Samstag, 16. Juni 2007 DER STANDARD ALBUM DOSSIER KLIMAWANDEL IN ÖSTERREICH: Seit den 90er-Jahren ist das durch Umwelteinflüsse veränderte Klima zum zentralen Thema für Gesellschaft, Poltitik und Wirtschaft geworden. Die Gratwanderung zwischen Hysterie und ernsthaften Prognosen ist nicht einfach. Aufgeheiztes Klima or 15 Jahren, als der Klimawandel noch nicht in aller Munde war, als die Temperaturanstiege bloß als eine Marotte der Natur verstanden wurden, erschien im Standard die erste Klimaserie Österreichs. Jürgen Langenbach bereiste die wichtigsten Naturgegenden des Landes und beschrieb Klimaveränderungen sowie die Situation von Tieren und Pflanzen. Inzwischen hat sich Dramatisches ereignet. In den Alpen, wo der Temperaturzuwachs besonders stark ist, hat nicht nur die Gletscherschmelze Alarm ausgelöst, sondern auch der inzwischen zur Gewissheit gewordene Rückgang der Schneegrenzen. Und im Flachland, wo früher einmal Sommertemperaturen von 32 oder 33 Grad eine Seltenheit waren, gibt es heute zehn bis 14 Tage mit 35 bis 38 Grad. Ununterbrochen. V Foto: Marijana Miljković Im Jahr 1992 haben wir auch eine 32 Seiten starke Beilage über den drohenden Wassermangel publiziert. Das war damals eine Kooperation von zwei Dutzend Tageszeitungen – vom Guardian bis zu Ha’aretz, von El Pais bis Al Ahram. Die Konsequenzen für neue Völkerwanderungen und die Gefahr von Kriegen um das Wasser waren damals ebenso ein Thema wie die Problematik einer Privatisierung der Wasserwirtschaft, weil viele Staaten den Bürgern keine Grundversorgung mehr bieten hätten können. Diesmal hat Marijana Miljković die verschiedenen Regionen erwandert, hat Interviews mit Experten geführt und zu bilanzieren versucht. Wir starten heute mit einem ersten umfangreichen Teil dieser neuen Klimaserie, die sich über vierzehn Tage erstrecken wird. Was wird sich in den nächsten Jahren verändern? Worauf müssen wir uns einstellen? Liebe Leserinnen und Leser: Senden Sie uns Ihre Beobachtungen, geschrieben oder fotografiert. Die einprägsamsten werden wir veröffentlichen. Gerfried Sperl, Chefredakteur uß rkus Garoch a M l r B Ka ermannauen H r e b ü Fr und die A 2 DOSSIER ALBUM Selbst die großen Klimaskeptiker innerhalb der akademischen Welt haben mittlerweile die laufende Erderwärmung als Faktum anerkannt. Überschwemmungen, wie hier an der March im vergangenen Frühjahr oder schneearme Pisten, wie bei der letzten HahnenkammAbfahrt sind die Folgen. Dossier-Autoren: Andreas Feiertag kam 1994 zum Standard und war lange Wissenschaftsredakteur. Feiertag lebt seit 2007 als Autor in Vorarlberg. Marijana Miljković hat Journalismus in Graz studiert und arbeitet seit 2005 als freie Mitarbeiterin beim Standard. Andrea Dee lebt als Journalistin in Niederösterreich und schreibt seit vielen Jahren für den Standard über Tierschutzthemen. Irene Brickner studier- Fotos: M. Cremer, A. Urban, privat (3) Entscheidende zwei Grad Celsius Klimaerwärmung kann man nicht verhindern, fatale Folgen schon ach den Alpen ist nun auch Grönland eisfrei, der Meeresspiegel um sieben Meter angestiegen. Millionen Menschen der ehedem fruchtbaren Küstenregionen flüchten aus ihrer überschwemmten und versalzten Heimat. Millionen weitere, primär aus Afrika, verlassen wegen Wassermangels ihre verwüsteten Länder. In Österreich wird in den permanenten Überschwemmungsgebieten entlang Donau, Inn, Rhein, Mur, Mürz, Enns und Kamp inzwischen Reis angebaut. In den bis zuletzt verbliebenen vier Skiorten für reiche Alpinisten am Arlberg und in den Tauern ist der klassische Wintertourismus Geschichte, da die weitere Verwendung von Wasser für die nötigen Beschneiungsanlagen verboten wurde. Wie? Dieses Zukunftsszenario für das Jahr 2100 ist zu pessimistisch für einen guten Einstieg? Einverstanden, dann eben ein anderes! Weder in den Alpen noch auf Grönland sind die Eisschilde weggeschmolzen, die Höhe des Meeresspiegels liegt in der statistischen Norm. Dürreperioden und Überschwemmungen haben an Zahl nur geringfügig zugenommen, die noch vor einem knappen Jahrhundert prognostizierten Flüchtlingsströme bleiben aus. Die Landwirtschaft in Österreich blüht, die zahlreichen Wintersportorte freuen sich erneut über ein Plus an Nächtigungszahlen. Klingt gleich besser, oder? Das Problem dabei ist, dass laut heutigen Klimamodellen entweder die eine oder aber die andere Vision dereinst Realität werden wird. Und darüber entscheiden lächerlich erscheinende zwei Grad Celsius. Zumindest aller Wahrscheinlichkeit nach, denn die Vorhersage des Klimas für die kommenden hundert Jahre ist noch ein wenig schwieriger als die Prognose des Wetters für die nächste Woche – und selbst die lässt es an Treffsicherheit mitunter mangeln. Worauf sich also einstellen? „Keine Ahnung“, bedauert Mojib Latif, einer der weltweit renommiertesten Klimaforscher vom LeibnizInstitut für Meereswissenschaften in Kiel, „wir fahren gerade in einen dunklen Tunnel hinein und wissen nicht, wo wir herauskommen.“ Der größte Unsicherheitsfaktor aller Klimamodelle für die Zukunft sei die Variable Mensch: „Es hängt fast alles davon ab, wie sich jeder Einzelne und wie sich die Politik in Zukunft verhalten werden. Aber wer soll das heute wissen?“ Fest steht derzeit lediglich, dass dem Polarbären künftig die Sonne noch heißer auf den Pelz brennen, das Eis noch schneller unter seinen Tatzen dahinschmelzen wird. Selbst die größten Klimaskeptiker innerhalb der akademischen Welt haben mittlerweile die laufende Erderwärmung als Faktum anerkannt. Dabei ist die Tatsache, dass das Klima einem Wandel unterworfen ist, weder überraschend noch ungewöhnlich. Das Klima ist und war nie statisch, in der Erdgeschichte folgte auf Warmphase immer Kaltphase, darauf wieder Warmphase. Und das wird auch so weiter gehen. N Fotos: AP, dpa te Soziologie, bevor sie im Jahr 2000 zum Standard kam. Sie gewann 2004 den Klimaschutzpreis (Hagelversicherungen). Birgit Baumann war bis 1999 Innenpolitikredakteurin der OÖN. Sie lebt seit 2000 in Berlin und ist seit 2005 Korrespondentin des Standard. 16. Juni 2007 Die Auswirkungen dieses permanenten Klimawandels waren und sind immer dieselben: Die Natur reagiert darauf mit Verschiebungen und Anpassungen in Fauna und Flora. Der zunehmend ins Schwitzen geratende Eisbär, bestätigen Zoologen, sei ein recht anpassungsfähiges Tierchen. Das beweise schon das niedliche Beispiel Knut, der fernab jeglicher Eiseskälte in einem deutschen Tierpark den Besuchern arktischen Lifestyle näher bringt statt in der Berliner Großstadthitze zu verenden. Und selbst jene Nischen, die infolge des klimatischen Wandels ausgestorbene Spezies hinterlassen, werden flugs mit neuen Arten aufgefüllt. Evolution kennt keine Moral, gleicht aus. Die vielerorts beschworene Apokalypse kann abgesagt werden. Oder doch nicht? Was Klimaforscher wie Mojib Latif beunruhigt, ist die neue Qualität der derzeitigen Erwärmungsphase: „Die Temperaturen sind noch nie so schnell gestiegen wie in den vergangenen gut hundert Jahren, also seit der Industrialisierung.“ Womit der Mensch zwar nicht als Brandstifter, menschliches Handeln und Wirtschaften jedoch, insbesondere die Verbrennung fossiler Energieträger, als Brandbeschleuniger identifiziert wären. ies führt zur entscheidenden Frage, ob die natürliche Anpassungsfähigkeit von Tieren und Pflanzen einem derart beschleunigten Tempo standhalten kann. Denn auch die Evolution braucht ihre Zeit, um Fauna und Flora genetische Klimaanlagen einzuverleiben. „Die Auswirkungen der rasanten Erwärmung jedenfalls“, bestätigt Latif, „sind zwar schwach, aber dennoch bereits heute sichtbar.“ Etliche Fischarten in den Meeren hätten ihren Lebensraum bereits weiter nach Norden verlegt. Ähnliches sehe man auch bei Insekten und Pflanzen etwa im alpinen Raum, wo einige Spezies in immer wärmer werdende Höhen vordrängen – schmelzende Gletscherzungen machen ihnen schon Platz. In Österreich und angrenzenden Ländern, erklärt der Klimaforscher, habe sich die Vegetationsperiode bereits um etwa zwei Wochen verlängert. Bleibt noch der Mensch. „Aussterben werden wir schon nicht“, beruhigt Latif. Dennoch könne die Wissenschaft auch diesbezüglich keine verlässliche Prognosen abgeben. Denn es fehlten Vergleiche: In allen Warmphasen der vergangenen Million Jahre, also seit die Entwicklung des Menschen begann, „erreichte die Durchschnittstemperatur maximal 16 Grad Celsius“. Heute lägen wir bereits bei 20. Und es wird noch wärmer. „Wie der Mensch damit umgehen wird, bleibt abzuwarten.“ Wie jedoch die Weltpolitik heute mit dem Problem umgeht, ist für den vielfach ausgezeichneten Klimawissenschafter frustrierend, der vor gut einer Woche beim G8-Gipfel im deutschen Heiligendamm geschlossene Klimaschutzkompromiss ist für Latif „ein fauler“. D Von Andreas Feiertag Weil jegliche Verbindlichkeit fehlt. „Was soll das denn heißen, dass man es ernsthaft in Betracht ziehen wolle, etwas dagegen zu unternehmen, dass der Temperaturanstieg bis zum Jahr 2100 die zwei Grad Celsius überschreitet?“ Und was bedeuten eigentlich diese zwei Grad? elinge es, den Ausstoß des Treibhausgases CO2 bis zum Jahr 2050 um 50 Prozent, bis 2100 um 80 Prozent gegenüber heute zu reduzieren, würde der Temperaturanstieg seit Beginn des 19. Jahrhunderts etwa zwei Grad betragen. „Dies wäre eine relativ gemütliche Klimaerwärmung“, verdeutlicht Latif. Dabei dürfe man nicht vergessen, dass die Temperatur bis heute schon um 0,6 Grad gestiegen sei. Und dass – auch wenn ab heute gar kein Klimagas mehr in die Atmosphäre geblasen würde – ein Anstieg auf etwa 1,5 Grad noch komme. Wegen bisher begangener Klimasünden. Das System sei nämlich sehr träge. Mache man jedoch so weiter wie bisher, würde der Temperaturanstieg bis 2100 fatale vier Grad betragen, Grönland eisfrei werden und der Meeresspiegel um sieben Meter steigen. „Weil man sich beim G8-Gipfel auf nichts Verbindliches geeinigt hat, bleibt das vertretbare Maximum von zwei Grad ungewiss.“ Haben die apokalyptischen Reiter doch schon gesattelt? „Nein, so schlimm ist es nicht“, sagt Latif. „Und wir haben auch noch etwas Zeit.“ Medienberichte, wonach im kommenden Jahrzehnt der „point of no return“ erreicht werde, wenn bis dahin nichts gemacht wird, „sind Panikmache und Hysterie“. Auch wenn Maßnahmen erst 2020 oder 2030 griffen, könnten fatale Folgen noch abgewehrt werden. Wichtig sei eine 80-prozentige Reduktion bis 2100. Und da US-Präsident Bush nicht mehr ins Amt gewählt werden darf, stünden die Chancen dafür so gut wie nie. „Die USA werden nun bald Klimaschutzmaßnahmen treffen und damit andere endlich mitreißen. Etwa China und die EU.“ Q G Klimawandel in Österreich Die neue mehrteilige Standard-Serie zum Thema „Klimawandel in Österreich“ erscheint zu folgenden weiteren Terminen im Juni: 2. Teil am 18. Juni: Wien und Umgebung 3. Teil am 19. Juni: Stockerauer Au 4. Teil am 20. Juni: Steirische Weinstraße 5. Teil am 21. Juni: Hohe Tauern (Großglockner) 6. Teil am 22 Juni: Ötscher-Gebiet 7. Teil am 23./24. Juni: Böhmerwald 8. Teil am 25. Juni: Tirol 9. Teil am 26. Juni: Rheindelta red Q IMPRESSUM: Redaktion: Bettina Stimeder (Leitung), Stefan Gmünder, Mia Eidlhuber. Ständige Mitarbeiter: Wojciech Czaja. Sekretariat: Christa Fuchs, Renée Cuhaj. Layout: Armin Karner, Petra Strasser. E-Mail: [email protected] DOSSIER 16. Juni 2007 ALBUM A 3 Stelzenläufer im Schilfgürtel: „In diesem Jahr ist der Wasserstand gut“, sagt Richard Haider von der Biologischen Station am Neusiedler See. Für das System und das Zusammenspiel zwischen Flora und Fauna ist der fluktuierende Wasserspiegel des Steppensees optimal. Foto: Marijana Miljković Regen für den See Der Klimawandel stört das Leben am Neusiedler See und lässt Salzlacken verschwinden as Schönste am Neusiedler See ist zu beobachten, wie sich Schilf wird nur in den Wintermonaten gemäht, und das auch das trübe, graue Wasser des Sees mit dem braunen und teil- nur in der Bewahrungszone“, weiß auch Richard Haider von der weise klaren Wasser aus dem Schilfgürtel vermischt. Die Er- Biologischen Station. Die Schutzzone soll bleiben wie sie ist, klärung dafür ist denkbar einfach, zumindest für Alois Herzig, lautet die Vorschrift im Nationalpark Neusiedler See Seewinden Leiter der Biologischen Station Neusiedler See in Illmitz. kel. Das Gleiche gilt auch für die Wiesen, die, so sie nicht geDie braune Farbe kommt von den Huminstoffen der Pflanzen. mäht werden, von den Tieren, etwa den Rindern des NationalDadurch, dass der See so seicht ist und das Sediment durch den parks, beweidet werden. Das ist zum Beispiel in Sandeck so, wo Wind aufgewirbelt wird, erfolgt auch die Durchmischung kon- sich auch die weißen Esel finden. Wenn die Vegetation nicht so tinuierlich. Und so entsteht die graue Farbe. hoch ist, sieht man auch Rehe über die Wiesen eilen, ansons„Es ist für viele Menschen unvorstellbar, wie so eine trübe ten ist der Hochstand, der früher von den Ungarn als Wachturm Suppe die höchste Wasserqualität haben kann.“ Das liege an der benützt wurde, dabei behilflich, vieles im Auge zu behalten. hohen Selbstreinigungskapazität, die durch den filternden Der Regelwasserstand des Neusiedler Sees ist niedrig: 115,70 Schilfgürtel und das ständige Aufwirbeln des Wassers erfolgt, Meter über der Adria ist der höchste Punkt, den er erreicht. Bei erklärt der Wissenschafter. Bevor die Kläranlagen in den um- 116 Metern rinnt der See aus, und die Schleusen werden geliegenden Ortschaften funktioniert haben, hat man wegen der öffnet, damit das Gebiet nicht überflutet wird. Wenn es nach Trübe nicht gesehen, dass „da schon längst die Alarmglocken Alois Herzig ginge, so könnte man den Stand ruhig anheben. läuten“. Doch das war in den 1970er-Jahren, und mittlerweile ast alle Fische laichen im Schilfgürtel, und je voller das Beist das mit dem Abwasser geklärt. Der Neusiedler See ist mesocken ist, desto besser sind die Zugangsmöglichkeiten und troph, ist also in einem mittleren Trophiezustand, „aber rein desto besser ist auch der Reproduktionsprozess, erklärt Exbakteriell hat er einwandfreies Wasser“, sagt Herzig. Richard Haider steuert das Kajütboot der Biologischen Stati- perte Herzig weiter. Wenn der Wasserstand im Sommer absinkt, on mit mäßiger Geschwindigkeit durch den Verbindungskanal werden einige Fische in den Arealen eingesperrt, und das wird von der Station zum See und verlangsamt dort die Geschwin- zum „Eldorado für die Reiher“. Gäbe es einen konstanten Wasdigkeit. „Montags ist Seetour angesagt“, sagt der Mitarbeiter der serspiegel, würde das System nicht funktionieren. Je höher die Station, die von der Burgenländischen Landesregierung betrie- Temperatur, desto höher die Nahrungsaufnahme. Manche Arben wird. Die Landesregierung denkt auch daran, dem See ten schaffen es, im Frühjahr schneller da zu sein und sich künstlich Wasser zuzuführen, um dessen Austrocknung wegen schneller zu entwickeln. Manche Arten aber werden durch die höheren Temperaturen geschädigt, weil sie des kontinuierlich sinkenden Wasserstandes sich nicht angepasst haben. „Eine genaue Progzu verhindern. Den nämlich misst Haider auf nose lässt sich nicht erstellen“, sagt Herzig. seinen Touren und entnimmt Proben an verDazu müsste man die Arten einzeln betrachten. schiedenen Punkten des Sees. Mit dem Blick Ein Problem wurde bereits in England beobauf einen Stelzenläufer, der im Schilfgürtel waachtet, weiß der Ornithologe Hans Winkler vom tet, sagt er zufrieden: „Heuer ist der WasserWiener Konrad-Lorenz-Institut für Vergleistand gut.“ chende Verhaltensforschung. Bei einigen VöSeit 40 Jahren gibt es zu den verschiedenen geln passt das Timing mit der Entwicklung der Aspekten des Sees zuverlässige Daten, aufVegetation und somit der Nahrung nicht mehr grund derer man Aussagen treffen und einen zusammen, was möglicherweise größere KonTrend, was den Klimawandel betrifft, feststelkurrenz auslöst. Doch auch das könne man nur len kann. Und der gehe eindeutig in Richtung Temperaturzunahme des Wassers, weiß Alois Teil 1 vermuten, jedoch noch nicht beweisen. in Österreich Auf dem Weg von der Station nach Sandeck Herzig: „Das wird Ihnen jeder Einheimische sagen, aber es ist auch messbar und statistisch abgesichert.“ März ist der Weg, wie der Name sagt, sandig. Die aufgelassenen Weinund Mai seien die zwei Monate, in denen es extrem wärmer ge- gärten mit den verdörrten Stöcken tragen dazu bei, dass das Bild worden sei. Extrem heiß bedeutet, die Temperatur liegt 1,5 bis einer Wüste entsteht. Das jedoch hat nichts mit der Wasserzwei Grad über der normalen Temperatur. Was für Alois Her- knappheit in dem Gebiet zu tun, „das von Haus aus eine prezig überraschend ist, sind die Daten zum heurigen Winter: „Es käre Situation mit dem Niederschlag hat“, sagt Bernhard Kohwar kein Trend ablesbar.“ Alle drei, vier Winter haben die Neu- ler vom WWF. Nach dem Weinskandal sei der Weinbau rücksiedler Seebewohner einen relativ warmen Winter. Auch in die- läufig, erklärt der Ornithologe, der seit mehr als 20 Jahren im sem Jahr ist der See nicht zugefroren, und es gab erstmals Tem- Seewinkelhof bei der Langen Lacke, östlich vom Neusiedler See, peraturen von fünf, sechs Grad in den Wintermonaten. „Aber arbeitet. Dort wurde der WWF Österreich auch gegründet, jedas reicht nicht, um zu sagen: ‚Halt! Das ist es!.‘ Wenn ich die doch war nicht der Klimawandel ausschlaggebend, sondern die vergangenen 30 Jahre nehme, dann ist das der erste Ausreißer.“ Sorge um die Hutweide- und Steppenflächen, die in Acker- und Was Herzig mehr zu schaffen macht, ist das „Halbwüstenklima“ Weinbauflächen umgewandelt wurden. „Im Gebiet Seewinkel im Seegebiet, das sich mit 380 Millimetern Regen in den ver- und Neusiedler See wurden massive Eingriffe in den Wassergangenen fünf Jahren bemerkbar machte. Die Regendatenprog- haushalt vorgenommen, um Landflächen zu gewinnen“, sagt nose ist ein großer Schwachpunkt, weil die Niederschlagsmen- Kohler. Steppengewässer seien anfällig für Klimaschwankungen an unterschiedlichen Punkten des Neusiedler Sees sehr gen, und wenn sich auf der Niederschlagsseite etwas ändere, schwanken. „Der Neusiedler See wird zu 80 Prozent vom Re- dann werde es problematisch. Denn einerseits steigt mit der Ergen gespeist. Wenn wir weniger Regen haben, sinkt der Pegel wärmung die Verdunstung, und andererseits werde noch imautomatisch, weil 80 Prozent wieder verdunsten, und viele Zu- mer Wasser für die Landwirtschaft abgeleitet. Doch Grundwasflüsse gibt es nicht. Wenn wir keinen Regen haben, dann haben ser „ist überlebenswichtig für die Salzlacken“. Eine Hilfe wäre, die Entwässerungskanäle zu schließen. Mitwir Pech.“ Genau wie 1865, als der See zuletzt ausgetrocknet tels eines Modells müsste man sich anschauen, welche Gebiewar. Für das System und das Zusammenspiel zwischen Flora und te von einem Hochwasser und welche bei geschlossenen KanäFauna ist der fluktuierende Wasserspiegel optimal. Im Winter len betroffen wären. „Das wäre ein Programm für Jahrzehnte“, erfolgt die Befüllung, und es findet keine Verdunstung statt. „Im sagt Kohler, „aber so viel Zeit haben wir nicht.“ Die Salzlacken Idealfall ist der gesamte Schilfgürtel mit Wasser bedeckt, also verschwinden von der Landkarte. In den vergangenen 20 Jah320 Quadratkilometer sind Wasser“, skizziert Herzig. „Das ren sind bereits zehn Lacken verschwunden. „Die Lange Lacke D F Von Marijana Miljković gibt es seit 20.000 Jahren“, gibt Kohler zu bedenken. Doch unter dem Lackensterben leiden nicht nur die Kartografen, sondern auch Salzspezialisten wie Säbelschnäbler, Seeregenpfeifer, die Salzkresse oder das Kampfergras. Das sind Arten, die an der Meeresküste und in asiatischen Steppen- und Halbwüstengebieten beheimatet sind, und eben auch in Österreich. Kurioserweise brauchen die Halbwüsten einen hohen Grundwasserspiegel, denn der Salzboden braucht einen nach oben gerichteten Grundwasserstrom, damit das Salz an die Oberfläche gebracht wird und das Wasser verdunstet. Für die Pflanzen ist das Lackensterben dramatisch, weil dadurch auch sie sterben. Bei den Vögeln könnte man annehmen, dass sie einfach davonfliegen. Kohler winkt ab: Der Säbelschnäbler zum Beispiel kommt in der näheren Umgebung erst wieder in Zentralungarn vor. Und dort ist das Gebiet schon besetzt, die derzeit 200 österreichischen Brutpaare könnten also nicht ausweichen. Grundsätzlich würde es dem Gebiet aber nichts ausmachen, wenn es durch die Klimaänderung wärmer würde und die Extremwetterereignisse, wie lange Tockenperioden und Starkniederschläge, eintreten, meint Kohler: „Solange das Wasser zurückgehalQ ten und nicht abgeleitet wird, könnte es funktionieren.“ Wissenschaftliche Enquete AUS PRINZIP NACHHALTIG KLIMAWANDEL Wird alles gut, wenn heute alle an morgen denken? Oder profitieren wieder nur die neoliberalen Eliten? Am Podium Dr. Susan George, ATTAC Frankreich Dr. Erwin Buchinger, BM für Soziales und KonsumentInnenschutz Prof. Dr. Eckart Hildebrandt, Wissenschaftszentrum Berlin Univ.-Prof. Helga Weisz, Klagenfurt Univ.-Doz.Beate Littig, IHS Wien Prof.FH Tom Schmid, Sozialökonomische Forschungsstelle Wien Univ.-Prof. Nikolaus Dimmel, Salzburg Univ.-Prof. Karl Aiginger, WIFO Wien Das Dialogforum für WissenschafterInnen, ArbeitnehmerInnenvertretungen und Partnerorganisationen wie ATTAC, WIFO und BAWAG. Mittwoch, 27. Juni 2007, 8.30 bis 20.00 Uhr, Schloss Reichenau Schlossplatz 9, 2651 Reichenau / Rax, Niederösterreich Information und Anmeldung unter www.dialog-forum.eu Die Teilnahme ist kostenlos. Für Kinderbetreuung ist gesorgt. A 4 DOSSIER ALBUM 16. Juni 2007 „Sehr deutliche Trends“ Von Marijana Miljković Foto: Ilse Hoffmann Die Vogelwelt ändert sich, sagt Experte Hans Winkler Tief im Osten: Frühjahrsidylle im Burgenland, wenn die Zugvögel an den Neusiedler See zurückkehren. Foto: APA der Standard: Herr Professor Winkler, Ihr Forschungsbereich am Neusiedler See sind Vögel. Was haben Sie bereits alles untersucht? Hans Winkler: Wir haben vor drei Jahren ein Forschungsprojekt begonnen, um die Auswirkungen des Klimawandels auf die österreichische Vogelwelt zu untersuchen. Wir starten in diesem Jahr das Nachfolgeprojekt, in dem wir die einzelnen Punkte noch einmal vertiefen. Was waren die Ergebnisse der ersten Studie? Winkler: Der Schwerpunkt der Erstanalysen war, herauszufinden, ob sich im zeitlichen Auftreten etwas geändert hat. Es gibt mehrere Aspekte: den der Ankunft der Vögel im Frühjahr, der Abreise im Herbst und des Brutbeginns sowohl bei den Ziehern als auch bei den Standvögeln, also den Einheimischen. Wir haben versucht, alle vorhandenen Informationen zu sammeln – welche Arten wohin ziehen und wo es Unterschiede gibt. Eine Annahme war, dass Österreich aufgrund seiner West-OstAusdehnung sehr heterogen sein müsste und nicht gleichmäßig vom Klimawandel betroffen ist. Es hat sich auch herausgestellt, dass es im Osten anders zugeht als im Westen. Warum ist das so? Winkler: Einerseits, weil sich das Klima unterschiedlich entwickelt, und andererseits, weil von vornherein andere Arten vorkommen, sie andere Zugwege haben und daher unterschiedlich betroffen sind. Der Klimawandel beinhaltet nicht nur die Temperatur, es sind viel mehr Dinge. Gerade Langstreckenzieher – Vögel, die südlich der Sahara überwintern, wie Rauchschwalben, Rohrsänger – werden durch die Wetterlagen unterschiedlich beeinflusst. Die Mauersegler, die gerade angekommen sind, ziehen zum Beispiel entlang der Atlantikküste, die werden vom großen Wettersystem im Nordatlantik und zum Teil vom tropischen Atlantik beeinflusst, die wiederum lose an das ElNiño-System gekoppelt sind. Die Neuntöter sind eher beeinflusst vom Indischen Ozean und Wetterereignissen in Eritrea und Äthiopien. Das hängt auch von der Brutbiologie der Einzelnen ab. ANZEIGE Klimadebatte – wissen ist besser als glauben! Austrian Research Centers liefern die fachlich saubere Grundlage für die europaweite Klimadiskussion Wien, Seibersdorf (ARC Science News): Die Ursachen von Umweltproblemen sind vernetzt, die Auswirkungen für den Menschen nicht unmittelbar spürbar. Österreichische ForscherInnen liefern den wesentlichen Beitrag, um Umweltdiskussionen nicht zur Glaubensfrage abgleiten zu lassen. Die Austrian Research Centers haben mit UWEDAT ein umfassendes Umweltmonitoring-System entwickelt, das als „best practice“ international Anwendung findet. Die Vision der ExpertInnen ist es aber, Umweltdaten in Zukunft europaweit zu vernetzen. Für effizienten Klimaschutz zum Beispiel ist das eine unbedingte Voraussetzung. Die EU fördert die ambitionierten Ziele der ÖsterreicherInnen mit dem Forschungsprojekt SANY.**** Umweltforschung made in Austria stark nachgefragt Während die öffentliche Diskussion von Umweltthemen allzu oft von persönlichen Überzeugungen oder kurzfristigen Interessen beeinflusst ist, arbeiten die österreichischen ForscherInnen an immer exakteren Datensystemen, die verlässliche Antworten liefern. „Umweltmonitoring ist zu einem besonders erfolgreichen Standbein der Austrian Research Centers geworden. Im Prinzip geht es dabei immer darum, verschiedenste Umweltdaten zu messen, zu bündeln und zu sinnvollen und leicht verständlichen Daten zu verrechnen. Das Anwendungsgebiet von UWEDAT ist breit gestreut und reicht von Hochwasserprognosen, über Luftgütemessungen bis zur Erfassung von Strahlenbelastungen.“, sagt Hubert Hahn, Leiter der Business Unit Umweltinformationssysteme. Bei komplexen Aufgabenstellungen sind die öster- Und wie reagieren die Vögel? Winkler: Manche Arten reagieren mit verfrühter Brut, andere wieder mit verspäteter, die einen mit früherem Abzug, die anderen mit späterem. Es gibt kein einheitliches Bild, und das zeigen auch internationale Studien. Wir können nicht alles über einen Kamm scheren und sagen, dass die Zugvögel alle später und alle früher kommen, das ist von Region zu Region verschieden. Bei der Rauchschwalbe zeigt sich zum Beispiel, dass es Regionen in Österreich gibt, wo sie früher ankommt, und Regionen, wo sie später ankommt. Das hat unter anderem mit den Windbedingungen zu tun, die für den Ziehanflug verantwortlich sind. Eine deutsche Studie besagt, dass sich Klimawandel folgendermaßen auswirkt: Arten, die es kälter mögen, ziehen in den Norden, und Arten, die Wärme lieben, ziehen zu, beziehungsweise bleiben und vermehren sich besser. Winkler: Bei Vogeldaten zeigt sich der Klimawandel am besten nach 1982. Da beginnen die Trends sehr deutlich zu werden. Ich kenne im Moment keine nördlichen Arten, die sich zurückgezogen hätten. In Norditalien zum Beispiel siedeln sich in der Bucht von Venedig in Richtung Triest Arten an, die wir nur vom Wattenmeer, aus dem Norden, kennen. Der Grund ist nicht, dass es dort kälter geworden ist, sondern, dass dort Naturschutzmaßnahmen gegriffen haben. Ich kann mir vorstellen, dass das auch in anderen Bereichen passiert. Wir haben verschiedene Trends. Auszumachen, welcher Trend auf den Klimawandel und welcher auf globale Änderungen zurückgeht, ist nicht leicht. Die gleich Studie zeigt auch, dass im Untersuchungszeitraum von 1980 bis 2002 ein Artenzuwachs verzeichnet wurde. Winkler: Auf der Regionalskala wird das auch in Österreich so sein. Es ist wahrscheinlich, dass die Arten zunehmen, aber auch hier haben wir verschiedene Trends. Europa ist eine sehr artenarme Halbinsel, von allen gemäßigten Zo- Mauersegler Ankunft 2007: Mitte April Bisher: Ende April Silberreiher Das Anwendungsgebiet von UWEDAT ist breit gestreut und reicht von Hochwasserprognosen, über Luftgütemessungen bis zur Erfassung von Strahlenbelastungen.“, sagt Hubert Hahn, Leiter der Business Unit Umweltinformationssysteme der Austrian Research Centers. Foto: Andreas Scheiblecker reichischen ExpertInnen international gefragt. So verlässt sich das junge EU-Mitglied Rumänien bei der Messung der Luftgüte vollständig auf die SpezialistInnen der Austrian Research Centers. Vision der ARC-ForscherInnen ist die europaweite Vernetzung Mittelfristig braucht es aber Messsysteme, die grenzüberschreitend arbeiten, denn Umweltbelastungen machen nicht an Landesgrenzen halt. Je schneller Daten vergleichbar gemacht werden, desto sinnvoller können Klimaschutzmaßnahmen im EU-Raum umgesetzt und überwacht werden. Die Seibersdorfer geben auch hier den Takt vor. Sie haben die Koordination des integrierten Forschungsprojektes SANY im 6. Rahmenprogramm der EU übernommen. Ziel ist es, die Umweltüberwachung europaweit einheitlich zu gestalten, um auf Bedrohungen rasch und effizient reagieren zu können. Das gilt für den Dauerbrenner Klimaschutz genauso wie für kurzfristig auftretende Um- weltprobleme wie Wasser- und Luftverunreinigungen oder Hochwassergefahr. Diskussionen zum Klimaschutz sind wichtig. Rasche und konkrete Maßnahmen sind aber Pflicht, wenn die Umwelt aus dem Gleichgewicht gerät. Entscheidungsgrundlage müssen zuverlässige und hochprofessionelle Messdaten sein. Weitere Informationen: www.sany-ip.eu, www.arcs.ac.at/it Rückfragehinweis: Mag. Michael Hlava, 050550-2046, [email protected] Die Austrian Research Centers sind das größte außeruniversitäre Forschungszentrum Österreichs. Mit ihren innovativen Entwicklungen leisten sie einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der technologischen Wissensbasis der österreichischen Wirtschaft und zur Sicherung der Standorte im internationalen Wettbewerb. Sein Abflug fand bisher Ende Oktober statt. In den vergangenen Jahren überwinterte er laut „Birdlife“ in Österreich. Halsbandschnepper Ankunft 2007: Mitte April Bisher: Anfang Mai Storch Ankunft 2007: März, nicht ungewöhnlich. nen ist sie die artenärmste. Das ist durch die Eiszeiten bedingt. Die Alpen haben in der Eiszeit die Fluchtwege abgeschnitten, durch die Halbinselstruktur ist die Neuzuwanderung stark gehemmt. Auch ohne Klimawandel wird die Artenvielfalt zunehmen bzw. werden sich seltene Arten ausdehnen. Den südlichen Arten wird es immer besser gehen, und wir können damit rechnen, dass neue hinzukommen – auf dieser lokalen Ebene sicherlich. Global schaut es anders aus, weil Inselarten unter Umständen wegen Wasserstandsänderungen betroffen sind, sich die Wüsten ausdehnen und sich Großhabitate ändern. Da kann es schon sein, dass vor allem Arten auf Inseln und isolierten Berghängen aussterben. Neben der Temperatur spielen auch die Niederschläge eine Rolle. Wie sich die Niederschläge entwickeln werden, das ist noch eine Q unsichere Geschichte. Univ.-Prof. Dr. Hans Winkler ist Ornithologe am Wiener Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung. Ungesunder Winterschlaf Wegen der wärmeren Winter könnten Ziesel aussterben. Von Andrea Dee rtsnamen wie Zeiselmauer zeigen noch heute, wie verbreitet Ziesel im Tiefund Hügelland Ostösterreichs einst waren. Früher wurde eine „Schwoaferlprämie“ für jedes getötete Tier bezahlt, weil man die Erdhörnchen für Ernteschädlinge hielt. Heute zählt das Ziesel zu den gefährdeten Tierarten: Sein Lebensraum – die Weidewiesen, Mager- und Trockenrasen – hat sich durch die Intensivierung der Landwirtschaft und den Rückgang der Weidewirtschaft drastisch verringert. Und die globale Erwärmung könnte bald zu ihrem vollständigen Verschwinden führen, wie der holländische Biologe Roelof Hut von der Universität Groningen erläutert: „In Wien wird viel Forschung über Ziesel betrieben, wir untersuchen an der Uni Wien die energetischen Grundlagen ihres Winterschlafs.“ Die Körpermasse des Ziesels durchläuft einen Jahreszyklus: Im Sommer wird Fett eingelagert, das den Tieren ermöglicht, den Winter zu überleben. Ob und in welchem Zustand ein Ziesel im Frühjahr seinen Bau verlässt, hängt nicht zuletzt von den Temperaturen im Winter ab. Hut: „Bei null Grad Celsius ist die Energiebilanz optimal. Da verbrauchen die Tiere am wenigsten.“ Ist es kälter, steigt der Energiebedarf. „Interessant ist, dass auch bei höheren Temperaturen mehr Energie verbraucht wird“, erklärt Hut. Ein „milder“ Winter wie etwa der heurige, bei dem es im Jänner nachts Außentemperaturen bis acht Grad Celsius gab, schadet den Zieseln. „Bei wärmeren Temperaturen erhöht sich die Zahl der Erwärmungsphasen, die Ziesel regelmäßig während des Winterschlafs durchleben“, erläutert Roelof Hut, das koste noch zusätzlich Energie. Ziesel erhöhen während des Winterschlafs ihre Körpertemperatur rund alle zehn Tage für zehn bis 16 Stunden auf 36 Grad. Hut: „Sie tun das primär, um Alzheimer und ähnliche Gehirnschäden zu vermeiden.“ Es kostet Ziesel also mehr Energie, einen wärmeren Winter gesund zu überleben. Ziesel sind an ihre Lebensräume gebunden. Sie können für den Winterschlaf nicht in kältere Regionen ausweichen. Hut: „Das ist in Österreich unmöglich, weil eine Migration durch das dichte Straßennetz zum Scheitern verurteilt wäre.“ Forscher wissen nicht, ob die ökologisch isolierten, kleinen Populationen noch genügend genetische Variationen aufweisen, um ihre Winterschlafstrategie zu ändern. Die Zerstörung ihrer Lebensräume hat die Ziesel auf wenige isolierte Inseln zurückgedrängt, der Temperaturanstieg in Mitteleuropa wird voraussichtlich das Ende ihrer Art in Österreich bedeuten. Hut: „Wir haben hochgerechnet, dass Ziesel schon bei einem Anstieg der Jahresdurchschnittstemperaturen von nur drei Grad um 2050 ausgestorben sein werden.“ Q O DOSSIER 16. Juni 2007 ALBUM A 5 Heiße Zeiten Wer sind die Wetter-Verlierer und wer sind die Wetter-Profiteure des Klimawandels? Von Irene Brickner er Boden tief zerfurcht und staubtrocken, übersät mit den Skeletten verendeter Schafe und Kamele, Männer und Frauen, die vor behelfsmäßigen Zelten Kinder mit Hungerbäuchen hochhalten: Bilder wie diese aus Mali, Mauretanien, Niger und dem Sudan lenkten in den 1970er- und 1980er-Jahren die Aufmerksamkeit der Welt auf die Sahelkrise. Auf eine Dürre- und Hungerkatastrophe mit 50 Millionen Betroffenen und einer Million Toten, die von Meteorologen und Ökonomen rückwirkend als eine der ersten Negativfolgen des weltweiten Klimawandels bezeichnet wird. Und zwar im mittleren Afrika, wo laut Klimamodellen Millionen Menschen auch in Zukunft zu Wetter-Verlierern zu werden drohen. Dafür verantwortlich ist laut Experten aber nicht allein der Umstand, dass im Sahel seit nunmehr fast 40 Jahren der Monsunregen zu einem Großteil ausbleibt, weil sich die Wasseroberfläche des Indischen Ozeans erwärmt. Sondern auch die geringe Möglichkeit der betroffenen Staaten und Gesellschaften, die Folgen der Dürre abzumildern (Mitigation) oder sich ihnen anzupassen (Adaptation) – Umstände, die ihre Ursache in chronischer Armut und jahrhundertelanger Ausbeutung der Mehrheit der afrikanischen Bevölkerung haben. Die Frage, wer von den derzeit 6,3 Milliarden Menschen (und ihren Nachfahren) zu den Verlierern, wer zu den Gewinnern des Klimawandels gehören wird, wird im Zusammenwirken von Klima-, Politik- und Ökonomieexperten beantwortet. Nur interdisziplinär kann abgeschätzt werden, wie ressourcenreich, wie flexibel – also wie fit – Gesellschaften sein müssen, um es ihren Bewohnern zu ermöglichen, sich an neues, extremes Wetter anzupassen. Die Millionen Armen dieser Welt dürften es hier weitaus schwerer haben als die Bevölkerung der Industriestaaten; in diesem Sinne verschärft der Klimawandel die ohnehin klaffenden Gegensätze zwischen Arm und Reich. Prognosen, wie bekömmlich das neue Klima in verschiedenen Regionen sein wird, sind derzeit noch mit einem mittleren Unsicherheitsfaktor behaftet. Da eine Vielzahl von Gegebenheiten berücksichtigt werden muss, ist der Re- D zunehmend auch die reiche Welt – Europa, Nordamerika und Australien – konfrontiert sein. Deren Reaktion etwa in Form von Entwicklungshilfe wird mit darüber entscheiden, wie viele Verlierer es tatsächlich geben wird. Der Druck, zu helfen, wird groß sein. atsächlich sagen die verschiedenen Klimaszenarien dem nördlichen Teil der nördlichen Hemisphäre, von der Polarregion über Alaska nach Russland mit den Weiten Sibiriens und bis nach Skandinavien, bis 2085 extreme Steigerungen der Durchschnittstemperatur zwischen sechs und zwölf Grad voraus sowie bis zu einem Viertel mehr Niederschläge. Tritt dieses Szenario ein, so könnten die derzeitigen Steppen und Eiswüsten zu Zentren der Landwirtschaft werden. Doch ob diese neuen Zentren der Landwirtschaft alle Klimaflüchtlinge Q werden ernähren können, ist fraglich. T Im September erscheint von Irene Brickner und Johanna Ruzicka das Buch „Heiße Zeiten – 50 Antworten auf brennende Fragen zum Klimawandel“ im Residenz Verlag. Am Donnerstag, 21. Juni, findet um 19 Uhr im Auhof-Center-Plaza (Albert-Schweitzer-Gasse 6, 1140 Wien) eine Standard-Debatte zum Thema „Wege aus dem Treibhaus – was können wir gegen den Klimawandel tun?“ statt. Freier Eintritt. In Afrika werden in Zukunft Millionen Menschen zu den Wetter-Verlierern zählen. Bestleistung zum Bestpreis Wer verliert? Küsten Gletscher Alpine Tiere und Pflanzen Afrika nahe der Sahara Die heutigen Armen Wer gewinnt? Kontinentale Regionen Der hohe Norden Die russische Landwirtschaft Die Ölwirtschaft in Alaska Die heutigen Reichen chenaufwand bei Klimamodellen selbst für heutige Computer enorm. Trockenheit bei steigenden Temperaturen etwa steht laut einem Klimamodell, dem das von mittelhoher Steigerung des Treibhausausstoßes ausgehende CO2Emissionsszenario zugrunde liegt, neben Mittel- und Nordafrika auch Südeuropa, den südlichen USA und Mittelamerika und Westaustralien ins Haus. Doch in diesen reichen Regionen könnten weitläufige Wasserleitungen oder Stauseen Abhilfe schaffen, die das Wasser aus Extremregen auffangen. üstennahen Gegenden wiederum droht aufgrund der steigenden Meerespegel Überflutung. Weltweit leben Millionen von Menschen in exponierten Küstenregionen, aber es macht einen großen Unterschied, ob sie das in den Niederlanden oder im südasiatischen Bangladesch tun. Zwar liegen in beiden Ländern Gebiete zum Teil unter dem Meeresspiegel, in Holland jedoch werden schon jetzt Pläne für Deichverstärkungen und schwimmende Wohnviertel gewälzt, während sich das arme Bangladesch, das laut Human Development Index (HDI) nur auf Platz 139 von weltweit 175 erfassten Ländern liegt, solche Schutzbauten wohl nicht leisten kann. Damit ist am Golf von Bengalen die Existenzgrundlage von 17 Millionen Menschen in Gefahr. Ihnen bliebe bei Überflutung nichts anderes übrig als abzuwandern, womit sie zu Flüchtlingen werden, deren große Zahl das soziale Gleichgewicht indischer Nachbarregionen gefährden könnte. Zu Flüchtlingen vor Bürgerkriegen aufgrund von Wasserverteilungskonflikten würden (und werden) aber auch Dürreopfer: So halten Beobachter die seit Jahren anhaltende Krise im sudanesischen Darfur, wo arabisch-nomadische Kamelzüchter die sesshaften afrikanischen Bauern terrorisieren, zum Teil für eine Folge des Klimawandels. Mit solchen weltweiten Fluchtbewegungen von Wetter-Verlierern ist und wird in Zukunft K Optimierung des Energiehaushalts Komplettlösungen zur - Effizienzsteigerung - Kostensenkung - Schadstoffminimierung - Modernisierung aus erneuerbaren und konventionellen Energien Alles aus einer Hand. Maßarbeit all-inclusive mit Facility Management Effiziente und kundenorientierte Lösungen durch systematische Prozesssteuerung - von der Technik bis zur Sicherheit - vom Keller bis zum Dach Ein Unternehmen von Wien Energie Foto: AP/Hadebe A 6 DOSSIER ALBUM Meilensteine im Klimaschutz Eine Übersicht über vergangene Klimagipfel und -konferenzen. Seit Ende der 1980er-Jahre hat die internationale Staatengemeinschaft eine Reihe wichtiger Klimaziele vereinbart. Q Toronto 1988: Im Juni findet in Kanada die erste Weltklimakonferenz statt. Ergebnis ist eine Empfehlung von internationalen Zielen zur Minderung des CO2-Ausstoßes (um mehr als 50 Prozent bis zum Jahr 2050), eine Kennzeichnung für Produkte, welche die Atmosphäre verunreinigen, und eine umfassende Rahmenbedingung zum Schutz der Erdatmosphäre. Q Genf 1990: In der Schweiz findet im Oktober die zweite Weltklimakonferenz statt. Es kommt zu keiner Einigung über Ausmaß der CO2-Reduktion. Es wird der Beschluss gefasst, eine Klimakonvention zu erarbeiten, die 1992 auf der UN-Konferenz beschlossen werden soll. Q Rio de Janeiro 1992: Im Juni findet die UN-Konferenz „Umwelt und Entwicklung“ statt. Sie gilt als Meilenstein, der die Grundlage für weitere Abkommen schuf. Wesentliches Ergebnis: die Zielsetzung der Industrienationen, ihre Treibhausemissionen bis 2000 auf das Niveau von 1990 zu reduzieren. Im März 1994 tritt die Klimarahmenkonvention der UN in Kraft. Die Staaten, die sie ratifiziert haben, verpflichten sich zur Durchführung und Überprüfung der Abkommen. „Wir sitzen gemeinsam in der Klimafalle“ Nach den USA müsse man die Schwellenländer ins Klimaschutz-Boot holen – mit Zuckerbrot und Peitsche, sagt der deutsche Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber. Von Birgit Baumann der Standard: Sie haben der deutschen Kanzlerin Angela Merkel vor dem G8-Gipfel geraten, in der Klimafrage hart zu bleiben. Sind Sie mit dem erzielten Kompromiss zufrieden? Hans Joachim Schellnhuber: Maximalforderungen werden auf einem G8-Gipfel fast nie erfüllt und außerdem war die Ausgangssituation beim Thema Klima sehr, sehr schwierig. Die Amerikaner haben fast bis zuletzt gesagt, dass sie sich keinem quantitativen Ziel nähern. Insofern ist der Kompromiss wahrscheinlich das Maximale, was man herausholen konnte. lierung ist schon „strong wording“, wie die Amerikaner sagen. Sicher, man hätte auch die Formulierung festhalten können: „Wir verpflichten uns dazu.“ Aber die G8-Staaten können ohnehin keine völkerrechtlich verbindlichen Beschlüsse fassen. Dennoch scheint mir, dass ein irreversibler Prozess in Gang gekommen ist, und die USA sind mit an Bord! Man darf ja auch nicht vergessen: Alles, was die Bush-Regierung jetzt macht – darüber wird die nächste US-Regierung noch hinausgehen. Es gibt keine verbindliche Festschreibung im Schlussdokument. Schellnhuber: Nein, Fixes gibt es nicht. Aber „ernsthaft in Betracht ziehen“ – diese Formu- Was muss jetzt nach den Beschlüssen von Heiligendamm passieren? Schellnhuber: Jetzt, wo die Regierungschefs gesprochen haben, muss im Rahmen der Verein- 16. Juni 2007 ten Nationen, wo sich mehr als 200 souveräne Staaten zusammengeschlossen haben, eine völkerrechtlich verbindliche Nachfolgeregelung für das Kioto-Protokoll gefunden werden. Das ist eine ungeheure Menschheitsaufgabe, und die UN-Klimakonferenz in Bali wird der Lackmustest. Aber die Blockaden der Industrieländer haben wir in Heiligendamm schon aus dem Weg geräumt. Die USA sind ja nicht das einzige Sorgenkind. Wie soll man jetzt die Schwellenländer überzeugen? Schellnhuber: Hier werden wir richtig dicke Bretter bohren müssen, denn wir müssen Schwellenländer wie China, Indien, Brasilien, Mexiko und Südafrika langsam an den Klimaschutz heranführen. Sie sind größtenteils auf dem Standpunkt, die Industrieländer hätten das Problem erzeugt, also sollen sie es gefälligst auch alleine lösen. Allenfalls wollen sie Geldspenden als Ausgleich für die Klimaschäden entgegennehmen, aber das allein wird leider nicht mehr funktionieren. Gänzlich falsch ist der Hinweis auf die Industrieländer ja nicht. Schellnhuber: Er ist völlig richtig, da muss man sich nur ein paar Zahlen anschauen. In China gibt es zwei Autos pro tausend Einwohner, in den USA sind es 800. Aber dennoch haben wir am Institut ausgerechnet, was passieren würde, wenn alle Industrieländer über Nacht ihre Emissionen einstellen würden, dann gäbe es trotzdem in diesem Jahrhundert noch eine Erwärmung von drei Grad – wegen China und Indien. Das heißt: Wir sitzen alle gemeinsam in der Klimafalle und es nutzt überhaupt nichts, wenn wir mit dem Finger aufeinander zeigen. Wir – also Europa und die USA – haben die Welt in dieses Schla- LEXUS HYBRID DRIVE: VOLLE KRAFT MIT Q Berlin 1995: Im März veranstalten die Vertragsstaaten zur Klimarahmenkonvention ihren ersten Klimagipfel. Die CO2- Emissionen bis 2000 auf das Niveau von 1990 zu reduzieren wird nicht mehr als ausreichend angesehen. Im Anschluss an die Konferenz wurde eine Ad-hoc-Gruppe zum „Berliner Mandat“ eingerichtet, die Klimaziele hinsichtlich bestimmter Zeithorizonte verhandeln soll. Q Genf 1996: Auf der zweiten Konferenz der Vertragsstaaten wird eine Zwischen- bilanz über die Umsetzung des Berliner Mandats gezogen. 140 Vertragsstaaten kommen zu einer Ministerdeklaration. Q Kioto 1997: Insgesamt 160 Länder beschließen das Kioto-Protokoll. Das Dokument präzisiert die Zielvorgaben der UN-Klimarahmenkonvention von 1994 und ist bislang das einzige völkerrechtlich verbindliche Instrument in der internationalen Klimapolitik. Es besagt, dass Industriestaaten ihre TreibhausgasEmissionen zwischen 2008 und 2012 um durchschnittlich 5,2 Prozent gegenüber 1990 senken sollen. Der zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaveränderungen (IPCC) soll die Umsetzung überwachen. IS 250 11/2006 – GOLDENES LENKRAD DER „BILD AM SONNTAG“ FÜR PLATZ 1 IN DER MITTEL- UND OBERKLASSE GS 450h 01/2007 – PAUL PIETSCH-PREIS DER ZEITSCHRIFT „AUTO MOTOR UND SPORT“ FÜR TECHNIK UND DESIGN Q New York 2000: In den USA kommt es zur Verkündung der UN-„Millenniumsziele“: Neben der Halbierung der weltweiten Armut bis 2015 definiert das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) nachhaltiges Wachstum als ein weiteres Kernziel „partnerschaftlicher Nord-Süd-Beziehungen“. Q Marrakesch 2001: Nach dem Ausstieg der USA aus dem Kioto-Prozess einigen sich die übrigen Teilnehmer auf konkrete Maßnahmen zur Treibhausgas-Reduktion, darunter der Handel mit Emissionsrechten. Q Bonn 2004: In Deutschland findet auf Initiative des damaligen deutschen Kanzlers Gerhard Schröder der erste Weltgipfel für erneuerbare Energien statt. Q Montreal 2005: Das 11. Treffen der 189 Vertragsstaaten fand mit etwa 10.000 Teilnehmern statt. Infolge der Ratifikation durch Russland tritt am 16. Februar 2005 das Kioto-Protokoll in Kraft. Q Nairobi 2006: Die Vertragsstaaten der Klimarahmenkonvention setzen die Beratungen des Montrealer Weltklimagipfels fort. Zum ersten Mal werden Details eines Nachfolgeabkommens für das 2012 auslaufende Kioto-Protokoll erörtert. Außerdem soll ein spezieller KlimaFonds zur Unterstützung afrikanischer Länder eingerichtet werden. mia Q LEXUS HYBRID DRIVE: Mehr um Weniger. Was unvereinbar schien, findet in den LEXUS Hybridmodellen seine Vollendung. Das Wechselspiel von Benzin- und leistungsstarken Elektromotoren macht die Kombination aus Wirtschaftlichkeit, Schadstoffarmut und rasanter Beschleunigung sowie überzeugender Laufruhe möglich. Gönnen Sie sich diesen Luxus und vereinbaren Sie noch heute Ihre Probefahrt unter 01/610 04 610. Toyota Frey Austria Ges.m.b.H. LEXUS Division l www.lexus.at RX 400h: 7,6 s von 0 auf 100 km/h; 200 kW (272 PS); 8,1 l/100 km*; CO2-Emission 192 g/km. GS 450h: 5,9 s von 0 auf 100 km/h; 254 kW (345 PS); 7,9 l/100 km*; CO2-Emission 186 g/km. DOSSIER 16. Juni 2007 massel hineingeführt, aber alleine kommen wir nicht mehr heraus. Jetzt bedarf es einer äußerst delikaten Diplomatie. Umdenken erfordert: Auch den USA als Umweltsünder drohen in Zukunft vermehrt Überschwemmungen und Wirbelstürme (wie hier 2005 in Key West) Foto: AP ALBUM A 7 bis zwanzig Jahren 45 Grad sein. Es verlagert sich nicht nur die Schneegrenze nach oben, was für die Wasserversorgung kritisch werden könnte, sondern auch ganze Ökosysteme wandern massiv in höhere Breiten. Von Süden her kommend müssen wir uns auf eine Reihe von neuartigen Schädlingen einstellen. Wir erforschen ja auch den Weinbau. Möglicherweise wird man im Burgenland keinen Weißwein mehr anbauen können. Wie kann man jetzt die Schwellenländer ins Boot holen und ihnen klar machen, dass auch sie ihren Beitrag leisten müssen? Schellnhuber: Es gibt zwei Argumente – Zuckerbrot und Peitsche sozusagen. Man muss einerseits klar machen, dass Länder wie China und Indien auch massiv von den negativen Folgen des Klimawandels betroffen sind und einen Großteil ihres wirtschaftlichen Wachstums wieder verlieren, wenn die globale Erwärmung nicht gestoppt wird. China zum Beispiel ist stärker tropischen Wirbelstürmen ausgesetzt als die Karibik. Und wenn der Meeresspiegel steigt, kann Österreich damit leben, China und Indien aber nicht. Andererseits kopieren diese Länder ja einfach unser so genanntes schmutziges Wirtschaftswachstum, das wir seit 1750 mit Kohle, Öl und Gas vorgelebt haben. Das bedeutet, dass wir ein hoch attraktives Modell des kohlenstofffreien Wirtschaftens entwickeln müssen, das so überzeugend ist, dass Länder wie China in spätestens zehn Jahren bereit sind, dies nachzumachen. Man muss hoffen, dass sich diese Einsicht in den Eliten der Länder durchsetzt. Da sind auch wir Wissenschafter gefragt. Wir müssen dem politischen Dialog vorauseilen und eine Vorreiter-Rolle übernehmen. Welches sind die wichtigsten Maßnahmen beim Klimaschutz? Schellnhuber: Man kann bei der Wärmedämmung und Altbausanierung 50 bis 60 Prozent CO2 und Energie einsparen und sollte natürlich darauf achten, dass man keine Lebensmittel wählt, die zuvor schon zweimal um die Welt gereist sind. Mitte des Jahrhunderts wird man wahrscheinlich komplett auf erneuerbare Energien umsteigen müssen, wobei Solarund Windenergie eine große Rolle spielen werden. Aber bis dahin bleibt eine Lücke. Also sollten wir ab 2020 die Technik der Kohlenstoff-Speicherung beherrschen, also CO2 auffangen und unter Tage verbrennen können. Jeder dieser Schritte muss funktionieren, sonst sitzen wir wirklich in der Patsche. Das Hinterhältige am Klimawandel ist ja, dass er so langsam erfolgt, aber dennoch irreversibel ist. Schleichende Veränderungen sind immer beQ sonders heimtückisch. Auf welche Veränderungen müssen wir uns in Mitteleuropa einstellen? Schellnhuber: Selbst bei einer globalen ZweiGrad-Erwärmung gegenüber vorindustriellem Niveau bedeutet dies für das Innere eines Kontinents wie Europa drei, vier, sogar fünf Grad regionale Erwärmung. Wenn es also in Wien im Jahr 2003 mal 31 Grad hatte, können es in zehn Hans Joachim Schellnhuber (57) leitet seit 1993 das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und ist Leiter des Tnydall Centre für Climate Change Research in Großbritannien. Er gilt als einer der führenden Klimaforscher weltweit und berät auch die deutsche Regierung. GUTEM GEWISSEN Nächstes Ziel Bali G8-Staaten legen keine konkreten Ziele zur CO2-Reduzierung fest. ie sehr und wie ernsthaft will man etwas, wenn man es nicht mit aller Entschiedenheit anstrebt, sondern nur „in Betracht zieht“? Darüber diskutieren Klimaexperten, seit die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in der Vorwoche die USA am G8-Gipfel im Ostseebad Heiligendamm dazu brachte, einem Klima-Kompromiss zuzustimmen. Gastgeberin Merkel war mit dem Wunsch nach Heiligendamm gekommen, konkrete Ziele zur Reduzierung des CO2Ausstoßes festzulegen. Schließlich hatte sie als EU-Ratspräsidentin im Frühjahr beim Gipfel in Brüssel die anderen 26 EUStaaten dazu verpflichtet, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2020 um mindestens 20 Prozent zu reduzieren. Doch eine Ebene höher (und mit Blick in die noch weitere Zukunft) hatte Merkel erheblich mehr Mühen. Im Schlussdokument von Heiligendamm ist festgehalten, dass die EU, Kanada, Japan und die USA „ernsthaft in Betracht ziehen“, die CO2-Emissionen bis 2050 mindestens zu halbieren, konkrete Ziele wurden – wegen Bremser George Bush – jedoch nicht festgehalten. Unter dem Titel „Wachstum und Verantwortung in der Weltwirtschaft“ gab es noch weitere Beschlüsse: Die führenden Industrienationen bekennen sich zur Weiterentwicklung der internationalen Klimapolitik unter dem Dach der Vereinten Nationen. Hier konnte sich Merkel durchsetzen, denn die USA haben bis Heiligendamm das geltende Weltklimaabkommen von Kioto (und damit auch die UN als Ort für die zentralen Vereinbarungen) nicht anerkannt. Nun aber soll bis Ende 2009 ein „globales Abkommen“ unter UN-Verantwortung ausgearbeitet werden, das nach Auslaufen des Kioto-Protokolls 2012 in Kraft tritt. Die Verhandlungen dafür sollen im Dezember bei der geplanten UNKlimakonferenz in Bali beginnen. Das Mandat für die Gespräche haben die Umweltminister der G8-Staaten bekommen. Welchen Beitrag die G8-Staaten selbst leisten, soll bis Ende 2008 geklärt sein. bau Q W LS 460 03/2007 – AUTO 1 INNOVATIONSPREIS FÜR DAS „ADVANCED PRE-CRASH SAFETY SYSTEM“ ALS BESTE TECHNISCHE NEUENTWICKLUNG JETZT PROBE FAHREN: LEXUS SERVICE-LINE 01/610 04 610