SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Glauben „BEST OF BUDDHA“ Buddhismus ohne Mythos und Mantras VON Ursula Reinsch SENDUNG 11.01.2015 / 12.05 UHR Redaktion Religion, Kirche und Gesellschaft Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR SWR2 Glauben können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/glauben.xml Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. 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Da ist etwas, was Neurowissenschaften integriert, da ist etwas, was die modernsten wissenschaftlichen Forschungen - Quantentheorie und so weiter - all das wird aufgenommen. Das heißt, säkular bedeutet weltzugewandt. Da gibt es nicht, dass man denkt, ich muss die Atomphysik ausklammern, oder ich müsste ausklammern Beziehungsstress, oder ich müsste ausklammern, dass – wenn wir so weiterwirtschaften – dass … die Zivilisation untergeht. Das darf nicht ausgeklammert werden. Sprecherin Zwei Menschen, für die trotz christlichem Hintergrund die weltliche Spielart des Buddhismus zum Orientierungsrahmen geworden ist. Ein Buddhismus, der Traditionen außen vor lässt und zu den frühesten Lehren des Buddha zurückkehrt. Beispielsweise zu Lehrreden wie dieser. Zitat „Geht nicht nach Hörensagen, nicht nach Überlieferungen, nicht nach der Autorität heiliger Schriften, nicht nach der Autorität eines Meisters. Geht nach der eigenen Erkenntnis.“ Sprecherin „Geht nach der eigenen Erkenntnis“, soll Buddha vor etwa 2500 Jahren gesagt haben. Die Erkenntnis muss zu Raum und Zeit passen also westlich und modern sein, würden säkulare Buddhisten in Europa hinzufügen. O-Ton Batchelor I distinguish between Buddhism 1.0 and 2.0. Buddhism 1.0 is the Buddhism which is based upon the traditional worldview of ancient India. In other words: 2 Buddhist practice is about finding a way to be free form death and rebirth and thereby finding nirvana…. (22) Buddhism 2.0 – at least in my understanding - is to imagine a way of doing Buddhist practice which is not based on classical Indian worldview, but is based on the teachings of the Buddha that are not derived from Indian thought. O-Ton Übersetzung „Ich mache einen Unterschied zwischen Buddhismus 1.0 und 2.0. Der Buddhismus 1.0 ist ein System, das auf den Glaubensvorstellungen des antiken Indiens beruht. Danach dient die buddhistische Praxis dazu, aus dem Zyklus von Geburt und Tod befreit zu werden und ein endgültiges Nirwana zu erlangen. Buddhismus 2.0 ist für mich eine Art buddhistischer Praxis, die nicht auf den klassischen indischen Vorstellungen, sondern die auf den Lehren des Buddha selbst beruht.“ Sprecherin “Buddhismus 2.0“ - so nennt Steven Batchelor den Buddhismus ohne kulturelle Färbung, ohne mystischen Überbau. In Anlehnung an moderne Computersprache, versteht er darunter ein „neues buddhistisches Betriebssystem“. Vereinfacht: 1.0 bedeutet eher Glauben, beinhaltet metaphysische Aspekte, 2.0 bedeutet eher Handeln und beinhaltet rationale und naturwissenschaftliche Aspekte. Stephen Batchelor ist im Westen einer der bekanntesten Vertreter des säkularen Buddhismus. Der Schotte hat einen soliden buddhistischen Hintergrund: Er praktizierte viele Jahre als Mönch in Indien und Korea. Die tibetische und auch die nüchterne Zen-Tradition. Übersetzte buddhistische Ursprungstexte aus dem Sanskrit und dem Tibetischen neu - in eine zeitgemäße Sprache. O-Ton Batchelor “I understand Buddhism not as some religious tradition that aims transcendence and salvation but rather Buddhist practice as methodology and a philosophy and a system of ethics that liberates one to live more fully in this world here and now. Both as a individual first and as a participant and as a member of the wider society and with a considerable awareness of the affecting or actions upon the…biological world in which we live.” O-Ton Übersetzung „Ich verstehe Buddhismus nicht im Sinne einer religiösen Tradition, die auf eine irgendwie geartete Form der Befreiung oder auf Seelenheil gerichtet ist, sondern als buddhistische Praxis, als Methode und Philosophie und Ethik, die einen befreit, um als Mensch ganz erfüllt zu leben - in dieser Welt im Hier und Jetzt. Und zwar sowohl als Individuum als auch als Teil der Gesellschaft und damit am Leben anderer Menschen. Wir sollten bewusst und verantwortungsvoll mit dem Ökosystem umgehen, in dem wir leben. 3 Sprecher Stephen Batchelor ist 63. Er hat mehrere Bücher zum säkularen Buddhismus geschrieben, gilt als Quer- oder Weiterdenker. Ihm, wie auch anderen Vertretern des säkularen Buddhismus, geht es um einen Buddhismus, der in moderner Sprache modernen Menschen hilft, buddhistisch-meditative Methoden und Werte zu nutzen und dabei zu lernen, wie man mit dem eigenen Geist arbeiten kann. Sprecherin Beispielsweise um Unglück stiftende Gedanken und Glaubensmuster zu erkennen und zu transformieren, zu überwinden. Um damit Stress abzubauen. Um erfüllt, friedlich zu leben, mitfühlend, im Einklang mit der eigenen inneren Wahrheit, mit den Mitmenschen, mit der Natur. Und um Sinn im Leben zu finden. Sprecher Stephen Batchelor möchte mit seinem „Institut für buddhistische Studien“ in England dazu beitragen. Auch mit seiner Mitarbeit bei „Tricycle“, Amerikas führender buddhistischer Zeitschrift. Musik Kitaro Sprecherin Säkulare Buddhisten sind oft Atheisten. Viele sind Angehörige anderer Glaubensrichtungen, beispielsweise Christen. Die heterogene Gruppe eint, dass sie sich nicht einer traditionellen buddhistischen Richtung anschließen wollen. Sie wollen sich nicht entscheiden: O-Ton Folkers „Entweder werde ich Theravada oder gehe ich Mahayana oder oder Zen.“ Sprecher Manfred Folkers ist Mitglied im Rat der Deutschen Buddhistischen Union, dem Dachverband der rund 250 000 organisierten Buddhisten in Deutschland. Säkulare Buddhisten seien Suchende, die sich nicht im Esoterik-Supermarkt bedienen wollen, die aber auch keine festen Strukturen benötigen. Dennoch schätzen diese Menschen eine traditionell begründete spirituelle Lebensphilosophie, die sich mit dem modernen Leben vereinbaren lässt. O-Ton „Natürlich ist der Buddhismus ganz klar die philosophisch interessanteste Religion der fünf Großreligionen. Sprecherin erklärt Thomas Metzinger von der Universität Mainz den Trend. 4 O-Ton Metzinger „Das eigentlich Interessante ist dieses ausgefeilte und eben auch über Jahrhunderte von hunderttausenden von Praktizierenden ausgetestete Praxis, die nicht so stark gebunden ist an metaphysische Glaubenssysteme oder Hintergrundannahmen, die wir nicht mitvollziehen können in der modernen westlichen Gesellschaft. Das heißt die Praxis ist etwas, von der wir alle profitieren können“ Sprecherin Zum Beispiel Gisela und Willi. Beide sind Christen. Sie, 55, Sozialarbeiterin in der Familienhilfe und Tanzlehrerin; er, 58, selbstständiger Betriebswirt. Vor vier Jahren haben sie sich kennen und lieben gelernt. Nach gescheiterten Beziehungen. Wollten es besser machen. Wollten ihr Leben auf einem gemeinsamen spirituellen Fundament aufbauen und ihre Liebe bewusst gestalten. Nicht in alte Muster zurückfallen. Im säkularen Buddhismus finden sie die praktischen Anleitungen, die sie im Christentum vermissen: O-Ton Willi „Am Buddhismus hat mich immer fasziniert, dass es überhaupt keine Götter oder Bilder von Göttern gab, die es zu verehren galt, sondern dass es eher ein Weg war, der da aufgezeigt wurde. Und Anleitungen gab, wie man diesen Weg zu Erkenntnissen beschreiten kann. Also eher eine Lehre als wie eine Religion.“ O-Ton Gisela „Mich hat dieses sehr Bodenständige, ganz Pragmatische für den Alltag sehr angesprochen. So als Handwerkszeug im Umgang von Mitgefühl, Mitmenschlichkeit - und nicht der liebe Gott sitzt im Himmel und sieht alles – sondern in dem Sinne von - das Göttliche ist in jedem Menschen. Es geht nicht um was Abgehobenes, sondern es geht um eine Bewusstseinsentwicklung in mir. Das Handwerkszeug, ist diese Achtsamkeit, Aufmerksamkeit im gegenwärtigen Augenblick. Das Wahrnehmen und das Loslassen von Gewohnheitsmustern, Gedankenstrukturen, Konstrukten, die ich teilweise als sehr machtvoll erlebe, die mich im Alltag bestimmen. Zu erleben, dass das Muster sind, dass ich sie erkenne, als einen Teil von mir und dass ich ein Bewusstsein habe, eine Freiheit habe mein Muster wieder neu zu definieren.“ Sprecherin „Erleben, dass ich ein Bewusstsein, eine Freiheit habe.“ Das ist vielleicht die wichtigste Kernbotschaft des säkularen Buddhismus. Auch hier wird sie – genauso wie im traditionellen Buddhismus - aus den „vier edlen Wahrheiten“ abgeleitet, den bekanntesten buddhistischen Prinzipien. Diese kann man so zusammenfassen: Zitat Erstens: Das Leben ist letztlich leidvoll. Zweitens: Das Leiden hat Ursachen wie Gier, Hass und Verblendung. 5 Drittens: Erlöschen die Ursachen, erlischt das Leiden. Viertens: Es gibt einen Weg zum Erlöschen des Leids. Sprecherin Stephen Batchelor sieht in diesen vier edlen Wahrheiten allerdings keine Glaubenssätze, sondern sie haben für ihn den Charakter von Empfehlungen: O-Ton Batchelor The first one is to embrace the suffering of live. The second is to let go one‟ s individual grasping and graving and selfishness in response to the suffering of life. The third is to cultivate meditation, moments of stillness and openness, where one is liberated from those instincts even… and this leads to the fourth task which is to cultivate to bring into being a way of life in this world.” O-Ton Übersetzung „Die erste Handlungsempfehlung bedeutet: das Leiden des Lebens anzunehmen. Die zweite: das persönliche Anhaften, die Gier und die Selbstsucht angesichts des Leidens aufzugeben. Die dritte bedeutet, Meditation, Stille und geistige Offenheit zu kultivieren, um uns von dem instinkthaften Denken und Handeln zu befreien. Dies führt zur vierten Aufgabe: diese Fähigkeiten als eine Art Lebenskunst in unserem alltäglichen Leben zu verwirklichen.“ Sprecher Wie kann es gelingen, diese vier traditionellen „edlen Wahrheiten“ als moderne Handlungsempfehlungen im Alltag zu verwirklichen? O-Ton Willi Ich habe mich besonders mit der menschlichen Habgier auseinandergesetzt und da wurde sehr schnell klar, dass die treibende Kraft des Kapitalismus die Habgier des Menschen ist. Und im Buddhismus wird dies auch als einer der Gründe genannt, warum wir Menschen leiden oder ein Hauptgrund dafür, dass so viel Leiden entstehen kann. Und dass wir uns dessen bewusst sein müssen, um damit auch so umzugehen, damit wir uns selber dann auch nicht schaden auch mit den negativen Wesenszügen sich auseinanderzusetzen und diese zu akzeptieren. Das war für mich eine sehr wichtige Erkenntnis, weil es zunächst auch im Christentum so ist, dass man etwas Negatives als Sünde bezeichnet - und das ist schlecht und lehnt es ab und schämt sich dann dafür. Aber im Buddhismus ist es einfach so, dass man es erkennen muss, wie es ist und. Es ist ein Teil unseres Wesens. Und es hilft uns nicht, das abzulehnen. Wir müssen verantwortungsvoll damit umgehen.“ O-Ton Gisela „Die buddhistische Praxis hilft mir sehr, mit meiner tiefsten Herzensessenz – möchte ich sagen - in Berührung zu kommen, weil ich in meinem tiefsten inneren erlebe, dass ich mich auch dabei ertappe, dass ich so denke, ach wenn ich das und das hätte, dann wäre ich glücklicher. Glücklicherweise erlebe ich mich mittlerweile an dem Punkt, dass ich erkenne, dass das auch 6 Illusionen sind. Und im Gegenteil, dass das mich einschränkt im Endeffekt weil ich merke, dass ich in Abhängigkeiten gerate letztendlich habe ich im Kleiderschrank hunderte von Dingen, die ich eigentlich gar nicht brauch, und wo ich merke, das ist mir nicht mehr so wichtig im Leben weil ich gemerkt habe, dass das vielfach Ersatz ist ‚für„ und nicht Erfüllung beinhaltet, dass es nicht darum geht, diesen buddhistischen erleuchteten Buddha zu haben, sondern dass es darum geht, die kleinen Erleuchtungsmomente im Alltag wieder zu finden.“ Sprecherin Kleine Erleuchtungsmomente bemerken und nicht auf die große Erleuchtung warten! Das könnte zum Beispiel bedeuten dass man sich nicht einfach getrieben fühlt, den xten Pullover zu kaufen, um damit über einen Groll mit dem Chef hinweg zu kommen… Zu bemerken, dass Immaterielles wie das Gefühl von Ärger sich nicht mit Materiellem wie mit einem neuen Pullover heilen lässt. Dass man statt dessen einen Raum finden kann in sich drinnen, in dem man Alternativen entdeckt, zeitlosere Werte, ganz und gar kostenlose: wie etwa die Freude, einen Spaziergang zu machen, eine Freundin anzurufen. Musik Kitaro O-Ton Gisela „Dass ich ein Bewusstsein habe, eine Freiheit habe, eine Freiheit habe.“ O-Ton Leise Musik, langsam unter dem nächsten O-Ton ausblenden Sprecher Diese Freiheit lässt sich durch die Arbeit mit dem eigenen Geist entwickeln. Beispielsweise durch Einsichtsmeditation: O-Ton „Die besteht aus zwei Schritten: In der Kurzfassung – Shamata heißt „Anhalten“ und Vipassana heißt „genau hinschauen“. Und dieses GenauHinschauen heißt auch analysieren, erkennen, durchdringen, verstehen wollen, erforschen, nachprüfen: Immer nachfragen: Warum mache ich das? Ich will es auch verstehen, ich will mein Handeln, ich will meine Motive verstehen. Und ich möchte eben halt auch einigermaßen wissen, worauf es hinausläuft…“ Sprecherin Hier geht es um Ursache und Wirkung, ganz konkret im Hier und Jetzt. Im Prinzip um das, was im Buddhismus „Karma“ genannt wird, was sich traditionell ausgelegt - jedoch aufs Jenseits bezieht. Im Diesseits kennt das jeder: 7 O-Ton Willi „Ich wollte unbedingt mal einen schönen Oldtimer fahren und habe mir diesen Wunsch auch dann erfüllt und irgendwann mal dann auch über die Auseinandersetzung mit dem Buddhismus auch gemerkt, dass diese Erfüllung von diesem Wunsch nur eine sehr kurzfristige Freude gibt. Und das auch eine Freude ist, die bei weitem nicht damit zu vergleichen ist, wie die Freude, die man aus menschlichen Beziehungen oder dem Lächeln eines Kindes erfahren kann. Und erst durch die Auseinandersetzung mit dem Buddhismus und dem Fallenlassen oder Loslassen von Wünschen hat mir dann tatsächlich geholfen, mir irgendwann mal zu sagen, dass ich mich von diesem materiellen Wunsch oder von dieser Leidenschaft ganz leicht trennen kann.“ Sprecherin Loslassen, Gelassenheit entwickeln – das ist geistige Arbeit, das ist Training mit dem eigenen Gehirn. Musik Kitaro Zitat „Hier meine einfache Religion: Wir brauchen keine Tempel und keine komplizierte Philosophie. Unser eigenes Gehirn und unser eigenes Herz sind unsere Tempel…“ Sprecher Sagt der Dalai Lama. O-Ton Willi und Gisela „Das beginnt schon morgens, wo ich den Tee zubereite und meine Liebste mit einer Tasse Tee wecke und wir im Bett eine Tasse Tee einnehmen.“ „Meditieren mit meinem Partner, was ich sehr schätze, was uns auch sehr unterstützt, im achtsamen Umgang miteinander. Das ist so ein bewusstes Hineingehen in den Alltag. Mit achtsamer Kommunikation.“ Sprecherin Achtsam kommunizieren und konsumieren, achtsamer, langsamer leben – dazu braucht man weder Mantras noch Mythos. Aber eine klare Entscheidung und Übung und Zeit. Zeit, auch in aufreibenden Situationen kurz inne zu halten, zu reflektieren. Sich immer wieder zu fragen: Sprecher Was tue ich? Sprecherin Was fühle ich? Sprecher Wie drückt es sich im Körper aus, in welchem Körperteil fühle ich es? 8 Sprecherin Was denke ich? Sprecher Was sage ich? Und: Wie sage ich es? Sprecherin Befinde ich mich im Einklang mit meinen persönlichen Zielen? Sprecher Wer lange übt, dem kann solches Scannen im entscheidenden Moment in Sekundenschnelle gelingen. Lebenslanges Trainieren ist wichtig, so wie man einen Muskel immer wieder trainieren muss, damit er fit bleibt. Und auch Mut gehört dazu, wenn man den eigenen Geist zähmt. Denn es ist gut möglich, dass sich der eigene Lebensstil dadurch gewaltig verändert, und moderne Buddhisten plötzlich nicht mehr ins Raster der Karriere- und Konsumgesellschaft passen. Dennoch wollen sie moderne Menschen bleiben und nicht zu Außenseitern werden. Ein Spagat, auch für Manfred Folkers: O-Ton Folkers „Wenn ich überlege, was die Praxis bei mir bewirkt hat, dann kann ich über lange Zeiträume klar sagen, mein Fleischkonsum ist fast auf null gesunken, mein Alkoholkonsum ist fast auf null gesunken, Zigaretten und so weiter, ist überhaupt gar kein Thema mehr. Vor allen Dingen aber auch konsummäßig bin ich nicht mehr relevant für diese Wirtschaft, weil ich halt lieber Sachen auftrage, lieber das, was gebraucht ist, weiternehme, weil ich muss nicht auf dem modernsten Stand sein. Wobei es natürlich die Ausnahme gibt, was so Computer und so angeht, bin ich nun nicht hinter dem Mond…. Wobei ich mich dagegen sträube, überall mitzumachen. Ich habe keine Blogs, ich twitter nicht rum oder facebookle, kommt überhaupt nicht infrage. Aber dass ich an Informationen drankomme, dass ich versuche, mitzubekommen, was Sache ist, das ist ganz klar….“ Sprecherin Um derart klar, konsequent und stabil zu werden, arbeiten Gisela und Willi mit verschiedenen Meditationstechniken an ihren inneren Haltungen und an ihrem Verhalten. Sie verzichten dafür ganz bewusst oft aufs Fernsehen oder auf andere Ablenkungen. Stehen täglich eine halbe Stunde früher auf. Das muss sein, sagen beide, wenn man etwas ändern will. Sprecher Meditation lässt sich vom Buddhismus – auch vom säkularen – völlig abkoppeln. Einfache Übungen sind im Alltag nützlich, um dem täglichen Stress zu begegnen. Davon ist der Bewusstseinsphilosoph Professor Thomas Metzinger überzeugt: 9 O-Ton Metzinger „Natürlich sind die buddhistischen Meditationstechniken – das zeigt sich jetzt ja sehr deutlich – sehr hilfreich für ganz normale Menschen in einer Zeit, die sich immer mehr beschleunigt, in der die knappe Ressource Aufmerksamkeit aus dem Mediendschungel heraus angegriffen wird von der Werbeindustrie und der Unterhaltungsindustrie.“ Sprecherin Das geschieht in letzter Zeit sogar rund um die Uhr. Mobile Endgeräte wie Smartphones und Tablet-PCs lassen insbesondere junge Menschen kaum noch zur Ruhe kommen. Als Gegengewicht könnten Meditationen schon im Schulalter erlernt und geübt werden. Sprecher Zur Ruhe finden, innehalten, geistige Klarheit entwickeln, erleben, wie sich Verhaltensweisen, die einem schaden, ändern lassen - 2500 Jahre alte buddhistische Beobachtungen haben zur Entwicklung meditativer Methoden geführt, die helfen können, genau solche Zustände zu erlangen. Wie buddhistische Haltungen und Meditationstechniken wirken, das zeigt moderne Hirnforschung zunehmend durch moderne Untersuchungsverfahren. Alte Weisheit trifft moderne Wissenschaft. Zitator „Die affektiven Schaltkreise im Gehirn sind offenbar durch Training formbar, ermöglichen es, eingefahrene Reaktionsmuster zu verändern und stattdessen eine Haltung der Gelassenheit und Offenheit zu kultivieren, aus der heraus angemessener auf eine Situation reagiert werden kann.“ Sprecherin schreibt der Meditationsforscher und Psychologe Ulrich Ott. Er zeigt mit einem modernen bildgebenden Verfahren, der Magnetresonanztomografie, wie wandlungsfähig das Gehirn lebenslang ist. Meditation kann die Struktur und die Funktion des Gehirns verändern. Sprecher Neurowissenschaftler zeigen auf, wie sich durch regelmäßiges Meditieren neue Synapsen, neue Verschaltungen, im Gehirn bilden können. Wie durch neues Denken alte Verhaltensmuster ihre Macht verlieren können. Der amerikanische Neuropsychologe Rick Hanson versucht, solche Erkenntnisse möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Auf CDs veröffentlicht er geführte Mediationen, die, regelmäßig durchgeführt, das Veränderungspotenzial des Gehirns anregen sollen. Um die eigenen Emotionen besser zu verstehen und zu kontrollieren. Zum Beispiel die Wut. O-Ton CD „Wie fühlt sich starke Wut in Ihrem Körper und in Ihrem Geist an oder gar ein Wutanfall, wenn Sie sich daran erinnern können? Fragen Sie sich, ob diese Einschätzungen in irgendeiner Weise übertrieben sind. Dazu gehört auch ihr 10 eigener Anteil an dieser Situation. Seien Sie sich in Bezug auf diese bestimmte Situation auch einer Haltung der Selbstgerechtigkeit und der Unnachgiebigkeit bewusst. Achten Sie darauf, was in Ihrem Körper und Geist geschieht? Können sie diese neueren Einschätzung dieser Situation dazu verwenden, um sich nicht mehr so wütend zu fühlen?“ Sprecherin Die Wut verstehen, eigene Anteile erkennen und auch den anderen verstehen, der die Wut mit verursacht hat. Wer solche Zusammenhänge herausarbeiten kann, kann allmählich die Wut transformieren, sie im besten Fall umwandeln in Mitgefühl und sich so schnell wieder besser fühlen. Sprecher Diese Arbeit, die Arbeit mit dem Geist, kann dabei helfen, alle negativen Emotionen rasch zu überwinden. Konkret bedeutet dies: Sich hinsetzen und den eignen Geist beobachten. Herausfinden, wie er funktioniert, welches Eigenleben er führt, womit er sich gerade beschäftigt? Sprecherin Mit der Vergangenheit? Sprecher Mit der Zukunft? Sprecherin Bewertet er? Sprecher Vergleicht er? Sprecherin Treibt er mich dazu, automatisch so zu handeln, wie ich es gewohnt bin? Sprecher Wer so genau fragt, kann entdecken, wie er durch Bewusstheit, durch hundertprozentiges Wachsein, Gedankenprozesse stoppen und verändern kann. Es ist möglich, aus den ewigen Gedankenschleifen herauszukommen. In der Meditation gelingt das, indem der Übende immer wieder zurückkehrt zur Beobachtung des eigenen Atems oder zum Objekt der Meditation. Dabei wird erlebbar, wie der Geist nach und nach Ruhe findet. Wie der Geist klarer wird. Sprecherin So wie aufgewühltes Wasser, das grau und schmutzig erscheint, , nach und nach klarer wird, wenn es zur Ruhe kommt. Sobald sich der Schlamm abgesetzt hat, spiegelt das Wasser alles klar und exakt wieder – ohne Verzerrungen. Der Achtsamkeitslehrer Manfred Folkers: 11 O-Ton „Es ist Nachprüfbarkeit, es ist Selbsterforschung, es ist die Sicht auf die ganze Welt, es ist kein Rückzug. Es ist der Versuch, mit den modernsten Erkenntnissen mit dem neuzeitlichen Geist, das, was an Alltag jetzt wichtig ist, das Leben zu betrachten, die Welt zu betrachten, und daraus die Schlüsse zu ziehen, die ehrlich sind. Das ist das, was mich am meisten beschäftigt, und wo ich persönlich die Kraft aus der Buddhalehre halt ziehe, weil sie mir hilft, das zu verstehen, was hier abgeht.“ Sprecherin Eine Kraft, die im besten Fall auch helfen könnte, gesellschaftliche Probleme zu lösen, meinen Thomas Metzinger und Stephen Batchelor: O-Ton „Wir entdecken jetzt im Moment gerade, dass unsere durch Gier und Maßlosigkeit angetriebenen Finanzsysteme hochgradig instabil sind… Gier und Verblendung kann man in sich beobachten – und es ist ein klassisches Thema worüber die buddhistischen Philosophen viel gesagt haben, aber die jungen Männer in den Computertürmen in Frankfurt, London und Berlin, die interessiert das einfach nicht. “You don‟t need constantly desiring and trying to attain levels of material satisfaction that in the end will not really provide you with wellbeing. So hopefully a crisis like this can lead people to think more deeply about what really matters for them in their life. But weather Buddhism or any tradition will have a simple answer to what can replace capitalism.” Musik Kitaro O-Ton „Man braucht nicht dauernd Wünsche zu haben und versuchen noch höhere Ebenen der materiellen Befriedigung zu erlangen, die uns am Ende nicht wirklich Glück und Wohlbefinden verschaffen. So hoffe ich, dass die augenblickliche Krise die Menschen zum Nachdenken darüber führt, was in ihrem Leben wirklich zählt und worauf es ankommt. Aber weder der Buddhismus noch irgendeine andere Tradition werden eine einfache Antwort darauf finden, was den Kapitalismus ersetzen könnte.“ 12