BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 11.02.2000 Dr. Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung im Gespräch mit Astrid Harms Harms: Gerstengarbe: Harms: Gerstengarbe: Harms: Gerstengarbe: Harms: Gerstengarbe: Herzlich willkommen bei Alpha-Forum. Als Gast begrüße ich heute Herrn Dr. Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe, stellvertretender Leiter des Instituts für Klimasysteme am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Herr Dr. Gerstengarbe, seit 30 Jahren beschäftigt Sie das Klima intensiv. Hält es denn überhaupt noch Überraschungen für Sie parat? Ja, natürlich. Besonders in den letzten Jahren. Vor 30 Jahren war es noch nicht so interessant, denn als ich studierte, wurde gesagt, dass das Klima etwas sei, das sich nur im Laufe von Jahrtausenden ändert. Jetzt wissen wir, dass sich das Klima innerhalb sehr kurzer Zeit ändern kann, und das ist spannend. Wir wollen wissen, wohin und wie es sich ändert und wie die Folgen aussehen. Sie sind Meteorologe, heute aber am Institut für Klimafolgenforschung. Wo hört das Wetter auf, und wo fängt das Klima an? Das Wetter hört schon nach zwei bis drei Tagen auf. Im Deutschen gibt es noch das Wort Witterung, das den Zeitraum von maximal einer Woche beschreibt. "Wetter" ist das, was wir gerade erleben, was wir von den Meteorologen täglich im Wetterbericht zu hören bekommen. "Klima" ist das Wetter über einen sehr langen Zeitraum - wir nennen es die "mittleren Zustände". Denken Sie an das mitteleuropäische Klima, das sich über Jahrhunderte durch bestimmte typische Charakteristika auszeichnet, denken Sie an die Tropen oder das Mittelmeerklima. Beim Klima beschäftigen wir uns mit ganz anderen Zeiträumen als beim Wetter. Natürlich brauchen wir, um das Klima zu beschreiben, die gesammelten Daten aus den Wetterberichten, um festzustellen, was sich im Klima tut. Wie muss man sich Ihre Tätigkeit genau vorstellen? Arbeiten Sie die meiste Zeit am Computer, oder beobachten Sie das Klima draußen in der "freien Wildbahn"? Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus? Als ich Meteorologe werden wollte, dachte ich, dass ich sehr viel in der Natur sein werde. Das hat sich nicht bewahrheitet, denn es ist ein reiner Schreibtischjob. Seitdem es Computer gibt, ist es ein Beruf, der vorrangig mit dem Computer zu tun hat. Wir erstellen bestimmte Klimamodelle einfache mathematische Formeln -, die das Klima mehr oder weniger gut beschreiben. Dazu benötigt man einen Rechner, der die Formeln umsetzt und die Situation simuliert. Ich sitze mit meinen Kollegen zusammen, wir diskutieren und schreiben unsere Programme am Computer und sehen, was herauskommt. Was ist der Unterschied zwischen einem Institut für Klimaforschung und einem Institut für Klimafolgenforschung? Eigentlich sagt es der Name schon: Im Institut für Klimaforschung beschäftigt man sich mit dem Klima als solchem. Klima ist der Zustand der Atmosphäre, der beschrieben wird. Wir kennen die Klimazonen, die Harms: Gerstengarbe: Harms: Gerstengarbe: Harms: Gerstengarbe: bestimmte Charakteristika aufweisen wie z. B. Niederschlag, Temperatur, Luftfeuchte. Im Klimainstitut werden diese Dinge beschrieben. Nun hat das Klima auch Folgen, und zwar dann, wenn es sich ändert. Eigentlich müssten wir heißen: "Institut für Klimaänderungsfolgen". Wir untersuchen in unserem Institut die Frage, was passiert, wenn sich das Klima drastisch ändert. Das ist aber nur eine der Fragestellungen. Inzwischen hat sich das um die Thematik des globalen Wandels noch erweitert. Ein wichtiger Punkt ist auch, was sich in der Natur und in der Gesellschaft ändert, wenn sich das Klima in irgendeiner Weise in absehbaren Zeiträumen so stark verschiebt, dass wir mit den Auswirkungen zurechtkommen müssen. Nun wird das Klima durch Faktoren bestimmt, die nicht leicht vorhersehbar sind wie z. B. Sonneneinstrahlung, Vulkanismus oder Kohlendioxidausstoß. Wie sind hier Vorhersagen überhaupt zu machen? Es gibt keine Klimavorhersagen. Wir können Szenarien entwickeln, die aber nur "Wenn/Dann-Entscheidungen" sind. Bei der Wettervorhersage macht man eine wirkliche Vorhersage. Sie sagen, dass es z. B. morgen Nachmittag regnen wird. Sie können aber beim Klima nicht sagen, dass sich z. B. im Jahre 2050 die Witterung oder das Klima in einer bestimmten Weise einstellen wird. Das geht nicht. Wir versuchen, mit immer besseren Versuchen abzuschätzen, was passiert, wenn die Treibhausgase zunehmen, mit welcher Wahrscheinlichkeit und in welcher Gegend der Erde. Hier untersuchen wir die voraussichtlichen Wirkungen. Wir müssen aber vorher wissen, wie das aussieht, was dann eintritt. Das ist nicht Klimavorhersage, sondern ein Klimaszenario. Das heißt, dass Sie verschiedene Szenarien für verschieden mögliche Situationen entwickeln müssen. Ja, genau das wird gemacht. Es gibt ein globales Szenario, über das im Moment am meisten gesprochen wird, nämlich die globale Erwärmung. Es gibt einen Treibhauseffekt: bestimmte Gase - die eigentlich nur Spurengase sind, weil sie nicht einmal ein Prozent der Erdatmosphäre ausmachen - sorgen dafür, dass die einfallende Strahlung als Wärmestrahlung zurückgehalten wird. Wenn diese Wärmegase zunehmen, heizt sich die Atmosphäre auf. Das beobachten wir auch in den letzten 100 Jahren. Es gibt Modelle - das sind wieder mathematische Formeln -, mit denen man versucht, diese Vorgänge zu beschreiben. Das ist sehr kompliziert. Man nimmt die Atmosphäre und teilt sie in Gitterpunkte ein: Es entsteht ein dreidimensionales Gebilde. Dann versucht man das, was passiert, durch diese Formeln zu beschreiben. In diesem Modell erhöht man z. B. den Anteil an Kohlendioxid, und man bekommt ein Szenario, bei dem die Temperatur ansteigt. Die ersten Modelle waren nicht gut, da sie relativ primitiv waren. Die Spanne, in der sich die Temperatur erhöhen konnte, war sehr groß, nämlich zwischen einem und fünf Grad. Hier gab es auch die Sensationsmeldungen, dass die Antarktis abschmelzen und der Kölner Dom irgendwann unter Wasser stehen würde. Das ist natürlich Unsinn, und so etwas findet nicht statt. Mittlerweile sind die Modelle besser geworden. Stellen Sie sich ein Auto vor: Wenn Sie mit einem Ford-T-Modell fahren, haben Sie keinen Airbag und kein ABS, aber es ist ein Auto. So hatten wir am Anfang auch Klimamodelle, die primitiver waren als die heutigen. Die Modelle werden nicht schlechter, sondern besser und genauer. Deshalb wird die gemachte Aussage nicht falsch, weil wir uns jetzt korrigieren auf einen Bereich, der genauer ist, sondern wir werden an sich genauer mit diesen Aussagen. Wie weit würden Sie sich trauen vorherzusagen, wie sich das Klima innerhalb der nächsten 100 Jahre ändern wird? Womit haben wir zu rechnen? Das ist keine Vorhersage, sondern ein Szenario. Wenn wir wie bisher Harms: Gerstengarbe: Harms: Gerstengarbe: Harms: weitermachen, dann wird es eine globale Temperaturerhöhung geben, die zwischen zwei und vier Grad liegt. Das ist unser jetziger Wissensstand. Auf jeden Fall wird es wärmer. Mittlerweile ist es soweit, dass wir es messen können. An unserem Institut haben wir inzwischen Klimasignale, Änderungssignale, für den europäischen Raum entdeckt, die zeigen, dass sich in den letzten 15 Jahren Erhebliches im Klima getan hat. Neu daran ist, dass sich diese Aussage statistisch belegen lässt. Wir wissen, dass sich im Moment mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ein neuer Klimazustand einstellt. Diese globalen Modelle sind nicht in der Lage zu sagen, dass es in einer bestimmten Region so und so sein wird, da sie zu ungenau sind, weil der Rechnungsmaßstab zu groß ist. Man muss jetzt versuchen - das ist die nächste Aufgabe -, in die Region zu gehen. Es interessiert mich eigentlich nicht, global zu sagen, dass es um eineinhalb Grad wärmer wird, denn davon habe ich nichts. Wichtig ist es zu wissen, was in Europa passiert, noch wichtiger ist es zu wissen, was in Bayern oder Brandenburg – dort steht unser Institut - passiert. Solche Untersuchungen werden an unserem Institut gemacht. Wir stellen regionale Szenarien darüber auf, was passiert, wenn wir den Treibhausgasanteil weiter erhöhen, so dass sich die Temperatur erhöht, und was das für Auswirkungen auf die verschiedenen Regionen hat. Sie haben sich mit Brandenburg intensiv beschäftigt. Was passiert in Brandenburg bis zum Jahr 2050? Die erste Studie, die wir erstellten, war eine Studie über Brandenburg, da das Institut vom Land Brandenburg finanziert wird und hier das Interesse besonders groß ist. Brandenburg zählt auch zu den niederschlagsärmsten Regionen Deutschlands. Wir schätzen, dass bis zum Jahr 2050 - wenn wir so weitermachen bis bisher - die Niederschläge noch weiter zurückgehen werden, und zwar um fast 100 Millimeter im Jahr. Brandenburg hat im Jahresdurchschnitt 600 Millimeter Niederschlag. Das wird Auswirkungen auf die Wasserversorgung haben, obwohl Brandenburg sehr viele Seen hat. Dennoch wird dann nicht mehr genügend Wasser vorhanden sein. Die zweite Auswirkung bezieht sich auf die Forstwirtschaft. Wie Sie wissen, hat Brandenburg Monokultur, d. h., es gibt nur Fichten, die Trockenheit nicht sehr gut vertragen. Momentan findet hier ein Umdenken statt, und der Wald wird entsprechend umgeforstet. Natürlich hat es auch Auswirkungen auf die allgemeine Situation. Auf die Landwirtschaft ist die Auswirkung nicht so stark, da man hier entgegen steuern kann, z. B. kann man bestimmte Pflanzen anbauen, die weniger Wasser benötigen. Europa ist nicht der Problemfall. Der Problemfall liegt in jenen Gebieten, in denen klimatische Randbedingungen herrschen, z. B. in Halbwüsten. Die dort wachsenden Pflanzen sind sehr empfindlich, und wenn dort bei sehr geringem Niederschlag noch weniger Niederschlag fällt, dann verwandelt sich dieses Gebiet sofort in eine Wüste. Wir kennen das von der Diskussion um die Sahelzone, die aus natürlichen Grundlagen her weniger Niederschlag hatte. Die Vegetation zog sich sofort zurück, und die Menschen dort bekamen Probleme. So etwas befürchten wir, denn inzwischen lebt 20 Prozent der Weltbevölkerung in solchen Halbwüsten. Sie sagten, dass uns vermutlich eine Temperaturerwärmung bevorsteht. Auf der anderen Seite hört man immer, dass wir einer Eiszeit entgegengehen. Ist das nicht ein Widerspruch in sich? Nein, weil es unterschiedliche Zeitskalen sind. Die nächste Eiszeit kommt bestimmt. Eiszeiten werden durch die Umlaufparameter von Erde und Sonne bestimmt. Das sind aber Zeiträume, die in Jahrtausenden vonstatten gehen, und die nächste Eiszeit liegt weit über 10000 Jahre in der Zukunft. Die Erwärmung, die wir erwarten, hat eigentlich schon eingesetzt. Deswegen ist das kein Widerspruch. Wie muss man sich eine Eiszeit überhaupt vorstellen? Wenn ich mir eine Gerstengarbe: Harms: Gerstengarbe: Harms: Gerstengarbe: Harms: Gerstengarbe: Harms: Eiszeit vorstelle, dann sehe ich Schnee- und Eismassen, die sich über die Ostsee bewegen, und menschliches Leben ist dann fast nicht mehr möglich - zumindest nicht im europäischen Raum. Die Vorstellung ist richtig, denn die letzte Eiszeit war so ähnlich: Eismassen bewegten sich bis nach Deutschland hinein, und das Leben zog sich in wärmere Gefilde zurück. Das ist ein normaler Vorgang, der sich periodisch wiederholt. Damit müssen Umwelt, Tier- und Pflanzenwelt zurechtkommen. Das können wir nicht beeinflussen. Wir machen aber jetzt ein gigantisches Experiment mit der Atmosphäre, weil wir Spurengase in so starkem Umfang in die Atmosphäre schicken, wie es bisher in so kurzer Zeit noch nicht geschehen ist. Deswegen befürchten wir Änderungen, die so schnell vonstatten gehen, dass wir nicht mehr darauf reagieren können. Es macht nichts, wenn sich das Klima langsam ändert, denn dann passt man sich an und es ist kein Problem. Wenn es jedoch innerhalb von 50 Jahren erfolgt, dann kann sich die Pflanzenwelt nicht so schnell anpassen. Die Bäume können nicht auswandern und durch andere ersetzt werden, denn sie brauchen Jahrhunderte dafür. Wir haben mit dem Problem zu kämpfen, dass das ganze Ökosystem durcheinander kommt. Ab welchem Punkt spricht man überhaupt von einer Klimaänderung? Wir kennen das alle, dass der eine Sommer etwas wärmer, der andere Sommer etwas kälter ist. Deshalb hat man aber vor 25 Jahren noch nicht von einer Klimaänderung gesprochen. Das ist völlig richtig. Wir haben ganz normale Schwankungen in der Witterung und im Klima. Solange wir innerhalb dieser Schwankungsbreite, die wir beobachten, bleiben, ist auch von einer Klimaänderung nicht die Rede. In den letzten 15 Jahren haben wir aber beobachtet, dass wir uns aus diesem Schwankungsbereich hinaus bewegen. Dann sieht man, dass eine Klimaänderung eintritt. Es bleibt offen, wo das endet. In welchem neuen Niveau sich das Klima einpendelt, ist eine Frage, die man im Moment noch nicht beantworten kann. Wenn ich den Begriff Klimaschutz höre, dann beinhaltet er, dass es etwas zu bewahren gilt, was scheinbar konstant ist. Klima ist aber nie etwas Konstantes, denn es ändert sich immer. Versuchen wir nicht, etwas zu bremsen, was sich gar nicht bremsen lässt? Ja, das Klima können wir nicht schützen. Was wir schützen müssen, ist die Menschheit vor den Änderungen. Wir müssen zusehen, dass wir uns den stattfindenden Änderungen anpassen. Wenn sich eine Spezies nicht mehr den sich ändernden Gegebenheit anpassen kann, dann stirbt sie aus. Wir kennen das von den Sauriern. Deswegen müssen wir versuchen, uns den Änderungen anzupassen, und versuchen, diese - wenn sie von uns hervorgerufen werden - so klein zu halten, dass der eintretende Schaden möglichst gering gehalten wird. Das ist das Ziel, und das versteht man unter Klimaschutz. Gibt es Szenarien, die beschreiben, wie das Klima sich entwickeln würde, wenn der Mensch nicht eingegriffen hätte? Kann man hier Abweichungen feststellen? Ja, es gibt solche Szenarien, die das Ist-Klima beschreiben. Hier hat man nichts weiter als das, was wir schon in der Schule gelernt haben. Hier gibt es nichts Neues. Für den Wissenschaftler sind aber die Änderungen von Bedeutung, und deswegen sollten diese auch untersucht werden. Das Klima ist jedoch nicht das Einzige, denn es hat auch eine Ursache, und die Ursache sind wir selber. Hier ist es wiederum das Bevölkerungswachstum, das letztendlich dafür verantwortlich ist, dass sich das Klima ändert. Nicht nur in bestimmten Zonen wie z. B. in Savannen sind Menschen betroffen, die dann unter Wassermangel zu leiden haben. Welche Folge Gerstengarbe: Harms: Gerstengarbe: Harms: würde die Erwärmung noch mit sich bringen? Es gibt mehrere Folgen, positive und negative. Positive Folgen sind z. B. für Europa, dass wir ein angenehmeres, ausgeglicheneres Klima bekommen. Es gibt Gebiete auf der Erde - z. B. Sibirien -, wo ein Teil der PermaFrostböden auftauen und die Vegetation zunehmen würde. Eigentlich überwiegen aber die Nachteile. Bei empfindlichen Gebieten würde es dann so sein, dass diese noch mehr zu Wüsten tendieren. In den letzten 15 Jahren hat die Sahara über 400000 Quadratkilometer zugenommen. Der mittlere Westen der USA - die Kornkammer der Welt – würde Probleme mit dem Niederschlag bekommen, denn der würde hier abnehmen. Solche Dinge kann man jetzt schon abschätzen. Das Bevölkerungswachstum hört nicht auf, denn wir wachsen rapide an. Wenn Sie sich vorstellen, dass Anfang dieses Jahrhunderts nur eine Milliarde Menschen auf der Erde lebte, und heute sind es sechs Milliarden, dann kann es so nicht weitergehen. Hier muss man eigentlich eingreifen, und das fällt den meisten natürlich schwer. Sagen Sie einem Entwicklungsland, dass es sich zurückhalten sollte, während wir als Industrieland 80 Prozent der Ressourcen und Energien verbrauchen. Hier ist mit den Maßnahmen zum Klimaschutz anzusetzen. Sie sagen selbst, dass dies Vorschläge sind, die nur auf taube Ohren stoßen können. In dem Moment, in dem Sie Regionen untersuchen - wie Sie es in Brandenburg machten -, kann man ganz konkrete, praktische Vorschläge machen, wie z. B. den Wald umzupflanzen. Gibt es nicht auch so konkrete Vorschläge, die man im Bereich der Entwicklungsländer machen könnte, ohne sofort in eine Geburtenregelung zu kommen oder in andere sehr sensible Bereiche? Das gibt es, und ganz so trübsinnig sieht es nicht auch aus. Es gibt Fortschritte in kleinen Bereichen. Denken Sie an die Bonner Konferenz, in der sich die Staaten das erste Mal bewusst geworden sind, dass etwas getan werden muss. Im Gegensatz zu vor zehn Jahren ist das ein Erfolg. Es ist natürlich schwierig, dass man alle, die im Boot sitzen, dazu bekommt, in dieselbe Richtung zu rudern. Wenn sie schon in einem Boot sitzen, dann wollen sie zumindest nicht, dass es untergeht. Deswegen bin ich optimistisch, dass etwas geschieht. Für Brandenburg gibt es z. B. für die nächsten 100 Jahre ganz konkrete Hinweise, die dann umgesetzt werden. Unser Institut betreibt auch noch andere Forschungsarbeit, auch in Entwicklungsländern. Wir haben in Südamerika - in einer HalbwüstenRegion - ein Forschungsprojekt, das die Wasserverfügbarkeit im Zusammenhang mit den Wanderungsbewegungen der Bevölkerung dort untersucht. Die Bevölkerung wandert aus diesem Gebiet massiv aus: einmal in Richtung Süden, in die Ballungsgebiete Rio de Janeiro und Sao Paolo, zum anderen auch in die Amazonas-Region. Jetzt ist die Frage, ob das Wasser dort für die Landwirtschaft und für die Ernährung der Bevölkerung ausreicht und was passiert, wenn sich das Klima ändert. Wird die Situation dann schlechter oder besser? Was muss getan werden? Das ergibt Empfehlungen, die die Politiker letztendlich umsetzen müssen. Unser Institut ist durch unseren Direktor beteiligt am WBGU - dem "Wissenschaftlichen Beirat Globaler Umwelt" - bei der Bundesregierung. Ich würde sie die "12 Waisen für Umweltfragen" nennen. Sie erstellen jedes Jahr einen Zustandsbericht, der der Bundesregierung übergeben wird und aus dem Empfehlungen abgeleitet werden können. Es wird schon etwas getan, zwar zu wenig, aber man soll nicht so pessimistisch sein. Ich finde es schön, dass ausgerechnet Sie so optimistisch sind, da Sie mit den Fakten Tag für Tag zu tun haben und ich eher vermutet hätte, dass Ihnen alles zu langsam geht und dass Sie auch mit den Ergebnissen der Umweltkonferenz im November in Bonn nicht so glücklich sein können. Letztlich kam nichts heraus, außer dass man über einen Immissionshandel Gerstengarbe: Harms: Gerstengarbe: Harms: Gerstengarbe: diskutierte. Ich weiß nicht, ob das der richtige Weg ist, dass man den Entwicklungsländern anbietet, aus ihrer mangelnden Wirtschaft auch noch Kapital zu schlagen, und dass die Industrieländer sich mit Geld freikaufen können. Ich sehe das nicht ganz so. Man muss bei diesem Job Optimist sein, denn die anstehenden Probleme sind schon beängstigend, das muss man immer wieder sagen. Es geht nicht, dass man über die Probleme hinweggeht und zur Tagesordnung zurückkehrt. Es geht nicht - auch wenn es manchmal den Anschein hat -, dass dieses Thema zu oft diskutiert wurde und deshalb nicht mehr die Beachtung findet, die es haben müsste. Das liegt auch daran, dass sich die Dinge, die sich ändern, nur sehr langsam ändern. Wenn Sie vor 50 Jahren gesagt hätten, dass man ohne gesundheitliche Risiken nicht mehr im Rhein baden könne, dann hätte man das nicht geglaubt. Inzwischen haben sich alle daran gewöhnt, obwohl der Rhein wieder sauberer geworden ist. Wir sind nicht in der Lage, diese Dinge mit Langzeitwirkung als Gefahr aufzufassen. Das liegt an unserer Konstitution. Wenn ein Auto hupt, dann können wir zur Seite springen, aber wenn wir eine Gefahr, die erst in 50 Jahren auf uns zukommt, sehen, dann reagieren wir nicht und warten ab. Das ist auch ein Problem, mit dem wir zu kämpfen haben. Ich finde, dass die Dinge, die in Bonn herausgekommen sind, gar nicht so schlecht sind. Wir haben dadurch die Chance, dass die Entwicklungsländer Geld bekommen - das sie so nicht haben -, um ihre eigene Wirtschaft in vernünftiger Form aufzubauen. Sie sollen uns nicht kopieren und die gleichen Fehler machen. Wenn sie das Geld dort für einen sinnvollen Umweltschutz in der Wirtschaft einsetzen, dann hat es Sinn und man kann es auch durchführen. Es ist dann eine Entwicklungshilfe, die ich als positiv bewerten muss. Was kann der Einzelne ganz konkret tun? Wir können uns als einzelne Bürger relativ bequem zurücklehnen und sagen, dass die Industrie schuld ist und wir eigentlich gar nichts tun können. Lohnt es sich, Flaschen zu trennen, weniger Auto zu fahren? Sind das Dinge, die man wirklich empfehlen kann? Ja, das sind die kleinen Dinge, mit denen man anfängt. Energiesparen ist das Erste, an das wir denken müssen. Wir verbrauchen einen Großteil der Energie. Ein amerikanischer Bürger produziert pro Kopf und Jahr 20 Tonnen Kohlendioxid, ein Afrikaner nur eine Tonne. Wir liegen in der Mitte bei 11 Tonnen. Wenn wir Energie sparen, dann sparen wir auch Emissionen. Wir reduzieren den Kohlendioxid-Gehalt, der zusätzlich in die Atmosphäre kommt, und das ist schon einmal vernünftig. Das hieße nicht unbedingt, weniger Auto zu fahren, aber man könnte sich ein Auto kaufen, das weniger Sprit verbraucht, was bereits technisch machbar ist. Das Recyceln, das Trennen von Rohstoffen, ist die zweite Sache. Das hat mit dem Klima nicht so viel zu tun, sondern mit den begrenzten Rohstoffressourcen. Wir müssen sparen, denn irgendwann sind die Erdölvorkommen aufgebraucht. Woher wollen wir dann den Kunststoff beziehen, der aus Erdöl produziert wird? Jetzt verbrennen wir es zum Heizen und für Motoren. Das ist eigentlich nicht notwendig, da es zu wertvoll ist. Eigentlich müssten wir es aufheben für andere Dinge, die wir herstellen, und alternative Energien nutzen. Herr Dr. Gerstengarbe, Sie haben einen einundzwanzigjährigen Sohn. Haben Sie im Generationenvergleich das Gefühl, dass sich im Bewusstsein etwas gewandelt hat? Das ist eine schwierige Frage. Das Umweltthema ist thematisiert worden, so dass jeder darüber Bescheid weiß, aber bewusst macht sich das der Einzelne zu wenig. Wir haben im Zusammenhang mit dem heißen Sommer 1992 Umfragen gemacht, und es wurden repräsentative Bevölkerungsgruppen befragt. Unter anderem wollten wir wissen, ob sie Harms: Gerstengarbe: Harms: Gerstengarbe: Harms: Gerstengarbe: Harms: Gerstengarbe: Harms: Gerstengarbe: Angst haben, wenn solche Sommer gehäuft auftreten. Sie bejahten es. Die zweite Frage war, ob sie bereit sein würden, ihren Lebenswandel umzustellen, damit so eine Gefahr reduziert wird. Über 60 Prozent antworteten mit Nein. Bei der dritten Frage wollten wir wissen, was der Einzelne konkret tun würde. Die Antwort war, dass die Regierung das zu verantworten hätte. Das geht natürlich nicht. Daran sehen Sie, dass zwar sehr viel über die Umwelt diskutiert wird und jeder versucht, sein Schäfchen unter diesem Schlagwort ins Trockene zu bringen, aber das Bewusstsein und die Umsetzung dessen klafft noch weit auseinander. Das Problem gehört also für uns mittlerweile so zum Alltag, dass wir es als besonderes Problem gar nicht mehr wahrnehmen? Ja, so würde ich das auch sagen. Inwieweit spielt das Klima und seine Folgen bei Ihnen zu Hause, privat, eine Rolle? Privat versuche ich, die Fahrten mit dem Auto so weit wie möglich zu reduzieren. Ich habe meine Heizung auf Gas statt Kohle umgestellt, da das umweltfreundlicher ist. Spricht Ihr Sohn mit Ihnen über das Thema, oder möchte er davon nichts wissen? Es interessiert ihn schon. Dadurch, dass dieses Thema bei uns zu Hause ständig diskutiert wird, ist ihm das schon bewusst, vielleicht sogar mehr als anderen. Inwieweit er sich danach richtet, ist eine Frage des Alters. Es gibt die Sturm-und-Drang-Phase, in der man gegen alle Erwachsenen ist und nichts davon wissen möchte. Dann kommt aber auch die Überlegung, dass man etwas für unsere Zukunft tun muss. Bei den Jugendlichen ist das Interesse mehr als bei der älteren Bevölkerung vorhanden. Wir haben in unserem Institut viele Schulklassen, die zu uns kommen, Vorträge anhören und mit uns diskutieren. Sie sind in Thüringen geboren und haben nach dem Abitur eine Lehre als Schlosser gemacht, bevor Sie zur Meteorologie kamen. Wann hat dieser Interessenwechsel stattgefunden? Damals gab es die Ausbildung zu einem Handwerk mit dem Abitur, das lief parallel, und man musste das auch machen. Ich bin darüber nicht traurig, denn die Erfahrung möchte ich nicht missen, abgesehen davon, dass ich in der Lage bin, zu Hause einen Wasserhahn zu wechseln. Es gibt einem andere Einblicke in die Arbeitswelt, als wenn man nur theoretisch davon gehört hat. Meteorologe wollte ich werden, weil der damalige Direktor des meteorologischen Dienstes der DDR ein Bekannter meiner Eltern war. Er erzählte oft, dass er Reisen unternahm, oder er erzählte von Satelliten, die eingesetzt wurden. Das regt die Phantasie eines kleinen Jungen sehr an. Deshalb wollte ich auch Meteorologe werden. Vieles hat sich dann anders gezeigt, aber es ist interessant und wird immer spannender. Zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung sind Sie am Meteorologischen Hauptobservatorium in Potsdam gewesen. Was hat sich für Sie verändert? Gibt es für Sie ganz markante Punkte, bei denen sich etwas wesentlich verändert hat? Wie haben Sie die Wiedervereinigung in der Wissenschaft erlebt? Zweigeteilt: Zum einen natürlich sehr positiv, zum anderen kam sie zu spät zumindest für mich. Wir durften nur ausgesuchte Kontakte zu unseren westlichen Kollegen haben. Ich hatte aus politischen Gründen nicht einmal zu meinen östlichen Kollegen Kontakte. Das hat mich natürlich in der Blickweite eingeschränkt. Zum Glück kam die Wende noch rechtzeitig, um diesen Zustand abzustellen. Ich habe viel von meinen westlichen Kollegen lernen können, nachdem ich dann reisen und Kongresse besuchen konnte. Harms: Gerstengarbe: Harms: Gerstengarbe: Harms: Gerstengarbe: Harms: Eigentlich zu spät, weil man gleich nach seinem Studium in die Welt ziehen sollte, um etwas kennen zu lernen und den Blick zu weiten. Insgesamt war es positiv, denn der "Meteorologische Dienst" der DDR ist damals vom "Deutschen Wetterdienst" übernommen worden. Das werden jetzt meine Kollegen vom "Deutschen Wetterdienst" nicht so gerne hören, denn ich wollte weg davon, da es ein Beamtenapparat ist, der sich mit der Forschung schwer tut. Dieses Institut ist ein wirkliches deutsch-deutsches Resultat, denn da haben sich Kollegen aus West und Ost zusammengetan und haben ein Memorandum an den Wissenschaftsrat der Bundesrepublik geschickt mit der Forderung, dass wir ein Institut benötigen, das regionale Klimatologien betreibt. Dieses Institut wurde dann tatsächlich gegründet. Gibt es Kollegen, die sehr unter der Wiedervereinigung zu leiden hatten? Ich habe von Wissenschaftlern gehört, dass es z. B. ein sehr großes Problem war, die englische Fachsprache zu beherrschen. In der DDR wurde ja Russisch gelehrt, und in der Wissenschaft wurde sehr vieles auf Russisch abgehalten. So hatten viele Wissenschaftler nach der Wende hier schon eine sprachliche Barriere. Ich glaube, das ist nicht ganz so schlimm, es kann aber im Einzelfall so sein. Meine Russischkenntnisse sind wesentlich schlechter als meine Englischkenntnisse, aber mein Englisch reicht aus, um sich mit den Kollegen zu unterhalten, sie verstehen, was ich will, auch wenn das nicht immer grammatikalisch richtig ist. Es gibt aber andere Probleme, z. B. die Übernahme der leitenden Posten in den Instituten durch Wissenschaftler aus den alten Bundesländern. Das wurde für manche ein Problem. Wenn man zuvor so einen Posten inne hatte und plötzlich zur Seite geschoben wird, ist das für manche schon schwierig. Welche Projekte stehen Ihrer Meinung nach dringend an? Gibt es Projekte, die Sie sehr gerne machen würden, und Projekte, die Ihrer Meinung nach dringend gemacht werden müssen? Wir hatten in den letzten Jahren das Gefühl, dass die Klimafolgenforschung aus ideologischen Gründen ein bisschen zurückgedrängt wurde, weil die Wirtschaft es nicht so gerne sieht, wenn man etwas mehr für die Umwelt tut. Das hat sich inzwischen wieder geändert, weil die Warnsignale immer deutlicher werden. Ich wünsche mir nicht mehr Geld - das ist natürlich auch eine schöne Sache -, denn mit dem, was vorhanden ist, kann man auch ganz gut arbeiten. Ich würde mir wünschen, dass wir bei der Bearbeitung der regionalen Aspekte noch zu größeren Erfolgen kommen. Woran liegt es, dass Sie im Moment noch nicht zu den Erfolgen kommen, die Sie sich wünschen? Erfolge haben wir schon, so ist es nicht. Diese so genannte Regionalisierung - wie wir sie nennen - steckt in den Anfangsschuhen. Hier müssen wir sehr viel an Arbeit investieren, und das müsste einfach schneller gehen. Man ist unruhig und möchte die Ergebnisse haben. Die Politiker machen natürlich auch Druck. Wissenschaftler sagen am liebsten nie konkret, was werden könnte, sondern “es könnte sein”. Die Politiker müssen aber mit vernünftigen Daten arbeiten. Das ist der Konflikt, in dem man ständig steckt, nämlich dass man auf der einen Seite die Angst hat, sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen, auf der anderen Seite aber - wenn man es nicht tut -, es die Politiker für uninteressant halten und die Geldmittel streichen. Als diese Problematik aufkam, hat das auch sicher dazu geführt, dass manche Aussage überbetont wurde wie z. B. der Anstieg des Meeresspiegels. Dieses Problem könnten Wissenschaftler und Politiker vielleicht gemeinsam lösen. Inwieweit haben Sie das Gefühl, dass Ihre Ergebnisse von den Politikern wirklich gehört werden und dann auch praktisch etwas geschieht? Passiert konkret am Beispiel Brandenburg etwas? Gerstengarbe: Harms: Gerstengarbe: Harms: Es passiert eigentlich zu wenig. Das wäre ein echter Wunsch, dass hier mehr getan wird und dass die Politiker mehr auf die Fachleute hören würden. Wir haben keine besseren Ergebnisse, wir müssen mit diesen Ergebnissen arbeiten, die nicht hundertprozentig richtig sind. Vorbeugen ist jedoch immer noch besser als heilen. Auch wenn wir investieren und es sich hinterher herausstellt, das es unnötig war, ist das noch sicherer. Beispiel: Wenn Ihnen jemand sagen würde, dass man bei einem Kernkraftwerk die Wartung weglassen würden und in zehn Jahren fliegt Ihnen das Werk um die Ohren, dann wäre halb Deutschland sicher auf den Barrikaden. Das geht nicht. Hier muss Geld hineingesteckt werden. Wenn diese Klimaänderung in 30 Jahren kommt, dann kann das genauso schlimm sein. Deswegen muss man auch hier Geld hineinstecken, damit die Forschung vorangetrieben werden kann. Wenn es nicht eintritt, dann würde ich mich freuen, wenn wir Unrecht haben. Zum Schluss bitte ich Sie um eine ganz kurze Vision, die Sie als Wissenschaftler haben. Mein großer Wunsch ist, dass die Industriestaaten und die Entwicklungsländer mehr aufeinander zugehen, um diese Probleme zu lösen, und dass die Industriestaaten mit gutem Beispiel vorangehen, weil sie es sind, die derzeit unseren Planeten am meisten ausbeuten und benützen. Wir sollten auch lernen, dass wir auf einem niedrigeren Niveau des Konsums genau so gut leben können, wie wir es jetzt tun. Es ist nicht nötig, dass man sich so einen Luxus leistet, wie einige der Industrieländer Deutschland inbegriffen. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen, Herr Gerstengarbe, und bei Ihnen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer. Das war Alpha-Forum, heute mit Dr. Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. © Bayerischer Rundfunk