Achterbahn der Gefühle

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Mittendrin: HINTERGRUND
Freitag, 27. März 2015
V
incent van Gogh zählt
zu den begabtesten Malern der Kunstgeschichte. Doch der holländische
Künstler litt Zeit seines Lebens unter einer schweren
Erkrankung – einer bipolaren
Störung. Van Gogh steht Pate
für den Welttag der Bipolaren
Störung, der am 30. März,
dem Geburtstag des Malers,
begangen wird. Wie bei seinen
weniger bekannten Leidensgenossen war van Goghs Gemütsverfassung geprägt von
zwei gegensätzlichen Polen –
der Depression einerseits und
einer übersteigerten Euphorie, der Manie, andererseits.
Während van Gogh in seinen
Hochphasen
Kunstwerke
schuf, die heute zu den bekanntesten und teuersten der
Welt gehören, können Manien
fatale Folgen mit sich bringen.
„Innerhalb einer Nacht
habe ich mein gesamtes Vermögen durchgebracht“, berichtet
eine
Betroffene.
Leichtsinn, Größenwahn und
Enthemmung bestimmen in
der manischen Phase das Verhalten. Es werden Verträge
abgeschlossen, es wird exzessiv eingekauft und manchmal
werden auch der Partner, die
Familie oder der Freundeskreis so sehr vor den Kopf gestoßen, dass es zu einem
dauerhaften Bruch kommt.
Verfällt der Patient ins andere Extrem, ist er antriebslos, niedergeschlagen, die immer gleichen negativen Gedanken kreisen in seinem
Kopf. Das Suizidrisiko ist im
Vergleich zur Allgemeinbevölkerung um das Zwanzigfache
erhöht, zehn bis fünfzehn Prozent der Betroffenen nehmen
sich das Leben. Je nach Ausprägung der Erkrankung gehen manische und depressive
Episoden mal direkt ineinander über, mal bleiben mehrere Jahre symptomfrei.
Mehr als zwei Millionen
Menschen sind in Deutschland betroffen. Die Dunkelziffer ist weit höher, viele Menschen wissen nicht, dass sie
erkrankt sind. Zehn Jahre
dauert es im Schnitt, bis die
richtige Diagnose gestellt und
adäquat therapiert wird. Laut
einer aktuellen Studie der
Techniker Krankenkasse liegen die Werte für das Krankheitsbild Depression für Celle
etwas über dem Schnitt in
Niedersachsen und Deutschland insgesamt. Eine Untergliederung nach der Art der
Depression wird jedoch nicht
vorgenommen, so dass Angaben, wie viele Menschen in
Celle und Umgebung an einer
Bipolaren Störung leiden,
nicht vorliegen.
Die
Erscheinungsformen
der Erkrankung beschäftigen
Ärzte schon seit 2000 Jahren.
Aber die Ursachen sind bis
heute nur zum Teil erforscht.
Verantwortlich für die extremen Stimmungsschwankun-
Nachgefragt bei:
Professor
Dr. Martin Schäfer ist
erster Vorsitzender
der Deutschen
Gesellschaft für
Bipolare Störungen.
Hat es in den letzten Jahren
neue Forschungsergebnisse
zum Krankheitsbild „Bipolare
Störung“ und dessen Behandlung gegeben?
Es gibt ständig neue Befunde
und Forschungsergebnisse. Es
wurde die bisher größte Förderung in Deutschland für Bipolare Störungen im letzten
Jahr genehmigt. Durch die
Stanley
Foundation, einer
amerikanischen Stiftung, sind
in den letzten 20 Jahren erhebliche internationale Forschungsleistungen entstanden.
Allerdings kann man Ihre Frage nicht in dem Sinne positiv
beantworten, dass dadurch die
Erkrankung endlich verstan-
Achterbahn der Gefühle
Bipolare Störung: Patienten sind gefangen zwischen Manie und Depression
Der 30. März ist der Welttag der Bipolaren Störung. Pate steht Vincent van Gogh, der an diesem Tag geboren wurde.
Der Maler litt nachweislich unter der Krankheit, die von extremen Stimmungsschwankungen gekennzeichnet ist.
Einer Euphorie, die auf Wolken schweben lässt, folgt eine Depression ohne Licht am Ende des Tunnels.
Seit einem Jahr macht eine Selbsthilfegruppe in Celle Betroffenen ein Angebot zum Gespräch.
Selbsthilfe als Therapie
gen sind ein Ungleichgewicht
wichtiger Botenstoffe im Gehirn sowie ein beeinträchtigter Hirnstoffwechsel.
Heilbar ist das Gemütsleiden nicht, behandelbar aber
sehr wohl. Ideal ist eine Kombination aus Psychotherapie
und Medikamenten. Unterstützung benötigen nicht nur
die Patienten, sondern auch
deren Angehörige und Freunde. Manisch-depressives Verhalten kann bei den Patienten
selbst zum Verlust des Arbeitsplatzes und zu Vereinsamung
auf privater Ebene führen.
Sich als Patient, Angehöriger
oder Partner auszutauschen
mit Menschen, die sich den
gleichen Problemen gegenübersehen, kann den Umgang
mit der Erkrankung erleichtern und wird entsprechend
von Seiten der Ärzte und
Fachgesellschaften, wie zum
Beispiel der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen (DGBS), sehr gefördert.
Anke Schlicht
Professor Dr. Martin Schäfer
Wichtig ist, die Ängste offen
den würde oder heilbar wäre. Bahnbre- anzusprechen, die Alternativen
chende Befunde ste- darzustellen, aber auch das individuelle Profil zu erarbeiten.
hen also noch aus.
So können bei Ängsten vor beGibt es neben der me- stimmten NW wie Gewichtszudikamentösen Thera- nahme alternative Medikapie wirkungsvolle Verhaltens- mente empfohlen werden, die
diese NW nicht haben. Also
therapien?
Ja, auch die aktuellen Leitli- kann man immer versuchen,
nien der Deutschen Gesell- die für den einzelnen Patienten
schaft für Bipolare Störungen beste Medikation zu finden. Da
empfehlen gerade für die bi- es sich eigentlich immer um
polare Depression Psychothe- „reversible“ NW handelt, ist es
rapien, die so wirksam sind möglich, bei auftretenden NW
wie medikamentöse Therapien. die Medikamente entspreAls wirksam empfohlen wer- chend anzupassen, auszutauden vor allem die familienfo- schen oder zu korrigieren.
kussierte Therapie, die inter- Manche Patienten versuchen
personelle und soziale Rhyth- es auch bewusst ohne Medikamustherapie sowie die kogniti- mente und setzen diese erst
wieder an, wenn akute schweve Verhaltenstherapie.
rere Symptome kommen.
Was sagen Sie Patienten, die
Angst vor den Nebenwirkun- Ist „Bipolar“ tatsächlich eine
gen (NW) der Medikamente ha- Erkrankung der Kreativen?
ben?
Oder sind Beispiele wie Vin-
cent van Gogh oder Virginia
Woolf einfach nur spektakulär?
Nein. Es gibt viele Musiker,
Schriftsteller,
Komponisten
und Schauspieler, die wohl
eine bipolare Störung haben/
hatten. Möglicherweise ist es
für die Künstler hilfreich, extreme Gefühlswelten zu kennen, um bestimmte Kunst zu
schaffen. Aber man ist nicht
erfolgreicher, weil man Bipolar
ist.
Inwiefern können Selbsthilfegruppen den Umgang mit der
Erkrankung positiv beeinflussen?
Sehr stark, da sie auf einer
Vertrauensbasis wichtige Informationen über die Erkrankung glaubhaft und neutral
vermitteln. Außerdem helfen
sie in Krisensituationen. Psychoedukation ist ein wesentlicher Teil der Psychotherapie
heutzutage.
„Eine Selbsthilfegruppe bringt was, wenn
du alles rauslässt, wirklich was erzählst,
nicht nur dasitzt und zuhörst“, sagt
Sabine K. (Name geändert) aus Celle.
Sie ist bipolar und seit 15 Jahren in
psychotherapeutischer Behandlung bei
einer Ärztin, die für sie gemeinsam mit
Familie und Freunden ein so fester Anker
ist, dass eine andere Form des
Austausches über die Krankheit derzeit
nicht notwendig ist. Aber ohne das
stabile Umfeld sähe es anders aus.
Auch Sabine K. hat eine Zeit lang eine
Selbsthilfegruppe in Anspruch
genommen: „Außenstehende können
sich die Krankheit nicht vorstellen.
Deshalb sind solche Gruppen wichtig.“
Seit einem Jahr besteht in Celle das
Angebot einer Selbsthilfegruppe für
Menschen mit bipolarer Störung.
„Man kann seelische Erkrankungen nicht
unter den Teppich kehren“, sagt
Klaus Effinghausen, der die Gruppe unter
dem Dach der Deutschen Gesellschaft
für Bipolare Störungen ins Leben gerufen
hat und sich einen größeren Teilnehmerkreis wünscht. „Viele wollen die
Erkrankung nicht öffentlich machen“,
vermutet er als größtes Hindernis, den
Schritt in die Gruppe zu wagen. Er selbst
ist seit sechs Jahren Mitglied einer
Selbsthilfegruppe außerhalb Celles und
hat ausschließlich profitiert. „Eigentlich
sind wir jetzt keine Selbsthilfegruppe
mehr, wir sind ein Freundeskreis.“
Kontakt
Wer Interesse hat, an einer
Sitzung der Selbsthilfegruppe
teilzunehmen, kann zu einem Treffen
gehen. Sie gibt es jeden zweiten und
vierten Dienstag im Monat jeweils um
18.30 Uhr in der Alten Molkerei,
Blumlage 64, Eingang Café Kuhkaff,
1. Stock. Nähere Informationen
unter ☏ 0151-211 882 62.
Weitere Informationen für Betroffene:
Deutsche Gesellschaft für Bipolare
Störungen e.V. (DGBS)
Geschäftsstelle
Postfach 800 130
21001 Hamburg
☏ (0700) 33344454
Geschäftszeiten sind dienstags und
donnerstags von 14 bis 17 Uhr
E-Mail: [email protected]
Internet: www.dgbs.de
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