen gekennzeichnet ist. Auf diesem Konzept Hegels aufbauend setzt sich Axel Honneth mit dem Anerkennungskonstrukt auseinander (vgl. Honneth, 2003a; Honneth, 2005). So betrachtet auch Honneth den reziproken Austausch von Anerkennung als Grundlage für die Existenz einer moralischen Gesellschaft. Diese kann nur bestehen, wenn in ihr Anerkennungsverhältnisse existieren, durch die allen Gesellschaftsmitgliedern die Ausbildung einer intakten Identität ermöglicht wird. Hierzu notwendig ist die Existenz drei unterschiedlicher Arten reziproker Anerkennungsverhältnisse, die Honneth als Liebe – wechselseitige Anerkennung in emotionalen Nahbeziehungen –, rechtliche Anerkennung – Anerkennung von Gleichwertigkeit durch die Einbindung in Rechtsverhältnisse – und Wertschätzung – Anerkennung individueller Besonderheiten und Leistungen – bezeichnet. Hierauf wird in Kapitel 2 der vorliegenden Arbeit näher eingegangen. Diese Auffassung Honneths ist Kern einer wissenschaftlichen Kontroverse über Anerkennungspolitik, die er mit Nancy Fraser führt (vgl. N. Fraser, Honneth, A., 2003). Fraser kritisiert an Honneth, dass im Rahmen seines Ansatzes die Wichtigkeit von ökonomischen Aspekten für die Herstellung von Gerechtigkeit vernachlässigt bzw. mangelnde Anerkennung als „Nebenprodukt einer unfairen Verteilung“ (N. Fraser, 2003 S. 51) gedeutet wird. Fraser plädiert entsprechend für eine erweiterte Gerechtigkeitskonzeption, die sowohl ökonomische Umverteilung als auch eine Politik der Anerkennung umfasst. Ihr Anerkennungsbegriff ist hierbei eingeschränkter als der Honneths, da sie sich dagegen ausspricht, die Anerkennung von Besonderheit in eine Anerkennungspolitik einzuschließen, und tritt demgegenüber dafür ein, Einleitung 13 den Begriff auf ‚Anerkennung von Gleichwertigkeit’ zu beschränken. Mit Fragen nach einer Anerkennung von Gleichwertigkeit kultureller Gruppen im Rahmen einer Politik der Anerkennung setzt sich ebenfalls Charles Taylor auseinander (vgl. Taylor, 1993, 1996). Zentral für Taylor ist die identitätsstiftende Funktion von Anerkennung. Da sich laut Taylor die Identität des Einzelnen auf der Anerkennung der kulturellen Gemeinschaft, der er angehört, gründet, zählt er diese zu den gesellschaftlichen Primärgütern wie materielle Grundversorgung oder Gewährung der Menschenrechte und tritt dafür ein, „daß wir den Kulturen die Möglichkeit einräumen sollen, sich innerhalb vernünftiger Grenzen selbst zu behaupten“ (vgl. Taylor, 1993 S. 59). Weitere Wissenschaftler, die sich innerhalb der philosophischen Disziplin mit dem Anerkennungsthema beschäftigen, sind Paul Ricoeur, dessen Ausdifferenzierung des Konstrukts primär auf seinen unterschiedlichen sprachlichen Bedeutungen beruhen (vgl. Ricoeur, 2006), Avishai Margalit, der eine ‚negative Anerkennung’, also eine Anerkennung, die sich aus der Abwesenheit psychischer Demütigung ergibt, insbesondere durch staatliche Institutionen thematisiert (vgl. Margalit, 1997) oder Rainer Forst, der das Anerkennungskonstrukt für seine Gerechtigkeitstheorie nutzbar macht, deren Grundbegriffe er über eine Auseinandersetzung mit der Kontroverse zwischen Liberalismus und Kommunitarismus ableitet (vgl. Forst, 1996). Über die soeben kurz erwähnten Arbeiten hinaus findet sich eine Fülle weiterer philosophischer Betrachtungsweisen, die sowohl explizit das Konstrukt der Anerkennung als Gegenstandsbereich nennen, als auch solche, die sich ausschließlich implizit hiermit befassen, sich aber anerkennungstheoretisch interpretieren lassen. Nicht nur die Philosophie, sondern auch die Psychologie setzt sich mit dem Anerkennungsthema auseinander. Ein Vergleich dieser größtenteils psychoanalytischen Arbeiten mit einigen der philosophischen Betrachtungsweisen (z.B. durch Hegel, Honneth oder Forst) verdeutlicht, dass in der psychologischen Disziplin ein weitaus kleinerer Ausschnitt dessen, was der Begriff der Anerkennung fasst, bzw. eine andere inhaltliche Bedeutung, betrachtet wird. So werden innerhalb der psychoanalytischen Auseinandersetzung zumeist ausschließlich emotionale oder libidinöse Bindungen als Grundlage gegenseitiger Anerkennung betrachtet. Insbesondere ist in diesem Bereich die Arbeit von Jessica Benjamin anzuführen (vgl. Benjamin, 1993). Auch in die Soziologie hat der Anerkennungsbegriff, vor allem durch neuere Arbeiten, Einzug gehalten. Wie Alexander Heck im Rahmen seiner Dissertation verdeutlicht, können zwar ebenfalls klassische soziologische Ansätze wie die von Ferdinand Tönnies oder Emil Durkheim anerkennungstheoretisch interpretiert werden (vgl. Heck, 2003), explizit setzen diese sich jedoch nicht mit der Thematik auseinander. Aktuelle, einerseits im Bereich der Arbeitsund Organisationssoziologie verwurzelte empirische Arbeiten finden sich insbesondere bei Ursula Holtgrewe, Stefan Voswinkel und Gabriele Wagner (Holtgrewe, Voswinkel S., & G., 2000), wobei Wagner sich in ihrer Beschäftigung mit dem Anerkennungsthema nicht ausschließlich auf eine berufliche Sphäre bezieht, sondern sie darüber hinaus ebenfalls in einen weiteren gesellschaftlichen Kontext einordnet (vgl. G. Wagner, 2001). In den arbeitssoziologischen Auseinandersetzungen der genannten Autoren – sowie weiterer Autoren, die im o. a. Sammelband Forschung zum Anerkennungsthema im beruflichen Sektor präsentieren – liegt der Fokus der Arbeit auf einer empirischen Auseinandersetzung mit dem Thema, die auf qualitativen Methoden basiert. Weitere empirische Forschungsarbeiten sind darüber hinaus in Jugendsoziologie und Pädagogik zu finden, die sich hauptsächlich mit der Frage nach der Bedeutung von nicht erlebter Anerkennung für Gewalthandeln im Jugendalter beschäftigen und auf eine affektive oder emotionale Anerkennung fokussieren. 14 Einleitung Peter Sitzer und Christine Wiezorek schreiben innerhalb eines Überblicksartikels zum Thema Anerkennung: „In den letzten Jahren haben anerkennungstheoretische Argumentationen zunehmend Eingang in Forschungs- und Evaluationskonzepte gefunden, die sich mit Fragen zu gesellschaftlicher (Des)Integration, z.B. in Bezug auf Migrationsprozesse oder Erwerbsarbeit, mit Fragestellungen der Sozialisation, (institutioneller) Erziehung und Bildung (Bertram, Helsper, & Idel, 2000; Kramer, Helsper, & Busse, 2001; Prengel, 1993, 2002; Wiezorek, 2003) oder gesellschaftlichen Problemkonstellationen wie Fremdenfeindlichkeit oder Gewalt auseinandersetzen.“ (Sitzer & Wiezorek, 2005 S. 123). Darüber hinaus finden bei Sitzer und Wiezorek empirische Arbeiten von Nunner-Winkler (vgl. Nunner-Winkler, 2001) und Dollase (vgl. Dollase, 2001) Erwähnung (vgl. Sitzer & Wiezorek, 2005 S. 125 ff.). Diese wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Konstrukt zeigen, in welch vielfältiger Weise der Anerkennungsbegriff aufgefasst und untersucht werden kann. Eine Gemeinsamkeit besteht zwischen den meisten der erwähnten Ansätze durch die implizite oder explizite Annahme, dass ein Erleben von Anerkennung elementar für die Entwicklung und Aufrechterhaltung einer positiven Identität von Menschen ist. Demgegenüber differieren die Ansätze einerseits dahingehend, ob das Konstrukt z.B. als Voraussetzung von ‚Sittlichkeit’ bzw. Grundlage für moralphilosophische Postulate, als Leitfigur politischen Handelns, als Notwendigkeit zur Befriedung der menschlichen Triebnatur, als Aspekt gesellschaftlicher Integration usw. betrachtet wird, also welche Funktion oder ‚Aufgabe’ dem Konzept – neben einer Identitätssicherung oder –ermöglichung – zugesprochen wird. Andererseits unterscheiden sich die Ansätze ebenfalls dahingehend, was unter einem Praktizieren von Anerkennung inhaltlich zu verstehen ist. Während die philosophischen Arbeiten zumeist darauf abzielen, Anerkennung auf theoretischer Ebene möglichst lückenlos in ihren verschiedensten Facetten zu erfassen und verschiedene mögliche Inhalte praktizierter Anerkennung anführen, fokussieren die empirischen arbeitssoziologischen Beiträge bewusst lediglich auf einen Ausschnitt dessen, was Anerkennung bedeuten kann – nämlich Anerkennung für Leistung oder Nützlichkeit. Ein anderer Ausschnitt möglicher Bedeutungen des Anerkennungskonstruktes wird innerhalb der genannten jugendsoziologischen und pädagogischen Forschung untersucht, innerhalb derer insbesondere eine emotionale oder affektive Anerkennungsform in den Mittelpunkt rückt. Es zeigt sich also, dass Anerkennung in verschiedensten Formen z.B. als universelle Achtung, Respekt vor Andersartigkeit, Lob für Besonderes, Bewunderung von Status, Liebe usw. betrachtet werden kann, um nur einen kleinen Ausschnitt der vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten von Anerkennung zu nennen. Welche Art(en) der Anerkennung in der vorliegenden Arbeit betrachtet werden sollen, also welche Ausdrucksformen von Anerkennung untersucht werden, wird an gegebener Stelle – zunächst in Kapitel 2 und später ausführlicher in Kapitel 5 – geklärt werden. Es bleibt somit an der jetzigen Stelle noch zu erläutern, welche Funktion oder Aufgabe der Anerkennung beim hier praktizierten Vorgehen betrachtet werden soll. Eine solche Festlegung der betrachteten Funktion wirkt sich schließlich darauf aus, welche der fast unendlichen Möglichkeiten an Ausdrucksformen von Anerkennung letztendlich in Kapitel 5 identifiziert werden, und scheint somit unabdingbare Voraussetzung dafür zu sein, ein derart umfassendes Konzept wie das der Anerkennung zu untersuchen. Denn es scheint nicht durchführbar zu sein, jegliche Art, in der sich Menschen anerkannt fühlen können, in eine theoretische und empirische Analyse mit aufzunehmen. Es wurde bereits angesprochen, dass in der vorliegenden Arbeit diejenigen Arten von Anerkennung betrachtet werden sollen, die für einen Menschen als besonders elementar gelten können. Um besonders elementare Formen der Anerkennung zu identifizieren, kann die Frage Einleitung 15 gestellt werden, warum Anerkennung in der philosophischen Betrachtungsweise als ein sittliches Konzept beschrieben wird. Diese Sichtweise ergibt sich aus einem Menschenbild, nach dem Menschen keine atomisierten Individuen, sondern gemeinschaftsorientierte Lebewesen sind. Ein derartiges Menschenbild wird auch in der vorliegenden Arbeit zugrunde gelegt. Es wird davon ausgegangen, dass Menschen danach streben, Gemeinschaften zu bilden, in die sich jeder Einzelne integriert fühlen kann. Nun ist aber zu fragen, woran der Einzelne erkennt, dass er sich bestimmten Gemeinschaften zugehörig fühlen kann, also in diese integriert ist. Dies geschieht dadurch, dass die weiteren Mitglieder der Gemeinschaft seine verschiedenen persönlichen Eigenschaften und Rollen anerkennen, also anerkennende Handlungen vornehmen, die sich auf Eigenschaften und Rollen dieser Person beziehen. Zugehörigkeit wird somit durch das Praktizieren von Anerkennung demonstriert. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass Zugehörigkeit oder Integration durch jede mögliche Art des anerkennenden Handelns in jeder Situation oder von jeder beliebigen Person ausgedrückt wird. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, diejenigen Arten der Anerkennung zu identifizieren, die in verschiedenen Ebenen des Zusammenlebens Indikatoren für Zugehörigkeit sind, und diese genauer zu untersuchen. Das bedeutet, Anerkennung wird in dieser Arbeit in ihrer Funktion, als Modus von Integration zu wirken, betrachtet und es werden entsprechende Arten solcher Anerkennung genauer herausgearbeitet. Auf diese wird fokussiert, da davon ausgegangen wird, dass die Wahrnehmung einer solchen Anerkennung als besonders elementar erlebt wird. In der hier erfolgenden Untersuchung wird aber nicht ausschließlich die Wichtigkeit des Erlebens von Anerkennung, sondern ebenfalls die Bedeutung eines Nichterlebens von Anerkennung thematisiert und eingehend erläutert. Dabei werden die Fragen gestellt, wie sich einerseits ein solches Nichterleben von Anerkennung auf das Selbstverständnis bzw. die Identität eines Menschen auswirkt und andererseits, welche Bedeutung einem Nichterleben von Anerkennung für das Zusammenleben unterschiedlicher Gruppen in einer Gesellschaft zukommt. Genauer formuliert, wird gefragt, welche Rolle ein Nichterleben von Anerkennung bei der Entstehung menschenfeindlicher Einstellungen – also Einstellungen, aufgrund derer bestimmte andere Menschen als minderwertig betrachtet werden – spielt. Die Annahme, dass ein solcher Zusammenhang zwischen dem Nichterleben von Anerkennung und feindseligen Einstellungen besteht, beruht auf Postulaten der Theorie der Sozialen Desintegration von Heitmeyer und Anhut (vgl. Anhut & Heitmeyer, 2000). Auf diese Theorie geht die in der vorliegenden Arbeit vertretene Betrachtungsweise des Konstrukts ‚Anerkennung’ in seiner Funktion als Aspekt gesellschaftlicher Integration zurück. Entsprechend wird in der Desintegrationstheorie umgekehrt ein Nichterleben von Anerkennung mit einem gesellschaftlich desintegrierten Zustand in Verbindung gebracht. Wie in Kapitel 2 dieser Arbeit noch ausführlicher zu beschreiben ist, wird postuliert, dass Menschen, die in eine Gesellschaft integriert sind, ‚objektive’ Integrationsleistungen in Form von Teilhabe und Zugehörigkeit innerhalb dreier gesellschaftlicher Ebenen erbracht haben. Mit dieser Teilhabe innerhalb der drei gesellschaftlichen Ebenen sind jeweils spezifische Arten der Anerkennung verbunden. Die Theorie postuliert, dass ein Scheitern beim Lösen der objektiven Integrationsaufgaben und damit verbunden ein Nichterleben der damit verknüpften Anerkennung einen Auslöser für die Ausbildung feindseliger Einstellungen des Betroffenen darstellen kann. Ein Zusammenhang zwischen Gefühlen der Nichtzugehörigkeit und der Entstehung menschenfeindlicher Einstellung wurde bereits mehrfach untersucht und aufgezeigt. Insbesondere ist hier auf Arbeiten im Rahmen des Langzeitprojekts ‚Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit’ zu verweisen (vgl. Endrikat, Schaefer, Mansel, & Heitmeyer, 2002; Mansel, Endrikat, & Hüpping, 2006; Mansel & Heitmeyer, 2005; Wolf, Schlüter, & Schmidt, 2006). Als ‚Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit’ wird dabei die Auffassung 16 Einleitung einer Person bezeichnet, dass die Wertigkeit von Menschen durch ihre Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen determiniert ist und somit Angehörige von als schwach wahrgenommenen Gruppen bzw. Gruppen, denen in der sozialen Hierarchie ein niedriger Platz zugeschrieben wird, als minderwertig zu betrachten sind. Innerhalb des Projekts wird die Abwertung von neun verschiedenen Gruppen jährlich empirisch untersucht. Wie bereits erwähnt, wurde der Zusammenhang zwischen einer sozial desintegrierten Position bzw. der Eigenwahrnehmung als desintegriert und der Abwertung von Angehörigen schwacher Gruppen verschiedentlich anhand dieses Datenmaterials näher beleuchtet. Auseinandersetzungen mit der speziellen Rolle, die die Anerkennung als ein Aspekt gesellschaftlicher Integration für diesen Zusammenhang spielt, wurden jedoch bisher nicht explizit vorgenommen. Es ist Ziel der vorliegenden Arbeit, diese Lücke zu schließen. Das bedeutet, es soll ein möglicher Zusammenhang zwischen dem Nichterleben sozialer Anerkennung und der Ausbildung feindseliger Einstellungen näher beleuchtet werden. Dazu ist zunächst einmal genauer auf den Anerkennungsbegriff zu fokussieren. So werden in Kapitel 2 einige grundlegende Annahmen zum Konstrukt der Anerkennung erörtert, indem zunächst eine kurze Beschreibung des Ansatzes Axel Honneths dargestellt wird, der eine sehr ausführliche und detaillierte Auseinandersetzung mit dem Konstrukt der Anerkennung vorgenommen hat. Anschließend wird auf die Funktion der Anerkennung als Indikator und Modus gesellschaftlicher Integration eingegangen. Es folgt ein Exkurs, der sich damit auseinandersetzt, dass Anerkennung nicht ausschließlich positive Aspekte besitzt und aufgrund dessen auch der Blick auf mögliche negative Seiten der Anerkennung nicht vernachlässigt werden sollte. In Kapitel 3 werden dann die für die vorliegende Arbeit relevanten Postulate der Desintegrationstheorie erörtert. Hierbei wird deutlich, dass die Theorie der Sozialen Desintegration zwar einen Zusammenhang zwischen Anerkennungsmängeln und der Ausbildung feindseliger Mentalitäten postuliert, jedoch keine genauere theoretische Auseinandersetzung mit diesem möglichen Zusammenhang vornimmt. Diese Lücke soll durch die vorliegende Arbeit geschlossen werden, indem die Annahmen der Theorie der Sozialen Desintegration im Sinne der Grounded Theory auf Basis empirischen Datenmaterials konkretisiert und verfeinert werden. Das bedeutet, ein möglicher Zusammenhang zwischen einem Nichterleben von Anerkennung und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wird qualitativ, mit Hilfe leitfadengestützter Interviews, genauer beleuchtet. Es werden also die bisher existierenden Annahmen der Desintegrationstheorie nicht getestet, sondern empirisch präzisiert. Für die Erfüllung dieser Zielsetzungen werden in Kapitel 4, das den Theorieschwerpunkt der Arbeit darstellt, die notwendigen Grundlagen geschaffen. Das Kapitel beinhaltet zunächst eine genauere theoretische Ausarbeitung der in der Theorie der Sozialen Desintegration genannten Anerkennungskategorien, die in Unterkapitel 4.1 vorgenommen wird. Diese Notwendigkeit besteht, da die bisher innerhalb der Theorie genutzten Anerkennungskategorien inhaltlich noch wenig präzise sind und aus diesem Grund keine hinreichende Basis für quantitative Datenerhebungen bieten. Während der Ausarbeitung der Anerkennungskategorien wird einerseits verdeutlicht, dass es sinnvoll ist, das Konstrukt in eine größere Anzahl von Subdimensionen zu untergliedern, als dies innerhalb der Desintegrationstheorie erfolgt. Andererseits werden diese Unterdimensionen detaillierter beschrieben und dargestellt, wodurch es ermöglicht wird, sie als Grundlage für die Konzeption eines Interviewleitfadens zu nutzen. Es wird somit eine Erweiterung der Theorie der Sozialen Desintegration vorgenommen, da die durch die Theorie benannten relevanten Anerkennungsdimensionen sowohl näher ausgeleuchtet als auch weiter untergliedert werden. Neben dieser Erweiterung beinhaltet die theoretische Ausarbeitung ebenfalls eine Differenzierung der Desintegrationstheorie, da durch die in der vorliegenden Arbeit vorgenommene Fokussierung auf den Einleitung 17 Aspekt der Anerkennung eine stärkere Trennung zwischen einer „objektiven“ Integration und der damit einhergehenden Erfahrung von sozialer Anerkennung notwendig ist, als sie innerhalb der Desintegrationstheorie erfolgt. In Unterkapitel 4.2 wird anschließend erneut eine theoretische Erweiterung vorgenommen, indem zunächst eine theoretische Auseinandersetzung mit einem möglichen Zusammenhang zwischen dem Nichterleben von Anerkennung, der Selbstwahrnehmung eines Menschen und der Entwicklung menschenfeindlicher Einstellungen statt. Hierzu setze ich mich mit dem Konstrukt des ‚Selbst’ auseinander. Wie in den meisten anerkennungstheoretischen Ansätzen gehe ich davon aus, dass ein Erleben und Nichterleben von Anerkennung sich auf das Selbst eines Menschen auswirkt. Während der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen von (Nicht-)Anerkennung auf das menschliche Selbst wird ebenfalls erörtert, welche Konzeption von ‚Identität’ oder ‚Selbst’ für eine solche Fragestellung sinnvoll ist. Es wird verdeutlicht, dass für die bearbeitete Thematik die Verwendung eines sozialpsychologischen Ansatzes von Patricia Linville fruchtbar ist, die das ‚Selbst’ nicht – wie z.B. Honneth, der sich auf die Konzeption Meads bezieht – als Einheit betrachtet, sondern davon ausgeht, dass es sich in verschiedene, teilweise voneinander unabhängige Selbstaspekte untergliedert (vgl. Linville, 1985). Es wird argumentiert, dass bestimmte Arten der Anerkennung, jeweils spezifische Selbstaspekte beeinflussen, während andere Selbstaspekte von diesen unberührt bleiben können. Unter Bezugnahme auf die Sociometer-Hypothese von Leary et al. wird die Wichtigkeit eines positiv bewerteten Selbst für die Wahrnehmung, in ein Kollektiv integriert zu sein, verdeutlicht und hieraus die Wirkung von (Nicht-)Anerkennung als Bedrohung für die wahrgenommene Integration abgeleitet (vgl. Leary, 2004; Leary & Baumeister, 2000; Leary, Tambor, Terdal, & Downs, 1995). Auf Basis dessen werden erste theoretische Überlegungen über die Frage, warum ein bedrohtes Selbst bzw. eine bedrohte Integration die Abwertung schwacher Gruppen nach sich ziehen kann, angestellt. Diese theoretischen Annahmen werden dann in Kapitel 5 durch die Durchführung und Analyse qualitativer Interviews durch empirisches Material verfeinert, erweitert, präzisiert und weiterentwickelt. Hierbei wird anhand von Fallbeispielen dargestellt, wie die Erfahrung verweigerter Anerkennung und sozialer Missachtung dazu führen kann, dass eine Abwertung von schwachen Gruppen praktiziert wird. Dies geschieht, indem Personen, die sich hinsichtlich ihrer strukturellen Integration voneinander unterscheiden (arbeitslos, prekär beschäftigt, normal erwerbstätig), zu ihrem Erleben, in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen anerkannt zu werden, und zu ihren Einstellungen gegenüber schwachen Gruppen befragt werden und die Aussagen der Befragten in der anschließenden Analyse aufeinander bezogen werden. Dabei werden darüber hinaus weitere Faktoren, die für das Zusammenwirken von Nichtanerkennung und feindseligen Einstellungen bedeutsam sind, diese also mit beeinflussen, identifiziert. Das Abschlusskapitel, Kapitel 6, enthält die Gesamtzusammenfassung der Ergebnisse der theoretischen und qualitativ empirischen Forschung und gibt einen Ausblick auf weitere vorzunehmende Forschung. Zusammengefasst bedeutet das, dass im theoretischen Teil dieser Arbeit einerseits eine Differenzierung der Theorie der Sozialen Desintegration vorgenommen wird, indem stärker zwischen Integration und Anerkennung unterschieden wird als dies innerhalb der ursprünglichen Theorie erfolgt. Zusätzlich wird die Theorie erweitert, da die durch sie genannten Anerkennungsdimensionen sowohl weiter untergliedert als auch ausführlicher beleuchtet werden Darüber hinaus wird die Theorie erweitert, indem genauere Aussagen über den Zusammenhang zwischen verweigerter Anerkennung, Selbst und der Abwertung von Fremdgruppen (bzw. Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit) getroffen werden (vgl. Abb. 1). 18 Einleitung Integration durch Rollenübernahme Differenzierung der Theorie durch Unterscheidung zwischen Integration und Anerkennung Damit verbundene Erfahrung, Anerkennung zu erhalten Verschiedene Unterformen der Anerkennung Erweiterung der Theorie durch Ausarbeitung von Unterformen der Anerkennung und des Zusammenhangs zwischen Anerkennungsmängeln, Selbst und der Abwertung von Fremdgruppen Abwertung von Fremdgruppen Selbstsicht Abb. 1 Weiterentwicklung der Theorie der Sozialen Desintegration Nachdem auf der theoretischen Ebene diese Differenzierung und Erweiterung vorgenommen wurde, findet in einem nächsten Schritt eine empirische Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Erfahrung verweigerter Anerkennung und der Abwertung von Fremdgruppen statt. Wie durch Abbildung 2 verdeutlicht wird, ist es Ziel dieses empirischen Teils, die Erklärungskraft der erweiterten Theorie zu erhöhen. Einleitung 19 Empirische Ergebnisse über Begründung und Legitimation der Selbstsicht Anerkennungsmängel Empirische Präzisierung des Zusammenhangs zwischen Anerkennungsmängeln, Selbstsicht und Abwertung von Fremdgruppen Abb. 2 Selbstsicht Abwertung von Fremdgruppen Erhöhung der Erklärungskraft der Theorie durch empirische Analysen Die empirischen Analysen tragen zu einer erhöhten Erklärungskraft der Theorie auf zweierlei Weise bei. So können einerseits hierdurch die theoretischen Aussagen über den Zusammenhang von verweigerter Anerkennung, Selbst und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit untermauert werden. Andererseits liefert der Empirieteil genauere Erkenntnisse darüber, welche Anerkennungsmängel im Zusammenhang mit einer bestimmten Selbstsicht insbesondere zu einer Abwertung von Fremdgruppen beitragen, worauf sich eine solche Selbstsicht gründet und welche Funktion die Abwertung der Angehörigen bestimmter Gruppen innerhalb dieses Zusammenhangs für den Betroffenen erfüllt. Hierdurch wird es dann möglich, Aussagen darüber zu treffen, welche Anerkennungsmängel im Zusammenhang mit welcher Selbstsicht welche Art der Abwertung von Fremdgruppen nach sich ziehen kann. 2. Grundlegende Annahmen zum Konstrukt der Anerkennung 2.1 Die Theorie Axel Honneths Wie soeben erwähnt, hat man sich mit dem Konstrukt der Anerkennung in verschiedenen historischen Epochen sowie in unterschiedlichen Disziplinen mehr oder weniger explizit auseinandergesetzt. Dies verdeutlichen auch Peter Sitzer und Christine Wiezorek im Rahmen eines Überblicksartikels zu dem Thema (vgl. Sitzer & Wiezorek, 2005). Als die wohl differenzierteste und detaillierteste aktuelle Auseinandersetzung mit dem Anerkennungskonstrukt kann Axel Honneths Arbeit ‚Kampf und Anerkennung’ betrachtet werden. Honneth identifiziert innerhalb seines Ansatzes drei idealtypische Kategorien der Anerkennung. Hierbei handelt es sich um „die ‚Liebe’ als leitende Idee von Intimbeziehungen, de[n] Gleichheitsgrundsatz als Norm von Rechtsbeziehungen und das Leistungsprinzip als Maßstab der Sozialhierarchie“ (Honneth, 2003b S. 168). Honneth entwickelt diese Anerkennungskategorien auf der Basis von Überlegungen Georg Wilhelm Friedrich Hegels. Honneths Berufung auf diese Theorie bringt es mit sich, dass er – wie auch Hegel – die Verweigerung von Anerkennung als Auslöser für soziale Kämpfe, die ihrerseits wiederum Auslöser für gesellschaftliche Weiterentwicklung sind, betrachtet. „[E]s sind moralisch motivierte Kämpfe sozialer Gruppen, ihr kollektiver Versuch, erweiterten Formen der reziproken Anerkennung institutionell und kulturell zur Durchsetzung zu verhelfen, wodurch die normativ gerichtete Veränderung von Gesellschaften praktisch vonstatten geht.“ (Honneth, 2003a S. 149). Der von Honneth betrachtete soziale Wandel ist durch die Erweiterung von Anerkennungsbeziehungen gekennzeichnet. „Entweder werden neue Persönlichkeitsanteile der wechselseitigen Anerkennung erschlossen, so daß das Maß an sozial bestätigter Individualität steigt, oder ein Mehr an Personen wird in die bereits existierenden Anerkennungsverhältnisse einbezogen, so daß der Kreis der sich wechselseitig anerkennenden Subjekte anwächst.“ (Honneth, 2003b S. 220). Als primärste Form der Anerkennung identifiziert Honneth ein Konstrukt, das er als Liebe bezeichnet. Dieses Anerkennungsverhältnis beinhaltet alle Beziehungen, die „nach dem Muster von erotischen Zweierbeziehungen, Freundschaften und Eltern-Kind-Beziehungen aus starken Gefühlsbindungen zwischen wenigen Personen bestehen.“ (Honneth, 2003a S. 153). Es handelt sich also um eine Form der Anerkennung, deren Basis eine „affektive Zustimmung und Ermutigung“ ist (Honneth, 2003a S. 153). Im Rahmen seiner Argumentation, dass das Liebesverhältnis eine Anerkennungsart darstellt, interpretiert Honneth diese – basierend auf der Argumentation Hegels – psychoanalytisch und sieht in den im frühkindlichen Alter erfahrenen Interaktionen zu den ersten Beziehungspartnern den Grundpfeiler für gelingende Bindungen an andere Personen. Diese Wichtigkeit der frühkindlichen Erfahrungen und die Betrachtung des Liebesverhältnisses als Muster reziproker Anerkennung werden aus der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie hergeleitet. Innerhalb dieser Theorie wird „das Gelingen von affektiven Bindungen von der frühkindlich erworbenen Fähigkeit zur Balance zwischen Symbiose und Selbstbehauptung abhängig gemacht“ (Honneth, 2003a S. 157). Es wird argumentiert, dass 22 Grundlegende Annahmen zum Konstrukt der Anerkennung mit der Geburt eines Kindes ein symbiotisches Verhältnis zwischen Mutter und Kind entsteht, innerhalb dessen sich beide in einer absoluten Abhängigkeit befinden. Durch den in der folgenden Entwicklung des Kindes stattfindenden Ablösungsprozess lernt es, „daß es auf die liebevolle Zuwendung einer Person angewiesen ist, die unabhängig von ihm als ein Wesen mit eigenen Ansprüchen existiert“ (Honneth, 2003a S. 164). Weiter wird argumentiert, dass das Streben nach einer Liebesbeziehung im Erwachsenenalter durch den Wunsch entsteht, das ursprüngliche Verschmelzungserlebnis mit der Mutter wieder aufleben zu lassen. Diese Beziehung kann aber nur dann entstehen, wenn der Partner als eine unabhängige Person anerkannt wird. Somit beschreibt Honneth das Liebesverhältnis als „eine durch Anerkennung gebrochene Symbiose“ (Honneth, 2003a S. 172). Diese Anerkennung ist sowohl durch individuelle Unabhängigkeit von der anderen Person gekennzeichnet als auch durch eine emotionale Bindung an sie. Das bedeutet, sie existiert auf der Basis von Zuwendung in Kombination mit einer Unterstützung von Selbstständigkeit durch die andere Person, ist also gebunden an Sympathie und Anziehung. Die Bezeichnung dieser Anerkennungsdimension als Liebe und die damit verbundene Fokussierung auf starke Gefühlsbindungen bedeutet, dass hier Anerkennung in Form einer bedingungslosen Schätzung eines Menschen unabhängig von seinen individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten betrachtet wird. Daher kann sie nur auf einen sehr engen Personenkreis beschränkt sein. „Jedes Liebesverhältnis (…) ist dadurch an die individuell unverfügbare Voraussetzung von Sympathie und Anziehung gebunden; über den sozialen Kreis von primären Sozialbeziehungen hinaus läßt es sich, weil positive Gefühle gegenüber anderen Menschen unwillkürliche Regungen sind, nicht beliebig auf eine größere Zahl von Interaktionspartnern übertragen“ (Honneth, 2003a S. 173 ff.). Die Erfahrung von Liebe ist nach Honneth Voraussetzung dafür, am öffentlichen Leben teilhaben zu können. Eine Teilnahme am Gemeinwesen erfordert darüber hinaus eine weitere Form der Anerkennung. Es handelt sich hierbei um eine Anerkennung, die Personen sich gegenseitig zugestehen, indem sie sich darauf einigen, wechselseitig bestimmte normative Verpflichtungen einzuhalten. Diese Anerkennungsart bezeichnet Honneth als rechtliche Anerkennung. In ihren Ursprüngen ist diese Dimension auf Überlegungen Fichtes zurückzuführen. Das Konstrukt der rechtlichen Anerkennung nach Fichte beinhaltet zum einen, die „äußere Freiheit“ eines Anderen anzuerkennen, und diesen Anderen des Weiteren nicht in seiner „inneren Freiheit“ – also in seinem Anderssein bzw. Fremdsein – einzuschränken. Die Gewährung einer solchen Anerkennung setzt voraus, ebenfalls von seinem Gegenüber in dieser Form geachtet zu werden. Es besteht also die Notwendigkeit der Reziprozität. Fichte postuliert: „Man hat Rechte soweit man Rechte zugesteht“ (Fichte, 1980 S. 84). Ein ähnlicher Gedankengang liegt den Annahmen Georg Herbert Meads zugrunde, wenn er argumentiert, „daß wir zu einem Verständnis unserer selbst als Träger von Rechten nur dann gelangen können, wenn wir umgekehrt ein Wissen darüber besitzen, welche normativen Verpflichtungen wir dem jeweils anderen gegenüber einzuhalten haben: erst aus der normativen Perspektive eines ‚generalisierten Anderen’, der uns die anderen Mitglieder des Gemeinwesens bereits als Träger von Rechten anzuerkennen lehrt, können wir uns selbst auch als Rechtsperson (…) verstehen“ (Honneth, 2003a S. 174). Mead identifiziert somit rechtliche Anerkennung als gegenseitige Achtung aufgrund des Wissens um gemeinsam geteilte Normen. Hieran kritisiert Honneth, dass aus einer derartigen Argumentation weder Aussagen über die Art der fraglichen Rechte noch über ihren Legitimationsmodus abgeleitet werden können. Somit nimmt Honneth einen Rückgriff auf Hegels Überlegungen vor, auf Basis derer ein Begründungsmodus des modernen Rechtssystems, der aus dessen Struktur erwächst, identifiziert Die Theorie Axel Honneths 23 werden kann. So basiert rechtliche Anerkennung seit der Moderne auf universalistischen Prinzipen. Das bedeutet, die Anerkennung der im Rechtssystem einer Gesellschaft verankerten Normen kann nur geschehen, wenn das „Rechtssystem als Ausdruck der verallgemeinerbaren Interessen aller Gesellschaftsmitglieder verstanden werden“ kann (Honneth, 2003a S. 177). Die Rechtsnormen einer modernen Gesellschaft können somit nur dann als legitimiert gelten, wenn alle Gesellschaftsmitglieder über die Möglichkeit verfügen, als „freie und gleiche Wesen“ diesen Normen zustimmen zu können (vgl. Honneth, 2003a S. 177). Das bedeutet, wenn sich Gesellschaftsmitglieder gegenseitig als Rechtspersonen anerkennen, so unterstellt dies, dass alle die Fähigkeit besitzen, über moralische Normen vernünftig zu entscheiden, unabhängig von ihrem Charakter oder ihren Leistungen. Dass eine Differenzierung zwischen der allgemeinen Fähigkeit, über Normen vernünftig zu entscheiden, und besonderen Eigenschaften von Personen vorgenommen wird, ist Resultat des Übergangs zur Moderne. Ist in traditionellen Gesellschaften die Anerkennung als Rechtsperson eng an die soziale Wertschätzung eines Menschen, die ihm aufgrund seiner gesellschaftlichen Rolle zuteil wird, geknüpft, so findet mit dem Übergang zur Moderne eine Loslösung hiervon statt. Durch diese Loslösung kann zwischen zweierlei Arten von Eigenschaften, aufgrund derer Personen Anerkennung erfahren können, differenziert werden. Während eine dritte Anerkennungsart, die Honneth als soziale Wertschätzung bezeichnet, auf Basis besonderer Eigenschaften, die eine Abgrenzung gegenüber anderen Menschen ermöglichen, vergeben wird, so erfolgt eine Anerkennung als Rechtsperson aufgrund allgemeiner Eigenschaften, die eine Person überhaupt erst zur Person werden lassen (vgl. Honneth, 2003a S. 183 ff.). Was diese allgemeinen Eigenschaften umfassen, ist nicht eindeutig umrissen und unumstößlich festgesetzt, sondern steht im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Wandlungsprozessen. Welche Fähigkeiten als dafür notwendig erachtet werden, am Prozess gesellschaftlicher Willensbildung teilzuhaben, spiegelt sich darin wider, welche Rechte welchen Gesellschaftsmitgliedern zuerkannt werden. In je mehr Rechten sich umso mehr Gesellschaftsmitglieder wechselseitig anerkennen, desto umfassender sind die Eigenschaften, die die Fähigkeit zur Mitbestimmung über gesellschaftliche Normen – von Honneth bezeichnet als moralische Zurechnungsfähigkeit – repräsentieren. „Die kumulative Erweiterung individueller Rechtsansprüche, mit der wir es in modernen Gesellschaften zu tun haben, läßt sich als ein Prozeß verstehen, in dem der Umfang der allgemeinen Eigenschaften einer moralisch zurechnungsfähigen Person sich schrittweise vergrößert hat, weil unter dem Druck eines Kampfes um Anerkennung stets neue Voraussetzungen zur Teilnahme an der rationalen Willensbildung hinzugedacht werden mussten“ (Honneth, 2003a S. 185 ff.). Der Auslöser für die Erweiterung der individuellen Grundrechte ist im Umbruch vor der traditionalen zur modernen Rechtsauffassung zu sehen, der zu einer Loslösung individueller Rechtsansprüche von sozialen Statuszuschreibungen führte (Honneth, 2003a S. 187). Aus der Ansicht, dass jedem Gesellschaftsmitglied die gleichen Rechte und somit der Anspruch auf vollwertige Mitgliedschaft in der Gesellschaft zustehen, entwickelten sich nach T.H. Marshall sukzessiv die Grundrechte der modernen Gesellschaft (Marshall, 1963S. 67 ff.). So entstanden aus dem Gleichheitsanspruch zunächst die liberalen Freiheitsrechte, die jedem Staatsbürger Schutz im Hinblick auf seine Freiheit, seine Leben und sein Eigentum zusichern. Danach setzte sich die Überzeugung durch, dass jedem Bürger das Recht auf politische Teilhabe zusteht. Aus den politischen Teilhaberechten und der Einsicht, dass die Möglichkeit, am politischen Willensbildungsprozess teilzunehmen, einen gewissen Lebensstandard und ökonomische Sicherheit voraussetzt, entwickelten sich in westlichen Gesellschaften die sozialen Wohlfahrtsrechte. 24 Grundlegende Annahmen zum Konstrukt der Anerkennung Mit Entwicklung der bürgerlichen Freiheitsrechte entwickelte sich laut Honneth die dritte Dimension der Anerkennung, die soziale Wertschätzung. Während es sich bei rechtlicher Anerkennung um Anerkennung handelt, die auf dem Gleichheitsprinzip basiert und keine Privilegierung oder Sonderstellung von Personen zulässt, wird soziale Wertschätzung gerade für diese Besonderheit von Menschen vergeben, also für Aspekte, die einen Menschen von den übrigen Angehörigen der Gesellschaft unterscheiden. Die Beurteilung darüber, für welche Aspekte dieser Unterscheidbarkeit Anerkennung vergeben wird, geschieht aufgrund gemeinsamer gesellschaftlicher Werte, deren Gültigkeit gesellschaftlichen Wandlungsprozessen unterworfen ist. Somit existiert „ein symbolisch artikulierter, stets offener und poröser Orientierungsrahmen, in dem diejenigen ethischen Werte und Ziele formuliert sind, deren Insgesamt das kulturelle Selbstverständnis der Gesellschaft ausmacht“ (Honneth, 2003a S. 197 ff.). Auf Basis dieses „kulturellen Selbstverständnis[ses]“ wird beurteilt, aufgrund welcher Besonderheiten von Menschen soziale Wertschätzung vergeben wird. In modernen Gesellschaften besteht ein Wertekonsens dahingehend, dass soziale Schätzung primär für die individuelle Leistung einer Person vergeben wird. Diese von Fähigkeiten und Eigenschaften abhängige Wertschätzung konnte sich – wie eben erwähnt – erst mit dem Übergang von traditionalen zu modernen Gesellschaften entwickeln. So ist in traditionalen Gesellschaften der Wert des Subjektes nicht von seiner individuellen Leistung abhängig, sondern von seiner Zugehörigkeit zu einer Statusgruppe. Während die Wertschätzung innerhalb einer Statusgruppe symmetrisch verläuft, liegen zwischen den verschiedenen Gruppen asymmetrische, hierarchisch angeordnete Anerkennungsverhältnisse vor. Mit dem Übergang zur Moderne findet nun eine Verschiebung des Werterahmens statt, der regelt, wofür Anerkennung vergeben wird. Personen werden nun nicht mehr für eine auf zugeschriebenen Kriterien basierende Gruppenangehörigkeit – legitimiert durch religiöse oder metaphysische Überlieferungen – anerkannt. Stattdessen wird Wertschätzung aufgrund individueller Fähigkeiten und Eigenschaften vergeben. Es sind also „nicht mehr kollektive Eigenschaften, sondern die lebensgeschichtlich entwickelten Fähigkeiten des einzelnen, an denen die soziale Wertschätzung sich zu orientieren beginnt“ (Honneth, 2003a S. 203). Somit sind die Gesellschaftsmitglieder nun darauf angewiesen, Anerkennung selbst zu „erarbeiten“. Wertschätzung wird dem zuteil, der in der Lage ist, so zu agieren, dass seine Selbstverwirklichung zur Umsetzung der Ziele der Gesellschaft beiträgt. Das bedeutet, die Vergabe dieser Art der Anerkennung basiert auf dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit. Jeder der drei soeben erläuterten Dimensionen der Anerkennung stellt Honneth jeweils eine Dimension der sozialen Missachtung gegenüber. Als elementarste Form der Missachtung – eine Missachtung, die der Anerkennungsdimension der Liebe entgegensteht – nennt Honneth die physische Misshandlung. Während die Erfahrung von Liebe es einem Menschen ermöglicht, mit sich allein sein zu können, da er sich des Rückhalts durch andere Menschen sicher sein kann, wirkt die Erfahrung von körperlicher Schädigung diesem Bewusstsein entgegen. Dies geschieht, da durch die Erfahrung, dem Willen einer anderen Person ausgeliefert zu sein, die Autonomie der angegriffenen Person infrage gestellt wird. Honneth führt an, dass mit solchen physischen Angriffen persönliche Erniedrigungen oder Demütigungen einhergehen. Als Beispiele für derartige Misshandlungen nennt Honneth Folter oder Vergewaltigung (vgl. Honneth, 2003a S. 214). Er merkt an, dass die Erfahrung von physischer Misshandlung kulturell oder historisch invariant ist und somit unabhängig von äußeren Umständen eine Erschütterung des Vertrauens in die soziale Welt bedeutet, auch wenn gesellschaftliche Legitimationssysteme existieren, die physische Misshandlungen zu rechtfertigen versuchen (vgl. Honneth, 2003a S. 215). Dies gilt nicht für die der rechtlichen Anerkennung und der Wertschätzung Die Theorie Axel Honneths 25 gegenteiligen Dimensionen. Wie im Falle der Anerkennungsebenen wird bezogen auf diese Dimensionen ebenfalls die Wahrnehmung der Missachtung von geschichtlichen Veränderungen beeinflusst. Das Gegenstück der rechtlichen Anerkennung zeigt sich durch einen Ausschluss eines Menschen von gesellschaftlichen Rechten. Durch eine solche Exklusion wird einem Menschen vermittelt, dass ihm nicht die gleiche Zurechnungsfähigkeit wie allen anderen Gesellschaftsmitgliedern unterstellt wird. Einer Person wird hierdurch somit angezeigt, sie besitze nicht den Status eines gleichberechtigten Interaktionspartners. Diese Art der Missachtung variiert historisch, weil die Frage danach, was es bedeutet, moralisch zurechnungsfähig zu sein, im geschichtlichen Verlauf unterschiedlich zu beantworten ist. Denn wie Honneth anführt, bemisst sich „die Erfahrung der Entrechtung (…) daher stets nicht nur an dem Grad der Universalisierung, sondern auch an dem materialen Umfang der institutionell verbürgten Rechte“ (Honneth, 2003a S. 216). Verletzungen innerhalb der Dimension der sozialen Wertschätzung bezeichnet Honneth als „Beleidigung“ oder „Entwürdigung“ (vgl. Honneth, 2003a S. 217). Diese erfolgen, wenn Lebensformen oder Überzeugungsweisen von Personen oder Kollektiven als minderwertig oder mangelhaft beurteilt und durch entsprechende Verhaltensweisen degradiert werden. Das bedeutet, es handelt sich hierbei um Verhaltensweisen, die mit einer sozialen Entwertung von Personen einhergehen. Ebenso wie die Definition der moralischen Zurechnungsfähigkeit historisch variiert, so sind auch die Erfahrungen innerhalb dieser Missachtungsdimension von geschichtlichen Veränderungen betroffen. Hierdurch wird beeinflusst, ob ein Mensch solche Missachtungen auf sich als individuelles Subjekt bezieht oder sie auf seine Zugehörigkeit zu einem Kollektiv zurückführt. „Allerdings kann ein Subjekt solche Arten der kulturellen Degradierung überhaupt nur in dem Maße auf sich als Einzelperson beziehen, in dem sich die institutionell verankerten Muster sozialer Wertschätzung historisch individualisiert haben, also statt auf Kollektiveigenschaften auf individuelle Fähigkeiten wertend Bezug nehmen“ (Honneth, 2003a S. 217). Weiter argumentiert Honneth, dass Anerkennungs- und Missachtungserfahrungen sich auf das Selbstbild eines Menschen – oder Selbstverhältnis, wie er es bezeichnet – auswirken. Er interpretiert hierbei den Begriff des Selbst im Sinne einer positiven oder negativen Selbstevaluation der anerkannten bzw. missachteten Person. Als Elemente des Selbstverhältnisses identifiziert er das Selbstvertrauen, die Selbstachtung und die Selbstschätzung. Jeden dieser Aspekte sieht er durch eine der Anerkennungsdimensionen beeinflusst. Elementare Voraussetzung für die Entwicklung eines positiven Selbstverhältnisses ist laut Honneth die Ausbildung des Selbstvertrauens. Dieses entsteht, wie Honneth unter Bezug auf Winnicott argumentiert, durch die frühkindliche Beziehung des Kindes zur Mutter. Das Selbstvertrauen definiert Honneth als „’Fähigkeit zum Allein’“ (Honneth, 2003a S. 168) und „das Vertrauen in die Fähigkeit der autonomen Koordinierung des eigenen Körpers“ (Honneth, 2003a S. 214). Es entwickelt sich, indem das Kind durch den Ablösungsprozess von der Mutter lernt, sein „eigenes personales Leben“ zu führen (vgl. Winnicott nach Honneth, 2003a S. 168). Durch den Prozess der Differenzierung von der Mutter entwickelt das Kind, das sich zunächst als Einheit mit seiner Mutter begreift, ein eigenständiges Bild von sich selbst, wie Jessica Benjamin, ebenfalls unter Bezug auf Winnicott, anführt. „Das Selbst entsteht im Bewusstwerden seiner Verschiedenheit von anderen“ (Sitzer & Wiezorek, 2005 S. 111). Gelingt der Ablösungsprozess von der Mutter, so erwächst durch das Anerkennungsverhältnis der Liebe im Kind das Bewusstsein, dass es sich der Zuneigung der Mutter sicher sein kann. Diese Einsicht stellt die Basis für die Entstehung des Selbstvertrauens des Kindes dar: „das Kleinkind 26 Grundlegende Annahmen zum Konstrukt der Anerkennung gelangt dadurch, dass es sich der mütterlichen Liebe sicher wird, zu einem Vertrauen in sich selber, das es ihm ermöglicht, sorglos mit sich allein zu sein“ (Honneth, 2003a S. 168). Eine Schädigung dieser Identitätsdimension durch den Versuch, die körperliche Unversehrtheit eines Menschen zu schädigen, betrachtet Honneth als die elementarste Form des Angriffs auf die Selbstbeziehung. Dadurch, dass durch einen solchen Akt der betroffenen Person die Verfügungsgewalt über ihren eigenen Körper verwehrt wird, wird laut Honneth ihr Vertrauen in die Welt und in sich selbst gestört. Seiner Argumentation nach wird mit einer physischen Misshandlung immer „ein dramatischer Zusammenbruch des Vertrauens in die Zuverlässigkeit der sozialen Welt und damit der eigenen Selbstsicherheit einhergehen“ (Honneth, 2003a S. 215). Während also die Entstehung des Selbstvertrauens auf dem Anerkennungsverhältnis der Liebe basiert, so ist mit dem Anerkennungsverhältnis des Rechts die Ausbildung der Selbstachtung verknüpft. Diese Achtung seiner selbst entwickelt ein Individuum laut Honneth aus dem Bewusstsein heraus, dass es von Anderen geachtet wird. Das Bewusstsein, von Anderen geachtet zu werden, beruht auf der Erkenntnis, Träger individueller Rechte zu sein, die dem Individuum die Möglichkeit, sozial akzeptierte Ansprüche stellen zu können, zusichern. Aus diesen Überlegungen zieht Honneth den Schluss, „daß ein Subjekt sich in der Erfahrung rechtlicher Anerkennung als eine Person zu betrachten vermag, die mit allen anderen Mitgliedern ihres Gemeinwesens die Eigenschaften teilt, die zur Teilnahme an einer diskursiven Willensbildung befähigen; und die Möglichkeit, sich in derartiger Weise positiv auf sich selbst zu beziehen, können wir ‚Selbstachtung’ nennen“ (Honneth, 2003a S. 195). Als dritten Aspekt der Selbstbeziehung führt Honneth die Selbstschätzung an. Diese resultiert aus dem Anerkennungsverhältnis der sozialen Wertschätzung. Da soziale Wertschätzung für Fähigkeiten, Leistungen und Erfolge vergeben wird, die für die Gesellschaft nützlich sind, entsteht hieraus entsprechend die Selbstschätzung als ein „gefühlsmäßiges Vertrauen (…), Leistungen zu erbringen oder Fähigkeiten zu besitzen, die von den übrigen Gesellschaftsmitgliedern als ‚wertvoll’ anerkannt werden“ (Honneth, 2003aS. 209). Die Selbstschätzung entspricht somit dem, was umgangssprachlich als Selbstwert bezeichnet wird. Selbstachtung und Selbstschätzung unterscheiden sich durch die Fähigkeiten, aufgrund derer sich ein Mensch positiv auf sich selbst bezieht. Die Unterscheidung liegt darin, ob diese Fähigkeiten allgemein geteilt oder ein individuelles Merkmal der betroffenen Person sind. Während also die Selbstachtung die Eigenwahrnehmung als anderen Personen gleichgestellt widerspiegelt, repräsentiert die Selbstschätzung die Eigenwahrnehmung als gegenüber Anderen verschieden. Im Falle einer Missachtungserfahrung betreffen allerdings beide Arten dieser Selbstdefinition die Frage, ob die bewertende Person sich im Verhältnis zu anderen Personen als schlechter gestellt wahrnimmt. Wird nun ein Individuum mit Erfahrungen solcher sozialer Missachtung konfrontiert, so wirkt sich dies schädigend auf seine Selbstbeziehung aus, „weil das normative Selbstbild eines jeden Menschen, seines ‚Me’, wie Mead gesagt hatte, auf die Möglichkeit der steten Rückversicherung im Anderen angewiesen ist, geht mit der Erfahrung von Mißachtung die Gefahr einer Verletzung einher, die die Identität der ganzen Person zum Einsturz bringen kann“ (Honneth, 2003a S. 213). 2.2 Diskussion der Anerkennungskategorien Honneths Mit der Weiterführung der Anerkennungstheorie Hegels liefert Honneth einen ausgereiften Ansatz, der einerseits eine eindeutige Gliederung dessen, was der Begriff der Anerkennung bedeutet – also welche Arten von Anerkennung unterschieden werden können –, umfasst. Des Diskussion der Anerkennungskategorien Honneths 27 Weiteren stellt seine Theorie die Bedeutsamkeit der Anerkennung für das Selbstbild eines Menschen heraus und zeigt darüber hinaus auf, wie durch ‚Kämpfe um Anerkennung’ gesellschaftliche Anerkennungsverhältnisse erweitert werden. Nichtsdestotrotz bleiben einige kritische Anmerkungen zu Honneths Ansatz zu erwähnen. Zunächst einmal führt die Fixierung auf ‚Kämpfe um Anerkennung’ dazu, dass Honneth sich ausschließlich mit der Erweiterung von Anerkennungsverhältnissen beschäftigt. Empfinden Personen oder gesellschaftliche Gruppierungen in einer der drei Sphären ihre Ansprüche auf Anerkennung als nicht ausreichend berücksichtigt, so resultiert hieraus ein Kampf um Anerkennung, und das Rechts- oder Normensystem wird derart erweitert, dass auch diese Person oder Gruppe sich auf einen legitimen Anspruch auf die jeweilige Anerkennungsart berufen kann. „Stets ist es innerhalb einer jeden Sphäre möglich, erneut eine moralische Dialektik von Allgemeinem und Besonderem in Gang zu setzen, indem unter Berufung auf das allgemeine Anerkennungsprinzip (Liebe, Recht, Leistung) ein besonderer Gesichtspunkt (Bedürfnis, Lebenslage, Beitrag) eingeklagt wird, der unter den Bedingungen der bislang praktizierten Anwendung noch nicht angemessen Berücksichtigung gefunden hat“ (Honneth, 2003b S. 220). Honneth sieht hier den Aspekt der Erweiterung von Anerkennungsverhältnissen dadurch verwirklicht, dass entweder das „Maß an sozial bestätigter Individualität steigt, oder ein Mehr an Personen (…) in die bereits existierenden Anerkennungsverhältnisse einbezogen“ wird (Honneth, 2003b S. 220). Bezogen auf die Anerkennungssphäre des Rechts ist ein solcher Wandel leicht nachvollziehbar. So hat beispielsweise die Einführung des Lebenspartnerschaftsgesetzes erstens zu einer Erweiterung der rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften geführt1 – durch eine rechtliche Bestätigung der Legitimität von Homosexualität –, und zweitens wurde hierdurch die Personenzahl, die über die Möglichkeit des rechtlichen Schutzes ihrer Partnerschaft verfügt, erhöht. Hinsichtlich der Sphären „Liebe“ und „soziale Wertschätzung“ führt Honneth an: „So mag ein moralischer Fortschritt in der Sphäre der Liebe bedeuten, schrittweise jene Rollenklischees, Stereotype und kulturellen Zuschreibungen zu beseitigen, die der Möglichkeit einer wechselseitigen Anpassung an die Bedürfnisse der Anderen strukturell im Wege stehen; und für die Anerkennungssphäre der sozialen Wertschätzung wird ein solcher Fortschritt dementsprechend bedeuten, jene kulturellen Konstruktionen radikal zu hinterfragen, die in der Vergangenheit des industriellen Kapitalismus für die Auszeichnung von nur einem kleinen Kreis von Tätigkeiten mit dem Titel der ‚Erwerbsarbeit’ gesorgt haben“ (Honneth, 2003b S. 222). Bei einer Fokussierung auf solche ‚positiven’ Folgen von Anerkennungsmängeln wird allerdings der Blick dafür verschlossen, ob diese sich nicht möglicherweise ebenfalls fortschreitend etablieren und als immer weniger hinterfragbar gelten, anstelle zu Kämpfen um Anerkennung zu führen, die eine Erweiterung des Anerkennungsverhältnisses bewirken. Es wird also die Möglichkeit vernachlässigt, dass eine Entwicklung eintreten kann, die darin mündet, dass es sich als gesellschaftliche Norm etabliert, bestimmte Arten der Anerkennung nicht zu vergeben bzw. bestimmte Personen von Anerkennung auszuschließen. Als Beispiel für die Reduzierung von Anerkennungsverhältnissen innerhalb der rechtlichen Sphäre können Maßnahmen der U.S.-amerikanischen Regierung angeführt werden, die zu einer Gewährleistung der inneren Sicherheit nach den Terroranschlägen des 11. September angeführt werden. Hier zeigt sich, dass mit diesen Sicherheitsgesetzen – bezeichnet als ‚USA Patriot Act’ – eine Verminderung der liberalen Freiheitsrechte der U.S.-amerikanischen Bevölkerung einherging. So wurden hierdurch die Rechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit stark 1 Auch wenn hierdurch keine rechtliche Gleichstellung mit dem Schutz heterosexueller Partnerschaften erfolgte.