Methodische Empfehlungen für sektorale und sekto

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Methodische Empfehlungen für sektorale und sektorenübergreifende Klimawirkungs- und Vulnerabilitätsanalysen
Mareike Buth, Walter Kahlenborn | adelphi
Prof. Dr. Stefan Greiving, Dr. Mark Fleischhauer | plan + risk consult
Dr. Marc Zebisch, Dr. Stefan Schneiderbauer | Europäische Akademie Bozen
August 2015
Inhalt
1 Einleitung ....................................................................................................................................... 3
2 Konzeption einer Klimawirkungs- oder Vulnerabilitätsstudie ........................................................ 4
2.1
Das Vulnerabilitätskonzept ................................................................................................. 4
2.2
Klimawirkungs- und Vulnerabilitätsstudien als Wechselspiel von Analyse und Bewertung 5
2.3
Konkretisierung des Vulnerabilitätskonzeptes .................................................................... 6
3 Umsetzung einer Klimawirkungs- oder Vulnerabilitätsstudie ........................................................ 8
3.1
Klimasignal- und Sensitivitätsszenarien .............................................................................. 8
3.2
Klimawirkungen ................................................................................................................. 10
3.2.1 Akteursbeteiligung im Rahmen von Klimawirkungs- und Vulnerabilitätsstudien ........ 10
3.2.2 Wirkungsketten als Gerüst der Auswahl und Analyse von Klimawirkungen .............. 11
3.2.3 Operationalisierung der ausgewählten sektoralen Klimawirkungen ........................... 14
3.2.4 (Integrierte) Bewertung und Aggregierung der Klimawirkungen ................................. 16
3.3
Anpassungskapazität ........................................................................................................ 18
3.4
Vulnerabilität ..................................................................................................................... 20
4 Kommunikation der Ergebnisse .................................................................................................. 21
5 Literaturverzeichnis ..................................................................................................................... 22
1
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Das Vulnerabilitätskonzept des IPCC (nach Parry et al. 2007) .................................... 4
Abbildung 2: Vulnerabilitätsanalysekonzept des Netzwerks Vulnerabilität ........................................ 7
Abbildung 3: Beispiel für eine Wirkungskette im Handlungsfeld „Industrie und Gewerbe“ .............. 13
Textboxverzeichnis
Zentrale Empfehlungen: Konzeption einer Klimawirkungs- oder Vulnerabilitätsstudie ...................... 8
Zentrale Empfehlungen: Klimasignal- und Sensitivitätsszenarien ................................................... 10
Zentrale Empfehlungen: Auswahl, Analyse und Bewertung von Klimawirkungen ........................... 18
Zentrale Empfehlungen: Anpassungskapazität und Vulnerabilität ................................................... 20
Zentrale Empfehlungen: Dokumentation von Klimawirkungs- und Vulnerabilitätsstudien ............... 21
2
1 Einleitung
Der Klimawandel hat Auswirkungen auf viele Bereiche der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Umwelt. Wie diese aussehen können und welche Systeme besonders verwundbar sind, wird mithilfe von
Klimawirkungs- und Vulnerabilitätsstudien analysiert.
Aber: Es gibt keine einheitliche Definition von Vulnerabilität und das für solche Studien häufig verwendete Konzept aus dem Vierten Sachstandbericht (Assessment Report 4; AR4) des Intergovernmental
1
Panel on Climate Change (IPCC) gibt keine Operationalisierung vor.
Standards zur Durchführung von Klimawirkungs- und Vulnerabilitätsstudien sind daher nicht vorhanden und viele Studien betreten methodisches Neuland. Möchte man also verschiedene Studien miteinander vergleichen – beispielsweise, um die Forschungsergebnisse zu Klimawirkungen für eine bestimmte Region aus verschiedenen Studien zusammenzutragen – wird dies meist dadurch behindert,
dass die Studien hinsichtlich des methodischen Ansatzes sowie der verwendeten Modelle deutlich
voneinander abweichen.
Dies haben die Arbeiten im Vorhaben „Netzwerk Vulnerabilität“ bestätigt: Eine Auswertung von 285
Klimawirkungs- und Vulnerabilitätsanalysen für Deutschland hat gezeigt, dass die Studien von großer
Heterogenität gekennzeichnet sind. Besonders die verschiedenen methodischen Ansätze und die
Unterschiede in der Dokumentation der verwendeten Modelle, Daten und Quellen sind wesentliche
Gründe für die geringe Vergleichbarkeit und schwierige Interpretation der Forschungsergebnisse.
Vor diesem Hintergrund will das vorliegende Politikpapier eine Diskussionsgrundlage schaffen, wie
Standards für Klimawirkungs- und Vulnerabilitätsanalysen aussehen können, welche Methoden zu
empfehlen sind und wie eine bessere Vergleichbarkeit der Studien erreicht werden kann. Es setzt
dafür an zentralen Lücken des Vulnerabilitätskonzeptes sowie an den Erfahrungen des Netzwerks
2
Vulnerabilität an. Ziel ist die Erarbeitung vergleichbarer Forschungsergebnisse sektoraler und sektorenübergreifender Klimawirkungs- und Vulnerabilitätsanalysen auf Bundes- und Landesebene. Zentrale Empfehlungen werden am Ende einiger Kapitel dieses Papiers in Textboxen zusammengefasst. Sie
wurden im Rahmen eines Methodikworkshops als Teil der Fachkonferenz „Vulnerabilität Deutschlands
gegenüber dem Klimawandel“ am 01. Juni 2015 in Berlin mit Vertretern/innen aus Wissenschaft und
Praxis diskutiert. Anregungen und Ergebnisse dieser Diskussionen sind in das vorliegende Papier
eingeflossen.
Adressaten des Politikpapiers sind vor allem Bundes- und Landesbehörden, Fördergeber auf Bundesund Landesebene, Forschungs- und Beratungseinrichtungen, die zu den Themen Klimafolgen und
Vulnerabilität arbeiten, aber auch analoge Einrichtungen und Institutionen auf EU-Ebene und in den
EU-Partnerländern. Von Bedeutung sind die Erkenntnisse und Empfehlungen dieses Politikpapieres
schließlich auch im Rahmen des NAPA-Prozesses (National Adaptation Programmes of Action) und
damit für Einrichtungen der Entwicklungszusammenarbeit beziehungsweise der technischen und finanziellen Zusammenarbeit mit Entwicklungs- und Schwellenländern.
1
Unter „Operationalisierung“ versteht man einen „Prozess, in welchem theoretische Begriffe zu deskriptiven Zwecken in der
Weise definiert werden, dass die Sachverhalte, auf die sich die theoretischen Begriffe beziehen, empirisch beobachtbar und
messbar werden“. (Nohlen 2005)
2
Im Rahmen dieses Politikpapiers wird der Begriff „Sektor“ synonym zu den Handlungsfeldern verwendet, wie sie im Rahmen
der Deutschen Anpassungsstrategie definiert sind.
3
2 Konzeption einer Klimawirkungs- oder Vulnerabilitätsstudie
2.1
Das Vulnerabilitätskonzept
Der IPCC beschreibt Vulnerabilität in seinem vierten Sachstandsbericht als das Maß, zu dem ein
System gegenüber nachteiligen Auswirkungen der Klimaänderung, einschließlich Klimavariabilität und
Extremwerte, anfällig ist und nicht damit umgehen kann. Vulnerabilität ist eine Funktion der Art, des
Ausmaßes und der Geschwindigkeit der Klimaänderung und -schwankung, der ein System ausgesetzt
ist, seiner Sensitivität und seiner Anpassungskapazität (Parry et al. 2007; siehe Abbildung 1). Detaillierte Aussagen zu dieser Funktion und zum Zeitbezug der Elemente von Vulnerabilität werden nicht
getroffen.
Abbildung 1: Das Vulnerabilitätskonzept des IPCC (nach Parry et al. 2007)
Das ursprüngliche Konzept des IPCC stellt keinen Zeitbezug her. Da dieser für seine Anwendung aber
wesentlich ist, hat das Netzwerk Vulnerabilität die Elemente der Vulnerabilität wie folgt definiert (siehe
auch Abbildung 2 auf Seite 7).
Das Klimasignal (exposure) beschreibt die für eine Klimawirkung relevanten Klimaparameter des
heutigen Klimas (t0) beziehungsweise des Klimas in der Zukunft (t>0). Die Veränderung zwischen t0
und t>0 beschreibt Klimaveränderungen wie steigende Temperaturen, Veränderungen im Niederschlag, Veränderungen von Wetterextremen. Systemisch betrachtet ist die Klimawirkung zu einem
bestimmten Zeitpunkt von dem Zustand des Klimas zu diesem Zeitpunkt und der Sensitivität des Systems zu dem Zeitpunkt bestimmt.
Die Sensitivität (sensitivity) beschreibt, in welchem Maße ein bestehendes nicht klimatisches System
(Sektor, Bevölkerungsgruppe, aber auch biophysikalische Faktoren) bereits auf ein definiertes Klima4
signal reagiert. Die Sensitivität zum Zeitpunkt t0 ist damit abhängig vom Status quo des Systems, während die Sensitivität zum Zeitpunkt t>0 die Reaktion des zukünftigen Systems auf ein Klima in der Zukunft beschreibt. Das Delta (Differenz) aus der Sensitivität t0 und t>0 beschreibt die Veränderung des
Systems. Es sollte zwischen der Sensitivität des heutigen Mensch-Umwelt-Systems gegenüber dem
heutigen Klima und der Sensitivität des zukünftigen Mensch-Umwelt-Systems gegenüber dem zukünftigen Klima unterschieden werden.
Eine Klimawirkung (impact) beschreibt zum Zeitpunkt t0 die Wirkung des heutigen Klimas auf das
heutige System beziehungsweise zum Zeitpunkt t>0 die Wirkung des zukünftigen Klimas auf ein zukünftiges System. Aus dem Delta der Klimawirkungen t0 und t>0 lässt sich die potenzielle Wirkung des
Klimawandels (potential impact), aber auch anderer Veränderungsprozesse ablesen.
Die Anpassungskapazität (adaptive capacity) ist die Fähigkeit eines Systems, sich an den Klimawandel anzupassen und potenziellen Schaden zu mindern. Sie bezieht sich definitorisch immer auf
die Zukunft beziehungsweise die Möglichkeit, zukünftig zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen, Vorsorge zu betreiben oder auf Ereignisse zu reagieren. Es handelt sich also um mögliche Vermeidungs-,
Minderungs- oder Schutzmaßnahmen, die über das bereits Bestehende hinausgehen. In der Vergangenheit getroffene Anpassungsmaßnahmen wie die Errichtung eines Bewässerungssystems, um sich
vor klimatischer Trockenheit zu schützen, fließen in die Bewertung der Sensitivität mit ein.
In seinem fünften Sachstandsbericht hat der IPCC ein neues Vulnerabilitätskonzept eingeführt, das
dem Risikokonzept angenähert ist. Das alte Verständnis, so wie es im vierten Sachstandsbericht dargelegt wurde, findet aber noch in vielen Studien Verwendung. Nach Meinung der Autoren/innen ist die
Übertragung des Risikokonzepts in den Kontext von Klimawandel, die im fünften Sachstandsbericht
vorgenommen wurde, noch nicht ausgereift. Der Vorteil des hier beschriebenen alten Konzeptes ist
unter anderem, dass es von Möglichkeiten, nicht von Wahrscheinlichkeiten spricht (wie es für einen
„echten“ Risikoansatz notwendig wäre). Die Wahrscheinlichkeit des Eintretens einer Klimawirkung zu
errechnen, ist mit großer Unsicherheit verbunden, da dies sowohl Angaben zur Wahrscheinlichkeit
des verwendeten Klimaszenarios als auch der betrachteten sozioökonomischen und technischen
Entwicklung voraussetzt.
2.2
Klimawirkungs- und Vulnerabilitätsstudien als Wechselspiel von Analyse
und Bewertung
Vulnerabilität ist nicht unmittelbar messbar. Hinter dem Vulnerabilitätsbegriff steht ein Konzept, das
helfen soll, potenzielle Klimawirkungen auf ein System und dessen Möglichkeiten, mit diesen Klimawirkungen umzugehen oder sich darauf vorzubereiten, fassbar zu machen. Hierbei spielen physische,
aber auch ökonomische und soziale Faktoren eine Rolle. Nicht alle davon können quantitativ erfasst
werden. Hinzu kommt, dass Vulnerabilität niemals vollständig und final abgebildet werden kann. Dazu
ist erstens die Unsicherheit zu groß, mit der zukünftige Entwicklungen (zum Beispiel hinsichtlich des
Klimas, aber auch sozialer und technischer Entwicklungen) vorhergesagt werden können, aber auch
die Anzahl der Faktoren, die die Klimawirkungen auf ein System und seine Anpassungskapazität bestimmen. Das gilt umso mehr, je komplexer das betrachtete System ist.
Die Analyse und Bewertung von Klimawirkungen und Vulnerabilität ist immer auch ein normativer
Vorgang. Die Reihe der normativen Entscheidungen, die im Rahmen einer solchen Analyse getroffen
werden müssen, beginnt bei der Abgrenzung des betrachteten Systems. Welche Region, welche Sek5
toren oder Systeme sollen betrachtet werden und wie werden sie definiert? Normative Entscheidungen werden getroffen bei Auswahl der Klimamodelle und -szenarien, der Frage, ob ein einzelnes Modell oder ein Modellensemble gewählt wird, der Auswahl der betrachteten Klimawirkung, der Wahl der
Indikatoren für die einzelnen Klimawirkungen und die Anpassungskapazität, der Auswahl der einzubeziehenden Experten/innen und so weiter. Auch die Bewertung der Vulnerabilität auf Basis der erarbeiteten Ergebnisse zu Klimawirkungen und Anpassungskapazität ist ein normativer Vorgang, denn es
gibt keine allgemeingültige Vorschrift, wie diese Ergebnisse zu einem Vulnerabilitätswert zusammengeführt werden müssen. Nach Erfahrung des Netzwerks Vulnerabilität gibt es selbst für viele Klimawirkungen keine wissenschaftlich gesicherten Bewertungsmaßstäbe wie Schwellenwerte etc. In diesen Fällen müssen eigene Bewertungskriterien definiert werden.
Wichtig für die Interpretation der Ergebnisse ist in jedem Fall, dass normative Entscheidungen und
Bewertungen, sprich die Wertebene, deutlich von der Sachebene, also wissenschaftlich-objektiv bestimmbaren Fakten, unterschieden wird. Alle normativen Vorgänge und Entscheidungen müssen
transparent dargestellt werden. Nur so können die Ergebnisse von außen nachvollzogen werden.
In der Regel werden Klimawirkungs- und Vulnerabilitätsstudien für einen bestimmten Zweck, etwa die
Identifikation und Planung von Anpassungsmaßnahmen oder die Evaluation eines Anpassungserfolges, durchgeführt. Sie dienen damit der politischen oder administrativen Entscheidungsvorbereitung.
Dieser Zweck sollte bei allen normativen Entscheidungen Berücksichtigung finden. Er sollte klar definiert sein, auch weil eine Vulnerabilitätsstudie eine Momentaufnahme ist: Die Bewertung einer Klimawirkung, der Sensitivität oder Anpassungskapazität basiert auf Erfahrungen und Wissen der Bewertenden, die sich schnell erweitern können. So kann ein einzelnes Extremereignis die Bewertung damit
zusammenhängender Klimawirkungen verändern. Auch darum ist es sehr wichtig, die getroffenen
Bewertungen und ihre Begründung gut zu dokumentieren, vor allem wenn Vulnerabilitätsstudien dem
Monitoring oder der Evaluation von Anpassungsstrategien und -maßnahmen dienen sollen. Denn
dann ist es wichtig zu wissen, ob sich ein Ergebnis bei einem wiederholten Durchlauf der Methode
aufgrund der erfolgten Anpassung oder aufgrund einer veränderten Wahrnehmung der Situation geändert hat.
Dient eine Klimawirkungs- oder Vulnerabilitätsstudie darüber hinaus der Entscheidungsvorbereitung
auf politischer Ebene, sollten normative Entscheidungen und Bewertungen von einem legitimierten
Gremium getroffen werden. Das erhöht die Akzeptanz der Ergebnisse deutlich.
2.3
Konkretisierung des Vulnerabilitätskonzeptes
Das Vulnerabilitätskonzept des IPCC enthält keine Vorgaben zu seiner Operationalisierung. Wie zum
Beispiel Klimasignal und Sensitivität zur Klimawirkung zusammengeführt werden sollen, wird nicht
näher erläutert. Wie beschrieben, ist es auch im Zeitbezug nicht eindeutig. Zwar weist der Begriff „Anpassungskapazität“ darauf hin, dass es um die Vulnerabilität gegenüber künftigen Ereignissen geht,
aber konkreter wird das Konzept hier nicht. Daher muss das Vulnerabilitätskonzept für die praktische
Anwendung konkretisiert werden.
Mit seinem Ansatz einer Vulnerabilitätsanalyse (Abbildung 2) hat das Netzwerk Vulnerabilität ein System entwickelt, das im Zeitbezug klare Aussagen erlaubt und Möglichkeiten zur Anpassung konsistent
und zentral abbildet. Besonders wichtig ist dabei die klare Bezugsebene von Sensitivität und Klima-
6
wirkung: Wer ist sensitiv? Wo? Gegenüber was? Und wann? Bestehende Sensitivitäten eines Systems werden ebenso berücksichtigt wie projizierte.
Das Netzwerk Vulnerabilität betrachtete drei Zeitebenen. Die Klimawirkung in der Gegenwart (im Sinne einer Wirkung von Klimavariabilität und Klimaextremen auf den Status quo des Systems) wurde in
die Bewertung einbezogen. Darüber hinaus wurde eine nahe und eine ferne Zukunft betrachtet. Die
nahe Zukunft (die nächsten 15 bis 30 Jahre) ist für politische Entscheidungen oft entscheidender, als
die in Klimastudien häufig verwendete ferne Zukunft bis zum Jahr 2100. Für einzelne Sektoren und
Systeme, die sehr lange Zeiträume zur Anpassung brauchen wie Waldökosysteme, ist die ferne Zukunft aber wesentlich. Anpassungskapazität und Vulnerabilität sind ausschließlich zukunftsgerichtete
Elemente. Das heißt, dass Anpassungskapazität die heutigen Möglichkeiten abbildet, die Klimawirkung der Zukunft zu verringern, und somit Vulnerabilität auf künftige Entwicklungen ausgerichtet ist.
Abbildung 2: Vulnerabilitätsanalysekonzept des Netzwerks Vulnerabilität
Hinweis: Im Rahmen der Analyse des Netzwerks Vulnerabilität umfasste die nahe Zukunft den Zeitraum
2021 bis 2050 und die ferne Zukunft 2071 bis 2100. Die Anpassungskapazität und die Vulnerabilität wurden für die nahe Zukunft, nicht aber für die ferne Zukunft betrachtet.
7
Zentrale Empfehlungen: Konzeption einer Klimawirkungs- oder Vulnerabilitätsstudie
1. Der Zweck der Klimawirkungs- oder Vulnerabilitätsstudie muss bei ihrer Konzipierung und
der Auswahl der Methoden berücksichtigt werden. Von ihm hängen das angestrebte Zielsystem (Art des Ergebnisses) und etwaige Bewertungsschemata ab.
2. Es gibt mehrere Vulnerabilitätskonzepte. Zu Beginn jeder Klimawirkungs- oder Vulnerabilitätsstudie muss festgelegt werden, welchem Konzept gefolgt wird. Dabei muss der Zweck
der Studie Berücksichtigung finden.
3. Es ist wichtig, zu Beginn der Studie alle zentralen Begriffe eindeutig zu definieren.
4. Im Allgemeinen beinhalten Vulnerabilitätskonzepte selten Vorgaben für ihre Operationalisierung. Daher sollte die Definition und Operationalisierung der zentralen Begriffe (gleich der
Elemente von Vulnerabilität) im Einzelnen beschrieben werden.
5. Schließlich sollten mit Blick auf das Ziel der Studie der Untersuchungsraum, die räumliche
Auflösung und die Untersuchungszeiträume festgelegt werden. Empfohlen wird, die Gegenwart als Referenzzeitraum, einzubeziehen. Für politische Empfehlungen eignet sich der Ausblick in die nahe Zukunft (etwa die nächsten 15 bis 30 Jahre). Für langfristige Entwicklungen
und Planungen kann zudem die ferne Zukunft einbezogen werden (bis zum Ende des Jahrhunderts).
3 Umsetzung einer Klimawirkungs- oder Vulnerabilitätsstudie
3.1
Klimasignal- und Sensitivitätsszenarien
Wie oben beschrieben, sollten Klimasignale und Sensitivitäten für die Gegenwart und die Zukunft betrachtet werden. Ein Vergleich von Gegenwart und Zukunft bildet dann mögliche Veränderungen ab.
Für die Gegenwart stehen häufig Messdaten zur Verfügung. Für die Zukunft hingegen sollte sowohl
für Klimasignale als auch für Sensitivitäten, wo immer möglich, auf Projektionen zurückgegriffen werden.
Das Klima der Zukunft wird in der Regel mithilfe der Modellkette „Emissionsszenario – globales Klimamodell – regionales Klimamodell“ abgebildet. Um die Bandbreite der Unsicherheiten in den zu erwartenden Klimaänderungen zu beschreiben, ist es gegenwärtig allgemein anerkannter Stand der Technik, mit einem sogenannten Ensemble von Klimaprojektionen, die auf verschiedenen Kombinationen
von globalen und regionalen Klimamodellen basieren, zu arbeiten.
Dabei ist allerdings zu prüfen, welche Anforderungen die ausgewählten Klimasignal- und Klimawirkungskennwerte an die Klimaszenarien stellen. Denn die Bereitstellung von Zeitreihen mit konsistenten Parametern wie Tageswerte für Temperatur und Niederschlag für die hydrologische Modellierung
stellen für die oftmals notwendige Bias-Korrektur der Klimaprojektionen und den Ensemble-Ansatz
eine nicht trivial zu lösende Herausforderung dar. In jedem Fall sollte das Modell-Ensemble den gesamten Untersuchungsraum flächendeckend abbilden, aus ausreichend vielen Modelläufen bestehen
und auf einem zuvor festgelegten Emissionsszenario basieren.
Auch für die sozio-ökonomischen Faktoren von Sensitivität sollte, wo möglich, auf mit den Klimaszenarien zeitlich konsistente Szenarien zurückgegriffen werden. Vor allem für die nahe Zukunft (bis
2030) können einige der Parameter quantitativ projiziert werden. Auf diese Weise kann herausgear8
beitet werden, welche Klima- beziehungsweise Sensitivitätsparameter letztlich für die beobachteten
oder projizierten Klimawirkungen maßgeblich sind. Auch kann über eine Verwendung mehrerer sozioökonomischer Szenarien auf Seiten der Sensitivität analog zum Klimasignal den bestehenden Unsicherheiten Rechnung getragen werden.
Aktuell ist es häufig noch so, dass in vielen Studien nur das Klimasignal in die Zukunft projiziert wird,
der Zeitbezug der anderen Elemente von Vulnerabilität aber nicht definiert ist oder der gegenwärtige
Zustand als Referenz angeführt wird. Das heißt aber, dass das System, so wie es ist, einem zukünftigen Klimawandel ausgesetzt wird; als würde der Klimawandel bis zum Jahr 2050 bereits morgen eintreten. Da dies die Unsicherheit der Ergebnisse erhöht, wird dazu geraten, diese konzeptionelle Inkonsequenz zu umgehen, wo immer möglich. Im Rahmen des Netzwerks konnten in erster Linie für
die Bevölkerungsentwicklung und die Landnutzung in naher Zukunft Projektionen verwendet werden.
Für die ferne Zukunft und andere sozio-ökonomische Parameter lagen häufig keine Projektionen vor.
Dies könnte aber künftig ausgebaut werden.
Sofern möglich, wird sowohl auf Seiten des Klimasignals als auch auf Seiten der Sensitivität die Betrachtung von mindestens zwei alternativen Szenarien empfohlen, da auf diese Weise die Bandbreite
möglicher Entwicklungen abgebildet und Unsicherheiten kommuniziert werden können. In diesem Fall
müssen für die Analyse der Klimawirkungen Szenariokombinationen ausgewählt werden. Im Rahmen
der Analyse des Netzwerks Vulnerabilität wurden für die nahe Zukunft ein „schwacher“ Wandel (Klimawandel tritt weniger stark ein, moderate sozio-ökonomische Entwicklung mit sinkendem Anstieg
des Flächenverbrauchs) und ein „starker“ Wandel (Klimawandel tritt stark ein, dynamische sozioökonomische Entwicklung mit weiter steigendem Anstieg des Flächenverbrauchs) gewählt. Die Auswahl einer zusätzlichen Kombination „mittlerer Wandel“ wird sich in der Regel nicht lohnen, da die
Abgrenzung zu den beiden anderen Szenariokombinationen nicht deutlich genug ist und die Interpretierbarkeit der Ergebnisse durch die hohe Zahl von Ergebniskarten eingeschränkt würde. Es muss
darauf hingewiesen werden, dass ein starker (lokaler) sozioökonomischer Wandel nicht ursächlich mit
einem starken (globalen) Klimawandel verknüpft sein muss. Daher ist zu erwägen, ob eine Kreuzkombination der sozioökonomischen und klimatischen Szenarien sinnvoll sein kann, um beispielsweise zu
identifizieren, ob die Klimawirkungen mehr durch den klimatischen oder den sozioökonomischen Wandel angetrieben werden.
Es wird angeregt, im Ergebnis von „Vulnerabilitätsszenarien“ oder von einer „Vulnerabilitätsmatrix“ zu
sprechen, die als Ergänzung zu der auf einem Gegenwartsbezug fußenden „Vulnerabilitätsanalyse“
die Diskussion über sektorale und räumliche Anpassungserfordernisse befruchten sollen. Um Unklarheiten zu vermeiden, sollte in diesem Fall aber klar definiert werden, was mit den Begriffen gemeint
ist.
9
Zentrale Empfehlungen: Klimasignal- und Sensitivitätsszenarien
1. Um bestehende Unsicherheiten hinsichtlich der Klimaentwicklung zu kommunizieren und zu
bewerten, sollte mit einem Ensemble von Klimaprojektionen gearbeitet werden. Im Rahmen
des gewählten Ensembles von Klimaprojektionen gestattet die Verwendung eines 15. und 85.
Perzentils die Angabe einer statistisch gesicherten Bandbreite einer möglichen Entwicklung.
2. Um ein möglichst umfangreiches Ensemble von Klimaprojektionen zu nutzen, wird in der Regel ein Emissionsszenario mit vielen globalen und regionalen Projektionsläufen, wie das
SRES-Szenario A1B gewählt. Wenn die Auswirkungen sozio-ökonomischer Unsicherheiten
auf die Bandbreite möglicher Klimasignale untersucht werden soll, ist es am sinnvollsten,
mehrere Klimaprojektionsensembles, basierend auf unterschiedlichen Szenarien, zu bilden
und die jeweiligen Auswertungen miteinander zu vergleichen.
3. Neben einem Modellensemble muss das Emissions- beziehungsweise Konzentrationsszenario festgelegt werden, das verwendet werden soll. Bislang hat das SRES-Szenario A1B die
Entwicklung der Treibhausgasemissionen am realistischsten abgebildet. Mit dem fünften
Sachstandsbericht des IPCC wurden neue Szenarien (representative concentration pathways
(RCPs)) veröffentlicht.
4. Nicht nur das Klima ändert sich, sondern auch die Systeme, auf die es wirkt. Daher sollte, wo
möglich, für die Betrachtung der künftigen Sensitivität auf Sensitivitätsszenarien zurückgegriffen werden, vor allem für die sozio-ökonomischen Faktoren von Sensitivität. Diese Sensitivitätsszenarien sollten mit den Klimaszenarien (zeitlich und räumlich) konsistent sein.
5. Klimasignal und Sensitivitätsszenarien sollten zu Szenariokombinationen zusammengefasst
werden. Sofern möglich, wird die Betrachtung von mindestens zwei alternativen Szenariokombinationen (starker und schwacher Wandel) empfohlen, da auf diese Weise die Bandbreite möglicher Entwicklungen abgebildet werden kann. Die Auswahl einer Kombination
„mittlerer Wandel“ wird sich dann nicht lohnen, wenn die Abgrenzung zu den beiden anderen
Szenariokombinationen nicht deutlich genug ist und die Interpretierbarkeit der Ergebnisse
durch die hohe Zahl von Ergebniskarten eingeschränkt wird.
3.2
Klimawirkungen
3.2.1 Akteursbeteiligung im Rahmen von Klimawirkungs- und Vulnerabilitätsstudien
Die Analyse und Bewertung von Klimawirkungen und Vulnerabilitäten sollten mit einer Gruppe von
Fachakteuren/innen durchgeführt werden, die das Untersuchungsfeld fachlich abdecken und für normative Entscheidungen legitimiert sind, beispielsweise durch eine Mandatierung der zuständigen
Ressorts. Ein Netzwerk von Fachakteuren/innen wird benötigt, weil

die Analysen häufig sektorenübergreifend angelegt sind,

Wertentscheidungen zu treffen sind und

eine Beteiligung der Adressaten bewirkt, dass sie sich diese die Analyse zu Eigen machen und
Handlungen ableiten.
Es werden gemeinsame, sektorenübergreifende und sektorspezifische Entscheidungen notwendig
sein, etwa bei der Auswahl der betrachteten Klimawirkungen, der Bewertung ihrer Bedeutung und der
Bewertung des Grades der Gewissheit einzelner Ergebnisse. Bei Mehrheitsentscheidungen ist auf die
Repräsentativität der Beteiligten zu achten. Der Konsens in der Gruppe der beteiligten Fachakteure/innen ist dann als Äquivalent zur rechtlichen bzw. technischen Normierung zu betrachten.
10
Die Zusammenarbeit zwischen den Projektbearbeitern/innen (Arbeitsebene) und den beteiligten Fachakteuren/innen (Entscheidungsebene) sollte so organisiert werden, dass Entscheidungsgrundlagen
und Analyseschritte von der Arbeitsebene vorbereitet und das grundsätzliche Vorgehen dann von den
beteiligten Fachakteuren/innen entschieden wird. Diese sollten zudem mit Daten, Modellergebnissen
und Expertenwissen zur Analyse beitragen. Die Durchführung und Erarbeitung der Ergebnisse, einschließlich einer wissenschaftlich-objektiven Abschätzung, obliegt dann wieder weitgehend der Arbeitsebene. Die normative Bewertung der Ergebnisse und die Qualitätskontrolle führt die Entscheidungsebene durch, ggf. werden externe Kompetenzen hinzugezogen. Diese Arbeitsweise setzt eine
stetige und kontinuierliche Kommunikation voraus. Sie muss von der Projektleitung und vom Auftraggeber aktiv befördert und organisiert werden (zum Beispiel regelmäßige Treffen zur Abstimmung zentraler Analyseschritte und Ergebnisse, ggf. politische Unterstützung und Bereitstellung von personellen
Kapazitäten). Ergänzend zu den inhaltlichen Diskussionen können Expertenworkshops veranstaltet
werden, zu denen ausgewählte externe Experten/innen geladen werden, um weiteres Expertenwissen
für die Analyse nutzbar zu machen. Möglich ist auch, den ganzen Prozess der Beteiligung stärker
wissenschaftsgeleitet zu initiieren und durch die Einbindung einer größeren Zahl von Wissenschaftlern/innen die allgemeine Expertise sowie den Einbezug aktueller Forschungsergebnisse zu stärken.
Die Beteiligung einer großen Zahl von Fachakteuren/innen mit unterschiedlichem Hintergrund birgt
auch gewisse Risiken, sodass eine entsprechende Vorhaltung personeller, finanzieller und zeitlicher
Ressourcen empfohlen wird. So führt beispielsweise die sektorale Perspektive der Fachakteure/innen
zum Teil zur Betonung handlungsfeldspezifischer Details in einzelnen Diskussionen, die für eine Betrachtung des Gesamtsystems eine eher untergeordnete Rolle spielen. Dadurch ziehen sich Entscheidungsfindungsprozesse oftmals in die Länge. Die Diskussion und Abstimmung solcher Fragen ist
jedoch wichtige Voraussetzung für eine breite Akzeptanz und Transparenz der Ergebnisse der Vulnerabilitätsanalyse. Insofern ist der dadurch entstandene Zeitaufwand in der Regel gerechtfertigt und
sollte von vornherein im Zeitplan berücksichtigt werden.
Sofern gewünscht, sollten auch nachgeordnete oder übergeordnete Ebenen beteiligt werden. Für
deutschlandweite Studien wird empfohlen, die Bundesländer – vor allem die Landesumweltministerien
und -ämter – an unterschiedlichen Stellen frühzeitig einzubinden und zu informieren (etwa über den
Ständigen Ausschuss zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels). Dies sollte primär dazu dienen, Methodik und Ergebnisse der Vulnerabilitätsanalyse vorzustellen und gemeinsam abzustimmen.
Auf Länderebene durchzuführende Studien sollten insbesondere auch die kommunale Ebene zumindest informieren. Die Akzeptanz der Ergebnisse durch die breite Öffentlichkeit kann zudem dadurch
gestärkt werden, dass zivilgesellschaftliche Akteure/innen an der Analyse und Bewertung beteiligt
werden.
3.2.2 Wirkungsketten als Gerüst der Auswahl und Analyse von Klimawirkungen
Um die Ursache-Wirkungsbeziehung zwischen Klimasignalen und möglichen Klimawirkungen zu analysieren, wird empfohlen, für jedes Handlungsfeld sogenannte Wirkungsketten zu erstellen (ein Beispiel ist in Abbildung 3 zu sehen). Dabei werden sowohl direkte Auswirkungen des Klimas auf biophysikalische und sozioökonomische Systeme betrachtet (zum Beispiel die Veränderung von Frequenz und Magnitude von Hochwasser an bestimmten Flüssen; Auswirkungen der Hitzebelastung auf
die menschliche Gesundheit) als auch indirekte Klimawirkungen (Auswirkungen veränderter Hochwasserhäufigkeiten auf sensitive Systeme wie Menschen oder Sachgüter). Die Wirkungsketten verdeutlichen, welches Klimasignal welche möglichen Klimawirkungen beeinflusst und stellen damit das
11
Grundgerüst für die Vulnerabilitätsanalyse dar. Zudem dienen sie als wichtiges Kommunikationswerkzeug, um mit den beteiligten Akteuren/innen klar zu vereinbaren, was analysiert wird und welche klimatischen und sozioökonomischen Parameter eine Rolle spielen.
Für zukünftige Analysen ist zu empfehlen, auch die Sensitivität in den Wirkungsketten abzubilden –
vor allem bei einfachen Wirkungsketten. So stellen sie das vollständige Analysegerüst für die Betrachtung der Klimawirkungen dar. Werden jedoch sehr komplexe Systeme abgebildet, die von vielen verschiedenen Klimawirkungen betroffen sein können, kann die Integration der Sensitivität die Übersichtlichkeit und Handhabbarkeit der Wirkungsketten einschränken.
Wirkungsketten können auch als Basis für die Analyse der Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Handlungsfeldern dienen, indem sie solche Beziehungen aufzeigen (etwa, wenn gleiche Klimawirkungen in mehreren Handlungsfeldern von Bedeutung sind oder eine Klimawirkung in einem
Handlungsfeld eine Klimawirkung in einem anderen Handlungsfeld verursacht). Dies ist für sektorenübergreifende Analysen von großer Relevanz.
Von einer großen Zahl identifizierter möglicher Auswirkungen des Klimawandels sollten die für den
jeweiligen Untersuchungsraum relevanten Klimawirkungen ausgewählt werden. Es wird empfohlen,
auf Arbeitsebene zusammen mit den beteiligten Fachakteuren/innen und aufbauend auf vorhandenem
(Literatur-)Wissen einfache Wirkungsketten zunächst für alle relevanten Klimawirkungen zu entwickeln, unabhängig ob diese Wirkungen mit Modellen, Indikatoren oder auch über Expertenwissen
abgedeckt werden können. Anschließend kann durch die Entscheidungsebene eine Auswahl der Klimawirkungen vorgenommen werden, die im Rahmen der jeweiligen Studie für den jeweiligen Zweck
geeignet erscheinen. Dies hat den Vorteil, dass fachliche beziehungsweise regionale oder lokale Befindlichkeiten berücksichtigt werden können, was letztlich die Akzeptanz der Analyseergebnisse erhöht. Die Auswahlkriterien sollten auf den Zweck der Untersuchung abzielen und können die soziale,
wirtschaftliche, ökologische und kulturelle sowie flächenhafte Bedeutung für den jeweiligen Untersuchungsraum umfassen. Je konkreter der Zweck zuvor definiert worden ist, umso konkretere Auswahlkriterien können identifiziert werden.
12
Abbildung 3: Beispiel für eine Wirkungskette im Handlungsfeld „Industrie und Gewerbe“
13
3.2.3 Operationalisierung der ausgewählten sektoralen Klimawirkungen
3.2.3.1 Wege der Operationalisierung
Für die Operationalisierung der ausgewählten Klimawirkungen sollten in Expertenworkshops relevante
Sensitivitäten diskutiert werden und es sollte gemeinsam mit den beteiligten Fachakteuren/innen eine
methodische Herangehensweise identifiziert werden, die die Grundlage für die weiteren Bewertungsschritte darstellt. Dies empfiehlt sich insbesondere dann, wenn Experten/innen einen ganz konkreten
fachlichen oder räumlichen Bezug zu den ausgewählten Klimawirkungen haben und/oder über Zugang zu für die Operationalisierung geeigneten Daten verfügen.
In jedem Fall empfiehlt sich die Verwendung von klar definierten Indikatoren. Diese können quantitativ
sein (zum Beispiel Anzahl der Heißen Tage im Jahr als Indikator für Wärmebelastung), aber auch
semi-quantitativ in einem klar definierten Bewertungssystem (zum Beispiel Grad der Information über
den Klimawandel). Die Indikatorenauswahl ist eine Frage der Zweckmäßigkeit, denn es ist, besonders
im Kontext von Vulnerabilitätsanalysen, unmöglich, alle Klimawirkungen in allen Details und mit ihren
Beziehungen exakt abzubilden. Eine höhere Anzahl von Indikatoren schafft zwar in der Breite eine
höhere Genauigkeit, die Verknüpfung mehrerer Indikatoren kann aber auch zu einer wachsenden
Fehleranfälligkeit und zu weniger Transparenz führen. Folglich muss die Wahl eines jeden Indikators
in der Hinsicht gerechtfertigt werden können, dass mit seiner Hilfe ein deutlicher Informationszuwachs
erzielt wird.
Das Vorgehen bei der Bewertung der Klimawirkungen sollte für die Zeiträume Gegenwart (t0) und
(nahe) Zukunft (t>0) jeweils der gleichen Methodik folgen, wenn die Ergebnisse verglichen werden
sollen. Neben den Zuständen des Systems zu einem bestimmten Zeitpunkt sollte auch die Veränderung zwischen den Zeiträumen betrachtet werden, weil die Stärke und Geschwindigkeit der Änderungen zwischen Gegenwart und naher Zukunft erste Einschätzungen für die ferne Zukunft erlaubt, solange keine Schwellenwerte und Kipp-Punkte überschritten werden oder nicht-lineare Prozesse berücksichtigt werden müssen. Eine solche vereinfachte Einschätzung der fernen Zukunft ist notwendig,
wenn diese aufgrund fehlender (qualitativer und quantitativer) Sensitivitätsprojektionen (Klimaprojektionen liegen bis zum Jahr 2100 vor) nicht analysiert werden kann.
Für die Analyse der derzeitigen Auswirkungen des Klimas und jener in der nahen Zukunft bestehen
drei grundsätzliche methodische Herangehensweisen (Operationalisierungsmethoden):
1. Sind Wirkmodelle zur Abschätzung der Klimawirkungen vorhanden, die die komplexen und
häufig nicht linearen Zusammenhänge zwischen Klimasignalen und Sensitivitätsparametern
abbilden, werden ihre Ergebnisse genutzt. Dabei muss darauf geachtet werden, welche Annahmen den Modellen zu Grunde liegen und ob sie mit den Grundannahmen des Vorhabens
vereinbar sind.
2. In Fällen, in denen nicht auf vorhandene Wirkmodelle aufgebaut werden kann, sollte eine Parametrisierung der Auswirkungen über von Experten/innen benannte Proxyindikatoren für die
Kernelemente Klimasignal und Sensitivität stattfinden, das heißt für jede Klimawirkung werden
ein oder mehrere Klimasignale und Sensitivitätsindikatoren verwendet. Die Auswahl der Indikatoren hängt dabei unter anderem von der räumlichen Auflösung ab.
Für die Verschneidung der Informationen zu Klimasignal und Sensitivität empfiehlt sich eine
Normalisierung auf eine dimensionslose Skala zwischen 0 und 1 zur Vereinheitlichung der
14
Maße und Skalen aller Kennwerte. Im besten Fall kann der Wertebereich dabei mit Hilfe von
abgestimmten oder wissenschaftlich-objektiv ermittelten Schwellenwerten normalisiert werden. Ist das nicht möglich, kann eine sogenannte Min-Max-Normalisierung erfolgen. Dabei
nimmt der über alle betrachteten Zeiträume kleinste Wert den Wert „0“ an, der größte Wert
entsprechend den Wert „1“. Klar kommuniziert werden muss, dass Klimawirkungswerte, die
mithilfe einer Min-Max-Normalisierung entstanden sind, keine Informationen zu Stärke oder
Kritikalität einer Klimawirkung enthalten. Denn es kann nicht implizit davon ausgegangen werden, dass der höchste/niedrigste Wert einen optimalen oder kritischen Zustand bezeichnen.
Die normalisierten Werte der Klimavariablen werden mit den normalisierten Sensitivitätsindikatoren für jede räumliche Einheit verschnitten. Im Vorhaben „Netzwerk Vulnerabilität“ wurden
die Werte multipliziert, prinzipiell bieten sich aber auch andere Verfahren an (z.B. das geometrische Mittel). So entsteht eine Klimawirkungs-Skala von 0 bis 1, die es erlaubt, räumliche und
zeitliche Muster und Änderungen abzubilden.
Eine Normalisierung der Klimawirkungen (unabhängig ihrer Operationalisierung) ist auch dann
wichtig, wenn mehrere Klimawirkungen aggregiert werden sollen oder wenn Klimawirkungen
mit Werten zur Anpassungskapazität zu einem Vulnerabilitätswert verschnitten werden sollen.
3. Lassen sich Wirkungszusammenhänge nicht oder nur teilweise über das unter 1. oder 2. erläuterte Vorgehen quantifizieren, kann sich die Bewertung der Auswirkungen auf Wissen stützen, das über Expertenbefragungen gewonnen wird. Dafür wird gezielt auf die jeweils fachlich
einschlägigen Experten/innen zugegangen und versucht, deren Wissen räumlich zu verorten
und in geeignete Skalen zu überführen (zum Beispiel von eins bis fünf). Dafür sollte ein Interviewleitfaden entwickelt werden, der möglichst die Elemente Klimawirkung und Sensitivität
trennt und auf die verwendeten Zeitscheiben eingeht. Auch ist eine ausreichend große und
repräsentative Anzahl an Experten/innen anzustreben, die einen passenden fachlichen Hintergrund haben. Bei Studien mit einem politisch orientierten Zweck (zum Beispiel die Entwicklung einer Anpassungsstrategie) kann außerdem die Legitimation der Experten/innen eine
Rolle spielen.
Diese Empfehlungen beziehen sich darauf, eine flächendeckende Aussage zu Klimawirkungen zu
schaffen und verschiedene, zum Teil sehr unterschiedliche Indikatoren vergleichbar zu machen. Wenn
der Zweck der Studie ein anderer ist, wenn es beispielsweise darum geht, einzelne „Hot Spots“ zu
identifizieren oder detailliert Wirkungszusammenhänge zu ermitteln, bietet sich alternativ dazu eine
Herangehensweise an, bei der zunächst überall Expertengespräche durchgeführt werden und nur dort
zu quantifizieren, wo genauere Aussagen notwendig sind.
3.2.3.2 Sammlung quantitativer und qualitativer Informationen
Die Verfügbarkeit beziehungsweise Nicht-Verfügbarkeit von Daten kann einen limitierenden Faktor bei
der quantitativen Analyse darstellen. Dabei sind grundsätzlich die folgenden Punkte zu beachten:

Flächendeckende Daten sind notwendig, wenn für den Bund oder ein Bundesland vergleichbare
Ergebnisse erzielt werden sollen.

Die Daten sollten auf einer einheitlichen Bezugsebene (zum Beispiel Landkreise) vorliegen oder
entsprechend aggregiert werden können; Rasterdaten (zum Beispiel Klimadaten) können auf administrative Raumeinheiten bezogen werden.
15

Die Daten sollten mindestens für die Gegenwart und die nahe Zukunft vorliegen, idealerweise
auch für die ferne Zukunft, falls diese betrachtet werden soll.

Die frühzeitige Identifikation von Datenlücken ermöglicht eine Entscheidung darüber, ob Klimawirkungen quantifiziert werden können über qualitative Interviews abgeschätzt werden sollten.

Der mit der Messung der Klimawirkungen verbundene Untersuchungsaufwand hängt mehr von
der Wahl der Indikatoren als der gewählten Operationalisierungsmethode ab. Auch lässt sich feststellen, dass neben dem Untersuchungsaufwand selbst die Interpretation der Ergebnisse Zeitaufwand auslöst.
3.2.3.3 Aussagen zum Grad der Gewissheit
Sowohl die berechneten als auch die über Experteninterviews erfragten Ergebnisse sind mit Unsicherheit behaftet. Um die Interpretation der Ergebnisse zu erleichtern, wird empfohlen, auf Ebene der
Klimawirkungen die Gewissheit der Ergebnisse einzuschätzen. Dies sollte getrennt für die berechneten (über Modelle oder Proxyindikatoren operationalisierten) und die erfragten Klimawirkungen (über
Interviews operationalisiert) geschehen. Die Gewissheit der Interviewergebnisse ergibt sich aus der
Sicherheit der Experten/innen hinsichtlich ihrer Aussagen und der Einigkeit der verschiedenen Experten/innen – analog zum Konzept des „Confidence Scale“ des Intergovernmental Panel on Climate
Change. Quellen für die Unsicherheit berechneter Klimawirkungen können in den verwendeten Modellen, den Daten und beim Zuschnitt des Indikators selbst liegen.
Empfohlen wird, den Grad der Gewissheit für jeden Indikator und jede Klimawirkung mindestens auf
einer Skala von „gering“ über „mittel“ bis „hoch“, möglichst aber auf einer fünfstufigen Skala zu bewerten. Für Klimawirkungen, die über mehrere Indikatoren abgebildet werden, sollte textlich ein Fazit
gezogen werden. Da die Bewertung der Gewissheit zum Teil subjektiver Natur ist, sollte sie von der
Gesamtheit der beteiligten Fachakteure/innen gemeinsam vorgenommen werden.
3.2.4 (Integrierte) Bewertung und Aggregierung der Klimawirkungen
Prinzipiell kann die Aggregierung von quantitativen und semi-quantitativen Ergebnissen zu den Klimawirkungen dazu beitragen, sektorenübergreifende und zusammenfassende Aussagen zu treffen.
Sie ist sinnvoll jedoch nur dann möglich, wenn die Einheiten der Datensätze eine Aggregierung zulassen oder dimensionslos sind (dies kann über eine Normalisierung erreicht werden, siehe oben). Außerdem müssen die Daten in der Regel eine ähnliche räumliche Auflösung haben und flächendeckend
vorliegen.
Auch wenn die genannten Kriterien erfüllt sind, sollte berücksichtigt werden, dass eine Aggregation
immer nur einen Ausschnitt aus dem Gesamtergebnis darstellen kann, da die Aggregierung stets unter einem bestimmten Blickwinkel durchgeführt werden muss (Auswahl der zu aggregierenden Klimawirkungen, Gewichtung). Damit bedarf eine Aggregierung einer normativen Entscheidung und muss
transparent dargestellt werden. In der Praxis stellt sich vor allem bei komplexeren und sektorenübergreifenden Analysen die Frage nach der Durchführbarkeit und Begründbarkeit von solchen Aggregierungsverfahren und der dafür notwendigen Entscheidung. In diesen Fällen ist einer qualitativen, interpretierenden Zusammenfassung der Einzelergebnisse der Vorzug zu geben – denn auch eine Gleichgewichtung ist immer willkürlich und kann letztlich nur normativ begründet werden.
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In jedem Fall ist es mit Blick auf die Transparenz der Ergebnisse wichtig, eine schrittweise Aggregierung vom Kleinteiligen zum Großen zu bevorzugen. Denn jede Aggregierung bedeutet einen Informationsverlust, der für den Adressaten erkennbar und nachvollziehbar sein muss. So sollten zunächst
die Klimawirkungen für einzelne Handlungsfelder aggregiert werden, bevor diese miteinander verschnitten werden. Grundlage hierfür sollten die Wirkungsketten sein.
Auf der Ebene von bewerteten, quantitativen Ergebnissen können Aggregierungen bei gleichem
Raumbezug und gleicher Bewertungsskala über Mittelwertbildung vorgenommen werden. Hierfür ist
das Skalenniveau der Bewertungsskala zu beachten. Es muss eine Mittelwertbildung zulassen.
Bewertungskriterien und -schema sind abhängig vom Zweck der Analyse. Sofern dieser darin besteht,
langfristig, großräumig und unter Berücksichtigung von Wechselwirkungen zwischen Klimawirkungen
Priorisierungen für die Allokation von Ressourcen zur Anpassung an den Klimawandel, inkl. Forschungsförderung, durchzuführen, bietet sich zum Beispiel eine integrierte Betrachtung über mehrere
oder alle Klimawirkungen oder Handlungsfelder an. Eine solche integrierte Bewertung kann über verschiedene Ansätze geschehen:
1. quantitativ anhand von klimawirkungsspezifischen Maßstäben (Schwellenwerte),
2. quantitativ über gemeinsame Bezugsgrößen, beispielsweise durch Normalisierung oder Monetarisierung oder
3. qualitativ durch Experten/innen auf Grundlage von übergreifenden Bewertungskriterien.
Grundsätzlich besteht die Schwierigkeit, klimawirkungsspezifische und übergreifende Bewertungskriterien festzulegen. Wenn man Einzelbewertungen zusammenführen möchte, benötigt man zudem ein
Maß für die Gewichtung dieser Bewertungen.
Da es für viele Klimawirkungen ohnehin schwierig ist, spezifische Schwellenwerte zu ermitteln, ab
wann die Klimawirkung kritisch wird (siehe Kapitel 3.2.3.1), und viele Klimawirkungen nicht quantifiziert werden können, ist eine qualitative, übergreifende Bewertung nicht selten die einzige Möglichkeit,
vergleichende Aussagen zu treffen. Zudem sind einheitliche quantitative Bewertungsmaßstäbe, wie
die Monetarisierung, selbst dann nur schwer auf alle Klimawirkungen anzuwenden, wenn diese über
Modelle oder Proxyindikatoren berechnet werden können. Die Monetarisierung von Klimawirkungen
auf Naturräume und Ökosysteme wie die Etablierung invasiver Arten etwa erfordert eine ganze Reihe
normativer Setzungen und Annahmen.
Im Rahmen des Netzwerks Vulnerabilität wurde von den beteiligten Bundesbehörden und -institutionen die Bedeutung der einzelnen Klimawirkungen für Deutschland für die Gegenwart und die nahe
Zukunft im Fall eines schwachen oder starken Wandels summarisch unter Berücksichtigung von sozialen, ökonomischen, ökologischen, kulturellen und flächenmäßigen Aspekten bewertet.
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Zentrale Empfehlungen: Auswahl, Analyse und Bewertung von Klimawirkungen
1. Die Auswahl, Analyse und Bewertung von Klimawirkungen sollten mit einem Netzwerk von
Fachakteuren/innen und allen relevanten Stakeholdern durchgeführt werden. Diese gemeinsame Arbeit setzt ausreichend Ressourcen seitens der beteiligten Akteure/innen voraus.
2. Es wird empfohlen, die Konzeptualisierung von Klimawirkung mit Hilfe von abgestimmten
Wirkungsketten durchzuführen. Wirkungsketten können unter anderem die Auswahl von Klimawirkungen, die Auswahl geeigneter Analyse und Bewertungsverfahren und die Analyse
von Wechselbeziehungen zwischen Sektoren unterstützen.
3. Bei der Analyse der Klimawirkungen sollte das Vorgehen für die Zeiträume Gegenwart und
(nahe) Zukunft jeweils der gleichen Methodik folgen, wenn die Ergebnisse verglichen werden
sollen.
4. Es wird empfohlen, eine einheitliche Datenbasis für alle Klimawirkungs- und Vulnerabilitätsstudien des Bundes zu wählen, um eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse herzustellen und
einheitliche Daten für die Sensitivität sowie die Anpassungskapazität verfügbar zu machen.
Insbesondere dort, wo kommunale oder Länderzuständigkeiten bestehen (Katastrophenschutz, Bildungsinformationen, Regionalplanung), kann sich dieses Vorgehen als problematisch erweisen, da eine entsprechende Datenbasis ggf. nicht vorliegt.
5. Eine frühzeitige Anfrage nach Daten bei den entsprechenden Behörden oder Forschungseinrichtungen ist zu empfehlen, da zum Teil ein sehr hoher zeitlicher (und personeller) Aufwand
besteht, um die angefragten Daten zusammenzustellen.
6. Um die Interpretation der Ergebnisse zu erleichtern, wird empfohlen, auf Ebene der Klimawirkungen die Gewissheit der Ergebnisse einzuschätzen. Da die Bewertung der Gewissheit zum
Teil normativer Natur ist, sollte sie von der Gesamtheit der beteiligten Fachakteure/innen
gemeinsam vorgenommen werden.
7. Eine quantitative Bewertung der Bedeutung einzelner Klimawirkungen wird empfohlen, wenn
entsprechende Schwellenwerte für die Klimawirkungen bekannt sind oder die Klimawirkungen in gemeinsame Bezugsgrößen umgerechnet werden können. Ist dies nicht möglich, wird
eine qualitative Bewertung unter Einbezug fachlicher Experten/innen empfohlen.
3.3
Anpassungskapazität
In dem hier empfohlenen methodischen Ansatz fließt die Bewertung der Kapazität zur Anpassung als
Status quo (das heißt ihr Zustand aus heutiger Sicht) in die integrierte Vulnerabilitätsanalyse ein. Die
Anpassungskapazität repräsentiert damit den derzeit erkennbaren Raum der Möglichkeiten, sich mit
Hilfe zusätzlicher Maßnahmen oder systemimmanenter Reaktionen an den zu erwartenden Klimawandel anzupassen. Es werden keine speziellen Szenarien der Anpassungskapazität für die Zukunft
entwickelt oder betrachtet.
Trotzdem ist die Bewertung der Anpassungskapazität eine besondere Herausforderung bei einer Vulnerabilitätsbewertung. Denn sie wird über technische und finanzielle Möglichkeiten hinaus von einer
Vielzahl schwierig zu messender Faktoren beeinflusst, wie die Prozesse, die zur Entscheidungsfindung führen, die Fähigkeit, sich auf neue Gegebenheiten einzustellen, oder das Bewusstsein der
Notwendigkeit, konkrete Aktionen zur Reduktion von Klimawirkungen durchzuführen. Um solche Fak18
toren im Ansatz berücksichtigen zu können, wird empfohlen, die sektorenunabhängigen und die sektorspezifischen beziehungsweise klimawirkungsspezifischen Rahmenbedingungen der Anpassungskapazität der verschiedenen Akteure/innen an den Klimawandel getrennt zu untersuchen. So können
die genannten Faktoren mit sektoralen Experten/innen zusammen eingeschätzt werden.
Die sektorenunabhängige, generische Anpassungskapazität einer Region kann im Allgemeinen quantitativ über Indikatoren zu sozialen, administrativen und wirtschaftlichen Fragen bestimmt werden. Für
einen Vergleich der Anpassungskapazität verschiedener Teilräume sollten diese Daten räumlich differenziert sein. Außerdem können die Anpassungskapazitäten, die sich aus den in der Deutschen Anpassungsstrategie bezeichneten Querschnittsthemen „Raumplanung“ und „Bevölkerungsschutz“ –
eventuell ergänzt um „Finanzwirtschaft“ (Versicherungen) – ergeben, einfließen. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Vorsorge und Schadensbewältigung.
Um die sektor- oder klimawirkungsspezifische Anpassungskapazität zu bestimmen, sollten Interviews
mit den beteiligten Fachakteuren/innen und externen Experten/innen für alle einschlägigen Handlungsfelder durchgeführt werden, da Anpassungskapazität häufig von vielen Faktoren abhängt (etwa
der Baumartenzusammensetzung im Handlungsfeld „Wald- und Forstwirtschaft“ oder der Unternehmensgröße im Handlungsfeld „Industrie und Gewerbe“), die über solche Interviews identifiziert und in
ihrer Bedeutung eingeschätzt werden können. Ziel der Interviews ist es daher, von den befragten Akteuren/innen bzw. Experten/innen möglichst viele Informationen zur Anpassungskapazität des jeweiligen Sektors zu erhalten, wobei denjenigen Aspekten eine besondere Bedeutung zukommt, die die
Anpassungsmöglichkeiten von denen anderer Sektoren unterscheiden. Hierbei können unter anderem
die im Netzwerk Vulnerabilität herangezogenen Kriterien verwendet werden:

Der Raum der potenziellen Anpassungsmöglichkeiten: Sind – aus heutiger Sicht – ausreichend
viele Maßnahmen (und Instrumente) verfügbar, um sich an den Klimawandel anzupassen und
Wetterextremen zu begegnen?

Bestehende Ressourcen, um mögliche Anpassungsmaßnahmen durchzuführen: Wie gut ist die
finanzielle, personelle, institutionelle und technische Ausstattung des Handlungsfeldes?

Hinderliche und unterstützende Faktoren für die Umsetzung von Maßnahmen: Wie hoch ist das
Bewusstsein für die Wirkungen des Klimawandels und von Extremwetterereignissen bei den verantwortlichen Akteuren/innen in diesem Handlungsfeld? Wie ist die Reaktionsfähigkeit des Handlungsfeldes beziehungsweise von Teilen davon auf langfristige klimatische Veränderungen (und
kurzfristige Wetterextreme) mit Anpassungsoptionen zu reagieren? Sind – aus heutiger Sicht –
ausreichend viele Maßnahmen (und Instrumente) gesellschaftlich akzeptiert, um sich an den Klimawandel anzupassen und Wetterextremen zu begegnen?

Zeitraum der Anpassung: Wie viel Zeit wird benötigt, das System flächendeckend umzustellen
(bzw. wie viel Zeit benötigt das System, um sich anzupassen). Bis wann sollten die wichtigsten
Maßnahmen begonnen werden, wenn mit intensiven klimatischen Veränderungen ab Mitte des
Jahrhunderts zu rechnen ist?
Wenn es in einer Studie darum gehen soll, mögliche Anpassungsoptionen als Grundlage für die Auswahl von Anpassungsmaßnahmen zu identifizieren, werden in der Regel solch qualitative Abschätzungen zur Anpassungskapazität ausreichen. Bei den Klimawirkungen jedoch, bei denen eindeutige
Ursache-Wirkungsbeziehungen zwischen Klimasignal und Sensitivität einerseits sowie zwischen Klimawirkung und Anpassungsmaßnahmen andererseits bestehen und gleichzeitig eindeutige Schwel19
len- oder Grenzwerte existieren, kann eine quantitative Abschätzung der Anpassungskapazität empfohlen werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn Zielvereinbarungen über Anpassungserfolge zwischen verschiedenen Akteuren/innen getroffen und die Wirksamkeit von Anpassungsmaßnahmen (die
die Anpassungskapazität fördern) evaluiert werden sollen.
3.4
Vulnerabilität
Eine quantitative Darstellung von Ergebnissen zur Vulnerabilität ist nur dann möglich und sinnvoll,
wenn klar definierte und messbare Kenngrößen für Klimawirkungen und Anpassungskapazität gleichermaßen bestehen. Notwendig ist sie zum Beispiel, wenn der Effekt von Anpassungsmaßnahmen auf
die Vulnerabilität von Systemen abgeschätzt werden soll – unabhängig davon, ob diese tatsächlich
umgesetzt werden oder nicht.
Aber: Eine Verschneidung der ermittelten Klimawirkungen mit den Anpassungskapazitäten zur Verwundbarkeit ist methodisch und inhaltlich schwierig – vor allem, wenn eine sektorenübergreifende
Vulnerabilität bestimmt werden soll. Grund ist unter anderem die heterogene Natur der Informationen
(räumlich, nicht-räumlich, quantitativ, qualitativ). Deshalb wird eine rein verbal-qualitative oder semiquantitative Einschätzung der Verwundbarkeit für die einzelnen Handlungsfelder empfohlen. Über die
räumliche Dimension der Klimawirkung können dabei zumindest indikativ-verbal auch Aussagen zur
räumlichen Verteilung von Vulnerabilitäten getroffen werden.
Mit Blick auf die Interpretation der Ergebnisse zur Vulnerabilität sollte folgendes bedacht werden: Eine
hohe Anpassungsfähigkeit führt zu einer relativ geringen Vulnerabilität. Aber allein die Fähigkeit zur
Anpassung heißt nicht, dass diese auch genutzt und Maßnahmen umgesetzt werden. Ein Zirkelschluss „hohe Anpassungsfähigkeit gleich geringe Vulnerabilität gleich kein Handlungsbedarf für die
Politik“ sollte also möglichst vermieden werden, wenn es eines Anreizes bedarf, damit mögliche Anpassungsmaßnahmen auch umgesetzt werden. Insofern sind die Ergebnisse der getrennten Analyse
und Bewertung von Klimawirkungen und Anpassungskapazität häufig wichtiger als eine Aggregation
zu einem Vulnerabilitätswert.
Zentrale Empfehlungen: Anpassungskapazität und Vulnerabilität
1. Weil die Anpassungskapazität von einer Vielzahl schwierig zu messender Faktoren beeinflusst wird, wird empfohlen, die sektorenunabhängige und die sektorspezifische beziehungsweise klimawirkungsspezifische Anpassungskapazität getrennt zu untersuchen.
2. Wenn klar definierte und quantifizierbare Kenngrößen für Klimawirkungen und Anpassungskapazität bestehen, kann Vulnerabilität quantitativ bewertet werden. In der Regel reicht eine
qualitative oder semi-quantitative Bewertung.
3. Die Anpassungskapazität sollte getrennt von den Ergebnissen zu Klimawirkungen kommuniziert werden, da sie nur dann wirklich die Klimawirkung reduziert, wenn sie in Maßnahmen
umgesetzt wird.
4. Wenn die Identifikation räumlicher Schwerpunkte der Vulnerabilität Ziel der Studie ist und die
Vulnerabilität nur verbal-qualitativ eingeschätzt werden kann, wird empfohlen, mit Hilfe der
räumlichen Dimension der Klimawirkung indikativ-verbal Aussagen zur räumlichen Verteilung
von Vulnerabilitäten zu treffen.
20
4 Kommunikation der Ergebnisse
Zunächst muss bereits beim Forschungsdesign geklärt sein, wer der Adressat der Studie und ihrer
Ergebnisse ist. An ihm sollte sich die Ergebnisdarstellung ausrichten. Insbesondere wenn die Ergebnisse oder zumindest ein Teil der Ergebnisse auch die Öffentlichkeit als Adressaten haben, sind ausreichend Ressourcen finanzieller und zeitlicher Art zu kalkulieren. Notwendig ist dann eine geeignete,
allgemeinverständliche Sprache und Darstellungsform. Darüber hinaus – und dies muss auch im Vorhinein kalkuliert werden – könnten Datensätze so aufbereitet werden, dass sie wissenschaftsjournalistisch online dargestellt werden können.
Es sollte stets transparent gemacht werden, ob die getroffenen Aussagen in erster Linie direkt aus
einer eigenen Forschungsarbeit abgeleitet wurden („Primärstudie“) oder ob hauptsächlich Aussagen
aus anderen Quellen zusammengetragen wurden („Sekundärstudie“). Die Grenzen sind hier oft fließend, ein solcher Hinweis würde aber helfen, die Bedeutung der Studie im Vergleich zu anderen Studien einschätzen zu können.
Die wissenschaftliche Dokumentation der Analyse (Abschlussbericht) sollte nicht nur die Ergebnisse,
sondern auch die Methodik inklusive aller Annahmen und normativen Entscheidungen enthalten; um
die Interpretation der Ergebnisse zu erleichtern und um Vergleiche zwischen Studien zu ermöglichen.
Darüber hinaus würden insbesondere einheitliche Bewertungs- und Formulierungsregeln zu einer
größeren Transparenz der Ergebnisse beitragen. Diese sollten idealerweise in einer „Textbox“ mit
hohem Wiedererkennungswert im zusammenfassenden Teil der Studie dargestellt werden, denn oft
verstecken sich wichtige methodische Angaben im Fließtext der häufig mehrere hundert Seiten umfassenden Studien.
Generell bietet sich an, zunächst Konzept und Methode und dann jedes Element von Vulnerabilität
separat darzustellen. Bei sektorenübergreifenden Klimawirkungs- oder Vulnerabilitätsstudien ist es
hilfreich, die Klimawirkungen für jeden Sektor einzeln darzustellen. So kann die sektorspezifische Anpassungskapazität und die sektorale Vulnerabilität gleich im Anschluss dargestellt und mit den Klimawirkungen in Zusammenhang gebracht werden. Wurden auf diese Weise alle Sektoren abgebildet,
folgt die Zusammenführung. Dies ermöglicht (qualitative) Aussagen zur Gesamtvulnerabilität.
Da Klimawirkungs- und Vulnerabilitätsstudien nicht selten unter Einbeziehung vieler Akteure/innen
und Experten/innen erstellt werden (vergleiche Kapitel 3), sollte ausreichend Zeit für den Reviewprozess eingeplant werden.
Zentrale Empfehlungen: Dokumentation von Klimawirkungs- und Vulnerabilitätsstudien
1. In jeder Klimawirkungs- und Vulnerabilitätsstudie sollte ihr Zweck genannt werden, denn er
bestimmt viele der normativen Entscheidungen im Rahmen der Analyse und Bewertung.
2. Es sollte stets angegeben werden, auf welchen Daten, Modellen und Szenarien die Abschätzung der Klimawirkungen oder Vulnerabilität beruht. Besonders wichtig ist auch ein Hinweis,
für welchen Zeitpunkt die Aussagen getroffen werden sowie auf welches Referenzjahr sich
die Abschätzung der Veränderungen bezieht.
3. Es ist zu empfehlen, alle beteiligten Fachakteure/innen, Interviewpartner/innen und Experten/innen zu nennen.
21
4. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Ergebnisse von Klimawirkungs- und Vulnerabilitätsstudien grafisch abzubilden. Für räumliche Analysen bieten sich Kartendarstellungen an. Dabei erleichtert es die Interpretation von Klimawirkungskarten, wenn die in die Analyse eingeflossenen Klima- und Sensitivitätsparameter mit abgebildet werden. Für nicht räumlich differenzierte Angaben eignen sich verschiedene Diagrammtypen.
5. Für jede Studie sollte kenntlich gemacht werden, wie die Qualitätssicherung durchgeführt
wurde, zum Beispiel ob und in welcher Form es ein Review-Verfahren gegeben hat.
5 Literaturverzeichnis
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based vulnerability assessment to climate change in Germany. In: International Journal of Climate
Change Strategies and Management, Vol. 7, Iss. 3, S. 306-326.
Nohlen, Dieter (2005): Operationalisierung. In: Dieter Nohlen und Rainer-Olaf Schultze (Hrsg.): Lexikon der Politikwissenschaft. Theorien, Methoden, Begriffe. Orig.-Ausg., 3., aktualisierte und erw. Aufl.
München: Beck (Beck'sche Reihe, 1463), 637.
Parry, Martin L.; Canziani, Osvaldo; Palutikof, Jean; Linden, Paul van der; Hanson, Clair (Hrsg.)
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to the Fourth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge.
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