Einführung in die Physikalische Chemie Teil 1: Mikrostruktur der Materie Kapitel 1: Quantenmechanik Mathematische Grundlagen Schrödingergleichung Einfache Beispiele Kapitel 2: Atome H-Atom Spin Mehrelektronen-Atome und Spektroskopie Kapitel 3: Moleküle Molekülorbitaltheorie Born-Oppenheimer-Potential Kapitel 4: Molekülspektroskopie Bewegungsformen eines Moleküls: Rotationen,Schwingungen, elektron. Bewegung Mikrowellen-, Infrarot- und optische Spektroskopie Kapitel 5: Zwischenmolekulare Kräfte Elektrostatische Eigenschaften von Molekülen Zwischenmolekulare Wechselwirkungen Struktur von Biomolekülen Kapitel 6: Struktur der Materie Reale Gase Kondensierte Phasen Moleküldynamik Mikrokosmos Mikroskopische Beschreibung der Materie Makrokosmos Einführung in die Physikalische Chemie Teil 2: Makroskopische Phänomene und Thermodynamik Kapitel 7: Boltzmann-Verteilung Zustandsbesetzungen im Teilchenensemble Maxwell-Boltzmann-Verteilung Kapitel 8: Statistische Beschreibung makroskopischer Grössen Herleitung thermodynamischer Grössen aus Eigenschaften des Teilchenensembles Kapitel 9: Thermodynamik: Vorbereitung Zustandsfunktionen und totales Differential Homogene Funktionen und mechanische Koeffizienten Kapitel 10: Grundlagen der Thermodynamik Übergang von mikroskopischer zu makroskopischer Beschreibung Kapitel 11: Thermochemie Klassische Thermodynamik: Makroskopische Chemische Anwendungen der Thermodynamik: Beschreibung der Materie thermochemische Grössen, Satz von Hess Kapitel 12: Chemisches Gleichgewicht Reaktionsgleichgewicht, Gleichgewichtskonstanten Temperaturabhängigkeit Kapitel 13: Phasenübergänge Phasengleichgewichte und -diagramme Clapeyron-Gleichung und Phasenregel Kapitel 14: Transportvorgänge Materie-, Energie- und Impuls-Transport in Gasen und Flüssigkeiten Die vier Hauptsätze der Thermodynamik Chemisches Potential Kapitel 7: Boltzmann-Verteilung Übersicht: 7.1 Einleitung 7.2 Zustandsbesetzungen 7.3 Die wahrscheinlichste Verteilung 7.4 Die molekulare Zustandssumme 7.5 Anwendungen Literatur: Atkins, de Paula, Physikalische Chemie (4. Aufl.), Kapitel 16, 21 Atkins, de Paula, Kurzlehrbuch Physikalische Chemie (4. Aufl.), Kapitel 1, 22 7.1. Einleitung Moleküleigenschaften, die man aus den besetzten Energieniveaus berechnen bzw. messen kann Eigenschaften der makroskopischen Materie Wir betrachten: ein System aus N Teilchen (Ensemble) mit Gesamtenergie E, die unter den Teilchen verteilt ist Zwischen den Teilchen kommt es zu Stössen → Austausch von Energie zwischen den Teilchen → Austausch von Energie zwischen den verschiedenen Freiheitsgraden 7.2 Zustandsbesetzungen In einer Ansammlung von Molekülen (Ensemble) kann jeder molekulare (Rotations-, Vibrations-, elektronische) Zustand i durch dessen Energie Ei und die Zahl der Teilchen Ni in diesem Zustand (=Besetzung) charakterisiert werden Ziel: Berechnung der Besetzung der Zustände für jedes Teilchen, in jedem Freiheitsgrad und für jede Temperatur 7.2.1 Eigenschaften des Ensembles Die Besetzung der Zustände bleibt im Mittel konstant (thermisches Gleichgewicht), auch wenn sich die Identität der Teilchen/Moleküle in einem spezifischen Zustand nach jedem Stoss ändern kann Die Teilchen sind unabhängig voneinander Wechselwirkungen zwischen den Teilchen werden vernachlässigt Alle Wahrscheinlichkeiten, die Energien zu verteilen, sind gleich wahrscheinlich (A-Priori-Prinzip)→ Schwingungszustände und Rotationszustände der selben Energie Ei sind genau gleich besetzt Die Besetzung der Zustände hängt nur von einem Parameter ab: der Temperatur 7.2.2 Konfigurationen Ein System besitzt: N0 Teilchen mit einer Energie E0, N1 Teilchen mit Energie E1, N2 Teilchen mit Energie E2, ... Nk Teilchen mit Energie Nk mit: E0 ... Nullpunktsenergie (Referenzenergieniveau gem. Konvention: E0 = 0) Ei ... Energie des Zustands i k ... Anzahl Zustände Die Konfiguration eines Systems wird dann beschrieben als (7.2.1) {N0 , N1 , N2 , ...} Beispiele für ein Ensemble von N Molekülen: alle Moleküle im Grundzustand {N, 0, 0, ...} {N 1, 1, 0, ...}, {N 1, 0, 1, ...}, ... ein Molekül in einem angeregten Zustand {N 2, 2, 0, ...}, {N 2, 0, 2, ...}, ... zwei Moleküle im gleichen angeregten Zustand Für die Realisierung von zwei Molekülen im gleichen angeregten Zustand gibt es W = 12 N(N verschiedene Möglichkeiten. 1) (7.2.2) 7.2.3 Gewicht der Konfiguration Eine bestimmte Konfiguration {N0, N1, N2,..., Nk} kann auf W verschiedene Arten realisiert werden. W bezeichnet dabei das Gewicht der Konfiguration: N! W = N0 !N1 !N2 !...Nk ! (7.2.3) Dabei sind die Teilchen in jedem einzelnen Zustand nicht unterscheidbar, jedoch unterscheidbar von den Teilchen in den k - 1 anderen Zuständen. Beispiel: Berechne das Gewicht einer Konfiguration von 20 Teilchen, die folgenderweise verteilt sind: {0,1,5,0,8,0,3,2,0,1}; N = 20, k = 9 20! W = = 4.19 ⇥ 1010 0!1!5!0!8!0!3!2!0!1! 7.3 Die Boltzmann-Verteilung Die wahrscheinlichste Verteilung hat ein so grosses Gewicht W, dass das System praktisch immer in dieser Konfiguration gefunden wird: dW = 0 W = maximal (7.3.1) Wie findet man die wahrscheinlichste Konfiguration? Bedingungen: • Energiekriterium: Berücksichtige nur diejenigen Konfigurationen, die zu einer konstanten Gesamtenergie des Systems E beitragen: X (7.3.2) E= N i Ei i • Teilchenzahl-Kriterium: Gesamtzahl der Teilchen ist konstant gleich N: X i Ni = N (7.3.3) → Löse Extremwert-Problem mit der Methode der Lagrange-Multiplikatoren → Herleitung: Tafel Boltzmann-Verteilung: Ni⇤ exp{ Ei /kB T } = NP j exp{ Ej /kB T } (7.3.4) mit kB=1.38065×10-23 J K-1 ... Boltzmann-Konstante Der Ausdruck im Nenner von Gl. (7.21) wird als molekulare Zustandssumme q X bezeichnet: (7.3.5) q= exp{ Ej /kB T } j Gibt es gi Zustände mit der Energie EI (d.h. das Niveau i ist gi-fach entartet), dann gilt: gi ⇤ (7.3.6) Ni = N exp{ Ei /kB T } q X (7.3.7) gj exp{ Ej /kB T } mit q = j wobei die Summe nun über alle entarteten Niveaus läuft. Der Ausdruck exp{ Ei kB T } (7.3.8) im Zähler von Gl. (7.3.4), (7.3.6) wird auch als Boltzmann-Faktor bezeichnet. Material: bis K5-8 l „Statistik und Datenauswertung“ 7.4 Anwendungen der Boltzmann-Verteilung 7.4.1 Moleküle mit quantisierten Energieniveaus Wie verteilen sich Teilchen in einem gequantelten System? Moleküle weisen i.A. quantisierte Energieniveaus für die Translation, Rotation, nden Vibration, sich alle Teilchen auf dem untersten Energieniveau. auf (s. Kapitel 1-4). elektronische und Spin-Bewegung nden Bei sich Teinige Teilchen wegen ihrer thermischen EnergieEnergieniveau auf höherem Niveau. = 0 besetzen alle Teilchen das unterste (Grundzustand): N0=N. Bei T > 0 besetzen einige Teilchen wegen ihrer thermischen Energie auch annscher e-Satz (ohne Beweis): höhere Niveaus. 2 1 Eon ⌧ kB T : Ni ⇡ N0 T : Nn ≈ N : ... ... k B T : Ni ⇡ 0 Ei ⇡ k B T : Alle Niveaus ungefähr gleich besetzt 0 2 1 Nur das tiefste Niveau (Grundzustand) besetzt ... 0 ... T : Nn ≈ 0En ... ... e−E n kTIn Abhängigkeit der Temperatur No = Teilchen (und auf Niveau Eo = 0 o mitthermischen damitEder Energie) ergeben sich Nn =folgende Teilchen auf Niveau En aus Gl. (7.3.6) qualitativ Besetzungsszenarien für die Niveaus Ni (i>0): 2 1 0 Besetzungen folgen exponentiell der Energie Ei Der relative Anteil der Teilchen auf Niveau j (Population pj) errechnet sich aus Gl. (7.3.6) gemäss: Nj gj pj = = exp{ Ej /kB T } (7.4.1) N q wobei q die Zustandssumme Gl. (7.3.7) und gj den Entartungsfaktor für Niveau j bezeichnen. Bsp.: Besetzung der Rotationsisomere (Konformere) von 1-Bromo-2-Fluoromethan Problemstellung im thermischen Gleichgewicht: Beispiel zur Boltzmannstatistik: Rotationspotential von 1-Bromo-2-Fluoro-Ethan • Die relativen Teilchenzahlen (oder äquivalent die Frage: Mit welcher Häufigkeit relativen Populationen) der beiden Isomere gauche 4 liegt welches Isomer vor? und anti berechnen sich aus Gl. (7.3.6) (oder auch Beachte: es gibt zwei E Gl. (7.4.1))für gemäss: 2 Realisierungsmöglichkeiten Einführung in die Physikalische Chemie V(ϕ) K5-2 Boltzmann-Statistik gauche }ΔE Eanti 0 0 60 Br 120 180 Br 240 F F F gauche anti Die Antwort gibt die Boltzmann-Formel: 300 Br Ngauche pgauche ggauche exp{ Egauche /kB } ggauche = = = exp{ Nanti panti ganti exp{ Eanti /kB } ganti gauche, aber nur eine für anti ϕ 360 E/kB T } • Da es zwei Realisierungen des gauche-Isomers, aber nur eine des anti-Isomers gibt, gilt: ggauche=2, ganti=1. • Für ΔE=5 kJ mol-1 und T=300 K erhält man: gauche pgauche 2 5000 = exp{ 8.314⇥300 } = 0.269 panti 1 n(gauche) g( gauche) = ⋅e − n(anti) ΔE kT g( anti) Bem.: Wird im Boltzmannfaktor ΔE in [kJ mol-1] eingesetzt, ersetze kB durch die GasR, damit die Einheiten konsistent bleiben (R=NA×kB). n = Häufigkeit der Moleküle, g = Anzahl Realisierungsmöglichkeiten (hierkonstante 2 gauche, 1 anti) • Mit zunehmender Temperatur wird das Argument der Exponentialfunktion kleiner und es liegen mehr gauche-Isomere vor! ΔE > 0 Energieunterschied zwischen € höherem und tieferem Energieniveau, T = Temperatur k = Boltzmann-Konstante − ΔE kT − ΔE molar RT 7.4.2 Barometrische Höhenformel Die Abhängigkeit des Luftdrucks P von der Höhe h über dem Meer (barometrische Höhenformel) kann aus Gl. (7.4.1) hergeleitet werden, wenn man für die Energiedifferenz die Gravitationsenergie ΔEg=Mgh der Luft einsetzt: ⇢ mit: g – Erdbeschleunigung P (h) Eg (h)/RT h - Höhe über dem Meer = exp = exp Eg /RT P(h) – Druck auf Höhe h P (h = 0) Eg (h = 0)/RT P(0) – Druck auf Meereshöhe (h=0) M – Molmasse der Luft R – molare Gaskonstante P (h) = P (0) exp{ Mgh/RT } (7.4.2) h 7.4.3 Temperaturabhängigkeit der Geschwindigkeitskonstanten: Arrhenius-Gleichung Es kann gezeigt werden, dass die empirische Arrhenius-Gleichung (7.4.3), die die Abhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit von der Temperatur beschreibt, unter gewissen Annahmen aus statistisch-thermodynamischen Überlegungen basierend auf der Boltzmann-Verteilung erhalten werden kann (s. Vorlesung PC IV). k(T ) = A exp{ EA /RT } (7.4.3) mit: k(T) - temperaturabhängige Reaktionsgeschwindigkeits-Konstante A - Präexponentieller Faktor nach Arrhenius EA - Aktivierungsenergie der Reaktion nach Arrhenius 7.4.4 Maxwell-Boltzmann-Geschwindigkeitsverteilung eines Gases Die Verteilung der Geschwindigkeiten von Gasteilchen bei einer Temperatur T (Maxwell-Boltzmann-Geschwindigkeitsverteilung) lässt sich ebenfalls aus der Boltzmann-Verteilung herleiten → Tafel. M 2⇡RT ✓ ◆1 M in 3D: p(v )dv = 4⇡ 2⇡RT 2 exp ◆3 2 2 ⇢ v exp Mvx2 dvx 2RT ⇢ (7.4.4) Mv 2 dv (7.4.5) 2RT Wichtige Kenngrössen der Verteilung: • Mittlere Geschwindigkeit der Teilchen: r Z 1 8RT (7.4.6) v̄ = v p(v )dv = ⇡M 0 • Wahrscheinlichste Geschwindigkeit der Teilchen (Geschwindigkeit am Maximum der Verteilungsfunktion): r (7.4.7) 2RT ⇤ v = M p(v) in 1D: p(vx )dvx = ✓