DAS AKTUELLE RELIGIONSRECHT ISRAELS UND

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Rechtspolitisches Forum
Legal Policy Forum
41
Angelika Günzel
Das aktuelle Religionsrecht Israels und der
neue Verfassungsentwurf des Parlaments
Institut für Rechtspolitik
an der Universität Trier
IRP
Das Institut für Rechtspolitik an der Universität Trier hat die
wissenschaftliche Forschung und Beratung auf Gebieten der
Rechtspolitik sowie die systematische Erfassung wesentlicher
rechtspolitischer Themen im In- und Ausland zur Aufgabe. Es
wurde im Januar 2000 gegründet.
Das Rechtspolitische Forum veröffentlicht Ansätze und Ergebnisse national wie international orientierter rechtspolitischer Forschung und mag als Quelle für weitere Anregungen und Entwicklungen auf diesem Gebiet dienen. Die in den Beiträgen enthaltenen Darstellungen und Ansichten sind solche des Verfassers und
entsprechen nicht notwendig Ansichten des Instituts für Rechtspolitik.
Das israelische Religionsrecht ist gegenwärtig trotz des jüdischen
Charakters des Staates Israel grundsätzlich als System der Trennung von Staat und Religion bei gleichzeitiger Kooperation des
Staates mit den Religionen beziehungsweise Religionsgemeinschaften zu charakterisieren. Mit Blick auf den aktuellen Verfassungsentwurf des israelischen Parlaments stellt sich die Frage,
welche Konsequenzen seine Annahme für das Religionsrecht haben würde: Würde Israel Züge eines religiösen Staates annehmen, oder bildet das Regelungswerk lediglich den Ist-Zustand ab?
Die Beantwortung dieser Frage hängt zum einen von dem Charakter der neuen Regelungen ab, die der Entwurf enthält, und zum
anderen davon, ob die bestehende Rechtssubstanz durch die
Transponierung in eine formelle Verfassung ihr Wesen verändern
würde.
Angelika Günzel, geboren 1973, studierte Rechtswissenschaft an
der Universität Trier und legte dort im Jahre 2000 ihr Erstes juristisches Staatsexamen ab. 2000-2003 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Rechtspolitik e.V. In dieser
Zeit widmete sie sich ihrer Promotion, die sie im Jahre 2004 fertig
stellte. Im Anschluss an den juristischen Vorbereitungsdienst absolvierte sie 2006 in Köln das Zweite Juristische Staatsexamen.
Nach einer einjährigen Tätigkeit als Vorstandsreferentin der Alexander von Humboldt-Stiftung kehrte sie im Januar 2007 zur Habilitation nach Trier zurück und ist nun wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Prof. Dr. Gerhard Robbers. Mit dem Thema
Israel beschäftigte sich Angelika Günzel bereits in ihrer Promotion
unter dem Titel „Grundstrukturen des Verhältnisses von Staat und
Religion in Israel unter Berücksichtigung der Rechtsstellung der
Religionsgemeinschaften“. Darüber hinaus verbrachte sie die
Wahlstation ihres Vorbereitungsdienstes als ausländische wissenschaftliche Mitarbeiterin (foreign law clerk) für deutsches und europäisches Recht am Obersten Gerichtshof in Israel.
DAS AKTUELLE RELIGIONSRECHT ISRAELS UND
DER VERFASSUNGSENTWURF DES PARLAMENTS
AKADEMISCHE RÄTIN DR. ANGELIKA GÜNZEL,
UNIVERSITÄT TRIER
Seit der Gründung des Staates Israel befindet sich das Religionsrecht, trotz des fortwährenden Bekenntnisses der politischen Parteien zur Beibehaltung des Status quo, in Bewegung. Nach den
Anfangsjahren, in denen die Modifikationen nicht nur selten und
wenig einschneidend waren, sondern in der Öffentlichkeit auch
kaum wahrgenommen wurden, nahm in den Folgejahren das Gewicht der Änderungen zu. Dabei änderte man das Religionsrecht
nur indirekt durch die Veränderung von Gesetzen benachbarter
Rechtsgebiete.
Die jüngsten Reformen unterscheiden sich teilweise von dem bisherigen Umgang mit dem Religionsrecht. So wurde die Regierungsreform von 2004 ausdrücklich mit dem Ziel der Änderung
des Religionsrechts durchgeführt und von einer relativ ausführlichen Berichterstattung begleitet. Letzteres gilt auch für den aktuelle Verfassungsentwurf und die Regierungsreform von 2008. Abgesehen davon scheinen diese Umgestaltungen gegenüber den früheren ein größeres Potential zur weitreichenden Veränderung des
Religionsrechts zu haben.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die alte Frage nach der Existenz einer jüdischen Staatsreligion im jüdischen Staat Israel heute
mit besonderem Nachdruck. Dieser Frage soll im Folgenden, nach
einem Überblick über die Demographie Israels und die Grundstrukturen seines Religionsrechts, anhand einer näheren Betrachtung der Veränderungen durch die Regierungsreformen von 2004
und 2008 sowie des Verfassungsentwurfs nachgegangen werden.
3
Angelika Günzel
– Das aktuelle Religionsrecht Israels und der Verfassungsentwurf des Parlaments –
A. Demographie 1
Der demographische Kontext der Frage nach einer jüdischen
Staatsreligion sieht wie folgt aus: Mit ca. 75,8 % stellen die Juden
die Mehrheit der israelischen Bevölkerung dar. Demgegenüber
liegt der muslimische Bevölkerungsanteil bei etwa 16,5 %. Christlichen Bekenntnissen sind ca. 2 % der israelischen Bevölkerung
zuzurechnen. Weitere etwa 1,7 % der Bevölkerung sind Drusen. 2
B. Grundstruktur des Verhältnisses des Staates zu den
Religionen und Religionsgemeinschaften
I.
Keine jüdische Staatsreligion3
Hinsichtlich der Grundstrukturen des israelischen Religionsrechts
gilt, dass trotz des jüdischen Charakters des Staates und der jüdischen Bevölkerungsmehrheit Israel über keine Staatsreligion verfügt.
Weder in den Grundgesetzen, die materielles Verfassungsrecht
regeln, noch in den sonstigen Gesetzen oder in politischen Erklärungen ist das Judentum zur Staatsreligion erhoben worden. Zwar
steht die jüdische Gemeinschaft dem Staat stellenweise näher als
andere Religionsgemeinschaften und Religionen, doch reicht das
Ausmaß dieser Nähe für die Begründung einer Staatsreligion nicht
aus.
1
2
3
4
Näheres zur Demographie in: Angelika Günzel, Religionsgemeinschaften in
Israel, 2006, S. 50-55.
Vgl. die Zahlen vom 31.12.2006 in: Central Bureau of Statistics, Israel in Figures 2007, http://www.cbs.gov.il/www/publications/isr_in_n07e.pdf, S. 10, Abfrage: 18.01.2008.
A.A. insbesondere: Lucy Endel Bassli, The Future of Combining Synagogue
and State in Israel, in: Houston Journal of International Law 22 (2000), S. 477
(489). Ebenso: Thomas Giegerich, Freedom of Religion as a Source of Claims
to Equality, in: Israel Law Review 34 (2000), S. 209 (246) (Israel als System
mit einer offiziellen Religion). Vgl. auch: Ze’ev W. Falk, Religion und Staat in
Israel, in: Verfassung und Recht in Übersee 4 (1972), S. 423 (425) („staatsreligionsmäßige Stellung“ des Judentums in Israel).
IRP – Rechtspolitisches Forum Nr. 41
II.
Trennung von Staat und Religion 4
Trotz teilweiser institutioneller Verflechtung des Staates mit verschiedenen Religionen und ihren Gemeinschaften, besteht in Israel vielmehr grundsätzlich eine Trennung von Staat und Religion. 5
Dabei liegt eine gestufte Parität zwischen staatlich nicht anerkannten Religionsgemeinschaften, staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften und staatlich anerkannten Religionen vor. Über die
meisten Rechte, aber auch über die größte Verflechtung mit dem
Staat verfügen dabei die anerkannten Religionen, gefolgt von den
staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften. Die staatlich nicht
anerkannten Religionsgemeinschaften stehen hinsichtlich der
Staatsnähe auf der niedrigsten Stufe. 6
Zur Gruppe der staatlich nicht anerkannten Religionsgemeinschaften gehören zum Beispiel die orthodoxen Kirchen der Kopten und
der Äthiopier, alle evangelischen Gemeinschaften – mit Ausnahme
der staatlich anerkannten Evangelischen Episkopalkirche – und
eine Reihe jüdischer Gemeinschaften, darunter die karaitischjüdische Gemeinschaft sowie die progressiv- und die konservativjüdische Gemeinschaft. 7 Der Gruppe der Religionsgemeinschaf-
4
5
6
7
Trennung von Staat und Religion wird ist hier im Sinne einer institutionellen
Trennung von Staat und religiösen Gemeinschaften und im Sinne einer
Nichtidentifikation des Staates mit religiösen Auffassungen zu verstehen. Vgl.
hinsichtlich des deutschen Religionsrechts: Dirk Ehlers, Kommentierung zu Artikel 140 GG, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 2007,
Rdnr. 9. Zur Begründung dieser Einordnung des israelischen Religionsrechts
vgl.: Angelika Günzel, Religionsgemeinschaften in Israel, 2006, S. 253-270
A.A.: Aharon Layish, Quadis and Shari’a in Israel, in: Asian and African Studies 7 (1971), S. 237 (238) (“The non-separation of religion and state in Israel
emphasizes the specifically Jewish character of the State in lawmaking and
other fields”).
Ausführlich hierzu: Angelika Günzel, Religionsgemeinschaften in Israel, 2006,
S. 267-270.
Für Nachweise vgl.: Angelika Günzel, Religionsgemeinschaften in Israel, 2006,
S. 58 f.
5
Angelika Günzel
– Das aktuelle Religionsrecht Israels und der Verfassungsentwurf des Parlaments –
ten, die staatlich anerkannt sind, sind zehn christliche Kirchen8,
die Religionsgemeinschaft der Bahá’i 9 und die drusische Gemeinschaft 10 zuzurechnen. Als staatlich anerkannte Religionen lassen
sich schließlich das Judentum, der Islam und das Drusentum charakterisieren. 11
III. Kooperation mit den Religionen und Religionsgemeinschaften
In gewissem Maße vergleichbar mit dem deutschen religionsrechtlichen System kooperiert der israelische Staat in einigen Bereichen mit den Religionsgemeinschaften und den religiösen Gemeinschaften der anerkannten Religionen. Das wichtigste Kooperationsgebiet ist dabei die Rechtsprechung in Personenstandsangelegenheiten, die in Israel von religiösen Gerichten ausgeübt
wird und insbesondere die ausschließliche Zuständigkeit für Eheschließungen und Ehescheidungen umfasst.
In diesem Bereich wird das erwähnte Stufenverhältnis zwischen
den religiösen Gemeinschaften besonders deutlich: So unterhalten
8
9
10
11
6
Dies sind die Griechisch-orthodoxe, Armenisch-orthodoxe, Syrisch-orthodoxe,
Lateinisch-katholische bzw. Römisch-katholische, Armenisch-katholische,
Syrisch-katholische, Chaldäisch-katholische, Griechisch-katholische Melchitische, Maronitisch-katholische Kirche und Evangelische (anglikanische)
Episkopalkirche. Vgl. Zweiter Anhang der Anordnung des Königs im Rat über
das Land Israel, 1922-1947 [Engl.: Palestine Order in Council; hebr.: Dawar haMelech be-Mo'aza al Erez-Jisrael)], in: Robert Drayton (ed.), The Laws of Palestine, Vol. III, 1934, S. 2569, zuletzt geändert in: Gesetzesblatt [Hebr. Sefer
ha-Chukim] 1995, S. 397. Vgl. ferner: Erlass zur Proklamation einer Religionsgemeinschaft (die evangelisch-episkopalische Kirche in Israel), 1970 [Hebr.:
Zaw Hachras al Eda datit (ha-Knessia ha-evangelit ha-episkopalit be-Jisrael)],
in: Verordnungsblatt [Hebr.: Kowez ha-Takanot] 1970, S. 1564.
Vgl. den Erlass über eine Religionsgemeinschaft (der Glaube der Baha´'i), 1971
[Hebr.: Zaw Eda datit ha-Emuna ha-baha'it], in: Verordnungsblatt [Hebr.:
Kowez ha-Takanot] 1971, S. 628.
Vgl. § 1 Verordnung über die Religionsgemeinschaften (ihre Organisation) (die
drusische Gemeinschaft), 1995 [Hebr.: Takanot ha-Edot ha-datiot (Irgunan)
(ha-Eda ha-drusit)], Verordnungsblatt [Hebr.: Kowez ha-Takanot] 1995, S. 127,
zuletzt geändert in: Verordnungsblatt 2007, S. 74.
Näher zu dieser Kategorie und den ihr zugeordneten Religionen vgl. Angelika
Günzel, Religionsgemeinschaften in Israel, 2006, S. 65-78. Dort auch zur doppelten Einordnung des Drusentums als anerkannte Religion und der drusischen
Gemeinschaft als staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft.
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die staatlich nicht anerkannten Religionsgemeinschaften grundsätzlich keine religiösen Gerichte.12
Demgegenüber verfügt die Mehrheit der staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften über solche Gerichte. Der Grund hierfür ist,
dass nach osmanischem Recht ursprünglich mit der staatlichen
Anerkennung als Religionsgemeinschaft das Recht zur Errichtung
religiöser Gerichte verbunden war. Nach heutigem Recht ist dies
hingegen nicht mehr der Fall. 13 Personell sind die religiösen Gerichte der staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften grundsätzlich nur für Mitglieder der jeweils anerkannten Gemeinschaft
zuständig, nicht auch für Personen, die zwar derselben Religion,
aber nicht derselben Gemeinschaft angehören.14
Aufgrund entsprechender Parlamentsgesetze besitzen die staatlich anerkannten Religionen ebenfalls religiöse Gerichte. Diese
sind personell für alle Angehörigen der betreffenden Religion zuständig.15 Eine weitere Besonderheit dieser Gerichte ist, dass sie
12
13
14
15
Eine Ausnahme bildet insofern das bestehende religiöse Gericht der nicht separat als Religionsgemeinschaft anerkannten karaitisch-jüdischen Gemeinschaft,
das über keine Rechtsprechungskompetenz verfügt (vgl.: Pinhas Shifman, Personal Status of Persons not Belonging to any Recognized Community (Hebr.),
in: Mishpatim 8 (1977/78), S. 162 (162) und High Court of Justice 30/76 Sihu
gg. religiöses Gericht für die Gemeinschaft karaitischer Juden et al., 31(1)
Piskej Din, S. 13 (17)).
Die Religionsgemeinschaft der Bahá’i hat nicht die Rechtsprechungskompetenz
inne, da sie erst durch den Staat Israel und damit zu einer Zeit staatlich anerkannt wurde, in der diese Kompetenz nicht mehr mit der staatlichen Anerkennung als Religionsgemeinschaft verbunden war (vgl. High Court of Justice
866/78 Morad et al. gg. Regierung Israels, 34(2) Piskej Din, S. 657 (660); vgl.
ferner: Angelika Günzel, Religionsgemeinschaften in Israel, 2006, S. 251).
Vgl. Art. 54 Abs. 1 und Art. 59 Anordnung des Königs im Rat über das Land
Israel, 1922-1947.
Vgl. § 1 Gesetz über die Jurisdiktion von Rabbinatsgerichten (Eheschließungen
und Ehescheidungen), 1953, [Hebr.: Chok Schiput Batej Din rabbanijim
(Nissu’in we-Geruschin)], in: Gesetzesblatt [Hebr.: Sefer ha-Chukim] 1953,
S. 165, zuletzt geändert in: Gesetzesblatt 2005, S. 945 (Zuständigkeit für
jüdische Staatsbürger und Einwohner Israels); Artikel 52 S. 1 Anordnung des
Königs im Rat über das Land Israel, 1922-1947 (Zuständigkeit der SchariaGerichte für Staatsbürger des Landes oder Muslime, die nach ihrem Heimatrecht in der betreffenden Frage der Gerichtsbarkeit der religiösen muslimischen
Gerichte unterstehen); § 4 Gesetz über die religiösen drusischen Gerichte, 1962
[Hebr.: Chok Batej ha-Din ha-drusijim], in: Gesetzesblatt [Hebr.: Sefer ha7
Angelika Günzel
– Das aktuelle Religionsrecht Israels und der Verfassungsentwurf des Parlaments –
als Staatsorgane ausgestaltet sind und weite Teile ihrer Organisation dementsprechend gesetzlich geregelt sind.
C. Änderungen durch die Regierungsreformen in den
Jahren 2004 und 2008
Das bisher Geschilderte bezieht sich zunächst auf die Situation bis
zum Jahr 2003. Entsprechend dem Regierungsbeschluss vom
8. Oktober 2003 wurde Anfang des Jahres 2004 das bis dahin bestehende Ministerium der Religionen, das für eine Vielzahl von
Angelegenheiten der religiösen Gemeinschaften zuständig war,
aufgelöst. Dies geschah mit dem erklärten Ziel, eine klarere Trennung zwischen dem Staat und den religiösen Gemeinschaften
herbeizuführen sowie eine Professionalisierung der Verwaltung
der religiösen Angelegenheiten zu erreichen. Die Reform hat weitreichende Folgen gehabt, so dass sich die Frage stellt, ob sie
auch einen Einfluss auf die Grundausrichtung des israelischen Religionsrechts hatte.
I.
Übertragung der Kompetenzen des Ministeriums der
Religionen
1.
Ursprüngliche Kompetenzen des Ministeriums der Religionen
Bis zu seiner Auflösung war das Ministerium der Religionen für
alle Organe der jüdischen Gemeinschaft – also das Oberrabbinat,
die jüdischen religiösen Räte und die jüdischen Gerichte – zuständig. Kein anderes Ministerium war mit den Angelegenheiten der
jüdischen Gemeinschaft befasst. Bei der muslimischen Gemeinschaft war dies anders. Hier erstreckte sich die Zuständigkeit nur
auf die allgemeine Verwaltung der Schari’a-Gerichte sowie die
Verwaltung und Finanzierung der heiligen muslimischen Stätten
und insbesondere der Gehälter der Imame. 16 Hinsichtlich der drusischen Gemeinschaft war der Minister der Religionen an der Ernennung der religiösen drusischen Richter sowie der Mitglieder
16
8
Chukim] 1962, S. 20, zuletzt geändert in: Gesetzesblatt 2007, S. 6 (Zuständigkeit für drusische Staatsbürger und Einwohner Israels).
Vgl. Angelika Günzel, Religionsgemeinschaften in Israel, 2006, S. 159 f.
(Awakf), S. 221-223 (Gerichte).
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des Religiösen Drusischen Rates beteiligt und für die allgemeine
Verwaltung der religiösen drusischen Gerichte zuständig.
2.
Heutige Zuständigkeitsverteilung
a)
Jüdische Gemeinschaft
Mit der Auflösung des Ministeriums der Religionen ging die Zuständigkeit für das oberste Organ der jüdischen Gemeinschaft,
das Oberrabbinat, im Jahr 2004 auf den Ministerpräsidenten
über.17 Die religiösen jüdischen Gerichte 18 sowie die jüdischen
Richter19 unterstehen nun dem Justizministerium.
Das Gesetz bezüglich der religiösen jüdischen Räte, die für eine
Vielzahl religiöser Dienstleistungen zuständig sind, schreibt weiterhin die meisten Kompetenzen dem „Minister der Religionen“
zu.20
Die übrigen Zuständigkeiten wurden ausdrücklich auf den Ministerpräsidenten beziehungsweise den Justizminister übertragen.21
Dies legt nahe, dass die Funktion des Ministers der Religionen
trotz der Abschaffung des entsprechenden Ministeriums letztlich
nicht vollständig aufgehoben worden ist, sondern nur von 2004 an
17
18
19
20
21
Vgl. § 1 Gesetz über das Oberrabbinat von Israel, 1980 [Hebr.: Chok haRabbanut ha-raschit le-Jisrael], zuletzt geändert in: Gesetzesblatt [Hebr.: Sefer
ha-Chukim] 2004, S. 300.
Vg. § 11 Gesetz über die Jurisdiktion von Rabbinatsgerichten (Eheschließungen
und Ehescheidungen), 1953. Danach ist der Justizminister für den Vollzug des
Gesetzes zuständig.
Vgl. die Legaldefinition von „Minister“ im Sinne des Gesetzes über die religiösen jüdischen Richter (Dajanim) als „Justizminister“ in § 1 Gesetz über die
Dajanim, 1955 [Hebr.: Chok ha-Dajanim], in: Gesetzesblatt [Hebr.: Sefer haChukim] 1955, S. 68, zuletzt geändert in: Gesetzesblatt 2007, S. 85.
Vgl. für die fortbestehenden Zuständigkeiten eines „Ministers der Religionen“:
§§ 1, 2, 6 I, 7 II, 7a I, 7b II, 7c III, IV Nr. 1-3, V, § 7d I, II, III, IV, 8; 10a II,
10b I, III, 11 II, 13 I, II, 14 I Nr. 1, 14a XI, 14a1, 14a2, 14b I, II, 15 I, II Gesetz
über die jüdischen Religionsdienste (konsolidierte Fassung), 1971 [Hebr.: Chok
Schirutej ha-Dat ha-Jehudijim (Nossach meschulaw)], in: Gesetzesblatt [Hebr.:
Sefer ha-Chukim] 1971, S. 130, zuletzt geändert in: Gesetzesblatt 2004, S. 143.
Vgl. § 6 II Nr. 7 lit. b (alleinige Zuständigkeit des Ministerpräsidenten); § 7a V
(Zuständigkeit des Ministers der Religionen und des Justizministers) und § 12a
III (alleinige Zuständigkeit des Justizministers) Gesetze über die jüdischen Religionsdienste (konsolidierte Fassung), 1971.
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Angelika Günzel
– Das aktuelle Religionsrecht Israels und der Verfassungsentwurf des Parlaments –
regelmäßig mit derjenigen des Ministerpräsidenten zusammenfiel.
Sie wurde durch die Nationale Behörde für Religiöse Dienste ausgeübt, die dem Ministerialbüro untergeordnet war.
Im Januar 2008 hat die israelische Regierung beschlossen, diese
Behörde in das eigenständige Ministerium für Religiöse Dienste
umzuwandeln, das vom Ministerialbüro unabhängig sein soll.22
Der Zuständigkeitsumfang dieses neuen Ministeriums ist zurzeit
noch unklar. Zeitungsberichten zur Folge wird er die Aufsicht über
die religiösen jüdischen Räte beinhalten. 23
b)
Muslimische und drusische Gemeinschaft
Die Zuständigkeit für sämtliche Angelegenheiten der religiösen
Gerichte der beiden anderen anerkannten Religionen, also der
muslimischen und drusischen religiöse Gerichte, sowie ihrer Richter liegt nun insgesamt – wie bei den jüdischen Gerichten – beim
Justizminister.24
Für die Einrichtung des höchsten drusischen Organs, des Religiösen Drusischen Rates, ist nach dem Gesetzestext hingegen weiterhin der „Minister für die Angelegenheiten der Religionen” zu-
22
23
24
10
Vgl. Barak Ravid, Government Separates Religious Services from PMO, in:
Haaretz-Online vom 06.01.2008, http://www.haaretz.com/hasen/objects/pages/
PrintArticleEn.jhtml?itemNo=942056, Abfrage: 30.01.2008.
Vgl. Barak Ravid, Government Separates Religious Services from PMO, in:
Haaretz-Online vom 06.01.2008, http://www.haaretz.com/hasen/objects/pages/
PrintArticleEn.jhtml?itemNo=942056, Abfrage: 30.01.2008. An der Richtigkeit
der darin aufgestellten Behauptung, die Kontrolle des Oberrabbinates und der
religiösen jüdischen Gerichte verbleibe (Hervorhebung durch Verfasserin) beim
Ministerpräsident, bestehen mit Blick auf die beschriebene derzeitige Gesetzeslage erhebliche Zweifel.
Für die drusischen Gerichte und Richter (Kadis Mad’hab) vgl. z. B. § 30
(Zuständigkeit des Justizministers für den Gesetzesvollzug), weitere Zuständigkeiten in: §§ 3; 10; 12 I, II; 12a I; 16 I; 21; 22 II; 23; 24; 26 Gesetz über die religiösen drusischen Gerichte, 1962. Für die Schari’a-Gerichte und die muslimischen Richter (Kadis) vgl. z. B. §§ 2 III; 3; 4 I, III; 5 I, II; 5a I; 6 I, III; 9a
II; 10 I; 15; 16; 16a; 16b I, 18 I, II; 19 I, II; 21 I; 28 I, II Gesetz über die Kadis,
1961 [Hebr.: Chok ha-Kadim], in: Gesetzesblatt [Hebr.: Sefer ha-Chukim]
1961, S. 118, zuletzt geändert in: Gesetzesblatt 2007, S. 22.
IRP – Rechtspolitisches Forum Nr. 41
ständig.25 Es ist anzunehmen, dass diese Kompetenz trotz der
Ernennung eines Ministers für religiöse Dienste vom Ministerpräsidenten wahrgenommen wird. Hierfür spricht bereits der Name
des neuen Ministeriums: Der Begriff „religiöse Dienste“ ist dem
Gesetz über religiöse Dienste entlehnt, das ausschließlich die
Dienstleistungen der religiösen jüdischen Räte regelt. Abgesehen
davon wurde bei der Auflösung des Ministeriums der Religionen
im Jahr 2004 festgelegt, dass das Ministerialbüro mit allen Angelegenheiten befasst sein soll, die aus der Ministeriumsauflösung
folgen. 26
II.
Sonstige Veränderungen
1.
Weitere Angleichung an säkulare staatliche Institutionen
Die Auflösung des Ministeriums der Religionen ging nicht nur mit
einer Kompetenzverschiebung, sondern auch mit einer Angleichung der religiösen Organe an ihre säkularen Pendants einher.
Dies zeigt sich insbesondere im Bereich der religiösen Gerichtsbarkeit der staatlich anerkannten Religionen. So wurden hier zum
Beispiel erstmals Regeln über die Befangenheit religiöser Richter,27 Ethikkodizes sowie entsprechende Ethikräte in den religiösen Gerichten 28 eingeführt.29
25
26
27
28
29
Vgl. § 2 Verordnung über die Religionsgemeinschaften (ihre Organisation) (die
drusische Gemeinschaft), 1995.
Vgl., unter Berufung auf die Government Resolution Nr. 900 vom 08.10.2003:
Israeli Prime Minister’s Office, The Legal Department of the Prime Minister’s
Office, in: Israeli Prime Minister’s Office, http://www.pmo.gov.il/PMOEng/
PM+Office/Departments/legal.htm, Abfrage: 06.02.2008.
Bezüglich der religiösen jüdischen Richter vgl. § 19a Gesetz über die Dajanim,
1955; bezüglich der religiösen drusischen Richter vgl. § 21a Gesetz über die religiösen drusischen Gerichte, 1962; bezüglich der religiösen muslimischen
Richter vgl. § 6b Gesetz über die Kadis, 1961.
Bezüglich der Schari’a-Gerichte vgl. §§ 16a, 16b Gesetz über die Kadis, 1961.
Bezüglich der Rabbinatsgerichte vgl. §§ 19b, 19c Gesetz über die Dajanim,
1955. Bei den drusischen Gerichten fehlt eine entsprechende Regelung.
Ferner gelten für die Entlohnung sowie die Wahl des Verwalters der drusischen
und muslimischen Gerichte nun die entsprechenden Bestimmungen für Staatsbedienstete (vgl. § 16 III, IV Gesetz über die religiösen drusischen Gerichte,
1962, und § 10 IV-VI Gesetz über die Kadis, 1961).
11
Angelika Günzel
– Das aktuelle Religionsrecht Israels und der Verfassungsentwurf des Parlaments –
2.
Kompetenzzuwachs bei Organen religiöser Gemeinschaften
Die Reform von 2004 führte außerdem bei einigen Organen der
religiösen Gemeinschaften zu einem Kompetenzzuwachs.
Dies betrifft insbesondere die Organe der jüdischen Gemeinschaft.
Hier wurden 2004 neben den Aufgaben des Oberrabbinats insgesamt30 auch die Kompetenzen seines Rates dahingehend erweitert, dass nicht mehr ein Minister, sondern der Rat selbst über seine innere Organisation bestimmt.31
Auch die Befugnisse der beiden Oberrabbiner wurden ausgeweitet. So nahm zum Beispiel ihr Einfluss auf die Besetzung der
Wahlversammlung für das Oberrabbinat zu.32 Außerdem ist die
Bedeutung der Oberrabbiner bei der Ernennung der jüdischen religiösen Richter gewachsen. So setzt die Beschlussfähigkeit des
10-köpfigen Komitees zur Ernennung religiöser jüdischer Richter
nun nicht mehr nur voraus, dass mindestens 6 Mitglieder anwesend sind. Unter diesen 6 müssen jetzt die beiden Oberrabbiner
sein. 33
In besonders starkem Maße haben die Kompetenzen des Präsidenten des Hohen Rabbinatsgerichts zugenommen. Dies hat in
weiten Teilen zu einer Angleichung an die Zuständigkeiten der
Präsidenten der säkularen Gerichte geführt. So ist der Präsident
des Hohen Rabbinatsgerichts inzwischen zum Beispiel berechtigt,
eine Reihe von Ernennungen vorzunehmen 34 und die Geschäftsverteilung bei den Rabbinatsgerichten zu regeln.35 Bezüglich der
30
31
32
33
34
35
12
Vgl. § 2 Nr. 4 Gesetz über das Oberrabbinat von Israel, 1980.
Vgl. § 22 I Gesetz über das Oberrabbinat von Israel, 1980.
Vgl. §§ 7 Nr. 8; 8 Nr. 8 Gesetz über das Oberrabbinat von Israel, 1980.
Vgl. § 6 Abs. 4 a.E. Gesetz über die Dajanim, 1955.
Vgl. § 8 IV (Ernennung der Präsidenten der Rabbinatsgerichte sowie Bestimmung ihrer Amtszeit, frühere Zuständigkeit des Ministers der Religionen); § 9 I
(Ernennung der Richter auf Zeit am Hohen Rabbinatsgericht; frühere
Zuständigkeit des Ministers der Religionen); § 19c (Ernennung der Mitglieder
des Ethikkomitees nach Beratung mit Justizminister) Gesetz über die Dajanim,
1955.
Vgl. § 8a (Bestimmung der Sitzungszeiten, der Geschäftsverteilung und des
Dienstortes; Kompetenz zur gesonderten Bestimmung der Zeiten und
Zuständigkeiten für bestimmte Angelegenheiten); § 19b (Erlass eines Ethikkodexes für die religiösen jüdischen Richter, nach Zustimmung der Mitglieder des
IRP – Rechtspolitisches Forum Nr. 41
Zuständigkeitsbereiche des Justizministers ist festzustellen, dass
die Zahl der Fälle angestiegen ist, in denen sich der Minister mit
dem Präsidenten des Hohen Rabbinatsgerichts beraten muss 36
oder gar dessen Zustimmung bedarf. 37
Vergleicht man diese Kompetenzen mit denjenigen der Präsidenten des Berufungsgerichts der Schari’a-Gerichte oder der drusischen Gerichte, so zeigt sich, dass bei letzteren zwar auch eine
Ausweitung der Zuständigkeiten zu verzeichnen ist, diese aber
nicht ansatzweise derjenigen beim Präsidenten des Hohen
Rabbinatsgerichts entspricht. 38
III. Ergebnis
Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die Auflösung des Ministeriums der Religionen nur teilweise die angestrebte Kompetenzklar-
36
37
38
Hohen Rabbinatsgerichtes und Beratung mit dem Justizminister) Gesetz über
die Dajanim, 1955.
Vgl. § 21 I S. 1 (Beratung des Justizministers bei Verfahrensleitung im
Disziplinargericht) Gesetz über die Dajanim, 1955.
Vgl. § 13 I (Zustimmungserfordernis bzgl. der Regelungen des Justizministers
über die Verwaltungsordnung für die Gerichte; früher: lediglich Beratungspflicht des Ministers); § 18 (Zustimmungserfordernis bzgl. Ausnahmen
von der Ämterinkompatibilität); § 20 V (Zustimmungserfordernis bzgl. Verordnung über das Verfahren im Disziplinargericht); § 27 I (Zustimmung zum Erlass einer Verordnung über die Gerichtsordnung und über den Vollzug des Dajanim-Gesetzes durch den Justizminister; früher nur Beratungspflicht des Ministers der Religionen) Gesetz über die Dajanim, 1955. Vgl. auch § 11 Gesetz
über die Jurisdiktion von Rabbinatsgerichten (Eheschließungen und Ehescheidungen), 1953 (Zustimmungserfordernis bzgl. Erlass einer Verordnung
des Justizministers über den Vollzug des Gesetzes).
Vgl. für den Kompetenzzuwachs der Präsidenten z. B.: §§ 16a; 16b Gesetz über
die Kadis, 1961 (Erlass des Ethikkodex und Ernennung der Mitglieder des
Ethikkomitees durch Präsidenten des muslimischen Berufungsgerichts); § 21a
VII Gesetz über die religiösen drusischen Gerichte, 1962 (Beteiligung des
Präsidenten der drusischen Gerichte an der Befangenheitsfeststellung). Vgl. für
das Festhalten an dem ursprünglichen Kompetenzumfang der Präsidenten z. B.
§ 16 I Gesetz über die religiösen drusischen Gerichte, 1962 (weiterhin nur ein
Beratungs- kein Zustimmungserfordernis des Präsidenten des drusischen
Berufungsgerichts beim Erlass einer Verwaltungsordnung durch den Justizminister). Vgl. ferner § 30 Gesetz über die religiösen drusischen Gerichte, 1962
(weiterhin nur Beratungspflicht bei Erlass einer Verordnung zum Vollzug des
Gesetzes über die religiösen drusischen Gerichte durch den Justizminister).
13
Angelika Günzel
– Das aktuelle Religionsrecht Israels und der Verfassungsentwurf des Parlaments –
heit geschaffen hat. In gewissem Maße ist eine Angleichung der
Zuständigkeiten der religiösen Institutionen und Funktionsträger
an ihre säkularen Pendants zu konstatieren, was ebenfalls ein Ziel
der Reform war. Diese Angleichung hat gleichzeitig zu einem
Kompetenzzuwachs bei den religiösen Institutionen geführt.
Insgesamt ist schließlich eine gewisse Tendenz zur Absonderung
der jüdischen Gemeinschaft von den anderen religiösen Gemeinschaften, auch der anderen anerkannten Religionen, festzustellen.
Keine andere Gemeinschaft verfügt über einen eigenen Minister,
der sich ausschließlich mit wichtigen Teilbereichen ihrer Angelegenheiten befasst. Auch haben die Organe keiner anderen Gemeinschaft durch die Ministeriumsauflösung so viele neue Kompetenzen erhalten wie diejenigen der jüdischen Gemeinschaft.
Die von den säkularen Parteien initiierte Auflösung des Ministeriums der Religionen hat also im Ergebnis eher zu einer Zunahme
religiös-jüdischer Züge des Staates Israel geführt, auch wenn
nach wie vor von einer jüdischen Staatsreligion nicht die Rede
sein kann.
D. Der Verfassungsentwurf
Wie wirkt sich nun der aktuelle Verfassungsentwurf 39, der nach
7-jährigen Verhandlungen am 60. Unabhängigkeitstag des Staates
Israel in die Knesset eingebracht werden soll, auf das israelische
Religionsrecht aus?
I.
Ziel des Entwurfs
In den Augen vieler Israelis besteht die Aufgabe der vorgeschlagenen Verfassung – ganz in der Tradition des israelischen Reli-
39
14
Vgl. 16. Knesset. Ausschuss für Verfassung, Gesetz und Recht in ihrer Sitzung
als Ausschuss zur Vorbereitung einer Verfassung mit breiter Zustimmung,
zweiter Band. Kommentierte Fassung des Verfassungsentwurfs (ha-Knesset haschesch-esre. Wa'adat ha-Chuka, Chok we-Mischpat be-Schivta ke-Wa'ada leHachnat Chuka be-Haskama rewacha, Choweret Mispar 2, Nossach mewo'ar
schel Haza’at le-Chuka), in: Ausschuss für Verfassung, Gesetz und Recht. Verfassung mit breiter Zustimmung, http://www.huka.gov.il/wiki/materials/huka_
for_print.pdf, Abfrage: 06.02.2008.
IRP – Rechtspolitisches Forum Nr. 41
gionsrechts – lediglich darin, die vorhandenen Strukturen abzubilden.
Die Verfasser des Entwurfs sind der Ansicht, dass dieser auf einem gesellschaftlichen Konsens beruht und er diesen Konsens
auch selbst weiter fördern wird. 40 Diesem Wunsch nach Konsens
ist es geschuldet, dass zu vielen vorgeschlagenen Verfassungsbestimmungen bereits jetzt mehrere Alternativvorschläge unterbreitet werden, die zum Teil wesentlich von den jeweils favorisierten Vorschlägen abweichen.
II.
Inhalt des Entwurfs
Hinsichtlich des Verhältnisses von Staat und Religion ist den redaktionellen Anmerkungen zum Verfassungsentwurf zu entnehmen, dass eine Art Mischsystem angestrebt ist. So soll es einerseits keinen religiösen Zwang geben, der in Israel mit einer orthodox-jüdischen Staatsreligion assoziiert wird; anderseits ist auch
keine strikte Trennung von Staat und Religion nach amerikanischem Vorbild angestrebt. 41
Zwei Bestimmungen des Entwurfs sind für die Frage nach der
Stellung der religiösen Gemeinschaften im Staat Israel von besonderer Bedeutung: Artikel 13 des 2. Kapitels, der die Religionsfreiheit gewährleistet, und Artikel 1 Absatz 2 des 6. Kapitels, der
die Existenz religiöser Gerichte festschreibt.
40
41
Dementsprechend wird der Verfassungsentwurf des Israel Democracy Institute,
der demjenigen des Parlaments zugrunde liegt, auch als „Verfassung aus Konsens“ bezeichnet (vgl. Barak Cohen, Prime Time for an Israeli Constitution, in:
Israel Democracy Institute, http://www.idi.org.il/english/article.asp?id=
21102007180705, Abfrage: 06.02.2008. Der Parlamentsausschuss für Verfassung, Gesetz und Recht nennt die vorgeschlagene Verfassung „Verfassung mit
breiter Zustimmung“, vgl. die Internetseite des Ausschusses: http://
www.huka.gov.il/, Abfrage: 06.02.2008.
Vgl. Ausschuss für Verfassung, Gesetz und Recht, Kommentierte Fassung des
Verfassungsentwurfs,
http://www.huka.gov.il/wiki/materials/huka_for_print.
pdf, S. 7, Abfrage: 06.02.2008.
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Angelika Günzel
– Das aktuelle Religionsrecht Israels und der Verfassungsentwurf des Parlaments –
1.
Die Religionsfreiheit, Artikel 13 des 2. Kapitels des
Verfassungsentwurfs
Nach Auffassung der Urheber des Verfassungsentwurfs verbrieft
Artikel 13 lediglich die positive Religionsfreiheit; die negative Religionsfreiheit soll über die restlichen Freiheiten, insbesondere aber
über die in Artikel 12 desselben Kapitels gewährleistete Gewissensfreiheit geschützt sein. 42
Es stellt sich die Frage, ob auch die kollektive Religionsfreiheit
sowie das Selbstbestimmungsrecht religiöser Gemeinschaften von
der Bestimmung umfasst sind. Hierfür sprechen die Anmerkungen
zum Verfassungsentwurf, wonach die Religionsfreiheit auch die
Errichtung religiöser Gerichte umfassen soll.43 Der Verfassungstext selbst bietet für diese Lesart jedoch weder in Artikel 13 noch
an anderer Stelle einen Anhaltspunkt.
2.
Die religiösen Gerichte, Artikel 1 Abs. 2 des 6. Kapitels des
Verfassungsentwurfs
Hinsichtlich der religiösen Gerichte bestimmt der Verfassungsentwurf, dass auch diesen – neben den säkularen Gerichten – die
Rechtsprechungsgewalt zusteht. 44
a)
Fortbestand der Zweiteilung des Gerichtssystems
Die Bestimmung über die religiösen Gerichte, die von derjenigen
über die säkularen Gerichte getrennt ist, 45 ist so zu verstehen,
42
43
44
16
Vgl. Ausschuss für Verfassung, Gesetz und Recht, Kommentierte Fassung des
Verfassungsentwurfs,
http://www.huka.gov.il/wiki/materials/huka_for_print.
pdf, S. 7, Abfrage: 06.02.2008.
Vgl. Anmerkung zu Art. 1 Abs. 2 des 6. Kapitels des Verfassungsentwurfs, in:
Ausschuss für Verfassung, Gesetz und Recht, Kommentierte Fassung des Verfassungsentwurfs,
http://www.huka.gov.il/wiki/materials/huka_for_print.pdf,
S. 130, Abfrage: 06.02.2008.
Vgl. Art. 1 Abs. 2 des 6. Kapitels des Verfassungsentwurfs, in: Ausschuss für
Verfassung, Gesetz und Recht, Kommentierte Fassung des Verfassungsentwurfs,
http://www.huka.gov.il/wiki/materials/huka_for_print.pdf,
S. 130, Abfrage: 06.02.2008.
IRP – Rechtspolitisches Forum Nr. 41
dass die religiösen grundsätzlich nicht mit den säkularen Gerichten gleichgesetzt werden. Es bleibt vielmehr bei der Zweiteilung
des Gerichtssystems in einen religiösen und einen säkularen
Zweig, wobei diese Zweige zum Teil unterschiedlichen Regeln unterworfen sind. 46
b)
Institutsgarantie
Der Sinn der Erwähnung der religiösen Gerichte in der Verfassung
besteht darin – dies bestätigen auch die Anmerkungen zur
Norm –, eine Institutsgarantie für diese Gerichte zu schaffen.47
Das bedeutet, verbunden mit dem erhöhten Rang, den eine formelle Verfassung besitzt, de facto eine Aufwertung dieser Gerichte.
c)
Bindung an die Verfassung und das sonstige säkulare Recht
Aus Sicht der Väter und Mütter des Verfassungsentwurfs ist die
Bestimmung ferner so zu lesen, dass sie eine Bindung der religiösen Gerichte an die Verfassung sowie an das sonstige säkulare
Recht beinhaltet. 48 Für eine solche Bindung spricht, dass
sie – unter bestimmten Voraussetzungen – bereits jetzt schon vom
Obersten Gerichtshof Israels angenommen wird und der Ver45
46
47
48
Vgl. für die Rechtsprechungskompetenz der säkularen Gerichte Art. 1 Abs. 1
des 6. Kapitels des Verfassungsentwurfs, in: Ausschuss für Verfassung, Gesetz
und Recht, Kommentierte Fassung des Verfassungsentwurfs, http://www.huka.
gov.il/wiki/materials/huka_for_print.pdf, S. 129, Abfrage: 06.02.2008.
Vgl. Art. 1 Abs. 5 des 6. Kapitels des Verfassungsentwurfs, wo als „Richter“ im
Sinne der Verfassung ausschließlich Richter säkularer Gerichte definiert werden. (vgl. Ausschuss für Verfassung, Gesetz und Recht, Kommentierte Fassung
des Verfassungsentwurfs, http://www.huka.gov.il/wiki/materials/huka_for_
print.pdf, S. 131, Abfrage: 06.02.2008.) Vgl. auch die Anmerkungen auf Seite
130 zu Art. 1 Abs. 2 des Verfassungsentwurfs.
Vgl. Anmerkungen zu Art. 1 Abs. 2 des 6. Kapitels des Verfassungsentwurfs,
in: Ausschuss für Verfassung, Gesetz und Recht, Kommentierte Fassung des
Verfassungsentwurfs,
http://www.huka.gov.il/wiki/materials/huka_for_print.
pdf, S. 130, Abfrage: 06.02.2008.
Vgl. Anmerkungen zu Art. 1 Abs. 2 des 6. Kapitels des Verfassungsentwurfs,
in: Ausschuss für Verfassung, Gesetz und Recht, Kommentierte Fassung des
Verfassungsentwurfs,
http://www.huka.gov.il/wiki/materials/huka_for_print.
pdf, S. 130, Abfrage: 06.02.2008.
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Angelika Günzel
– Das aktuelle Religionsrecht Israels und der Verfassungsentwurf des Parlaments –
fassungsentwurf, wie erwähnt, an der bestehenden Rechtslage
nichts ändern möchte. Aber hier gilt das zur Religionsfreiheit Gesagte entsprechend: Diese Bindung ist zwar offensichtlich gewollt,
lässt sich dem Verfassungstext selbst aber nicht direkt entnehmen.
3.
Keine sonstigen Regelungen zum Verhältnis von Staat und
religiösen Gemeinschaften
Da der Entwurf keine sonstigen Regelungen über das Verhältnis
des Staates zu den religiösen Gemeinschaften enthält, ist anzunehmen, dass im Übrigen der Status quo erhalten bleiben soll.
Dies ist auch nach Maßgabe der Anmerkungen zum Verfassungsentwurf beabsichtigt.49
III. Ergebnis
Insgesamt bedeutet dies, dass der Verfassungsentwurf anscheinend den Status quo weitgehend unberührt lässt. Dies ist jedoch
nicht sicher.
Sollte der vorliegende Entwurf als formelle Verfassung durch das
Parlament angenommen werden, würden die Gesetze in Verbindung mit der heutigen Rechtsprechung, die jetzt noch als gleichberechtigter, rechtlicher Hintergrund und als wesentliches Interpretationsinstrument für den Verfassungstext genutzt werden, zu
einfachem Recht werden, dass nur in begrenztem Umfang zur
Interpretation der höherrangigen Verfassung herangezogen werden kann.
Der Text der Verfassung hätte stärkeres Gewicht als diese Gesetze und auch als die erwähnten Anmerkungen zum Verfassungsentwurf. Das Schweigen dieses ansonsten sehr ausführlichen Verfassungstextes in Bezug auf die Gewährleistung der kollektiven Religionsfreiheit und des Selbstbestimmungsrechts der
Religionsgemeinschaften sowie über die Gesetzesbindung der religiösen Gerichte legt aber eher eine bewusste Ablehnung dieser
Gewährleistung beziehungsweise dieser Bindung nahe.
49
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Vgl. Ausschuss für Verfassung, Gesetz und Recht, Kommentierte Fassung des
Verfassungsentwurfs,
http://www.huka.gov.il/wiki/materials/huka_for_print.
pdf, S. 7, Abfrage: 06.02.2008.
IRP – Rechtspolitisches Forum Nr. 41
Der Verfassungstext ist also mit Blick auf das jetzige Verhältnis
von Staat und Religion letztlich nicht neutral, sondern legt die Förderung eines religiöseren Staates nahe – obwohl die mehrheitlich
säkularen Verfassungsväter und -mütter dies nicht angestrebt haben. Seine tatsächlichen Wirkungen werden ganz von seinen
Interpreten abhängen und davon, welches Gewicht diese den Anmerkungen zum Entwurf sowie dem sonstigen Kontext der
Verfassungsgebung zubilligen werden.
19
Impressum
Herausgeber
Prof. Dr. Bernd von Hoffmann, Prof. Dr. Gerhard Robbers
Unter Mitarbeit von
Linda Kern, Maren Andres und Claudia Lehnen
Redaktionelle Zuschriften
Institut für Rechtspolitik an der Universität Trier,
Im Treff 24, 54296 Trier, Tel. +49 (0)651 / 201-3443
Homepage: http://www.irp.uni-trier.de,
Kontakt: [email protected].
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© Institut für Rechtspolitik an der Universität Trier, 2008
ISSN 1616-8828
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