Bipolare Erkrankung bedingt 20

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Pressekonferenz 4. Europäischer Depressionstag
26. September 2007 Katholische Akademie Berlin
Bipolare Erkrankungen – Prof. Dr. Peter Bräunig
Pressemitteilung
Bipolare Erkrankung bedingt 20-fach höheres Suizidrisiko
Frühzeitige Diagnose, Therapie und gezielte Medikation erfolgreich
Berlin/Hannover, 26. September 2007 - Heute könnten sie Bäume ausreißen, morgen zweifeln
sie am Sinn des Lebens und sind kaum aus dem Bett zu bringen. Zwischen diesen beiden
Extremen pendeln die etwa vier bis fünf Millionen Menschen mit bipolaren Störungen in
Deutschland. Die wechselnde Stimmungslage durchzieht alle Lebensbereiche und ist willentlich
nicht zu steuern. Bipolare Störungen, auch als manisch-depressive Erkrankungen bekannt, sind
durch abwechselnde Episoden von Depression und gehobener Stimmung (Manie) gekennzeichnet. Diese übersteigerten Stimmungsschwankungen treten entweder ohne einen entsprechenden Anlass auf oder sie bleiben nach einer bestimmten Lebenssituation, wie dem
Verlust eines nahe stehenden Menschen, auch dann weiter bestehen, wenn die auslösende
Situation eigentlich keine Belastung mehr darstellt. Menschen mit Depressionen fühlen sich nicht
in der Lage, den Alltag zu bewältigen. Sie können sich meist nur schlecht konzentrieren, fühlen
sich wertlos und haben Gedanken an den Tod. „Menschen mit biopolarer Erkrankung haben in
dieser Phase im Vergleich zur Gesamtbevölkerung eine zwanzigfach erhöhte Suizidmortalität,“
sagt Prof. Dr. Peter Bräunig, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapieund
Psychosomatik, Vivantes HUK Berlin. Gerade in der Entstehungsphase der Erkrankung sei das
Risiko für einen Suizid am größten. Manisch-Depressive gelten in der Psychiatrie als diejenigen
Patienten mit dem höchsten Selbsttötungsrisiko. Mindestens jeder vierte bipolar Erkrankte
unternimmt einen Suizidversuch, oft schon in den ersten Erkrankungsjahren. Eine frühzeitige
Diagnose und anschließende Therapie ist für eine erfolgreiche Behandlung unbedingt notwendig.
Wechselhaftigkeit ist typisch
Wechselhaftigkeit ist das Charakteristikum der bipolaren Erkrankung - und das gilt in vielerlei
Hinsicht. Der Verlauf ist nicht vorhersehbar und individuell höchst unterschiedlich. Die Dauer der
Episoden kann zwischen einigen Tagen, mehreren Monaten und Jahren variieren. Durchschnittlich dauert eine Krankheitsepisode bei unbehandelten Patienten zwischen vier und zwölf Monaten. Dabei können manische und depressive Abschnitte einzeln auftreten oder auch ineinander
übergreifen. Manie und Depression können auch gleichzeitig vorliegen, zum Beispiel starke Unruhe bei gleichzeitig gedrückter Stimmung. Dann spricht man von Mischzuständen. Manche Patienten erleben mehr manische, andere mehr depressive Episoden. Trotzdem: Bipolare Störungen
sind durch depressive Symptome geprägt; es überwiegen die depressiven Episoden. Zwischen
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den einzelnen Krankheitsepisoden können Intervalle von mehreren Monaten oder Jahren liegen,
in denen der Patient völlig beschwerdefrei ist. Durchschnittlich beträgt diese Zeit zwei bis drei
Jahre. Darüber hinaus gibt es auch eine individuell unterschiedliche Anzahl an Krankheitsepisoden. Der eine hat im Lauf seines Lebens nur eine oder zwei Episoden, der andere deutlich mehr.
Da das Erkrankungsbild sehr variabel ist, verwundert es kaum, dass die richtige Diagnose im
Durchschnitt erst nach acht bis 15 Jahren gestellt wird. Sie kann nur durch intensive Befragung
der Erkrankten und der Angehörigen erarbeitet werden. Labor- oder sonstige Untersuchungsmöglichkeiten gibt es nicht. Die Mehrzahl aller bipolar Erkrankten erleben als erste Episode eine
Depression, weshalb sie oft fälschlicherweise gegen Depressionen behandelt werden. Schätzungen gehen davon aus, dass derzeit höchstens jeder vierte Manisch-Depressive einen Arzt
aufsucht und eine angemessene Therapie erhält.
Aus der Bahn geworfen
Über die Ursachen der Krankheit ist noch nicht viel bekannt. Die Vererbung scheint eine gewisse
Rolle zu spielen. Bei Verwandten ersten Grades von Patienten mit bipolaren Störungen kommt es
deutlich häufiger zu dieser Erkrankung. Ist ein Elternteil betroffen, so erkrankt ein Kind mit zehnbis 20-prozentiger Wahrscheinlichkeit ebenfalls. Sind beide Elternteile manisch depressiv, erhöht
sich das Risiko auf etwa 50 Prozent. Leidet ein eineiiger Zwilling an bipolaren Störungen, so ist
sein Zwilling mit einer 65-prozentigen Wahrscheinlichkeit ebenfalls daran erkrankt. Die Gene sind
aber keinesfalls ausschlaggebend. Experten gehen derzeit davon aus, dass zur genetischen Disposition äußere Faktoren hinzukommen müssen, damit sich die Erkrankung manifestiert. So
können beispielsweise schwere seelische Belastungen wie Ablösung vom Elternhaus, Anfang
oder Ende einer Beziehung oder Tod des Partners eine bipolare Störung einleiten. Dies gilt besonders für die erste manische oder depressive Phase. Bei späteren Episoden verliert der äußere
Faktor an Bedeutung und ist oft nicht mehr auszumachen. Gewöhnlich treten die ersten Symptome zwischen dem zwanzigsten und dreißigsten Lebensjahr auf. Selten trifft es bereits Jugendliche. Nach dem fünfzigsten Lebensjahr ist eine bipolare Erkrankung relativ unwahrscheinlich,
aber nicht ausgeschlossen.
Frühe Therapie besonders wirksam
Die Prognose der Erkrankung ist wesentlich davon abhängig, wie schnell die Diagnose gestellt
und in welchem Zeitraum die Therapie beginnt. Grundsätzlich gilt: Je weniger Krankheitsphasen
der Patient bis zur Einleitung einer Therapie durchgemacht hat, desto besser spricht er auf die
Behandlung an. Nicht unbedeutend ist auch die Tatsache, dass durch rechtzeitige Behandlung
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viele psychische und soziale Probleme vermieden werden können. Bei ungefähr der Hälfte aller
Erkrankten finden sich in der Krankengeschichte Indizien auf den Missbrauch von Alkohol, Drogen oder Medikamenten. Damit versuchen sie eine Art Selbsttherapie. Natürlich gelingt es nicht,
damit den Leidensdruck zu reduzieren, und sie geraten in eine Abhängigkeit. Diese Problematik
steht manchmal so sehr im Vordergrund, dass sie das Leben stärker beeinflusst als die bipolare
Krankheit selbst. Je schneller der Betroffenen adäquat behandelt wird, desto höher ist die
Chance, dass eine bestehende Partnerschaft nicht unter dem Druck der Erkrankung zerrüttet
wird, und die Arbeitskraft des Erkrankten erhalten bleibt. Werden bipolare Störungen nicht als
solche erkannt, besteht die Gefahr, dass ungeeignete Medikamente zum Einsatz kommen. Im
schlimmsten Fall verschlechtert sich die Erkrankung, oder es wird eine neue Episode ausgelöst.
Langzeittherapie
Die Behandlung der bipolaren Erkrankung hat zwei Ziele: Sie soll akute Stimmungsschwankungen während manischer und depressiver Episoden ausgleichen und weitere Episoden verhüten.
Dazu teilt man die medikamentöse Behandlung in drei Abschnitte ein:
die Akutbehandlung, um den Patienten aus seiner derzeitigen Episode herauszuholen.
der daran unmittelbar anschließende Rückfallschutz, um die dann noch labile Situation des
Patienten weiter zu stabilisieren und einen direkten Rückfall zu verhindern (Dauer der Behandlung: zwischen 9 und 12 Monaten).
die so genannte Phasenprophylaxe, das heißt der Schutz vor neuen Krankheitsattacken,
wenn die Intervalle zwischen den einzelnen Episoden immer kürzer werden. Dabei reduziert man die Arzneistoffdosierung auf das zur Erhaltung der ausgeglichenen Stimmung
notwendige Maß. Über eines müssen sich die Patienten im Klaren sein: In der Regel
muss eine bipolare Störung das ganze Leben lang behandelt werden. Die Intensität der
Behandlung kann dabei zwar unterschiedlich sein, aber ohne Therapie ist eine dauerhaft
stabile Stimmung nicht zu erzielen. Zudem wirken sämtliche Arzneistoffe nicht sofort, sondern erst nach einer Anlaufzeit von ein bis drei Wochen.
Zur Dauertherapie – sowohl während beschwerdefreier Zeiten als auch während akuter Episoden
und zur Rückfallprophylaxe – kommen stimmungsstabilisierende Arzneistoffe zum Einsatz, auch
„mood stabilizer“ genannt. Sie begleiten den Patienten sein ganzes Leben lang. Wie ihr Name
sagt, dienen sie dazu, die Stimmungslage des Patienten akut und langfristig zu stabilisieren –
egal ob er gerade eine manische oder eine depressive Phase durchmacht. Mittel der Wahl ist
Lithium, aber nur wenn die Erkrankung erst weniger als fünf Jahre besteht. Ansonsten leisten die
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drei Antiepileptika Carbamazepin, Valproat und Lamotrigin gute Dienste. Gegenstand aktueller
Studien ist die stabilisierende Wirkkomponente von atypischen Neuroleptika. Lithium und die drei
Antiepileptika kommen auch bei akuten Manien zu Einsatz. Zeigen sich erste Anzeichen einer
Manie, wird zunächst deren Dosis erhöht. Reicht das zum Abfangen der Episode nicht aus, werden zusätzlich Neuroleptika verordnet. Zur Behandlung einer depressiven Episode reicht die Dosiserhöhung der Stimmungsstabilisierer nicht aus. Die Manie bekommt man relativ schnell in
Griff. Schwieriger sind die depressiven Episoden zu behandeln.
Während einer bipolaren Depression ist die zusätzliche Einnahme eines Antidepressivums notwendig. Dies sollte mindestens sechs Monate, besser ein Jahr lang eingenommen werden. Anschließend sollten die Patienten die Dosis nach und nach reduzieren, um das Präparat anschließend komplett abzusetzen. Die Stimmungsstabilisierer werden während dieser Zeit ebenfalls
weiterhin eingenommen. Die Erfahrung zeigt, dass bipolar Erkrankte keine zuverlässige Compliance zeigen. So haben Studien ergeben, dass die Hälfte der Patienten nach fünf Jahren die Lithium-Medikation eigenmächtig absetzt. Mit erheblichen Folgen: Abruptes Absetzen verkürzt die
Zeit zum nächsten Rezidiv um fast zwei Jahre, warnte Grunze. Als Grund für das Beenden der
Therapie gaben die Studienteilnehmer an, sich durch die Medikamente kontrolliert zu fühlen und
nicht mehr sie selbst zu sein. Hierin liegt wahrscheinlich das eigentliche Problem: Bipolar Erkrankte müssen lernen, dass sie an einer chronischen Erkrankung leiden. Sie müssen lernen,
laufend ihre Arznei einzunehmen, so wie ein Diabetiker sein Insulin spritzen muss, um nicht zu
sterben. Die Pharmakotherapie ist trotz aller Fortschritte nicht 100-prozentig wirksam. Deshalb
werden zusätzliche Behandlungsmethoden eingesetzt, von denen die Psychoedukation und -therapie die wichtigsten sind. Durch die Psychoedukation soll der Patient lernen, mit der Erkrankung
umzugehen und sie zu akzeptieren. Sie soll helfen, bestimmte individuelle Auslöser einer Krankheitsepisode zu verhindern.
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Peter Bräunig
Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie
und Psychosomatik
Vivantes Depressionszentrum
- Klinik, Tagesklinik, Spezialsprechstunden Am Nordgraben 2
13509 Berlin
030/130 12 2101
[email protected]
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