Brigitte Geißel

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Brigitte Geißel
BBE-Newsletter 03/2008
Zur Bildung von “bridging” und “bonding” Sozialkapital
Welchen Beitrag können neue Beteiligungsmodelle leisten?
In seiner Studie „Making Democracy Work“ untersuchte der amerikanische Soziologe
Robert D. Putnam Anfang der 1990er Jahre die Gründe für die guten
demokratischen, ökonomischen und administrativen Leistungen norditalienischer
Städte im Vergleich zu den erfolglosen Kommunen Süditaliens. Die meisten
Erklärungsfaktoren, wie beispielsweise das Bildungsniveau in einer Kommune, ihre
Größe oder die Bevölkerungsdichte erwiesen sich als irrelevant. Die entscheidende
Determinante war ein bis dato wissenschaftlich weitgehend vernachlässigtes
Phänomen: das Sozialkapital, definiert als Vertrauen, Netzwerke und Prinzipien der
Gegenseitigkeit. In den erfolgreichen Kommunen des Nordens florierten eine aktive
Zivilgesellschaft, horizontale Vernetzungen und soziales Vertrauen, in den
Kommunen des Südens überwogen demgegenüber hierarchische, vertikale
Vernetzungen und wenig Vertrauen in die Mitmenschen. Je höher das Ausmaß an
sozialem Kapital, so folgerte Putnam, desto effektiver funktionieren lokale Wirtschaft,
Regierung sowie Verwaltung und desto erfolgreicher können Probleme gelöst
werden. Eine blühende Zivilgesellschaft und ein hohes Maß an Sozialkapital dienen
letztlich, so seine Schlussfolgerung, dem reibungslosen Funktionieren des
Gemeinwesens.
Bindendes (bonding) und überbrückendes (bridging) Sozialkapital
Seit einigen Jahren geraten jedoch die dunklen Seiten des Sozialkapitals stärker ins
Blickfeld, wie beispielsweise lokale Vetternwirtschaft, Filz und Korruption. Denn
Netzwerke und darin gegenseitiges Vertrauen können auch einen ausschließenden
Charakter haben. Es zeigte sich, dass zwischen bindendem (bonding) und
überbrückendem (bridging) Sozialkapital unterschieden werden muss. Das bonding
Sozialkapital festigt bestehende Bindungen innerhalb von Gruppen, verbindet „clubintern“ und hat damit tendenziell ausschließenden Charakter. Bonding Sozialkapital
bezieht sich somit auf enge Beziehungen (Familie, abgeschlossene, exklusive
Gemeinschaften, Sekten etc.) und ist auf homogene, oft kleinere Gemeinschaften
beschränkt.
Beim bridging Sozialkapital werden demgegenüber bestehende soziale Grenzen
bzw. Kluften zwischen gesellschaftlichen Segmenten überbrückt und Verbindungen
zwischen Gruppen und Menschen mit verschiedenem Hintergrund aufgebaut. Damit
gehen idealiter auch Toleranz, die Anerkennung des Anderen und die Fähigkeit zur
Selbstrelativierung einher. Bridging Sozialkapital bezieht sich somit auf heterogen
zusammengesetzte Assoziationen mit häufig nur schwachen Verbindungen.
Vor allem dem überbrückenden Sozialkapital kommt eine demokratiefördernde
Bedeutung zu, da es zur Kooperation zwischen Bevölkerungsgruppen führt, während
beim bindenden Sozialkapital lediglich bereits bestehende Kontakte innerhalb einer
Bevölkerungsgruppe gestärkt werden. Vor allem das überbrückende Sozialkapital
bewirkt die genannten positiven Effekte auf Demokratie, Wirtschaft und Verwaltung,
während das bindende Sozialkapital nur bedingt dazu beiträgt.
Wird Sozialkapital in neuen Beteiligungsmodellen gebildet? Und wenn ja,
welches?
Die Frage, die aus diesen Erkenntnissen folgt ist: Wie kann überbrückendes
Sozialkapital gebildet werden? Die Generierung scheint einigermaßen anspruchsvoll
zu sein. Sie ist nur möglich, wenn man bereit ist, mit Menschen zu kooperieren, die
anders sind als man selbst.
Als eine Methode der Bildung von Sozialkapital gelten neue Beteiligungsmodelle,
bei denen die Bürger nicht nur einfach wählen oder abstimmen, sondern miteinander
kommunizieren, kooperieren und sich vernetzen. Bei der Kommunikation und
Vernetzung von Personen und zivilgesellschaftlichen Assoziationen in
entsprechenden Beteiligungsmodellen würde, so die Befürworter, Sozialkapital
hergestellt und verstärkt werden. Gerade bei Verfahren mit kooperativer und
konsensorientierter Kommunikation bilde sich Sozialkapital. Personen und Gruppen,
die normalerweise nicht in Face-to-Face-Kommunikationen zusammenkommen,
treffen sich und entwickeln soziales Vertrauen. Soweit die Annahme.
Die Empirie zeigt, dass Sozialkapital bei kommunikativen Verfahren tatsächlich
relativ häufig aufgebaut wird. Allerdings besteht bei vielen Beteiligungsmodellen die
Gefahr, dass ausschließlich oder überwiegend bonding Sozialkapital gebildet wird.
Denn der Teilnahme an entsprechenden Beteiligungsformen geht in der Regel ein
Selbstrekrutierungsprozess voraus. Der Teilnehmerkreis ist auf eine spezifische
Auswahl an Bürgern beschränkt – mit einem selektiven Charakter bei eindeutiger
Verzerrung hinsichtlich der sozialen Herkunft und des ökonomischen Status.
Beispielsweise sind die Interessen der sozial Schwachen und marginalisierter
Gruppen kaum vertreten. Das heißt, dass sich bei neuen Beteiligungsmodellen
häufig die „üblichen Verdächtigen“ aus ähnlichen gesellschaftlichen Segmenten
treffen, die generell im politischen Leben besonders aktiv mitmischen.
Demgegenüber kommen bei Verfahren mit externer Rekrutierung Personen aus
unterschiedlichen Milieus und gesellschaftlichen Gruppierungen zusammen und es
kann zwischen diesen Personen und Assoziationen überbrückendes Sozialkapital
gebildet werden.
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Zur Auswahl bei der Rekrutierung „von außen“
Der Auswahl der zugangs- und mitspracheberechtigen Personen kommt bei der
externen Rekrutierung eine zentrale Bedeutung zu. In der politischen Praxis der
meisten Zugangsoptionen stellen staatliche Akteure, also die gewählten
Repräsentanten oder auch die Administration, Regeln zur Zulassung auf und wählen
die betreffenden Personen aus. Dabei soll meistens eine Annäherung an den
Durchschnitt der Gesellschaft erreicht werden, beispielsweise bezüglich des
Geschlechts, des Bildungsgrads und des Berufsstatus.
Werden zivilgesellschaftliche Assoziationen bei den neuen Beteiligungsmodellen
berücksichtigt, so wählen die staatlichen Akteure aus dem vielstimmigen Chor der
Zivilgesellschaft jene Stimmen, die aus ihrer Sicht zentral und hörenswert sind.
Regeln zur Anerkennungswürdigkeit einer zivilgesellschaftlichen Assoziation als
„politischer Player“ in neuen Beteiligungsmodellen können relativ formell und
institutionalisiert oder auch informell sein. Kriterien sind in der Regel ein Mindestmaß
an Repräsentativität, hinreichend umfassende Interessenvertretung und eine große
Mitgliederbasis. Aber ebenso scheinen die Dialog-, Kooperations- und
Kompromisswilligkeit sowie -fähigkeit der zivilgesellschaftlichen Akteure zentral zu
sein.
Fazit und Ausblick
In diesem Artikel ging es um die Fragen, welche Form des Sozialkapitals besonders
demokratieförderlich ist, und welchen Beitrag neue Beteiligungsmodelle hierzu
leisten können. Eine besonders demokratieförderliche Wirkung wird dem
überbrückenden Sozialkapital zugeschrieben, während das bindende Sozialkapital
auch negative Effekte haben kann. Doch scheinen die meisten neuen
Beteiligungsmodelle eher das bindende Sozialkapital zu fördern. Denn diese Modelle
basieren in der Regel auf Selbstrekrutierung und es nehmen die „üblichen
Verdächtigen“ teil. Eine Methode, dies zu verändern, ist die externe Rekrutierung, bei
der die teilnehmenden Personen und zivilgesellschaftlichen Gruppen nach
spezifischen Kriterien ausgewählt werden.
Durch diese Form der „Fremdrekrutierung“ kann nun gewährleistet werden, dass
Personen und Gruppen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Segmenten und mit
verschiedenem Hintergrund zusammen kommen und so überbrückendes
Sozialkapital aufgebaut wird. Allerdings wird noch zu diskutieren sein, ob die
derzeitige Macht der staatlichen Akteure zur Regelung der Zugangs- und
Mitbestimmungsrechte tatsächlich ideal ist, und welche anderen Auswahl-Optionen
möglich wären.
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Dr. Brigitte Geißel ist Wissenschaftliche Angestellte am Wissenschaftszentrum Berlin
für Sozialforschung (WZB)
Kontakt:
WZB, Reichpietschufer 50, 10785 Berlin
email: [email protected]
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