Herrn Ministerpräsidenten Horst Seehofer Parteivorsitzender der CSU Franz-Josef Strauß Haus Mies-van-der-Rohe-Str. 1 80807 München - Nürnberg, 06. Oktober 2016 Offener Brief der Katholischen Akademien in Franken an den Parteivorsitzenden der CSU Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Seehofer, mit großer Sorge nehmen wir in den vergangenen Monaten Entwicklungen wahr, welche aus unserer Sicht den gesellschaftlichen Zusammenhalt, die politische Kultur und damit auf Dauer wichtige Säulen einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft gefährden. Als Vertreter von Katholischen Akademien in Bayern dürfen wir Ihnen diese Sorgen vorlegen als einen Aufruf zur Besonnenheit und gleichzeitig als Beitrag für das gemeinsame Bemühen, diese Säulen einer den Menschenrechten verpflichteten und christlich wertorientierten Gesellschaft zu stützen. Die Katholischen (wie übrigens auch die Evangelischen und andere) Akademien wurden nach dem Zweiten Weltkrieg begründet, um in einem pluralen System gemeinsam Orte der Begegnung, der Wertorientierung und des (religiösen wie politischen) Dialogs zu bilden. Es war sicher ein gemeinsames Verdienst aller Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus Königstr. 64 90402 Nürnberg Telefon 0911.2346-0 Telefax 0911.2346-163 [email protected] www.cph-nuernberg.de Caritas-Pirckheimer-Haus gGmbH GF: Dr. Siegfried Grillmeyer HRB 22730 Sitz und Amtsgericht: Nürnberg Bankverbindung LIGA Bank eG · Nürnberg Konto-Nr. 511 61 63 BLZ 750 903 00 2 demokratischen Parteien, dass sich durch eine gewachsene Diskussionskultur auch das Selbstverständnis änderte: Aus weltanschaulichen Feinden konnten politisch Andersdenkende im gemeinsamen Ringen um die Gestaltung eines demokratischen Miteinanders werden. Wir stellen fest, dass sich diese politische Streitkultur ändert. Und wir befürchten, dass sie sich auflöst. Zu dieser politischen Streitkultur gehört zweifelsohne auch die klare Abgrenzung von allen Formen des rassistischen, nationalistischen wie allgemein ausgrenzenden und diskriminierenden Gedankenguts. In unseren Veranstaltungen werden wir immer öfter damit konfrontiert, dass nach dem Motto „Man wird doch noch sagen dürfen“ mittlerweile Positionen salonfähig geworden sind, die dieses menschenverachtende Potenzial in die Diskussionen und damit in Denken und Handeln hineintragen. Gerade an Orten der Bildung und Begegnung wissen wir um die hohe Symbolkraft und subtilen Wirkungen von Begriffen, Metaphern und sprachlichen Bildern und vermissen so schmerzlich einen verantwortungsvollen Umgang mit ihnen; Metaphern wie „Flut“ oder „Welle“ haben sich beispielsweise im Zusammenhang mit Geflüchteten bei vielen Menschen längst verbunden zu einem diffusen Gefühl der „Überfremdung“, der „Islamisierung“ und damit Gefährdung „unseres christlichen Abendlandes“. Dabei ist das christliche Welt- und Menschenbild ein wunderbar weites und inklusives, das den Blick auf jeden Notleidenden lenkt, und kein exklusives, das die eigene Identität durch Abgrenzung sucht. Gerade in Bayern war bei aller Pflege der eigenen Kultur in einem volkstümlich formulierten „Leben und leben lassen“ immer auch der Blick auf „den Anderen“ gerichtet; und damit wurde das „Fremde“ sowohl zur eigenen wahrgenommen. Selbstvergewisserung wie auch als Bereicherung 3 In Veranstaltungen der Katholischen Akademien in Nürnberg und Würzburg wird deutlich, wie sich Menschen von der CSU entfremden, die bisher gerade in dieser Partei in besonderem Maße die Verwirklichung der katholischen Soziallehre bzw. der christlichen Gesellschaftslehre suchten. Die Prinzipien der Personalität, der Subsidiarität und der Solidarität sowie einer „Option für die Armen“ und einer „nachhaltigen Entwicklung“ sind dabei stets im weltweiten Kontext zu denken. Die Sorge um den Nächsten war niemals räumlich oder quantitativ begrenzt, sondern schloss immer auch den Fernsten ein, wenn es darum ging, sich gegen Ausgrenzung, Ausbeutung und einen unmenschlichen Umgang mit Menschen einzusetzen. Unsere Katholischen Akademien sind auch ein Treffpunkt von Menschen, die sich christliche Orientierung wünschen. So sprechen wir mit vielen, die wie Erzbischof Ludwig Schick, Bischof Friedhelm Hofmann und andere deutlich zum Ausdruck bringen, dass sie bei politischen Äußerungen von Verantwortlichen der CSU immer wieder die grundsätzliche christliche Offenheit und Toleranz sowie den Respekt vor den Inhalten des Grundgesetzes, der Genfer Konvention wie auch vor den Menschenrechten vermissen. Bildung lebt von der berühmten „didaktischen Reduktion“, um komplexe Sachverhalte zielgruppenspezifisch darstellen zu können. Auch Politik muss solche Reduktionen von Komplexität anbieten. Gleichzeitig nehmen wir deutlich wahr, dass viele Menschen trotz unterschiedlicher sozialer wie beruflicher Hintergründe ein Mehr an Komplexität vertragen und sich eher von allzu starken Vereinfachungen, Pauschalisierungen und damit auch Polarisierungen abwenden. Es sind Sternstunden unserer Bildungsarbeit, aber auch des gesellschaftlichen Diskurses, wenn Zeit und Raum ist, komplexe Zusammenhänge ohne Vereinfachungen darzustellen, im Gespräch zu befragen und Kontroverses auch kontrovers zu behandeln, ohne die Basis eines grundlegend wohlwollenden Umganges miteinander zu verlassen. 4 Als Vertreter der Katholischen Akademien wünschen wir uns von der CSU – wie auch von anderen Parteien – dass sie diesen Dialog unterstützt, der sich der komplexen Wirklichkeit stellt - ohne polarisierende Vereinfachung, aber auch in klarer Abgrenzung gegen Extremismus und Diskriminierung. Natürlich stehen wir Ihnen jederzeit gerne zu weiteren Nachfragen zur Verfügung und verbleiben mit freundlichen Grüßen Dr. Siegfried Grillmeyer Direktor der Akademie CPH Nürnberg Dr. Rainer Dvorak Direktor der katholischen Akademie Domschule Würzburg