Gottesdienst zum 4 - Ev.-luth. Paul-Gerhardt

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Evangelisch-Lutherische
Paul-Gerhardt Gemeinde
Hamburg-Winterhude
in der
Anna Henze
Pastorin
Gottesdienst zum 14. Sonntag nach Trinitatis
21. September 2014
Predigttext
1. Thessalonicher
14 Wir ermahnen euch aber, liebe Brüder: Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen,
tragt die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann.
15 Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach untereinander und gegen jedermann.
16 Seid allezeit fröhlich,
17 betet ohne Unterlass,
18 seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch.
19 Den Geist dämpft nicht.
20 Prophetische Rede verachtet nicht.
21 Prüft aber alles und das Gute behaltet.
22 Meidet das Böse in jeder Gestalt.
23 Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und
Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus.
24 Treu ist er, der euch ruft; er wird's auch tun.
Predigt
Sonst noch was?
Lieber Paulus, sonst noch was? Das war mein erster Gedanke, als ich den Predigttext gelesen habe. 14 Er mahnungen in 11 Versen!
Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann.
15 Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach untereinander und ge gen jedermann. 16 Seid allezeit fröhlich, 17 betet ohne Unterlass
und so weiter...
Bei so vielen Ermahnungen werde ich nicht aufmerksamer, sondern unaufmerksamer, weil ich denke: Das
kann ich sowieso nicht alles erfüllen.
Kindererziehung
Das Ganze erinnert mich ein bisschen an Kindererziehung:
Evangelisch-Lutherische
Paul-Gerhardt Gemeinde
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Seite 2
Anna Henze
Pastorin
Predigt am 21.09.14
Ermahnungen gehen zu einen Ohr rein und zu anderen wieder raus, wie man so schön sagt. Es wird empfohlen, die Kinder ihre eigenen Erfahrungen machen zu lassen. Ja, das vor allem: Sie einfach mal machen
zu lassen. Nicht ständig auf sie einzureden. Und wenn doch Regeln und Grenzen notwendig sind, dann
diese in ein, zwei leicht verständlichen Sätzen formulieren.
Das sagt sich leicht: möglichst wenig an den Kindern „herumerziehen“, sie „ihr Ding“ machen lassen.
Denn gleichzeitig wird ja auch immer betont, wie wichtig es ist, Grenzen zu setzen, konsequent zu bleiben, den Kindern einen klaren Rahmen zu geben.
Dass man damit im Alltag auch mal scheitert, ist eigentlich nicht verwunderlich.
Paulus
Ging es Paulus etwa auch so? Ist die Ermahnungsliste, die wir hier finden, ein „Ausrutscher“? Eigentlich
predigt Paulus ja die evangelische Freiheit: es werden keine Gesetze mehr benötigt, weil jeder, der an
Christus glaubt, sich gerne und aus Überzeugung und eigener Kraft an das Gebot der Nächstenliebe halten wird: Liebe Deinen Nächsten wie dich selbst!
Trotzdem sind Ermahnungen, wie wir sie hier finden, keine Ausnahme in den Schriften des Paulus. Vielmehr gehören sie von Anfang an in jeden paulinischen Brief mit hinein, sie sind sozusagen Teil seines
theologischen „Grundprogramms“.
Der erste Brief des Paulus an die Gemeinde in Thessalonich, aus dem unsere Verse stammen, ist das ältes te schriftliche Zeugnis der Christenheit – älter als alle anderen Briefe und als die Evangelien sowieso. Pau lus hat ihn ungefähr im Jahr 50 nach Christus in Korinth verfasst, also nicht mal 20 Jahre nach dem Tod
Jesu.
Paulus hatte die Gemeinde in Thessalonich vor nicht allzu langer Zeit gegründet, sie dann aber zwangs weise verlassen müssen. Jetzt hat er durch Timotheus neue Nachrichten von der Gemeinde bekommen.
Diese Nachrichten sind für den Apostel Grund zur Freude und zum Dank: die Gemeinde hält zusammen
im Glauben, sie feiert gemeinsam Gottesdienst und gewinnt neue Mitglieder. Es ist aber auch zu einer ge wissen Verunsicherung in der Gemeinde gekommen, weil einige Christen gestorben sind – man hatte
doch fest damit gerechnet, dass alle Christen das Ende unserer Zeit und die Rückkehr Jesu Christi miterle ben würden. Zugleich erfährt Paulus, dass die Gemeinde Verfolgung und Unterdrückung erleiden muss.
Auch gegen den Apostel selbst sind wohl Verleumdungen gestreut worden. Jedenfalls verwahrt er sich in
gegen eine Gleichsetzung mit gewissenlosen Wanderpredigern, die nur ihren eigenen Vorteil suchen und
ihre Anhänger einem ungewissen Schicksal überlassen.
Vor diesem Hintergrund erscheinen die Ermahnungen in einem anderen Licht:
Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann. 16 Seid allezeit fröhlich, 17 betet ohne Unterlass, 18 seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an
euch.
Die Worte sollen der Gemeinde Mut machen, nicht aufzugeben in schwierigen Zeiten, sondern zusammenzuhalten, sich gegenseitig zu stützen im Alltag und mit gemeinsamem Gebet.
Deshalb denke ich, dass die Gemeinde die Ermahnungen viel aufmerksamer angehört hat, als ich es vielleicht heute tue: Die Worte waren Balsam für ihre Seele, sie gaben Kraft.
Wo es heute heißt: Ermahnungen gehen zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus, war es damals
vielleicht eher so: Die Ermahnungen wurden aufmerksam angehört und im Herzen bewahrt.
Zumal die Botschaft des Paulus für die Menschen damals natürlich auch noch unvergleichlich viel neuer,
besonderer, lebensverändernder war als für uns heute. Aussagen wie: „Helft den Schwachen!“ oder „Seht
zu, dass keiner dem anderen Böses mit Bösem vergelte!“ sind heute zum Glück allgemeine menschliche
Werte – ob sich jeder daran hält, ist natürlich eine ganz andere Frage.
Damals aber waren es ganz neue, „un-erhörte“ Ideen.
Vielleicht hatten die Ermahnungen für die Adressaten damals wirklich einen größeren Wert als für uns
heute. Aber, wie in fast jedem Bibeltext, können auch wir darin Anregungen für unser Leben finden.
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Anna Henze
Pastorin
Predigt am 21.09.14
Heiligung
Im letzten Vers des Textabschnittes heißt es:
23 Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt,
untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus.
24 Treu ist er, der euch ruft; er wird's auch tun.
Das klingt ein bisschen so, als wäre das die Belohnung für christliche Lebensführung und tadelloses Verhalten: Wir werden geheiligt.
Heiligung – ein altmodischer Begrifft. Gott macht uns heil, er macht uns ganz. Und er gibt uns sozusagen
einen Vertrauensvorschuss, dass wir, wenn wir uns zum Christsein bekennen, ein gutes, „heiliges“ Leben
führen – und ganz freiwillig und aus dem Glauben heraus die Ermahnungen des Paulus befolgen.
Wir sollen heilig sein? Bei „Heiligen“ denkt man ja normalerweise zuerst an solche Menschen wie Mutter
Theresa, St. Martin, den Heiligen Franziskus, besondere Menschen, „Heilige“ eben. Das ist aber eine andere, eher katholische Verwendung des Begriffes. „Geheiligte“ sind wir alle. Und mit der „Gemeinschaft
der Heiligen“, zu der wir uns im Glaubensbekenntnis bekennen, sind wir alle, die Gemeinschaft der Chris ten, gemeint!
Heiligung, wie gesagt ein altmodischer Begriff. Wie kann man ihn so übersetzen, in Worte fassen, dass er
für uns heute eine Bedeutung bekomme?
Was bedeutet heil sein, ganz sein, für uns? Mir fallen da zuerst die vielen mehr oder weniger esoterischen
Seminarangebote ein, die es so gibt: „Finde deine Mitte“, „Lerne mit Stress und Erfolgsdruck
umzugehen!“ „Sag Ja zu deinem inneren Kind“, „Mit Yoga zur Ausgeglichenheit“... Manche von diesen
Angeboten sind vielleicht ein bisschen dubios, aber viele werden von kompetenten, gut ausgebildeten
Coaches geleitet und die Teilnehmerinnen können eine Menge dabei lernen. Ich spreche aus Erfahrung,
ich habe selbst auch schon einige solche Seminare mitgemacht: Yoga, Selbsterfahrung... teilweise auch im
Rahmen des Vikariats, also der Ausbildung zur Pastorin.
Diese Angebote haben ganz unterschiedliche Inhalte und Ausrichtungen, aber im Kern geht es bei vielen
darum, Ich selbst zu sein. Mich nicht verstellen, mich nicht von äußeren Ansprüchen mehr als nötig unter
Druck setzen zu lassen, authentisch zu sein.
Genau das kann für uns auch die Heiligung durch Gott sein: eben nicht der Versuch, besonders „heilig“
zu sein und mich dabei verbiegen und verstellen. Sondern mich so annehmen, wie ich bin, weil Gott mich
so gemacht und gedacht hat – und weil ich genau so von Gott geliebt bin!
Dazu gehört auch, offen zu meinen Fehlern zu stehen, besonders mir selbst gegenüber. Mir manchmal
einzugestehen: „Das kann ich nicht!“
In der Kindererziehung heißt es, man soll einen Mittelweg finden zwischen „dem Kind Grenzen setzen
und dem Kind Freiräume zu lassen“. Und am besten sei es, sich dabei nicht zu sehr von Ratgeber-Bü chern leiten und möglicherweise verunsichern zu lassen, sondern auf sein Gefühl zu hören und im Um gang mit den Kindern viel intuitiv zu handeln – da ja sowieso jedes Kind und jede Familie individuell ist
und es gar nicht für jede Situation einen Ratgeber geben kann!
Genauso müssen wir auch jede und jeder einen eigenen Weg fürs Christsein finden. So genau und ausgefeilt können die Ratschläge des Paulus gar nicht sein, dass für jede Situation, in der wir als Menschen und
Christen gefragt sind, einer dabei wäre. Im Zweifelsfall müssen wir uns auf unseren gesunden Menschen verstand oder vielmehr auf unseren gesunden Christenverstand verlassen.
Dann werden wir einen Weg finden, wir selbst zu sein. Und wir werden zufrieden sein, weil es unser eigener, persönlicher Weg ist! Wir werden zufrieden sein, weil wir nicht perfekt sein und alles richtig machen
müssen, sondern Mensch sein können, unperfekt, so wie wir Menschen eben sind. Und doch – und gerade dann – heil und heilig vor Gott, weil er uns genauso menschlich geschaffen hat, wie wir sind.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus
Christus. Amen
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