islamische mystik - Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen

Werbung
ISLAMISCHE MYSTIK
(Friday, 07 July 2006) - Contributed by Andrea Saleh - Last Updated (Friday, 07 July 2006)
Der Begriff der Mystik Dem Duden ist zu entnehmen, dass es sich dabei um eine besondere Form der Religiosität handle,
bei der der Mensch durch Hingabe und Versenkung zu persönlicher Vereinigung mit Gott zu gelangen sucht (Unio
mystica: das Einssein mit dem Wesen Gottes). Im großen UNIVERSALLEXIKON des Gondrom Verlages wird Mystik als
Erfassen des Übersinnlichen und Göttlichen durch Abkehr von der Sinnenwelt bezeichnet. Mystiker werden wohl in allen
Kulturen als Menschen betrachtet, die Auswege aus der konfessionellen Enge von Religion suchen. Im Islam wird Mystik
als "Irfan" (arab. für Erkenntnis, Gnosis) bezeichnet. Sie wird auch Sufismus (von tasawwuf - suf - Wolle abgeleitet)
genannt. Dies ist ein Hinweis auf ihren ursprünglich asketischen Charakter und das (meist dunkle) Wollgewand der
Mystiker bzw. Sufis. Die Wirklichkeit, die die Mystiker bezeugen wollen, kann ihrer Meinung nach nicht durch das
Studium von Büchern erlangt werden, sondern nur existentiell erfahren werden. Der Weg zu höherer Erkenntnis (ma'rifa)
der Wirklichkeit verläuft in zweierlei Hinsicht: Selbsterkenntnis des Geschöpfes und Erkenntnis des Schöpfers. Abu Hamid AlGhazali erklärt dazu in seinem "Elixier der Glückseligkeit": "Denn wer sich selbst und seinen Herrn erkannt hat, der weiß mit
Gewissheit, dass er kein Dasein von sich selber hat, sondern dass sein Dasein und die Erhaltung und Vollkommenheit
seines Daseins von Gott und zu Gott und durch Gott ist." Durch den Koran und die Überlieferungen des Propheten (s.s.)
und seiner Familienangehörigen und Gefährten zeigt sich, dass von Anfang an eine Beziehung zwischen Mystik und
islamischer Botschaft bestand. Die frühen Mystiker beriefen sich auf den ganzheitlichen Aspekt des Islam und wehrten
sich gegen eine Trennung zwischen Innerem und Äußerem, Mystik und Gesetz. Sie betonten die Einheit - die ja auch das
zentrale Thema des Koran ist. Einheit ist zunächst die Einheit und Einzigkeit Gottes, der Urgrund des Seins und das Ziel
alles Existierenden. Diese Einheit offenbart sich in der Vielfalt, die organisch zusammenwirkt und somit ein Spiegelbild
der ursprünglichen Einheit ist. Um sich dieser Einheit wirklich bewusst zu werden, sie zu "verinnerlichen" muss jedoch das
Ego mit seinen Begierden überwunden werden, um die Erfahrung der Einheit mit dem Anderen, mit der Schöpfung und
letztlich mit Gott erst möglich zu machen. Die Schritte, die zu diesem Einheitsbewusstsein führen, werden als Weg
beschrieben, der sowohl die breite Straße des religiösen Gesetzes (Scharia) als auch des mystischen Pfades (Tariqa)
umfasst. In diesem Sinne könnte man Scharia mit einer mehrspurigen Straße vergleichen, und Tariqa wäre dann die gewählte
Fahrspur, auf der man der eigenen Geschwindigkeit und Fahrweise entsprechend vorankommt; abseits der Straße liegt
dagegen der Umweg - oder der Straßengraben. Bei Scharia handelt es sich gleichzeitig um Recht (nicht nur aus Sicht der
Mystiker) und auch die diesem zugrunde liegende Ethik. In der islamischen Ethik geht es um die Beziehungen des
Menschen zu sich selbst, zu seinen Mitmenschen, zu seinen Mitgeschöpfen, zur Schöpfung an sich und schließlich zum
Schöpfer. Das islamische Recht gibt Anleitung zur Gestaltung dieser Beziehungen, durch gezielte Gebote aber auch
Hilfestellung zu einer Weiterentwicklung auf diesem Gebiet. So übt z.B. das Fasten die Selbstbeherrschung und
Genügsamkeit und vermittelt gleichzeitig die Erfahrung des Hungers, die das Mitgefühl mit den notleidenden Mitmenschen
wachsen lässt, das Gebet stärkt die persönliche Verbindung zu Gott und hat gleichzeitig einen starken Gemeinschaftsaspekt
usw. Man braucht kein Mystiker sein, um auf dieser Ebene ein rechtschaffener und auch spiritueller Mensch zu sein und
Gott sehr nahe zu stehen. Alle großen islamischen Mystiker befolgten die sittlichen Normen des religiösen Gesetzes in
gleichem Maße, wie sie ihr Herz dem Göttlichen widmeten. Dazu gehören Namen wie: Hasan al-Basri (gest. 728), Dhun-Nunal-Misri (gest. 859), Bistami (gest. 874), Mansur al-Hallaj (hing. 922), Abdullah-i Ansari (gest. 1089), Abu Hamid AlGhazali (gest. 1111), Fariduddin Attar (gest. 1220) Muhyiduddin Ibn Arabi (gest. 1240) und Jalaluddin Rumi (gest. 1273)
sowie Hafiz Shirazi (gest. 1389). Waren bei den frühen Sufis die Furcht vor der Abrechnung maßgeblich, entwickelte sich
schon früh eine Liebesmystik, vor allem unter der berühmten Mystikerin Rabia von Basra, deren Wunsch es war Gott
alleine aus Liebe zu ihm und nicht wegen Belohnung oder Bestrafung zu dienen. (Junaid – „Mystik der
Nüchternheit“, Abdel Kadir Gilani – Ordensbildungen). Spätere Mystiker, wie Ibn Arabi konzipierten
umfassende Systeme gnostischer Erkenntnis, die sich rasch in der ganzen Islamischen Welt verbreiteten und bis zum
heutigen Tag Quelle der Inspiration für viele Muslime sind, und nicht nur für Muslime (Goethe - Hafiz). Innere Stufen der
Tugendhaftigkeit Die Mystiker aller Traditionen sind sich einig, dass die "Reise zum Herrn der Macht" - wie es von Ibn
Arabi bezeichnet wird - moralische Qualitäten und innere Stufen der Tugendhaftigkeit voraussetzt, die der Wanderer im
stetigen Kampf mit seinen Begierden (jihad un-nafs) erwirbt. Wenn der Mensch bewusst und absichtlich seinen
persönlichen Weg der Selbsterziehung geht, gibt es dabei folgende wichtige innere Stufen (Schritte) : - TAWBA
(Einsicht/Umkehr) , um alte Fehler, Schwächen und Irrtümer nicht weiterzuverfolgen. Wichtig ist dabei die Bitte um
Vergebung, aber auch die Aussöhnung mit jemandem, dem man ev. Schaden zugefügt hat. - SABR (Geduld) vor allem
auch mit sich selbst, wenn man wieder in alte Gewohnheiten zurück fällt. - SHUKR (Dankbarkeit) für alle Gaben Gottes, die
man im allgemeinen oft für selbstverständlich ansieht. Der Mensch kann Dankbarkeit nicht nur durch Gotteslob erweisen,
sondern auch dadurch, Seine Gaben um sich herum zu entdecken, zu entfalten, Freude daran zu haben und sich in
Seinem Dienst einzusetzen (z.B. Frieden stiften, versöhnen, pflegen, heilen usw). - KHAWF (Furcht) im Sinne von
Ehrfurcht und Vorsicht sowie RIJAA' (Hoffnung) auf die Früchte unserer Bemühungen. - FAQR (Armut) und ZUHD
(Verzicht) sind weitere wichtige Schritte. Die mystischen Autoren sind unterschiedlicher Ansicht darüber, ob Armut
materielle Armut beinhaltet oder ausschließlich im übertragenen Sinne als Bedürftigkeit Gott gegenüber zu verstehen ist. Auf
jeden Fall ist Anhaftung an das Eigentum schädlich, weil derart Verzichten und Teilen schwer fällt - eine solche Haltung wäre
ein schwerwiegendes Hindernis auf dem Weg. In diesem Zusammenhang steht auch Verzicht nicht nur auf Verbotenes,
Umstrittenes und Schädliches, sondern auch auf Überflüssiges und Unnützes, etwa überflüssiges Reden, nutzloses Eigentum
usw. - TAWHID (Einheit) und TAWAKKUL (Gottesvertrauen): Einheit ist nicht nur das theologische Bekenntnis zu einem
einzigen Gott, sondern auch die Einigung der eigenen Persönlichkeit im Hinblick auf dieses eine Ziel. Das Vertrauen in
Gott könnte z.B. mit einem kleinen Kind verglichen werden, das schrittweise seine Welt entdeckt und sich dabei immer,
wenn es etwas Schönes, Fremdartiges oder Beängstigendes findet sich an seine Mutter wendet. Gottesvertrauen darf
keinesfalls mit Leichtsinn oder Fatalismus verwechselt werden, denn es setzt voraus, dass alles menschenmögliche getan
http://www.islaminitiative.at - islaminitiative
Powered by Mambo
Generated: 22 August, 2017, 20:26
wird. Ziel dieses Weges ist Liebe zu Gott, und zwar nicht nur ein undeutliches, schwärmerisches Gefühl, das womöglich zu
ekstatischen Äußerungen veranlasst, sondern eine tiefe, reife Liebe, die den aufrichtigen Wunsch weckt, Gott zu dienen
und zur Verwirklichung Seines Plans beizutragen. Die zuvor genannten Stufen können schon Vorformen dieser Liebe
gewesen sein. Ein Diener Gottes zu sein bedeutet auf mystischer Ebene, Gott nahe zu stehen, Ihn zu erkennen, Sein
Freund zu sein. Ein solcher Mensch wird von den Mystikern Wali Allah genannt. Die Erfüllung ist die
Verbindung/Vereinigung mit dem Geliebten, das Entwerden (Fana) und Bleiben (Baqa) bei Ihm. Der Mystiker erlebt in
diesem Stadium nicht mehr sich selbst, sondern nur Gott und Seine Manifestationen, sowohl in seiner Umgebung als
auch in sich selbst. Die Erziehung des "Ichs" Der Weg der Selbsterziehung ist ein fortschreitender Erkenntnisprozess,
hinderlich kann allerdings das menschliche Ich (Nafs) sein, das unter Umständen das innere Licht verdunkelt, Erkenntnis
und Einsicht und damit auch den Sinn für Gerechtigkeit trübt. Das Ich als innere Triebkraft ist andererseits für das
Vorankommen notwendig. Es geht also darum, es zu erziehen. Ein solcher erzieherischer Aspekt ist - wie bereits
angedeutet - auch in den gottesdienstlichen Handlungen, die den Muslimen verpflichtend auferlegt sind zu finden, nämlich
in Gebet, Fasten und Zakat usw. Muslimische Denker und Theologen sprechen nicht nur von einem Trieb zur
Selbsterhaltung , Selbstverteidigung und Fortpflanzung, die vom Schöpfer mitgegeben wurden und einen positiven Zweck
erfüllen sollen, sondern auch von einem Trieb zur Selbstverwirklichung und sogar von einem Trieb, bzw. von einer inneren
Veranlagung, Gott zu suchen (Fitra). Im Koran selbst werden Zustände des Ichs an verschiedenen Stellen angesprochen.
Daraus wurden folgende Stadien bzw. Entwicklungsstufen der Befindlichkeit des Ichs abgeleitet: 1.
Nafs Ammaara treibendes oder befehlendes Ich (Triebseele). Ein Ich, das seine Triebe nicht beherrscht, sondern von ihnen beherrscht
wird. Dieses Nafs kann Schaden anrichten, aber auch Schaden erleiden. 2.
Nafs Rahiina - belastetes Ich. Als Folge
seiner verfehlten oder schädlichen Handlungen empfindet das Ich unbewusste Schuldgefühle und deutet unangenehme
Erfahrungen in diesem Zusammenhang als Strafe, abgesehen von psychischen Verwirrungen, die entstehen können,
wenn man sich selbst gegenüber unehrlich ist, Schuld auf andere schiebt oder sonst Selbstmitleid entwickelt oder
uneinsichtig bleibt. Tatsächlich ist jede „Strafe“ und jede unangenehme Erfahrung eine Mahnung, über den
eigenen Lebenswandel nachzudenken und an Fehlern und Schwächen zu arbeiten. 3.
Nafs Lawwaama - das sich selbst
anklagende oder selbstkritische Ich (Gewissen). Das Ich lässt sich nicht mehr von Trieben und Impulsen beherrschen und
macht Anstalten, sich auf diese Weise von den Fesseln seiner Belastungen zu befreien, indem es selbstkritisch an sich
arbeitet. Ein eindeutiges Gefühl für Recht und Unrecht bewertet geschehene Handlungen bzw. versucht bereits von
vornherein, schlechte Handlungen zu verhindern und zu guten zu motivieren. 4.
Nafs Zakiya - das gereinigte oder
geläuterte Ich. In Wirklichkeit ist der innere Läuterungsprozess ein langer, in dem wir nicht den Mut verlieren dürfen. Das Ich
wird oft mit Gold verglichen, das eingeschmolzen, von Schlacken gereinigt und geschmiedet werden muss. Der Mensch
lernt den Umgang mit sich selbst und kommt mit sich ins Reine - erst dann wird es ihm möglich, über sich selbst
hinauszuschauen und uneigennützig auf andere zuzugehen. Dies ist der innere Zustand der Propheten und
Gottesfreunde. Ein solcher Mensch steht nicht mehr sich selbst im Weg, ist aber noch Prüfungen und Versuchungen von
außen ausgesetzt, in denen er sich bewähren muss, und er leidet durchaus gelegentlich noch an Selbstzweifeln,
Ungewissheit und Unruhe. 5.
Nafs Mutma’inna - das beruhigte Ich. Erst schrittweise erlangt eine Person in ihrer
äußeren und inneren Auseinandersetzung einen Grad der Gewissheit, der sie beruhigt und ihr Zuversicht gibt, indem sie
Gottes Wirken an sich selbst und anderen unmittelbar und ohne Selbsttäuschung erleben konnte. Dies ist ein Zustand,
der außer innerer Reinheit und Klarheit auch Erfahrung voraussetzt und er ist genau zu unterscheiden von Gleichgültigkeit
und einer Losgelöstheit, die Unrecht, Leiden, die Zerstörung anderer Daseinsformen und alle Disharmonie einfach ignoriert,
denn das wäre ein Zustand tiefster Unwissenheit und Illusion. Ein Mensch hingegen, der diese innere Ruhe wirklich
erreicht hat, setzt sich in allen Lebenslagen geduldig und sachlich mit reiner Absicht für Gottes Sache ein und lässt sich
weder durch Erfolge noch durch Misserfolge aus dem Gleichgewicht bringen. 6.
Nafs Radiya - die zufriedene Nafs und 7.
Nafs Mardiya - die Nafs, mit der Gott zufrieden ist. Von diesen beiden Schritten ist nicht sicher, ob sie in diesem Leben
als Dauerzustand verwirklicht werden können oder nur vorübergehende „Kostproben“ für das zukünftige Leben
sind. Nafs Radiya ist in dem Sinne zufrieden, dass sie über Gewissheit und Zuversicht hinaus bejaht, was sie als von Gott
kommend erfährt, ob es für sie gerade angenehm oder unangenehm ist, in Verbindung mit einer tiefen Einsicht. Dies wird
meist als Voraussetzung für den anderen Zustand gesehen: Nafs Mardiya. Die erzieherische Linie, die der Prophet
Muhammad (s.s.) verfolgte bzw. die in der chronologischen Abfolge des Koran gegeben ist, ist Erziehung auf der
Grundlage einer bestehenden, wenn auch mangelhaften Gesellschaft, zu einer höheren Ebene der Erkenntnis und
Verantwortung, so dass aus den so entfalteten Individuen schließlich eine neue gesundere Gemeinschaft wachsen kann.
Dies ist nie ganz aus den Augen verloren worden: Zumindest in groben Zügen wird seit jeher angegeben, welche Texte
aus Mekka und welche aus Medina stammen und ihr transzendenter Ursprung findet stets Berücksichtigung: Sie sind
nicht einfach nur Dokumente des Zeitgeschehens, sondern sprechen in die damalige Zeit hinein und über sie hinaus.
Ebenen der Selbsterforschung Auf dem Weg zu höherer Erkenntnis haben Sufis verschiedene Methoden und
Erklärungsmodelle entwickelt. Eines davon sind die bereits genannten Entwicklungsstufen des Ichs. Ein anderes ist das
der verschiedenen Ebenen, die ein Mensch im Laufe seiner Selbsterforschung kennen lernt. Nach dem folgenden Modell
wird dabei ein Bezug zu menschlichen Grunderfahrungen hergestellt, die anhand der Geschichten prophetischer
Persönlichkeiten aus alten Zeiten verdeutlicht werden und als Hilfe zum Verständnis bei den Entwicklungs- und
Entdeckungsschritten herangezogen werden. Da ist zunächst der Körper (zahir) mit seinen Funktionen, die erst entdeckt
und erlernt werden müssen, um sie beherrschen und koordinieren zu können. Ein Mensch, der seinem Körper entfremdet ist,
wird im Umgang mit sich selbst Schwierigkeiten haben, vor allem, wenn körperliche Veränderungen stattfinden wie etwa in
der Pubertät, bei einer Schwangerschaft oder im Übergang ins Alter. Solche Zeiten der Veränderungen machen das Werden
und Vergehen besonders deutlich. Auf dieser Ebene liegen nach der mystischen Betrachtungsweise Adam bzw. Eva.
Die damit verbundene Urerfahrung ist Fehltritt, Einsicht und Umkehr, durch die sich der Mensch für neue Erkenntnisse
und Offenbarung öffnet. Zum Körper gehört in gewissem Sinne auch die innere Struktur, denn nicht nur die äußere Form, die
http://www.islaminitiative.at - islaminitiative
Powered by Mambo
Generated: 22 August, 2017, 20:26
immer wieder neu hergestellt wird, hinterlässt Eindrücke, sondern auch Erfahrungen, Wünsche, und jene unbewussten oder
halbbewussten Faktoren wie Sozialisation, frühere Erfahrungen, innere Bilder usw. sowie genetische Voraussetzungen.
Die Auswirkungen dieser Ebene lassen sich nicht durch rationales Lernen übertragen, sondern äußern sich vielmehr auf
psychosomatischem Weg. Nächste Ebene ist das Ich (Nafs), das der Mensch für den Kern seiner Persönlichkeit hält und von
dem schon ausführlich die Rede war. Auf dieser Ebene liegt Noah denn: Ein gut erzogenes Ich ist wie ein Schiff voller
Tiere - die menschlichen Triebe und Regungen, die sich allesamt innerhalb ihrer berechtigten Grenzen bewegen und
sich bereitwillig dem Kapitän unterordnen, der das Schiff durch die Stürme des Lebens hindurch auf das Ziel zusteuert, zu
dem der Reeder ihn beauftragt hat. Das bedeutet, dass das Ich einsieht, dass es nicht im Mittelpunkt des Daseins steht.
Ein egozentrischer Mensch würde sich selbst verabsolutieren und die eigenen Wünsche und Bestrebungen zum Maßstab für
alles andere in der Welt machen. Ein Mensch jedoch, der sich gründlich selbst erforscht, entdeckt zwangsläufig, dass er
nichts als ein Pünktchen auf dieser Erde ist, geschweige denn im Universum. Er erkennt, dass es Maßstäbe gibt, denen er
untergeordnet, und Beziehungen, in die er eingeordnet ist und die ihn auch selbst verändern können. Wichtig auf der
Ebene der Beziehungen ist das Herz (Qalb): Es ist der Wendepunkt des Menschen, indem es sich zuwendet, den es
liebt. Wenn jemand nur sich selbst liebt, wird das Herz ganz vom Ego in Anspruch genommen und Mitmenschlichkeit
oder Gottesliebe hat darin keinen Platz. Diese Ebene wird durch Abraham verdeutlicht. Nach einer intensiven Suche
nach dem wirklichen Geliebten wird er geprüft, wen er nun mehr liebt, Gott oder seinen Sohn, der sein Ich verkörpert; er
sieht sich aufgefordert, seinen Sohn zu opfern. Selbstaufgabe ist aber nicht der Sinn dieser Prüfung, sondern was geprüft
wird, ist die Liebe und die Bereitschaft: der Sohn wird ja schließlich durch ein Schaf ausgelöst. Auch die nach
muslimischem Glauben von Abraham und Ismail gebaute Kaaba ist ein Herzsymbol. Sie kann mit Götzen vollgestellt sein
wie zur Zeit der ersten Offenbarungen an den Propheten Muhammad (s.s.), oder sie kann rein und leer sein, um Gottes
Gegenwart aufzunehmen, also im wahrsten Sinne des Wortes Gottes Haus sein. Jenseits des Herzens liegt die Vernunft
('aql) nicht der rationale Verstand, sondern die Fähigkeit, übergreifende Zusammenhänge zu erkennen und richtige
Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Wenn das Ich aus seinen Kenntnissen aber eigennützige Schlussfolgerungen zieht
und damit die Harmonie der Beziehungen stört, in die es eingebettet ist, kann großer Schaden entstehen (z.B.
Gewinnmaximierung durch technologische Kenntnisse). Vernunft ist immer mit Verantwortung verknüpft und macht den
Menschen erst wirklich zum Khalifa, zum Statthalter Gottes. Hier ist den Mystikern Moses Bezugsperson, dem das
"Gesetz" deutlich wird und der in Gottes Auftrag das größenwahnsinnige Ich in der Gestalt des Pharao in seine Grenzen
weist. Auf der nächsten Ebene ist der Geist (ruh). Er ist die Verbindung zwischen Mensch und Gott. In diesem mystischen
Erklärungsmodell ist der Geist Übermittler der Offenbarung und der schöpferischen Impulse. Verdeutlicht wird dies an der
Gestalt von Jesus, dessen Wunder, wie sie im Koran erwähnt werden, die im Sinne einer Belebung toter Herzen, einer
Heilung innerlich Kranker, einer Eingliederung gesellschaftlich "Unberührbarer" usw. verstanden werden. Ruh ist die
eigentliche Seele des Menschen, deren leise Stimme aber oft durch das laute Geschrei des Ich in den Hintergrund
gedrängt wird. Die letzte und höchste dieser Ebenen ist das Licht (nur), jener göttliche Funke im Menschen, der erst dann
richtig zum Vorschein kommt, wenn der ganze Mensch durchlässig geworden ist. Licht ist der Offenbarungsinhalt, die
Mitteilung Gottes an den Menschen. Es erleuchtet und zeigt die Aufgaben auf, und den Weg, sie zu bewältigen. Die Welt
wird "in ihrem wahren Licht" gesehen. Das Licht vertreibt die Finsternis der Unwissenheit und Ungerechtigkeit (zulm). Es
ist Gottes eigenes Licht, und der Mensch erkennt, dass Gott selbst es war, der ihn führte. Der Funke Seines Lichtes im
Menschen ist es, der Einsicht gibt in die Wirklichkeit der Welt und den Sinn des eigenen Lebens. Verdeutlicht wird dies
an der Gestalt Muhammads (s.s.), der Kontakt mit dem göttlichen Licht im "Abstand von zwei Bogen" hatte (Sura 53:1-12).
Das bedeutete im damaligen arabischen Sprachgebrauch eine unmittelbare Berührung auf breiter Fläche, aber keine
"Verschmelzung". Auf diese Art bleibt der "unendliche, qualitative Unterschied", Gottes Transzendenz gewahrt, auch
wenn das Ich völlig das Bewusstsein von sich selbst verliert, auch wenn der betreffende Mensch sich völlig "von Gott erfüllt"
erfährt und nichts anderes mehr lebt als die Impulse, die ihm von Gott eingegeben werden, wenn er völlig
Offenbarungsträger geworden ist. Formen der Meditation Welche Erklärungs- und Hilfsmodelle der Suchende auch
heranzieht: Der "Weg zum Herrn der Macht" ist jedenfalls lang, mühevoll und nicht ungefährlich. Er wird von Mystikern mit
einer Reise durch die Wüste verglichen, wo es Raubtiere gibt, Sandstürme, usw. und gelegentlich eine Fata Morgana.
Diese ist wohl auch die größte Gefahr: Die der Illusion, dem Ziel schon sehr nahe zu sein, während der Mensch in
Wirklichkeit auf Abwege gerät, einem Streich der Phantasie oder der Emotionen zum Opfer gefallen ist. Deswegen wird es
fast durchwegs als unerlässlich betrachtet, einen erfahrenen Führer oder Begleiter zu haben. Wissen und eine solide
ethische Grundlage sind jedenfalls für den Suchenden eine Voraussetzung. Das Wesentliche ist die Besinnung und
Erfahrung von Gottes Gegenwart und der Ausbau bzw. die Vertiefung der Verbindung zu und mit Ihm. Dazu haben sich
in den mystischen Traditionen vielfältige Formen der Meditation herausgebildet. In sehr umfassendem Maße ist das schon
das rituelle Gebet, dazu kommen Bittgebete, Lobpreisungen, Bitten um Vergebung usw. In den mystischen Traditionen
ist das darüber hinaus das sogenannte "DHIKR" das laut (eher in Gemeinschaft) oder still (eher alleine) praktiziert wird,
indem eine Abfolge von Gebeten rezitiert und/oder Anrufungen wiederholt werden, z.B. über die Namen Gottes. Es kann
von Körperhaltungen oder Gesten, bis hin zum Tanz begleitet sein. Von Dhikr des Herzens wird gesprochen, wenn ein
Mensch in einer ständigen, ununterbrochenen Herzensverbindung mit Gott lebt. Zurückgezogenheit ist eher nicht
erstrebenswert, weil das Fehlen der Herausforderungen durch die Mitmenschen und verschiedene Lebensumstände leicht
zu einem falschen Selbstbild führt und Meditation in Autosuggestion umschlagen könnte. Schlussbetrachtungen In der
Geschichte der Sufis gab es verschiedene Tendenzen. Die frühen Sufis legten großes Gewicht auf Zurückgezogenheit und
starke Askese, standen allem Materiellen und den Mächtigen ihrer Zeit kritisch gegenüber. Nach der Entstehung der großen
Ordenstraditionen verstärkte sich das Gewicht auf die Gemeinschaft der Sufis untereinander. Islamische Werte wurden
gepflegt und derart weiter vermittelt, dass die Mitmenschen profitieren konnten, unter anderem auch im Bereich der
Geisteswissenschaften, des sozialen Lebens und der Kultur. Es gab allerdings auch gewaltige Versuchungen dort, wo
Mystiker Herrschern beratend zur Seite stehen konnten und es waren sicher nicht alle Berater immun dagegen. Die
http://www.islaminitiative.at - islaminitiative
Powered by Mambo
Generated: 22 August, 2017, 20:26
Methoden und Erklärungsmodelle der Mystiker auf dem Weg zu Gott haben auch im Leben "gewöhnlicher" Gläubiger
Bedeutung, man könnte sagen, dass die Grenze zwischen Mystik und konfessioneller Lehre fließend ist. Der große
Unterschied zu den Mystikern liegt wohl in der Intensität der Suche und im Streben nach der vollkommenen Vereinigung
mit Gott bereits im Diesseits. Natürlich gerieten und geraten Mystiker mit ihren Interpretationen, die von der
"konfessionellen Lehre" teilweise als zu exzessiv oder zu weit hergeholt geächtet wurden, mitunter mit jener in Konflikt. In
diesem Zusammenhang ist unbedingt Abu Hamid Al-Ghazali zu nennen, einer der größten Theologen des Islam, der sich unbefriedigt durch den Intellektualismus - dem Sufismus zuwendete. Ihm gelang es, die "konfessionelle Lehre" mit der
Mystik zu "versöhnen" und ihr einen festen Platz in der islamischen Theologie zu verschaffen. Seine Hauptwerke sind "Die
Wiederbelebung der Religionswissenschaften", "Die Nichtigkeit der Philosophie" und "Das Elixier der Glückseligkeit". Aus
diesem abschließend ein kurzes Zitat: "Die höchste Vollkommenheit die der Mensch erreichen kann, ist die, dass die Liebe
zu Gott sein Herz so erfüllt, dass sie alles aufhebt, und wenn das nicht möglich ist, sie doch die Liebe zu allen anderen
Dingen überwiegt."
Quellen: Halima Krausen, Islamische Mystik auf der Grundlage von Koran und Sunna Rudolf Jockel,
Islamische GeistesweltAl-Ghazali, Das Elixier der GlückseligkeitAnnemarie Schimmel, Die Religion des Islam
http://www.islaminitiative.at - islaminitiative
Powered by Mambo
Generated: 22 August, 2017, 20:26
Herunterladen