Praxis-Optimierungs-Zyklen als Methode zur sozialen Innovation

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Case Studies zur Profilierung der Fachhochschulen
Bürgenstock-Konferenz der Schweizer Fachhochschulen
20. Januar 2006
Profilierung durch Innovation
Praxis-Optimierungs-Zyklen als Methode zur sozialen
Innovation
Daniel Gredig
Æ Folie 2, 1. Abschnitt
Fachhochschulen haben die Aufgabe und den Anspruch durch Forschung neues Wissen zu generieren und in die Praxis zu tragen. Es wird ihnen eine wichtige Position in der Wertschöpfungskette zugedacht, die – wie der Präsident der neuen Fachhochschule Nordwestschweiz (Peter Schmid) zu
sagen pflegt – von der Idee über die Forschung, die Entwicklung, das Design und die Vermarktung
bis zur richtig verbuchten Rechnung reicht.
Fachhochschulen sollen also auf der Grundlage von Forschung und Entwicklung aktiv einen Beitrag
dazu leisten, neue Herausforderungen oder neu sich stellende Probleme erfolgreich zu bearbeiten
oder dann in der Bearbeitung von bekannten Problemen und Aufgaben neue Ansatzpunkte für effektivere Lösungen zu finden. Hiermit ist bei Licht besehen ein Anspruch bzw. eine Verpflichtung auf
Innovation ausgesprochen.
Hierüber besteht weitgehend Einigkeit. Die kritische Diagnose mit Blick auf die Schweiz lautet aber
ab und an, dass das Potenzial zur Innovation, das in der Forschung und Entwicklung der Schweiz
eigentlich steckt, nicht genügend ausgeschöpft und zu wenig konsequent in Produkte überführt würde. Dieser Hinweis wird in der Regel mit einem Seitenblick auf Forschung in naturwissenschaftlichen
Disziplinen und hinsichtlich technischer Entwicklungen gemacht. Gewünscht wird eine konsequentere Überführung von Forschungsergebnissen in ökonomisch verwertbare Produkte und Patente.
Ausserhalb des Bereichs, in dem wir von naturwissenschaftlich erschliessbaren Gesetzmässigkeiten
und technischen Lösungen ausgehen können, und ausserhalb der Sphäre, in der sich unmittelbar
Gewinn erwirtschaften lässt, stellt sich diese Forderung der Überführung von Forschung in neue
Produkte bzw. in eine veränderte Praxis aber genauso. Damit spreche ich konkret den Bereich von
humanbezogenen, nichttechnologischen Dienstleistungen an, wie sie von unterschiedlichen Berufen
in der Pflege, der Lehre, der Erziehung, in der Beratung in Wirtschaft und Politik, in der Mediation
oder insbesondere auch in der Sozialen Arbeit erbracht werden.
Der Bedarf an Innovation im letztgenannten Bereich, also in der Sozialen Arbeit, erweist sich in der
aktuellen Situation sogar als besonders dringlich.
Bürgenstock-Konferenz der Schweizer Fachhochschulen
Daniel Gredig: Praxis-Optimierungs-Zyklen als Methode zur sozialen Innovation
20. Januar 2006
Ende des 20. Jahrhunderts ist auch die Schweiz in eine Phase des beschleunigten ökonomischen
und gesellschaftlichen Wandels eingetreten, der als forcierte Individualisierung zu beschreiben ist.
Traditionelle Muster verlieren an Orientierungskraft, bieten immer weniger verlässliche Ressourcen
zur Bewältigung des Alltags und vermögen keine Sicherheit in der Lebensführung mehr zu vermitteln in einer Gesellschaft, in der – bei anhaltender Ungleichheit und fortwährenden Strukturen der
Benachteiligung – zunehmend jeder seines Schicksals eigener Schmied ist. In diesem Wandel
sehen sich Individuen und auch grössere personale Systeme, wie Familien, grossen Ambivalenzen
und Ambiguitäten ausgesetzt, die als Unsicherheit, Krise oder auch als Bedrohung erlebt werden
und zu deren Bewältigung sie auf Grund derselben gesellschaftlichen Entwicklungen stets weniger
auf gemeinschaftliche Ressourcen und tradierte Bewältigungsmuster zurückgreifen können. Die
Herausforderungen und Risiken der individuellen Lebensführung müssen zunehmend individualistisch und losgelöst von sozial geteilten Mustern der Alltagsbewältigung und Problemlösung gemeistert werden. Dies bringt einen wachsenden Bedarf an psychosozialen Unterstützungsleistungen in
immer wieder neuen Feldern mit sich.
Diese Entwicklungen werden durch weitere, gleichzeitig verlaufende Veränderungen noch akzentuiert. Hierbei ist an die nicht bewältigte Tatsache der Migration zu denken, aber auch an die sich
verändernde Demografie. Zugleich werden Folgen der Globalisierung bemerkbar, wie auch die Folgen der Nutzung dieser Folgen in der ökonomisch-politischen Geltendmachung alter Interessen. Die
Schweiz ist daran, sich mitten in einer globalisierten europäischen Wirtschaft auf die Realität von
vermehrten und konstanten Problemen der Arbeitsmarktintegration einzustellen. Die gesellschaftlichen zentrifugalen Kräfte werden zunehmen und die Lebenslage grosser Teile der Bevölkerung
zusätzlich prekär werden lassen.
Die Soziale Arbeit sieht sich also in immer rascherer Abfolge aufgefordert, in unterschiedlichen Bereichen neue, qualitativ hochwertige Angebote der Problembearbeitung und angemessene Angebote der Prävention zu formulieren.
Gleichzeitig setzt die Finanzlage der Gemeinden, der Kantone und auch des Bundes die Angebotserbringer im Sozialbereich unter Druck.
Die Soziale Arbeit steht heute also unter einem ungewöhnlich starken Innovationsdruck, unter dem
der Erfahrungshintergrund der Praktiker der Sozialen Arbeit allein die erforderlichen Innovationen
nicht mehr zu begründen und zu entwickeln vermag. So ergibt sich auch hier die dringliche Forderung, die Resultate aktueller, wissenschaftlicher Forschung konsequenter als bislang für die Praxis
zu erschliessen.
So alt wie diese Forderung ist aber auch die Einsicht, dass sich Innovation im Bereich von humanbezogenen, nicht-technologischen Dienstleistungen alles andere als trivial gestalten. Praktikable
Lösungen für dieses Vermittlungsproblem stellen damit einen Bedarf dar – doch befriedigende Lösungen liegen nicht vor.
Hier liegt, so meine Aussage in diesem Workshop, die Chance zur Profilierung von Hochschulen für
Soziale Arbeit über die intensive Befassung mit der Hausforderung von Innovation.
Æ Folie 2, 2. Abschnitt
Ich möchte nun in einem ersten Schritt im Sinne der grundsätzlichen Ausgangslage aufzeigen, welches die besonderen Charakteristika von Innovationen im Bereich von humanbezogenen Dienstleistungen, wie z.B. Sozialer Arbeit, sind.
Vor diesem Hintergrund werde ich in einem zweiten Schritt aufzeigen, wie der von uns an der Fachhochschule Nordwestschweiz entworfene Praxis-Optimierungs-Zyklus eine Antwort auf Innovationsbedarf in Sozialer Arbeit darstellen kann und werde ihn und seine Spezifika vorstellen.
Ich führe dies aus, um plausibel zu machen, dass Fachhochschulen für Soziale Arbeit auf der
Grundlage eines solchen Verständnisses von Innovation in der Lage sind,
1) ein produktives Glied in der Innovationskette von humanbezogenen, sozialen Dienstleistungen zu
sein und
2) sich gleichzeitig als Hochschule auch im internationalen Rahmen zu profilieren.
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Charakteristika von humanbezogenen Dienstleistungen
Æ Folie 3, 1. Abschnitt
Wenden wir uns also den Eigenheiten von humanbezogenen Dienstleistungen zu:
Personenbezogene Dienstleistungen werden typischerweise nicht für den Klienten/die Klientin oder
an Stelle des Klienten/der Klientin erbracht, sondern mit dem Klienten oder der Klientin. Beratung,
Unterstützung, Empowerment und Bildungsprozesse sind Prozesse, die in Form einer Kooperation
von Klient/in und Professionellem verlaufen. Die professionelle Sozialarbeiterin/der professionelle
Sozialarbeiter kann nicht an Stelle ihres/seines Klienten dessen Krise bewältigen. Sie/er kann den
Veränderungsprozess initiieren und begleiten. Sie/er kann Unterstützung gewährleisten, Ressourcen
beschaffen, Arrangements treffen und sich advokatorisch für den Klienten/die Klientin verwenden
und den Erfolg des Erreichten nachhaltig zu sichern helfen. Doch die Veränderung an sich, ist letztlich eine Aktivität seitens der Klienten. Der Erfolg der Intervention wie auch der Prävention realisiert
sich nämlich in einer anderen, kompetenteren, freieren und stärker selbstbestimmen Praxis der Lebensführung des Klienten/der Klientin. In dieser Kooperation steuert der Klient/die Klientin mit, er/sie
ist unverzichtbarer Teil der Problemlösung.
Zudem sind diese Dienstleistungen prozesshaft und zu Beginn des Prozesses ist der Endpunkt nicht
schon mit Sicherheit bestimmbar bzw. vorwegnehmbar. Vielmehr ist dieser Prozess ergebnisoffen,
da der Klient/die Klientin als Koproduzent/in der Lösung über diese Lösung mitbestimmt und mitsteuert.
Dies ist vor dem Hintergrund zu verstehen, dass sich humanbezogene Dienstleistungen eben an
Menschen richten, d.h. nicht tote Materie zum Gegenstand haben, die naturgesetzlich determiniert
berechenbar ist und vorausgesetzt, die Gesetze sind bekannt, zielsicher bearbeitet werden kann.
Eine Bearbeitung von Realität auf der Grundlage von bekannten gesetzmässigen Regularitäten und
Kenntnissen über Gesetzmässigkeiten der Veränderung bedeutet eine technologische Lösung.1 Eben gerade dies ist aber im Falle der Arbeit mit Menschen nicht möglich, da sie zwar durch soziale
Regularitäten mit bestimmt, aber nicht determiniert sind. Es handelt sich bei Menschen um Subjekte,
die sich und ihre Umwelt selbsttätig verändern können, Einfluss nehmen und dadurch Realität –
neue Realität – schaffen. Die personenbezogene Problembearbeitung entzieht sich deshalb einer
technologischen Bearbeitung. (Sie sind vielmehr durch eine technologische Unbestimmtheit charakterisiert.)
Diese komplexen, in Kooperation mit den Klienten und Klientinnen erbrachten „Produkte“, wie z.B.
Beratung, können deshalb nur von Professionellen in direkter Interaktion mit den Klientinnen und
Klienten erbracht und nicht unabhängig von ihnen hervorgebracht werden.
Æ Folie 3, 2. Abschnitt
Innovation in Sozialer Arbeit vermittelt sich deshalb immer über Professionelle, die neues Wissen
aufnehmen, verarbeiten, in Konzepte fassen und in ihr eigenes Handeln integrieren.
Innovation ist mithin nur über Kommunikation und damit selbst in einem sozialen Prozess anzustossen. Innovation steht in der Sozialen Arbeit also für eine neuartige Vorstrukturierung der professionellen Handlungsvollzüge. Sie hat die Gestalt von Weiterbildung von Professionellen, von Organisationsentwicklung und der gezielten Entwicklung von Handlungskonzepten.
1
Technologische Aussagen haben eine ebenso allgemeine Form wie Gesetzesaussagen und folgen dem Muster:
Wenn die Bedingung B realisiert ist, dann kann mit den Mitteln M verfahren werden, um ein gesetztes Ziel Z zu erreichen. Oder: Wenn Z erreicht werden soll, dann sind diese oder jene B zu realisieren und diese oder jene M zu
verwenden. Hierbei – und nun kommt das Postulat der Wertfreiheit ins Spiel – ist nach Hans Albert folgendes zu
beachten: „Die technologische Formulierung einer empirischen Wissenschaft enthält nicht die Aufforderung, bestimmte Mittel zu verwenden, sondern nur die Behauptung, bestimmte Ziele könne man nicht erreichen, ohne die
einen oder die anderen Mittel zu verwenden. (...) Die Technologie nimmt dem Handelnden nicht die Entscheidung
ab, auch nicht die über die anzuwendenden Mittel, sondern sie erleichtert ihm die Möglichkeitsanalyse. Sie beantwortet nicht die Frage: Was sollen wir tun?, sondern nur die andere Frage: Was können wir tun?“ (Albert 1967,
S. 113) Technologische Systeme informieren demnach über menschliche Handlungsmöglichkeiten. Sie legen aber
weder die Realisierung bestimmter Ziele noch die Verwendung bestimmter Mittel nahe. Sie orientieren nur darüber,
wie man bestimmte Wirkungen erzielen kann.
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Daniel Gredig: Praxis-Optimierungs-Zyklen als Methode zur sozialen Innovation
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Evidence-based Intervention Development: Praxis-Optimierungs-Zyklus
Ein solches Handlungskonzept hat eine gesteigerte Chance eine effektivere Problembearbeitung
darzustellen, wenn sie sich den Erkenntnissen von aktueller Forschung entlang bewegt. Aus der
Forschung ergeben sich die Ansatzpunkte für die Intervention, die Ebenen der Einflussnahme und
die Wirkungsrichtung der einzelnen Aktion.
Æ Folie 4
Dies darf nun aber nicht zur Vorstellung führen, es sei damit getan, neueste Forschungsergebnisse
in Form von Hochglanzbroschüren an die Praxis zu verschicken und auf den viel beschworenen
Transfer zu hoffen. Es ist nicht damit getan, wissenschaftliches Wissen aus dem System der Wissenschaft und Forschung im Medium der Sprache über den Bereich der Hochschule hinaus in den
Bereich der Praxis hineinzutragen. Denn damit wird Wissen längst noch nicht handlungsleitend. Diese Position des Wissenstranfers übersieht, hier ist Bernd Dewe beizupflichten, dass ein auf Generalisierung ausgerichtetes Erklärungswissen, wie es Ergebnis von Forschung ist, „als solches
prinzipiell unanwendbar ist und mit Handlungswisen nicht in eins gesetzt werden kann.“ (Dewe
2005, S. 369). Oder, wie mein Kollege Stefan Schnurr letzthin pointiert formulierte: „Wissen handelt
nicht“ (Schnurr 2005). Ein solches Modell eines unilinearen Transfers von Wissen aus dem Kontext
der Wissensgenerierung in den Kontext der Verwendung erweist sich als technokratisches Missverständnis und führt zu Problemen, die uns bekannt sind: Abstrahierendes wissenschaftliches Wissen,
das den Anspruch erhebt, Handeln anleiten zu wollen, kann der Irrelevanz bezichtigt, als realitätsfremd entwertet und als dem Elfenbeinturm entsprungen diskreditiert werden. Umgekehrt kann Praxis, die nicht willig die neueste und beste verfügbare Evidenz „umsetzt“, der Ignoranz bezichtigt, als
untauglich gebrandmarkt und als unverantwortlich bezeichnet werden. Diese Vorwürfe und Abwertungen von beidseits der Grenzlinie sind gängig und führen nicht zu Innovation.
Solche häufig gepflegten unterkomplexen Vorstellungen von Wissenstransfer gehen von einer verfehlten Vorstellung von der Struktur des handlungsleitenden Wissens von Praktikern/Praktikerinnen
aus.
Folgt man der Analyse von Dewe, Ferchhoff und Radtke (1992), ist professionelles Handeln von einer eigenen, spezifischen und von wissenschaftlichem Wissen deutlich unterschiedlichen Wissensform geleitet. Das Eigentümliche dieser Wissensform ist ihr hybrider Charakter. Handlungsleitendes
Wissen von Praktikern/Praktikerinnen vereint unterschiedliche Formen von Wissen, die aus unterschiedlichen Reservoirs expliziten Wissens gespeist werden. Handlungspraktisches Wissen konstituiert gewissermassen einen „eigenständigen ‚dritten’ Wissensbereich“ (Dewe 2005, S. 368), der
aus der Begegnung von wissenschaftlichem und handlungspraktischem Wissen resultiert.
Wir, damit meine ich Peter Sommerfeld und ich, gehen deshalb davon aus, dass von der TransferVorstellung dringlich Abschied genommen werden sollte, auch und gerade im Rahmen von Modellen
der evidence-based practice und forschungsbasierter Innovation. Die Vorstellung eines Grenzübertritts wissenschaftlichen Wissens über die schmale Grenzlinie zwischen Wissenschaft und Praxis
hinweg sollte ersetzt werden durch die Vorstellung, dass zwischen Wissenschaftswissen und Praxis
ein Feld besteht, das heisst also ein Raum besteht, in dem sich handlungsleitendes Wissen aus der
Zusammenführung, d.h. aus der Relationierung unterschiedlicher Wissensformen prozesshaft ergibt.
Dieses Feld ist mithin als ein Raum zu sehen, in dem in einem Prozess der Verbindung von Wissen
unterschiedlicher Herkunft handlungsleitendes Wissen generiert wird. Die Vorstellung von WissensTransfer ist somit durch die Vorstellung eines Prozesses der Generierung von handlungsleitendem
Wissen, einem qualitativ anderen Wissen also, zu ersetzen.
Praxis-Optimierungs-Zyklen
Æ Folie 5
Der Praxis-Optimierungs-Zyklus den wir designed haben, macht diesen Hybridisierungsprozess von
unterschiedlichen Wissensformen zum Kern der Entwicklung von neuen Handlungskonzepten.
In diesem Prozess können vier Phasen unterschieden werden. Die Generierung von neuem Wissen
zum Problem und dessen Ursachen (klassische Forschung), die Phase der Konzeptentwicklung unter Nutzung von Evidenz, die Phase der Implementierung des Handlungskonzepts (in einem Pilotprojekt) und die Evaluation der Umsetzung und Wirkung des Konzepts.
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Daniel Gredig: Praxis-Optimierungs-Zyklen als Methode zur sozialen Innovation
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Dieser Prozess ist nicht als lineare „Entwicklung“, sondern als steter Kreislauf zu verstehen, insofern
als Erkenntnisse aus wissenschaftlicher Evaluation einen erneuten Ausgangspunkt für weitere Entwicklungen darstellen und zu einer wiederum innovativ erneuerten Handlungspraxis führen können.
Dieser Prozess ist also als ein wissenschaftlich begründeter Praxis-Optimierungs-Zyklus zu verstehen.
Konzentrieren wir uns nun auf den Prozess der Konzeptentwicklung. Dieser ist ja vor dem Hintergrund des eben Gesagten das entscheidende Element in diesem Kreislauf der Optimierung.
In dieser Phase muss nun handlungsleitendes Wissen generiert und in ein Normkonzept für professionelle Handlungsvollzüge gegossen werden. Dies ist nun gewissermassen das „Feld“ bzw. der
„Raum“ zwischen Wissenschaft/Forschung einerseits und Praxis andererseits. Dort sollen Wissensbestände aus unterschiedlichen Reservoirs zu den hybriden, handlungsleitenden Wissens-, Deutungs- und Handlungsmustern verwoben werden mit je unterschiedlichen Anteilen und Gewichtungen im Einzelfall.
Æ Folie 6
Ich folge dabei einer Typologie, die von SCIE (dem Social Care Institute for Excellence in London)
entwickelt wurde. Zusammengeführt werden:
•
Unmittelbares wissenschaftliches Wissen
•
Professionswissen
•
Organisationswissen
•
Nutzer/innenwissen (selbst hochgradig hybrid)
• Policy community knowledge
Der entscheidende Punkt ist nun, dass dieses Wissen nicht in abstrakter Form vorliegt, sondern von
Personen hineingetragen und zur Verfügung gestellt wird. Die Hybridisierung des Wissens wird also
in einen sozialen Prozess eingebettet, in dem sich unterschiedliche Träger von Wissen mit dem Ziel
der Generierung eines Handlungskonzepts begegnen: Sozialarbeitende aus der Praxis, Klienten/Klientinnen, Wissenschaftler/innen, Manager/innen, Politiker/innen und andere Berufsangehörige.
Ein solcher Prozess bedarf gewisser methodischer Prinzipien. Uns scheinen das die Folgenden zu
sein:
Æ Folie 7
Die gemeinsame Arbeit ist dadurch gekennzeichnet, dass
•
die Träger der unterschiedlichen Wissensbestände in einem von Reflexion begleiteten Prozess projektförmig zusammengeführt werden. Es handelt sich um ein Arbeitsbündnis auf
Zeit.
•
Die Arbeit erfolgt nahe am oder im Anwendnungskontext.
•
Die Beteiligten stehen in einer gleichberechtigten Kommunikationssituation, in der die regulative Idee des besseren Arguments gilt. Das Verhältnis ist also symmetrisch.
•
Die Wissenschaftler/innen als Träger von Wissen agieren nebst Träger/innen anderen Wissens, und treten also nicht als Forschende und nicht als „spiritus rector“ und als Besitzende
eines überlegenen Wissens auf – die Praktikerinnen umgekehrt aber genauso wenig. Die
Arbeit ist also heterarchisch organisiert.
•
Die Wissenschaftler/innen müssen über entsprechende Skills verfügen, die ihnen erlauben,
in einem solchen Kontext angemessen agieren zu können. (Die Teilnahme an solchen Prozessen ist deshalb nicht Teil der Berufsrolle aller Wissenschaftler/innen oder Forschenden.)
Dieser Prozess führt nicht nur zu einem Handlungskonzept. Denn so wie wir den Prozess als kooperativen, symmetrischen oder eben heterarchischen Prozess zwischen Wissenschaft und Praxis konzipieren, findet darin eine beidseitige Transformation von Wissen statt. Das, was in der Praxis für die
Praxis an handlungsleitendem Wissen entwickelt wird, ist selbst wieder Material für die wissen-
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schaftliche Arbeit. Ohne jeden Zweifel werden die beteiligten Wissenschaftler/innen an einem solchen Prozess mit einer Fülle von Fragen an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. Und Fragen bilden den
Treibstoff, mit dessen Hilfe sich die Wissenschaft reproduziert. Es könnte so etwas Seltenes wie eine gegenseitige Befruchtung stattfinden, in diesem Fall zwischen Wissenschaft und Praxis.
Die Erprobung
Unser Team an der Fachhochschule Nordwestschweiz postuliert nun diesen Zyklus nicht nur theoretisch, sondern untersucht ihn in einem exemplarischen Programm mit dem Titel: Evidence-based
Intervention Development.
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Die Architektur der Programms:
•
Vier Projekte, in denen in einer Partnerschaft aus Mitarbeitenden der Hochschule für Soziale
Arbeit der FHNW mit einem Praxispartner einen Praxis-Optimierungs-Zyklus durchlaufen:
Forschung, Konzeptentwicklung, Implementation, Evaluation
•
Diese Projekte führen zu vier spezifischen Interventionskonzepten in vier unterschiedlichen
Feldern der Sozialen Arbeit
•
Die vier Projekte werden übergreifend dicht beschrieben und evaluiert, um zu einem Prozessmanual zu solchen Praxis-Optimierungs-Zyklen zu gelangen, das schliesslich zur Nutzung durch andere weitergereicht werden kann.
•
Damit ein solcher systematischer Vergleich über die Interventionsprojekte hinweg möglich
ist, werden die Vorgehensweisen an den zwei Schlüsselstellen gleichgeschaltet:
Die Konzeptentwicklung verläuft nach einem Prozessmanual, das im Rahmen des Programms eigens entwickelt wird und die Abläufe bis zu einem bestimmten Grad vereinheitlicht
und damit vergleichbar macht.
Die Evaluation verläuft ebenfalls nach einem vorgegebenen Design, das wiederum für die
Vergleichbarkeit im Vorgehen sorgt und eine übergreifende Aussage zulässt.
•
Zwei Projekte sind angelaufen:
Das erste wurde von der Schuldenberatungsstelle „plusminus“ in Basel angestossen. Die in
der Beratung tätigen Professionellen stellen ein für sie neues Phänomen fest: Verschuldung
schon bei jungen Erwachsenen. Ihrer Erfahrung und ihrem Eindruck nach, stehen nicht einfach dieselben Prozesse und Gründe hinter der Verschuldungssituation, die den Rückgriff
auf professionelle Hilfe notwendig werden lässt, wie bei älteren Betroffenen. Sie sind ungewiss, ob dieser Eindruck stimmt und wo und wie sie denn präventiv eingreifen könnten.
Das Projekt unter der Leitung von Elisa Streuli untersucht nun in Zusammenarbeit mit dem
Praxispartner die Prozesse der Verschuldung bei jungen Erwachsenen im Alter zwischen 18
und 25 Jahren und Prädiktoren von Verschuldung.
Im Anschluss daran wird mit einem Praxispartner Freizeitaktion, der sich entschieden hat, in
diesem Bereich aktiv zu werden, ein Konzept zur Präventionsarbeit mit Jugendlichen entwickelt, wobei dem Prozessmanual gefolgt wird, das im Programm EBID (Evidence-based Intervention Development) entwickelt wurde.
Die Freizeitaktion wird dieses Präventionsprogramm durchführen und sich dabei von EBID
evaluieren lassen.
Das Projekt ist vom SNF DORE mitfinanziert und ist im Herbst 2005 angelaufen.
Das zweite Projekt wird auf Anfrage der Aidshilfen der Zentralschweiz durchgeführt. Ausgangspunkt ist hier die Erfahrung der Aidshilfen Luzern, Zug und Schwyz in der anonymen
Telefonberatung, dass sie heterosexuellen Männern keine für sie spezifischen Angebote der
HIV-Prävention machen können. Heterosexuelle Männer sind, wie auch schon anderweitig
festgestellt wurde, die in der Prävention gewissermassen vergessen gegangene Gruppe. Sie
haben von den Nationalfondsstudien der Hochschule für Soziale Arbeit zum Schutzverhalten
von Männern erfahren in denen wir aufzeigten, dass das Schutzverhalten u.a. ganz entscheidend davon beeinflusst wird, welche Kultur die Männer in ihrem Umgang mit dem eige-
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nen Körper haben. Sie wandten sich nun an uns mit der Bitte, ob wir sie nicht beraten könnten, wie sie denn Männer ansprechen könnten unter Berücksichtigung der körperbezogenen
Kultur der beratenen Männer. Hieraus entsteht nun ein Projekt zur Entwicklung einer für
Männer spezifischen Präventionsmassnahme. Dieses Projekt steht allerdings noch ganz am
Anfang. Projektstart ist diese Woche.
Zum Schluss
Die Praxis-Optimierung-Zyklen stellen überdies eine für die Soziale Arbeit kennzeichnende Figur
dar: Sie führen die Untersuchung von Ursachen und Dimensionen von sozialen Problemlagen mit
der Untersuchung der Bearbeitung dieser Problemlagen zusammen. Diese Figur ist zugleich das
Paradigma der Wissenschaft Sozialer Arbeit – und kommt hier in prominenter Weise zum Tragen.
Es ist also nicht von ungefähr, dass diese Überlegungen und Entwicklungen in der Sozialen Arbeit
gemacht werden. Und angesichts der hochschulischen Landschaft in diesem Fach ist es auch nicht
erstaunlich, dass dies an einer Fachhochschule geschieht.
Æ Folie 9
Fachhochschulen, die Innovationsprozesse bewusst studieren, konzipieren und mitgestalten, werden zu einem produktiven Glied in der Innovationskette im Bereich von humanbezogenen sozialen Dienstleistungen – in der Sozialen Arbeit wie auch in anderen Feldern der personenbezogenen
Dienstleistungen.
Dieses Glied in der Kette dürfte auch noch stärker beansprucht werden – häufig finden wir heute
noch starke und weitereichende Umwälzungen in der Praxis und immer wieder zahlreiche Neuerungen, ohne dass sie allerdings die Qualität hätten, evidenzbasiert zu sein. Hierin sehe ich auch das
künftige Potenzial einer konzentrierten Befassung mit Innovationsprozessen: Sowohl für eine
heute hart geforderte Praxis als auch für eine mit diesen Organisationen in der Innovation kooperierenden Hochschule für Soziale Arbeit. Eine solche kooperative Innovationspraxis auf gleicher Augenhöhe ist noch kein verbreiteter Alltag.
Das Programm „Evidence-based Intervention Development“ ist in der scientific community wie auch
in der Praxis auf Interesse und Beachtung gestossen. Unser Modell der Metareflexion auf Prozesse der Innovation und der kooperativen Wissensbildung im Zusammentreffen von wissenschaftlichen Methoden, Praxisproblemen und Klientenpräferenzen hat im Kontext der internationalen Diskussion der Sozialen Arbeit und in der epistemologischen Debatte bereits im jetzigen Stadium
Resonanz erfahren und an den internationalen Meetings und Tagungen für Aufsehen gesorgt.
Sich hier zu engagieren und sich von all zu einfachen Transfervorstellungen zu verabschieden lässt
eine Hochschule für Soziale Arbeit, die sich nicht vorschnell praktisch gibt, sondern den Aufwand für
fundierte theoretische Reflexion und methodisch einwandfreie, hoch stehende Forschung betreibt,
die auch in der scientific community bestehen kann, ein deutliches Profil gewinnen – interessanterweise ein sehr praktisches.
Durch die Kooperation von Wissenschaft und Praxis in diesem komplexen Feld erweitert sich übrigens auch etwas, was man die „Innovationskompetenz“ der Praxis nennen könnte, was zunächst für
die mit uns kooperierenden Stellen und Organisationen selbst von grossem Gewinn darstellt. Eine
solche Kompetenzerweiterung ergibt aber darüber hinaus unübersehbar auch einen gesellschaftlichen Nutzen.
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Literatur:
Albert, Hans (1967): Marktsoziologie und Entscheidungslogik. S. 113
Dewe, Bernd/Ferchhoff, Wilfried/Radtke, Frank-Olaf (1992): Erziehen als Profession. zur Logik professionellen Handelns in pädagogischen Feldern.
Dewe, Bernd (2005): Von der Wissenstransferforschung zur Wissenstransformation: Vermittlungsprozesse – Bedeutungsveränderungen. In: Antos, Gerd/Wichter, Sigurd (Hrsg.): Wissenstransfer
durch Sprache als gesellschaftliches Problem.
Schnurr Stefan (2005): Reflexives Professionswissen. Referat anlässlich der International Conference What Works. Welches Wissen braucht die Soziale Arbeit?, 10.-12. November 2005, Bielefeld.
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