Modul 5 – WS 09|10 1. Ursachen & Erklärungen sozialer Beziehungen Soziale Beziehungen (Verwandtschaft, Freundschaft, Liebe) lassen sich wissenschaftlich unter sehr verschiedenen Perspektiven beschreiben & erklären. Unterschiedliche wissenschaftliche Erklärungen für ein Phänomen können, müssen sich aber nicht widersprechen. Um zu erkennen, ob Widersprüche zw. Theorien vorliegen oder nicht, ist es zweckmäßig, sich über die „Ebene“ Klarheit zu verschaffen, auf der Erklärungen angeboten werden. Trillmich stellt (in Anlehnung an Tinbergen) 4 zu unterscheidenden Frageebenen vor, die in der Verhaltensforschung benutzt werden, um Verhalten zu verstehen: 1 ] Frage nach anzestralen Vorstufen des Verhaltens: Man fragt, aus welchen möglichen Vorstufen sich ein beobachtetes Verhalten stammesgeschichtlich ableiten lässt. 2 ] Frage nach ontogenetischen Vorstufen eines Verhaltens. 3 ] Frage nach proximaten Ursachen für ein Verhalten: Unmittelbare Gründe/aktuelle Ursachen eines Verhaltens. Alles was wir als Person gelernt/erworben/entwickelt haben, zählt zu den proximaten Ursachen unseres Verhaltens. 4 ] Frage nach ultimaten Erklärungen für ein Verhalten (bzgl. des phylogenetischen Nutzens eines Verhaltens, auf die Frage, welchen selektiven Vorteil unsere Vorfahren hierdurch hatten) = grundlegende/evolutionäre Ursachen. Annahmen über ultimate Mechanismen beziehen sich auf Verhaltens- & Denkweisen, die es unseren frühen Vorfahren ermöglicht haben, die eigenen Gene an ihre Nachfahren weiterzugeben. Neyer & Lang halten 3 Mechanismen für zentral: a ] Sexuelle Verpaarung b ] Verwandtenselektion c ] Kooperation Verhältnis zw. proximaten & ultimaten Erklärungen: sie sollten sich nicht widersprechen; proximate Erklärungen müssen sich nicht aus ultimaten Erklärungen ableiten lassen. Rahmenmodell der Gestaltung sozialer Beziehungen von Neyer & Lang, das ultimate & proximate Mechanismen mit 3 zentralen Beziehungstypen verbindet. Abbildung 1: Rahmenmodell der Gestaltung sozialer Beziehungen nach Neyer & Lang. Seite 1 | Neve‟s Blog | Study Cell Modul 5 – WS 09|10 Sie schlagen 2 proximate Mechanismen vor, die der lebenslangen Beziehungsdifferenzierung & -selektion wesentlich zugrunde liegen: - Mechanismus der Näheregulation beruht auf dem Erleben von emotionaler Nähe & Bindung. - Mechanismus der Reziprozitätsaushandlung beruht auf dem Erleben von Gleichheit, Balance & Fairness. - Zusammenhang: Beide haben unterschiedliche motivationale Grundlagen, wurzeln aber beide in Bedürfnissen nach Bindung & Wirksamkeit. Näheregulation & Reziprozitätsaushandlung auf unterschiedl. Weise zur Differenzierung & Gestaltung von sozialen Beziehungen dienen. - Verwandtschaftsbeziehungen sind v.a. durch Näheregulation charakterisiert - Kooperationsbeziehungen zw. nicht-verwandten Personen sind durch Aushandeln von Reziprozität charakterisiert. (Z.B. Mutter-Kind-Beziehung ist nicht ausbalanciert, da von der sicherheitsspendenden Bindung v.a. das Kind profitiert). - In Eltern-Kind-Beziehungen ist Stabilität ein vorrangiges Merkmal. - In Freundschaftsbeziehungen ist Reziprozität viel wichtiger. - In Partnerschaftsbeziehungen werden beide Mechanismen gleichermaßen wirksam: Dies wird unter anderem darin deutlich, dass dem Partner gegenüber i.d.R. nicht nur das höchste Ausmaß an emotionaler Nähe erlebt, sondern dass dies ebenso die Person ist, mit der am häufigsten & am intensivsten soziale Unterstützung ausgehandelt bzw. ausgetauscht wird. 2. Freundschaft 2.1 Definitionen & Konzepte von Freundschaft Freundschaft ist ein ungenau definierter Begriff für den es keine exakten Definition gibt. - nach Auhagen: Dyadische, persönliche, informelle Sozialbeziehung. Die beiden daran beteiligten Menschen werden als Freunde bezeichnet. Die Existenz der Freundschaft beruht auf Gegenseitigkeit; sie besitzt für jeden der Freunde einen Wert, welcher unterschiedlich starkes Gewicht haben & aus verschiedenen inhaltlichen Elementen zusammengesetzt sein kann. Freundschaft wird zudem durch vier weitere Kriterien charakterisiert: Freiwilligkeit, zeitliche Ausdehnung, positiver Charakter, keine offene Sexualität. Kritik: Schließt formelle & sexuelle Beziehungen aus, obwohl Studien sagen, dass viele ihren Ehepartner als besten Freund bezeichnen. - nach Kolip: Freiwillige Zusammenschlüsse zw. Menschen beiderlei Geschlechts, die auf wechselseitiger Intimität & emotionaler Verbundenheit begründet sind. Kritik: Keine Abgrenzung zu Liebesbeziehungen. - nach Argyle & Henderson: Freunde sind Menschen, die man mag, deren Gesellschaft man genießt, mit denen man Interessen & Aktivitäten teilt, die hilfreich & verständnisvoll sind, denen man vertrauen kann, mit denen man sich wohl fühlt & die emotionale Unterstützung gewähren. Zwischen Liebe & Freundschaft existiert eine sehr enge Verbindung; empirischen Studien zeigen, dass die Begriffe eine hohe semantische Ähnlichkeit aufweisen. Studien von Krosta & Eberhard zeigen dass Befragte in Interviews sich des Unterschieds zw. Freundschaft & Liebe bewusst waren, ihn aber sprachlich nicht beschreiben konnten. Seite 2 | Neve‟s Blog | Study Cell Modul 5 – WS 09|10 Die semantische Vieldeutigkeit des Freundschaftsbegriffs ermöglicht es, die „Qualität“ hiermit bezeichneter Beziehungen weitgehend offen zu lassen. Die Unbestimmtheit des Begriffs wird zum Charakteristikum einer gewissermaßen „schwebenden“ Freundschaftsbeziehung. Dies ist mit Vor- & Nachteilen verbunden. 2.2 Freunde – beste & enge Freunde Argyle & Henderson kommen zum Schluss, dass die meisten Personen 1-2 „beste Freunde“ haben (viele haben gar keine). Fragt man nach „engen Freunden“, werden im Schnitt ca. 5 genannt, fragt man genereller nach „Freunden“ sind es bereits 15. Eberhard & Krosta gehen davon aus, dass dass Freundschaften im englischsprachigen Raum, im Vergleich zu Deutschland, weniger intim, intensiv & verbindlich sind. „Friend“ als Begriff umschließt sowohl Freunde als auch Bekannte. Erschwert wird die Übertragung angloamerikanischer Ergebnisse der Freundschaftsforschung auf deutsche Verhältnisse durch den Umstand, dass gesellschaftliche bzw. kulturelle Unterschiede mit sprachlichen Unterschieden konfundiert sind. Hervorzuheben ist die hohe Alterskorrelation zw. Freunden in Studien. Freunde werden deutlich positiver bewertet als Bekannte, aber nur geringfügig besser als Verwandte. Überraschend ist, dass Befragte über 40 Jahre kaum noch Freunde haben: Unvermutet tritt Freundschaft als Merkmal best. Lebensabschnitte ins Blickfeld. Unterstrichen wird dies durch die Tatsache, dass auch schon Befragte zw. 30 & 40 Lebensjahren signifikant seltener Freund haben. 2.3 Freundschaft & Lebensalter Nach Damon ist Freundschaft etwas so Grundlegendes, dass sie oft als Bezugspunkt zur Charakterisierung aller anderen Sozialbeziehungen benutzt wird. Bei Untersuchungen zur Entwicklung sozialer Kognitionen ist von Selman, Youniss & Damon auch der Bereich der Freundschaft erfasst worden. Selman, beeinflusst durch Piaget, Kohlberg, & den symbolischen Interaktionismus, postuliert bei Kindern & Jugendlichen 5 Stufen der Entwicklung des Freundschaftskonzepts: 0 ] Freundschaft als momentane physische Interaktion (0-5jährige) 1 ] Freundschaft als einseitige Hilfestellung (8jährige) 2 ] Freundschaft als Schönwetter-Kooperation (10-12jährige) 3 ] Freundschaft als intimer gegenseitiger Austausch (erst im Jugendalter) 4 ] Freundschaft als Autonomie & Interdependenz (erst bei einigen Erwachsenen) Kritik an Selmans Konzept: Gleichaltrigenbeziehungen sollten eine eigene Beziehungsform darstellen. Es fällt schwer schon Stufen zu sprechen, da zumindest die ersten beiden Stufen den Ausganspunkt eines eigenständigen Beziehungstyps bilden, der bis ins Erwachsenenalter weiter besteht & eine wichtige Bedeutung bei Arbeit & Freizeit hat. Positive Auswirkungen von Freundschaften (v.a. in der Adoleszenz bieten enge Freundschaften im positiven Fall den Hintergrund für wichtige Entwicklungschancen): - Enge Freundschaften bieten Möglichkeiten, das eigene Selbst zu entdecken & ein tiefes Verständnis für andere Menschen zu entwickeln. - Enge Freundschaften bilden die Grundlage für zukünftige intime Beziehungen. - Enge Freundschaften helfen den jungen Menschen dabei, mit den Schwierigkeiten - der Adoleszenz umzugehen. - Enge Freundschaften können sich positiv auf die Einstellung des Jugendlichen zur Schule & seiner Mitarbeit im Unterricht auswirken. Seite 3 | Neve‟s Blog | Study Cell Modul 5 – WS 09|10 Seiffge-Krenke sieht Freude als „Entwicklungshelfer“. Ab dem 12. Jahr möchten Jugendliche nicht mehr so leicht private Informationen mit den Eltern besprechen. „Selbstenthüllung“: Gegenüber beider Eltern wird zunehmend weniger enthüllt; deren Stelle nehmen Freunde & romantische Partner ein. Neben individuellen Freundschaften bilden Kinder & Jugendliche auch Cliquen (kl. Gruppen von Freunden, die sich meist in ihrem familiären Hintergrund, ihren Einstellungen & Wertvorstellungen ähneln). - Zunächst beschränken sich Cliquen auf Mitglieder des gleichen Geschlechts. - Mit steigendem Alter ergeben sich dann auch gemischte Gruppen. - Cliquen in höheren Schulen sind erkennbar an ihrem „sozialen Status“, der über ihre Beliebtheit Auskunft gibt. - Im frühen Erwachsenenalter (21-40) haben Freunde ähnliches Alter, gleiches Geschlecht & vergleichbares Bildungsniveau (ähnliche Interessen & Einstellungen).1 - Im mittleren Erwachsenenalter (40-65) haben viele deutlich weniger Freunde. In manchen Fällen steigt die Anzahl Freunde, wenn die Kinder ausziehen. Hier findet man die höchste Anzahl enger Freunde bei verheirateten Paaren, die bereits erwachsene Kinder haben. Trotzdem ist es mit zunehmendem Alter schwieriger, neue Freunde zu gewinnen. Ältere halten länger an Freundschaften fest als Jüngere, die sie zwar schneller schließen, aber auch schneller beenden. - Für ältere Menschen hängen Freundschaften von der psychischen Gesundheit ab. 2.4 Freundschaft als Prozess Entstehung von Freundschaften als 3stufiger Prozess (nach Argyle & Henderson): 1 ] Bei zufälligen Begegnungen Eindrücke vom Anderen gewinnen. 2 ] Erste Treffen durch Verabredung oder Einladung. 3 ] Regelmäßige Treffen und wechselseitige Bindung. Prozess = Selektion möglicher Freunde, bei dem auf jeder Stufe einige ausgeschlossen werden. Kontakthäufigkeit hängt von der räumlichen Nähe ab. Wir suchen uns unsere Freunde meist nach Ähnlichkeit zu uns selbst (bzgl. Alter, sozialer Schicht, ethnischer Abstammung). Mit Freunden will man Erfahrungen, Vorlieben & Ablehnungen teilen. Gemeinsamkeiten müssen sich aber nicht auf alle Lebensbereiche erstrecken – manchen suchen sich unterschiedliche Freunde für verschiedene Aktivitäten. Je häufiger sich Menschen treffen, desto besser lernen sie sich kennen & desto wahrscheinlicher is es, dass sie sich gegenseitig schätzen lernen. Die erste Verabredung oder Einladung ist ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu einer Freundschaft. Man riskiert, dass das Interesse für den anderen nicht geteilt wird. Wichtiges Kriterium für weitere Treffen mit potenziellen Freunden ist, ob man sich gegenseitig als „belohnend“ empfindet. Wenn beide von der Beziehung profitieren, ist die Wahrscheinlichkeit für den Beginn einer dauerhaften Freundschaft relativ groß. Woran zerbrechen Freundschaften? - Fehlende positive Wertschätzung/mangelnde emotionale Unterstützung (v.a. bei ♀) - Beziehungen zu Dritten: Eifersucht auf andere, Kritik an diesen, Preisgabe von vertraulichen Mitteilungen Ergebnisse von Doppeltagebuchstudien: 1 Die schon bei Kindern & Jugendlichen zu beobachtenden Unterschiede bleiben auch im Erwachsenenalter bestehen: männliche Freunde konzentrieren sich v.a. auf gemeinsame Unternehmungen, Frauen konzentrieren sich aufeinander & ziehen es meist vor, einfach nur miteinander zu reden. Nach Wright lassen sich Frauenfreundschaften als „face to face“ & Männerfreundschaften als „side by side“ charakterisieren. Seite 4 | Neve‟s Blog | Study Cell Modul 5 – WS 09|10 - Freundschaftspaare hatten mehr Kontakte im Untersuchungszeitraum Geschwisterpaare. - Freundinnen hatten insgesamt am häufigsten Kontakt untereinander. - Frauen gaben & empfingen mehr Unterstützung als Männer. als Die Beschreibung von Freundschaften anhand von Variabeln wie Kontakthäufigkeit, Art der gemeinsamen Aktivitäten oder Ausmaß der gegenseitigen Hilfeleistungen sagen wenig aus über die spezifische Qualität einer Freundschaftsbeziehung. Wagner kritisiert dass Übersichten univariater Forschungsergebnisse „Scheingenauigkeit“ vortäuschen & Variablen in Beziehung setzen, die nicht zusammen untersucht wurden. Diese Variablen sind vermutlich notwendige, aber keine hinreichende Bedingungen für das Entstehen von Freundschaften. Wagner schlägt ein Filtermodell vor, das den Selektionsprozess bei der Auswahl potenzieller Freunde im Kindesalter veranschaulicht: Nacheinander werden alle Kriterien wie Alter, Geschlecht, ethnische Gruppe, Schichtzugehörigkeit abgeprüft. Erst dann kommt es zu einem Kontaktangebot. Diese einzelnen Stufen des Checks laufen bei Kinder & Erwachsenen unbewusst ab – handlungsrelevant wird nur das jeweilige Endergebnis. 2.5 Stimmungsverläufe in Freundschaften Es ist nicht einfach, Genaueres über Struktur & Verlauf emotionaler Interaktionen zw. Freunden zu erfahren, da es sich um Prozesse handelt, die selbst den direkt beteiligten Freunden nicht immer bewusst sind. Eine interessante Möglichkeit stellen Zeitreihenanalysen von Stimmungsverläufen dar, über die sich emotionale Interaktionen & Konflikte erfassen lassen. Birgit Lambertz hat die Technik des standardisierten Freundschaftstagebuches weiterentwickelt (6 weibliche Freundschaftspaare – Männer waren nicht bereit, Tagebuch zu führen – 3 Monate, Zeitreihenanalyse). Resümee ihrer Doppeltagebuchuntersuchung: - Primäre gemeinsame Aktivität meistens Gespräche (face-to-face). Man erwartete Anteilnahme & emotionale Unterstützung. Vertrauen & Möglichkeit zur Aussprache sind zentrale Inhalte der Freundschaft. Materielle Hilfeleistungen = selten genannt. - Kritik an der Freundin gab es selten; auch Konflikte wurden nur selten benannt. - I.d.R. konnte sich eine Freundin in die Stimmungen der anderen deutlich besser einfinden (Selbstbild-Fremdbild). - Missempfindungen & Ärger (obwohl selten) wurden deutlich besser wahrgenommen als positive Stimmungen. Positive Stimmungen sind alltäglich, erst unterhalb einer bestimmten Schwelle wird das Fehlen wahrgenommen & entsprechend reagiert. - In fast allen Fällen konnte eine gegenseitige Einflussnahme festgestellt werden. Meistens war eine Freundin wesentlich einflussnehmender als die andere. - Die tatsächliche Einflussnahme ≠ den Angaben zur Dominanz. - Die Einschätzung der Dominanz scheint einen von Zuwendung, Missempfindung & Bewertung eher unabhängigen Aspekt einer Beziehung zu erfassen. - Große Neigung, von den eigenen Empfindungen auf die der Freundin zu schließen. - In normalen Freundschaften im Alltag tritt ein falscher Konsensuseffekt zu Tage, ohne dass die damit einhergehende mangelnde Kenntnis der tatsächlichen Stimmungen der Freundin der Beziehung schadet. - Es bestätigt sich die Bedeutsamkeit der wahrgenommenen Ähnlichkeit, die für eine positive Beziehung wichtiger ist als die tatsächliche Ähnlichkeit. FAZIT : Freundschaften sind nicht so egalitär wie man meint. Das häufig vorhandene Beeinflussungsgefälle stimmt nicht mit den geäußerten Dominanzverhältnissen in der Seite 5 | Neve‟s Blog | Study Cell Modul 5 – WS 09|10 Beziehung überein. Es ist also möglich, dass die eine Freundin i.d.R. über Gesprächsinhalte oder gemeinsame Aktivitäten bestimmt, aber die andere die gefühlsmäßig einflussreichere Position hat. Dies kennt man aus Paarbeziehungen, in denen der nach außen dominantere Teil durchaus der gefühlsmäßig abhängigere sein kann. Dies kann beiden bewusst sein, oder nur einem, oder auch keinem von beiden. 2.6 Frauen- & Männerfreundschaften Heute nimmt man an, dass v.a. Frauenfreundschaften intensiver & zufrieden stellender sind, mehr praktischen & emotionalen Beistand bieten als Männerfreundschaften. Maurer zeigte in einer Studie, dass Frauen differenziertere Freundschaftskonzepte haben, ihnen ihre Freundschaften wichtiger sind & mit diesen auch zufriedener sind. Zudem haben sie auch mehr Freundinnen als Männer Freunde. V.a. Frauen die alleine leben, haben differenziertere Freundschaftskonzepte als Frauen, die einen festen Partner haben. Pfisterer konnte in einer Studie wesentliche Unterschiede zw. Frauen- & Männerfreundschaften insgesamt bestätigen. Seine Ergebnisse widersprechen deutlich der Vermutung von Wright, dass Geschlechtsunterschiede zumindest bei sehr engen Freundschaften eher als gering einzuschätzen seien. Zudem scheint den Männern selbst durchaus bewusst zu sein, dass ihre Freundschaften nicht gänzlich ihren Erwartungen entsprechen. Pfisterer fragte danach, wie sehr die eingeschätzten Freundschaften einer „idealen Freundschaft“ entsprechen würden. - „Enge Freundin“ entsprach zu 83% der idealen Freundschaft. - „Enger Freund“ entsprach nur zu 74%. - „Lockere Freundschaft“ entspricht bei Frauen & Männern zu 51%. Mögliche Schattenseite enger Freundschaftsbeziehungen (nach Seiffge-Krenke): - Hohe Fähigkeiten zu Empathie & Intimität, & größere Bereitschaft zur Fokussierung auf Emotionen können bei jungen Mädchen zu einem „self-handicapping“ führen, das in Depression mündet. - Weibliche Jugendliche neigen dazu, alltägliche Probleme in Beziehungsstressoren umzuwandeln. - Männliche Jugendliche machen sich weitaus weniger Sorgen, neigen stärker zu Problemverdrängungen (Problem „aussitzen“). - Weibliche Jugendliche können in einem Dilemma zw. ihrer Sensibilität gegenüber Beziehungsstressoren & einer gleichzeitig starken Abhängigkeit von eben diesen Beziehungen gefangen sein. Sie greifen bei Beziehungsstressoren bspw. zu Copingstilen, die ihre Einbindung in & Abhängigkeit von Netzwerken verstärken. - Frauen neigen viel stärker als Männer dazu, ihre Aufmerksamkeit auf vorhandene depressive Emotionen & Symptome zu fokussieren & diese damit zu verlängern. 2.7 Freundschaft im Wandel Bisherige psychologische Freundschaftsforschung klammerte den sozialen Hintergrund & gesellschaftliche Entwicklungen aus. Es gibt klare Unterschiede zw. den Freundschaften in der Mittel- & der Arbeiterschicht. Mittelschichtangehörige haben mehr Freunde, die verschiedenartiger sind & weiter weg leben. Unterschiede in den Freundschaftszahlen können aber auch auf einem unterschiedlichen Sprachgebrauch beruhen. Nach Argyle & Henderson benutzen viele Angehörige der Arbeiterschicht den Begriff „Freund“ gar nicht. Frauen treffen sich mit Nachbarinnen & Verwandten, Männer haben „Kumpel“, die man meist zufällig & ohne Absprache trifft. Seite 6 | Neve‟s Blog | Study Cell Modul 5 – WS 09|10 Das Schichtenmodell erfasst die soziale Wirklichkeit nur unzureichend. Eberhard & Krosta versuchten, Freundschaftsunterschiede mit neuen Segmentierungsmodellen von sozialen Großgruppen zu erfassen → „soziale Milieus“. - Soziale Milieus beziehen sich nicht wie im Schichtenmodell v.a. auf Berufszugehörigkeit & Lebensstandard, aber auf Kriterien wie Alter, Bildungsstand & pers. Lebensstil. - Bisherige Untersuchungen basierten oft auf best. soz. Gruppen (z.B. Akademiker), die verallgemeinert wurden. Eberhard & Krosta untersuchten Personen aus dem Unterhaltungs- & dem Selbstverwirklichungsmilieu. - Mittels Fragebogen wurde der milieutypische „persönliche Stil“ erhoben & nur „typische“ Vertreter ausgesucht. - Die Autoren schließen darauf, dass sich Freundschaftskonzepte & Verhaltensweisen in beiden Milieus unterscheiden. Im Gegensatz zu sonst regelmäßig berichteten Unterschieden zw. Frauen& Männerfreundschaften finden sie kaum geschlechtsspezifische Unterschiede innerhalb desselben Milieus. - Typische „side-by-side“-Freundschaften zw. Männern → v.a. im Unterhaltungsmilieu. - Hierin ähneln sie den Frauen aus dem Unterhaltungsmilieu weitaus mehr als den Männern aus dem Selbstverwirklichungsmilieu. - Für Frauen sind gemeinsame Aktivitäten mind. so wichtig wie Gespräche. - Für Frauen aus dem Selbstverwirklichungsmilieu stehen vertrauliche Gespräche an 1. Stelle, gemeinsame Unternehmungen sollen v.a. die Gelegenheit hierzu ermöglichen. - Männer aus dem Selbstverwirklichungsmilieu haben eine auffallende narzisstische Funktion: heftige Gefühle werden vermieden, man hat alles „gut im Griff“, gibt sich bei Freunden locker & entspannt, aber auch eher distanziert. Man gibt vor, genügend gute Freunde zu haben, lässt aber offen, was man mit diesen unternimmt. - Die Untersuchung von Pfisterer erbrachte keine Belege dafür, dass sich hinter den gefundenen geschlechtsspezifischen Freundschaftsunterschieden vieler Studien kontrollierte Milieuunterschiede verborgen sind, auch wenn es nach den Ergebnissen von Eberhard & Krosta plausibel klingt. - Pfisterer hat versucht, die Milieuzugehörigkeit in Anlehnung an Eberhard & Krosta zu erfassen. Die Stichprobe umfasste 72% VPN aus dem Selbstverwirklichungsmilieu, so dass sich Unterschiede nur unzureichend überprüfen ließen. - Innerhalb des Selbstverwirklichungsmilieus zeigten sich aber die gleichen Geschlechtsunterschiede wie in der Gesamtstichprobe, so dass sich keine weiteren Hinweise auf Milieuabhängigkeit der Freundschaftsbeziehungen ergeben. - Hiermit sind die Aussagen von Eberhard & Krosta nicht widerlegt, zumal beide Untersuchungen methodisch sehr unterschiedlich angelegt sind. - Eberhard & Krosta beziehen sich in ihren Ergebnissen auf Gruppendiskussionen mit Ø 5 VPN (m & w, aus beiden Milieus). Für die Gruppen wurden nur „möglichst idealtypische Vertreter“ der Milieus gewählt → „qualitativ-psychoanalyt. Vorgehen“. - Pfisterer machte eine quantitative Untersuchung mit einem relativ differenzierten Freundschaftsfragebogen. Die Zuordnung von VPN zu den Milieus ist problematisch, v.a. Fragen zur Bestimmung des persönlichen Stils, sind nicht immer trennscharf. - Eberhard & Krosta verwendeten bei der Milieuzuordnung auch Skalen zur Erfassung „psychischer Grundorientierungen“ (Politische Unterordnung, Fatalismus, Reflexivität, Rigidität, Anomie) → gem. Schulze mit alltagsästhetischen Schemata gekoppelt sind. Es ist nicht auszuschließen, dass einige der in den Diskussionen hervorgetretenen Freundschaftsmerkmale mit dieser Art der „Persönlichkeitsauswahl“ konfundiert sind. Da zur Bestimmung der unterschiedlichen Milieus v.a. auch Merkmale des Freizeitverhaltens herangezogen werden, ist auch in dieser Hinsicht die Unabhängigkeit zw. Milieuzuordnung & Freundschaftsverhalten nicht gewährleistet. Seite 7 | Neve‟s Blog | Study Cell Modul 5 – WS 09|10 - Die Ergänzung sozialpsychol. Forschungsstrategien um soziol orientierte Milieukonzepte offenbart die unterschiedlichen, nur z.T. kompatiblen Forschungsstrategien. - Trotz forschungsmethodischer Probleme zeigt sich bei der Freundschaftsforschung, dass sich quantitative & qualitative Ansätze sinnvoll ergänzen. Interviewstudien, Gruppendiskussionen, Fragebogenerhebungen & Prozessanalysen lassen sich in ihren Ergebnissen aufeinander beziehen & zeichnen zwar kein vollständiges, aber dennoch informatives Bild der vielfältigen Funktionen von Freundschaftsbeziehungen. 3. Partnerschaft & Liebe Eine glückliche & stabile Partnerschaft bedeutet eine hohe Lebenszufriedenheit & ist die Grundlage für das Wohlbefinden. Sie gehört zu den am meisten gewünschten Lebenszielen & ist wichtiger Bedingungsfaktor für die psychische & physische Gesundheit. - Höchste Scheidungsrate in D war 2003 mit 56%. - In den ersten Jahren nach WWII lag die Scheidungsquote zunächst höher als vor dem Krieg (1950 bei 18%), sank dann zw. 1956 & 1962 auf 11%. - Danach stiegen die Scheidungszahlen deutlich, unterbrochen durch die Reform des Scheidungsrechts von 1977 (Abschaffung des „Schuldprinzips“) & eine kurze Zeit nach der Wiedervereinigung. Seit 2004 ist ein geringfügiger Rückgang der Scheidungen eingetreten. Abb. 2: Eheschließungen, Scheidungen & Scheidungsquoten in Deutschland zw. 1950 & 2007. - Die Eheschließungen sind rückläufig. - Die Anzahl unverheiratet zusammenlebender Paare steigt hingegen stark an. - Keine exakten Daten über Trennungsrate bei unverheirateten Paaren. Vielleicht höher als bei Ehepaaren. - Lauterbach: 20% der unverheirateten Paare trennen sich bereits nach ca. 2 Jahren. Nach 6 Jahren ist die Hälfte wieder getrennt. - Der Großteil zusammen bleibender Paare entschließt sich dann doch zur Heirat. - Länger als 10 Jahre dauernde nichteheliche Lebensgemeinschaften sind sehr selten. Seite 8 | Neve‟s Blog | Study Cell Modul 5 – WS 09|10 - Interviewstudie mit dt. & frz. jungen Erwachsenen zeigt: Partnerschaft wird als konflikthafter & häufig von kürzerer Dauer beschrieben als „Freundschaft“. - Becker: Zeigte in einer Untersuchung, dass Ehen eine signifikant höhere subjektive Stabilität gegenüber nichtehelichen Lebensgemeinschaften aufwiesen. Es könnte aber auch daran liegen, dass stabile Paare mehr zur Heirat neigen. Bei - ernsten Krisen kann eine Partnerschaft auch Quelle für vielfältiges Leid sein. Folgen: Erheblichen psychischen, physischen, sozialen & materiellen Kosten. Belastungen wie z.B. Sorgerechtskonflikten. Erhöhtes Risiko, an physischen & psychischen Störungen zu erkranken. Finanzielle Belastungen verursachen wirtschaftlichen Abstieg. (Ca. ¼ ist lange auf öffentliche Unterstützung angewiesen. - Gravierende Veränderungen wie Wohnort- & Schulwechsel, Änderung des Erziehungsverhaltens, Absinken des Lebensstandards, evtl. vaterlose Kindheit beeinflussen entscheidend die weitere Entwicklung der Kinder. - Bei Kindern treten vermehrt Verhaltensstörungen auf, die je nach Alter & Geschlecht anders sichtbar werden → Mädchen: oft überkontrolliert & überangepasst, Jungen: mehr unsozial & aggressiv. Hinzu können schulische Schwierigkeiten, Beziehungsprobleme mit Gleichaltrigen, schlechterer Gesundheitszustand kommen. Trennungen/Scheidungen sollten nicht nur pauschal negativ bewertet werden. Betroffene Paare & deren Kinder können sich durch die Beendigung einer unglücklich verlaufenden Partnerschaft & die damit verbundene Reduzierung von Konflikten & Belastungen auch positive Effekte einstellen. So kann jahrelanger Streit durch Trennung beendet werden. Im besten Fall ergeben sich neue, befriedigendere Beziehungen. „Partnerschaft“ wird häufig in wissenschaftlichen Untersuchungen als relativ neutrale Bezeichnung für eine enge Beziehung zw. 2 Menschen gewählt (eheliche/nicht-eheliche Lebensgemeinschaft, enge Liebesbeziehung, oder lockere Zweckgemeinschaft). Umgangssprachliche Begriffe weisen unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten fast immer einen Mangel an exakter „Definiertheit“. Viele Untersuchungen zu Partnerschaften lassen die emotionale Qualität der untersuchten Beziehungen (zunächst) offen. Dies kann v.a. dann ein Vorteil sein, wenn man die Art bzw. Qualität der Beziehung als AV untersuchen möchte. 3.1 Liebe aus psychologischer Sicht Bei der Charakterisierung von „Liebe“ ist vieles dabei, was bei „Freundschaft“ aufgeführt wurde. Trotz großer Ähnlichkeit unterscheidet man deutlich zw. Freundschaft & Liebe, auch wenn man nicht genau angeben kann, wo die Unterschiede liegen. „Freundschaft“ sei eine zweiseitige Beziehung. „Liebe“ bezeichne eine emotionale Beziehung gegenüber einer anderen Person, das diese erwidern kann, aber nicht muss. Die Unsicherheit über die Erwiderung ist charakteristisch für eine Liebesbeziehung & basiert v.a. auf ihrem Exklusivitätsanspruch: man kann mit vielen Personen befreundet sein, „lieben“ sollte man nur eine. Definitionen können nicht „wahr“/„falsch“ sein, sondern nur zweckmäßig. Eine wissenschaftliche „objektive“ Klärung dieser alten Streitfrage ist nicht in Sicht. - Wie lässt sich „Liebe“ am zweckmäßigsten definieren? - Liebe in einer Partnerschaft ähnelt sehr der Freundschaft, nur kommt körperliche Intimität dazu. Offene Sexualität ist für die meisten mit einer Freundschaft nicht vereinbar, sondern ein Kennzeichen von Liebe. - Neuere Forschung behandelt Liebe meist als multidimensionales Konstrukt, in dem sich Einstellungen, Motive, Gefühle & Verhaltensweisen einer Person gegenüber einer Zielperson abbilden. Seite 9 | Neve‟s Blog | Study Cell Modul 5 – WS 09|10 - Rubin hat die Mehrdimensionalität als erster konzeptualisiert & 3 Komponenten der romantischen Liebe nachgewiesen: Brauchen (need), Fürsorge (care) & Vertrauen (trust). Diese drei Facetten lassen sich den für unsere biol. Reproduktion bedeutsamen Verhaltenssystemen Sexualität, Schutz & Bindung zuordnen. - Berscheid & Walster unterscheiden 2 Grundformen der Liebe: leidenschaftliche & partnerschaftliche Liebe, wobei die 1. bei längerer Dauer häufig in die 2. übergeht. - Sternberg schlägt eine trianguläre Theorie der Liebe vor: Jede Art von Liebe setzt sich aus einer unterschiedlichen Gewichtung der Komponenten Leidenschaft, Intimität & Bindung/Entscheidung zusammen. Die darin enthaltenen Kombinationsmöglichkeiten lassen die Beschreibung unterschiedlicher Arten von Liebe zu: o Intimität + Leidenschaft (– Bindung) = romantische Liebe. o Intimität + Bindung (– Leidenschaft) = partnerschaftliche Liebe. o Intimität + Leidenschaft + Bindung = vollständige Liebe. Vollständige Liebe Ausgewogen, aber wenig Liebe Kameradschaftliche Liebe Im Idealfall ist das Dreieck groß & gleichseitig (vollständige Liebe): alle 3 Aspekte sind vorhanden, stark ausgebildet & ausgewogen. Eine Beziehung die ausgewogen, aber mit wenig Liebe ausgestaltet ist, wird durch ein kleines, gleichseitiges Dreieck darstellt. Hier überwiegt EntscheidungVerpflichtung (commitment). Die betreffende Ecke des Dreiecks „ragt heraus“. Eine solche Beziehung nennt man auch „kameradschaftliche“ Liebesbeziehung. - „Intimität“: Verbindet Gefühle von Nähe, Vertrautheit & Zusammengehörigkeit - „Leidenschaft”: Kennzeichnet romantische Beziehung, physische Anziehung & sexuelle Befriedigung. - „Entscheidung/Verpflichtung“: (commitment) Bezeichnet (kurzfristig gesehen) die Entscheidung für den Partner & (längerfristig gesehen) die Verpflichtung, diese Liebesbeziehung durch Fürsorge, Treue usw. zu erhalten. - Nach Sternberg lassen sich so für jede Person Liebesvorstellungen ermitteln, wobei er zw. realen & idealen, eigenen & anderen, selbst wahrgenommenen & fremd wahrgenommenen Vorstellungen unterscheidet. Er nimmt an, dass Übereinstimmung der Partner in der Wahrnehmung für die Zufriedenheit maßgeblich ist. Hierzu sieht er Empathie (Einfühlung) als Voraussetzung an. Liebesstile nach John Alan Lee (1973) → kanadischer Soziologe Es ist die umfassendste Beschreibung d. Spielarten d. Liebe in intimen Beziehungen. Lee entwickelte seine multidimensionale Theorie nach ausgiebigen historischen & literarischen Studien der westlichen Kultur der letzten 2000 Jahre. Daraus & aus eigenen Erhebungen unterschied er 3 primäre & 3 sekundäre (Mischformen der primären) Liebesstile. Primäre Liebesstile Sekundäre Liebesstile Romantische Liebe (Eros): Betrifft die unmittelbare Anziehung durch die geliebte Person, wie sie in der „Liebe auf den ersten Blick“ zum Ausdruck kommt. Aussehen des Partners & sexuelle Leidenschaft spielen eine wichtige Rolle. („Ich fühle, dass meine Partnerin & ich füreinander bestimmt sind.") Besitzergreifende Liebe (Mania): Variante von romantischer Liebe, bei der Idealisierung & Besitzansprüche mit starken Gefühlen verbunden sind. Diese können positiv (Erfüllung in der Verschmelzung mit dem Partner) od. negativ (Eifersucht, weil sich der Partner nicht genauso hinzugeben scheint) sein. („Wenn mein Partner mir keine Aufmerksamkeit schenkt, fühle ich mich ganz krank.") Seite 10 | Neve‟s Blog | Study Cell Modul 5 – WS 09|10 Spielerische Liebe (Ludus): stellt eine interpersonelle Orientierung dar, bei der Verführung, sexuelle Freiheit & sexuelle Abenteuer im Vordergrund stehen. Die Orientierung gegenüber längerfristigen Beziehungen ist eher vermeidend & abwartend. („Wenn mein Partner nicht dabei ist, flirte ich gerne mal mit anderen.") Pragmatische Liebe (Pragma): Steht quasi im Gegensatz zur Gefühlsintensität von Mania. Rationale Erwägungen über die Wahl des Partners stehen im Vordergrund. Die Beziehung soll der Herstellung wünschenswerter Lebensbedingungen/Ereignissen dienen (z.B. Einsamkeit beenden). („Es ist am besten, jemanden aus der gleichen soz. Schicht zu lieben.") Freundschaftliche Liebe (Storge): Entsteht aus Freundschaft. Die interpersonelle Orientierung ist v.a. durch gemeinsame Interessen an bestimmten Aktivitäten & Befriedigung bei der Ausführung dieser Aktivitäten gekennzeichnet. („Die beste Art von Liebe entsteht aus einer engen Freundschaft.") Altruistische Liebe (Agape): Beinhaltet die Opferbereitschaft für den Partner. Diese Personen sind bereit, eigene Ziel- & Wunschvorstellungen zurückzustellen, wenn so das Wohlergehen des Partners gefördert werden kann. („Ich lasse oft alles stehen & liegen um meinen Partner zu unterstützen.") Nach Bierhoff & Rohmann besteht (außer für Mania) für alle Liebesstile eine Tendenz zur Gegenseitigkeit. Mania bezieht sich meist nur auf einen Partner. Große geschlechtsspezifische Unterschiede in den Liebestilen konnten nicht festgestellt werden, außer bei Mania → Frauen übertreffend anscheinend Männer. Eros führt offenbar am besten zu Glück & Zufriedenheit, Ludus eher zu Unzufriedenheit in der Partnerschaft. Liebesstile bleiben über die Zeit relativ beständig; Agape ist am dauerhaftesten. Wenn die geliebte Person wechselt, kann dies auch zu einem Wechsel des Liebesstils führen. Gem. einer Untersuchung von Amelang sind Eros & Ludus eher partnerbezogen, Storge, Pragma, Mania & Agape eher partnerunabhängig. Bierhoff & Rohmann ordnen die Liebesstile den 3 Ebenen der Betrachtung von Liebe zu: - Leidenschaft wird durch Eros repräsentiert (sowie durch Mania). - Intimität wird durch Storge repräsentiert. - Bindung wird durch Agape repräsentiert (plus das Fehlen von Ludus) Pragma ist hier nicht zugeordnet, weil sie durch ihre „realistische“ Orientierung nur wenig den landläufigen Vorstellungen von „Liebe“ entspricht. Liebe als Bindungsprozess Hazan & Shaver griffen Bowlbys Theorie auf & sehen romantische Liebe als Bindungsprozess. Sie wiesen die 3 Bindungstypen in Studien über Bindung zw. Erwachsenen nach. Es gab ähnliche Häufigkeit in den 3 Gruppen wie bei Kindern: Sichere Bindung Vermeidende Bindung Ängstlich-ambivalente Bindung 56% der 620 Probanden 25% der 620 Probanden 19% der 620 Probanden Gruppenmerkmale: hohes interpersonelles Vertrauen, lange Beziehungsdauer, investieren viel in ihre Partnerschaft, bezeichnen sich als glücklicher & zufriedener Gruppenmerkmale: tendieren zu Angst vor Nähe, pessimistischen Beziehungserwartungen, wenig Vertrauen in den Partner, hohe Trennungsraten Gruppenmerkmale: besonders besitzergreifendes, eifersüchtiges Beziehungsverhalten, häufiges Verlieben & geringe Selbstachtung Bartholomew hat 1990 ein 2D-Bindungsmodell vorgeschlagen, das zu Folgeuntersuchungen anregte. Man nimmt an, dass die Bindungsart bestimmt wird durch (a) wie positiv das Bild vom Partner ist, & (b) wie positiv das Selbstbild ist. 4 Bindungsarten: Positives Partnerbild Negatives Partnerbild Positives Selbstbild Negatives Selbstbild Sicher Ängstlich-ambivalent, besitzergreifend: Bindungsverhalten ist bestimmt durch unsensibles, inkonsistentes Verhalten, bedingt durch das Gefühl der eigenen Unsicherheit & Wertlosigkeit. Gleichgültig-vermeidend, abweisend Ängstlich-vermeidend: Solche Personen haben Zurückweisungen erlebt; sie leben in Angst davor & sind soz. Beziehungen gegenüber skeptisch/vermeiden sie. Tabelle 1: Beziehung zw. Bindungsstil & Partner- & Selbstbild nach Bartholomew (1990) Seite 11 | Neve‟s Blog | Study Cell Modul 5 – WS 09|10 Mittlerweile stimmt man in der Bindungsforschung weitgehend darin überein, dass den Bindungsstilen 2 Dimensionen zu Grunde liegen: „Vermeidung“ & „Angst“. Abb. 3: Die 4 Bindungsstile Erwachsener in Abhängigkeit von der Ausprägung der beiden Dimensionen „Vermeidung“ & „Angst“ (Neumann, Rohmann & Bierhoff, 2007) Diese Bindungsstile sind einem der Quadranten zugeordnet, die aus den Dimensionen Angst & Vermeidung gebildet werden. Neumann, Rohmann & Bierhoff haben eine deutsche Version (Bochumer Bindungsfragebogen; BoBi) der „Experiences in Close Relationsships“ (ECR) von Brennan, Clark & Shaver (1998) zur Selbsteinschätzung der partnerschaftlichen Bindung entlang der Dimensionen Angst & Vermeidung vorgelegt. In einer studentischen Stichprobe (N = 435) ergaben sich substanzielle Korrelationen der beiden Bindungsdimensionen mit den Liebestilen von Lee (gemessen mit dem Marburger Einstellungs-Inventar für Liebestile, MEIL, von Bierhoff, Grau & Ludwig, 1993). Vermeidung war negativ mit Eros (-.42), Mania (-.20) & Agape (-.21), positiv mit Ludus (.25) korreliert. Angst korrelierte deutlich mit Mania (.59), geringer mit Pragma (.22) & Agape (.19). Vermeidung korrelierte zudem hoch negativ mit weiteren an Teilstichproben erhobenen Partnerschaftsmerkmalen: z. B. subjektive Partnerschaftsstabilität (-.59), Zufriedenheit (-.57), Paaridentität (.52), sexueller Zufriedenheit (-.45) & Glück (-.43). Angst korrelierte negativ mit Glück (-.34), aber positiv mit Paaridentität (.42). Offenbar wirkt sich ein hohes Maß an Vermeidung noch negativer auf eine Paarbeziehung aus als ein hohes Maß an Angst (Neumann, Rohmann & Bierhoff, 2007, S. 42f). Entwicklungsphasen romantischer Liebe Seiffge-Krenke hat den „Aufstieg“ des romantischen Partners in der Beziehungshierarchie in einer Längsschnittuntersuchung mit Interviews & Fragebogenerhebungen untersucht. Es zeigte sich, dass mit zunehmendem Alter zunächst die Freunde, ab dem Alter von 17 Jahren der romantische Partner immer wichtiger wurden. Brown (1999) unterscheidet vier Phasen der Entwicklung romantischer Liebe. Die Darstellung der Phasen erfolgt hier in Anlehnung an Seiffge-Krenke, die das Modell von Brown in einer Längsschnittuntersuchung empirisch bestätigen konnte. 1 ] Initiations-Phase: (ca. 11-13 J.) Es kommt zu ersten Begegnungen zw. Jungen & Mädchen; vorher haben sie in getrennten geschlechtsspezifischen Gruppen gespielt. Zweck dieser Phase ist eine erneute Zusammenführung beider Welten: Große Gruppen von Jungen treffen sich mit großen Gruppen von Mädchen „zufällig“ in ganz bestimmten Freizeitkontexten; gegenseitiges Necken/Augenkontakt aus der Ferne sind häufig. Romantische Aktivitäten bestehen aus spontanen, gelegentlichen & sehr kurzen Begegnungen, bei denen die Gleichaltrigen assistieren, die aber gleichwohl sehr aufregend sind. Phantasien spielen hier eine große Rolle. 2 ] Status-Phase: (ca. 14-16 J.) Hier spielt die Frage nach dem Status des romantischen Partners aus der Sicht der Bezugsgruppe & der besten Freunde eine wichtige Rolle. Man verabredet sich v.a. mit denjenigen, die besonders beliebt & attraktiv sind. Gem. Seiffge-Krenke dauern romant. Beziehungen ca. Ø 5,1 Monate. Seite 12 | Neve‟s Blog | Study Cell Modul 5 – WS 09|10 3 ] Affection-Phase: (ca. 17–20 J.) Hier bekommt der romantische Partners ein besonderes Gewicht: Verabredungen erfolgen zunehmend als Paar, die Beziehung wird exklusiver (Ø 11,6 Monate in meiner Längsschnittstudie) und intimer. Die Beziehung zum romantischen Partner ist jetzt die wichtigste Beziehung für den Jugendlichen, starke positive Gefühle wie Verliebtheit, aber auch ambivalente Affekte (himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt) sind charakteristisch. Die Beziehung ist sexuell erfüllend, hat aber auch etwas Idealistisches. 4 ] Bonding-Phase: (ca. ab 21 J.) Eine weitere Änderung erfolgt beim Übergang ins frühe Erwachsenenalter (ca. 21-24 J.): Die Tiefe der Beziehung bleibt erhalten, es tritt aber eine eher pragmatische Sicht an die Stelle der überschießenden positiven Emotionen. Es wird mehr überlegt, ob die Beziehung Bestand hat & sich der Partner für ein Zusammenleben, Familiengründung, etc. eignet. Der Fokus liegt auf der Identität, aber verbunden mit dem romantischen Partner. Dieser duale Fokus macht deutlich, dass der Wunsch nach Verschmelzung, aber auch nach Unabhängigkeit das zentrale Thema dieser Phase ist. Das Paar muss zu einer Balance zw. Intimität & Nähe auf der einen Seite & Unabhängigkeit auf der anderen Seite finden. In ihrer Längsschnittuntersuchung fand Seiffge-Krenke dass die Dauer & die Qualität der romantischen Beziehungen mit zunehmendem Alter während der Adoleszenz stetig zunimmt (13 J. Ø 3,1 Monate → 17 J. Ø 11,6 Monate). Über die Zeit zeigte sich eine Verschiebung der Aufmerksamkeit vom Selbst auf die Peer-Gruppe & dann auf den romantischen Partner. Die Summe der positiven Erfahrungen mit durchaus verschiedenen romantischen Partnern während der Jugendzeit bestimmt die spätere Qualität von Partnerbeziehungen am Übergang zum Erwachsenenwerden wesentlich mit. 3.2 Die biologischen Grundlagen der Liebe Die Evolutionspsychologie sieht romantische Liebe als Evolvierten Psychologischen Mechanismus (EPM), der eine erfolgreiche Partnerwahl & die gemeinsame Aufzucht von Kindern sicherstellen soll. Viele Tiere haben spezielle körperliche & verhaltensbezogene Eigenarten entwickelt, die nur dem Paarungsverhalten dienen, v.a. dem Umwerben des Geschlechtspartners. In der Biologie sind v.a. die Werbestrategien bei vielen unterschiedlichen Tierarten gut untersucht. Weitaus weniger weiß man bislang über die komplementären Strategien der Umworbenen. Bei Säugetieren & beim Menschen sind die Kosten der Reproduktion ungleich zu Lasten des weiblichen Geschlechts verteilt. Die Frau muss das Kind austragen, gebären, stillen, & sich darum kümmern. Der Mann kann hierbei helfen. Rein biologisch gesehen kann er seinen Beitrag allerdings auch auf den kurzen Akt der Befruchtung beschränken. Das Risiko bei der Partnerwahl ist bei Mann & Frau ungleich hoch. Bei jeder sexuellen Verbindung riskiert die Frau, ein Kind zu empfangen, für das sie möglicherweise allein sorgen muss, wenn sich der männliche Partner als unzuverlässig erweist. Für den Mann stehen Aufwand & Risiko sexueller Kontakte in einem günstigeren Verhältnis. Beim Mann besteht aber das Risiko, sich an eine Partnerin zu binden, die keine Kinder empfangen kann. Auch konnten sich Männer nie sicher sein, dass die von ihrer Partnerin geborenen Kinder wirklich von ihnen gezeugt wurden. Der Vaterschaftsnachweis durch DNA-Tests, die auch für Privatpersonen zugänglich sind, ist erst seit kurzem möglich. Mit dieser neuen Möglichkeit der Vaterschaftsabsicherung sind aber längst nicht alle Probleme gelöst, wie die öffentliche Diskussion über die rechtliche & moralische Problematik von DNA-Tests zur Vaterschaftsabklärung eindrücklich zeigt. Seite 13 | Neve‟s Blog | Study Cell Modul 5 – WS 09|10 Asendorpf & Banse fassen die Asymmetrien zw. Männern & Frauen & die sich daraus ergebenden evolutionspsychol. Hypothesen zu geschlechtsspezifischen Unterschieden in den Partnerwahlstrategien folgendermaßen zusammen: Geschlechtsspezifische Asymmetrien - Ein Mann kann im Prinzip viel mehr Kinder zeugen, als eine Frau gebären kann. - Frauen können nur eine begrenzte Zeit Kinder gebären, Männer bis ins hohe Alter Kinder zeugen. - Frauen sind sich ihrer Elternschaft sicher, Männer nicht. Aus diesen Asymmetrien lassen sich folgende Annahmen über geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Partnerwahl ableiten: - Männer haben mehr Interesse an unverbindlichen sexuellen Kontakten. - Männer haben mehr Interesse an einer großen Zahl von Geschlechtspartnern. - Männer sind bei unverbindlichen sexuellen Kontakten weniger wählerisch. - Männer bewerten bei Frauen Zeichen von Jugend und Fruchtbarkeit hoch, Frauen bei Männern eher die Ressourcen, die sie für Kinder bereitstellen können. - Männer reagieren eifersüchtiger auf sexuelle Seitensprünge der Frau, Frauen eher auf enge emotionale Beziehungen des Mannes. Für diese Hypothesen gibt es empirische Beweise → klassische Untersuchung von Buss an 37 kulturell unterschiedlichen Stichproben aus 27 Ländern mit mehr als 10„000 Personen. Diese wurden nach ihrem Partnerwahlverhalten befragt. - Männer bevorzugten jüngere Frauen als Partnerinnen, Ø 2,66 J. jünger als sie selbst. - Frauen bevorzugten ältere Männer als Partner, Ø 3,42 J. älter als sie selbst. - Es gab Unterschiede zw. den Ländern bzgl. des Altersabstands. - Männer legten auf das Aussehen der Partnerin mehr Wert, als Frauen auf das Aussehen der Männer. - Aus evolutionspsychol. Gründen, legten wohl mehr Männer Wert auf die Jungfräulichkeit der Frauen, als Frauen selbst. In 23 der 37 Stichproben war dies der Fall, bei den weiteren 14 Stichproben ergab sich kein signifikanter Unterschied zw. den Geschlechtern. - Wohlstand (good financial prospect) wurde bei 36 von 37 Befragtengruppen von Frauen bzgl. des männlichen Partners höher bewertet als von Männern bzgl. der Partnerin. Auch dies entsprach den Erwartungen der Evolutionären Psychologie. Buss & Schmitt fragten Männer & Frauen, wie wahrscheinlich sie Sex mit einer attraktiven Person des anderen Geschlechts hätten, die sie unterschiedlich lange kennen: - Männer gaben an, bereits nach kurzer Zeit (1h, ein Abend, 1d) zu Sex bereit zu sein. - Bei Frauen war dies nicht der Fall. Hier war die Bereitschaft zum Sex erst nach längerem Kennenlernen denkbar. - Es wurde nach der Wunsch-Anzahl von Sex-Partnern gefragt: Über das ganze Leben hinweg ist die erwünschte Anzahl von Partnerinnen für Männer etwa 3x so hoch wie die Anzahl der Partner, die sich Frauen wünschen. - Männer wollen im Ø am liebsten eine Frau heiraten, die knapp 25 Jahre alt ist (Zeitpunkt ihrer höchsten Fruchtbarkeit). Die Fruchtbarkeit hängt nicht nur vom Alter ab, sondern wird von den Östrogenen beeinflusst. Diese wirken sich auf die Entwicklung der Gesichtsform aus: Kinn & Kiefer bleiben schmal, der Überaugenwulst wächst nicht so stark wie beim Mann, wodurch die Augen größer wirken; die Haut wird glatter, die Lippen werden voller. - Östrogene sind an den typisch weiblichen Gesichtsmerkmalen beteiligt. - Diese Vorliebe von Männern für möglichst weibliche Frauen nachgewiesen werden. Seite 14 | Neve‟s Blog | Study Cell Modul 5 – WS 09|10 - Besonders maskuline Gesichter hängen mit dem Sexualhormon Testosteron zusammen. Es fördert das Knochenwachstum & bewirkt einen kantigeren Kiefer, ein ausgeprägteres Kinn, schmalere Lippen, buschigere Augenbrauen, einen größeren Überaugenwulst & damit kleiner erscheinende Augen. - Männliches Aussehen steht für einen hohen Testosteronspiegel. - Die Vermutung war zunächst, dass Frauen (analog zu den Präferenzen der Männer) männlichere Gesichter attraktiver finden würden. Entgegen diesen Erwartungen fanden Perrett et al. weibliche Präferenzen für weniger männliche Gesichter. Weitere Studien ergaben dass Frauen die Persönlichkeit von maskulineren Männern als weniger gefühlvoll, warmherzig & ehrlich einschätzten, ein als die Persönlichkeit von Männern mit einem feminineren Aussehen. - Tendenziell scheint es so zu sein, dass maskulines Aussehen mit „guten“ Erbanlagen, Dominanz & Gesundheit verbunden wird, weniger männlich wirkende Männer demgegenüber als die verlässlicheren Väter angesehen werden. - In Studien mit insgesamt über 1000 Frauen ergab sich eine signifikante Abhängigkeit der Präferenz für maskulines Aussehen vom weiblichen Zyklus. In Abhängigkeit vom Zeitpunkt des Eisprungs stieg bei Frauen die Präferenz für maskuline Gesichter, während der übrigen Zeit wurden weniger maskuline Gesichter bevorzugt. Der evolutionäre Sinn dieses Zusammenhangs ist zumindest mehrdeutig. Jones et al. sind in ihren Interpretationen eher vorsichtig, Kast sagt: Unsere Ahnin konnte sich einen zuverlässigen Versorger angeln, um sich dann, an den fruchtbaren Tagen, mit dem Testosteron-Typen einzulassen. So konnte sie gleich 2 Fliegen mit einer Klappe schlagen: Für den Alltag den guten Gatten, für den Nachwuchs die guten Gene. Exkurs: Fingerlängen und sexuelle Orientierung Da wir schon bei den Auswirkungen männlicher & weiblicher Hormone sind: auch die Länge des Zeigefingers & des Ringfingers sollen hormonell mit bedingt sein. Es gibt viele Studien, die sich dem Verhältnis der Größe von Ring- & Zeigefinger widmen. Bereits seit langem weiß man, dass bei Männern der Zeigefinger meist kürzer ist als der Ringfinger. Bei Frauen sind diese beiden Finger häufig gleichlang, manchmal ist der Zeigefinger sogar etwas länger als der Ringfinger. „Fingerquotienten“: Von der Handinnenfläche aus gesehen hat jeder Finger an seiner Wurzel eine oder mehrere Falten. Man misst die Fingerlänge von der der Handinnenfläche am nächsten liegenden Falte bis zur Fingerspitze. Dann teilt man die Länge des Zeigefingers durch die des Ringfingers. Männer haben im Ø einen Quotienten zw. 0,95 & 0,98, Frauen zw. 0,97 & 1,00. Viele Studien versuchten nachzuweisen, dass geschlechtsuntypische Fingerquotientien (2D-4D ratios) bei homosexuellen Männern & Frauen häufiger auftreten. Die größte Untersuchung startete die englische BBC im Jahr 2005 im Rahmen einer Internet-Umfrage („Sex ID-Survey“). Insgesamt nahmen über eine ¼Mio Personen weltweit teil. Man sollte berücksichtigen, dass es sich auch bei den signifikanten Differenzen um absolut gesehen minimale Unterschiede handelt, die v.a. aufgrund der großen Zahl der Tn der Studie signifikant wurden. Es ergaben sich folgende Mittelwerte (Standardabweichungen) für die Fingerquotienten: - Rechte Hand Männer: 0,988 (.119) - Rechte Hand Frauen: 0,998 (.106) - Linke Hand Männer: 0,988 (.137) - Linke Hand Frauen: 0,996 (.103) Die Differenzen zw. heterosexuellen & homosexuellen weißen Männern waren noch geringer: 0,984 zu 0,987 (rechte Hand) & 0,985 zu 0,988 (linke Hand). Mittlerweile wurden auch Zusammenhänge von Fingerlängen mit einer Reihe weiterer Variablen untersucht. Martel et al. fanden bspw. einen Zusammenhang zw. ADHD (Attention Deficit-Hyperactivity Disorder) & „männlicheren“ Fingerquotienten bei Jungen (allerdings nicht bei Mädchen). Untersucht wurden 113 Kinder mit ADHD (gemessen über Symptom-Ratings durch Eltern & Lehrer) und 137 ohne ADHD im Alter von 6 bis 18 Jahren. In der ADHD-Gruppe waren 72 Jungen & 41 Mädchen. Man sollte allerdings berücksichtigen, dass auch in diesen Fällen die absoluten Unterschiede in den Quotienten nur minimal waren. D EUTLICHER H INWEIS: Um welche Zusammenhänge es auch gehen mag – Diagnosen aufgrund von Fingerlängen bzw. Fingerquotienten sind nicht zu empfehlen! Sie dürften keine höhere Validität besitzen als Geschlechtsbestimmungen aufgrund der Körpergröße. Seite 15 | Neve‟s Blog | Study Cell Modul 5 – WS 09|10 Theorien der Partnerwahl Gibt es für die Partnerwahl auch andere Erklärungen als unsere evolutionsbiologische Mitgift? Hasenkamp, Kümmerling & Hassebrauck versuchten über eine Telefonbefragung von 57 geburtsblinden (30w, 27m) & 62 sehenden Personen (32w, 30m) Anhaltspunkte dafür zu finden, ob die Ergebnisse eher den Annahmen des evolutionsbiologischen Erklärungsansatzes oder denen der konkurrierenden Theorie der strukturellen Machtlosigkeit (nach der Frauen trotz Gleichberechtigung immer noch benachteiligt sind) oder der Gleichgewichtstheorie (Equitytheorie) entsprachen. Evolutionstheoretisch sollten sich keine Unterschiede in den Partnerpräferenzen der geburtsblinden & der sehenden Frauen & Männer nachweisen lassen. Geprüft wurden mittels entspr. Befragungen die Präferenzen in Hinblick auf die physische Attraktivität & Status/Ressourcen, wobei durch Vortests gesichert wurde, dass die Fragen zur physischen Attraktivität auch von blinden Personen bewertet werden konnten. - Sehenden Männern war die physische Attraktivität wichtiger als den sehenden Frauen. - Sehenden Frauen waren die Ressourcen wichtiger als den sehenden Männern. - Die Ansprüche der blinden Befragten lagen insgesamt signifikant niedriger, sowohl in Bezug auf Attraktivität als auch bezüglich Status/Ressourcen. - Bzgl. Attraktivität ergab sich eine signifikante Wechselwirkung mit dem Faktor „Sehfähigkeit“: geburtsblinde Frauen fanden die physische Attraktivität wichtiger als geburtsblinde Männer. - Die Ergebnisse der Geburtsblinden lassen sich noch am besten durch die Gleichgewichtstheorie (Equitiytheorie) erklären: der in der Selbstwahrnehmung durch die Behinderung reduzierte „Marktwert“ wird durch entsprechend niedrigere Ansprüche an potenzielle Partner „ausgeglichen“. - Hasenkamp, Kümmerling & Hassebrauck merken kritisch an, dass Equitiytheorie & Evolutionstheorie nicht unbedingt im Widerspruch stehen, da die Evolutionstheorie die Partnerwahl als an „Idealen“ orientierte Strategie auffasst, die Equitiytheorie eine eher pragmatische Perspektive der Partnerwahl vertritt. Da letztlich keine der 3 herangezogenen Theorien den geschlechtsspezifischen Unterschied in den Attraktivitätspräferenzen der Geburtsblinden zufriedenstellend erklären kann, dürfte die Vermutung der Autoren, dass es sich auch um eine „kulturelle Überlagerung evolutionärer Muster“ handeln könnte, am ehesten zutreffend sein. Neurowissenschaft & Liebe Neurologische Grundlagen der Partnerwahl: Jeder der schon einmal „unsterblich“ verliebt war kennt die Auswirkungen dieser gehirnphysiologischen Prozesse. - Unbedingtes Streben, die Person, in die man sich verliebt hat, für sich zu gewinnen. - Man sieht zunächst nur deren Vorzüge & ignoriert alles, was weniger gefallen könnte. - Frisch Verliebte fühlen ungeahnte Energien, sind impulsiv, euphorisch, ihre Gedanken kreisen ständig um den „Geliebten“. Man hat Sehnsucht nach der geliebten Person, intensives sexuelles Verlangen, aber ein noch stärkeres Gefühl nach emotionaler Nähe & Verbundenheit. - Fühlt man sich abgewiesen, kann es zu verzweifelten Verlassenheitsgefühlen kommen, manchmal auch verbunden mit hilflosem Zorn, Lethargie oder Resignation. Diese ganze Mischung an intensiven Gefühlen & Wünschen kann vom Verliebten nur schwer kontrolliert werden. - Jankowiak & Fischer fanden in 142 von 166 Kulturen Belege für romantische Liebe. In den restlichen 19 Kulturen war dieser Aspekt nicht untersucht worden. Seite 16 | Neve‟s Blog | Study Cell Modul 5 – WS 09|10 - In einer Untersuchung mit 437 amerikanischen & 402 japanischen Befragten fand Fisher, dass sich die wesentlichen Aspekte romantischer Liebe weder nach Geschlecht, Alter, sexueller Orientierung noch nach ethnischer Zugehörigkeit unterschieden. - Neben Sexualität & Bindungsverhalten ist die romantische Liebe das 3. universelle emotional-motivationale System, durch die Balzverhalten, Paarung, Vermehrung & Elternschaft bestimmt wird. Dies ist nicht nur beim Menschen so, sondern auch bei Säugetieren & Vögeln (beim Menschen: eher romantische Liebe statt Balzverhalten. - Alle 3 Systeme sind durch neuronale & hormonale Systeme gekennzeichnet. o Sexualität durch Geschlechtshormone & Aktivitäten bestimmter neuronaler Netzwerke (v.a. Hypothalamus & Amygdala). o Bindungsverhalten zeigt sich in Tierstudien v.a. durch die Hormone Oxytocin & Vasopressin gesteuert. o Balzverhalten bei Tieren/romantische Liebe bei Menschen stehen in enger Verbindung mit dem neuronalen Belohnungssystem & der Ausschüttung der Hormone Dopamin & Norepinephrin (Adrenalin) bei gleichzeitiger Unterdrückung von Serotonin. - Das partnerschaftliche Verhalten bei Tieren wird stark durch die Ausschüttung von Hormonen gesteuert; dies zeigen Untersuchungen an nordamerikanischen Präriewühlmäusen. Sobald ein Präriewühlmausweibchen gesteuert über Pheromone ein als Partner geeignetes Männchen trifft, bereitet sich ihr Körper umgehend auf die Paarung vor. Es folgen intensive Sexualkontakte, die sich bis zu 24 Stunden erstrecken. Danach sind die beiden dauerhaft gebunden, bauen zusammen ein Nest, verteidigen es gegen alle anderen, & bleiben monogam zusammen. Während der Paarung werden beim Weibchen Oxytozin, beim Männchen Vasopressin wirksam. - Wird im Labor die Ausschüttung beider Hormone durch hemmende Substanzen verhindert, kommt es auch zu Sexualkontakten, aber zu keiner Bindung zw. den Partnern. Umgekehrt führt die künstliche Verabreichung beider Hormone auch ohne vorausgehende Paarungen zu dauerhaften Bindungen zw. Weibchen & Männchen. - Weitere Untersuchungen von monogamen & nicht-monogamen Wühlmausarten zeigen zudem, dass unterschiedliche Verteilungsdichten von spezieller Rezeptoren, die die Ausschüttung des Adenocorticotropen Hormons (ACTH) steuern, eine wichtige Rolle für das Bindungsverhalten spielen. - In einer Studie fand Walum et al. bei 552 Zwillingspaaren & deren Partnern, dass Männer mit einer bestimmten genetischen Disposition, die mit einer verringerten Vasopressin-Ausschüttung einhergeht, seltener glückliche Beziehungen führten als Männer, die diese Genvariante nicht aufwiesen. - Da es bereits Zweifel an der vollständigen genetischen Bedingtheit der Monogamie bei Präriewühlmäusen gibt, sind Behauptungen über genetische Ursachen der Qualität sozialer Beziehungen beim Menschen höchst spekulativ. - Mit engen sozialen Beziehungen verbundene positiven Gefühle weisen gehirnphysiologische Korrelate auf. Der Nucleus accumbens wird bei Säugetieren, aber auch beim Menschen als ein Teil eines Belohnungssystems im Gehirn angesehen („mesolimbisches System“: Anteile der Amygdala & des Tegmentums). - In Tierexperimenten konnte gezeigt werden, dass das mesolimbisches System, in dem v.a. der Neurotransmitter Dopamin ausgeschüttet wird, verantwortlich für bestimmte Arten von Drogenabhängigkeit sein dürfte. In diesem System setzt auch die intrakranielle Selbststimulation ein, bei der sich Mäuse bis zur völligen Erschöpfung über implantierte Elektroden selbst stimulieren. Auch bestimmte Drogen, wie Kokain & Amphetamine wirken auf dieses System. Seite 17 | Neve‟s Blog | Study Cell Modul 5 – WS 09|10 Soziale Bindung: Eine süchtig machende Störung? Beruhen soziales Bindungsverhalten & Drogensucht auf identischen/ähnlichen neurochemischen Vorgängen? T. R. Insel stellte die provozierende Frage, ob es sich bei sozialer Bindung um eine „süchtig machende Störung“ handelt. - Evolutionär hat sich das Belohnungssystem als effiziente Regelungsmöglichkeit sozialen Bindungsverhaltens erwiesen. Das Gehirn belohnt uns für die Nähe zum Partner, stabilisiert Partnerschaft & erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Aufzucht gemeinsamer Nachkommen gelingt. - Die Substituierung körpereigener Glückshormone durch Drogen & die daraus resultierende Abhängigkeit ist eine Schattenseite dieses sinnvollen Mechanismus. - Gehirnphysiol. Gemeinsamkeiten zw. Auswirkungen von Drogen & romantischer Liebe erklären Ähnlichkeiten im subjektiven Erleben: Beides rauschhafte Zustände mit Verlust an Selbstkontrolle. - Zusammenhänge zw. Substanzen die in die Hormonregulierung eingreifen, & zwischenmenschlichen Verhaltensweisen: o Fisher & Thomson: Serotoninspiegel erhöhende Antidepressiva sind eine Gefährdung für romantische Liebe. Das mit dem Verliebtsein einhergehende obsessive Denken an den Partner ist mit einer Serotoninabsenkung verbunden. Wird diese Absenkung verhindert, wird die intensive gedankliche Beschäftigung mit dem Partner unterbunden. Serotoninsteigernde Antidepressiva haben Nebenwirkungen wie z.B. sexuelle Störungen, & könnten kaum absehbare Auswirkungen auf Paarbeziehungen haben. o Gleichzeitig zeigt die erfolgreiche Behandlung von Zwangsstörungen mit SSRI (z.B. Fluoxetin→Prozac®) die Nähe von romant. Liebe & zwanghaftem Verhalten. Funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT, auch fMRI, i für imaging) Aron et al. untersuchten intensiv verliebte Frauen & Männer mittels fMRT, um die bei Liebenden aktivierten Gehirnstrukturen bildlich darzustellen. Bei der fMRT nutzt man die unterschiedl. magnetischen Eigenschaften von oxygeniertem & desoxygeniertem Blut (BOLD-Effekt). Bei der Aktivierung von Kortexarealen steigt der Stoffwechsel & das aktivierte Areal wird überproportional stark durchblutet. Aufnahmen zu unterschiedl. Zeitpunkten können durch statistische Testverfahren verglichen & Unterschiede räumlich zugeordnet & dargestellt werden. Den Vpn wurden während der fMRT-Scans abwechselnd Fotos der geliebten Person & „neutrale“ Fotos einer ihnen bekannten Person gezeigt. Um ein evtl. Fortdauern positiver Gefühle zu unterbinden, mussten die Vpn zw. den Fotos eine Mathe-Aufgabe lösen. Die Ergebnisse zeigten deutliche Unterschiede in den gehirnphysiol. Aktivitätsmustern: Beim Anblick des Geliebten aktivierte sich das mesolimbische System, einem zentralen Belohnungssystem, & zwar v.a. im ventralen tegmentalen Areal (VTA). Außerdem aktivierte sich der Nucleus caudatus, der zu den Basalganglien des Endhirns gehört. Hier hatte man v.a. die Steuerung von Körperbewegungen (Willkürmotorik) vermutet. Erst in jüngerer Zeit wird der Nucleus caudatus auch als relevant für Verstärkungsprozesse angesehen. Über VTA & Nucleus caudatus laufen dopaminerge Verbindungspfade, die mit dem operanten Konditionieren in Zusammenhang gebracht werden (Lernen durch Verstärkung). Die erfassten Unterschiede in den Reaktionen der Vpn auf die beiden Bilder waren bei den frisch verliebten am deutlichsten. Es gibt also Hinweise darauf, dass sich die neurologischen Korrelate des Verliebtseins mit zunehmender Dauer verändern. In einer ähnlichen fMRT-Studie untersuchten Bartels & Zeki Frauen & Männer, deren Beziehungen bereits länger dauerten (Ø 29 Mte. vs. 7 Mte. bei Aron). Die Intensität der Liebe war in dieser Gruppe signifikant geringer (in beiden Fällen über die Passionate Love Scale [PLS] von Hatfield & Sprecher gemessen). Auch in der Studie von Bartels & Zeki ergaben sich Aktivierungen im VTA & im Nucleus caudatus, aber auch in kortikalen Gehirnregionen (Gyrus cinguli & Lobus insularis). In einer entsprechenden Analyse der Vpn mit längerer Beziehungsdauer konnten auch Aron et al. diese Aktivierungen weiterer Gehirnareale belegen. Sie bestätigen, dass es sich bei dem neuronalen Mechanismus der Partnerwahl um einen sich verändernden dynamischen Prozess handelt. Die vermuteten engen Beziehungen zw. Sucht- & Liebesverhalten verdeutlicht auch eine neue Untersuchung bei Schlaganfallpatienten. Bei diesen führten Läsionen im Lobus insularis (Bereich, in dem auch bei längerfristig verliebten Vpn Aktivierungen beim Betrachten des Fotos der geliebten Person nachweisbar waren) dazu, dass starke Raucher kein Verlangen mehr nach Nikotin spürten. Seite 18 | Neve‟s Blog | Study Cell Modul 5 – WS 09|10 Romantische Liebe und Mutterliebe im Gehirnscan In einer weiteren Studie verglichen Bartels & Zeki romantische Liebe mit Mutterliebe. 20 Mütter (Ø 34 J.) wurden u.a. um Fotos ihres Kindes, eines etwa gleich alten anderen Kindes, von ihrer besten Freundin & einer Bekannten gebeten. Bei den fMRT-Scans ergaben sich erstaunliche Ähnlichkeiten (aber auch einige Unterschiede) zu den Bildern, die sich bei der Untersuchung zur romantischen Liebe (Bartels & Zeki) ergeben hatten. „Liebe macht blind“ (?) Es zeigten sich starke Überlappungen der aktivierten Bereiche, aber auch Ähnlichkeiten in den Bereichen, die in beiden Untersuchungen deutlich verminderte Aktivitäten aufwiesen. Bei beiden Bindungsarten (romantische & mütterliche) lagen die Aktivierungen v.a. in gehirnphysiol. Belohnungssystemen (mit vielen Rezeptoren für Oxytozin & Vasopressin), gleichzeitig konnten reduzierte Aktivierungen in Bereichen festgestellt werden, die mit negativen Emotionen & Bewertungsprozessen zusammenhängen. Bartels & Zeki sehen einen deutlichen Zusammenhang zur alltagpsychol. Erkenntnis dass „Liebe blind macht“. Dies gilt nicht nur für den Liebespartner, sondern auch für die eigenen Kinder & entspricht der Erfahrung, dass Eltern oft erstaunlich gleichmütig gegenüber kritischen Verhaltensweisen der eigenen Kinder sind. Bisherige fMRT-Studien lassen sich als „deutliche Belege“ für die Annahme heranziehen, dass die romantische Liebe (Verliebtsein) zentral durch subkortikale Belohnungsareale des Gehirns gesteuert wird. Romantische Liebe ist aus Sicht der Gehirnforschung ein motivationales System, in dem Belohnungen eine große Rolle spielen, & das mit ganz unterschiedl. Emotionen verknüpft ist. Liebe ist also nicht eine best. Emotion, sondern kann unterschiedliche Gefühle hervorrufen. Romantische Liebe kann auch negative Gefühle hervorrufen, wenn sie nicht erwidert wird oder auf direkte Ablehnung stößt. „Liebeshass“ Liebe & Zorn liegen hier eng beieinander: Deaktivierungen in für negative Gefühle zuständigen Arealen können bei Zurückweisung leicht reaktiviert werden. Helen Fisher spricht von „Liebeshass“ („love hatred“), andere auch von Verlassenheitswut, wobei sich im Sinne der „Frustrations-Aggressions-Hypothese“ aus zurückgewiesener Liebe Zorn & Aggression entwickeln. Gehirnphysiologen sehen den Grund in der engen Verbindung zw. Belohnungssystemen & Gehirnarealen, die mit Wut & Aggression korrespondieren. Wird eine erwartete Belohnung nicht gewährt, reagieren wir schnell mit Wut & Ärger. Bindungstheorie Welchen evolutionären Sinn hat diese enge Verbindung von Liebe & Aggression? Bowlby hat in seiner Bindungstheorie den Sinn in dem Versuch des Kindes gesehen, die Fürsorge der geliebten Person (Mutter) zurückzugewinnen. Fisher vermutet demgegenüber bei Erwachsenen, dass Hassausbrüche selten den Partner zum Zurückkehren bewegen. Sie vermutet daher, dass Wut & Aggressivität dem Enttäuschten helfen sollen, sich aus der unglücklichen Beziehung emotional zu lösen & sich mittelfristig für neue Beziehungen zu öffnen. Diese aggressiven Gefühle löschen aber die Liebe nicht einfach aus, sondern begleiten sie. Trotz ihrer negativen Gefühle berichten viele Verlassene, dass sie den abtrünnigen Partner eigentlich noch lieben. Hass ersetzt also nicht Liebe, sondern beide Gefühle existieren gleichzeitig. Diese starken Gefühle im Falle des Verlassenwerdens werden mit der Zeit schwächer. Der „Wutphase“ folgt häufig die „Depressionsphase“ (Analog zu den Phasen, die Kinder bei andauernder Trennung von der Mutter durchlaufen). Nach der Bindungstheorie folgt auf die Phase des aggressiven Schreiens & Weinens eine Phase depressiven Verstummens. In Seite 19 | Neve‟s Blog | Study Cell Modul 5 – WS 09|10 einer Studie mit Erwachsenen die ca. 8 Wochen zuvor verlassen worden waren, zeigten zu 40% deutliche bis schwere Anzeichen von Depression. Zw. Männern & Frauen gibt es deutliche Verhaltensunterschiede: - Verlassene Männer greifen häufig zu Alkohol & Drogen, um ihren Schmerz zu betäuben; sie neigen zu einem waghalsigen, riskanten Fahrstil. Sie sprechen nur ungern über ihre Probleme, wenden sich weniger häufig an Freunde/Verwandte als Frauen. Sie denken deutlich häufiger an Selbstmord als Frauen, vermutlich weil sie emotional & auch ganz praktisch stärker auf ihre Partnerinnen angewiesen sind. - Verlassene Frauen weinen, essen zu viel/zu wenig, schlafen zu viel/kaum noch. Sie verlieren das Interesse an Sex, können sich schwer auf Alltagsdinge konzentrieren & v.a. tendieren sie dazu, ihre unglückliche Liebe stundenlang mit anderen zu erörtern. Dies kann entlastend wirken, aber aktualisieren sich hierdurch die depressiven Gefühle immer wieder („self-handicapping“). Resignation & Verzweiflung als Reaktion auf Verlassenwerden konnten auch bei Säugetieren nachgewiesen werden. Gehirnphysiologisch spielt auch in dieser Phase Dopamin eine zentrale Rolle. Wenn die Belohnung ausbleibt (Partner kehrt nicht dauerhaft zurück) vermindert sich die Dopamin-Ausschüttung im Gehirn: Lethargie, Mutlosigkeit & Depression sind die Folge. Die Interpretation des evolutionären Sinns einer Trennungsdepression mag zynisch klingen: In der Depression sieht man seine Probleme überdeutlich. Dies kann letztlich dazu führen, dass man sich in wesentlichen Punkten ändert, die die zerbrochene Beziehung belastet & letztlich zerstört haben, mit dem Ziel einer neuen & erfolgreicheren Beziehung. So spannend diese Ergebnisse der Neurowissenschaften auch sind, sagen sie (bislang) noch nicht sehr viel über die Unterschiede zwischen Menschen aus. 3.3 Erfolg & Misserfolg von Partnerschaften Woran liegt es, wenn Paare über mehr als 30 J. glücklich miteinander zusammen leben? Gabriela Schmid-Kloss hat Paare gebeten, den Verlauf ihrer 35 J. dauernden Ehe zu beschreiben (Beziehung glücklich, Alter 60-80 J.) & die subjektiven Gründe für ihre lange & „erfolgreiche“ Partnerschaft zu benennen. Auffällig ist die positive Art & Weise, wie sie über ihre Partner sprechen; negative Eigenschaften werden durch konstruktive wohlwollende Attributionen minimiert. Nach Jahrzehnten des Zusammenlebens ähnelten sich die getrennt befragten Partner bis hin zur Wortwahl. FAZIT : Liebe, Vertrauen, gegenseitig unterstützende Interaktionen, begünstigende Außeneinflüsse & kooperative Persönlichkeitsmerkmale fördern den Bestand einer Beziehung. Woran lag es, wenn die Liebe endet & die (Ehe-)Partner sich trennen? Kerstin ZühlkeKluthke hat die Partner nach der Trennung über deren Gründe befragt. Wie bei SchmidKloss ging es auch in ihrer Untersuchung nicht um die objektiven Ursachen der Trennung, sondern um die subjektiven Ursachenzuschreibungen: Warum ist unsere Beziehung gescheitert? Für die Frauen lagen Kommunikationsprobleme an der Spitze der Ursachen. Die Männer nahmen diese Kommunikationsstörungen nicht wahr oder schätzten sie als weniger bedeutsam ein. Wechsel-Attribution: Häufige Uminterpretation zunächst positiver Eigenschaften des Partners ins Negative. So wird bspw. aus einer anfänglich beziehungsstiftenden Eigenschaft des Partners ein Trennungsgrund. Zu ähnlichen Ergebnisse kam auch Felmlee, die die Attraktivität gegensätzlicher Eigenschaften beim Partner, die sich mit der Zeit als belastend herausstellen, als fatal attraction bezeichnet. Seite 20 | Neve‟s Blog | Study Cell Modul 5 – WS 09|10 Die Attributionsmuster glücklicher & unglücklicher Paare unterscheiden sich deutlich: In zufriedenen Beziehungen neigen die Partner dazu, positive Erfahrungen mit dem Partner herauszustreichen & negative herunterzuspielen. Unzufriedene Partner agieren hier genau umgekehrt: sie streichen negative Erfahrungen heraus & übersehen die positiven. Die Partnerschaftsforschung untersucht v.a. den Erfolg/Misserfolg von Partnerschaften. Es gibt viele Hinweise auf geschlechtsspezifische Unterschiede bzgl. Vorstellungen & Erwartungen. Z.B. haben Männer romantischere Beziehungsauffassungen als Frauen. Dies passt zu Befunden, dass Frauen pragmatischere Liebesstile als Männer aufweisen, die zudem eine höhere emotionale Abhängigkeit von ihrer Beziehung angeben als Frauen. Die höhere emotionale Abhängigkeit dürfte durch die bzgl. emotionaler Unterstützung geringer ausgeprägten Beziehungsnetzwerke von Männern bedingt sein. Männer finden emotionalen Rückhalt in sehr persönlichen Fragen häufig nur bei ihrer Partnerin, wogegen Frauen meist offener sind & auch sehr persönliche Probleme mit Freundinnen besprechen. Kurdek stellte in einer Längsschnittuntersuchung fest, dass sich die Stabilität einer Beziehung besser auf der Basis der Daten von Frauen als von Männern vorhersagen lässt. Frauen denken wohl mehr über ihre Beziehung nach & sind sich auch potenzieller Probleme eher bewusst als Männer. Mit Hilfe von Modellen wird in der Partnerschaftsforschung versucht, die wichtigsten Einflussvariablen auf die Stabilität einer Partnerschaft zu integrieren. 2dimensionales Modell von Spanier & Lewis der ehelichen Qualität & Stabilität Die 2 Dimensionen beziehen sich auf innere & äußere Aspekte der Partnerschaft. Die intradyadische Dimension wird als Kosten-Nutzen-Abwägung konzipiert: die Partnerschaftsqualität ist hoch, wenn die subjektive Kosten-Nutzen-Abwägung positiv ist, & gering, wenn die Kosten den Nutzen übersteigen. Die 2. Dimension bezieht sich auf externe Faktoren, die die Stabilität der Partnerschaft beeinflussen. Barrieren wie Finanzielles, Moral oder soziale Normen können einer Trennung entgegenstehen, auf der anderen Seite können attraktivere Alternativen die Stabilität gefährden. Das 2D-Modell ermöglicht die Darstellung von 4 Partnerschaftskonstellationen: zufriedenstabile, zufrieden-instabile, unzufrieden-stabile & unzufrieden-instabile Partnerschaften. Es kann erklären, warum zufriedene Partnerschaften sich auflösen oder unzufriedene Partnerschaften aufrechterhalten werden. So sind Ehen stabil wenn die Beziehung eine hohe Attraktivität aufweist (Nutzen>Kosten), keine anderen attraktiveren Partner vorhanden sind bzw. starke & hohe Barrieren vorliegen. Der Erklärungswert dieses Modells & die Vorhersagekraft sind wegen der hohen Abstraktheit eher gering. Seite 21 | Neve‟s Blog | Study Cell Modul 5 – WS 09|10 Vulnerabilitäts-Stress-Bewältigungsmodell von Karney & Bradbury Mittels Metaanalyse von 115 Längsschnittstudien zur Ehezufriedenheit & -stabilität leiteten Karney & Bradbury ein pfadanalytisches Vulnerabilitäts-Stress-Adaptions-Modell ab, das die bisher gewonnenen Ergebnisse integriert & zueinander in Beziehung setzt. Das Modell beschreibt die Wechselwirkungen zw. überdauernden Eigenschaften der Partner, belastenden Ereignissen & den Anpassungs- & Bewältigungsprozessen, die sich auf die Zufriedenheit & Stabilität der Partnerschaft auswirken. Die 3 Prädiktoren der ehelichen Zufriedenheit & Stabilität: Überdauernde Eigenschaften, belastende Ereignisse & Anpassungs- & Bewältigungsprozesse miteinander in Wechselwirkung. Sie wirken sich auf die Partnerschaftszufriedenheit & -stabilität aus. Die Anpassungsprozesse & die Paarzufriedenheit beeinflussen sich gegenseitig. Zu den belastenden Ereignissen gehören kritische Lebensereignisse, die sowohl auf der Makroals auch auf der Mikroebene angesiedelt sind. - - - - Belastende Ereignisse beeinflussen Anpassungsprozesse (Pfad A): z.B. Stress mit Kindererziehung, Konflikte über Aufteilung der Hausarbeit, oder externe Stressfaktoren (Pfad D) wie z.B. beruflicher Stress. Überdauernde Eigenschaften beeinflussen belastende Ereignisse (Pfad C): z.B. Persönlichkeitsmerkmale wie Neurotizismus & Bindungsstil, Homogenität dieser Persönlichkeitsmerkmale zw. den Partnern, überdauernde dyadische Variablen wie z.B. voreheliche Beziehungsdauer, Kinder) & beziehungsspezifische Kognitionen & Einstellungen. Anpassungs- & Bewältigungsprozesse sind v.a. Konfliktbewältigungskompetenzen wie gegenseitige Unterstützung in Stresssituationen. Diese werden von überdauernden Eigenschaften (Pfad B) direkt beeinflusst. Belastenden Ereignisse können von der Art der Bewältigungsprozesse abhängen (Pfad E). Erfolgreiche Bewältigungsprozesse können belastende Ereignisse vermindern; dysfunktionale adaptive Prozesse können auch zusätzliche Belastungen erzeugen. Adaptive Prozesse stehen in Wechselbeziehung mit Paarzufriedenheit (Pfad F & G). Gelingt es durch adaptive Prozesse wie z.B. durch positives Interaktionsverhalten nicht, die durch die überdauernden Eigenschaften & belastenden Ereignisse verursachten Probleme zu bewältigen, vermindert sich die Paarzufriedenheit (Pfad F), die sich negativ auf die Paarstabilität auswirkt (Pfad H) & mit der Auflösung der Partnerschaft enden kann. Eine hohe Paarzufriedenheit stabilisiert die Partnerschaft. Aber auch zufriedene Partnerschaften können sich auflösen, wenn sich für einen der Partner attraktivere Alternativen ergeben. Arránz Becker konnte zeigen dass eine urbane Wohngegend (höhere Verfügbarkeit von Alternativen auf dem Partnermarkt) sich im Vergleich zu ländlichen Umgebungen destabilisierend auf Partnerschaften auswirkt. Dieser Umstand lässt die Vermutung zu, dass mit den Unterschieden in den Wohngegenden weitere Einflussmerkmale konfundiert sind. Arránz Becker verweist auf Mediatoren: Berücksichtigt man, dass im Stadtumfeld traditionelle Orientierungen verringert sind, Paare im Ø weniger Kinder haben, es mehr nichteheliche Lebensgemeinschaften & mehr Konfessionslose gibt (Merkmale, die die subjektive Ehestabilität verringern), lässt sich der destabilisierende Effekt hierdurch fast völlig erklären. Dies spricht aber nicht zwangsläufig gegen einen destabilisierenden Seite 22 | Neve‟s Blog | Study Cell Modul 5 – WS 09|10 Einfluss höherer Opportunitäten, sondern eher gegen die Eignung des Stadt-LandUnterschiedes als Index für einen unterschiedlich attraktiven Partnermarkt. Entscheidend ist nicht nur das Vorhandensein von Opportunitäten, sondern v.a. deren Wahrnehmung: Nur wenn Alternativen wahrgenommen werden, können sie handlungsrelevant werden. Das Modell von Karney & Bradbury beschreibt die wesentlichen psychol. Prädiktoren der Partnerschaftszufriedenheit & -stabilität in ihren Wechselwirkungen. Eine Partnerschaft ist stabil & zufriedenstellend, wenn die Paare fähig sind, kritische Lebensereignisse & Alltagwidrigkeiten funktional zu bewältigen, geringen Belastungen ausgesetzt sind & wenig problematische überdauernde Eigenschaften mit in die Partnerschaft eingebracht werden. Diese ist gefährdet, wenn neurotische Persönlichkeitseigenschaften eines/beider Partner(s) vorliegen, vermehrt kritische Lebensereignisse auftreten oder die Partner über geringe Bewältigungskompetenzen verfügen. Bodenmann et al. befragten geschiedene Frauen & Männer in D, I & CH. V.a. mangelndes Commitment (Untreue, geringes Interesse, mangelnder Respekt) & Probleme in der Kommunikation wurden als häufigste Ursachen für die Scheidung benannt. Alltagsstress folgte an 3. Stelle vor Problemen mit der Persönlichkeit des Partners. Dyadisches Coping (engl., Bewältigung) - Bzgl. Stressbewältigung in Partnerschaften hat sich das „dyadische Coping” als wichtigster Prädiktor für einen günstigen Partnerschaftsverlauf herausgestellt. - Dyadisches Coping: Art der gemeinsamen Stressbewältigung in Partnerschaften, die sich v.a. dadurch auszeichnet, dass die Partner besondere Belastungen gegenseitig erkennen, sich gegenseitig unterstützen bzw. versuchen, die Belastungen gemeinsam zu meistern. - Allein aufgrund von Stress- & Copingvariablen gelang Bodenmann & Cina in 73% der Fälle eine richtige Vorhersage von Trennungen über einen Zeitraum von fünf Jahren. - In bisherigen Scheidungsprädiktionsuntersuchungen & den resultierenden Partnerschaftsmodellen die emotionale Qualität von Beziehungen nur wenig berücksichtigt wurde. Bodenmann entwickelt ein umfassendes Modell, das auf den Ansätzen von Karney & Bradbury, & Lösel & Bender aufbaut, & neben empirisch relevanten Scheidungsprädiktoren wie Neurotizismus, Alltagsstress, Copingstrategien auch Aspekte wie initiale Liebe, gegenseitige Attraktion & Faszination, „Passung“ der Partnerwahl, Bindungsstil sowie den Partnerschafts- bzw. Familienzyklus einbezieht. - Die Anzahl der Scheidungen hat sich in den letzten 40 J. dramatisch erhöht, die Anzahl der Eheschließungen ist dagegen kontinuierlich gesunken. - Prognosen in die Zukunft sind mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Prognosen aufgrund bisheriger Entwicklungen können zukünftige Ereignisse, die zu gänzlich anderen Entwicklungen führen, nicht berücksichtigen. Sie sind trotzdem nicht unsinnig, weil sie uns auf problematische Entwicklungen hinweisen & so die Grundlage für Vorkehrungen zur Gegensteuerung bilden können. - Früher (z.T. noch heute) kannten sich alle Dorfbewohner. Die Junggesellen & Junggesellinnen bildeten eine eigene Gruppe mit eigenen Ritualen, die v.a. die Partnersuche ermöglichten. Darum wurde auf dem Lande früh geheiratet: Wenn man die potenziellen Ehepartner von klein auf kennt, muss man sich mit der Heirat beeilen, sonst schnappen andere einem die attraktivsten Partner weg (Heiratsmarkt). - Je größer der Markt für die potenziellen Partner wird, desto mehr steigen die Chancen, den gegenwärtigen durch einen attraktiveren Partner „eintauschen“ zu können. Selbst bei hoher Partnerschaftszufriedenheit wird die Stabilität der Beziehung also tendenziell schwächer. Seite 23 | Neve‟s Blog | Study Cell Modul 5 – WS 09|10 - Die Entscheidung zur Heirat wird hinausgezögert (man könnte noch etwas „Besseres“ finden); bei bereits Verheirateten nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass sie sich wieder trennen. Die Abnahme der Eheschließungen & die Zunahme der Scheidungen müssen aber nicht bedeuten, dass die Ehe weniger attraktiv ist. Auch heute wünschen sich die meisten Menschen v.a. eine glückliche intime Partnerschaft. Geburtsjahr & materialistische/postmaterialistische Partnerwahlpräferenzen In den letzten Jahrzehnten haben sich u.U. die Präferenzen für die Auswahl des Partners geändert. Schubert zeigte, dass Jüngere bei der Partnerwahl mehr auf postmaterialistische Werte (Selbstverwirklichung), Ältere mehr auf materialistische Werte (Sicherheit) achten. Bei den jüngsten Jahrgängen (>1970) zeigte sich, dass die Bedeutung der materialistischen Werte wieder ansteigt. Dies geht zwar nicht zu Lasten der postmaterialistischen Werte, macht aber deutlich, dass die wirtschaftliche Situation vermutlich ihre Auswirkungen auf die Wahl des Partners hat. Jüngere achten wie ihre Großeltern wieder stärker auf materielle Sicherheit, gleichzeitig sind ihnen aber auch wie ihren Eltern die postmaterialistischen Werte zunehmend wichtig. Die Ansprüche an den idealen Partner werden höher: Er soll in seinem Verhalten & seiner Persönlichkeit die ideale Unterstützung der eigenen Selbstverwirklichung bieten, & auch die materiellen Wünsche absichern. Je höher die gegenseitigen Ansprüche sind, desto größer wird das Risiko sie nicht erfüllen zu können – sicherlich auch ein Grund für die hohen Scheidungsquoten. Aus den steigenden Scheidungsraten darf man nicht auf eine historisch neue Entwicklung schließen, jedenfalls dann nicht, wenn wir menschheitsgeschichtlich in größeren Dimensionen denken. Fisher stellte bei der Analyse von Scheidungsstatistiken fest, dass im Ø die größte Anzahl von Scheidungen um das 4. Ehejahr erfolgte. Aktuelle Scheidungsstatistiken zeigen einen ähnlichen Trend. Das verflixte vierte Jahr… Das ist das Jahr in dem sich die Trennungen bei Paaren mit keinem/nur einem Kind häufen. Serielle Monogamie ist wohl keine Auswirkung postmaterialistischen Wertewandels, sondern steht in Zusammenhang mit unserer evolutionären Entwicklung. So vertritt Fisher die These, dass unsere Vorfahren vor 3-5 Mio. J. in der Mehrzahl nur so lange eine feste Paarbindung eingingen, bis ein einzelnes Kind die Kleinkindphase beendet hatte (ca. 4 Jahre). Danach suchten sie sich einen neuen Partner, unbewusst getrieben von dem Wunsch nach genetischer Vielfalt bei den eigenen Nachkommen. Seite 24 | Neve‟s Blog | Study Cell Modul 5 – WS 09|10 3.4 Empfehlungen für gelingende Partnerschaften Die Erkenntnis der Partnerschaftsforschung der letzten Jahrzehnte ist ermutigend: Weniger die Persönlichkeitsmerkmale oder soziodemografische Variablen sind für den Verlauf einer Partnerbeziehung ausschlaggebend, sondern Kommunikations-, Problemlösungs- & Stressbewältigungskompetenzen, die erworben & ausgebaut werden können – auch noch zu späteren Zeitpunkten im Leben. John M. Gottman sagt Ähnliches aufgrund von Videos alltäglicher Streitsituationen. Er fasst die identifizierten negativen Kommunikations-formen in Form von 5 apokalyptischen Reitern zusammen, die sich in eine Beziehung einschleichen & schrittweise ruinieren können: Kritik, Rechtfertigung, Verachtung, Rückzug, Machtdemonstration. Kritik Gottman geht es v.a. um die Art & Weise, wie störende Verhaltensweisen des Partners angesprochen werden. Er unterscheidet hierbei die verallgemeinernde & verletzende Kritik („Immer lässt du alles rumliegen, du bist so was von faul!“) von einer auf ein konkretes Verhalten bezogenen Beschwerde („Es stört mich, dass deine Socken herumliegen. Kannst du die bitte wegräumen?“). Rechtfertigung Auf Kritik reagieren die meisten Menschen quasi automatisch mit Verteidigung („Ja, aber ich arbeite den ganzen Tag & habe nicht die Zeit, ständig aufzuräumen“). Die Kritik des Partners wird abgewehrt und häufig mit eigenen Vorwürfen gekontert – die Eskalationsspirale ist ausgelöst. Verachtung Sie kann bspw. in Form von Zynismus/beißendem Spott geäußert werden & ist meist eine Folge lange schwelender negativer Gedanken über den Partner aufgrund ungelöster Probleme. Verachtung zielt nicht nur auf eine Verteidigung gegenüber Kritik, sondern dient der absichtlichen Verletzung des Partners („Als ob du wüsstest, was Arbeit ist!“). Rückzug Manchmal steigt einer der Partner aus der Eskalationsspirale von Kritik, Rechtfertigung & Verachtung irgendwann einfach aus. Er ignoriert weitere Vorwürfe & reagiert mit Rückzug bzw. „Mauern“. Das hiermit ausgesandte Signal ist für die Beziehung fatal: „Du bist mir gleichgültig – nicht einmal mehr Ärger lohnt sich bei dir“. Machtdemonstration (Ursprünglich waren es 4 Reiter. Gottman hat später diesen 5. hinzugefügt.) Auf Kritik folgt keine Rechtfertigung, sondern die Durchsetzung des eigenen Willens: „Ich kann meine Socken liegen lassen wo ich will. Ich zahle hier die Miete!“ Die Machtdemonstration signalisiert, dass kein Interesse mehr an Kompromissen besteht, dass die eigenen Interessen ohne Rücksicht auf den Partner durchgesetzt werden. Die Art & Weise der Konfliktbewältigung ist für das Gelingen einer Beziehung eine wesentliche, aber nicht die wichtigste Bedingung. McGonagle, Kessler & Schilling fanden heraus, dass sich die von ihnen befragten Ehepaare im Ø nur 1-2x im Monat stritten. Streit-Prophylaxe-Programme können zwar die Fähigkeiten des konstruktiven Streitens bei Paaren deutlich verbessern, sie helfen jedoch nur bedingt dabei, Beziehungen auf Dauer glücklicher zu gestalten. Gottman beobachtete in seinem Ehelabor, dass sich selbst glücklich verheiratete Paare lautstark stritten. Es gelingt ihnen keineswegs, die apokalyptischen Reiter konsequent & immer zu vermeiden. Allerdings haben sie es gelernt, fortlaufende Eskalation von Auseinandersetzungen durch „Rettungsversuche“ zu verhindern. Einen erfolgreichen Rettungsversuch konnte Gottman bei Nathaniel & Olivia beobachten, die sich erbittert darüber stritten, was für ein Auto gekauft werden sollte: Olivia stützt plötzlich ihre Hände in die Hüften streckt wie ihr Fünfjähriger die Zunge heraus. Da Nathaniel schon weiß, dass sie das gleich tun wird, streckt er ihr zuerst die Zunge heraus. Beide lachen. Diese alberne Geste löste die Spannung zwischen ihnen auf. Derartige Rettungsversuche sind kein Allheilmittel. Voraussetzung fürs Gelingen scheint eine insgesamt positive emotionale Beziehung zw. den Partnern zu sein, die Gottman als „Freundschaft” bezeichnet. Überwiegen aber gegenseitige negative Gefühle, können Rettungsversuche den Streit weiter anheizen („He, es tut mir leid!“ – „Ja, hinterher tut es dir immer leid, das ist ja gerade das Problem mit dir!“). Seite 25 | Neve‟s Blog | Study Cell Modul 5 – WS 09|10 Zuwendung Kontinuierliche gegenseitige Zuwendung der Partner im Alltag ist wichtige Bedingung für ein positives Grundgefühl. Es geht um die Art der Reaktion, wenn uns der Partner auf Alltägliches aufmerksam macht oder uns etwas vielleicht Belangloses mitteilt. Birchler et al. zeigen dass sich Ehepaare Fremden gegenüber aufmerksamer & freundlicher verhalten als ihrem eigenen Ehepartner gegenüber. Nach Gottman & DeClaire ignorierten 82% der Männer in akut gefährdeten Ehen Verbindungsversuche ihrer Ehefrau; in funktionierenden Ehen waren es nur 19%. Nicht nur die Ignoranz der Männer wirkt sich destruktiv aus. Wichtig ist auch ob die Ehefrau bereit ist, auf die Sorgen des Mannes einzugehen. Männer reden weniger gerne mit Freunden über ernsthafte persönliche Probleme als Frauen mit ihren Freundinnen, & ihre Frau häufig der einzige Mensch ist, mit dem sie ihre Sorgen teilen können. Wir-Gefühl Eine Partnerschaft scheint optimal zu sein, wenn beide Partner von ihr profitieren (Kosten-Nutzen für beide ausgeglichen). Häufig kann zumindest ein Ehepartner keine für ihn selbst positive Bilanz ziehen. Dies fällt noch schwerer, wenn jeder nur versucht auf die eigene Bilanz zu achten, da der eigene Nutzen schnell in Form von Kosten beim Partner aufscheint. Beziehungskonto: Aus reiner Ich-Sicht mag einem ein ständiges Einzahlen, zumal wenn es mehr ist als man abheben darf, bald als absurd erscheinen, als Fehlinvestition. Erst das Wir-Gefühl macht die Konstruktion eines gemeinsamen Beziehungskontos sinnvoll. Indem man dem Partner etwas Gutes tut, „zahlt“ man auf dieses Konto ein & stärkt so das WirGefühl. Dies setzt austauschtheoretische Annahmen nicht außer Kraft, sondern dient der Prolongierung, da nicht beide Partner immer gleichviel einzahlen & abheben müssen. Dieses Wir-Gefühl kann nur dann Bestand haben, wenn beide Partner sich um diese gemeinsame Perspektive bemühen. Akzeptanz Den perfekten Partner gibt es nicht. Mit Akzeptanz ist schlicht die Anerkenntnis der Tatsache gemeint, dass jeder Mensch neben Stärken auch Schwächen besitzt, die der jeweilige Partner akzeptieren sollte. Geschieht dies nicht, ergeben sich oft fruchtlose „Erziehungsbemühungen“ oder ein häufiger Partnerwechsel, der von der trügerischen Hoffnung auf den idealen Partner getragen ist. Positive Illusionen In glücklichen Paarbeziehungen akzeptieren die Partner die Schwächen des anderen & sehen ihn wie durch eine rosarote Brille. Sandra Murray stellte fest, dass Ehepartner die sich gegenseitig in Bezug auf Eigenschaften wie Intelligenz, Humor, Toleranz, etc. einschätzen sollten, ihren Partner umso positiver beurteilten, je zufriedener/glücklicher sie in der Beziehung waren. Sie schätzten ihn besser ein als diese sich selbst & auch als enge Freunde. Positive Illusionen wirken sich auch günstig auf die Beziehungszufriedenheit aus. Zusätzlich nähern Personen, die von ihrem Partner idealisiert werden, ihr Selbstkonzept diesen Idealen mit der Zeit an. In Partnerschaften haben Idealvorstellungen von der eigenen & der anderen Person erhebliches Gewicht, mehr Gewicht vielleicht als die real vorhandenen Persönlichkeitseigenschaften Aufregung im Alltag Kast stellt nach der Sichtung des Forschungsstandes 5 Liebesformeln als besonders wichtig für gelingende Paarbeziehungen heraus: Zuwendung, Wir-Gefühl, Akzeptanz, positive Illusionen, Aufregung im Alltag. Gegenseitige Zuwendung & Stärkung des Wir-Gefühls gehören mit dazu, wenn Paare zusammen Aufregendes erleben. Reissman, Aron & Bergen fragten Ehepaare (Ø 14 J. Ehe) nach besonders „aufregenden“ Aktivitäten. Genannt wurden Tätigkeiten wie Bergsteigen, Skifahren, Theater- & Konzertbesuche, Tanzen. Als lediglich angenehm wurden Tätigkeiten wie Freunde besuchen, gemeinsam etwas Neues kochen, ins Restaurant oder ins Kino gehen bewertet. Die Ehepaare wurden in 2 Gruppen eingeteilt, wobei die eine Gruppe pro Woche 1½h eine Aktivität der aufregenden & die andere Gruppe nur eine der angenehmen Art unternehmen sollte. Nach zehn Wochen zeigte sich, dass die Paare der „aufregenden“ Gruppe mit ihrer Partnerschaft deutlich zufriedener geworden waren. In der „angenehmen“ Gruppe hatte sich die Zufriedenheit nicht verändert. Kast empfiehlt: „Suchen Sie gemeinsame Herausforderungen & Aufregung im Alltag.“ So sinnvoll diese Ratschläge sein mögen, nicht immer können sie eine Partnerbeziehung stabilisieren. Manchmal ist es zu spät, um eine Beziehung noch zu retten. H. Fisher gibt Empfehlungen falls man vom geliebten Partner verlassen wird: Eine verlorene Liebe sollte man wie eine Sucht bekämpfen. Man muss rigoros alle Erinnerungsstücke an die Suchtsubstanz (die geliebte Person) entfernen! Fotos & Briefe erinnern wieder an den/die Ex & können die neuronalen Schaltkreise für die schwärmerische Verliebtheit wieder aktivieren. Es ist riskant, wenn man in der gemeinsamen Wohnung allein zurück bleibt, da hier alles & jedes an die gemeinsame Zeit erinnert. Um das ständige Denken an den Ex-Partner zumindest zeitweilig zu unterbrechen, sind ablenkende, möglichst positive Beschäftigungen zweckmäßig. Da die Verzweiflung der unerwiderten/verlorenen Liebe mit sinkendem Dopamin-Spiegel verbunden ist, sollte man alles tun, um diese körpereigene stimmungsaufhellende Substanz zu erhöhen. Sport kann gleich positive Wirkung haben wie Psychotherapien/Antidepressiva. Die Ratschläge klingen trivial, aber sie wirken. Das Problem dabei ist, dass man es schaffen muss, sie auch in die Tat umzusetzen! Seite 26 | Neve‟s Blog | Study Cell