Kindliche Sexualität und Sexualerziehung

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Entwicklung der Sexualität
Sexualität ist untrennbar mit dem Menschsein verbunden. Wir werden mit einem weiblichen oder
männlichen Körper geboren. Von Geburt an beschert uns dieser Körper Empfindungen, Sinneseindrücke, Lust, Gefühle, Bedürfnisse.....
Die sexuelle Entwicklung ist ein Teil der Persönlichkeitsentwicklung. Sie umfasst so wichtige Aspekte
wie:
Identität
 Körperbild, den eigenen Körper kennen und achten. Dazu gehört Wissen über den Körper inklusive sexuelle Aufklärung (das bin Ich von Kopf bis Fuß)
 Frauenbild / Männerbild (das bin ich als Frau / Mann, als Mädchen / Junge),
 Wahrnehmen, Ernstnehmen, Benennen, Differenzieren von Gefühlen (was ich fühle ist Teil
von mir und daher ernst zu nehmen)
 ….
Beziehung
 Geben und Nehmen von Zärtlichkeit, Hautkontakt, Geborgenheit in Beziehung zu anderen
Menschen
 Neugier auf den Körper anderer Menschen, das Bedürfnis andere zu berühren, selbst berührt
zu werden,
 Grenzen setzen, Grenzen achten,
 Freiwilligkeit und Gleichwertigkeit
 ….
Lust, Sinnlichkeit, Fruchtbarkeit
 Lust am eigenen Körper, den Körper zu spüren, sich selbst zu streicheln sind wichtige Voraussetzungen für Lebenslust und Lebensfreude und dafür anderen Lust zu bereiten,
 Genuss über die Sinne
 Schöpferische Kraft, Kreativität.
 ….
Normen und Werte
 Was gehört sich, was gehört sich nicht?
 Wann muss ich angekleidet sein, wann nicht?
 Was ist intim / Intimsphäre?
 ….
Die Normen und Werte, die wir verinnerlicht haben, beeinflussen in starker Weise, wie wir Sexualität
leben und ausdrücken. Vieles, was die Sexualität betrifft, ist eine Frage der persönlichen Einstellung, der kulturellen und religiösen Werte, denen man sich verpflichtet fühlt.
Kinder sind in ihrer sexuellen Persönlichkeitsentwicklung in großem Maße von den Einstellungen
ihrer Bezugspersonen abhängig. Welchen Umgang sie mit dem eigenen Körper lernen, welche Formen von Zärtlichkeit und Berührung sie erfahren, wie sie mit Bedürfnissen nach Nähe und Abgrenzung umgehen, wie sie die Geschlechterrollen erleben, welche Informationen sie über Sexualität
erhalten. Das und vieles mehr ist beeinflusst von davon, welche persönliche Einstellung ihre Bezugspersonen zu den vielseitigen Bereichen von Sexualität haben und wie sie die verschiedenen Aspekte
von Sexualität vorleben.
Zur Entwicklung einer selbstbestimmten, lebensbejahenden Persönlichkeit brauchen Mädchen
und Jungen auf ihrem Weg zur Frau und zum Mann pädagogische Aufmerksamkeit und
Unterstützung, die von einem positiven Bild der Sexualität geprägt ist.
Dabei ist es ganz wichtig zu beachten, dass kindliche Sexualität sich von der Sexualität Erwachsener
in vielen Bereichen unterscheidet. Wie die gesamte kindliche Persönlichkeit befindet sich auch
seine Sexualität in einem ständigen Veränderungsprozess. Ein Vergleich zum Grundbedürfnis Essen
soll die Bedeutung dieser Unterschiede zwischen kindlicher und erwachsener Sexualität verdeutlichen: Die Ernährung Erwachsener ist für Säuglinge völlig ungeeignet, unverdaulich und gesundheitsschädlich. Auch Kleinkinder benötigen eine andere Konsistenz und Würze als Erwachsene. Selbst
Schulkindern schmeckt noch nicht alles, was Erwachsene bevorzugen.
Hier die wichtigsten Unterschiede zwischen erwachsener und kindlicher Sexualität zusammengefasst:
(Quelle: U. Freund, D. Riedel-Breidenstein : Sexuelle Übergriffe unter Kindern / Handbuch zur Prävention und Intervention, Verlag mebes und noack, 2006)
Erwachsene Sexualität
 bezieht sich im Wesentlichen auf die Geschlechtsorgane, ist also überwiegend genitale Sexualität.
 Sie zielt zumeist auf körperliche Vereinigung und sexuell befriedigende Höhepunkte (Lustaspekt) und gegebenenfalls auf Fortpflanzung.
 Die meisten Erwachsenen leben ihre Sexualität mit ausgewählten Sexualpartnern (Beziehungsaspekt).
 Sie haben dabei die gesellschaftlichen und biologischen Folgen im Blick.
 Sie orientieren sich an moralischen Regeln, die ihnen die Gesellschaft und / oder religiöse
Überzeugung vorgeben.
Kindliche Sexualität:
 Ist umfassender und kennt vielfältigere Formen sinnlichen Erlebens. Sie stellt keine noch unreife Form erwachsener Sexualität dar.
 Je jünger Kinder sind, umso mehr erleben sie die Sinneswahrnehmungen ihres ganzen Körpers als lustvoll. Sie kennen bei ihren sexuellen Bedürfnissen noch keine Trennung zwischen
Zärtlichkeit, Schmusen und genitaler Sexualität. Kinder erleben Sexualität ganzheitlich.
 Sie beziehen aber genitale Erregung schon in den ersten Lebensmonaten in ihr Handeln mit
ein.
 Sie äußern ihre Bedürfnisse spontan, unbefangen voller Neugier - und verinnerlichen erst im
Laufe der ihrer Kindheit gesellschaftliche Sexualnonnen und entwickeln Schamgrenzen.
 Ungefähr ab dem fünften Lebensjahr und verstärkt im Grundschulalter erleben Kinder bereits
Gefühle von Verliebtheit für andere Kinder.
 Sie sind voller Bewunderung und suchen die Nähe und Zärtlichkeit des geliebten Kindes. Diese Verliebtheit empfinden Mädchen für Mädchen, Jungen für Jungen und auch Mädchen und
Jungen füreinander. Anders als bei Erwachsenen gipfeln die Zärtlichkeitsbedürfnisse jedoch
nicht in Wünsche nach sexueller Vereinigung, sondern umfassen Verhaltensweisen wie inniges Ansehen, Berührungen, Kuscheln, an den Händen fassen und leichte Küsse.
 Manchmal gelten diese Gefühle von Verliebt sein auch einer erwachsenen Person aus ihrem
Umfeld. Die Kinder schwärmen für diesen Menschen, finden seine Äußerungen und Fähigkeiten beeindruckend, imitieren diese und zeigen sich selbst mit ihren Talenten, um die Aufmerksamkeit und Zuneigung dieses Menschen zu gewinnen. Sie wollen ihm körperlich nahe
sein, auf seinem Schoß sitzen, sein Gesicht streicheln. Sie bekommen leicht Herzklopfen und
erröten in seiner Nähe. Sie können dabei sehr starke Gefühle erleben, aber es bleiben kindliche Gefühle, die keine Sehnsucht nach erwachsener Sexualität kennt.
 Kinder wollen keine erwachsene Sexualität praktizieren, diese aber durchaus mit anderen
Kindern zusammen imitieren, d.h. über Geschlechtsverkehr informierte Kinder, spielen mitunter solche Situationen. Dazu veranlassen sie aber nicht Begehren und Lustgefühl, die denen Erwachsener vergleichbar sind sondern spielerische Neugier, wie Geschlechtsverkehr
wohl funktioniert. Es ist ein Ausprobieren von Erwachsenen-Rollen, ….
 Kinder haben keine festen „Sexualpartner"“ sondern richten ihr Interesse auf die Menschen,
die mit ihnen leben und ihnen nahe sind. Auch Verliebt sein führt nicht zu einer sexuellen Exklusivität, d.h. auch ein verliebtes Kind sucht sinnliches Erleben mit weitern Menschen. Das
können andere Kinder sein, aber auch Erwachsene, die mit ihnen kuscheln und schmusen.
Jugendliche Sexualität:
 Die in der Pubertät einsetzende Geschlechtsreifung und Ausbildung der Geschlechtsmerkmale wird durch ein Zusammenspiel von Sexual-und Wachstumshormonen verursacht. Die erste
Menstruation bei Mädchen und der erste Samenerguss bei Jungen weisen auf die beginnende erwachsene Sexualität und Fruchtbarkeit/Zeugungsfähigkeit hin. Hormone verändern
auch emotionale Befindlichkeiten der Heranwachsenden. Selbstzweifel, Selbstüberschätzung,
Weltverbesserungsideen, Weltschmerz, Rückzug und Wutausbrüche, Empfindlichkeit, Ängste
und Risikoverhalten können nun vermehrt zum Ausdruck kommen und stehen oftmals miteinander in heftigem Widerspruch. Gleichzeitig sind die hormonellen Umstellungen nicht für
alles verantwortlich.
 Die Gehirnentwicklung durchläuft im Jugendalter große Veränderungen. Der Umbau des Gehirns dauert etwa zwischen zwei und drei Jahren. Der Neurologe Jay Giedd zeigte am National Institute of Mental Health mit Magnetresonanzbildern, dass im Alter zwischen elf und
zwölf Jahren ein Umbau der Verbindungen im Gehirn beginnt. Zum Ende der Kindheit wächst
die Zahl der Verbindungen im Gehirn zunächst noch einmal stark an, um mit Beginn der Pubertät wieder stark zurückzugehen. Es wird angenommen, dass die Nervenverbindungen absterben, die selten gebraucht wurden. Der Reifungsschritt des Gehirns verläuft von den einfachen zu den komplexeren Funktionen des Gehirns. Zuerst werden visuelle Wahrnehmung,
dann Gehör und Tastsinn besser, danach folgen z.B. Raumorientierung, Sprachzentrum und
Denkvermögen. Zuletzt erreicht der Reifungsprozess den präfrontalen Cortex, der u.a. der
Hauptsitz der Besonnenheit und Vernunft ist. Hier werden Emotionen reguliert, Impulse gebändigt und die Folgen von Handlungen bedacht. Solange der präfrontale Cortex nicht ausgereift ist, gibt es kaum ein Gegengewicht zum Belohnungssystem, welches bei Jugendlichen
sehr aktiv ist.
 Auch das Erkennen von Gefühlen findet bei Jugendlichen in anderen Gehirnregionen statt als
bei Erwachsenen, was dazu führt, dass Jugendliche oft schlechter in der Lage sind, am Gesichtsausdruck eines Menschen seine Gefühle abzulesen (National Institute of Mental Health
2001).
 Die körperlichen und emotionalen Veränderungen wirken sich auch auf das Sozialverhalten
der Heranwachsenden aus (Baake 2003: 100). Die Veränderung des Erscheinungsbildes und
der damit verbundenen neuen Rollen kann zum Zweifel an sich selbst führen. Außerdem
müssen die körperlichen Beziehungen zu Eltern, Geschwistern und der Umwelt neu definiert
werden. Jede/r Jugendliche entwickelt eine individuelle Schamgrenze. Die teilweise raschen
Veränderungen machen Jugendliche auch unsicherer und verletzlicher. Körperliche Veränderungen werden auch von anderen wahrgenommen, was Jugendliche als eine zusätzliche Belastung empfinden können (Oerter/Dreher 2008: 274).
 Die individuellen Entwicklungsunterschiede sind im Jugendalter am größten. Während einige
Jugendliche hinsichtlich der körperlichen Reife im Alter von 13 Jahren noch Kinder sind, sehen andere schon aus wie Erwachsene. Unter Gleichaltrigen werden die körperlichen Veränderungen sehr genau beobachtet. Bei Mädchen ist eher Üppigkeit und Frühreife ein Grund
für Unzufriedenheit, da das weibliche Schönheitsideal eher mädchenhaft und weniger fraulich ist. Für Jungen hingegen stellt eher die späte Reifung ein Problem dar: Wie ein Kind auszusehen, während die anderen schon „richtige Männer“ sind, ist uncool und läuft dem gesellschaftlichen Ideal entgegen.
© 2012 Stabsstelle Präventionsbeauftragter
Redaktion: M. Muders-Seemann, Familientherapeutin
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