Thomas Köhler Die Konflikttheorie der Anerkennungstheorie 1. Kritische Theorie heute: Einführendes zum Projekt Axel Honneths Bei der Ausformulierung seiner Sozi al philosophie, in deren Zentrum die Rekonstruktion der "moralischen Logik sozialer Konflikte" steht, hat sich Axel Honneth immer wieder auf die Tradition der Kritischen Theorie bezogen, und er hat mit dem Antritt des Lehrstuhls von Jürgen Habennas und der jüngst hinzugekommenen Übernahme der Leitung des Frankfurter Instituts für Sozialforschung wichtige institutionelle "Erbteile" dieser Tradition angenommen. Honneths "normativistische" Argumentation geht dabei über die Eigenschaft kritisch-normativer Theorien hinaus, Gerechtigkeitsziele zu verfolgen. Sie richtet sich mit ihrem Interesse, die Erfahrungszusammenhänge von (Un-) Gerechtigkeitsempfindungen auszubuchstabieren, nicht nur gegen die "utilitaristische" Theorietradition, die als anthropologisches Modell des menschlichen Gattungsvermägens und damit auch als Triebkraft aller sozialen Konflikte ein Handlungsmodell annimmt, das bloß egozentrische Interessenkalküle kennt, sondern auch gegen den "Negativismus", der Erfahrungen nur noch als defizitäre kennt. Honneths Sozialphilosophie, die nicht zuletzt in der Auseinandersetzung mit dem Frankfurter ,,Negativismus" erst ihre Konturen gewonnen hat, übernimmt jedoch durch das Festhalten an einem Begriff der "sozialen Pathologie" eine Bürgschaft, die ihn von einer unkritischen Mainstream-Forschung, wie sie auch in der Konfliktsoziologie nicht selten ist, trennt. Um dieses Projekt zu skizzieren, lässt sich ein erster, stark stilisierter und noch ganz grober Orientierungsrahmen dafür, was die ,,Anerkennungstheorie" für eine sozialphilosophisch fundierte Konfliktsoziologie zu bedeuten hat, durch die Unterscheidung von drei Phasen in der Geschichte der Kritischen Theorie gewinnen. Jeder Phase kann jeweils ein Theoretiker zuordnet werden: Die früheste, in den 30er Jahren liegende Phase der Kritischen Theorie prägte Max Horkheimer, der als Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschug die Ausarbeitung eines "interdisziplinären Materialismus" betrieb. Theorie-immanent ist dieses Programm gescheitert an einer geschichtsphilosophisch begründeten Fokussierung der Analyse sozialer Kämpfe auf eine Konfliktlinie, nämlich auf die zwischen Arbeit und Kapital. Weil sich zudem 320 Thomas Köhler aufgrund mangelnder kategorialer Eigenständigkeit eine empiriegesättigte Soziologie zwischen den Polen einer materialistischen Ökonomietheorie und einer psychoanalytischen Subjekttheorie nicht entfalten konnte, kommt es zum "Verlust des Sozialen", d.h. zu einer Abkopplung der Sozialtheorie von empirisch überprüfbaren Hypothesen über Unrechtserfahrungen und Widerstandspotentiale (vgl. Honneth 1989: 12ff.). Die zweite Phase der Kritischen Theorie ist bestimmt durch die theoretischen Orientierungen Theodor W. Adornos, der schon früh eine "negativistisehe" Wendung der Geschichtsphilosophie entwickelt hatte und in der Folge der katastrophalen gesellschaftlichen Entwicklungen massgeblich die Formulierung einer "Gesellschaftstheorie nach Auschwitz" bestimmen konnte. Honneth sieht hier die selben Defizite, die sich nach der nun vollzogenen Verkehrung der geschichtsphilosophischen Gewissheiten ins Negative noch stärker auswirken mussten. Die Zuspitzung und Verdichtung des sozialen Konfliktgeschehens auf eine einzige Tendenz ist nun soweit vorangeschritten, dass dessen Komplexität endgültig auf einen Nenner reduziert wird, den einer verhängnisvollen "Naturgeschichte" (vgl. Honneth 1982, 1989: 43ff.). Seine Kritik am sozialtheoretischen Gehalt der Kritischen Theorie relativiert Honneth allerdings mit einer wichtigen Unterscheidung: Zwar ist die an empirisch vorfindbare Erfahrungsmuster anknüpfende Position einer Forschung aufgegeben worden zugunsten einer Kritik an der Verstümmlung des Erfahrungshaushalts und damit auch der Konfliktfähigkeit der Menschen im Spätkapitalismus. Die sich in paradoxer Zuspitzung auf eine externe Perspektive zurückziehende Position der Kritiker erfüllt so zwar nicht mehr die Anforderungen einer sinn verstehenden Sozialforschung, da sie gar nicht mehr versucht, an Motive der Subjekte anzuknüpfen. Dennoch, so Honneth, ist gerade eine derart radikal distanzierende, die eigene Position bis zur aufzehrenden Selbstwidersprüchlichkeit zugespitzte Kritik in der Lage, den Entwicklungsprozess, der in Massenvernichtung kulminierte, in angemessener Weise als Produkt einer "sozialen Pathologie" zu dechiffrieren. Erst aus einer derart ,,nonkonformistischen Haltung" heraus kann "von den vertraut gewordenen Sachverhalten der kapitalistischen Kultur eine Beschreibung gegeben werden, die dazu in der Lage ist, sie uns in einem vollkommen neuen Licht erscheinen zu lassen; bezweckt ist damit eine Erschließung unserer Welt als eines sozialen Lebenszusammenhanges, dessen Einrichtungen und Vollzüge deswegen als ,pathologische' gelten können, weil sie bei unvoreingenommener Betrachtung den Bedingungen eines guten Lebens schroff widersprechen" (vgl. Honneth 2000: 70ff.). Mit Jürgen Habermas, der die von einer zweiten Generation getragene dritte Phase einleitete, wurde eine Öffnung und Neuausrichtung der Kritik möglich. Bekanntlich lief das zentrale Interesse von Habermas, das der Selbstvergewisserung über die "normativen Grundlagen" kritischer Theorien galt, auf die Rekonstruktion einer im Alltagshandeln verankerten kommunikativen Rationalität hinaus. Gegenüber Habermas geht es Honneth aber nicht Die Konflikttheorie der Anerkennungstheorie 321 um eine Rekonstruktion von Unterstellungen, die wir in unserer Alltagspraxis immer schon machen müssen. Jene gelten in der Diskurstheorie als Bedingungen der Möglichkeit rationaler Konfliktlösung. Vielmehr stehen nun die alltäglich erfahrbaren Missachtungs- und Unrechtserfahrungen der Subjekte im Mittelpunkt der Theoriebildung (v gl. Honneth 1982, 1989: 225ff.). 2. Elemente einer "normativistischen" Konflikttheorie 2.1. Theorie der Anerkennung Kritische Theorien müssen müssen eine Vermutung über Befreiung, über (Un-)Möglichkeiten einer "Aufhebung" zentraler Unrechtsquellen formulieren können. Sie arbeiten dazu mit besonders starken Thesen zum sozialen Konflikt. Die einstige Hoffnung auf eine Aufhebung des Unrechts durch Klassenkampf wurde bspw. von dem verzweifelten Bild einer bestenfalls erstarrten, schlimmstenfalls sich umfassend re-barbarisierenden Gesellschaft überlagert. Erst mit Habermas setzte sich eine Wende durch, die eine auf Emanzipation hoffende Analyse sozialer Widersprüche (von denen nie einfach gesagt werden kann, dass und wie sie in Konflikte transformiert werden!) wieder aussichtsreicher erscheinen liess, indem nun der Konflikt zwischen "System und Lebenswelt" als ein gesellschaftlich bearbeitbares Problem vorgestellt wurde. Honneth zufolge ist eine kritische Theorie bei der Entwicklung von Kategorien auch heute noch in eine "praktisch-tätige" Richtung zu organisieren, so dass sie stets in der Lage bleibt, sich im Rahmen ihrer Konfliktanalyse mit den wie auch immer verborgenen oder unterdrückten, den vielleicht vollkommen sprachlosen, jedenfalls von den betroffenen Individuen nicht ohne weiteres artikulierbaren Widerstands- und Emanzipationspotentialen verbünden zu können. Dabei dürfen nicht etwa bloße Kompensationsstrategien gesucht werden, die die Konfliktaustragung auf eine möglichst umstandslose, integrierende Befriedung von Identitätsverletzungen und Unrechtserfahrungen fokussieren würden, sondern es muss nach wie vor eine Kritik das Ziel sein, die die Ursachen entstandener Pathologien beleuchtet. Zentrale Fragen sind infolgedessen: Welche konfliktiven Prozesse und Kämpfe führen zu einer gesellschaftlichen Integration, von der sich sagen liesse, sie sei durch ein Niveau zu charakterisieren, das sich vom vorherigen durch eine reichhaltigere, freiheitlichere Form des Zusammenlebens unterscheidet? Das zugrundeliegende Konfliktmodell ist also nicht nur "als Erklärungsrahmen für die Enstehung sozialer Kämpfe, sondern auch als [ ... ] Interpretationsrahmen für einen moralischen Bildungsprozess zu begreifen." (Honneth 1992: 270). Die sozialphilosophische Explikation der in Anerkennungskämpfen zur Durchsetzung gebrachten oder auch erst potentiell angelegten Fortschritte in- 322 Thomas Köhler nerhalb moderner Verständigungsverhältnisse ist somit eine unverrückbare Bedingung für die kritische Analyse sozialer Konfliktbereiche und der innerhalb dieser Bereiche in spezifischer Weise vernünftig oder pathologisch verlaufenden Konfliktaustragung. Einen empirischen Ausgangspunkt für seinen Normativismus fand Honneth in den Erkenntnissen aus Untersuchungen von Barrington Moore oder Richard Sennett, die sich bei der Analyse von Unrechtserfahrungen und Widerstandspotentialen darauf konzentrierten, deren "moralische Grammatik" zu entziffern (vgl. Honneth 1990: 182ff.). Diesen Analysen haftete freilich immer etwas episodisches an, weil ihnen noch das theoretische Fundament fehlte (vgl. Honneth 1992: 269). Honneth versucht deswegen mit seiner sozialphilosophischen Argumentation, die an Hegel und Mead anknüpft, ein Theoriefundament für die Explikation von Missachtungsund Unrechtserfahrungen zu entwickeln. Den berühmten "Kampf um Anerkennung" aus der Hegeischen Phänomänologie des Geistes kritisiert Honneth allerdings als eine Gedankenfigur, die sich von Hegels ursprünglichem Entwurf dadurch unterscheidet, dass der Anerkennungskampf als Konfliktmechanismus interpretiert wird, der "als Resultat der dialektischen Selbstaufstufung des Geistes" die Entstehung eines (absoluten) Selbstbewusstseins der Gesellschaft vorantreibt (vgl. Honneth 1992, Kap. I; 2000a: 61ff.). Innerhalb dieser "bewusstseinsphilosophischen" Figur ist der Kampf um Anerkennung aber nicht mehr als empirisch überprüfbares, gesellschaftliche Gruppen betreffendes Konfliktgeschehen zu verstehen, in dem die intersubjektiven Konstitutionsbedingungen von Identitäten und Persönlichkeitsrechten formiert werden. Greift man hingegen auf die frühesten Schriften Hegels zurück, so lässt sich von dort aus der erste Ansatz für ein Dreistufenmodell des sozialen Anerkennungskampfes gewinnen: "im affektiven Anerkennungsverhältnis der Familie wird das menschliche Individuum als konkretes Bedürfniswesen, im kognitiv-formellen Anerkennungsverhältnis des Rechts wird es als abstrakte Rechtsperson und im emotional aufgeklärten Anerkennungsverhältnis des Staates wird es schließlich als konkret Allgemeines, nämlich als in seiner Einzigartigkeit vergesellschaftetes Subjekt anerkannt" (Honneth 1992: 45f.). Ausgehend von diesem Modell gelingt Honneth in seiner weiteren Argumentation, die sich an Mead abarbeitet, eine überraschende Verknüpfung des deutschen Idealismus mit dem amerikanischen Pragmatismus. Honneth interpretiert Hegel und Mead als Sozialphilosophen bzw. -psychologen, die theoriegeschichtlich durch eine anti-utilitaristische, eben: normativistische Auffassung des Sozialen verbunden sind, nach der "Subjekte ihre Identität der Erfahrung einer intersubjektiven Anerkennung verdanken", wobei von den beiden Theoretikern versucht wurde, "den Kampf um Anerkennung zum Bezugspunkt einer theoretischen Konstruktion zu machen, mit der die moralische Entwicklung von Gesellschaft erklärt werden soll" (Honneth 1992: 114). 323 Die Konflikttheorie der Anerkennungstheorie 2.2. Strukturen sozialer Anerkennungsverhältnisse Honneth unterscheidet also drei "Anerkennungsverhältnisse", denen jeweils in einer ganz spezifischen Ausprägung jene Konfliktdimension innewohnt, die es gerechtfertigt erscheinen lässt, den Entstehungs- und Reproduktionsprozess von Intersubjektivität als ein konfliktreiches, aber auch nonnativ gehaltvolles Kampfgeschehen zu verstehen. Struktur sozialer Anerkennungsverhältnisse Anerkennungsweise Persönlichkeits· dimension Anerkennungsformen 1.) Emotionale Zuwendung Bedürfnis- und Affektnatur Primärbeziehungen (Liebe, Freundschaft) Selbstvertrauen 2.) kognitive AChtung Moralische Zurechnungsfähigkeit Rechtsverhältnisse (Rechte) Generalisierung, Materialisierung Selbstachtung 3.) Soziale Wertschätzung Fähigkeiten und Eigenschaften Wertgemeinschaft (Solidarität) Individualisierung, Egalisierung Selbstschätzung Misshandlung und Vergewaltigung, physische Integrität Entrechtung und Ausschliessung, soziale Integrität Entwürdigung und Beleidigung, "Ehre", Würde Entwicklungspotential Praktische Selbstbeziehung Missachtungsformen Quelle: Honneth 1992: 211 Zu 1.): Selbstvertrauen. Die Anerkennungsform der Liebe und Freundschaft hat ihren Ort in den Primärbeziehungen. Dementsprechend findet sie sich in der therapeutischen und metapsychologischen Forschung beschrieben, die sich mit dem Phänomenbereich der (gestörten) emotionalen Zuwendung beschäftigt. Die Psychoanalytikerin Jessica Benjamin sieht auf dieser Ebene, auf der Objektbeziehungen in aller Regel durch ein besonders hohes Maß an Bindungsenergie charakterisiert sind, im Verhältnis der wechselseitigen Anerkennung eine "Dialektik der Kontrolle" angelegt, die einen stabilen Ruhepunkt, einen dauernden Gleichgewichtszustand als falsche Vorstellung erscheinen lässt. Vielmehr ist das Ringen um ein prekäres Gleichgewicht von Verschmelzung und Distanz die einzige Möglichkeit für das Gelingen gegenseitiger Anerkennung: "Wenn ich den anderen völlig kontrolliere, dann existiert der andere nicht mehr, und wenn er mich kontrolliert, existiere ich nicht mehr. Die Vorbedingung für unser beider abhängige Existenz ist aber die jeweilige Anerkennung des anderen. Wahre Unabhängigkeit heisst, die notwendige Spannung dieser widersprüchlichen Impulse von Selbstbehauptung und Anerkennung des anderen auszuhalten. Wird diese Bedingung abgelehnt, so folgt daraus Herrschaft" (Benjamin 1993: 55). In diesen gefühlsintensiven Kämpfen kann als entscheidende Komponente der gegenseitigen, freilich nie bedingungslosen Bejahung Selbstvertrauen entstehen. Da es nur dann zur Ausbildung des Selbstvertrauens kommen kann, wenn in den emotional dich- 324 Thomas Köhler ten Beziehungsformen ein Mindestgrad an Verlässlichkeit, Fairness und Sorge zutage tritt, ist es angemessen, eine "moralische Grammatik" schon bei diesem Typ des Anerkennungskampfes zu behaupten. Partnerschaftliche Kämpfe um Anerkennung erzeugen Näheverhältnisse und konstituieren Intimität. Sie bilden nicht in der gleichen, konstitutiven Weise wie die beiden nun folgenden Anerkennungsformen die eigentlichen Konfliktfelder des Sozialen. Die zweite Anerkennungsform ist im historischen Verlauf einer Differenzierung entstanden, in der sich die Rechtsverhältnisse von den traditionellen Mustern einer sozial geschichteten Wertschätzung entkoppelten: Zu 2.): Selbstachtung. Erst im Zuge der Abkopplung individueller Rechtsansprüche von sozialen Statuszuschreibungen, d.h. erst mit der Herausbildung "postkonventioneller" Grundbegriffe und entsprechender Institutionen für das Recht kann sich die Anerkennungsweise einer kognitiven Achtung des Anderen erweitern. Mit der Durchsetzung dieser Anerkennungsweise beruht die dem Menschen zugemessene Würde immer weniger auf Position und Status, sondern auf dem Fundament eines universellen Respekts. Was die allgemeine Achtung und Respektierung der Anderen bedeutet, hängt davon ab, wie innerhalb der Gesellschaft die persönliche Autonomie des Rechtssubjekts verstanden werden kann. Das kognitive Verständnis für die Autonomie der Anderen gibt die Voraussetzung für die egalitäre Achtung der Anderen ab. Was Autonomie eigentlich bedeuten kann, wie weit sie im Common Sense verankert ist und unter welchen Bedingungen Menschen von Menschen als autonome, gleichwertige Person respektiert werden können, ist abhängig von der Konfliktgeschichte der Anerkennungskämpfe um Rechtsverhältnisse. In der Retrospektive kann man den Anerkennungskämpfen um rechtliche Selbstbestimmung, die gleichsam als eine Ausweitung der Kampfzone um die Definition neuer Rechte verlaufen, ihre freiheitsverbürgende, egalisierende Gerichtetheit bescheinigen. Honneth illustriert die geschichtliche Entwicklung als stufenweise Erweiterung von Rechten im Rückgriff auf ein Modell T. H. Marshalls: Die ursprünglich im achtzehnten Jahrhundert durchgesetzten Grundrechte werden im neunzehnten Jahrhundert von den politischen Rechten und und im zwanzigsten von den sozialen Rechten ergänzt, um die Partizipationschancen aller BürgerInnen zu ermöglichen. Zu 3.): Selbstwert. Mit der Differenzierung der WertgemeinschaJt von den Rechtsverhältnissen ist auch die dritte Form der Anerkennung, die Wertschätzung, einer grundlegenden Wandlungsbewegung ausgesetzt. Bildete in den vormodernen Gesellschaften das Recht und die Ehre noch einen unauflöslichen Zusammenhang!, so wird mit der Entkopplungsbewegung das Vgl. exemplarisch zu den Strukturierungsleistungen der Ehr- und Würdekategorien innnerhalb einer traditionalen "Wertgemeinschaft" und zur Umstellung auf ein zu- Die Konflikttheorie der Anerkennungstheorie 325 Recht als Anerkennungsform zunehmend auf allgemeingültige Universalismen des Respekts und der Achtung des Anderen verdichtet, während die ständischen Ehrbegriffe als Anerkennungsform der Wertgemeinschaft einer Pluralisierung und Individualisierung ausgesetzt werden. Zwar ist auch ein System standesgemäßer Ehre schon von Anerkennungskämpfen geprägt, doch bleiben diese Kämpfe im "Rahmen einer ständischen Anerkennungsordnung solange eingebunden, wie sie nicht jene substantielle Werthierarchie als solche in Frage stellen, von der das kulturelle Selbstverständnis traditionaler Gesellschaften im ganzen geprägt ist" (Honneth 1992: 201). Die im Hierarchiegefüge religiöser Weltbilder gestaffelten kulturellen Wertprinzipien geben eine feste Ordnung der Formen sozialer Wertschätzung ab. Sie können in Anerkennungskämpfen erst dann zur Disposition gestellt werden, wenn in nachmetaphysischen Begründungszusammenhängen die Grenzen für den Erwerb sozialer Wertschätzung durchlässig werden. Dann folgt die Zumessung der Eigenschaftsdifferenzen nicht mehr den auf Herkunft (Stand, Klasse) beruhenden Kategorien, sondern den Imperativen persönlicher Selbstverwirklichung und den auf meritokratischen, d.h. den auf "konkreten Eigenschaften und Fähigkeiten" beruhenden Kriterien des Ansehens und Prestiges. Selbst unter den Bedingungen eines hochpluralisierten und -individualisierten Systems sozialer Wertschätzung ist die Anerkennung des Anderen jedoch an die Existenz eines übergreifenden Werthorizonts gebunden. Aus der Zwangsläufigkeit, die individuellen Ansprüche der Wertschätzung nur in den umfassenden Kontexten einer Wertgemeinschaft definieren zu können, entsteht eine andauernde Spannung. Noch die neutralsten Begründungen des Pluralilismus oder der Leistungsgesellschaft werden in den Kämpfen um die Wertschätzung des eigenen Lebens einer "sekundären Deutungspraxis", einer Legitimations- und Explikationsbedürftigkeit ausgesetzt. "Weil der Gehalt derartiger Interpretationen seinerseits freilich wiederum davon abhängig ist, welcher sozialen Gruppe es gelingt, die eigenen Leistungen und Lebensformen öffentlich als besonders wertvoll auszulegen, ist jene sekundäre Deutungspraxis gar nicht anders denn als kultureller Dauerkonflikt zu verstehen: die Verhältnisse der sozialen Wertschätzung unterliegen in modernen Gesellschaften einem permanenten Kampf, in dem die verschiedenen Gruppen mit den Mitteln symbolischer Gewalt versuchen, unter Bezug auf die allgemeinen Zielsetzungen den Wert der mit ihrer Lebensweise verknüpften Fähigkeiten anzuheben" (Honneth 1992: 205f.). Mit den Anerkennungsformen sind drei in ihrer Morallogik prinzipiell eigenständige Konfliktebenen gekennzeichnet, die auch miteinander in Konflikt geraten können. Es ist bspw. von vorneherein unklar, ob es in Familien nur um die Anerkennungsebene der Selbstachtung geht, ob also die Rechtsetzung nehmend instrumentell umkämpftes System der Wertschätzung Bourdieu (1987); ferner zu Bourdieus und Honneths Konzepten der EhrelWertschätzung Vogt (1997) 326 Thomas Köhler das geeignete Feld ist, um die genuin modemen Formen der Verletzbarkeit abzufangen, denen Kinder ausgesetzt sind, die die Kontingenzen des hochindividualisierten Beziehungsgeschehens als "sublime Verwahrlosung" erfahren können. Gerade in den Fällen verödeter Gefühlshaushalte können die in Anerkennungskämpfen um subjektive Autonomie und Selbstachtung errichteten Institutionen offenbar kaum mehr bieten als einen notdürftigen Schutzmechanismus, der von aussen in das Familiengeschehen eingreift; die Gefühle der Zuwendung und Liebe lassen sich so aber nicht ersetzen, sondern sind allein über den jenseits des Rechtswegs liegenden Integrationspfad des Kampfes um Selbstvertrauen zu haben. Das Recht kann elterliche Anerkennung nicht ersetzen. Ähnlich verhält es sich mit den Verletzbarkeiten, die erst im brüchig werdenden Rahmen patriarchaler Gewohnheiten entstehen. Während durch den Feminismus und seine Folgebewegungen in Anerkennungskämpfen um neues Recht institutionelle Freiräume geschaffen wurden, die die persönliche Integrität der Frauen schützen und das Fundament für Selbstachtung erweitern, muss das gleichzeitig anwachsende Gewicht, dass das bis zum Zerreissen gespannte "emotionale Band des Familienlebens" belastet, abgefangen werden (vgl. Honneth 2000: 193ff.). Ähnlich wie bei diesem Konflikt zwischen "Rechts modell" und "Gefühlsmodell" der familiären Anerkennungskämpfe lässt sich ein Konflikt analysieren, der in den Konstellationen der Modeme zwischen einem Rechtsmodell und einem Wertschätzungsmodell der Anerkennungskämpfe um (Erwerbs-)Arbeit entsteht. Ob nämlich in den Konfliktlagen, die durch Auseinandersetzungen um Arbeit konstituiert werden, eher um die Selbstachtung gekämpft wird, die durch mehr Chancengleichheit und neue Teilhaberechte sicher zu stellen wäre, oder ob es eher um Fragen der Selbstschätzung geht, bei denen Konflikte um die Lebensweise im Vordergrund stehen, erscheint in den neueren Debatten als durchaus offene Frage (vgl. dazu unten, 4.1.). 2.3. Desintegrative Konflikte als "Missachtungserfahrungen" Obwohl es nicht um den von Hegel in der Phänomenologie beschriebenen Kampf um Anerkennung auf Leben und Tod gehen soll, sondern um ein Konfliktmodell, das die Anerkennungskämpfe als alltägliches Moralgeschehen beschreibt, sind auch diejenigen Konflikte ein Moment des Anerkennungskampfes, die nicht integrativ sein können, weil in ihnen der/die Andere zum abstrakten Gegenüber degradiert wird. Mit der Ausformulierung von positiven Grundlagen in den Anerkennungsformen ist es möglich, Formen der Missachtung zu benennen, die der jeweiligen Anerkennungsweise in extremer Weise negativ entsprechen. Die Analyse der Missachtungsformen ermöglicht dann einerseits Angaben über die Gefühlsreaktionen, die als "affektive Antriebsbasis" für den Kampf um Anerkennung infrage kommen. Sie Die Konflikttheorie der Anerkennungstheorie 327 stellt andererseits Grundlagen bereit, die für eine Einschätzung intakter sozialer Anerkennungsverhältnisse notwendig sind. Diejenige Form der Missachtung, die das Selbstvertrauen zerstört oder sich gar nicht erst entfalten lässt, die also für die personale Identität den "psychischen Tod" bedeutet, ist die körperliche Misshandlung. Vergewaltigung und Folter zerstören die Grundlage für das Gefühl physischer Integrität, das sich mit der in den frühesten Sozialisationsphasen erlernten Verfügung über den eigenen Körper stabilisieren sollte. Die Folge ist, "gepaart mit einer Art von sozialer Scham, ein Verlust an Selbst- und Weltvertrauen, der bis in die leiblichen Schichten des praktischen Umgangs mit anderen Subjekten hineinreicht" (Honneth 1992: 214). Die extremen Formen der Entrechtung, die mit der Sklaverei, der Apartheid und anderen Formen des Ausschlusses von Bürgerrechten praktiziert wurden und werden, sind als Erfahrungen des "sozialen Todes" beschrieben worden. Die Erfahrung von Entrechtung ist verknüpft mit "dem Gefühl, nicht den Status eines vollwertigen, moralisch gleichberechtigten Interaktionspartners zu besitzen; für den Einzelnen bedeutet die Vorenthaltung sozial geltender Rechtsansprüche, in der intersubjektive Erwartungen verletzt zu werden, als ein zur moralischen Urteilsbildung fähiges Subjekt anerkannt zu sein; insofern geht mit der Erfahrung der Entrechtung typischerweise auch ein Verlust an Selbstachtung, der Fähigkeit also, sich auf sich selbst als gleichberechtigter Partner zu beziehen, einher" (Honneth 1992: 216). Die dritte Form der Missachtung, die im Entzug der Wertschätzung besteht, wird von den Betroffenen als Kränkung, Beleidigung und Entwürdigung wahrgenommen. "Die evaluative Degradierung von bestimmten Mustern der Selbstverwirklichung hat für deren Träger zur Folge, daß sie sich auf ihren Lebensvollzug nicht als auf etwas beziehen können, dem innerhalb ihres Gemeinwesens eine positive Bedeutung zukommt; für den Einzelnen geht daher mit der Erfahrung einer solchen sozialen Entwertung typischerweise auch der Verlust an persönlicher Selbstschätzung einher, der Chance also, sich selber als ein in seinen charakteristischen Eigenschaften und Fähigkeiten geschätztes Wesen verstehen zu können. Was also hier der Person durch Missachtung an Anerkennung entzogen wird, ist die soziale Zustimmung zu einer Form der Selbstverwirklichung, zu der sie selber erst mit Hilfe der Ermutigung durch Gruppensolidaritäten beschwerlich hat finden müssen." (Honneth 1992: 217) Die drei Formen gewaltförmig zugefügter Missachtung können von den Subjekten mit den Gefühlen der Scham und Gekränktheit in defensiver Weise hingenommen oder mit Wut und Empörung in offensiver Absicht beantwortet werden. Dabei werden diese Gefühlsreaktionen erst dann die motivationale Basis für einen organisierten Widerstand abgeben, wenn sie sich mit einer öffentlichen Artikulationsweise verbinden. Honneth macht aber auch deutlich, dass die Aufgaben einer Konfliktsoziologie sich in der Hinwendung auf solche Manifestationen von Unrechtsempfindungen nicht erschöpfen dürfen. Gerade die 328 Thomas Köhler Formen unterdrückter oder falscher Artikulation, wie sie jüngst von Bourdieu und seiner Gruppe im ,,Elend der Welt" (Bourdieu u.a. 1997) eindrucksvoll geschildert wurden, fallen in ihren Analysebereich. Jede kritische Theorie sozialer Konflikte muss in der Lage sein, auf der Grundlage eines autonomen begrifflichen Unterscheidungsvermögens dem tatsächlichen Problemgehalt öffentlich artikulierter, dabei vielleicht überdramatisierter Konflikte und den unterdrückten und womöglich fehlartikulierten Widerstandsformen nachzugehen. 3. Die Konjunktur(en) zivilgesellschaftlicher Anerkennungs- und Umverteilungskämpfe Die Thematisierung zivilgesellschaftlicher Anerkennungskämpfe hat zweifellos Konjunktur. Für die in den letzten Jahren zahl- und einflussreicher gewordenen Theorien, die sich um ein Konzept der Anerkennung organisieren (vgl. Taylor 1993; Fraser 1997; Benhabib 1999), scheinen zwei Erfahrungen besonders wichtig: Zunächst sind es diejenigen sozialen Konflikte, die sich mit ihrem Themenspektrum aus Anti-AKW-, Friedens-, Frauen- und Ökologiebewegung wie ein Kranz um ein heterogenes Spektrum von "alternativen" Lebensformen legten. In den frühen 80er Jahren erreichten sie einen Höhepunkt. Kritische Theorien waren nicht nur um die Beantwortung der Frage bemüht, welcher Gehalt eines gesellschaftskritischen Potenzials hier öffentlich inszeniert und artikuliert wurde - um herkömmliche Arbeiter- und somit Klassenkämpfe handelte es sich ja offenbar nicht. Sondern sie versuchten auch, ganz dem thematisierten linkshegelianischen Theorie-Erbe entsprechend, einen reflexiv eingreifenden Beitrag für diese Bewegungen abzugeben. Sie fanden bei den "Neuen sozialen Bewegungen" einen so starken Hintergrund für ihre konzeptuellen Aktivitäten, dass sich aus den vorhandenen Impulsen für "reformierte Lebensweisen" nicht nur schnell eine eigene Forschungsdisziplin herauskristallisieren konnte, sondern ein Diskussionszusammenhang etabliert wurde, in dem vom Aufkommen einer völlig neuen Konfliktform ausgegangen wurde, derjenigen nämlich der Anerkennungsoder Identitätspolitiken, die sich von den Konflikten um ökonomische Ressourcen dadurch unterscheiden, dass sie auf eine neue "Grammatik von Lebensformen" zielen (vgl. exemplarisch Habermas 1985a: 576, 1985b). Bekanntlich ebbten die breitenwirksamen Bewegungen solcher ,,Alternativen" ab. Nicht einmal von den friedlichen Protesten jener ,,nachholenden Revolution", die das Ende des Zusammenbruchs der bipolaren Weltordnung bedeutete und die natürlich den zweiten wichtigen Impuls für neuere Anerkennungstheorien abgibt, konnten diese Formen der herausfordernden Verweigerung industriegesellschaftlicher Selbstverständlichkeiten noch profitieren. Die Konfliktbereiche schienen sich einerseits auf sehr viel kleinere Reichweiten von Politiken der ,,Differenz" und der ,Jdentität" zu verengen, wobei - viel- Die Konflikttheorie der Anerkennungstheorie 329 leicht als Kehrseite solcher zunehmend "multi-kulturellen" Engagements ausgrenzende Ethnisierungen und neue Nationalismen mit ihren neo-nazistischen Auswüchsen die Anerkennungskämpfe prägte; anderseits transformierten die einst bipolar sortierten Konfliktbereiche sich mit dem neoliberalen Globalismus und den weltpolizeilichen Kriegshandlungen in die heiss umkämpften Zonen einer "postnationalen Konstellation" (vgl. Habermas 1998). Im Ergebnis lässt sich einerseits ein genereller Bedeutungsverlust der gerade noch hoffnungsvoll analysierten neuen Konfliktformen beobachten, die zudem, wie es scheint, in eine verhängnisvolle Logik der Konflikte um Identitäten münden. Wenn es stimmt, das hier eine Art degressive Zerfaserung der Konfliktformen einsetzte, dann leuchtet ein, dass insbesondere diejenigen Sozialphilosophien und -theorien schwer unter Druck gerieten, die sich grundbegrifflich allzu unmittelbar an die Präsenz eines kohärenten alternativ-emanzipatorischen Protestpotenzials gebunden hatten. In gewisser Weise wiederholte sich damit eine frustrierende, wenn auch dieses Mal keineswegs ähnlich gravierende Verlusterfahrung der frühen Kritischen Theorie. Für die den "Neuen sozialen Bewegungen" verpflichteten kritischen Theorien entstand nun also beinahe eine Lage wie in den 30er Jahren, als die Hoffnungen auf das Emanzipationspotenzial der Arbeiterklasse begraben werden mussten. Musste jetzt den Spielarten der "negativistischen" Sozialtheorien, der schwärzesten Anthropologien nachgegeben werden, die davon ausgingen, im Zerfallsprozess der Modeme bloß noch nach einer "Überwinterungsstrategie" suchen zu können - oder war das Projekt einer kritischen Theorie einer neuerlichen Öffnung zu unterziehen? In einer Replik auf Enzensberger, der sich in einer Kommentierung des Kuweit-Krieges an die "Racket-Theorie" aus der Dialektik der Aufklärung hielt, mit der man davon reden konnte, das ein Zerfall staatlicher Konfliktordnungen und das Aufkommen archaischer Bandenkriege nicht unwahrscheinlich, sondern als logische Folge eines grundsätzlich defizitären Rationalisierungsprozesses erscheinen musste, verteidigt Honneth seinen "normativ, praktisch-politisch begründeten Optimismus" (Honneth 2000: 268) mit der Behauptung, dass die aufgebrochenen Konflikte eher als Begleiterscheinungen umfassender Demokratisierungsprozesse einzuschätzen seien. Auch im Zusammenhang solcher Begleiterscheinungen ist die Unterscheidung von Verteilungs- und Anerkennungskonflikten wichtig. Danach werden letztere immer weniger als Kämpfe um "Grammatiken neuer Lebensformen" verstanden, sondern zunehmend als Konfliktformen, deren Gegenstand (z.B. eine "völkische" Identität, die aus "Blutsbande" oder "Rasse" abgeleitete, "exklusive" Solidarität) im Sinne von Albert O. Hirschman als tendenziell "unteilbar" kommuniziert wird. So schreibt bspw. Offe (1994: 144): "Symbolische Konflikte um ,Anerkennung', ,Wertschätzung' und ,Respekt' sind nach der Kompromisslogik quantitativer Konzessionen nicht beizulegen; sie unterscheiden sich dadurch von Konflikten um Ressourcen und Rechte." Nach Honneths Anerkennungstheorie sind rassistisch motivierte, ethnisierte, "multikulturelle" Kämpfe, kurz: die gesamten Konfliktbestände der Identity 330 Thomas Köhler Politics durchaus spezifische Konfliktformen des Anerkennungskampfes; und auch Umverteilungskämpfe sind Anerkennungskämpfe. Besonders in der Auseinandersetzung mit Nancy Fraser (vgl. FraserlHonneth i.E.) verdeutlicht Honneth diese Position, nach der die Entgegensetzung von Konflikten um Anerkennung und um ökonomische Ressourcen (recognition and redistribution) nicht sinnvoll ist, weil damit die Theorie primär auf die Ansprüche aussertheoretischer Konjunkturen und politischer Öffentlichkeiten reagieren würde. Folgte sie stärker ihrer immanenten Logik, und hier insbesondere den angewachsenen Erkenntnissen auf den Gebieten der normativistischen Sozialphilosophien, wäre zu trennen zwischen Umverteilungs- oder Identitätskonflikten, die Anerkennungskämpfe sind, und Interessenkonflikten, die nicht in der Lage sind, das soziale Anerkennungsgefüge weiter zu entwickeln. 4. Potenziale und Schwächen der Anerkennungstheorie 4.1. Anerkennungssoziologie der Konflikte im "neuen Kapitalismus" Es gehört zu den erklärten Zielen Honneths, die von ihm entwickelte sozialphilosophische Argumentation so eng wie möglich mit einer Empirie sozialer Konflikte und Pathologien in Kontakt zu halten. Der Leitfaden für eine anspruchsvolle Zusammenarbeit von Sozialphilosophie und Empirie, die ja tatsächlich in den Forschungslandschaften der Sozialwissenschaften nur allzu selten anzutreffen ist, wurde schon entwickelt - in Form eines 1997 veröffentlichten "Arbeitsprogramms" für das traditionsreiche Frankfurter Institut für Sozialforschung. Den Rahmen dieses Programms gibt die Verknüpfung der theoretischen Konzepte einerseits des Kampfes um Anerkennung, andererseits der ZivilgesellschaJt ab, die durch eine ,,konflikttheoretische Dimension" hergestellt werden soll (v gl. Dubiel u.a. 1997 und den Beitrag von Andre Brodocz in diesem Band). Auch wenn dieses Programm noch nicht umgesetzt ist, erwecken Entwicklungen ausserhalb des Instituts schon den Eindruck, dass sich die Anerkennungstheorie in der empirischen Forschung bewähren kann. Zuvor hat sie sich im letzten Jahrzehnt rasant zu einem Gemeingut innerhalb sozialphilosophisch ausgerichteter Sozialwissenschaften etablieren können (vgl. bspw. Meyer 1994). Mittlerweile liegen nicht nur theoretisch, sondern auch empirisch elaborierte Ansätze vor. Hier seien nur zwei genannt. Zunächst die jüngst explizit als ,,Anerkennungssoziologie" an den Start gegangene Initiative innerhalb der Soziologie des Wandels der Arbeit(sgesellschaft), die an der oben erwähnten "Konfliktlinie" zwischen den Anerkennungsformen der Selbstachtung und der Selbstschätzung ansetzt (v gl. Holtgreve u.a. 2000). Eine wichtige These in diesem Band, die von Voswinkel (2000) ausgeführt wird, besteht in der Annahme, dass der Modus Die Konflikttheorie der Anerkennungstheorie 331 der Anerkennung für Leistung einem prinzipiellen Wandel, ja einem "Umbruch" ausgesetzt ist. Immer weniger Bedeutung kann danach die Würdigung eines Arbeitslebens beanspruchen, eine Anerkennungsweise, auf deren Zugehörigkeitsethik etwa das Senioritätsprinzip, d.h. die ökonomische und rechtliche Gratifizierung langjähriger Mitarbeit beruht. Statt dessen gewinnt die Bewunderung von Leistungen an Terrain, in deren Rahmung kurzfristige Erfolge anerkannt werden. Voswinkel analysiert die (1998 vielleicht wahlentscheidend gewesenen) Konflikte um Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, die noch als "Kampf um Anerkennung, präziser um die Aufrechterhaltung der Würdigung der Arbeit" zu verstehen sind. Dieses Konfliktpotential erodiert jedoch, wenn immer mehr Menschen "unter das neue Regime der kurzfristigen Zeit", in den Sog jener von Sennett (1999) beschriebenen "Drift" geraten. Auch die Bielefelder Forschungsgruppe um Wilhelm Heitmeyer hat sich anerkennungstheorischen Kategorien zugewendet. Heitmeyer (i. E.; vgl. auch den Beitrag von Reimund Anhut in diesem Band) knüpft an Sennetts Diagnose des neuen Kapitalismus an und sieht bedrohliche Tendenzen, die in die Richtung einer Kultur der Selbstbehauptung und Diskriminierung weisen. Sein Plädoyer gilt einer Kultur der Anerkennung. Ihrer letzten grossen empirischen Studien legen die Bielefelder ein Analyse-Modell zu Grunde, das dieser Diagnose gerecht werden will. Die drei von Honneth unterschiedenen Anerkennungsformen tauchen hier als emotionale, moralische und positionale Anerkennung auf (vgl. Heitmeyer/Anhut 2000), die entsprechenden Krisenphänomene werden bezeichnet als Kohäsionskrise (fehlender Rückhalt und Isolation), Regulationskrise (steigendes Ungerechtigkeitsempfinden und Rückgang von Rücksichtnahme), sowie als Strukturkrise (steigende Ungleichheit und Ausgrenzung). Von hier aus wird eine hochdifferenzierte Analyse der Konfliktinterdependenzen, aber auch der in jeder Anerkennungsform eigenlogisch verlaufenden Strukturierung von Desintegrationsprozessen möglich. 4.2. Zur Kritik der Anerkennung Gegen die Anerkennungstheorie sozialer Konflikte wird aus der Position traditioneller Kritischer Theorie die Kritik vorgebracht, sie beruhe auf einem Identitätsidealismus: In ihrer Affirmativität und Positivität, mit der sich die Anerkennungstheorie den "unversehrten", "gesunden" Strukturen des Alltagsbewusstseins nähert, äussere sich exakt die unheilvolle identifizierende Logik des Denkens, die die Kritische Theorie durch Reflexion aufzusprengen gesucht habe (vgl. Düttmann 1997). Umgekehrt sieht Andre Gorz in Honneths Arbeit gerade einen weiterführenden Beitrag zur Kritik an der Identitätslogik. Denn das "Nicht-Identische" ist in der Anerkennungstheorie keine Restgröße mehr, auf die sich bloß noch ein Philosoph zurückziehen kann, sondern konstitutives Moment der Lebenswelt (Gorz 2000: 188). Offenbar 332 Thomas Köhler werden erst bei dieser grundsätzlichen Übereinkunft mit den Intentionen eines "Normativismus" Probleme der Anerkennungstheorie kenntlich, die an den Konkretionsstufen und Vermittlungsebenen einer konfliktsoziologisch relevanten Sozialphilosophie auszumachen wären. In die Richtung solcher Argumentationen geht eine bemerkenswerte Rezension, die J.c. Alexander und M.P. Lara anlässlich des Erscheinens von Honneths Kampf um Anerkennung im anglophonen Sprachraum verfasst haben. Ein dort formulierter Einwand lautet, dass eine übermäßig stark anthropologisierende Perspektive über die Kontingenzen sozialer Kämpfe und der institutionellen Infrastruktur ihrer ,Orte' - z.B. Foren, Arenen, Öffentlichkeiten, Organisationen - hinwegtäuschen würde (AlexanderlLara 1996: 130). Honneths Ansatz ist demnach zu ,personalistisch'. Die Perspektive ist auf sozialisationstheoretische Aspekte eingeschränkt, kultur-, symbol- und gesellschaftstheoretisch zu fassende Strukturierungen bleiben unberücksichtigt. Die argumentative Verbindung zwischen menschlichen Bedürfnissen, Sozialstruktur und Pathologien, so der ergänzende Einwand, sei zu eng gefasst, hier fehle es an vermittelnden Kategorien (AlexanderlLara 1996: 131). Selbst bei Hegel, so spitzt Roth (1994) die Kritik zu, hätte es der ,,- nicht immer nur latente - Gewaltzusammenhang der bürgerlichen Tauschverhältnisse" schon einen grösseren Stellenwert gehabt als in der Honnethschen Anerkennungslehre. Vermutlich sind in erster Linie solche Mängel dafür verantwortlich zu machen, das die Anerkennungstheorie auch noch nicht erklären kann, "wie gruppenspezifische Erfahrungen in soziale Konflikte münden" (Benhabib 1999: 72) - eine Kritik übrigens, die angesichts der im letzten Abschnitt vorgestellten Entwicklungen vielleicht schon wieder revidiert werden muss. 5. Literaturverzeichnis 5.1. Verwendete Literatur Alexander, Jeffrey C./Lara, Pia Maria 1996: Honneth's New Critical Theory of Recognition, in: New Left Review, Nov./Dec., S. 126-136. Bourdieu, Pierre 1987: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft, Frankfurt am Main Bourdieu, Pierre/et al. 1997: Das Elend der Welt. Zeugnisse und Diagnosen alltäglichen Leidens an der Gesellschaft, Konstanz. Benhabib, Seyla 1999: Kulturelle Vielfalt und demokratische Gleichheit. Politische Partizipation im Zeitalter der Globalisierung, Frankfurt am Main. Benjamin, Jessica 1993: Die Fesseln der Liebe. 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Aufsätze zur praktischen Philosophie, Frankfurt am Main. 5.3. Einstiegstext Honneth, Axel 1992: Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte, Frankfurt am Main, Kap. 8 (S. 256-273).