Christentum und Religionen elementar - Content

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© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen
ISBN Print: 9783525614259 — ISBN E-Book: 9783647614250
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Rainer Lachmann
Martin Rothgangel
Bernd Schröder
(Hg.)
C H RI STE NTU M U N D
RE LIG ION E N E LE M E NTAR
Lebensweltlich – theologisch – didaktisch
Vandenhoeck & Ruprecht
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Theologie für Lehrerinnen und Lehrer (TLL)
Herausgegeben von
Rainer Lachmann und Gottfried Adam
Band 5
Mit 4 Abbildungen
Bibliographische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind
im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-525-61425-9
© 2010 Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen/www.v-r.de
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt.
Jede Verwendung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der
vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlags. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das
Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des
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entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke.
Printed in Germany
Satz: Dörlemann Satz, Lemförde
Druck und Einband: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm
Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
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Inhalt
5
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
I. Grundfragen
1. Religionswissenschaftliche Orientierung und theologische
Positionierung (Bernd Schröder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
2. Von der Fremdreligionen-Didaktik zum Interreligiösen Lernen
(Rainer Lachmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
3. Inhalt und Aufbau (Martin Rothgangel) . . . . . . . . . . . . . . .
41
II. Christliche Konfessionen
1. Evangelisch (Friedrich Schweitzer) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
2. Freikirchlich (Walter Fleischmann-Bisten) . . . . . . . . . . . . . . .
63
3. Orthodox (Martin Tamcke) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
4. Römisch-Katholisch (Albert Biesinger / Iris Gruhle) . . . . . . . . .
97
III. Weltreligionen
1. Judentum (Bernd Schröder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
2. Islam (Bernd Schröder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
3. Hinduismus (Johannes Lähnemann) . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
4. Buddhismus (Johannes Lähnemann) . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
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6
Inhalt
IV. Sondergemeinschaften und neue Religionen /
Weltanschauungen
1. Zeugen Jehovas (Roland Biewald) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
2. Mormonen (Rainer Lachmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
3. Anthroposophie / Christengemeinschaft (Christian Grethlein) . . . 254
4. Scientology (Andreas Grünschloß) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274
V. Moderne Variationen von Religion
1. Patchwork-Religiosität / Synkretismen (Andrea Schulte) . . . . . . 297
2. Kulturelle Transformationen von Religion (Manfred L. Pirner) . . 313
3. Zivilreligion (Rolf Schieder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328
4. Fundamentalismus (Martin Rothgangel) . . . . . . . . . . . . . . . 343
5. Esoterik / Okkultismus (Heinz Streib / Werner H. Ritter) . . . . . . 362
VI. Anhang
1. Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383
2. Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386
3. Sachregister
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
4. Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
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Vorwort
7
Vorwort
Mit vorliegendem 5. Band findet die TLL-Reihe ihren Abschluss. Nach
den vorausgegangenen Bänden »Theologische Schlüsselbegriffe« (22004),
»Elementare Bibeltexte« (32008), »Kirchengeschichtliche Grundthemen«
(22008) und »Ethische Schlüsselprobleme« (2006) befasst sich dieser
letzte Band der »Theologie für Lehrerinnen und Lehrer« (TLL) mit der
komplexen Thematik »Christentum und Religionen«. Er greift damit einen Inhalts- und Kompetenzbereich des Religionsunterrichts auf, der in
unserer multireligiösen Gesellschaft zunehmend an Bedeutung gewonnen hat und heute unter dem didaktischen Signum des »Interreligiösen
Lernens« nicht nur dem Religionsunterricht aufgegeben ist. Entsprechend beschäftigt sich der Band nach Klärung der »Grundfragen« (I) zuerst mit den »Christliche(n) Konfessionen« (II), kommt dann zur Auseinandersetzung mit den »Weltreligionen« (III) und – gewissermaßen einer
Rarität in der didaktischen Literatur! – mit den »Sondergemeinschaften
und neue(n) Religionen / Weltanschauungen« (IV). Der Band schließt ab
mit »Moderne(n) Variationen von Religion« (V). Damit wird den Lehrerinnen und Lehrern des Religionsunterrichts ein weites Inhaltsspektrum
eröffnet und angeboten, aus dem sie je nach curricularem Bedarf auswählen können.
Wie bei dem TLL-Band »Ethische Schlüsselbegriffe« ist auch bei diesem letzten Band sicher zuerst an Lehramtsstudierende und Lehrkräfte
der Sekundarstufe I und II gedacht. Doch angesichts der Tatsache, dass
interreligiöses Lernen in wachsendem Maße auch bereits in der Grundschule gepflegt wird, gewinnen Inhalte und Intentionen vorliegenden
Bandes auch für die Studierenden, Referendare, Religionslehrer und Religionslehrerinnen, Religionspädagoginnen und Religionspädagogen,
Pfarrer und Pfarrerinnen, die an Grundschulen unterrichten, didaktisches Gewicht. Geleitet ist auch dieser Band wie alle anderen der Reihe
vom Prinzip der Elementarisierung, was im Titel gleichsam verpflichtend
zum Ausdruck gebracht ist. Das verlangt fachwissenschaftlich korrekte
Information, die im Blick auf die Lehrerinnen und Lehrer, die dieses
Buch benutzen, zu existenziell und unterrichtlich ansprechender Verständlichkeit und Brauchbarkeit führen soll. Damit diese Elementarisie-
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Vorwort
rungsaufgabe nicht nur unverbindliche Absichtserklärung bleibt, haben
wir alle Autoren auf eine undispensierbar einheitliche Struktur ihrer Artikel verpflichtet. Analog zu den anderen Bänden der Reihe sind alle Beiträge unterteilt in die Segmente (1) lebensweltlich, (2) theologisch, (3) didaktisch. Unter lebensweltlich geht es vorrangig um die Bedeutung der
Konfession bzw. Religion für die Schüler und Schülerinnen in ihrer Lebenswelt. Theologisch verlangt das sowohl konfessionskundliche und religionswissenschaftliche Erarbeitung und Beschreibung wie theologische
Beurteilung, Einschätzung und Positionierung und fordert didaktisch die
Inbeziehungsetzung von Lebensweltlichem und Theologischem mit begründeter Auswahl, Zielsetzung und nach Schulstufen differenzierten
Konkretionen, methodischen Vorschlägen und Curriculumbezug. Solcher Vermittlung elementarer Kenntnisse in didaktischer Perspektive
sind zur vergewissernden und vertiefenden Weiterarbeit unter jedem Artikel drei bis fünf Literaturhinweise hinzugefügt worden, die als Empfehlung keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Repräsentanz erheben.
Jeder Artikel ist mit dem Namen des Bearbeiters gezeichnet, der ihn im
vorgegebenen Rahmen inhaltlich zu verantworten hat und dabei sicher
sein konnte, dass Herausgeber und Lektorat je seine persönliche Note
und Eigenart achteten und nicht nivellierten. Das bedingte eine abwechslungsreiche Vielfalt an Reflexion und Diktion, ohne dass darüber eine
grundlegende Gemeinsamkeit theologischer, religionswissenschaftlicher
und didaktischer Überzeugungen im Horizont heutiger Lebenswelt zwischen den Beiträgern verloren gehen musste. Die Querverweise in den
einzelnen Artikeln und die dem Band angefügten beiden Register zeugen
von dieser wechselseitig ergänzenden Gemeinsamkeit, wollen aber vor allem einen raschen und effektiven Umgang mit den Inhalten gewährleisten, die unter dem Titel »Christentum und Religionen elementar« versammelt sind.
Der Abschluss einer Reihe, die 1999 mit den von Gottfried Adam,
Werner H. Ritter und Rainer Lachmann verfassten »Theologische(n)
Schlüsselbegriffe(n)« ihren Anfang genommen hat, gibt Anlass zu einer
Rückschau auf zehn Jahre Arbeit an fünf Bänden »Theologie für Lehrerinnen und Lehrer«. Wenn man die Zahl der Auflagen als ein Kriterium
für die erfolgreiche Annahme durch die Benutzer ansehen darf, so kann
man nur dankbar bekennen, dass sich die Erwartungen und Hoffnungen,
die wir an unsere TLL-Reihe geknüpft haben, in vieler Hinsicht erfüllten.
Die Arbeit in der universitären Ausbildung der künftigen Religionslehrerinnen und Religionslehrer ließ dem »Erfinder« der Reihe das Fehlen wissenschaftlich gediegener, aber gleichzeitig dem knappen Zeitbudget von
künftigen wie praktizierenden Lehrerinnen und Lehrern Rechnung tra-
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Vorwort
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gender didaktischer Literatur immer wieder schmerzlich bewusst werden. Dem wollte unsere »Theologie für Lehrerinnen und Lehrer« anspruchsvoll abhelfen, indem sie unter bewusster Absetzung von der
Gattung »Aus der Praxis für die Praxis« theologisch und didaktisch verantwortete und erarbeitete religionspädagogische Literatur bietet, die
zwar nicht beansprucht, didaktischer Longseller zu werden, immerhin
aber – wie an den bisher erschienen Bänden zu sehen – mindestens eine
Jahrzehnte lange »Halbwertzeit« erreichen möchte.
Der Dank, der jetzt den Mitarbeitern bzw. Mitarbeiterinnen an diesem
jüngsten und zugleich letzten Reihenband gilt, schließt indirekt auch die
wechselnden Herausgeber und Beiträger der vorangegangenen Bände
mit ein. Zuerst ist den Autoren zu danken, die ihre reiche fachwissenschaftliche Kompetenz konfessionskundlich, religionswissenschaftlich,
»religiös« und immer auch theologisch in ihre Beiträge eingebracht haben
und darüber hinaus auch versuchten, dem didaktischen Anspruch zu genügen. Dank gilt auch den zahlreichen Helfern und Helferinnen, den Assistentinnen und Assistenten, den Hilfskräften und nicht zuletzt den Sekretärinnen in Göttingen, Saarbrücken und auch noch in Bamberg, die
am Computer bei der formalen Vereinheitlichung, beim Korrekturlesen
und Registererstellen dazu beigetragen haben, dass auch dieser letzte Reihenband zu einem lesbaren und brauchbaren Buch werden konnte. Stellvertretend für alle anderen Sekretärinnen gestattet sich der Herausgeber
und Autor, der leitend an allen fünf Bänden beteiligt war, ausnahmsweise
einen namentlichen Dank an seine »Perle« am Bamberger Computer,
Gudrun Lilge, für zehn Jahre klaglose und kompetente Arbeit auszusprechen. Ohne ihre glänzenden Fähigkeiten und Fertigkeiten und ihre fröhliche Gelassenheit wäre die ohnehin schon mühsame Herausgebertätigkeit noch entschieden mühsamer gewesen, was besonders der Bamberger
Herausgeber bei diesem letzten Band am »eigenen Computer« mit seinen
faszinierenden Möglichkeiten erfahren durfte.
Last but not least müssen wir dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht für
zehn Jahre bewährte Zusammenarbeit danken, und auch dieser Dank
darf diesmal namentlich ausfallen: Einmal in dankbarem Gedenken an
den so früh verstorbenen Lektor Dr. Wolfgang Schulz, der Gottfried
Adam und mir bei der Planung unserer damals ganz neuen, so noch nie
dagewesenen Buchreihe eine in jeder Hinsicht wertvolle Hilfe war; zum
anderen gebührt – wenn nicht jetzt, wann dann? – der Lektorin Dr. Martina Steinkühler ausdrücklicher Dank, denn sie war es, die unsere Reihe
all die Jahre über mit Rat, Tat und Kritik (schul-)meisterlich betreute und
das mit engagierter Kompetenz, die auch bei Meinungsverschiedenheiten
das Streiten fruchtbar machen konnte. Der »Altherausgeber« weiß, wo-
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Vorwort
von er spricht, und sagt ein »Extra-Danke«! Dass darüber hinaus unsere
Reihe beim Verlag eine nicht geringe Wertschätzung genießt, zeigt sich
auch daran, dass es ein Paket zu einem echten Vorzugspreis gibt, womit
die Reihe nicht nur für Lehramtsstudierende zum erschwinglichen
Grundstock für eine eigene kleine Bibliothek werden könnte, in der die
fünf wichtigsten Inhaltsbereiche eines jeden christlichen Religionsunterrichts elementar versammelt sind.
Bamberg / Göttingen / Saarbrücken
im November 2009
Rainer Lachmann / Martin Rothgangel / Bernd Schröder
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I.
Grundfragen
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Religionswissenschaftliche Orientierung und theologische Positionierung
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1. Religionswissenschaftliche
Orientierung und theologische
Positionierung
Bernd Schröder
Das Thema »Christentum und Religionen« adressiert nicht nur ein weites Feld von Phänomenen – von christlichen Denominationen und Sondergemeinschaften über Weltreligionen bis hin zu modernen Spielarten
von Religiosität –, sondern auch ein Spektrum von Wissenschaften bzw.
Disziplinen (1.1). Dementsprechend erfordert der Umgang mit dieser
Thematik nicht allein Sachkenntnis, sondern auch ein Problembewusstsein im Blick auf Überschneidung bzw. Abstimmung zwischen den einschlägigen Disziplinen (1.2).
1.1 Referenzwissenschaften für das Themenfeld
»Christentum und Religionen«
Die einschlägigen Wissenschaften lassen sich – wie unten zu zeigen ist:
mit einer gewissen Unschärfe – entweder der Gruppe der Religionswissenschaften oder derjenigen der theologischen Disziplinen zuordnen. In
beiden Fällen ist der Singular unangemessen; vielmehr ist sowohl von Religionswissenschaften als auch von Theologien resp. theologischen Disziplinen im Plural zu sprechen.
1.1.1 Religionswissenschaften
Landläufig wird unter dem Begriff »Religionswissenschaft« die Erforschung der Geschichte von Religionen und deren vergleichende Betrachtung –
beides insbesondere im Blick auf nicht-christliche Religionen – verstanden. Dieses Verständnis entspricht dem Selbstverständnis der »Religionswissenschaft«, wie es in deren Gründerzeit als wissenschaftliche Disziplin
an Universitäten in Deutschland bzw. Europa (in der 2. Hälfte des 19. Jh.s
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Bernd Schröder
und Anfang des 20. Jh.s) artikuliert wurde.1 Allerdings erschöpfte und erschöpft sich Religionswissenschaft nicht in historischer und komparativer Arbeit – im Laufe der Wissenschaftsgeschichte haben weitere Arbeitsweisen und Selbstverständnisse, dazu auch Spezialisierungen und
neue Fragestellungen in einem solchen Maß Eingang gefunden, dass
kaum mehr von einem einheitlichen Begriff »Religionswissenschaft« die
Rede sein kann, sondern nur mehr von Religionswissenschaften.2 Dabei
macht weniger die Vieldeutigkeit des Begriffs »Religion« Beschwer3 – Religionswissenschaften wenden sich in der Regel Phänomenen bzw. Gemeinschaften zu, deren Charakter als »Religion« unabhängig von der Definition dieses Begriffs unstrittig ist – als vielmehr die Unterschiedlichkeit
der erkenntnisleitenden Interessen (Jürgen Habermas), die Wahl der Methode und die Angemessenheit der Ergebnisse. Als eine der Streitfragen
sei diejenige angeführt, ob Religionswissenschaften ihren Gegenstand
idealerweise so darzustellen haben, dass Angehörige der betreffenden Religionsgemeinschaft sich in dieser Beschreibung wiedererkennen bzw.
verstanden fühlen, oder im Gegenteil gerade so, dass die Binnenperspektive der religiösen Menschen zwar durchsichtig bleibt, aber eben begrifflich und systematisch verfremdet wird.4
Die Pluralität der Positionen lässt sich unter verschiedenen Gesichtspunkten ordnen – zwei solcher möglicher Ordnungsversuche seien kurz
angesprochen:
1 In entsprechenden Monografien aus den 1870er Jahren entfaltet hat jene doppelte Aufgabenbestimmung bereits der in Deutschland geborene, ab 1850 in Oxford lehrende
Indologe Friedrich Max Müller (1823–1900). Wissenschaftstheoretisch entfaltet
wurde dieses Selbstverständnis von dem Leipziger, später Chicagoer Religionswissenschaftler Joachim Wach (1888–1955) in dessen Buch »Religionswissenschaft. Prolegomena zu ihrer wissenschaftstheoretischen Grundlegung« (Leipzig 1924 [Nachdruck
Waltrop 2001]). Zu weiteren »Klassiker[n] der Religionswissenschaft« vgl. den von A.
Michaels hg. gleichnamigen Band (München 1997).
2 Eine Übersicht bieten etwa J. Figl (Hg.), Handbuch Religionswissenschaft, Darmstadt
2003, Kl. Hock, Einführung in die Religionswissenschaft, Darmstadt (2002) 32008, H.
G. Kippenberg / K. von Stuckrad, Einführung in die Religionswissenschaft. Gegenstände
und Begriffe, München 2003, und M. Klöcker / U. Tworuschka (Hg.), Praktische Religionswissenschaft: ein Handbuch für Studium und Beruf, Köln u. a. 2008. Als Nachschlagewerk zur Religionswissenschaft als Wissenschaft wie zu ihren Gegenständen
siehe das »Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe«, hg. von H. Cancik
u. a., 5 Bde., Stuttgart 1988–2001.
3 Eine Übersicht über gängige Religionsbegriffe bietet etwa D. Pollack, Was ist Religion?
Probleme der Definition, in: Ders.: Säkularisierung – ein moderner Mythos, Tübingen
2003, 28–55; vgl. zudem E. Feil, Religio, 4 Bde., Göttingen 1986/1997/2001/2008 und
F. Wagner, Was ist Religion? Gütersloh 1986.
4 Für die erste Option plädieren etwa Wilfred Cantwell Smith und Udo Tworuschka
u. a., für die zweite Fritz Stolz und Klaus Hock.
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Religionswissenschaftliche Orientierung und theologische Positionierung
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So lassen sich erstens in konzeptionell-methodischer Hinsicht verschiedene
Richtungen unterscheiden: Während die Religionsgeschichte die Genese
und historische Entwicklung einzelner oder mehrerer Religionen nachzuzeichnen sucht, ist die vergleichende Religionswissenschaft an der Zusammenschau religiöser Phänomene (etwa an Segenshandlungen oder Erlösungsvorstellungen) aus verschiedenen Religionen oder am Vergleich
von Religionen als Ganzheiten interessiert.5 Ziel ist die Entwicklung bzw.
Überprüfung von Kategorien oder Typisierungen, die es erlauben, die
Welt der Religionen zu ordnen – eingedenk des Diktums eines Begründers dieser Forschungsrichtung: »Wer eine [Religion] kennt, kennt
keine.«6 Von ganz anderem Zuschnitt ist die Religionsphilosophie: Sie widmet sich mit dem Kriterienrepertoire philosophischer Reflexion der Plausibilitätsprüfung religiöser Deutungen von Wirklichkeit und der Religionskritik.7 Darüber hinaus ist ein Bündel von Wissenschaften zu nennen,
die sich empirisch mit Religionen bzw. religiösen Phänomenen beschäftigen: Religionssoziologie (als Wissenschaft von der sozial-gesellschaftlichen
Ausprägung von Religionen) und Religionspsychologie (als Wissenschaft
von der individuell-psychischen Rezeption und Wirkung von Religionen) gehören dazu, aber auch Religionsgeografie (als Wissenschaft von
der Wechselwirkung zwischen Religionen und ihrer Umwelt) oder Religionsethnologie (als Wissenschaft von den [vormals] schriftlosen Religionskulturen).8 In der Sache weist die Existenz dieser Disziplinen darauf
hin, dass Religionen keineswegs im Gefüge ihrer geistig-geistlichen Gehalte aufgehen (wie sie etwa in den heiligen Schriften, den Dogmen, den
normativen Riten o. ä. fixiert sind). Vielmehr besteht eine Differenz zwischen geoffenbarter bzw. gelehrter Religion und gelebter Religion, der es
wissenschaftlich nachzugehen gilt. Eine Religion – sei es forschend, sei es
unterrichtend – zu erschließen, setzt das Wissen um diese Differenz und
die Kenntnis beider Pole, der Lehre wie der tatsächlichen Praxis dersel5 Kompendium religionsgeschichtlicher Forschung ist die 1960 eröffnete Reihe »Die Religionen der Menschheit« (Stuttgart; bislang 31 Bände) – zum Ansatz s. H. G. Kippenberg, Die Entdeckung der Religionsgeschichte, München 1997. Vergleichend angelegt
ist der zweite Teil in J. Figl (Hg.), aaO.
6 F. M. Müller, Einleitung in die vergleichende Religionswissenschaft, Straßburg 1876,
14.
7 W. Löffler, Einführung in die Religionsphilosophie, Darmstadt 2006; vgl. auch I. U.
Dalferth / Ph. Stoellger (Hg.), Hermeneutik der Religion, Tübingen 2007.
8 Zu einzelnen der genannten Gebiete siehe exemplarisch H. Knoblauch, Religionssoziologie, Berlin / New York 1999; M. Utsch, Religionspsychologie, Stuttgart 1998 und S.
Heine, Grundlagen der Religionspsychologie, Göttingen 2005; R. Henkel, Atlas der Kirchen und der anderen Religionsgemeinschaften in Deutschland. Eine Religionsgeografie, Stuttgart 2004.
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Bernd Schröder
ben, voraus. Das gilt für das Christentum ebenso wie für den Islam oder
andere Religionen.
Zweitens sind Religionswissenschaften nach ihren Gegenständen spezialisiert. So haben sich im euro-amerikanischen Wissenschaftsraum besondere Disziplinen zu einzelnen Religionen und den mit ihnen verwobenen
Kulturen herausgebildet: vorrangig sind Judaistik (auch: »Jewish Studies« o. ä.) als Wissenschaft vom Judentum, Islamwissenschaft und Indologie (als Wissenschaft des indischen Kulturraums) oder Südostasienbzw. Buddhismuskunde zu nennen. Weder wissenschaftsorganisatorisch
noch ihrem Selbstverständnis nach sind diese Disziplinen einlinig den
»Religionswissenschaften« zuzuordnen – sie haben so hohe sprach- und
kulturwissenschaftliche Anteile, dass sie bisweilen als Philologien oder
Kulturwissenschaften konzipiert werden. Dennoch tragen sie wesentlich –
um nicht zu sagen: mehr – zur Erforschung und Vermittlung von »Judentum«, »Islam« und »Hinduismus« bei, als es eine allgemeine Religionswissenschaft tut bzw. tun kann.9 In der Sache weist die Existenz dieser
einerseits spezialisierten, andererseits nicht nur religionsorientierten Wissenschaften darauf hin, dass Religionen – zumindest die Weltreligionen –
nicht in ihren religiösen Momenten aufgehen, vielmehr in Wechselwirkung mit einer oder mehreren Sprachen, politisch-gesellschaftlichen Konstellationen und Kulturräumen stehen. Ein tiefer gehendes Verständnis
der jeweiligen Religion setzt folgerichtig die Beschäftigung mit diesen
Faktoren voraus – so lässt sich in der Tat, um ein Beispiel herauszugreifen, das Judentum schwerlich ohne Hebräisch-Kenntnisse (ggf. Kenntnisse des Jiddischen) und Berücksichtigung säkular-nationaler Strömungen (etwa weiter Teile des Zionismus) begreifen. Insofern sind diese auf
einzelne Weltreligionen bezogenen Wissenschaften die bevorzugten Referenzwissenschaften eines RU, der eben diese Weltreligionen prominent
behandelt.
Die verschiedenen Disziplinen und Ansätze innerhalb der Religionswissenschaften schließen sich nicht aus – sie sind im Wesentlichen Ausdruck von Spezialisierungen, die notwendig sind, um Religionen und ihre
Ausdrucksformen in der modernen, ›globalisierten‹ Welt angemessen zu
verstehen.
9 Vgl. neben den einschlägigen Artikeln des Lexikons »Religion in Geschichte und Gegenwart« (hg. von H. D. Betz u. a., 9 Bde., Tübingen 41998–2007) hier nur G. Stemberger, Einführung in die Judaistik, München 2002; P. Heine, Einführung in die Islamwissenschaft, Berlin 2009 und H. Bechert / G. von Simson (Hg.), Einführung in die
Indologie: Stand, Methoden, Aufgaben, Darmstadt (1979) 21993.
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Religionswissenschaftliche Orientierung und theologische Positionierung
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1.1.2 Theologische Disziplinen zur Erschließung von »Religionen«
Kaum minder komplex sind die Verhältnisse innerhalb der Theologien –
wobei dieser Plural sich aus deren konfessioneller Bindung und der Mehrzahl der theologischen Disziplinen ergibt: Es gibt nicht die eine Theologie, sondern evangelische, katholische, orthodoxe Theologie (z. T. zudem jüdische oder islamische Theologie); es gibt neben den – je nach
Konfession – fünf bis sieben Hauptdisziplinen etliche Spezialisierungen.
So haben sich zumal innerhalb der evangelischen wie der katholischen
Theologie in Deutschland bzw. in Europa und Nordamerika im 19. und
20. Jh. mehrere Disziplinen etabliert, die sich der Erforschung von christlichen Denominationen, Sondergemeinschaften oder anderen Religionen
widmen. Sie seien hier vor allem hinsichtlich ihrer Geschichte und ihres
Gegenstandsbereiches kurz charakterisiert:
Die Missionswissenschaft als praktisch-theologische oder kirchengeschichtliche akademische Reflexionsrichtung und theologische Disziplin
lässt sich bis zum Beginn des 19. Jh.s zurückverfolgen – wenngleich Anfänge missionstheologischer Reflexion dem vorauslaufend bereits in den
paulinischen Briefen und im lukanischen Doppelwerk zu finden sind. Gegenstand der Missionswissenschaft ist die Reflexion auf die Geschichte,
den Auftrag und die Gelingensbedingungen christlicher Mission. Zu dieser Reflexion auf die Gelingensbedingungen gehörte und gehört seit jeher auch die Erkundung derjenigen Religionen, deren Angehörige missioniert wurden oder werden sollen – dies waren vor allem indigene
Religionen Afrikas, Asiens und Amerikas – sowie die Reflexion auf die
Kirchen, die aus der Mission hervorgegangen sind – dies sind etwa die
Partnerkirchen der heutigen Missionswerke (z. B. die Evangelisch-lutherische Kirche in Jordanien und im Heiligen Land [ELCJHL]) oder auch
kirchliche Gemeinschaften, die ursprünglich in Missionsgebieten europäischer Kirchen entstanden, nun aber ihrerseits in Europa Anhänger finden (z. B. einige der Pfingstkirchen). Insofern hat Missionswissenschaft
traditionell eine religionswissenschaftliche oder zumindest religionskundliche Komponente.10 In der Gegenwart trägt die Missionswissenschaft zur Beantwortung der Frage nach dem Verhältnis zwischen Christentum und Religionen vor allem durch ihre hermeneutischen
Reflexionen bei. Aus ihren Reihen ist eine Verstehenslehre des Fremden
entwickelt worden, die nicht nur im Kontext missionarischer Arbeit
fruchtbar werden kann: Fremde und fremde Religionen zu verstehen,
10 Zur Einführung siehe W. Ustorf, Missionswissenschaft, in: D. Ritschl / ders., Ökumenische Theologie – Missionswissenschaft, Stuttgart u. a. 1994, 99–144 sowie Chr. Dahling-Sander u. a. (Hg.), Leitfaden Ökumenische Missionstheologie, Gütersloh 2003.
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Bernd Schröder
setzt demnach respektvolles Einfühlen und »Konvivenz«, also ein Zusammenleben mit den drei Elementen »der gegenseitigen Hilfe, des wechselseitigen Lernens und des gemeinsamen Feierns« voraus.11
Am Ende des 19. Jh.s entstand die Konfessions- oder Kirchenkunde, die sich
den Merkmalen bzw. Unterschieden der verschiedenen christlichen Kirchen widmet. Angesichts ihrer Vorgeschichte in Symbolik und Apologetik konzentriert sie sich dabei auf die Lehren und offiziellen Riten der
Kirchen – erst in jüngerer Zeit finden, nicht zuletzt auf Grund entsprechender (kirchen-)historischer Studien, auch die sogenannten Konfessionskulturen12 Beachtung. In den Blick der Konfessionskunde kommen
schwerpunktmäßig die Denominationen und Sondergemeinschaften, die
im jeweils eigenen Land vertreten sind: Im Falle der Bundesrepublik
Deutschland reicht das Spektrum von der römisch-katholischen Kirche
bis zu den Siebenten-Tags-Adventisten, von der anthroposophischen
Christengemeinschaft bis zu den Zeugen Jehovas (s. u. II. und IV.).13
Nicht als eigene Disziplin etabliert hat sich die Erforschung von und Auseinandersetzung mit sogenannten Sekten bzw. neuen religiösen Bewegungen (auch:
Esoterik-Forschung). Mit beiden Begriffen werden religiöse oder pseudo-religiöse Gemeinschaften bezeichnet, die sich von keiner der traditionellen
Religionen herleiten, in der Regel auf eine Leitfigur ausgerichtet sind und
ein primär kontrastives, nicht-dialogisches Verhältnis zu ihrer Umwelt
aufbauen. Dazu gehören etwa »Scientology / Dianetik« (s. u. IV.4), der
»Bruno Gröning-Freundeskreis« oder die »Rosenkreuzer«. Die Beobachtung, Beschreibung und kritische Beurteilung solcher Gruppen wird in
Deutschland zum geringeren Teil von akademischen Disziplinen, eher
von kirchlichen Einrichtungen wie der »Evangelischen Zentralstelle für
Weltanschauungsfragen (EZW)« (Berlin) wahrgenommen.14
In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich neben und aus der
Konfessionskunde sukzessive die Ökumenik bzw. Ökumenische Theologie
11 So mit Th. Sundermeier, Den Fremden verstehen, Gütersloh 1997; hier auch ders., Konvivenz als Grundstruktur ökumenischer Existenz heute, in: W. Huber / D. Ritschl / Th.
Sundermeier, Ökumenische Existenz heute, München 1986, 49–100, bes. 66.
12 Dazu F. W. Graf, Art. Konfessionskulturen, in: RGG IV, Tübingen 42001, 1551 f.
13 Die letzte große Darstellung stammt von R. Frieling / E. Geldbach / R. Thöle, Konfessionskunde. Orientierung im Zeichen der Ökumene, Stuttgart u. a. 1999; vgl. (aus katholischer Sicht) die »Kleine Konfessionskunde«, hg. vom Johann-Adam-Möhler-Institut, Paderborn 31999. Fortlaufende gründliche Informationen bietet vierteljährlich die
»Evangelische Orientierung. Zeitschrift des Evangelischen Bundes«.
14 Literatur in Auswahl: Handbuch Religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen,
hg. von H. Krech, Gütersloh 62006; Panorama der neuen Religiosität, hg. von R. Hempelmann u. a., Gütersloh 2001; H. Obst, Apostel und Propheten der Neuzeit, Göttingen
42000.
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Religionswissenschaftliche Orientierung und theologische Positionierung
19
entwickelt. Im Unterschied zur Konfessionskunde, die primär an den Besonderheiten und Differenzpunkten der Konfessionen interessiert war
und ist, geht es der Ökumenischen Theologie um Gemeinsamkeiten und
Konsensmöglichkeiten zwischen den christlichen Konfessionen. Ökumenische Theologie thematisiert deshalb nicht Sondergemeinschaften oder
Sekten, sondern konzentriert sich weithin auf das Verhältnis zwischen
evangelischen Landeskirchen und Freikirchen, anglikanischer oder römisch-katholischer Kirche – wie die Konfessionskunde verhandelt sie dabei insbesondere Themen der kirchlichen Lehre (Kirchen- und Amtsverständnis, Rechtfertigungslehre, Sakramente u. ä.).15
Neben der Ökumenischen Theologie ist als für das Thema »Christentum und Religionen« einschlägiges Reflexionsgebiet innerhalb der Systematischen Theologie die sogenannte Theologie der Religionen (auch: Religionstheologie) anzusprechen, die sich seit den 1980er Jahren zu etablieren
beginnt. Ihr Thema ist die Entfaltung christlicher Theologie unter den
Bedingungen des modernen religiösen Pluralismus, anders gesagt: die
Darlegung des christlichen Selbstverständnisses im Wissen um konkurrierende Wahrheitsansprüche und Deutungsoptionen anderer Religionen. Zur Bearbeitung dieser Aufgabe gehört die Würdigung nicht-christlicher Religionen aus christlich-theologischer Perspektive konstitutiv
hinzu.16 Könnte die Theologie der Religionen prinzipiell jede Religion in
ihre Reflexion einbeziehen, beschränken sich die vorliegenden Entwürfe
de facto weitestgehend auf die Auseinandersetzung mit dem Islam, dem
Hinduismus und dem Buddhismus (s. u. III.).17
Im Blick auf den evangelischen oder katholischen RU und seine mögliche Kooperation mit dem jüdischem und islamischem RU ist eine weitere Disziplin anzuführen, die allerdings noch in den Kinderschuhen steckt: die vergleichende Religionspädagogik. Eine ihrer Aufgaben neben dem internationalen Vergleich religiöser
15 Als Ausarbeitung vgl. P. Neuner, Ökumenische Theologie, Darmstadt 1997.
16 Abstrakter formuliert: »Der Theologie der Religionen obliegt eine Geltungsreflexion
von fremden religiösen Selbst- und Weltdeutungen aus der Perspektive der theologischen Selbstbeschreibung einer Religion.« (Chr. Danz, Einführung in die Theologie der
Religionen, Münster u. a. 2005, 37). Vgl. als Einführung außerdem P. Schmidt-Leukel,
Gott ohne Grenzen. Eine christliche und pluralistische Theologie der Religionen, Gütersloh 2005, und – mit dem Akzent auf der Explikation christlichen Selbstverständnisses – H. M. Barth, Dogmatik. Evangelischer Glaube im Kontext der Weltreligionen,
Gütersloh (2001) 22002.
17 Das Judentum bleibt ausgespart – allerdings hat diesbezüglich etwa Clemens Thoma
schon 1978 eine »Christliche Theologie des Judentums« vorgelegt; nicht minder bahnbrechend P. von der Osten-Sacken, Grundzüge einer Theologie im christlich-jüdischen
Gespräch, München 1982.
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Bernd Schröder
Bildung und Sozialisation besteht darin, Traditionen und gegenwärtige Formen
religiösen Unterrichts zu erforschen, die insbesondere dem Judentum und dem Islam eigen sind. Das Wissen um die unterschiedlichen Lehr-Lern-Traditionen der
Konfessionen und Religionen, die im Rahmen der Schule RU erteilen, ist eine
m. E. nicht zu unterschätzende Voraussetzung für eine gelingende interreligiöse
oder konfessionell-kooperative Zusammenarbeit.18
Im Blick auf ihre Gegenstandsbereiche sind die genannten Disziplinen
nur z. T. deutlich zu unterscheiden; klarer werden die Differenzen durch
den Blick auf Wissenschaftsgeschichte und Abzweckung der jeweiligen
Fachrichtung.
1.1.3 Verhältnisbestimmung Religionswissenschaften – Theologien
Von grundlegender Bedeutung ist angesichts der Fülle verschiedener Disziplinen (und Forschungsrichtungen) zum Themenfeld »Christentum
und Religionen« die Abgrenzung zwischen Religionswissenschaften und
Theologien – auch wenn selbst in dieser Hinsicht eine gewisse Unschärfe
besteht, die äußerlich etwa an der Existenz religionswissenschaftlicher
Professuren an Theologischen Fakultäten sichtbar wird.
Religionswissenschaften und Theologien sind nicht getrennt, sondern
verbunden durch ihren gemeinsamen Gegenstand »Religion« (unabhängig
davon, wie dieser Gegenstand im Einzelnen definiert wird). Beide können von ihrem Selbstverständnis her prinzipiell sämtliche Ausdrucksformen von Religion, also auch sämtliche Religionen, thematisieren – allerdings hat sich de facto eine gewisse Arbeitsteilung herauskristallisiert:
Gegenstand der Theologien ist primär die jeweils eigene Religion oder
Konfession, d. h. evangelische Theologie konzentriert sich auf die Erforschung und Auslegung protestantischer Christentums- und Kirchengeschichte. Gegenstand der Religionswissenschaften sind demgegenüber
nicht-christliche Erscheinungsformen von Religion; in Deutschland wid-
18 Zur vergleichenden Religionspädagogik vgl. F. Schweitzer, Begegnung in der Wissenschaft, in: JRP 21/ 2005, 189–206, sowie B. Schröder, Religionspädagogik – methodisch
profiliert, international, binnendifferenziert, in: ThLZ 132/ 2007, 747–762, bes, 757 f.
Als Einblick in mögliche Erträge vgl. B. Schröder, Jüdischer und Islamischer Religionsunterricht in Deutschland – ein Längsschnitt, in: R. Lachmann / ders. (Hg.), Geschichte
des evangelischen Religionsunterrichts in Deutschland. Ein Studienbuch, Neukirchen-Vluyn 2007, 365–395, und H. H. Behr / D. Krochmalnik / ders. (Hg.), Was ist ein guter Religionslehrer? Antworten von Juden, Christen und Muslimen, Berlin 2009.
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Religionswissenschaftliche Orientierung und theologische Positionierung
21
men sich Religionswissenschaften zumeist den sogenannten Weltreligionen.19
Auch im Hinblick auf ihre Methoden sind Religionswissenschaften und
Theologien schwerlich zu unterscheiden: Beide bedienen sich traditionell – und dabei in ihren verschiedenen Subdisziplinen in unterschiedlichem Maße – vor allem philologischer und texthermeneutischer Verfahren sowie der systematischen Summierung ihrer Ergebnisse, zunehmend
außerdem empirischer und vergleichender Arbeitsweisen.
In dem Maße, in dem Theologien und Religionswissenschaften sich
dieser Methoden kontrolliert und selbstkritisch bedienen, gehen beide (!)
auf Distanz zu ihrem Gegenstand: Beide Wissenschaften fallen keineswegs in eins mit dem Vollzug des christlichen Glaubens (im Falle der
Theologien) oder der Praxis einer bestimmten nicht-christlichen Religion
(im Falle der Religionswissenschaften), vielmehr zehren beide von der
neuzeitlichen Unterscheidung zwischen Religion und Reflexion auf Religion. Es ist somit nicht so, dass die Religionswissenschaften aus einer
distanziert-neutralen oder gar objektiven Position als Beobachter ihres
Gegenstandes argumentieren, die Theologien hingegen aus einer parteilichen Position als Teilnehmende am Vollzug des Glaubens, den sie wissenschaftlich reflektieren: Vielmehr streben beide Wissenschaften danach, im Umgang mit Religionen den Kriterien wissenschaftlichen Arbeitens – darunter methodische Kontrolle, Überprüfbarkeit und Transparenz der Ergebnisse, Widerspruchsfreiheit u. ä. – Rechnung zu tragen.
Auch im Blick auf ihren wissenschaftstheoretischen Status bzw. ihre Qualität als
Wissenschaft sind beide somit nicht – zumindest nicht einlinig – zu unterscheiden.
Ein deutlicher und entscheidender Unterschied ist vielmehr in den unterschiedlichen Horizonten und Fragestellungen zu erkennen: Religionswissenschaften streben eine möglichst komplexe und Vergleichbarkeit (mit
anderen Religionen) anbahnende Beschreibung der als Gegenstand gewählten religiösen Phänomene an; sie lassen dabei sowohl eine explizite
Verhältnisbestimmung zur eigenen (A-)Religiosität des Religionswissenschaftlers als auch eine Bewertung des Wahrheitsanspruchs der religiösen Praktiken, Überzeugungen und Lehren, die sie erforschen, prinzipiell
außer Betracht. Demgegenüber explizieren Theologien die ihnen zugrunde liegende »story« (D. Ritschl): Sie gehen von Gottes Gegenwart aus
19 In welchem Maße diese Wahl der Gegenstände pragmatisch bestimmt ist, zeigt allein
der Umstand, dass das Judentum in kaum einer religionswissenschaftlichen Untersuchung eine Rolle spielt – es wird im Kosmos der Wissenschaften geradezu exklusiv
durch die Judaistik bzw. die Jüdischen Studien repräsentiert.
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Bernd Schröder
und entfalten bzw. prüfen, wie die Welt und das Leben von Menschen coram Deo zu verstehen und zu gestalten sind. »Für die Theologie markiert
Gott daher nicht ein Thema neben anderen, sondern den Horizont, in
dem alle Phänomene des Lebens zu verstehen sind, wenn sie theologisch
verstanden werden sollen.«20 Anders formuliert: Theologien reflektieren
christliche Religion, aber – sofern sie sie in den Blick nehmen – auch andere Religionen sub specie Dei, während Religionswissenschaften methodisch davon Abstand nehmen, die Wirklichkeit Gottes anzunehmen oder
zu bestreiten.21
Unbeschadet dieser Differenz stehen Theologien und Religionswissenschaften nicht beziehungslos nebeneinander: Religionswissenschaften
beleihen theologische Wissensbestände; Theologien können nicht auf religionswissenschaftliche Einsichten in nicht-christliche Religionen verzichten22 – ohne dass sich deshalb ihr Anliegen und ihre Perspektive in
einer religionswissenschaftlichen Bearbeitung des Christentums erschöpfen würde. Theologie vermag die (religionswissenschaftliche) Außenperspektive und die Binnenperspektive (des christlichen Glaubens) zu unterscheiden und beide methodisch kontrolliert einzunehmen.23 Die ihr
eigene, spezifische Perspektive ergibt sich indes aus ihrer sogenannten
»reflektierte(n) Positionalität«;24 ihr Anliegen besteht in der Entfaltung
und handlungsorientierenden Reflexion des christlichen Daseins- und
Wirklichkeitsverständnisses.
In der Darstellung von Religionen und Konfessionen in diesem Buch
wird versucht, beide Perspektiven (ansatzweise) zusammenzuführen: Auf
die religionswissenschaftliche Information bzw. Orientierung folgt eine
20 I. U. Dalferth, Theologie im Kontext der Religionswissenschaft, in: ThLZ 126/2001,
4–20, hier 14. Vgl. die korrespondierende Darstellung von U. Tworuschka, Selbstverständnis, Methoden und Aufgaben der Religionswissenschaft und ihr Verhältnis zur
Theologie, in: ThLZ 126/2001, 124–138. Darüber hinaus Th. Sundermeier, Was ist Religion? Religionswissenschaft im theologischen Kontext. Ein Studienbuch, (Gütersloh
1999) Frankfurt/M. 2007 und Kl. Hock, aaO., 162–177.
21 Insofern üben sich Religionswissenschaften im »Durchdenken der Religion ›von außen‹«, während Theologien das »Durchdenken der Religion ›von innen‹« pflegen (F.
Stolz, Grundzüge der Religionswissenschaft, Göttingen [1988] 21997, 36–44).
22 Das gilt für die Wissenschaft des Alten Testaments, die eine Religionsgeschichte Israels und des Alten Orients einschließt, ebenso wie für eine Systematische Theologie,
die ins Gespräch mit Islamischer Theologie eintritt, und eine Religionsdidaktik, die
Unterrichtseinheiten zu nicht-christlichen Religionen konzipiert.
23 Insofern hält sie wie die Religionswissenschaft an der »Option einer doppelten kritischen Distanzierung gegenüber der fremden wie der eigenen Religion« (Kl. Hock,
aaO., 169) fest.
24 M. Hüttenhoff, Der religiöse Pluralismus als Orientierungsproblem. Religionstheologische Studien, 2001, hier 160–171, bes. 165 f.
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Religionswissenschaftliche Orientierung und theologische Positionierung
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knappe theologische Positionierung aus der Sicht evangelischen Christentums.
1.1.4 Ökumenische und Interreligiöse Gespräche
Religionswissenschaften und Theologien sind unterscheidbar, arbeiten
indes nicht selten auch zusammen; Religionswissenschaftler treten zudem ebenso wie Theologen in den Dialog mit Angehörigen der Religionen, die sie wissenschaftlich bearbeiten – im Falle der Missionswissenschaft oder der Ökumenischen Theologie gehört dieser Dialog
wesentlich zu ihrem wissenschaftlichen Programm. In diesen Gesprächszusammenhängen wird man zweier Ebenen des interreligiösen Dialogs
ansichtig: des Wissenschaftsdialogs über Religionen und des Dialogs zwischen Wissenschaften und Religionen.
Auf diesen Dialogen ausdrücklich oder implizit aufbauend gibt es drittens selbstredend den Dialog zwischen Religionen, also Gesprächszusammenhänge zwischen Angehörigen verschiedener Konfessionen und
Religionen (die ihrerseits keineswegs wissenschaftlichen Kriterien standhalten müssen). Evangelische und katholische Christen stehen im Wesentlichen in drei solchen Gesprächszusammenhängen: Zum einen haben sie
teil an innerchristlichen, also interkonfessionellen oder ökumenischen Gesprächen – seien sie privat oder institutionell verantwortet, mögen sie auf lokaler, nationaler oder gar globaler Ebene stattfinden. Zum zweiten sind
sie an interreligiösen Gesprächen beteiligt zwischen Kirchen und anderen
Religionen, in Deutschland v. a. am Gespräch mit Muslimen (z. T. auch
mit Weltanschauungsgemeinschaften). Zum dritten führen sie ein christlich-jüdisches Gespräch, das als »innerbiblischer Dialog«25 eine besondere,
einzigartige Rolle zwischen dem ökumenischen und dem interreligiösen
Gespräch spielt. Die Ergebnisse dieser Gespräche sind so vielschichtig wie
ihre Foren und Gesprächspartner: Die größte, wenn auch am wenigsten
sichtbare Wirkung haben sie sicherlich auf die am Gespräch beteiligten
Personen; das am besten sichtbare, wenn auch nur selten wirksame Ergebnis sind dokumentierte Gesprächsergebnisse und Verlautbarungen.26
25 So der Vorschlag von Rudolf Brandau in seinem Buch »Innerbiblischer Dialog und dialogische Mission« (Neukirchen-Vluyn 2006, 455 u. ö.).
26 Solche schriftlichen Ergebnisse sind für den evangelisch-katholischen Dialog zu finden
in den »Dokumente[n] wachsender Übereinstimmung«, hg. von H. Meyer u. a., 3 Bde.,
Paderborn / Frankfurt/M. 1983/1992/2003; für den christlich-jüdischen Dialog in den
beiden Bänden »Die Kirchen und das Judentum«, Bd. 1: 1945–1985, hg. von R. Rendtorff und H. H. Henrix, Gütersloh / Paderborn (1988) 32001, und Bd. 2: 1986–2000, hg.
von H. H. Henrix und W. Kraus, ebd. 2001. Interreligiöse Gespräch sind je nach Ge-
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24
Bernd Schröder
Solche Gespräche, die allerdings von der wissenschaftlichen Erforschung der Religionen zu unterscheiden sind, spielen in der Verhältnisbestimmung von »Christentum und Religionen«, insbesondere für den
Aufbau von Toleranz und theologischer Verständigungsbereitschaft, eine
konstitutive Rolle.
1.2 Einschlägige Kompetenzen von Religionslehrer/innen
Auf den vorangegangenen Seiten wurde ein Gefüge wissenschaftlicher
Disziplinen skizziert, die – je für sich, erst recht zusammengenommen –
Wissensbestände imponierender Größe pflegen. Religionslehrerinnen
und -lehrer sollen und können im Laufe ihres Studiums und Referendariats nicht zu entsprechend kundigen Fachwissenschaftler/innen werden,
wohl aber elementare Zugänge zu diesen Wissensbeständen gewinnen,
die es ihnen ermöglichen, im RU ebenso selbst- wie problembewusst
nicht-christliche Religionen zu thematisieren.
Die erforderlichen einschlägigen Fähigkeiten resp. Kompetenzen für
evangelische Religionslehrer/innen haben Landeskirchen und Fakultäten
sowohl 1997 als auch 2009 wie folgt aufgeschlüsselt:
– »Fähigkeit zur religionsdidaktischen Auseinandersetzung mit anderen
Lebens- und Denkformen«,
– »Fähigkeit zur Interpretation und didaktischen Entschlüsselung religiöser Aspekte der Gegenwartskultur«,
– »Interkonfessionelle und interreligiöse Dialog- und Kooperationsfähigkeit«.27
Notwendige Schritte auf dem Weg zum Erwerb dieser Fähigkeiten sind
der Aufbau einschlägiger Kenntnisse und Methoden sowie das Sammeln
eigener Erfahrung im Dialog mit Angehörigen nicht-christlicher Religionen oder Weltanschauungen. Jene Kenntnisse werden in diesem Buch besprächspartnern verschieden dokumentiert – vgl. beispielsweise J. Sperber, Christians
and Muslims: the dialogue activities of the World Council of Churches and their theological foundation, Berlin / New York 2000. Über laufende Entwicklungen informieren Zeitschriften wie etwa die »Ökumenische Rundschau« und »Kirche und Israel«.
27 Die Zitate entstammen dem Papier der Gemischten Kommission: »Theologisch-religionspädagogische Kompetenz. Professionelle Kompetenzen und Standards für die Religionslehrerausbildung«, Hannover 2009, hier Teilkompetenzen 5.6 und 11. Vgl. »Im
Dialog über Glauben und Leben. Zur Reform des Lehramtsstudiums Evangelische
Theologie/Religionspädagogik. Empfehlungen der Gemischten Kommission«, Gütersloh
1997 (4.1.2 und 4.2.3).
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Religionswissenschaftliche Orientierung und theologische Positionierung
25
schrieben; unter den erforderlichen Methoden scheinen mir folgende
ausschlaggebend zu sein:
– Ausdrucksformen anderer Denominationen oder nicht-christlicher Religionen (Verhalten, Riten, bauliche und künstlerische Erzeugnisse
u. a.) wahrnehmen und beschreiben;
– (originalsprachliche oder übersetzte) schriftliche Quellen und ggf. Artefakte erläutern und interpretieren;
– an der Praxis (vor allem Gottesdiensten bzw. Gebeten) anderer Konfessionen bzw. Religionsgemeinschaften beobachtend teilhaben;
– an ökumenischen bzw. interreligiösen Gesprächen aktiv oder passiv
teilnehmen;
– Ausdrucksformen und Denkfiguren anderer Denominationen resp.
nichtchristlicher Religionen vergleichend in Beziehung setzen zu denjenigen des (evangelischen) Christentums;28
– aus der Perspektive der eigenen Konfession Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu einer nicht-christlichen Religion identifizieren und sich
selbst-kritisch positionieren.
Die Fähigkeit, sich selbst religionswissenschaftlich zu orientieren und
theologisch zu positionieren, ist fraglos komplex. Die Motivation, sie sukzessive aufzubauen resultiert aus der Einsicht, dass Christ-Sein in einer
religiös plural verfassten Gesellschaft ohne diese doppelte Fähigkeit nicht
verantwortet und unterrichtlich erschlossen werden kann. Frei nach
Friedrich Max Müller : Wer nur die christliche Religion kennt, kennt keine
Religion! Die Motivation, sich einzuarbeiten in die Welt der Religionen,
resultiert nicht zuletzt aus der Erfahrung, dass die sachkundige und engagierte Begegnung mit anderen Konfessionen und Religionen Menschen in faszinierender und herausfordernder Weise bereichert.
28 Dies setzt die Identifikation vergleichbarer Phänomene voraus. Dass die vergleichbaren
Phänomene keineswegs auf der Hand liegen, soll ein Beispiel anzeigen: In der Begegnung mit dem Islam sind nicht Jesus und Muhammad als die vermeintlichen Religionsstifter zu vergleichen, vielmehr Jesus Christus und der Koran als die Offenbarungen Gottes.
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2. Von der Fremdreligionen-Didaktik
zum Interreligiösen Lernen
Rainer Lachmann
Auf dem Hintergrund und im Horizont religionswissenschaftlicher Orientierung und theologischer Positionierung vollzog sich nach dem Zweiten Weltkrieg die konzeptionelle und didaktische Auseinandersetzung
mit Christentum, Religionen und Religion, die hier in schwerpunktmäßiger Konzentration auf den schulischen RU in der Bundesrepublik
Deutschland nachgezeichnet werden soll. In religionspädagogisch konzeptionellem Zusammenhang geht es dabei religionsdidaktisch um die
Auswahl der Inhalte, ihre Begründung, Zielsetzungen und methodische
Umsetzung in einer zusehends pluraler und globaler werdenden Welt
und Gesellschaft, in der Lehrerinnen und Lehrer, Schüler und Schülerinnen lehren und lernen sollen. Gerade unter dem Blickwinkel schulischen
RU werden Thematik und Problematik von Fremd- bzw. Weltreligionen
zu einer beispielhaften Herausforderung im religionspädagogischen Umgang mit der vielperspektivischen Pluralität: der Pluralität der Religionen
und Weltanschauungen, der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse, der Regionen und Bildungslandschaften sowie der wissenschaftlichen Bemühungen und Konzepte im Bereich schulischer Erziehung, Unterweisung und Bildung.
Der religionspädagogische Weg der letzten 50 Jahre mit seiner fragwürdigen Fokussierung auf einen konfessionellen bzw. christlichen RU in der
öffentlichen Schule laut Art. 7,3 GG präsentiert dabei eine in theologischer, hermeneutischer und didaktischer Sicht äußerst aufschlussreiche
Entwicklung, in der das religiös Fremde und Andere in zunehmendem
Maße vom kaum beachteten Rand in den Mittelpunkt religionspädagogischen Interesses gerückt ist. Dieser religionsunterrichtliche Fortschritt
verdankt sich sicher zu einem wesentlichen Teil der wachsenden Wahrnehmung und Ernstnahme der Voraussetzungen auf Schüler- wie Lehrerseite, in denen sich in mikrokosmischer Individualität und Sozialität die
gesellschaftlichen Verhältnisse widerspiegeln. Sie lassen über den christlichen Glauben hinaus nach Religion und Religionen fragen und verlan-
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Von der Fremdreligionen-Didaktik zum Interreligiösen Lernen
27
gen vom RU im Unterschied zu allen anderen Schulfächern undispensierbar die Auseinandersetzung mit der Wahrheitsfrage, die außer bei der
Bescheidung auf objektiv-neutrale religionskundliche Deskription durchaus parteiische und konfessorische Beteiligung und Stellungnahme erlaubt. Das gerade macht das spannende Proprium religionsunterrichtlicher Beschäftigung mit fremden Religionen und anderer Religiosität aus
und verordnet dem RU durchgängig die »Dauerreflexion«, wie sich das
Engagement für das Eigene mit der Toleranz und dem Respekt vor dem
fremden Anderen verträgt und wie er sich demgegenüber in Theorie und
Praxis verhält und religionspädagogisch konzeptionell und didaktisch
ausweist. Stichworte wie Mission, Dialog, Begegnung signalisieren hier
markante Problemstellen, die differenzierte und bedachte Betrachtung
anmahnen. Dabei soll vom thematischen Zuschnitt des vorliegenden
Bandes her nicht nur wie üblich den Weltreligionen, sondern wie ganz
und gar unüblich auch den religiösen Sondergemeinschaften und Sekten
religionsdidaktische Aufmerksamkeit zuteil werden. Der Boom an neuund pseudoreligiösen Bewegungen und Angeboten hat heute ein Ausmaß
angenommen, das man sich vor 50 Jahren mit dem damaligen theologischen Abgesang auf Religion schlechterdings nicht vorstellen konnte –
was deshalb einmal mehr differenzierte historische Betrachtung erforderlich macht.
2.1 Fremdreligionen im Unterricht vor der religionspädagogischen Wende
Im konzeptionellen Horizont von »Evangelischer Unterweisung« (H. Kittel) und »Kirchlichem Unterricht« (K. Frör) waren Fremdreligionen kein
didaktisch wirklich ernst genommenes Thema des RU. Sie blieben auch
lehrplanmäßig ein marginaler ›Fremdkörper‹, dem – wenn überhaupt –
nur in der gymnasialen Oberstufe knapp bemessene Unterrichtszeit eingeräumt wurde. Paul Börgers Heft »Quellen zu den Religionen der Völker«
(Heidelberg 1952) wurde in dieser Hinsicht für die fünfziger Jahre zum
verbreitetsten Unterrichtsmaterial, das freilich seine starke Beeinflussung
durch die Dialektische Theologie nicht verleugnen konnte und von daher eher unfreiwillig zum Zeugen dafür wurde, warum die Weltreligionen im konzeptionellen Kontext der Evangelischen Unterweisung religionsdidaktisch nicht Fuß fassen konnten. Rein theologisch war es das
Verdikt, das Karl Barth über die Religion als Versuch des ungläubigen
Menschen zur Selbsterlösung ausgesprochen hatte und das auch religionspädagogisch voll wirksam wurde. Sprechender Beleg für diese geradezu ›allergische‹ Aversion gegen »Religion« ist und bleibt Helmuth Kittels
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Rainer Lachmann
flammendes Plädoyer gegen die inhaltslose »Religion im Allgemeinen«
mit seinem Schlachtruf »nie wieder Religionsunterricht!«29 Dass ein solch
fundamental negatives Urteil über Religion, mit dem die damalige Systematische Theologie nicht nur die Katechetik ›fremd‹bestimmte, sondern
auch die theologische Ausbildung beherrschte, das Thema der Weltreligionen aus der Theorie und Praxis der Evangelischen Unterweisung der
fünfziger Jahre nahezu ausblendete, lag auf der Hand und bedingte dann
auch die eher vereinzelt bleibenden Versuche eines Unterrichts über die
Fremdreligionen an den Gymnasien. Hier verband sich die theologisch
grundsätzliche Abwertung der Religionen mit überlegener christlicher
Apologie, die dem Selbstanspruch der je anderen Religion kaum eine
Chance zu gleichberechtigter und gleich geachteter Entfaltung bot.
Wenn Helmuth Kittel 1970 davon spricht, dass das Stoffgebiet der »fremden nichtchristlichen Religionen […] seit langem einen festen Platz an unseren Höheren Schulen besitzt« und es ihm »heute in jeder Evangelischen
Unterweisung unumgänglich« scheint, so gilt es hier offensichtlich einen
religionsdidaktischen Meinungsumschwung zu konstatieren, der freilich
konzeptionell erst richtig eingeordnet ist, wenn man Kittels gleichzeitige
Anfragen an die Möglichkeiten wirklichen Verstehens einer Fremdreligion mithört und ernst nimmt.30
Im Überschneidungsfeld von kerygmatischem und hermeneutischem
RU signalisiert 1961 ein Aufsatz Karl Ernst Nipkows über »Die Weltreligionen im Religionsunterricht der Oberstufe«31 bemerkenswerte Zeitzeichen
eines neu erwachenden und wachsenden Interesses an der ReligionenThematik. Von daher muss sich nach Nipkow der christliche Glaube
nicht zuletzt vor der Jugend im Angesicht der Weltreligionen verantworten, und das kann weder durch eine rein vergleichende Gegenüberstellung geschehen, noch durch den scheinbar wissenschaftlichen Nachweis
der Überlegenheit des Christentums. Gefragt sind stattdessen fundierte
Kenntnis der Religionen und theologische Urteilsfähigkeit, was vom RU
»sachliche Beschreibung und Untersuchung wie in allen anderen Unterrichtsfächern, zugleich aber existenzielles Einstehen« verlangt, »da es in
diesem einen Fach um letzte Lebensfragen geht«.32 Hier partizipiert die
Weltreligionen-Didaktik bereits an dem religionsunterrichtlich neuen
hermeneutischen Paradigma existenzialer Interpretation und existenziellen Verstehens und erfuhr von daher zumindest ansatzweise eine Integra29 H. Kittel, Vom Religionsunterricht zur Evangelischen Unterweisung, Berlin / Hannover / Darmstadt (1947) 31957, 10.
30 H. Kittel, Evangelische Religionspädagogik, Berlin 1970, 333.
31 In: EvErz 13/1961, 150–162.
32 K. E. Nipkow, aaO., 153.
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Von der Fremdreligionen-Didaktik zum Interreligiösen Lernen
29
tion in den hermeneutischen RU und seinen auslegenden und verstehenden Umgang mit der christlichen Tradition.
Theologisch blieb Nipkow freilich in dieser Frühzeit mit seiner christozentrischen Betrachtungsweise noch mehr oder weniger dem Bannkreis
der Dialektischen Theologie verhaftet. Zugleich verwies er mit seiner
Forderung, dass »die unterrichtliche Besprechung der einzelnen Religionen« heute »nur noch mit dem Bezug auf die tatsächlichen Lebensfragen
der Kirche in Mission und Ökumene« geschehen könne, auf den Ort, aus
dem heraus die Beschäftigung mit den Fremdreligionen in der schulischen Unterweisung ihren Anfang nahm und ihre wesentlichen kirchlich
theologischen Impulse empfing: auf die »missionarische Verantwortung
der ganzen Kirche«, an der der Schüler mit seiner »Gliedschaft in der Gesamtkirche« teilhat.33
Nipkows Beitrag blieb nicht ohne Reaktion, sondern entfachte mit Heinz
Röhrs Entgegnung bereits Anfang der sechziger Jahre eine erste religionsunterrichtlich motivierte Weltreligionen-Diskussion, die mit ihren Zweifeln an Nipkows Konzept bereits wichtige Problempunkte der künftigen
»Auseinandersetzung mit den Fremdreligionen« ansprach.34 So stimmte
Röhr zwar Nipkows Forderung zu, »daß bei der Bedeutung des Themas
der Lehrer sich ›mit echtem pers. Engagement‹ an der Sache zu beteiligen
hat«, fragte aber zugleich kritisch an, welchem »von uns Lehrern« unter
den Voraussetzungen seines Studiums und später der Lehrpläne und
Stundentafeln »ein tieferes Eindringen und Verstehen der fremdreligiösen
Phänomene« so möglich sei, dass »die fremde Religion wirklich, deren
›Seele‹, dem Schüler erschlossen werden« könne.35 Weiterführend relevant
für die künftige Fremdreligionen-Didaktik war der von Röhr geforderte
Aufbruch der Dialektischen Theologie hin zu anderen »Positionen innerhalb der Theologie der Ökumene und der Missionen«, die bei größtmöglicher Zurückhaltung gegenüber dem »bekennende(n) Zeugnis des Lehrers« sogar im Unterricht selbst erörtert werden sollten.36 Was sich hier
angesichts verschiedener theologischer Positionen gleichsam als Dilemma
zwischen abgelehnter »unbeteiligter ›Darbietung‹« und ebenso abgelehntem »zeugnishaftem Handeln« äußerte,37 offenbarte sich in der Folgezeit
als undispensierbares Grundproblem jedweder religionsunterrichtlichen
Beschäftigung mit anderen und fremden Religionen.
33 K. E. Nipkow, aaO., 155.
34 H. Röhr, Die Behandlung der Weltreligionen im Religionsunterricht der Oberstufe, in:
Arbeitshilfe f. d. evgl. RU 13/1962, 19–24.
35 H. Röhr, aaO., 19 f.
36 H. Röhr, aaO., 21.
37 H. Röhr, aaO., 21.
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Das zeigte sich auch in den noch ganz im Kontext hermeneutischer Religionspädagogik beheimateten Ausführungen Gert Ottos zu den »Fremdreligionen im Unterricht«, die in massiver Bestimmtheit mit der Behauptung eröffnet wurden, dass das »Verständnis unserer Welt […] ohne
Grundkenntnisse der großen Religionen kaum möglich« sei!38 Im Rahmen evangelischen RU müssten diese »grundsätzlich im Dialog mit biblischen Texten unterrichtet werden.« Um dies zu erreichen, bedient sich
der Unterricht »immer wieder des Vergleichs und der Gegenüberstellung
mit biblischen Aussagen« – nicht wertend, sondern um »die jeweiligen Eigenarten am Gegenüber schärfer und präziser zu erfahren«.39 Freilich
kann es der RU dabei nicht belassen, sondern muss sich im vergleichenden Vollzug biblischer Auslegung dem »Glaubensanspruch anderer Religionen« stellen. Er tut das in Verschränkung dialektischer und existenzialistischer Theologie über die didaktische und methodische Schiene der
gemeinsamen »Grundsituation des Menschen« (diese geht »im IrdischDiesseitigen« nicht auf und gestaltet sich deshalb »selber Götter«), die bei
»aller Verschiedenartigkeit« doch in allen fremden Religionen begegnet.
Das biblische Zeugnis tritt dem in radikaler Andersartigkeit gegenüber
und muss im Vergleich mit den Religionen »als allein angemessene Antwort« aufgewiesen werden,40 was in dieser dialektisch-theologischen ›Absolutheit‹ sicher leichter gesagt als religionsunterrichtlich getan war.
Bereits acht Jahre später sieht das denn auch beim selben Autor ganz
anders aus; jetzt wird eine solche biblisch fixierte und dogmatisierte Befassung mit den Weltreligionen als »weithin apologetischer Natur« diffamiert und für eine primär religionskundliche und religionswissenschaftliche Auseinandersetzung mit den großen Weltreligionen – einschließlich
Christentum – plädiert, deren leitendes Interesse religionskritischer Art
ist.41
2.2 Neuansätze in den 70er und 80er Jahren
Die gesellschaftlichen Umbrüche und Aufbrüche im Kontext der sogenannten »68er« brachten auch für Religionspädagogik und RU eine radikale Wende, in der so gut wie alles, was vorher religionspädagogisch galt,
von Grund auf in Frage gestellt wurde. Ob es nun die religionsunterricht38
39
40
41
G. Otto, Handbuch des Religionsunterrichts, Hamburg (1964) 21965, 116–121, bes. 117.
G. Otto, aaO., 118 f.
G. Otto, aaO., 119 f.
G. Otto / H. J. Dörger / J. Lott, Neues Handbuch des Religionsunterrichts, Hamburg
1972, 340–347, besonders 342.
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Von der Fremdreligionen-Didaktik zum Interreligiösen Lernen
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liche Mittelpunktstellung der Bibel, die Konfessionalität, das Verhältnis
zu Staat und Kirche, die Inhalte oder die Methoden des aktuell praktizierten RU waren – alles wurde auf die gesellschafts- und religionskritische
Waage gelegt, beurteilt, verurteilt und abgeurteilt. Dazu gehörte auch –
folgt man einem bekannten Flugblatt des Sozialistischen Lehrerbundes
vom 4. November 1968 – die bisherige Beschäftigung mit den fremden
Religionen im RU, an der kritisiert wurde, dass sie erst »frühestens in der
Oberstufe des Gymnasiums, etwa 10. und 11. Klasse« erfolge und da
auch nicht »umfassend und vorurteilsfrei« aufkläre, sondern – wie vom
Lehrplan ausdrücklich vorgeschrieben – nur »einen allgemeinen Überblick […] in aller Kürze vorsehe.«42 Welche religionsdidaktischen Folgen
der Aufruf in diesem Punkt zeitigen konnte, zeigt etwa der oben angesprochene Versuch Gert Ottos und seiner Schüler, dem Thema Weltreligionen unter gesellschafts- und religionskritischem Aspekt religionsunterrichtlich gerecht zu werden.
Freilich sollte es noch knapp ein halbes Jahrzehnt dauern, bevor sich
die ›gewendete‹ Religionsdidaktik intensiver und bewusster mit den Weltreligionen befasste. Zunächst war sie vollends mit der Renaissance und
Rezeption des allgemeinen Religionsbegriffs beschäftigt, den sie – pädagogisch an der Curriculumtheorie und theologisch u. a. an Paul Tillich orientiert – in die Religionspädagogik zurückholte. Damit wurde Religion
zum einen individualisierend über die anthropologisch-ontologische,
zum anderen gesellschaftsbezogen über die soziologische und ideologiekritische Dimension und Funktion wieder religionsunterrichtlich hoffähig. Hier liegen zweifelsohne wichtige Wurzeln für das, was im V. Teil
dieses Bandes unter den »modernen Variationen von Religion« abgehandelt wird.
Anfang der 70er Jahre war es dann so weit: Die Weltreligionen gelangten zusehends ins Blick- und Interessenfeld einer Religionspädagogik, die
im weiten Horizont didaktischer Problemorientierung ihr fruchtbares religionspädagogisches Wesen trieb. Es ist durchaus bemerkenswert, dass
in diesem neuen didaktischen Kontext ein bayerischer Religionspädagoge unter den Ersten war, die sich mit mehreren Beiträgen zu »nicht
christlichen Religionen im Unterricht« zu Wort meldeten (1971 ff.): Herkommend aus der Evangelischen Unterweisung und geprägt von seinen
Unterrichtserfahrungen aus der gymnasialen Oberstufe äußerte sich Helmut Angermeyer 1971 in der Zeitschrift »Mission« zu den Weltreligionen
42 Der Text des Flugblatts ist jüngst abgedruckt in R. Lachmann / B. Schröder (Hg.), Geschichte des evangelischen Religionsunterrichts in Deutschland. Quellen, Neukirchen-Vluyn 2009, 259 ff.
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und führte dabei weiter, was er bereits 1964 zur Frage »Mission und Weltreligionen in der Höheren Schule« begonnen hatte.43 Konnte er damals
gleichsam als Kronzeuge für eine primär missionstheologisch orientierte
und motivierte Beschäftigung mit den Religionen gelten, so wurde er jetzt
Anfang der 70er Jahre zum Beispiel für ein Weiterdenken der Weltreligionen-Didaktik unter veränderten konzeptionellen Voraussetzungen und
begleitete und bereicherte die erste Phase der neu entdeckten und bedachten Beschäftigung mit den Fremdreligionen im schulischen RU mit
zahlreichen religionsdidaktischen Arbeiten. Er thematisierte schon 1974
die »Weltmacht Islam«, noch früher das Verhältnis Christen und Juden
und befasste sich 1975 in einem »Unterrichtsprojekt auch mit dem
»Buddhismus im RU«.44 Damit setzte Angermeyer nicht nur wichtige Inhalte einer zukunftsfähigen Didaktik der Fremdreligionen bereits relativ
früh unterrichtspraktisch um, sondern bemühte sich unter den Vorzeichen der Curriculumtheorie gleichzeitig darum, die Auswahl dieser Inhalte von den gesellschaftlichen Erfordernissen und politischen Realitäten, von den verschiedenen Voraussetzungen und Bedürfnissen auf
Schülerseite sowie von den Anforderungen und Ansprüchen der zuständigen Fachwissenschaften Theologie und Religionswissenschaft her didaktisch umfassend zu begründen.
Dabei plädierte Angermeyer gegen die bisher üblichen allgemeinen
Überblicke und mehr oder weniger schematischen Vergleiche für »eine
ganzheitliche Sicht« der jeweiligen Religion, was eine solide kognitive
Orientierung verlangte, ohne dabei der Illusion wertneutraler Information in einem vermeintlich objektiven Religions(kunde)unterricht aufzusitzen. In curricular leitender und integrierender Ausrichtung auf
menschliche Lebenssituationen und -fragen konnte für ihn »die Auseinandersetzung mit Fremdreligionen nur im Dialog mit dem Christentum
erfolgen«. Dies bedingt unseren »Kulturkreis« und bestimmte Angermeyers Position einer dezidiert evangelischen Religionspädagogik, die im
Unterricht zu nicht-christlichen Religionen »auch immer eine Herausforderung« sah, »sich neu mit der eigenen Herkunft« aus dem christlichen
Glauben zu beschäftigen. Dieser didaktisch wesentliche Akzent gehörte
denn auch unaufgebbar zu Angermeyers »Zielbestimmung«, wonach der
RU »zum besseren Verständnis der Menschen anderen Glaubens verhelfen und zu einem entsprechenden Verhalten in der Begegnung mit ihnen
43 In: W. Ruf / E. Viering (Hg.), Die Mission in der Evangelischen Unterweisung, Stuttgart
1964, 375–384.
44 Vgl. die »Bibliographie Helmut Angermeyer« in R. Lachmann (Hg.), Religionsunterricht als religionspädagogische Herausforderung. FS Helmut Angermeyer z. 70. Geb.
(Rh 9), Aachen 1982, 155–163.
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befähigen« sollte, was eben »nur in Korrelation mit den Inhalten und Lebensformen des christlichen Glaubens gewonnen werden« könnte.45
Wenn Herbert Schultze in einer Würdigung Angermeyers meinte, dessen
Ziel der religionsunterrrichtlichen Beschäftigung mit Religionen »eigentlich nur Erläuterndes« hinzufügen zu müssen,46 so zeugt das aus der ›vermittelnden Feder‹ eines Mannes, der selbst zu den Pionieren einer neuen
Weltreligionen-Didaktik nach der Wende zu zählen ist, zwar auch von
dem innovatorischen Konsensgehalt, der sich in Angermeyers Vorstellungen äußert, zeigt aber vor allem die gemachten Fortschritte und bedachten Problemstände auf, die in den 70er Jahren für den RU ›über‹
Fremdreligionen bezeichnend waren. Schultzes »nur Erläuterndes« mit
seinen »Beispielen aus Großbritannien, den Niederlanden und Schweden« öffnete dabei nicht nur den Blick über Deutschland hinaus, sondern
ließ auch in didaktischer und konzeptioneller Hinsicht durchaus kontroverses Potenzial aufscheinen.
Schultze wusste darum, und als damaliger Direktor des Comenius-Instituts in Münster stellte er sich der Weltreligionen-Didaktik mit einschlägigen Tagungen und einer Vielzahl an Veröffentlichungen. Erste aus einer Tagung erwachsene Frucht war das von ihm zusammen mit Werner
Trutwin herausgegebene Buch »Weltreligionen – Weltprobleme«, das entschieden einen »neuen Ansatz von den Religionen selbst her« vertrat und
in Verschränkung von »authentischen Äußerungen der Religionen« und
»belangreichen Fragen« von Kindern und Jugendlichen einen »Dialog«
zwischen »Menschen verschiedener Glaubensweisen« anstrebte, um darüber »zu einer Zusammenarbeit an Problemen unserer Zeit« zu gelangen.47 In problemorientierter Offenheit und curricularer »Lebensnützlichkeits-Perspektive« wurden so Folgerungen für den Unterricht über
Religionen gezogen, an denen jetzt neben Theologie und Religionspädagogik auch die Religionswissenschaft eigenständig beteiligt war. Die »Religionen in ihrem Selbstverständnis zu verstehen und zu beurteilen«
wurde fortan zu einem didaktisch unersetzlichen Programmpunkt religionsunterrichtlicher Weltreligionen – Didaktik und zum (an)gefragten
Anspruch an die Religionswissenschaften.48
45 Helmut Angermeyer 7. 2. 1912. III. Fremdreligionen im Unterricht, in: B. Albers (Hg.), Religionspädagogik in Selbstdarstellungen I (Rh 6), Aachen 1980, 9–43/33–39, bes. 37.
46 H. Schultze, Unterricht über Religionen als Herausforderung des Religionsunterrichts,
in: R. Lachmann (Hg.), aaO., 129–139, bes. 139.
47 H. Schultze, Beispiel eines Religionsgesprächs – Folgerungen für den Unterricht über
Religionen, in: ders. / W. Trutwin (Hg.), Weltreligionen – Weltprobleme, Göttingen /
Düsseldorf 1973, 23 ff.
48 H. Schultze, aaO., 24.
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Dem stellte sich ab Mitte der 70er Jahre nach dem Ende der »Sturmund Drangphase in der religionspädagogischen Diskussion um Religionswissenschaft – Religionskunde – ›Weltreligionen‹ im Unterricht« insbesondere Udo Tworuschka, der unter leitendem religionswissenschaftlichem Interesse »den thematisch-problemorientierten Zugang zu den
Religionen ermöglichen« wollte, um von daher »durch zuverlässige Informationen« über die Religionen im Unterricht traditionell verfestigte Einstellungen zu verunsichern« und »Denkanstöße zu vermitteln«.49 Das
sollte vor allem durch eine faire, religionswissenschaftlich sachgemäße
Interpretation von Texten ausgewählter Religionen im Unterricht erreicht werden, wobei das Verstehen der fremdreligiösen Texte immer zugleich »kommunikativ und kreativ sein« und die »Möglichkeit der Identifikation bieten« sollte.50
Auf das hermeneutische und didaktische Problem, das sich mit der Behandlung von Fremdreligionen im konfessionellen RU stellte, ging Tworuschka an dieser Stelle nicht ein. Das mag an seinem kirchlich-konfessionell distanzierten problemorientierten Ansatz liegen, könnte aber auch
mit seinem stark religionswissenschaftlich bestimmten Konzept zusammenhängen, dessen ›herkömmliche‹ Nähe zur Religionskunde eine hermeneutische Reflexion über das Konfessorische im konfessionellen RU
überflüssig machen würde. Dass mit der religionspädagogischen Wende
auch dieses altbekannte religionskundliche Modell wieder seine Befürworter
und Anhänger finden würde, war zu erwarten. »Vom Religionsunterricht
zur Religionskunde« hieß denn auch die Forderung von Otto Thimme, der
unter entschiedener Ablehnung des konfessionellen RU und seiner sinnlosen und sinnwidrigen dogmatischen Schranken einen »freien Unterricht in ›Religion und Weltanschauung‹« befürwortete.51 Ähnlich wie der
Religionswissenschaftler Willi Cremer mit dem von ihm vertretenen »philosophisch-religionswissenschaftlichen Unterricht«52 verlangte Thimme
für die Etablierung dieses Faches einen »neu zu gründenden Fachbereich
›Religionswissenschaft‹« mit der Einrichtung diverser religionswissenschaftlicher Lehrstühle.53 An ihnen sollten die Voraussetzungen für einen
religionskundlichen RU an den Schulen geschaffen werden, in dem möglichst objektiv und religiös neutral über die Religionen mit Einschluss des
49 U. Tworuschka, Religionen heute, München / Frankfurt/M. 1977, 7 ff.
50 U. Tworuschka, aaO., 11.
51 O. Thimme, Vom Religionsunterricht zur Religionskunde, in: K. Wegenast (Hg.), Religionsunterricht wohin?, Gütersloh 1971, 241–250, bes. 250.
52 W. Cremer, Schule und Religion. Überlegungen eines Religionswissenschaftlers, in: K.
Wegenast (Hg.), aaO., 225–240, bes. 239.
53 O. Thimme, aaO., 240.
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Von der Fremdreligionen-Didaktik zum Interreligiösen Lernen
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Christentums informiert werden sollte. Das wurde gleichsam zum religionskundlich funktionalen Grundbild, das bis heute mit immer wieder
neuen Spielarten und Differenzierungen in der didaktischen Landschaft
eines Unterrichts über die Welt- und Fremd-Religionen begegnet.
Es fand und findet sich nicht nur in religionskundlich gearteten RUModellen Großbritanniens oder Schwedens, sondern auch in Deutschland – und da vor allem in Gesetzen, Erlassen und Lehrplänen zum sogenannten Ethikunterricht, wo dieser zur Information über Religionen
verpflichtet wird. Das zeigt sich am althergebrachten bayerischen Ethikunterricht ebenso wie am relativ neuen Brandenburger Unterricht »Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde«. Dieser trägt nicht nur in seinem Namen das Etikett »Religionskunde«, sondern verweist mit seinem
Konzept zugleich auf verwandte Intentionen und Tendenzen in der jüngeren Religionspädagogik und ihrer Auseinandersetzung und Begegnung
mit den nichtchristlichen Religionen in unserer Gesellschaft und Welt.54
Sicher nicht auf dem religionskundlichen Gleis, sondern eher in der von
Angermeyer verfolgten Spur vollzog sich die Beschäftigung mit den Weltreligionen, die Johannes Lähnemann seit nunmehr 30 Jahren pflegt. Er war es,
der 1977 die erste Monographie auf den Büchermarkt brachte, die sich mit
»Nichtchristliche(n) Religionen im Unterricht. Schwerpunkt: Islam« befasste, und der dieser Untersuchung neun Jahre später zwei Bände »Weltreligionen im Unterricht« folgen ließ. In ihnen entwickelte Lähnemann an
den »Fernöstlichen Religionen« und am »Islam« eine profilierte »theologische Didaktik für Schule, Hochschule und Gemeinde«, die nicht nur als
reife Frucht der nach der religionspädagogischen Wende einsetzenden
Neubeschäftigung mit den Weltreligionen im RU gelten kann, sondern bereits auch Elemente in sich trägt, die für die neue interreligiös bestimmte
Phase der Begegnung mit den Fremd-Religionen stehen.
Bilanzierend kann für die 70er und 80er Jahre des 20. Jh.s festgestellt
werden, dass die didaktische Marginalität der Weltreligionen mit ihrer
Beschränkung auf die oberen Klassen der Höheren Schulen überwunden
ist und die Beschäftigung mit anderen Religionen jetzt für alle Schulstufen und Schularten für didaktisch notwendig und methodisch möglich erachtet wird. Lehrpläne, Schulbücher und diverses Unterrichtsmaterial
zeugen davon.55 Als Inhalte solchen Unterrichts haben sich – relativ un54 Vgl. etwa Gert Ottos religionspädagogische Schriften ab den 90er Jahren: R. Lachmann,
Wandlung und Aktualität: Gert Ottos Religionspädagogik 1980–1995, in: J. Henkys / B.
Weyel (Hg.), Einheit und Kontext. FS P.C. Bloth (StTh 14), Würzburg 1996, 265–278.
55 Beispielhaft etwa das weit verbreitete »Religionsbuch für das 5./6. Schuljahr. Orientierung Religion« (Frankfurt/M. / Berlin / München 1973), dessen letztes Kapitel von den
»anderen Religionen« handelt (130–140).
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