Umweltzeichen 1 Oben: »Der Blaue Engel«-Produkte mit diesem Umweltzeichen müssen hohe gesundheitsbezogene Anforderungen einhalten. Quelle: Blauer Engel 2 Links: Studien belegen, dass viele Bauherren schon einmal den Verdacht hatten, dass in ihrer Wohnung gesundheitsschädliche Gefahren vorhanden sein könnten. Foto: Fotolia Farben, Lacke und Putze – aber bitte »wohngesund« Ein wohngesundes Umfeld ist ein wesentlicher Aspekt für Lebensqualität, nicht zuletzt durch zahlreiche auf Wohngifte allergisch reagierende Menschen. Umweltlabels und Zertifizierungen für Baumaterialien gewinnen an Bedeutung. Doch welche Emissionen können beispielsweise beim Einsatz von meist großflächig in Innenräumen aufgetragenen Farben, Lacken und Putzen überhaupt auftreten? P rivate Bauherren und Modernisierer stufen Emissionen aus Bauprodukten als sehr bedenklich ein. Für mehr als 90 Prozent der Teilnehmer an der zweiten Baumit-Sentinel-Heinze-Studie »Entwicklung Wohngesundheit« (2014) rangieren sie direkt nach der gesundheitlichen Belastung durch Schimmel. Als Beispiele werden Lösungsmittel, Formaldehyd und Weichmacher genannt. Mehr als 30 Prozent der Befragten hegte zudem schon einmal den Verdacht, dass in ihrer Wohnung gesundheitsschädliche Gefahren vorhanden sein könnten. Vier von zehn Betroffenen zogen daraufhin einen Experten hinzu, acht Prozent ließen zur Klärung eine Raumlufprüfung durchführen. Damit es gar nicht erst soweit kommt, informierten sich im Vorfeld ihrer Baumaßnahme immerhin 64 Prozent der Studienteilnehmer bewusst über die Unbedenklichkeit der eingesetzten Baustoffe. Dichte Gebäudehülle kontra Raumlufthygiene Mit den verschärften Anforderungen der Energieeinsparung werden Gebäudehüllen zunehmend luftdicht ausgeführt. Bei unzureichender Lüftung können chemische www.ausbauundfassade.de und biologische Stoffe in der Raumluft freigesetzt werden. Um dies zu vermeiden, sollten – neben regelmäßiger Raumlüftung – emissionsarme Bauprodukte eingesetzt werden. Dazu gehören unter anderem Farben, Lacke, Dichtstoffe, Innendämmungen sowie Bodenbeläge, die bedenkliche Mengen an Lösemitteln, Weichmachern und Formaldehyd enthalten können. Grundsätzlich gibt es zwei unterschiedliche Arten von Stoffverbindungen in der Wohnraumluft: VOC und SVOC. Flüchtige organische Verbindungen, sogenannte VOC (englisch: volatile organic compounds), gehören zu den Luftverunreinigungen, die praktisch in jeder Wohnraumluft zu finden sind. Es handelt sich dabei um eine Vielzahl synthetischer und natürlicher Stoffe, die bereits bei Zimmertemperatur aus verschiedenen Materialien und Produkten der Innenausstattung und des täglichen Bedarfs ausgasen. Dagegen sind die sogenannten SVOC (englisch: semivolatile organic compounds) schwerflüchtige organische Verbindungen, die über einen längeren Zeitraum ausgasen und sich aufgrund ihrer physikochemischen Eigenschaften an Staub sowie anderen Oberflächen anlagern. 19 GESUND BAUEN Gütesiegel geben Sicherheit Die gesetzlichen Mindestanforderungen bei der Schadstoffprüfung erfüllen Produkte mit dem sogenannten »Ü-Zeichen«. Auf der Grundlage der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung (abZ) ist das Ü-Zeichen Pflicht für die Produkte, die in Aufenthaltsräumen eingesetzt werden. Wer Produkte ohne Ü-Zeichen verwendet, verstößt gegen die Bestimmungen der Landesbauordnung. Noch besser als Produkte mit dem Ü-Zeichen für ein wohngesundes Umfeld geeignet sind diejenigen, die mit dem Blauen Engel und dem ergänzenden Hinweis »weil emissionsarm« oder »weil schadstoffarm« ausgezeichnet sind. Emissionsarme Wandfarben (RAL-UZ 102) beispielsweise müssen einen bis zu 95 Prozent geringeren VOC-Gehalt im Vergleich zu konventionellen Produkten aufweisen und strenge Vorgaben zum Gehalt an Formaldehyd erfüllen. Lacke enthalten üblicherweise Lösemittel, Bindemittel, Farbpigmente und verschiedene Zusatzstoffe, die der Konservierung oder zur Beschleunigung des Trocknens (sogenannte Sikkative) dienen. Einige dieser Stoffe sind als problematisch einzustufen. Mit dem Blauen Engel ausgezeichnete Lacke weisen einen höheren Wassergehalt auf und sind wasserverdünnbar (Schadstoffarme Lacke | RAL-UZ 12a). Alternativ zu mineralischen und organischen Innenputzen sind Putzarten aus Naturmaterialien beziehungsweise ohne Zusatz von schädlichen Chemikalien erhältlich. Dazu zählt vor allem der traditionsreiche Lehmputz, der seit einigen Jahren wieder vermehrt eingesetzt wird. Er wirkt feuchtigkeitsregulierend sowie schadstoffabsorbierend und ist daher auch für allergisch reagierende Menschen interessant. Lehm hält die relative Raumluftfeuchte bei durchschnittlich 50 Prozent. Dieser Effekt nimmt zu, je dicker die Lehmschicht ausgeführt wird. Bereits kleine Lehmflächen verbessern das Raumklima merklich. Aufgetragen werden kann Lehminnenputz auf fast allen Untergründen wie Gipskarton, Beton und Kalk. Auswahl, Menge und Kontrolle sind wesentlich Neben dem Einsatz und der Auswahl emissionsarmer Bauprodukte ist die Kontrolle des tatsächlichen und sachgerechten Einbaus vor Ort wesentlich, um Schadstoffeinträge zu vermeiden. Eine sachgerechte Überwachung der Verarbeitung durch einen mit den Anforderungen der Innenraumhygiene vertrauten Bauleiter oder eine vergleichbare Fachkraft ist durchaus ratsam. Beim schichtförmigen Aufbau großer Oberflächen sollten die einzelnen Arbeitsgänge so ausgeführt werden, dass die eingesetzten Lösemittel und andere flüchtige Hilfsstoffe vor dem Aufbringen der nächsten Schicht möglichst vollständig abdunsten (gemäß Herstellerangaben). Besonders bei saugfähigen und großflächigen Produkten beziehungsweise entsprechendem Untergrund kann eine geeignete Sperrschicht dafür sorgen, dass keine oder nur geringe Mengen von VOC aus 20 den nachfolgenden Arbeitsschritten und bei späteren Reinigungsmaßnahmen aufgenommen werden. Eine Depotbildung der Stoffe in Zwischenschichten sollte auf jeden Fall vermieden werden. Produkte mit flüchtigen Inhaltsstoffen dürfen daher auch nicht in größeren Mengen in Fugen, Risse und Hohlräume gelangen. Bei Renovierungen ist die Verträglichkeit des vorhandenen Untergrundes inklusive den auf ihm haftenden Altmaterialen mit den neuen Produkten auf ihre Verträglichkeit in Kombination zu prüfen, um beispielsweise Geruchsbelästigungen zu vermeiden. Das Aufbringen einer geeigneten Sperrschicht kann außerdem Unverträglichkeiten verhindern. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen können nach Bauund Renovierungsarbeiten kurzzeitig (einige Tage bis Wochen) VOC in verstärktem Maß in die Raumluft entweichen. Allerdings können erhöhte Konzentrationen durch die geeignete Wahl an Bauprodukten und Materialien sowie durch intensives Lüften während und nach Abschluss der Arbeiten reduziert werden. Planer und Ausführende sollten informieren Lange Zeit galt der Grundsatz, dass für den Wert eines Gebäudes nur sein Standort auschlaggebend ist. Mittlerweile stehen »wohngesunde« Aspekte im Vordergrund, denn die Lebensdauer und der Marktwert eines Gebäudes hängen wesentlich von der Qualität der eingesetzten Baustoffe ab. Dies zeigt sich unter anderem in den für nachhaltige Gebäude entwickelten Zertifizierungen der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB). Um die Auswahl und Dokumentation wohngesunder Bauprodukte für Planer, Bauherren, Bauleiter und ausführende Firmen zu erleichtern, hat die DGNB den »Leitfaden Bauprodukte in der DGNB-Zertifizierung« herausgegeben. Da die DGNB-Kriterien ausschließlich emissions- und schadstoffarme Bauprodukte vorsehen, kann der Leitfaden zudem die Planung und Ausschreibung von Bauprojekten mit hohen Anforderungen an die Innenraumluftqualität unterstützen, auch wenn das Gebäude nicht zur Zertifizierung bestimmt ist. Planer und Ausführende sind gefordert, den Bauherrn umfassend zu wohngesunden Baumaterialien zu beraten. Denn ein weiteres Ergebnis der genannten Studie zeigt, dass sich zwei Drittel der privaten Bauherren und Modernisierer bei ihrer Baumaßnahme mit dem Architekten nicht oder zu wenig von ihm zum Einsatz emissionsarmer Baustoffe informiert fühlen. Hier bietet sich ein großes Potenzial für mehr Wohngesundheit. Immerhin achtet jeder Zweite auf Baustoff-Labels wie beispielsweise den Blauen Engel und knapp 60 Prozent sind bereit, für ein Plus an Wohngesundheit entsprechend mehr zu investieren. Dipl.-Ing. Annette Galinski, Agentur Architekturtext ausbau + fassade Bauen mit Mehrwert | 2015