Konkurrenzschutzklausel: Illoyale Verwertung der Erfolge

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Rechtsprechung
GesR 5/2014
Konkurrenzschutzklausel: Illoyale
Verwertung der Erfolge gemeinsamer Arbeit?
BGB §§ 138 Abs. 1, 139; GG Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1
S. 1; HGB § 74 Abs. 2 analog
Zum Anspruch auf Unterlassung ärztlicher Konkurrenztätigkeit nach dem Ausschluss eines Arztes aus einer Praxis-GbR.
LG Heidelberg, Urt. v. 30.9.2013 – 5 O 104/13
Aus dem Tatbestand:
Die Kl. ist eine ärztliche Berufsausübungsgemeinschaft von
Fachärzten für Chirurgie in Form der GbR, deren Gesellschafterin die Bekl. ebenfalls bis 31.3.2013 war. Die Kl. begehrt von
der Bekl. Unterlassung bestimmter ärztlicher Konkurrenz.
Die Kl. wurde als ärztliche Berufsausübungsgemeinschaft in
Form der GbR von den inzwischen noch verbliebenen Gesellschaftern Dr. L. und Dr. B. am 2.1.2010 gegründet. Im Jahr
2011 wurde eine Aufnahme der Bekl. in die Berufsausübungsgemeinschaft bzw. die Gründung einer Berufsausübungsgemeinschaft unter Einbeziehung der Bekl. in Aussicht genommen (Besprechungsprotokoll vom 21.4.2011). Die Bekl., die
zuvor als Klinikärztin tätig war, sollte hierfür einen hälftigen
vertragsärztlichen Versorgungsauftrag (Kassenzulassung bzw.
GesR 5/2014
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Vertragsarztsitz) erlangen und in die Berufsausübungsgemeinschaft einbringen. Zu diesem Zweck wurde die Bekl. – auf Vermittlung der Gesellschafter der Kl. – zunächst für die Zeit vom
1.4.2011 bis 30.9.2011 in eine Gemeinschaftspraxis mit dem
Chirurgen M.C. aufgenommen mit dem Recht, bei Verlassen
dieser Gemeinschaftspraxis einen hälftigen Vertragsarztsitz
mitzunehmen; hierfür hatte die Bekl. aus eigenen Mitteln an
Herrn C. 15.000 c zu zahlen. Der von der Bekl. erworbene und
dann auch in die Berufsausübungsgemeinschaft eingebrachte
Vertragsarztsitz ist beschränkt auf das Gebiet MannheimStadt.
Wie vorgesehen wurde zum 1.10.2011 die ärztliche Berufsausübungsgemeinschaft mit den Gesellschaftern Dr. L., Dr. B. und
der Bekl. gegründet, und zwar auf der Basis zunächst eines Gesellschaftsvertrags vom 13.9.2011, sodann jedoch ab
11.10.2011 auf der Grundlage des modifizierten Gesellschaftsvertrags (im Folgenden: GV) vom selben Datum (Anl. K 7).
Wegen der Einzelheiten der Vertragsbestimmungen wird auf
die Anl. K 7 Bezug genommen, insbesondere auf §§ 4, 12, 14
Abs. 2 und 5, 19 Abs. 18 GV. Nach § 14 Abs. 2 und 5 hatten
die Gesellschafter Dr. L. und Dr. B. während einer Probezeit bis
30.9.2013 das Recht, die Bekl. mit einer Frist von 3 Monaten
zum Ende eines Kalendervierteljahres auszuschließen, ohne
dass hierfür ein besonderer Kündigungsgrund vorliegen müsste. Nach § 19 Abs. 18 galt für den Fall des Ausscheidens der
Bekl. während der Probezeit, dass diese entweder bei Zurücklassen ihres hälftigen Vertragsarztsitzes gegen eine pauschale
Abfindung von 15.000 c oder bei Mitnahme ihres hälftigen
Vertragsarztsitzes ohne Abfindung ausscheidet. In jedem Fall
sollte es ihr untersagt sein, „sich innerhalb eines Zeitraums von
zwei Jahren gerechnet von ihrem Ausscheiden an innerhalb
eines Radius von fünf Kilometern Luftlinie um den Standort
R., ... Mannheim niederzulassen oder sich in einem MVZ oder
bei einem anderen Arzt/einer anderen Gemeinschaftspraxis anstellen zu lassen“ (§ 19 Abs. 18.2, 18.3 GV). Wie vorgesehen
brachte die Bekl. ihren hälftigen Vertragsarztsitz ein. Weiteres
Kapital brachte die Bekl. nicht ein, sie wurde zunächst auch
nicht am Kapital der Gesellschaft beteiligt (§ 4 GV).
Die Berufsausübungsgemeinschaft wurde alsbald über den ursprünglichen Standort R. hinaus ausgedehnt auf einen zweiten
Standort in der L-Str., jeweils in Mannheim (Genehmigung des
Zulassungsausschusses vom 2.11.2011).
Im zweiten Halbjahr 2012 kam es zu Auseinandersetzungen
zwischen den heute verbliebenen Gesellschaftern und der Bekl.,
u.a. wegen einer von den heute verbliebenen Gesellschaftern
beklagten „finanziellen Schieflage“. Die heute verbliebenen
Gesellschafter verlangten im November 2012 eine rückwirkende Deckelung des der Bekl. zustehenden Gewinnanteils auf
6.000 c monatlich. Im Folgenden kam es zu einem Schriftwechsel. Die heute verbliebenen Gesellschafter Dr. L. und Dr.
B. beschlossen am 21.12.2012 den Ausschluss der Bekl. aus der
ärztlichen Berufsausübungsgemeinschaft zum 1.4.2013. Die
Bekl. nahm beim Ausscheiden ihren hälftigen Vertragsarztsitz
mit und vertrat jedoch den Standpunkt, dass das vereinbarte
Konkurrenzverbot unwirksam sei; außerdem erklärte sie die
Anfechtung des Gesellschaftsvertrages wegen arglistiger Täuschung mit der Begründung, die Klägervertreterin habe bei Entwurf des Gesellschaftsvertrages gegen das berufsrechtliche Verbot der Mehrfachvertretung und das strafrechtliche Verbot des
Parteiverrats verstoßen.
Die Bekl. beabsichtigte zunächst, ihre ärztliche Tätigkeit in der
Tagesklinik G. – die sich ebenso wie die Zweigstelle der Kl. in
der L-Str. in Mannheim befindet – aufzunehmen. Die Kl. forderte sie zur Unterlassung auf und intervenierte sodann erfolgreich beim Vermieter. Jedenfalls seit Juni 2013 übt die Bekl. ihre ärztliche Tätigkeit als Fachärztin für Chirurgie in einer eigenen Praxis in der E-Str. in Mannheim aus. Dieser Standort befindet sich in ca. 2 km Entfernung (Luftlinie) vom Standort der
Kl. am R. Die Bekl. versandte in diesem Zusammenhang an
ehemalige Patienten und andere Personen in streitigem Umfang
Postkarten mit Hinweis auf diese neue Praxis.
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Der Kl. hält das im Gesellschaftsvertrag vereinbarte Wettbewerbsverbot für wirksam und begehrt deshalb von der Bekl.
Unterlassung. Das Wettbewerbsverbot sei sachlich gerechtfertigt, obwohl die Bekl. keine Abfindung bei ihrem Ausscheiden
erhalten habe. Denn sie habe sich am Vermögen der Kl. nicht
beteiligt und auch nicht nachhaltig am Aufbau eines immateriellen Wertes mitgewirkt; hiervon könne erst nach ca. drei Jahren Praxistätigkeit ausgegangen werden. Mit Ausnahme von
etwa zehn Patienten, die die Kl. von der Gemeinschaftspraxis
mit Herrn C. mitgebracht habe, seien sämtliche von der Bekl.
bei der Kl. behandelten Patienten aufgrund des bereits langjährig bestehenden ausgezeichneten Rufes der Kl. und ihrer heute
noch verbliebenen Gesellschafter gekommen. Die Bekl. könne
ihre ärztliche Tätigkeit auch unter dem Konkurrenzverbot fortführen, etwa in den außerhalb der Zone liegenden Stadtteilen
von Mannheim. ...
Aus den Gründen:
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Kl. nach § 78
ZPO ordnungsgemäß durch eine Rechtsanwältin als Prozessbevollmächtigte vertreten. Insoweit bedarf es keiner
Klärung und Entscheidung der Frage, ob der Vorwurf
der Bekl., es liege eine Vertretung widerstreitender Interessen vor, zutrifft. Denn ein etwaiger Verstoß des
Rechtsanwalts gegen § 43a Abs. 4 Bundesrechtsanwaltsordnung berührt ohnehin nicht die Wirksamkeit der ihm
erteilten Prozessvollmacht und der von ihm namens der
Partei vorgenommenen Prozesshandlungen (BGH, Urt. v.
14.5.2009 – IX ZR 60/08, NJW-RR 2010, 67).
Die Klage ist jedoch unbegründet.
1) Zu Klageantrag Ziff. 1:
Die Kl. stützt ihre Unterlassungsklage auf § 19
Abs. 18.3 des Gesellschaftsvertrages. Zweifelsfrei verstößt die Bekl. auch gegen die dort niedergelegte Unterlassungsverpflichtung, indem sie in einer Entfernung
von 2 km (Luftlinie) vom Standort R. eine Praxis als niedergelassene Fachärztin für Chirurgie betreibt. Allerdings gilt dies nur für die Zeit bis 31.3.2015, weshalb
der zeitlich unbeschränkte Klageantrag zu weit gefasst
ist. Hierauf kommt es jedoch nicht an, da die im Gesellschaftsvertrag niedergelegte Unterlassungsverpflichtung
ohnehin gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist. Denn sie
schränkt die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit der Bekl. in unverhältnismäßiger
Weise ein.
a) Dass nachvertragliche Wettbewerbsverbote nach den
genannten Vorschriften unwirksam sind, wenn sie das
räumlich, zeitlich und gegenständlich notwendige Maß
überschreiten, entspricht der ständigen Rechtsprechung
des BGH (vgl. nur BGH, Urt. v. 8.5.2000 – II ZR 308/98,
NJW 2000, 2584; BGH, Urt. v. 29.1.1996 – II ZR 286/
94, NJW-RR 1996, 741). „Ihre Rechtfertigung finden sie
allein darin, die Partner des ausgeschiedenen Gesellschafters vor einer illoyalen Verwertung der Erfolge der
gemeinsamen Arbeit oder vor einem Missbrauch der
Ausübung der Berufsfreiheit zu schützen. Dagegen darf
ein solches Wettbewerbsverbot rechtlich nicht dazu eingesetzt werden, den ehemaligen Partner als potentiellen
Wettbewerber auszuschalten“ (BGH, Urt. v. 28.6.2000 –
11 C 13/99, NJW 2000, 3584). Die grundrechtlich geschützte Berufsausübungsfreiheit des ausscheidenden
Gesellschafters ist mit dem ebenfalls grundrechtlich nach
Art. 12 Abs. 1 GG und möglicherweise auch nach
Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG (vgl. BGH, Urt. v. 22.7.2002 – II
ZR 265/00, NJW 2002, 3538) geschützten Interesse der
verbleibenden Gesellschafter an Erhalt und Weiterfüh-
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rung der Gemeinschaftspraxis durch Herstellung praktischer Konkordanz zum Ausgleich zu bringen (BGH, Urt.
v. 22.7.2002 – II ZR 265/00, NJW 2002, 3538).
b) Die somit gebotene Abwägung führt nach Überzeugung des Gerichts zu dem Ergebnis, dass die Beschränkung der ärztlichen Berufsausübungsfreiheit der Bekl.
nicht durch schutzwürdige Interessen der Kl. bzw. ihrer
Gesellschafter gerechtfertigt werden kann und deshalb
übermäßig ist. Dies beruht auf folgenden Erwägungen:
Ausgangspunkt der Überlegungen muss die Frage nach
einer möglicherweise illoyalen Verwertung der Erfolge
der gemeinsamen Arbeit sein. Im vorliegenden Fall einer
ärztlichen Gemeinschaftspraxis besteht der immaterielle
Wert, der „Goodwill“, in erster Linie aus Patientenbindungen und Verbindungen zu den sog. ärztlichen „Zuweisern“, also zu Haus- oder Fachärzten, die Patienten
an die Gemeinschaftspraxis überweisen. Diese Bindungen wiederum beruhen auf dem ärztlichen Ruf der Praxis, beruhen also auf positiven Erfahrungen von Patienten und Zuweisern mit der ärztlichen Behandlung in der
Gemeinschaftspraxis einschließlich des Service und der
Betreuung durch Ärzte und Personal.
Wenn die Bekl. in räumlicher Nähe der Gemeinschaftspraxis erneut fachärztliche chirurgische Leistungen anbietet, besteht die Möglichkeit, dass sowohl Patienten als
auch ärztliche Zuweiser, die bisher an die Gemeinschaftspraxis gebunden waren, nunmehr der Bekl. als
ehemaligem Mitglied dieser Gemeinschaftspraxis folgen.
Da ärztliche Behandlung regelmäßig in Wohnortnähe
wahrgenommen wird, ist diese Gefahr umso größer, je
geringer der räumliche Abstand der neuen ärztlichen Tätigkeit der Bekl. zum Standort der Kl. ist. Mit zunehmendem zeitlichem Abstand sinkt dann jedoch wieder die
Gefahr, dass Patienten oder ärztliche Zuweiser eine gedankliche Verbindung zwischen der Bekl. und der Kl.
herstellen. Dem Anliegen der Kl., ihren „Goodwill“ vor
Ausnutzung durch die Bekl. zu schützen; wird somit
grundsätzlich durch das räumlich und zeitlich begrenzte
Wettbewerbsverbot des GV Rechnung getragen.
Entscheidend ist sodann jedoch, ob ein solcher Schutz
der Kl. gegen Ausnutzung ihres „Goodwill“ gerechtfertigt ist. Dies würde nach der dargestellten Rechtsprechung voraussetzen, dass eine solche Ausnutzung seitens
der Bekl. als illoyal anzusehen wäre.
Der BGH (Urt. v. 8.5.2000 – II ZR 308/98, NJW 2000,
2584) hat entschieden, dass eine illoyale Verwertung der
Erfolge der gemeinsamen Arbeit vorliegen würde, wenn
ein ausscheidender Gesellschafter eine Abfindung erhält,
welche auch den Wert des „Goodwill“ umfasst, und sodann durch Konkurrenztätigkeit in zeitlicher, räumlicher
und gegenständlicher Nähe zur Gesellschaft, insbesondere durch „Mitnahme“ von Geschäftsbeziehungen, dennoch am gemeinsam aufgebauten „Goodwill“ partizipiert. In diesem Fall ist ein auf das notwendige Maß beschränktes nachvertragliches Wettbewerbsverbot gerechtfertigt. Dem ausscheidenden Gesellschafter muss
nicht gestattet werden, sich zugleich für das Zurücklassen der immateriellen Werte entschädigen zu lassen und
diese dennoch auszunutzen. Diese Konstellation ist vorliegend jedoch nicht einschlägig. Denn die Bekl. hat dafür, dass die immateriellen Werte, der sog. „Goodwill“,
bei der Kl. verbleibt, keine Abfindung erhalten. Sie hat
zwar den hälftigen Vertragsarztsitz beim Ausscheiden
mitgenommen, dieser war jedoch von ihr eingebracht.
Sie hat mithin beim Ausscheiden aus der Gesellschaft
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nichts mitgenommen oder erhalten, was nicht auch ursprünglich von ihr eingebracht wurde.
Die Kl. verkennt dies nicht und argumentiert dahin gehend, dass der immaterielle Wert der Kl. nicht oder jedenfalls nicht nennenswert auf der Leistung und Tätigkeit der Bekl. beruhe und es deshalb auch ohne Zahlung
einer Abfindung illoyal wäre, wenn die Bekl. nach Ausscheiden an diesem immateriellen Wert partizipieren
könne, insbesondere durch „Mitnahme“ von Patienten.
Insoweit hält das Gericht indessen die Argumentation
der Kl. für widersprüchlich. Die Kl. befürchtet, dass Patienten zur Bekl. abwandern könnten, meint aber andererseits, dass die Bekl. keinen Anteil am immateriellen Wert
der Praxis habe, weil praktisch sämtliche von ihr behandelten Patienten ausschließlich wegen des ausgezeichneten Rufs der bereits zuvor bestehenden Gemeinschaftspraxis Dr. L./Dr. B. gekommen seien. Die Befürchtung
eines „Abwanderns“ von Patienten kann nach Ansicht
des Gerichts jedoch nur dann begründet sein, wenn eine
Patientenbindung zur Bekl. entstanden ist, weil Patienten
mit deren Behandlung zufrieden waren, oder wenn entsprechende Zufriedenheit bei ärztlichen Zuweisern eingetreten ist. Ist dies jedoch der Fall, so hat die Bekl.
durch ihre Tätigkeit auch einen gewissen Anteil an Bestand und Fortentwicklung dieser Bindungen geleistet,
der nunmehr bestehende „Goodwill“ beruht zu einem
gewissen Anteil auch auf ihrer Tätigkeit. Wenn sie diesen
zurücklassen müsste, ohne hierfür entschädigt zu werden, würde sie illoyal benachteiligt. Entweder es ist zutreffend, dass die Bekl. keinen oder nur in vernachlässigbarem Umfang Anteil am „Goodwill“ der Kl. hat; dann
ist aber auch eine Ausnutzung desselben durch die Bekl.
nicht zu befürchten. Oder es bestehen doch schon nennenswerte Bindungen von Patienten und ärztlichen Zuweisern an die Bekl., welche sie ausnutzen und „mitnehmen“ kann; dann hat sie aber auch hierdurch zumindest
in gewissem Umfang Anteil am immateriellen Wert der
Kl. und es wäre nicht zu rechtfertigen, dass sie diesen
entschädigungslos zurücklassen müsste.
Bei der Abwägung kann auch nicht unberücksichtigt
bleiben, dass gerade während der Probezeit der Bekl. ihr
jederzeitiger Ausschluss aus der Berufsausübungsgemeinschaft ohne Vorliegen von Gründen möglich war
(§ 14 Abs. 2 und 5 GV). In Verbindung mit dem in § 19
Abs. 18 GV niedergelegten Konkurrenzverbot folgte
hieraus für die Bekl. als neu eintretende Gesellschafterin
die Gefahr, schon nach kürzester Zeit einer bezahlten Tätigkeit von weiterer ärztlicher Berufsausübung in einem
großen Teil des Stadtgebiets von Mannheim entschädigungslos vorläufig ausgeschlossen zu werden, obwohl sie
gerade erst durch nicht unerhebliche Eigenmittel einen
Vertragsarztsitz für den Zulassungsbezirk MannheimStadt erworben hatte. Letztendlich vom Gutdünken der
übrigen Gesellschafter war deshalb nicht nur – was
selbstverständlich für eine Probezeit unbedenklich ist –
ihr Verbleiben in der Gemeinschaftspraxis, sondern darüber hinaus überhaupt ihre weitere ärztliche Tätigkeit
in einem großen Teil des Stadtgebiets von Mannheim abhängig. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass
das Verbot zeitlich auf zwei Jahre beschränkt ist. Denn
diese Zeitspanne kann offenkundig nicht in wirtschaftlich vertretbarer Weise „überbrückt“ werden; vielmehr
muss die ärztliche Tätigkeit dann auf einen Standort außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des Wettbewerbsverbots verlagert werden, und diese Verlagerung
wird aus wirtschaftlichen Gründen in der Regel auch
dauerhaft sein. Der durch das Wettbewerbsverbot be-
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zweckte Ausschluss der ärztlichen Tätigkeit für einen
großen Teil des Stadtgebiets von Mannheim, namentlich
die Kernstadt, ist auch keineswegs in räumlicher Hinsicht für die Bekl. unerheblich, weil sie ggf. andernorts
oder in Außenbezirken tätig werden könnte. Selbstverständlich ist es Teil ihrer grundrechtlich geschützten Berufsausübungsfreiheit, gerade auch nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten den Standort ihrer ärztlichen Tätigkeit zu wählen und hierbei die besonderen Chancen
einer Innenstadtlage in der Großstadt Mannheim zu nutzen.
Diese schwerwiegenden Folgen für die Bekl. werden hier
auch nicht durch eine Karenzentschädigung analog § 74
Abs. 2 HGB ausgeglichen. In der obergerichtlichen
Rechtsprechung wird mit guten Gründen vertreten, dass
§ 74 Abs. 2 HGB auf nachvertragliche Wettbewerbsverbote, die in einem Gesellschaftsvertrag über eine ärztliche Gemeinschaftspraxis enthalten sind, analog anzuwenden ist (OLG Stuttgart, Urt. v. 13.3.1998 – 2 U 21/
98, OLGR 1998, 275). Es kann offen bleiben, ob dem in
voller Konsequenz – auch hinsichtlich der durch § 74
Abs. 2 HGB vorgegebenen Höhe der Entschädigung – zu
folgen ist. Jedenfalls gilt aber, dass die Folgen des Wettbewerbsverbotes für die Berufsausübung der Bekl. besonders schwer wiegen, weil sie durch keinerlei Entschädigung abgemildert werden.
Insgesamt ist das Wettbewerbsverbot somit nicht gerechtfertigt, weil der Bekl. eine schwer wiegende Einschränkung ihrer ärztlichen Berufsausübung auferlegt
wird, obwohl sie gerade nach der Argumentation der Kl.
allenfalls in geringfügiger Weise noch nachvertraglich am
„Goodwill“ und damit am immateriellen Wert der Kl.
partizipieren kann, bzw., soweit Bindungen von Patienten und ärztlichen Zuweisern an die Bekl. doch erwachsen sein sollten, sie diesen auch auf ihrer Tätigkeit beruhenden Anteil am „Goodwill“ entschädigungslos zurücklassen müsste.
2) Zu Klageantrag Ziff. 2:
Der Kl. steht kein Unterlassungsanspruch hinsichtlich
der im Klageantrag Ziff. 2 genannten Handlungen zu:
a) Eine Anspruchsgrundlage aus dem Gesellschaftsvertrag über die Berufsausübungsgemeinschaft ist nicht erkennbar. Insbesondere kann der Anspruch nicht als Annex aus dem Wettbewerbsverbot hergeleitet werden, da
dieses, wie dargestellt, nicht wirksam ist. Aufgrund der
Unwirksamkeit des Wettbewerbsverbots ist auch die einschränkende Regelung über die Benachrichtigung von
Patienten in § 19 Abs. 18.3 S. 3 GV unwirksam; die dortigen Regelungen in den Sätzen 2 und 3 stehen in wechselseitigem Zusammenhang und können nicht isoliert bestehen bleiben (vgl. § 139 BGB).
b) Grundsätzlich kommt als Anspruchsgrundlage §§ 8
Abs. 1 und 3, 3 UWG in Betracht. Nach dieser Vorschrift
kann jeder Mitbewerber die Unterlassung unlauterer geschäftlicher Handlungen verlangen. Die Vorschrift erstreckt sich auch auf geschäftliche Handlungen von freiberuflich tätigen Personen, insbesondere auch von Ärzten (Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl., § 2 Rz. 29).
Ein solcher Anspruch der Kl. besteht aber deshalb nicht,
weil die Bekl. keine unlautere geschäftliche Handlung
vorgenommen hat und eine solche auch nicht droht.
i) Unstreitig hat die Bekl. zum Zweck der Bekanntmachung und Bewerbung ihrer neu eröffneten Praxis die in
Anlage K 23 abgebildeten Postkarten zumindest an Pati-
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enten verschickt, welche sie zuvor in der Gemeinschaftspraxis behandelt hatte. Dieses Vorgehen kann jedoch
nicht als unlauter i.S.d. § 3 UWG angesehen werden.
Dass die Bekl. durch ihre Handlung gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstoßen hätte, was nach umstrittener Ansicht zur Einordnung als unlautere geschäftliche Handlungen nach § 4 Nr. 11 UWG führen würde
(OLG Köln, Urt. v. 19.11.2010 – 6 U 73/10, CR 2011,
680; a.A. OLG München, Urt. v. 12.1.2012 – 29 U 3926/
11, GRUR-RR 2012, 395), ist nicht vorgetragen und behauptet.
Die Bekl. hat auch nicht gegen § 17 UWG verstoßen.
Zwar sind Kundenlisten, auch selbstgefertigte, als Geschäftsgeheimnis in diesem Sinne zu werten (BGH, Urt.
v. 27.4.2006 – I ZR 126/03, NJW 2006, 3424). Die Bekl.
war jedoch nicht eine bei der Kl. „beschäftigte Person“;
die Vorschrift erfasst nicht Tätigkeiten von Mitgesellschaftern (Köhler/Bornkamm, § 17 Rz. 14). Das Handeln der Bekl. kann auch nicht in Analogie zu § 17 UWG
bzw. nach dessen Rechtsgedanken als unlauter gewertet
werden.
Die Bekl. war als Gesellschafterin Teil der Berufsausübungsgemeinschaft und hat somit in Form der Patientendaten nicht fremde, sondern „auch-eigene“ Geschäftsgeheimnisse an sich genommen und später verwendet. Zwar war dies entgegen der Ansicht der Beklagtenvertreterin nicht nach § 17 Abs. 3 GV ausdrücklich
erlaubt, denn § 17 GV regelt ausdrücklich die Folge der
Beendigung der Gesellschaft, während vorliegend die
Bekl. durch Ausschluss ausgeschieden ist, die Gesellschaft jedoch fortbesteht. Andererseits gilt aber auch,
dass der Gesellschaftsvertrag die Nutzung von Patientendaten durch einen ausscheidenden Gesellschafter weder
regelt noch gar ausdrücklich verbietet.
Ohne besondere gesellschaftsvertragliche Regelung kann
es nicht als unlauter angesehen werden, dass die Bekl.
solche Patienten in sachlicher Weise über die Neueröffnung ihrer Arztpraxis informiert hat, welche auch von
ihr selbst bei der Kl. behandelt wurden. Denn in diesem
Fall handelte es sich um gemeinsame Patienten und damit – auch – um Patienten der Bekl. als Mitgesellschafterin der Berufsausübungsgemeinschaft. Das Gericht vermag nicht zu erkennen, dass nach Ausscheiden der Bekl.
die Kl. mit den verbliebenen Gesellschaftern ein besseres
Recht hinsichtlich dieser Patienten hätte als die Bekl. als
ausscheidende Gesellschafterin.
Insoweit gilt erneut eine bereits oben angestellte Erwägung. Die Versendung der Postkarten ist der Versuch, etwa vorhandenen „Goodwill“ in Form von Patientenbindungen zu realisieren. Grundlage ist die Annahme oder
Hoffnung der Bekl., dass Patienten aufgrund zufriedenstellender Erfahrungen mit ihrer Behandlung sich auch
künftig von der Bekl. behandeln lassen und auf diese
Weise zu ihr „abwandern“. Da die Bekl. nicht dafür entschädigt wurde, dass sie auch auf ihrer Tätigkeit beruhende Patientenbindungen zurücklässt, kann ihr auch
nicht untersagt werden, an diesen weiter zu partizipieren.
ii) Soweit der Unterlassungsantrag darüber hinausgehende Handlungen umfasst, fehlt es mangels einer Wiederholungs- oder Begehungsgefahr i.S.d. § 8 Abs. 1 UWG
an einem Unterlassungsanspruch. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob insoweit auch unerlaubte geschäftliche Handlungen umfasst wären.
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Insbesondere ist von Klägerseite weder substantiiert dargelegt noch unter Beweis gestellt, dass die Bekl. auch Patientendaten von solchen Patienten, die nicht von ihr behandelt wurden, verwendet hat oder verwenden will.
Namentlich gilt dies für Patientendaten aus der Zeit nach
Ausscheiden der Bekl. Ebenso wenig ist dargelegt und
unter Beweis gestellt, dass die Bekl. außer den unstreitig
versandten Postkarten andere Werbemittel, insbesondere
Praxisflyer, unter Verwendung derartiger Daten versandt
hat.
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