Besuch beim Göttervater

Werbung
Wissenschaft
großes Kino bieten soll. Pünktlich zum
amerikanischen Unabhängigkeitstag am
4. Juli wird die Raumsonde „Juno“ nach
einer fast fünf Jahre dauernden Reise ihr
Bremstriebwerk zünden und in eine Umlaufbahn um den Jupiter einschwenken –
ein Feiertagsfeuerwerk der besonderen Art.
Vor ihr liegt ein messtechnisches AbenRaumfahrt Die Nasa-Sonde
teuer. Der Göttervater macht es den Erd„Juno“ erreicht den Jupiter – sie lingen nicht leicht, ihn zu durchschauen.
Die hippiesk gemusterten Wolkenbänder
soll Sturzflüge bis nah an die
aus Ammoniak-Eis, die ihn umströmen,
sturmumtoste Atmosphäre des
versperren den Blick auf sein Inneres. BeRiesenplaneten wagen.
reits acht Raumsonden haben den Jupiter
seit 1973 untersucht – doch sie alle lieferten
berlebensgroß, von Wolken umwa- mehr Fragen als Antworten.
bert und Blitze schleudernd – so
Der mutmaßlich älteste Planet scheint
stellten sich die alten Römer den ähnlich zusammengesetzt wie die Sonne
Göttervater Jupiter vor. Diese Beschrei- selbst: vor allem aus den beiden leichtesten
bung kommt dem real existierenden Pla- Elementen Wasserstoff und Helium. Er
neten gleichen Namens erstaunlich nahe. wirkt wie eine gescheiterte MöchtegernNach der Sonne ist der Jupiter der mit Sonne, umschwärmt von einem Hofstaat
Abstand größte Himmelskörper in unserem aus mindestens 67 Monden.
Planetensystem. Der Gigant wiegt doppelt
So könnte die Erkundung des Jupiters
so viel wie alle übrigen Planeten zusam- dazu dienen, die Kinderstube des Sonnenmen, 318-mal so viel wie die Erde. „Jupiter systems besser zu verstehen. Alles auf
is the biggest and the baddest planet“, ihm scheint zu fließen und zu wabern: Er
raunt Steven Levin in einem dramatischen zählt zur Klasse der Gasriesen, die im GeYouTube-Werbevideo der amerikanischen
gensatz zu den
Weltraumbehörde Nasa im Stil des Alienerdähn
lichen PlaneMagnetoInvasion-Films „Independence Day“.
ten wie Venus oder
meter
Der Astrophysiker, ein jovialer Herr mit
Mars keine feste Gebreiter Brille und noch breiterem Grinsen,
steinskruste haben.
gehört zu den Leitern einer Nasa-Mission
Seit mindestens 350 Jahren
zum Jupiter, die jetzt tatsächlich ganz
tobt nun schon ein gigantischer
Wirbelsturm in Äquatornähe. DieSchwerkraft-Messgeräte
ser „Große Rote Fleck“ kreist mit teilweise 500 Kilometern pro Stunde um
Solarpanels
sich selbst. Die gesamte Erde könnte in
ihn hineinpassen. Doch seit einigen Jahren
Besuch beim
Göttervater
Späher zur Wolkenwelt
Erdgröße im Vergleich zu Jupiter
Die Jupiter-Mission der
Nasa-Sonde „Juno“
„Juno“ soll den Riesenplaneten über 30-mal
umrunden. Die Umläufe erfolgen nicht
in der Äquatorebene, sondern
über die Pole.
Die Sonde entgeht dabei den
intensivsten
Bereichen des
Magnetfelds, außerdem bleiben die
Solarpanels so ausgerichtet, dass sie ständig
Sonnenlicht empfangen.
Magnetfeld
(schematische
Darstellung)
Großer Roter Fleck
NASA / J BL
Ü
schrumpft der Riesenwirbel – und niemand
weiß, warum.
Das größte Rätsel aber lautet: Was verbirgt der Planet unter seinem sturmgepeitschten Wolkenmeer? Die mythische
Göttergattin Juno hatte die Gabe, den Wolkenzauber ihres Gemahls zu durchschauen – symbolträchtig wurde die Nasa-Sonde
nach ihr benannt. In mehr als 30 Sturzflügen, so der Plan, wird sich der rasende Roboter der Wolkendecke immer wieder bis
auf wenige Tausend Kilometer nähern.
Mithilfe von Magnet- und Schwerkraftsensoren soll er Hinweise sammeln, ob sich
im Herzen des Riesen ein fester Kern verbirgt – oder ob dort eine zähe Suppe aus
metallischem Wasserstoff schwappt.
Planetenforscher vermuten, dass im Innern des Jupiters eine Art Superdynamo
wütet, der ein monströses Magnetfeld aufbaut, über 20-mal stärker als das der Erde
und weit ins All hinausreichend. Wenn
sein Magnetfeld sichtbar wäre, erschiene
der Jupiter nicht so punktförmig wie ein
Stern am Nachthimmel, sondern strahlte
so groß wie der Vollmond.
Dieses Magnetgewitter setzte vor einigen Jahren schon der Raumsonde Galileo
zu. Daraus haben die Konstrukteure gelernt: Sie haben „Junos“ empfindliches
Elektronenhirn in einem 14 Kilogramm
schweren Tresor aus Titan versteckt.
Dennoch wird die Sonde nach jedem
Überflug erst einmal auf einer langen, elliptischen Bahn hinaus ins All eilen; der jeweils zweiwöchige Fronturlaub dient dazu,
sich von dem Blitze schleudernden Göttervater zu erholen. „Juno“ wird die Pausen
nutzen, um frische Messdaten zur Erde zu
senden. Die Funkbotschaften benötigen fast
eine Stunde, bis sie hier eintreffen.
Zugleich soll „Juno“ während der Auszeiten mit ihren drei baumhohen Solarsegeln frische Sonnenenergie tanken: eine
technische Meisterleistung, da der Jupiter
rund fünfmal so weit von der Sonne entfernt
ist wie die Erde. „Juno“ muss deshalb mit
weniger als 500 Watt Leistung auskommen –
vergleichbar mit einem Küchenmixer.
Wegen der lebensfeindlichen Bedingungen dürften auf dem Jupiter keine Aliens
existieren, nicht einmal Mikroben – anders
als auf seinen Monden Europa, Ganymed
oder Kallisto, deren Eispanzer sie vor
Strahlung schützt. Um diese potenziellen
Lebensoasen nicht versehentlich mit irdischen Keimen zu verseuchen, soll „Juno“
Selbstmord begehen. Im Herbst 2017 wird
sich die Sonde tief in Jupiters Sturmwolken
stürzen, um darin zu verglühen.
Hilmar Schmundt
Twitter: @hilmarschmundt
Video:
Leben auf dem Jupiter?
spiegel.de/sp272016jupiter
oder in der App DER SPIEGEL
114
DER SPIEGEL 27 / 2016
Herunterladen