Aufgeheiztes Klima

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Samstag, 16. Juni 2007
DER STANDARD
ALBUM
DOSSIER KLIMAWANDEL IN ÖSTERREICH: Seit den 90er-Jahren ist das
durch Umwelteinflüsse veränderte Klima zum zentralen Thema für
Gesellschaft, Poltitik und Wirtschaft geworden. Die Gratwanderung
zwischen Hysterie und ernsthaften Prognosen ist nicht einfach.
Aufgeheiztes
Klima
or 15 Jahren, als der Klimawandel noch nicht in aller Munde war, als die Temperaturanstiege bloß als eine Marotte der
Natur verstanden wurden, erschien im Standard die erste
Klimaserie Österreichs. Jürgen Langenbach bereiste die wichtigsten Naturgegenden des Landes und beschrieb Klimaveränderungen sowie die Situation von Tieren und Pflanzen.
Inzwischen hat sich Dramatisches ereignet. In den Alpen, wo
der Temperaturzuwachs besonders stark ist, hat nicht nur die
Gletscherschmelze Alarm ausgelöst, sondern auch der inzwischen zur Gewissheit gewordene Rückgang der Schneegrenzen.
Und im Flachland, wo früher einmal Sommertemperaturen von
32 oder 33 Grad eine Seltenheit waren, gibt es heute zehn bis
14 Tage mit 35 bis 38 Grad. Ununterbrochen.
V
Foto: Marijana Miljković
Im Jahr 1992 haben wir auch eine 32 Seiten starke Beilage über
den drohenden Wassermangel publiziert. Das war damals eine
Kooperation von zwei Dutzend Tageszeitungen – vom Guardian
bis zu Ha’aretz, von El Pais bis Al Ahram. Die Konsequenzen für
neue Völkerwanderungen und die Gefahr von Kriegen um das
Wasser waren damals ebenso ein Thema wie die Problematik einer Privatisierung der Wasserwirtschaft, weil viele Staaten den
Bürgern keine Grundversorgung mehr bieten hätten können.
Diesmal hat Marijana Miljković die verschiedenen Regionen erwandert, hat Interviews mit Experten geführt und zu bilanzieren versucht. Wir starten heute mit einem ersten umfangreichen
Teil dieser neuen Klimaserie, die sich über vierzehn Tage erstrecken wird. Was wird sich in den nächsten Jahren verändern?
Worauf müssen wir uns einstellen?
Liebe Leserinnen und Leser: Senden Sie uns Ihre Beobachtungen, geschrieben oder fotografiert. Die einprägsamsten werden
wir veröffentlichen.
Gerfried Sperl, Chefredakteur
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A 2
DOSSIER
ALBUM
Selbst die großen Klimaskeptiker innerhalb der
akademischen Welt haben
mittlerweile die laufende
Erderwärmung als Faktum
anerkannt.
Überschwemmungen, wie
hier an der March im
vergangenen Frühjahr oder
schneearme Pisten, wie bei
der letzten HahnenkammAbfahrt sind die Folgen.
Dossier-Autoren:
Andreas Feiertag kam
1994 zum Standard
und war lange Wissenschaftsredakteur.
Feiertag lebt seit 2007
als Autor in Vorarlberg.
Marijana Miljković hat
Journalismus in Graz
studiert und arbeitet
seit 2005 als freie
Mitarbeiterin beim
Standard.
Andrea Dee lebt als
Journalistin in Niederösterreich und
schreibt seit vielen
Jahren für den
Standard über Tierschutzthemen.
Irene Brickner studier-
Fotos: M. Cremer, A. Urban, privat (3)
Entscheidende zwei Grad Celsius
Klimaerwärmung kann man nicht verhindern, fatale Folgen schon
ach den Alpen ist nun auch Grönland eisfrei, der Meeresspiegel um sieben Meter angestiegen. Millionen Menschen der ehedem fruchtbaren Küstenregionen flüchten aus
ihrer überschwemmten und versalzten Heimat.
Millionen weitere, primär aus Afrika, verlassen
wegen Wassermangels ihre verwüsteten Länder. In Österreich wird in den permanenten
Überschwemmungsgebieten entlang Donau,
Inn, Rhein, Mur, Mürz, Enns und Kamp inzwischen Reis angebaut. In den bis zuletzt verbliebenen vier Skiorten für reiche Alpinisten
am Arlberg und in den Tauern ist der klassische Wintertourismus Geschichte, da die weitere Verwendung von Wasser für die nötigen
Beschneiungsanlagen verboten wurde.
Wie? Dieses Zukunftsszenario für das Jahr
2100 ist zu pessimistisch für einen guten Einstieg? Einverstanden, dann eben ein anderes!
Weder in den Alpen noch auf Grönland sind
die Eisschilde weggeschmolzen, die Höhe des
Meeresspiegels liegt in der statistischen Norm.
Dürreperioden und Überschwemmungen haben an Zahl nur geringfügig zugenommen, die
noch vor einem knappen Jahrhundert prognostizierten Flüchtlingsströme bleiben aus. Die
Landwirtschaft in Österreich blüht, die zahlreichen Wintersportorte freuen sich erneut
über ein Plus an Nächtigungszahlen.
Klingt gleich besser, oder? Das Problem dabei ist, dass laut heutigen Klimamodellen entweder die eine oder aber die andere Vision dereinst Realität werden wird. Und darüber entscheiden lächerlich erscheinende zwei Grad
Celsius. Zumindest aller Wahrscheinlichkeit
nach, denn die Vorhersage des Klimas für die
kommenden hundert Jahre ist noch ein wenig
schwieriger als die Prognose des Wetters für die
nächste Woche – und selbst die lässt es an Treffsicherheit mitunter mangeln.
Worauf sich also einstellen? „Keine Ahnung“, bedauert Mojib Latif, einer der weltweit
renommiertesten Klimaforscher vom LeibnizInstitut für Meereswissenschaften in Kiel, „wir
fahren gerade in einen dunklen Tunnel hinein
und wissen nicht, wo wir herauskommen.“ Der
größte Unsicherheitsfaktor aller Klimamodelle
für die Zukunft sei die Variable Mensch: „Es
hängt fast alles davon ab, wie sich jeder Einzelne und wie sich die Politik in Zukunft verhalten werden. Aber wer soll das heute wissen?“
Fest steht derzeit lediglich, dass dem Polarbären künftig die Sonne noch heißer auf den
Pelz brennen, das Eis noch schneller unter seinen Tatzen dahinschmelzen wird. Selbst die
größten Klimaskeptiker innerhalb der akademischen Welt haben mittlerweile die laufende
Erderwärmung als Faktum anerkannt.
Dabei ist die Tatsache, dass das Klima einem
Wandel unterworfen ist, weder überraschend
noch ungewöhnlich. Das Klima ist und war nie
statisch, in der Erdgeschichte folgte auf Warmphase immer Kaltphase, darauf wieder Warmphase. Und das wird auch so weiter gehen.
N
Fotos: AP, dpa
te Soziologie, bevor sie
im Jahr 2000 zum
Standard kam. Sie
gewann 2004 den
Klimaschutzpreis (Hagelversicherungen).
Birgit Baumann war
bis 1999 Innenpolitikredakteurin der OÖN.
Sie lebt seit 2000 in
Berlin und ist seit
2005 Korrespondentin
des Standard.
16. Juni 2007
Die Auswirkungen dieses permanenten Klimawandels waren und sind immer dieselben:
Die Natur reagiert darauf mit Verschiebungen
und Anpassungen in Fauna und Flora. Der zunehmend ins Schwitzen geratende Eisbär, bestätigen Zoologen, sei ein recht anpassungsfähiges Tierchen. Das beweise schon das niedliche Beispiel Knut, der fernab jeglicher Eiseskälte in einem deutschen Tierpark den Besuchern arktischen Lifestyle näher bringt statt in
der Berliner Großstadthitze zu verenden. Und
selbst jene Nischen, die infolge des klimatischen Wandels ausgestorbene Spezies hinterlassen, werden flugs mit neuen Arten aufgefüllt. Evolution kennt keine Moral, gleicht aus.
Die vielerorts beschworene Apokalypse kann
abgesagt werden. Oder doch nicht?
Was Klimaforscher wie Mojib Latif beunruhigt, ist die neue Qualität der derzeitigen Erwärmungsphase: „Die Temperaturen sind noch
nie so schnell gestiegen wie in den vergangenen gut hundert Jahren, also seit der Industrialisierung.“ Womit der Mensch zwar nicht
als Brandstifter, menschliches Handeln und
Wirtschaften jedoch, insbesondere die Verbrennung fossiler Energieträger, als Brandbeschleuniger identifiziert wären.
ies führt zur entscheidenden Frage, ob die
natürliche Anpassungsfähigkeit von Tieren und Pflanzen einem derart beschleunigten Tempo standhalten kann. Denn auch die
Evolution braucht ihre Zeit, um Fauna und Flora genetische Klimaanlagen einzuverleiben.
„Die Auswirkungen der rasanten Erwärmung
jedenfalls“, bestätigt Latif, „sind zwar schwach,
aber dennoch bereits heute sichtbar.“
Etliche Fischarten in den Meeren hätten ihren Lebensraum bereits weiter nach Norden
verlegt. Ähnliches sehe man auch bei Insekten
und Pflanzen etwa im alpinen Raum, wo einige Spezies in immer wärmer werdende Höhen
vordrängen – schmelzende Gletscherzungen
machen ihnen schon Platz. In Österreich und
angrenzenden Ländern, erklärt der Klimaforscher, habe sich die Vegetationsperiode bereits
um etwa zwei Wochen verlängert.
Bleibt noch der Mensch. „Aussterben werden wir schon nicht“, beruhigt Latif. Dennoch
könne die Wissenschaft auch diesbezüglich
keine verlässliche Prognosen abgeben. Denn es
fehlten Vergleiche: In allen Warmphasen der
vergangenen Million Jahre, also seit die Entwicklung des Menschen begann, „erreichte die
Durchschnittstemperatur maximal 16 Grad
Celsius“. Heute lägen wir bereits bei 20. Und
es wird noch wärmer. „Wie der Mensch damit
umgehen wird, bleibt abzuwarten.“
Wie jedoch die Weltpolitik heute mit dem
Problem umgeht, ist für den vielfach ausgezeichneten Klimawissenschafter frustrierend,
der vor gut einer Woche beim G8-Gipfel im
deutschen Heiligendamm geschlossene Klimaschutzkompromiss ist für Latif „ein fauler“.
D
Von Andreas Feiertag
Weil jegliche Verbindlichkeit fehlt. „Was soll
das denn heißen, dass man es ernsthaft in Betracht ziehen wolle, etwas dagegen zu unternehmen, dass der Temperaturanstieg bis zum
Jahr 2100 die zwei Grad Celsius überschreitet?“
Und was bedeuten eigentlich diese zwei Grad?
elinge es, den Ausstoß des Treibhausgases
CO2 bis zum Jahr 2050 um 50 Prozent, bis
2100 um 80 Prozent gegenüber heute zu reduzieren, würde der Temperaturanstieg seit
Beginn des 19. Jahrhunderts etwa zwei Grad betragen. „Dies wäre eine relativ gemütliche Klimaerwärmung“, verdeutlicht Latif.
Dabei dürfe man nicht vergessen, dass die
Temperatur bis heute schon um 0,6 Grad gestiegen sei. Und dass – auch wenn ab heute gar
kein Klimagas mehr in die Atmosphäre geblasen würde – ein Anstieg auf etwa 1,5 Grad noch
komme. Wegen bisher begangener Klimasünden. Das System sei nämlich sehr träge.
Mache man jedoch so weiter wie bisher, würde der Temperaturanstieg bis 2100 fatale vier
Grad betragen, Grönland eisfrei werden und
der Meeresspiegel um sieben Meter steigen.
„Weil man sich beim G8-Gipfel auf nichts Verbindliches geeinigt hat, bleibt das vertretbare
Maximum von zwei Grad ungewiss.“ Haben die
apokalyptischen Reiter doch schon gesattelt?
„Nein, so schlimm ist es nicht“, sagt Latif.
„Und wir haben auch noch etwas Zeit.“ Medienberichte, wonach im kommenden Jahrzehnt der „point of no return“ erreicht werde,
wenn bis dahin nichts gemacht wird, „sind Panikmache und Hysterie“. Auch wenn Maßnahmen erst 2020 oder 2030 griffen, könnten fatale Folgen noch abgewehrt werden. Wichtig sei
eine 80-prozentige Reduktion bis 2100. Und da
US-Präsident Bush nicht mehr ins Amt gewählt
werden darf, stünden die Chancen dafür so gut
wie nie. „Die USA werden nun bald Klimaschutzmaßnahmen treffen und damit andere
endlich mitreißen. Etwa China und die EU.“ Q
G
Klimawandel in Österreich
Die neue mehrteilige Standard-Serie
zum Thema „Klimawandel in Österreich“
erscheint zu folgenden weiteren
Terminen im Juni:
2. Teil am 18. Juni: Wien und Umgebung
3. Teil am 19. Juni: Stockerauer Au
4. Teil am 20. Juni: Steirische Weinstraße
5. Teil am 21. Juni: Hohe Tauern
(Großglockner)
6. Teil am 22 Juni: Ötscher-Gebiet
7. Teil am 23./24. Juni: Böhmerwald
8. Teil am 25. Juni: Tirol
9. Teil am 26. Juni: Rheindelta
red Q
IMPRESSUM: Redaktion: Bettina Stimeder (Leitung), Stefan Gmünder, Mia Eidlhuber. Ständige Mitarbeiter: Wojciech Czaja. Sekretariat: Christa Fuchs, Renée Cuhaj.
Layout: Armin Karner, Petra Strasser. E-Mail: [email protected]
DOSSIER
16. Juni 2007
ALBUM
A 3
Stelzenläufer im Schilfgürtel:
„In diesem Jahr ist der
Wasserstand gut“, sagt
Richard Haider von der
Biologischen Station am
Neusiedler See.
Für das System und das
Zusammenspiel zwischen
Flora und Fauna ist der
fluktuierende Wasserspiegel
des Steppensees optimal.
Foto: Marijana Miljković
Regen für den See
Der Klimawandel stört das Leben am Neusiedler See und lässt Salzlacken verschwinden
as Schönste am Neusiedler See ist zu beobachten, wie sich Schilf wird nur in den Wintermonaten gemäht, und das auch
das trübe, graue Wasser des Sees mit dem braunen und teil- nur in der Bewahrungszone“, weiß auch Richard Haider von der
weise klaren Wasser aus dem Schilfgürtel vermischt. Die Er- Biologischen Station. Die Schutzzone soll bleiben wie sie ist,
klärung dafür ist denkbar einfach, zumindest für Alois Herzig, lautet die Vorschrift im Nationalpark Neusiedler See Seewinden Leiter der Biologischen Station Neusiedler See in Illmitz. kel. Das Gleiche gilt auch für die Wiesen, die, so sie nicht geDie braune Farbe kommt von den Huminstoffen der Pflanzen. mäht werden, von den Tieren, etwa den Rindern des NationalDadurch, dass der See so seicht ist und das Sediment durch den parks, beweidet werden. Das ist zum Beispiel in Sandeck so, wo
Wind aufgewirbelt wird, erfolgt auch die Durchmischung kon- sich auch die weißen Esel finden. Wenn die Vegetation nicht so
tinuierlich. Und so entsteht die graue Farbe.
hoch ist, sieht man auch Rehe über die Wiesen eilen, ansons„Es ist für viele Menschen unvorstellbar, wie so eine trübe ten ist der Hochstand, der früher von den Ungarn als Wachturm
Suppe die höchste Wasserqualität haben kann.“ Das liege an der benützt wurde, dabei behilflich, vieles im Auge zu behalten.
hohen Selbstreinigungskapazität, die durch den filternden Der Regelwasserstand des Neusiedler Sees ist niedrig: 115,70
Schilfgürtel und das ständige Aufwirbeln des Wassers erfolgt, Meter über der Adria ist der höchste Punkt, den er erreicht. Bei
erklärt der Wissenschafter. Bevor die Kläranlagen in den um- 116 Metern rinnt der See aus, und die Schleusen werden geliegenden Ortschaften funktioniert haben, hat man wegen der öffnet, damit das Gebiet nicht überflutet wird. Wenn es nach
Trübe nicht gesehen, dass „da schon längst die Alarmglocken Alois Herzig ginge, so könnte man den Stand ruhig anheben.
läuten“. Doch das war in den 1970er-Jahren, und mittlerweile
ast alle Fische laichen im Schilfgürtel, und je voller das Beist das mit dem Abwasser geklärt. Der Neusiedler See ist mesocken ist, desto besser sind die Zugangsmöglichkeiten und
troph, ist also in einem mittleren Trophiezustand, „aber rein
desto besser ist auch der Reproduktionsprozess, erklärt Exbakteriell hat er einwandfreies Wasser“, sagt Herzig.
Richard Haider steuert das Kajütboot der Biologischen Stati- perte Herzig weiter. Wenn der Wasserstand im Sommer absinkt,
on mit mäßiger Geschwindigkeit durch den Verbindungskanal werden einige Fische in den Arealen eingesperrt, und das wird
von der Station zum See und verlangsamt dort die Geschwin- zum „Eldorado für die Reiher“. Gäbe es einen konstanten Wasdigkeit. „Montags ist Seetour angesagt“, sagt der Mitarbeiter der serspiegel, würde das System nicht funktionieren. Je höher die
Station, die von der Burgenländischen Landesregierung betrie- Temperatur, desto höher die Nahrungsaufnahme. Manche Arben wird. Die Landesregierung denkt auch daran, dem See ten schaffen es, im Frühjahr schneller da zu sein und sich
künstlich Wasser zuzuführen, um dessen Austrocknung wegen schneller zu entwickeln. Manche Arten aber werden durch die
höheren Temperaturen geschädigt, weil sie
des kontinuierlich sinkenden Wasserstandes
sich nicht angepasst haben. „Eine genaue Progzu verhindern. Den nämlich misst Haider auf
nose lässt sich nicht erstellen“, sagt Herzig.
seinen Touren und entnimmt Proben an verDazu müsste man die Arten einzeln betrachten.
schiedenen Punkten des Sees. Mit dem Blick
Ein Problem wurde bereits in England beobauf einen Stelzenläufer, der im Schilfgürtel waachtet, weiß der Ornithologe Hans Winkler vom
tet, sagt er zufrieden: „Heuer ist der WasserWiener Konrad-Lorenz-Institut für Vergleistand gut.“
chende Verhaltensforschung. Bei einigen VöSeit 40 Jahren gibt es zu den verschiedenen
geln passt das Timing mit der Entwicklung der
Aspekten des Sees zuverlässige Daten, aufVegetation und somit der Nahrung nicht mehr
grund derer man Aussagen treffen und einen
zusammen, was möglicherweise größere KonTrend, was den Klimawandel betrifft, feststelkurrenz auslöst. Doch auch das könne man nur
len kann. Und der gehe eindeutig in Richtung
Temperaturzunahme des Wassers, weiß Alois
Teil 1 vermuten, jedoch noch nicht beweisen.
in Österreich
Auf dem Weg von der Station nach Sandeck
Herzig: „Das wird Ihnen jeder Einheimische sagen, aber es ist auch messbar und statistisch abgesichert.“ März ist der Weg, wie der Name sagt, sandig. Die aufgelassenen Weinund Mai seien die zwei Monate, in denen es extrem wärmer ge- gärten mit den verdörrten Stöcken tragen dazu bei, dass das Bild
worden sei. Extrem heiß bedeutet, die Temperatur liegt 1,5 bis einer Wüste entsteht. Das jedoch hat nichts mit der Wasserzwei Grad über der normalen Temperatur. Was für Alois Her- knappheit in dem Gebiet zu tun, „das von Haus aus eine prezig überraschend ist, sind die Daten zum heurigen Winter: „Es käre Situation mit dem Niederschlag hat“, sagt Bernhard Kohwar kein Trend ablesbar.“ Alle drei, vier Winter haben die Neu- ler vom WWF. Nach dem Weinskandal sei der Weinbau rücksiedler Seebewohner einen relativ warmen Winter. Auch in die- läufig, erklärt der Ornithologe, der seit mehr als 20 Jahren im
sem Jahr ist der See nicht zugefroren, und es gab erstmals Tem- Seewinkelhof bei der Langen Lacke, östlich vom Neusiedler See,
peraturen von fünf, sechs Grad in den Wintermonaten. „Aber arbeitet. Dort wurde der WWF Österreich auch gegründet, jedas reicht nicht, um zu sagen: ‚Halt! Das ist es!.‘ Wenn ich die doch war nicht der Klimawandel ausschlaggebend, sondern die
vergangenen 30 Jahre nehme, dann ist das der erste Ausreißer.“ Sorge um die Hutweide- und Steppenflächen, die in Acker- und
Was Herzig mehr zu schaffen macht, ist das „Halbwüstenklima“ Weinbauflächen umgewandelt wurden. „Im Gebiet Seewinkel
im Seegebiet, das sich mit 380 Millimetern Regen in den ver- und Neusiedler See wurden massive Eingriffe in den Wassergangenen fünf Jahren bemerkbar machte. Die Regendatenprog- haushalt vorgenommen, um Landflächen zu gewinnen“, sagt
nose ist ein großer Schwachpunkt, weil die Niederschlagsmen- Kohler. Steppengewässer seien anfällig für Klimaschwankungen an unterschiedlichen Punkten des Neusiedler Sees sehr gen, und wenn sich auf der Niederschlagsseite etwas ändere,
schwanken. „Der Neusiedler See wird zu 80 Prozent vom Re- dann werde es problematisch. Denn einerseits steigt mit der Ergen gespeist. Wenn wir weniger Regen haben, sinkt der Pegel wärmung die Verdunstung, und andererseits werde noch imautomatisch, weil 80 Prozent wieder verdunsten, und viele Zu- mer Wasser für die Landwirtschaft abgeleitet. Doch Grundwasflüsse gibt es nicht. Wenn wir keinen Regen haben, dann haben ser „ist überlebenswichtig für die Salzlacken“.
Eine Hilfe wäre, die Entwässerungskanäle zu schließen. Mitwir Pech.“ Genau wie 1865, als der See zuletzt ausgetrocknet
tels eines Modells müsste man sich anschauen, welche Gebiewar.
Für das System und das Zusammenspiel zwischen Flora und te von einem Hochwasser und welche bei geschlossenen KanäFauna ist der fluktuierende Wasserspiegel optimal. Im Winter len betroffen wären. „Das wäre ein Programm für Jahrzehnte“,
erfolgt die Befüllung, und es findet keine Verdunstung statt. „Im sagt Kohler, „aber so viel Zeit haben wir nicht.“ Die Salzlacken
Idealfall ist der gesamte Schilfgürtel mit Wasser bedeckt, also verschwinden von der Landkarte. In den vergangenen 20 Jah320 Quadratkilometer sind Wasser“, skizziert Herzig. „Das ren sind bereits zehn Lacken verschwunden. „Die Lange Lacke
D
F
Von Marijana Miljković
gibt es seit 20.000 Jahren“, gibt Kohler zu bedenken. Doch unter dem Lackensterben leiden nicht nur die Kartografen, sondern auch Salzspezialisten wie Säbelschnäbler, Seeregenpfeifer, die Salzkresse oder das Kampfergras. Das sind Arten, die an
der Meeresküste und in asiatischen Steppen- und Halbwüstengebieten beheimatet sind, und eben auch in Österreich. Kurioserweise brauchen die Halbwüsten einen hohen Grundwasserspiegel, denn der Salzboden braucht einen nach oben gerichteten Grundwasserstrom, damit das Salz an die Oberfläche gebracht wird und das Wasser verdunstet. Für die Pflanzen ist das
Lackensterben dramatisch, weil dadurch auch sie sterben. Bei
den Vögeln könnte man annehmen, dass sie einfach davonfliegen. Kohler winkt ab: Der Säbelschnäbler zum Beispiel kommt
in der näheren Umgebung erst wieder in Zentralungarn vor. Und
dort ist das Gebiet schon besetzt, die derzeit 200 österreichischen Brutpaare könnten also nicht ausweichen. Grundsätzlich würde es dem Gebiet aber nichts ausmachen, wenn es
durch die Klimaänderung wärmer würde und die Extremwetterereignisse, wie lange Tockenperioden und Starkniederschläge, eintreten, meint Kohler: „Solange das Wasser zurückgehalQ
ten und nicht abgeleitet wird, könnte es funktionieren.“
Wissenschaftliche Enquete
AUS PRINZIP
NACHHALTIG
KLIMAWANDEL
Wird alles gut, wenn heute
alle an morgen denken?
Oder profitieren wieder nur
die neoliberalen Eliten?
Am Podium
Dr. Susan George, ATTAC Frankreich
Dr. Erwin Buchinger, BM für Soziales
und KonsumentInnenschutz
Prof. Dr. Eckart Hildebrandt,
Wissenschaftszentrum Berlin
Univ.-Prof. Helga Weisz, Klagenfurt
Univ.-Doz.Beate Littig, IHS Wien
Prof.FH Tom Schmid, Sozialökonomische
Forschungsstelle Wien
Univ.-Prof. Nikolaus Dimmel, Salzburg
Univ.-Prof. Karl Aiginger, WIFO Wien
Das Dialogforum für WissenschafterInnen,
ArbeitnehmerInnenvertretungen und
Partnerorganisationen wie ATTAC,
WIFO und BAWAG.
Mittwoch, 27. Juni 2007,
8.30 bis 20.00 Uhr,
Schloss Reichenau
Schlossplatz 9, 2651 Reichenau / Rax,
Niederösterreich
Information und Anmeldung
unter www.dialog-forum.eu
Die Teilnahme ist kostenlos.
Für Kinderbetreuung ist gesorgt.
A 4
DOSSIER
ALBUM
16. Juni 2007
„Sehr deutliche Trends“
Von Marijana Miljković
Foto: Ilse Hoffmann
Die Vogelwelt ändert sich, sagt Experte Hans Winkler
Tief im
Osten:
Frühjahrsidylle im
Burgenland,
wenn die
Zugvögel
an den
Neusiedler
See zurückkehren.
Foto: APA
der Standard: Herr Professor Winkler, Ihr Forschungsbereich am Neusiedler See sind Vögel.
Was haben Sie bereits alles untersucht?
Hans Winkler: Wir haben vor drei Jahren ein Forschungsprojekt begonnen, um die Auswirkungen des Klimawandels auf die österreichische
Vogelwelt zu untersuchen. Wir starten in diesem Jahr das Nachfolgeprojekt, in dem wir die
einzelnen Punkte noch einmal vertiefen.
Was waren die Ergebnisse der ersten Studie?
Winkler: Der Schwerpunkt der Erstanalysen
war, herauszufinden, ob sich im zeitlichen
Auftreten etwas geändert hat. Es gibt mehrere
Aspekte: den der Ankunft der Vögel im Frühjahr, der Abreise im Herbst und des Brutbeginns sowohl bei den Ziehern als auch bei den
Standvögeln, also den Einheimischen. Wir haben versucht, alle vorhandenen Informationen
zu sammeln – welche Arten wohin ziehen und
wo es Unterschiede gibt. Eine Annahme war,
dass Österreich aufgrund seiner West-OstAusdehnung sehr heterogen sein müsste und
nicht gleichmäßig vom Klimawandel betroffen
ist. Es hat sich auch herausgestellt, dass es im
Osten anders zugeht als im Westen.
Warum ist das so?
Winkler: Einerseits, weil sich das Klima unterschiedlich entwickelt, und andererseits, weil
von vornherein andere Arten vorkommen, sie
andere Zugwege haben und daher unterschiedlich betroffen sind. Der Klimawandel beinhaltet nicht nur die Temperatur, es sind viel
mehr Dinge. Gerade Langstreckenzieher – Vögel, die südlich der Sahara überwintern, wie
Rauchschwalben, Rohrsänger – werden durch
die Wetterlagen unterschiedlich beeinflusst.
Die Mauersegler, die gerade angekommen sind,
ziehen zum Beispiel entlang der Atlantikküste,
die werden vom großen Wettersystem im Nordatlantik und zum Teil vom tropischen Atlantik
beeinflusst, die wiederum lose an das ElNiño-System gekoppelt sind. Die Neuntöter
sind eher beeinflusst vom Indischen Ozean
und Wetterereignissen in Eritrea und Äthiopien. Das hängt auch von der Brutbiologie der
Einzelnen ab.
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Klimadebatte – wissen ist besser
als glauben!
Austrian Research Centers liefern die fachlich saubere
Grundlage für die europaweite Klimadiskussion
Wien, Seibersdorf (ARC Science
News): Die Ursachen von Umweltproblemen sind vernetzt, die
Auswirkungen für den Menschen
nicht unmittelbar spürbar. Österreichische ForscherInnen liefern
den wesentlichen Beitrag, um
Umweltdiskussionen nicht zur
Glaubensfrage abgleiten zu lassen.
Die Austrian Research Centers
haben mit UWEDAT ein umfassendes Umweltmonitoring-System entwickelt, das als „best practice“ international Anwendung
findet. Die Vision der ExpertInnen ist es aber, Umweltdaten in
Zukunft europaweit zu vernetzen.
Für effizienten Klimaschutz zum
Beispiel ist das eine unbedingte
Voraussetzung. Die EU fördert
die ambitionierten Ziele der
ÖsterreicherInnen mit dem Forschungsprojekt SANY.****
Umweltforschung made in
Austria stark nachgefragt
Während die öffentliche Diskussion von Umweltthemen allzu
oft von persönlichen Überzeugungen oder kurzfristigen Interessen
beeinflusst ist, arbeiten die österreichischen ForscherInnen an
immer exakteren Datensystemen,
die verlässliche Antworten liefern.
„Umweltmonitoring ist zu einem
besonders erfolgreichen Standbein
der Austrian Research Centers geworden. Im Prinzip geht es dabei
immer darum, verschiedenste
Umweltdaten zu messen, zu bündeln und zu sinnvollen und leicht
verständlichen Daten zu verrechnen. Das Anwendungsgebiet von
UWEDAT ist breit gestreut und
reicht von Hochwasserprognosen,
über Luftgütemessungen bis zur
Erfassung von Strahlenbelastungen.“, sagt Hubert Hahn, Leiter
der Business Unit Umweltinformationssysteme. Bei komplexen
Aufgabenstellungen sind die öster-
Und wie reagieren die Vögel?
Winkler: Manche Arten reagieren mit verfrühter Brut, andere wieder mit verspäteter, die einen mit früherem Abzug, die anderen mit späterem. Es gibt kein einheitliches Bild, und das
zeigen auch internationale Studien. Wir können nicht alles über einen Kamm scheren und
sagen, dass die Zugvögel alle später und alle
früher kommen, das ist von Region zu Region
verschieden. Bei der Rauchschwalbe zeigt sich
zum Beispiel, dass es Regionen in Österreich
gibt, wo sie früher ankommt, und Regionen, wo
sie später ankommt. Das hat unter anderem mit
den Windbedingungen zu tun, die für den Ziehanflug verantwortlich sind.
Eine deutsche Studie besagt, dass sich Klimawandel folgendermaßen auswirkt: Arten, die es
kälter mögen, ziehen in den Norden, und Arten,
die Wärme lieben, ziehen zu, beziehungsweise
bleiben und vermehren sich besser.
Winkler: Bei Vogeldaten zeigt sich der Klimawandel am besten nach 1982. Da beginnen die
Trends sehr deutlich zu werden. Ich kenne im
Moment keine nördlichen Arten, die sich zurückgezogen hätten. In Norditalien zum Beispiel
siedeln sich in der Bucht von Venedig in Richtung Triest Arten an, die wir nur vom Wattenmeer, aus dem Norden, kennen. Der Grund ist
nicht, dass es dort kälter geworden ist, sondern,
dass dort Naturschutzmaßnahmen gegriffen haben. Ich kann mir vorstellen, dass das auch in
anderen Bereichen passiert. Wir haben verschiedene Trends. Auszumachen, welcher
Trend auf den Klimawandel und welcher auf globale Änderungen zurückgeht, ist nicht leicht.
Die gleich Studie zeigt auch, dass im Untersuchungszeitraum von 1980 bis 2002 ein Artenzuwachs verzeichnet wurde.
Winkler: Auf der Regionalskala wird das auch
in Österreich so sein. Es ist wahrscheinlich,
dass die Arten zunehmen, aber auch hier haben
wir verschiedene Trends. Europa ist eine sehr
artenarme Halbinsel, von allen gemäßigten Zo-
Mauersegler
Ankunft 2007: Mitte April
Bisher: Ende April
Silberreiher
Das Anwendungsgebiet von UWEDAT ist breit gestreut und reicht von
Hochwasserprognosen, über Luftgütemessungen bis zur Erfassung von
Strahlenbelastungen.“, sagt Hubert Hahn, Leiter der Business Unit Umweltinformationssysteme der Austrian Research Centers.
Foto: Andreas Scheiblecker
reichischen ExpertInnen international gefragt. So verlässt sich das
junge EU-Mitglied Rumänien bei
der Messung der Luftgüte vollständig auf die SpezialistInnen
der Austrian Research Centers.
Vision der ARC-ForscherInnen
ist die europaweite Vernetzung
Mittelfristig braucht es aber Messsysteme, die grenzüberschreitend
arbeiten, denn Umweltbelastungen machen nicht an Landesgrenzen halt. Je schneller Daten vergleichbar gemacht werden, desto
sinnvoller können Klimaschutzmaßnahmen im EU-Raum umgesetzt und überwacht werden. Die
Seibersdorfer geben auch hier den
Takt vor. Sie haben die Koordination des integrierten Forschungsprojektes SANY im 6. Rahmenprogramm der EU übernommen.
Ziel ist es, die Umweltüberwachung europaweit einheitlich zu
gestalten, um auf Bedrohungen
rasch und effizient reagieren zu
können. Das gilt für den Dauerbrenner Klimaschutz genauso wie
für kurzfristig auftretende Um-
weltprobleme wie Wasser- und
Luftverunreinigungen oder Hochwassergefahr. Diskussionen zum
Klimaschutz sind wichtig. Rasche
und konkrete Maßnahmen sind
aber Pflicht, wenn die Umwelt
aus dem Gleichgewicht gerät.
Entscheidungsgrundlage müssen
zuverlässige und hochprofessionelle Messdaten sein.
Weitere Informationen:
www.sany-ip.eu,
www.arcs.ac.at/it
Rückfragehinweis:
Mag. Michael Hlava, 050550-2046,
[email protected]
Die Austrian Research Centers
sind das größte außeruniversitäre Forschungszentrum Österreichs. Mit ihren innovativen
Entwicklungen leisten sie
einen wesentlichen Beitrag zur
Stärkung der technologischen
Wissensbasis der österreichischen Wirtschaft und zur
Sicherung der Standorte im
internationalen Wettbewerb.
Sein Abflug fand bisher Ende Oktober
statt. In den vergangenen Jahren überwinterte er laut „Birdlife“ in Österreich.
Halsbandschnepper
Ankunft 2007: Mitte April
Bisher: Anfang Mai
Storch
Ankunft 2007: März, nicht ungewöhnlich.
nen ist sie die artenärmste. Das ist durch die Eiszeiten bedingt. Die Alpen haben in der Eiszeit
die Fluchtwege abgeschnitten, durch die Halbinselstruktur ist die Neuzuwanderung stark gehemmt. Auch ohne Klimawandel wird die Artenvielfalt zunehmen bzw. werden sich seltene
Arten ausdehnen. Den südlichen Arten wird es
immer besser gehen, und wir können damit
rechnen, dass neue hinzukommen – auf dieser
lokalen Ebene sicherlich. Global schaut es anders aus, weil Inselarten unter Umständen wegen Wasserstandsänderungen betroffen sind,
sich die Wüsten ausdehnen und sich Großhabitate ändern. Da kann es schon sein, dass vor
allem Arten auf Inseln und isolierten Berghängen aussterben. Neben der
Temperatur spielen auch die
Niederschläge eine Rolle. Wie
sich die Niederschläge entwickeln werden, das ist noch eine
Q
unsichere Geschichte.
Univ.-Prof. Dr. Hans Winkler ist Ornithologe am Wiener Konrad-Lorenz-Institut für
Vergleichende Verhaltensforschung.
Ungesunder
Winterschlaf
Wegen der wärmeren
Winter könnten
Ziesel aussterben.
Von Andrea Dee
rtsnamen wie Zeiselmauer
zeigen noch heute, wie
verbreitet Ziesel im Tiefund Hügelland Ostösterreichs
einst waren. Früher wurde
eine „Schwoaferlprämie“ für
jedes getötete Tier bezahlt,
weil man die Erdhörnchen für
Ernteschädlinge hielt. Heute
zählt das Ziesel zu den gefährdeten Tierarten: Sein Lebensraum – die Weidewiesen, Mager- und Trockenrasen – hat
sich durch die Intensivierung
der Landwirtschaft und den
Rückgang der Weidewirtschaft drastisch verringert.
Und die globale Erwärmung
könnte bald zu ihrem vollständigen Verschwinden führen, wie der holländische Biologe Roelof Hut von der Universität Groningen erläutert:
„In Wien wird viel Forschung
über Ziesel betrieben, wir untersuchen an der Uni Wien die
energetischen Grundlagen ihres Winterschlafs.“ Die Körpermasse des Ziesels durchläuft einen Jahreszyklus: Im
Sommer wird Fett eingelagert,
das den Tieren ermöglicht,
den Winter zu überleben.
Ob und in welchem Zustand ein Ziesel im Frühjahr
seinen Bau verlässt, hängt
nicht zuletzt von den Temperaturen im Winter ab. Hut:
„Bei null Grad Celsius ist die
Energiebilanz optimal. Da verbrauchen die Tiere am wenigsten.“ Ist es kälter, steigt
der Energiebedarf. „Interessant ist, dass auch bei höheren
Temperaturen mehr Energie
verbraucht wird“, erklärt Hut.
Ein „milder“ Winter wie etwa
der heurige, bei dem es im Jänner nachts Außentemperaturen bis acht Grad Celsius gab,
schadet den Zieseln.
„Bei wärmeren Temperaturen erhöht sich die Zahl der Erwärmungsphasen, die Ziesel
regelmäßig während des Winterschlafs durchleben“, erläutert Roelof Hut, das koste noch
zusätzlich Energie. Ziesel erhöhen während des Winterschlafs ihre Körpertemperatur
rund alle zehn Tage für zehn
bis 16 Stunden auf 36 Grad.
Hut: „Sie tun das primär, um
Alzheimer und ähnliche Gehirnschäden zu vermeiden.“
Es kostet Ziesel also mehr
Energie, einen wärmeren Winter gesund zu überleben.
Ziesel sind an ihre Lebensräume gebunden. Sie können
für den Winterschlaf nicht in
kältere Regionen ausweichen.
Hut: „Das ist in Österreich unmöglich, weil eine Migration
durch das dichte Straßennetz
zum Scheitern verurteilt
wäre.“ Forscher wissen nicht,
ob die ökologisch isolierten,
kleinen Populationen noch genügend genetische Variationen aufweisen, um ihre Winterschlafstrategie zu ändern.
Die Zerstörung ihrer Lebensräume hat die Ziesel auf
wenige isolierte Inseln zurückgedrängt, der Temperaturanstieg in Mitteleuropa
wird voraussichtlich das Ende
ihrer Art in Österreich bedeuten. Hut: „Wir haben hochgerechnet, dass Ziesel schon bei
einem Anstieg der Jahresdurchschnittstemperaturen
von nur drei Grad um 2050
ausgestorben sein werden.“ Q
O
DOSSIER
16. Juni 2007
ALBUM
A 5
Heiße Zeiten
Wer sind die Wetter-Verlierer und wer sind die
Wetter-Profiteure des Klimawandels? Von Irene Brickner
er Boden tief zerfurcht und staubtrocken,
übersät mit den Skeletten verendeter Schafe und Kamele, Männer und Frauen, die vor
behelfsmäßigen Zelten Kinder mit Hungerbäuchen hochhalten: Bilder wie diese aus Mali,
Mauretanien, Niger und dem Sudan lenkten in
den 1970er- und 1980er-Jahren die Aufmerksamkeit der Welt auf die Sahelkrise. Auf eine
Dürre- und Hungerkatastrophe mit 50 Millionen Betroffenen und einer Million Toten, die
von Meteorologen und Ökonomen rückwirkend als eine der ersten Negativfolgen des
weltweiten Klimawandels bezeichnet wird.
Und zwar im mittleren Afrika, wo laut
Klimamodellen Millionen Menschen auch in
Zukunft zu Wetter-Verlierern zu werden drohen.
Dafür verantwortlich ist laut Experten aber
nicht allein der Umstand, dass im Sahel seit
nunmehr fast 40 Jahren der Monsunregen zu einem Großteil ausbleibt, weil sich die Wasseroberfläche des Indischen Ozeans erwärmt. Sondern auch die geringe Möglichkeit der betroffenen Staaten und Gesellschaften, die Folgen der
Dürre abzumildern (Mitigation) oder sich ihnen
anzupassen (Adaptation) – Umstände, die ihre
Ursache in chronischer Armut und jahrhundertelanger Ausbeutung der Mehrheit der afrikanischen Bevölkerung haben.
Die Frage, wer von den derzeit 6,3 Milliarden Menschen (und ihren Nachfahren) zu den
Verlierern, wer zu den Gewinnern des Klimawandels gehören wird, wird im Zusammenwirken von Klima-, Politik- und Ökonomieexperten beantwortet. Nur interdisziplinär kann
abgeschätzt werden, wie ressourcenreich, wie
flexibel – also wie fit – Gesellschaften sein müssen, um es ihren Bewohnern zu ermöglichen,
sich an neues, extremes Wetter anzupassen.
Die Millionen Armen dieser Welt dürften es
hier weitaus schwerer haben als die Bevölkerung der Industriestaaten; in diesem Sinne verschärft der Klimawandel die ohnehin klaffenden Gegensätze zwischen Arm und Reich.
Prognosen, wie bekömmlich das neue Klima
in verschiedenen Regionen sein wird, sind derzeit noch mit einem mittleren Unsicherheitsfaktor behaftet. Da eine Vielzahl von Gegebenheiten berücksichtigt werden muss, ist der Re-
D
zunehmend auch die reiche Welt – Europa,
Nordamerika und Australien – konfrontiert sein.
Deren Reaktion etwa in Form von Entwicklungshilfe wird mit darüber entscheiden, wie
viele Verlierer es tatsächlich geben wird. Der
Druck, zu helfen, wird groß sein.
atsächlich sagen die verschiedenen Klimaszenarien dem nördlichen Teil der nördlichen Hemisphäre, von der Polarregion über
Alaska nach Russland mit den Weiten Sibiriens
und bis nach Skandinavien, bis 2085 extreme
Steigerungen der Durchschnittstemperatur
zwischen sechs und zwölf Grad voraus sowie
bis zu einem Viertel mehr Niederschläge. Tritt
dieses Szenario ein, so könnten die derzeitigen
Steppen und Eiswüsten zu Zentren der Landwirtschaft werden. Doch ob diese neuen Zentren der Landwirtschaft alle Klimaflüchtlinge
Q
werden ernähren können, ist fraglich.
T
Im September erscheint von Irene
Brickner und Johanna Ruzicka das
Buch „Heiße Zeiten – 50 Antworten auf
brennende Fragen zum Klimawandel“
im Residenz Verlag.
Am Donnerstag, 21. Juni, findet um
19 Uhr im Auhof-Center-Plaza
(Albert-Schweitzer-Gasse 6, 1140 Wien)
eine Standard-Debatte zum Thema
„Wege aus dem Treibhaus – was können
wir gegen den Klimawandel tun?“ statt.
Freier Eintritt.
In Afrika werden in Zukunft Millionen Menschen zu den Wetter-Verlierern zählen.
Bestleistung zum Bestpreis
Wer verliert?
Küsten
Gletscher
Alpine Tiere und Pflanzen
Afrika nahe der Sahara
Die heutigen Armen
Wer gewinnt?
Kontinentale Regionen
Der hohe Norden
Die russische Landwirtschaft
Die Ölwirtschaft in Alaska
Die heutigen Reichen
chenaufwand bei Klimamodellen selbst für
heutige Computer enorm. Trockenheit bei steigenden Temperaturen etwa steht laut einem
Klimamodell, dem das von mittelhoher Steigerung des Treibhausausstoßes ausgehende CO2Emissionsszenario zugrunde liegt, neben Mittel- und Nordafrika auch Südeuropa, den südlichen USA und Mittelamerika und Westaustralien ins Haus. Doch in diesen reichen Regionen könnten weitläufige Wasserleitungen
oder Stauseen Abhilfe schaffen, die das Wasser aus Extremregen auffangen.
üstennahen Gegenden wiederum droht aufgrund der steigenden Meerespegel Überflutung. Weltweit leben Millionen von Menschen in exponierten Küstenregionen, aber es
macht einen großen Unterschied, ob sie das in
den Niederlanden oder im südasiatischen Bangladesch tun. Zwar liegen in beiden Ländern
Gebiete zum Teil unter dem Meeresspiegel,
in Holland jedoch werden schon jetzt Pläne
für Deichverstärkungen und schwimmende
Wohnviertel gewälzt, während sich das arme
Bangladesch, das laut Human Development Index (HDI) nur auf Platz 139 von weltweit 175
erfassten Ländern liegt, solche Schutzbauten
wohl nicht leisten kann.
Damit ist am Golf von Bengalen die Existenzgrundlage von 17 Millionen Menschen in
Gefahr. Ihnen bliebe bei Überflutung nichts anderes übrig als abzuwandern, womit sie zu
Flüchtlingen werden, deren große Zahl das soziale Gleichgewicht indischer Nachbarregionen gefährden könnte. Zu Flüchtlingen vor
Bürgerkriegen aufgrund von Wasserverteilungskonflikten würden (und werden) aber
auch Dürreopfer: So halten Beobachter die seit
Jahren anhaltende Krise im sudanesischen Darfur, wo arabisch-nomadische Kamelzüchter die
sesshaften afrikanischen Bauern terrorisieren,
zum Teil für eine Folge des Klimawandels.
Mit solchen weltweiten Fluchtbewegungen
von Wetter-Verlierern ist und wird in Zukunft
K
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A 6
DOSSIER
ALBUM
Meilensteine
im Klimaschutz
Eine Übersicht über
vergangene Klimagipfel
und -konferenzen.
Seit Ende der 1980er-Jahre hat die
internationale Staatengemeinschaft eine
Reihe wichtiger Klimaziele vereinbart.
Q Toronto 1988: Im Juni findet in Kanada die erste Weltklimakonferenz statt.
Ergebnis ist eine Empfehlung von internationalen Zielen zur Minderung des
CO2-Ausstoßes (um mehr als 50 Prozent
bis zum Jahr 2050), eine Kennzeichnung
für Produkte, welche die Atmosphäre
verunreinigen, und eine umfassende
Rahmenbedingung zum Schutz der Erdatmosphäre.
Q Genf 1990: In der Schweiz findet im
Oktober die zweite Weltklimakonferenz
statt. Es kommt zu keiner Einigung über
Ausmaß der CO2-Reduktion. Es wird der
Beschluss gefasst, eine Klimakonvention
zu erarbeiten, die 1992 auf der UN-Konferenz beschlossen werden soll.
Q Rio de Janeiro 1992: Im Juni findet die
UN-Konferenz „Umwelt und Entwicklung“
statt. Sie gilt als Meilenstein, der die
Grundlage für weitere Abkommen
schuf. Wesentliches Ergebnis: die Zielsetzung der Industrienationen, ihre
Treibhausemissionen bis 2000 auf
das Niveau von 1990 zu reduzieren.
Im März 1994 tritt die Klimarahmenkonvention der UN in Kraft. Die Staaten,
die sie ratifiziert haben, verpflichten
sich zur Durchführung und Überprüfung
der Abkommen.
„Wir sitzen gemeinsam
in der Klimafalle“
Nach den USA müsse man die Schwellenländer
ins Klimaschutz-Boot holen – mit Zuckerbrot
und Peitsche, sagt der deutsche Klimaforscher
Hans Joachim Schellnhuber.
Von Birgit Baumann
der Standard: Sie haben der deutschen Kanzlerin Angela Merkel vor dem G8-Gipfel geraten, in
der Klimafrage hart zu bleiben. Sind Sie mit dem
erzielten Kompromiss zufrieden?
Hans Joachim Schellnhuber: Maximalforderungen werden auf einem G8-Gipfel fast nie erfüllt
und außerdem war die Ausgangssituation beim
Thema Klima sehr, sehr schwierig. Die Amerikaner haben fast bis zuletzt gesagt, dass sie sich
keinem quantitativen Ziel nähern. Insofern ist
der Kompromiss wahrscheinlich das Maximale, was man herausholen konnte.
lierung ist schon „strong wording“, wie die
Amerikaner sagen. Sicher, man hätte auch die
Formulierung festhalten können: „Wir verpflichten uns dazu.“ Aber die G8-Staaten können ohnehin keine völkerrechtlich verbindlichen Beschlüsse fassen. Dennoch scheint
mir, dass ein irreversibler Prozess in Gang gekommen ist, und die USA sind mit an Bord!
Man darf ja auch nicht vergessen: Alles, was
die Bush-Regierung jetzt macht – darüber
wird die nächste US-Regierung noch hinausgehen.
Es gibt keine verbindliche Festschreibung im
Schlussdokument.
Schellnhuber: Nein, Fixes gibt es nicht. Aber
„ernsthaft in Betracht ziehen“ – diese Formu-
Was muss jetzt nach den Beschlüssen von Heiligendamm passieren?
Schellnhuber: Jetzt, wo die Regierungschefs gesprochen haben, muss im Rahmen der Verein-
16. Juni 2007
ten Nationen, wo sich mehr als 200 souveräne
Staaten zusammengeschlossen haben, eine
völkerrechtlich verbindliche Nachfolgeregelung für das Kioto-Protokoll gefunden werden.
Das ist eine ungeheure Menschheitsaufgabe,
und die UN-Klimakonferenz in Bali wird der
Lackmustest. Aber die Blockaden der Industrieländer haben wir in Heiligendamm schon
aus dem Weg geräumt.
Die USA sind ja nicht das einzige Sorgenkind.
Wie soll man jetzt die Schwellenländer überzeugen?
Schellnhuber: Hier werden wir richtig dicke
Bretter bohren müssen, denn wir müssen
Schwellenländer wie China, Indien, Brasilien,
Mexiko und Südafrika langsam an den Klimaschutz heranführen. Sie sind größtenteils auf
dem Standpunkt, die Industrieländer hätten
das Problem erzeugt, also sollen sie es gefälligst
auch alleine lösen. Allenfalls wollen sie Geldspenden als Ausgleich für die Klimaschäden
entgegennehmen, aber das allein wird leider
nicht mehr funktionieren.
Gänzlich falsch ist der Hinweis auf die Industrieländer ja nicht.
Schellnhuber: Er ist völlig richtig, da muss
man sich nur ein paar Zahlen anschauen. In
China gibt es zwei Autos pro tausend Einwohner, in den USA sind es 800. Aber dennoch haben wir am Institut ausgerechnet, was
passieren würde, wenn alle Industrieländer
über Nacht ihre Emissionen einstellen würden, dann gäbe es trotzdem in diesem Jahrhundert noch eine Erwärmung von drei Grad
– wegen China und Indien. Das heißt: Wir sitzen alle gemeinsam in der Klimafalle und es
nutzt überhaupt nichts, wenn wir mit dem
Finger aufeinander zeigen. Wir – also Europa
und die USA – haben die Welt in dieses Schla-
LEXUS HYBRID DRIVE: VOLLE KRAFT MIT
Q Berlin 1995: Im März veranstalten die
Vertragsstaaten zur Klimarahmenkonvention ihren ersten Klimagipfel. Die CO2-
Emissionen bis 2000 auf das Niveau von
1990 zu reduzieren wird nicht mehr als
ausreichend angesehen. Im Anschluss an
die Konferenz wurde eine Ad-hoc-Gruppe
zum „Berliner Mandat“ eingerichtet,
die Klimaziele hinsichtlich bestimmter
Zeithorizonte verhandeln soll.
Q Genf 1996: Auf der zweiten Konferenz
der Vertragsstaaten wird eine Zwischen-
bilanz über die Umsetzung des Berliner
Mandats gezogen. 140 Vertragsstaaten
kommen zu einer Ministerdeklaration.
Q Kioto 1997: Insgesamt 160 Länder beschließen das Kioto-Protokoll. Das Dokument präzisiert die Zielvorgaben der
UN-Klimarahmenkonvention von 1994
und ist bislang das einzige völkerrechtlich verbindliche Instrument in der internationalen Klimapolitik. Es besagt,
dass Industriestaaten ihre TreibhausgasEmissionen zwischen 2008 und 2012
um durchschnittlich 5,2 Prozent gegenüber 1990 senken sollen. Der zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaveränderungen (IPCC) soll die Umsetzung überwachen.
IS 250
11/2006 – GOLDENES LENKRAD
DER „BILD AM SONNTAG“
FÜR PLATZ 1 IN DER MITTEL- UND OBERKLASSE
GS 450h
01/2007 – PAUL PIETSCH-PREIS DER
ZEITSCHRIFT „AUTO MOTOR UND SPORT“
FÜR TECHNIK UND DESIGN
Q New York 2000: In den USA kommt
es zur Verkündung der UN-„Millenniumsziele“: Neben der Halbierung der
weltweiten Armut bis 2015 definiert
das Umweltprogramm der Vereinten
Nationen (UNEP) nachhaltiges Wachstum als ein weiteres Kernziel „partnerschaftlicher Nord-Süd-Beziehungen“.
Q Marrakesch 2001: Nach dem Ausstieg
der USA aus dem Kioto-Prozess einigen
sich die übrigen Teilnehmer auf
konkrete Maßnahmen zur Treibhausgas-Reduktion, darunter der Handel
mit Emissionsrechten.
Q Bonn 2004: In Deutschland findet auf
Initiative des damaligen deutschen Kanzlers Gerhard Schröder der erste Weltgipfel für erneuerbare Energien statt.
Q Montreal 2005: Das 11. Treffen der
189 Vertragsstaaten fand mit etwa 10.000
Teilnehmern statt. Infolge der Ratifikation
durch Russland tritt am 16. Februar 2005
das Kioto-Protokoll in Kraft.
Q Nairobi 2006: Die Vertragsstaaten der
Klimarahmenkonvention setzen die Beratungen des Montrealer Weltklimagipfels fort. Zum ersten Mal werden Details
eines Nachfolgeabkommens für das
2012 auslaufende Kioto-Protokoll erörtert. Außerdem soll ein spezieller KlimaFonds zur Unterstützung afrikanischer
Länder eingerichtet werden.
mia Q
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DOSSIER
16. Juni 2007
massel hineingeführt, aber alleine kommen
wir nicht mehr heraus. Jetzt bedarf es einer
äußerst delikaten Diplomatie.
Umdenken erfordert:
Auch den USA als
Umweltsünder drohen
in Zukunft vermehrt
Überschwemmungen
und Wirbelstürme
(wie hier 2005 in Key
West) Foto: AP
ALBUM
A 7
bis zwanzig Jahren 45 Grad sein. Es verlagert
sich nicht nur die Schneegrenze nach oben,
was für die Wasserversorgung kritisch werden
könnte, sondern auch ganze Ökosysteme wandern massiv in höhere Breiten. Von Süden her
kommend müssen wir uns auf eine Reihe von
neuartigen Schädlingen einstellen. Wir erforschen ja auch den Weinbau. Möglicherweise
wird man im Burgenland keinen Weißwein
mehr anbauen können.
Wie kann man jetzt die Schwellenländer ins Boot
holen und ihnen klar machen, dass auch sie ihren Beitrag leisten müssen?
Schellnhuber: Es gibt zwei Argumente – Zuckerbrot und Peitsche sozusagen. Man muss
einerseits klar machen, dass Länder wie China und Indien auch massiv von den negativen
Folgen des Klimawandels betroffen sind und
einen Großteil ihres wirtschaftlichen Wachstums wieder verlieren, wenn die globale Erwärmung nicht gestoppt wird. China zum Beispiel ist stärker tropischen Wirbelstürmen
ausgesetzt als die Karibik. Und wenn der Meeresspiegel steigt, kann Österreich damit leben, China und Indien aber nicht. Andererseits kopieren diese Länder ja einfach unser
so genanntes schmutziges Wirtschaftswachstum, das wir seit 1750 mit Kohle, Öl und Gas
vorgelebt haben. Das bedeutet, dass wir ein
hoch attraktives Modell des kohlenstofffreien
Wirtschaftens entwickeln müssen, das so
überzeugend ist, dass Länder wie China in
spätestens zehn Jahren bereit sind, dies nachzumachen. Man muss hoffen, dass sich diese
Einsicht in den Eliten der Länder durchsetzt.
Da sind auch wir Wissenschafter gefragt. Wir
müssen dem politischen Dialog vorauseilen
und eine Vorreiter-Rolle übernehmen.
Welches sind die wichtigsten Maßnahmen beim
Klimaschutz?
Schellnhuber: Man kann bei der Wärmedämmung und Altbausanierung 50 bis 60 Prozent
CO2 und Energie einsparen und sollte natürlich darauf achten, dass man keine Lebensmittel wählt, die zuvor schon zweimal um die
Welt gereist sind. Mitte des Jahrhunderts wird
man wahrscheinlich komplett auf erneuerbare Energien umsteigen müssen, wobei Solarund Windenergie eine große Rolle spielen
werden. Aber bis dahin bleibt eine Lücke. Also
sollten wir ab 2020 die Technik der Kohlenstoff-Speicherung beherrschen, also CO2 auffangen und unter Tage verbrennen können. Jeder dieser Schritte muss funktionieren, sonst
sitzen wir wirklich in der Patsche. Das Hinterhältige am Klimawandel ist ja, dass er so langsam erfolgt, aber dennoch irreversibel ist.
Schleichende Veränderungen sind immer beQ
sonders heimtückisch.
Auf welche Veränderungen müssen wir uns in
Mitteleuropa einstellen?
Schellnhuber: Selbst bei einer globalen ZweiGrad-Erwärmung gegenüber vorindustriellem
Niveau bedeutet dies für das Innere eines Kontinents wie Europa drei, vier, sogar fünf Grad
regionale Erwärmung. Wenn es also in Wien im
Jahr 2003 mal 31 Grad hatte, können es in zehn
Hans Joachim Schellnhuber (57)
leitet seit 1993 das Potsdam-Institut für
Klimafolgenforschung und ist Leiter
des Tnydall Centre für Climate Change
Research in Großbritannien. Er gilt
als einer der führenden Klimaforscher
weltweit und berät auch die deutsche
Regierung.
GUTEM GEWISSEN
Nächstes Ziel Bali
G8-Staaten legen keine
konkreten Ziele zur
CO2-Reduzierung fest.
ie sehr und wie ernsthaft will man
etwas, wenn man es nicht mit aller
Entschiedenheit anstrebt, sondern
nur „in Betracht zieht“? Darüber diskutieren Klimaexperten, seit die deutsche
Kanzlerin Angela Merkel in der Vorwoche die USA am G8-Gipfel im Ostseebad
Heiligendamm dazu brachte, einem Klima-Kompromiss zuzustimmen.
Gastgeberin Merkel war mit dem
Wunsch nach Heiligendamm gekommen,
konkrete Ziele zur Reduzierung des CO2Ausstoßes festzulegen. Schließlich hatte
sie als EU-Ratspräsidentin im Frühjahr
beim Gipfel in Brüssel die anderen 26 EUStaaten dazu verpflichtet, den Ausstoß
von Treibhausgasen bis 2020 um mindestens 20 Prozent zu reduzieren.
Doch eine Ebene höher (und mit Blick
in die noch weitere Zukunft) hatte Merkel erheblich mehr Mühen. Im Schlussdokument von Heiligendamm ist festgehalten, dass die EU, Kanada, Japan und
die USA „ernsthaft in Betracht ziehen“,
die CO2-Emissionen bis 2050 mindestens
zu halbieren, konkrete Ziele wurden – wegen Bremser George Bush – jedoch nicht
festgehalten. Unter dem Titel „Wachstum
und Verantwortung in der Weltwirtschaft“ gab es noch weitere Beschlüsse:
Die führenden Industrienationen bekennen sich zur Weiterentwicklung der internationalen Klimapolitik unter dem
Dach der Vereinten Nationen.
Hier konnte sich Merkel durchsetzen,
denn die USA haben bis Heiligendamm
das geltende Weltklimaabkommen von
Kioto (und damit auch die UN als Ort für
die zentralen Vereinbarungen) nicht anerkannt. Nun aber soll bis Ende 2009 ein
„globales Abkommen“ unter UN-Verantwortung ausgearbeitet werden, das nach
Auslaufen des Kioto-Protokolls 2012 in
Kraft tritt. Die Verhandlungen dafür sollen im Dezember bei der geplanten UNKlimakonferenz in Bali beginnen. Das
Mandat für die Gespräche haben die Umweltminister der G8-Staaten bekommen.
Welchen Beitrag die G8-Staaten selbst
leisten, soll bis Ende 2008 geklärt sein.
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