Eine kleine Einführung in die Kosmologie Kosmologen befinden sich ” für gewöhnlich im Irrtum – aber niemals im Zweifel.“ Sebastian Schlicht 23.11.2005 Kosmologie 2 Mit der Entdeckung der Allgemeinen Relativitätstheorie durch Einstein im Jahre 1915 wurde es zum ersten Mal möglich, konsistente kosmologische Modelle auf physikalischer Grundlage zu formulieren. Die Kosmologie wurde dadurch zu einer exakten Wissenschaft. In diesem Artikel werden wir ein spezielles kosmologisches Modell betrachten, um an einem konkreten und besonders einfachen Beispiel einige grundlegende Konzepte und Zusammenhänge der allgemein-relativistischen Kosmologie zu verstehen. Für unser Beispieluniversum wählen wir die einfachst mögliche nichttriviale Geometrie, nämlich die geschlossene homogen-isotrope RaumZeit positiver Krümmung, die in Wechselwirkung steht mit der einfachst möglichen Form von Materie, nämlich einem drucklosen idealen Fluid ( Galaxienstaub“). Die kosmologische Konstante ” setzen wir gleich Null. Die Eigenschaften dieses Modells, das unter dem Namen geschlossenes materiedo” miniertes Friedmann-Universum“ bekannt ist, werden wir in 7 Abschnitten untersuchen: 1. Koordinaten und Geometrie 2. Galaxienbewegung 3. Photonenbewegung und Rotverschiebung 4. Erscheinungsbild und Beobachtungen 5. Bestimmung kosmologischer Parameter 6. Dynamik 7. Dynamik mit allgemeinem idealen Fluid Dabei werden wir zugleich etwas über Kosmologie und über unser reales Universum lernen: Wir erhalten nämlich auf der einen Seite eine Vorstellung davon, wie allgemein-relativistische Kosmologie als Theorie prinzipiell funktioniert und einen sicheren, einfachen Hintergrund für die Untersuchung von allgemeineren und komplexeren kosmologischen Modellen. Auf der anderen Seite verstehen wir einige grundlegende Effekte und Zusammenhänge, die so oder ähnlich im realen Universum anzutreffen sind, selbst wenn es nicht exakt durch ein Friedmann-Modell beschrieben werden kann. Kosmologie 3 Die Metrik, die die geschlossene homogen-isotrope RaumZeit beschreibt, lautet in geeigneten Koordinaten ds2 = −dt2 + a2 (t) dχ2 + sin2 χ(dϑ2 + sin2 ϑ dϕ2 ) (1) mit χ = 0...π , ϑ = 0...π , ϕ = 0 . . . 2π . (2) Die Funktion a(t) ( Radius des Universums“) gibt die zeitliche Entwicklung der ” räumlichen Geometrie an. Sie wird durch die speziellen Eigenschaften der das Universum erfüllenden Materie über die Einstein-Gleichungen festgelegt. Verwendet man den einfachst möglichen Ansatz für die Materie, nämlich den eines idealen Fluids ohne Druck, dann liefern diese die folgende Form für a(t): amax (η − sin η) 2 amax a(η) = (1 − cos η) 2 t(η) = (3) wobei η = 0 . . . 2π , t = 0 . . . πamax , a = 0 . . . amax . (4) Die hierdurch parametrisierte Funktion a(t) ist eine Zykloide, die für die spezielle Wahl amax = 20 · 109 in Abb. 1 dargestellt ist. 20 15 a PSfrag replacements 10 5 0 10 20 30 40 50 60 t Abbildung 1: a(t) für amax = 20 · 109 Dies ist der Ausgangspunkt für alle nachfolgenden Untersuchungen. Wir werden in Abschnitt 6 genauer darauf eingehen, wie a(t) aus den Einstein-Gleichungen für eine Kosmologie 4 geschlossene homogen-isotrope Metrik mit drucklosem Materiefluid abgeleitet werden kann. In Abschnitt 7 werden wir dann untersuchen, wie sich a(t) verändert, wenn man statt einem drucklosen ein allgemeines ideales Fluid verwendet. Hier nehmen wir a(t) als durch (3) gegeben an und versuchen zu verstehen, was dies zusammen mit (1) über das Universum aussagt. Die Einheiten sind so gewählt, dass die Lichtgeschwindigkeit c und die Newtonsche Gravitationskonstante G den Wert 1 haben. In den Abbildungen sind die Zeit- und Längeneinheiten an den Achsen 109 y bzw. 109 ly. 1 Koordinaten und Geometrie Das erste was einem an der Metrik (1) positiv auffällt, sind die Eigenschaften g00 = 1 , g0i = 0 . (5) Diese enthalten weniger eine Aussage über die durch diese Metrik beschriebene Geometrie, sondern vielmehr eine Aussage über das verwendete Koordinatensystem, denn jede Metrik lässt sich durch eine geeignete Koordinatentransformation auf diese Form bringen. Bei diesen sog. Gaußschen Koordinatensystemen“ handelt es sich ” um eine Klasse von Koordinatensystemen, die der jeweiligen Geometrie besonders gut angepasst sind. Wie man leicht nachrechnet, verschwinden in einem Gaußschen Koordinatensystem die Zusammenhangskomponenten Γµ 00 , also die Komponenten der 4Beschleunigung von ruhenden“ Trajektorien, d.h. von solchen mit konstanten ” räumlichen Koordinaten. Diese sind also frei fallend, wegen g0i = 0 orthogonal auf den Flächen konstanter Zeit, und wegen g00 = 1 misst t genau die Eigenzeit entlang dieser Trajektorien. Die durch die Metrik (1) beschriebene RaumZeit ist durch die Wahl von Gaußschen Koordinaten dargestellt als eine zeitliche Abfolge von räumlichen Geometrien, wobei sich die räumlichen Geometrien zu verschiedenen Zeitpunkten nur durch den Wert des konformen Faktors a(t) unterscheiden. Zu jedem festen Zeitpunkt t hat der Raum die Topologie einer 3Sphäre. Um sich ein Bild davon zu machen, was das heißt, ist es nützlich zunächst nicht zu versuchen, sich den Raum als ganzes von außen“ vorzustellen, sondern sich an einen festen Punkt ” (Ursprung) in seinem Inneren zu begeben, dort zunächst lokale Beobachtungen und Erfahrungen zu machen und diese dann auf den gesamten Raum auszudehnen. Da- Kosmologie 5 bei zeigt sich, dass die Umgebung des Ursprungs genauso aussieht wie ein normaler flacher 3dimensionaler Raum, aber auf größeren Skalen der Raum recht seltsame Eigenschaften hat: Die Bedeutung der Koordinaten (χ, ϑ, ϕ) entspricht dabei in erster Näherung den gewöhnlichen Kugelkoordinaten im flachen Raum, wobei χ die Stelle der Radialkoordinate einnimmt. Jeder Raumpunkt ist in Bezug auf einen willkürlichen, fest gewählten Ursprungspunkt χ = 0 gekennzeichnet durch die Richtung (ϑ, ϕ) in der er zu sehen ist und seine Entfernung“ χ. Der entscheidende Unterschied zu den ” Kugelkoordinaten im flachen Raum besteht darin, dass die Radialkoordinate χ im Unterschied zu r nicht linear“, sondern zyklisch ist, womit folgendes gemeint ist: ” Die 2dimensionale Untermannigfaltigkeit zu konstantem χ ist eine 2Sphäre um den Ursprung mit dem Radius χa. Für veränderliches χ erhält man eine Schar konzentrischer Kugelschalen, die den gesamten 3dimensionalen Raum überdecken. Für kleine χ verhält sich alles wie im flachen 3dimensionalen Raum. Für größere χ beginnt sich der Unterschied zwischen der zyklischen Koordinate χ und der linearen“ Koordi” nate r – und so der Unterschied zwischen unserer gekrümmten und einer flachen räumlichen Geometrie – dadurch bemerkbar zu machen, dass der Flächeninhalt der Sphäre für ihren Radius zunächst etwas und später deutlich zu klein ist. Dies geht so weit, bis bei χ = π/2 (also auf halbem Weg bis zum größtmöglichen Koordinatenwert χ = π) eine Kugelschale maximaler Ausdehnung erreicht ist. Diese hat immer noch die Topologie einer 2Sphäre, allerdings mit verschwindender extrinsischer Krümmung. In diesem Sinne handelt es sich eher um eine Ebene – allerdings eine geschlossene, endlich große ohne Rand, wie sie nur in einem Raum mit nichttrivialer Topologie möglich ist. Beim Überschreiten von χ = π/2 beginnt sich die Kugelschale vom Ursprung weg zu krümmen, ihre Fläche wird kleiner, bis sie sich bei χ = π wieder auf einen Punkt zusammengezogen hat, den Antipodenpunkt“ zu χ = 0. ” Dabei wurde der gesamte 3dimensionale Raum überstrichen. Diese Verhältnisse werden sehr anschaulich (fast schon trivial), wenn man als Analogon das dimensionsreduzierte Modell einer in den flachen 3dimensionalen Raum eingebetteten 2Sphäre betrachtet. In dieser Analogie entspricht der Ursprung dem Nordpol der 2Sphäre, der Hyperpolarwinkel“ χ dem Polarwinkel ϑ, die maximale ” Sphäre bei χ = π/2 der maximalen Kreislinie bei ϑ = π/2 (Äquator, vom 2d intrinsischen Standpunkt aus eine geschlossene, endlich große Gerade ohne Anfang und Kosmologie 6 Ende) und der Antipodenpunkt dem Südpol. Es ist nützlich, dieses Modell in der gesamten folgenden Diskussion vor Augen zu haben. Man sollte sich allerdings davor hüten, die Analogie allzu wörtlich zu nehmen, insbesondere anzunehmen, die Kosmologie habe gezeigt, dass der 3dimensionale Raum in eine vierte räumliche Dimension gekrümmt ist, die wir zwar nicht direkt wahrnehmen, deren Existenz wir aber eben aus der messbaren Krümmung des 3dimensionalen Raumes erschließen können. Selbst wenn unser Universum ein geschlossener gekrümmter Raum sein sollte, gibt es für die Annahme einer einbettenden vierten räumlichen Dimension keine logische Notwendigkeit. Die gesamte Argumentation verläuft rein intrinsisch, es wird dabei keinerlei Aussage über die Existenz oder Nichtexistenz von höheren Dimensionen gemacht oder gebraucht. Quantitativ: Die Entfernung der Kugelschale χ vom Ursprung beträgt (für 0 ≤ χ ≤ π) r = χa . (6) Die Entfernung zum Äquator“ beträgt also πa/2 und zum Antipodenpunkt πa. Dies ” ist der größte Abstand, der im Universum zur Zeit t zwischen zwei Objekten möglich ist. Der Flächeninhalt der Sphäre χ ist A = 4πa2 sin2 χ . (7) Der Zusammenhang zwischen Radius und Oberfläche einer solchen Kugelschale ist also gegeben durch A = 4πa2 sin2 r a . (8) Dies reduziert sich für r a auf den im flachen Fall gültigen Zusammenhang A = 4πr 2 , (9) i.a. aber ist die Oberfläche der Kugel stets kleiner als man aufgrund ihres Radius erwarten würde. Das ist ein direkter und prinzipiell messbarer Ausdruck der Krümmung des 3dimensionalen Raumes. Das 3Volumen des Universums schließlich ist endlich und beträgt 2π 2 a3 . Kosmologie 7 Zum Schluss dieses Abschnitts sehen wir noch kurz nach, welche Form die Metrik annähme, wenn man statt χ den instantanen Abstand r = aχ als Radialkoordinate verwenden würde. Wir führen durch die zeitabhängige Transformation r a(t) dr r ȧ(t) dχ = − 2 dt a(t) a (t) χ = r als neue Koordinate statt χ ein. Die Metrik wird dadurch zu ȧ r r 2 ȧ2 2 dϑ2 + sin2 ϑdϕ2 ds = − 1 − 2 dt2 − 2 drdt + dr 2 + a2 sin2 a a a Der rein räumliche Anteil sieht ja sehr nett aus, aber 4dimensional gibt es jetzt einen Mischterm, ruhende Trajektorien sind nicht länger frei fallend und t ist nicht länger die Eigenzeit entlang ruhender Trajektorien. 2 Galaxienbewegung Entlang welcher Bahnen bewegen sich die Galaxien durch das Universum? Sie bewegen sich im freien Fall, aber das allein legt ihre Trajektorien nicht eindeutig fest. Wären die Galaxien Testteilchen“, die sich durch eine vorgegebene Hintergrund” RaumZeit bewegen, dann würde dies viele verschiedene Bewegungsformen zulassen, nämlich alle Lösungen der Euler-Gleichungen für ein druckloses ideales Fluid auf dem Hintergrund (1). Tatsächlich aber stehen die Galaxien in Wechselwirkung mit der Geometrie, so wie diese über die Einstein-Gleichungen formuliert ist. Daher folgen aus der Homogenität und Isotropie der Metrik starke Einschränkungen an die sie erzeugende Materieverteilung. Tatsächlich ergibt – wie wir in Abschnitt 6 sehen werden – die Auswertung der Einstein-Gleichungen für die Metrik (1) und den Energie-Impuls-Tensor eines idealen Fluids, dass es genau eine Möglichkeit der Bewegung der Galaxien gibt, nämlich χ = const. , ϑ = const. , ϕ = const. (10) Die Metrik (1) legt also über die Einstein-Gleichungen die Bewegung der sie erzeugenden Materieteilchen eindeutig fest. Dadurch erhalten die in der Metrik vorkommenden Koordinaten eine physikalische Kosmologie 8 Bedeutung: Jedes Koordinatentripel (χ, ϑ, ϕ) ist durch eine sich dort befindliche fest ” verankerte“ Galaxis markiert. Umgekehrt ist jede Galaxie während der gesamten Lebensdauer des Universums durch ihr unveränderliches (χ, ϑ, ϕ) gekennzeichnet. Konstantes (χ, ϑ, ϕ) bedeutet also Mitschwimmen“ im Galaxienstrom: Hält man ” die räumlichen Koordinaten fest und lässt t laufen, dann verfolgt man die zugehörige Galaxis durch die Ausdehnung und Kontraktion des Universums1 . Greifen wir eine Galaxis mit zeitlich konstantem χ heraus, dann ist ihr Abstand vom Nullpunkt zur Zeit t r(t) = a(t)χ . (11) Hieraus folgt ihre Geschwindigkeit relativ zum Nullpunkt: ṙ(t) = ȧ(t)χ . (12) Zwischen r und ṙ einer festen Galaxis besteht also der linear-homogene Zusammenhang ṙ(t) ȧ(t) = r(t) a(t) (13) bzw. ṙ(t) = ȧ(t) r(t) =: H(t)r(t) . a(t) (14) Die auf den Ursprung bezogene Geschwindigkeit einer Galaxie ist also proportional zu ihrem momentanen Abstand r(t) vom Ursprung. Der Proportionalitätsfaktor ist dabei eine universelle Funktion, nämlich die Hubble-Funktion“ H(t). Ihr Wert zur ” Jetztzeit H(t0 ) =: H0 wird als Hubble-Konstante“ bezeichnet2 . H hat die Dimen” sion Geschwindigkeit/Abstand (hier c/ly) und ist ein Maß für die Geschwindigkeit der kosmischen Expansion indem es angibt, wie schnell ein Objekt im Abstand 1 ly fortgetragen wird. H lässt sich für ein Friedmann-Universum als Funktion von η 1 Das ist empirisch natürlich nicht ganz richtig. Die einzelnen Galaxien weichen von der idealen Fluchtbewegung ab (Milchstraße ca. 600 km/s), die kosmische Expansion ist eher auf der Skala der Galaxienhaufen zu sehen. 2 Ursprünglich wurde die Hubble-Konstante phänomenologisch definiert, nämlich aufgrund der beobachteten Linearität der Rotverschiebungs-Entfernungs-Relation. Wie wir in Abschnitt 5 sehen werden, ist es genau das Verhältnis ȧ(t0 )/a(t0 ), das sich als Proportionalitätsfaktor zwischen Rotverschiebung und Entfernung für kleine Abstände manifestiert. Kosmologie 9 angeben: H(η) = 2 sin η a0 (η)/t0 (η) = a(η) amax (1 − cos η)2 . (15) Wählt man amax = 20 · 109 und t0 = 15 · 109 , dann ergibt sich H0 = 0.28 · 10−10 = 27 km/sec Megaparsec . (16) Dies ist ganz und gar nicht der heute akzeptierte Messwert von H0 , der ungefähr 75 km/sec Megaparsec beträgt. Das zeigt, dass wir uns jedenfalls nicht in einem geschlossenen Friedmann-Universum mit den angenommenen Werten für amax und t0 befinden. I.a. gibt es Galaxien, die sich mit Überlichtgeschwindigkeit vom Nullpunkt entfernen. Welche dies sind ist abhängig vom betrachteten Zeitpunkt und ergibt sich aus ṙ(t) = ȧ(t)χ > 1 . (17) Zur Zeit t0 = 15 · 109 in einem Friedmann-Universum mit amax = 20 · 109 sind dies alle Galaxien mit χ > 2.14 . (18) Diese Grenze ist aber entgegen dem was man vermuten könnte nicht direkt zu sehen, insbesondere hat sie nichts mit unendlicher Rotverschiebung zu tun. Wir werden in Abschnitt 3 sehen, dass der Rotverschiebungshorizont für die angenommenen Werte von amax und t0 bei χ = 2.27 (19) liegt, also weiter weg als der Lichtgeschwindigkeitshorizont“. ” 3 Photonenbewegung und Rotverschiebung In diesem Abschnitt beschäftigen wir uns mit Photonen, die zu irgendeinem Zeitpunkt t0 von χ = 0 ausgesendet oder empfangen werden, und stellen uns Fragen wie: Wann kommt das Licht wo vorbei, wie weit schafft es das Licht bis zum Ende des Universums, welchen Abstand hat es nach der Zeit ∆t von uns, welche Geschwin- Kosmologie 10 digkeit hat es relativ zu uns oder zu seiner Umgebung, welche lokale Farbe hat es? Photonen, die irgendwann einmal durch χ = 0 laufen, bewegen sich entlang lichtartiger radialer Trajektorien der Metrik3 : −dt2 + a2 (t)dχ2 = 0 , ϑ = const. , ϕ = const. (20) Dies ist bei bekannter Funktion a(t) eine Differentialgleichung für χ(t): dχ 1 = ± dt a(t) (21) wobei das positive Vorzeichen für ein sich entfernendes, das negative Vorzeichen für ein sich näherndes Photon gilt (alles von χ = 0 aus betrachtet). Diese Gleichung, die unabhängig von der genauen Form der Funktion a(t) gilt, lässt eine einfache anschauliche Interpretation zu. Wenn man sich das Friedmann-Universum dimensionsreduziert als 2Sphäre mit dem zeitabhängigen Radius a(t) in den flachen 3d Raum eingebettet denkt, dann beschreibt Gleichung (21) einfach die zeitliche Änderung des Polarwinkels eines sich auf der Oberfäche mit der Geschwindigkeit 1 bewegenden Objektes: Bei gegebener Geschwindigkeit v = 1 ist χ̇ umso kleiner, je größer a ist. Die Lichtausbreitung im expandierenden Universum geschieht also tatsächlich genauso wie die Bewegung auf einem sich aufblähenden Ballon. Die Bewegungsgleichung (21) lässt sich direkt integrieren: Z t dt0 χ(t) = . 0 a(t ) (22) t0 Die Betragsstriche sorgen dafür, dass χ auch für t < t0 größer als 0 ist, so wie es aufgrund der Definition von χ sein muss. Dies ist physikalisch korrekt: Für t < t0 kommt das Photon auf uns zu, χ ist positiv, nimmt aber ab. Für t > t0 entfernt sich das Photon von uns, χ nimmt zu. Im Fall der Friedmann-Metrik ist a(t), also auch χ(t) nicht explizit angebbar. Wohl aber kann man χ(t) über die Funktion η(t) ausdrücken, wenn man bemerkt, dass gemäß (3) 1 dη dt =a also = . dη a dt 3 Dies sind für die Metrik (1) automatisch Geodäten. Kosmologie 11 Damit folgt nämlich aus (22) sofort: χ(t) = | η(t) − η(t0 ) | . (23) Auf diese Weise erhält der zeitartige Parameter η, der in der Parameterdarstellung (3) von t und a auftritt, eine physikalische Interpretation: Ändert sich η von η1 nach η2 , dann hat in der Zwischenzeit ein radiales“ Photon den Winkelabschnitt ” ∆χ = η2 − η1 auf der 3-Sphäre zurückgelegt. Ein allgemeines“ Photon legt einen ” Winkelbogen derselben Größe zurück, aber dieser entspricht hier nicht der Differenz seiner Radialkoordinate χ. Will man also wissen, wie weit ein Photon zwischen zwei Zeitpunkten gekommen ist, muss man nur den η-Wert der beiden Zeitpunkte kennen. Auch wenn a(t) keine Zykloide (3) ist, d.h. bei Verwendung eines anderen MaterieR dt modells als das des drucklosen idealen Fluids, hat das Integral a(t) diese besondere Bedeutung, nämlich als Lichtausbreitungsfunktion“, die die Winkeldifferenz ∆χ von ” radialen Photonen bzw. den zurückgelegten Winkelbogen von allgemeinen Photonen angibt. Daher ist es naheliegend, auch im allgemeinen Fall eine Funktion η(t) durch dieses Integral zu definieren: η(t) := Zt dt0 a(t0 ) . (24) 0 Dann gilt χ(t) = |η(t) − η(t0 )| auch für allgemeines a(t), nur sieht η(t) anders aus. Versteht man unter η(t) immer die so definierte Lichtausbreitungsfunktion, dann gelten alle Ergebnisse dieses Abschnitts für beliebige a(t) (bis auf Graphen und explizite numerische Resultate). Wie η(t) kann man auch χ(t) nicht explizit angeben, wohl aber graphisch, siehe Abb. 2. Ein früh hier ausgeschicktes Photon schafft es bis zum Antipodenpunkt und darüber hinaus, aber keines schafft es jemals wieder hierher zurück, denn das Universum lebt genau so lange, wie ein Photon benötigt, um es einmal zu umrunden, η ∈ [0, 2π]. Wird es später als η = π ausgesendet, dann schafft es das Photon nicht einmal mehr bis zum Antipodenpunkt bevor das Universum vorbei ist. Die χ-Kurven für zu unterschiedlichen Zeiten gestartete Photonen unterscheiden sich nur um einen konstanten Summanden (und unterschiedliche Faltung auf den Bereich χ = 0 . . . π). Dies ist unabhängig von der genauen Form der Funktion a(t) und folgt Kosmologie 12 3 2.5 2 χ 1.5 1 0.5 PSfrag replacements 0 10 20 30 40 50 60 t Abbildung 2: Wo befindet sich ein Photon zur Zeit t, wenn es zur Zeit t0 hier, also bei χ = 0, war oder sein wird? Mit wo“ ist χ gemeint, also ” sein kosmologischer Ort, welche Galaxie. Die drei Graphen zeigen χ(t) = |η(t) − η(t0 )| (modulo π) für drei verschiedene Werte von t0 , nämlich 2, 15 und 50 Milliarden Jahre in einem Universum mit a max = 20 · 109 . Ein Photon, das zur Zeit t0 hier eintrifft, stammt von χ = η(t0 ), wenn es von Anfang an unterwegs gewesen ist. Kosmologie 13 direkt aus der Differentialgleichung (21) für χ. Aus χ(t) folgt die Entfernung des Photons: r(t) = a(t)χ(t) = a(t)|η(t) − η(t0 )| . (25) Für kleine Lichtlaufzeiten t − t0 ist r(t) ≈ |t − t0 | , (26) weicht aber für große Lichtlaufzeiten deutlich davon ab. Leider kann η(t) und damit r(t) nicht explizit angegeben werden. Man kann sich aber graphisch ein Bild davon machen, wie weit das Photon zur Zeit t entfernt ist, siehe Abb. 3. Betrachtet man Abb. 3 oder Gleichung (25), dann drängt sich die etwas seltsam klingende Frage auf: Wieviele Lichtjahre ist Licht nach ∆t Jahren entfernt? In der folgenden Tabelle sind einige Entfernungswerte gemäß Gleichung (25) für den Abstrahlzeitpunkt t0 = 2 · 109 aufgelistet: Jahre Lichtjahre 1000 1000.000156 1000000 1000156 1000000000 1126188784 Dass das Licht stets weiter entfernt ist als es eigentlich sein dürfte, liegt einfach daran, dass es sich relativ zu seiner momentanen Umgebung zwar immer genau mit der Geschwindigkeit c bewegt, diese momentane Umgebung sich aber ihrerseits durch die kosmische Expansion von uns entfernt. Betrachten wir dies etwas genauer: Die auf χ = 0 bezogene Geschwindigkeit eines Photons folgt durch Ableiten von Gleichung (25): ṙ(t) = ȧ(t)|η(t) − η(t0 )| ± 1 = ȧ(t)χ(t) ± 1 wobei das positive Vorzeichen für ein sich entfernendes, das negative für ein sich näherndes Photon gilt. Während der Expansionsphase ist also die Geschwindigkeit eines sich nähernden Photons kleiner als c, die eines sich entfernenden Photons größer als c. Während der Kontraktionsphase ist es umgekehrt. Befindet sich das Photon in unmittelbarer Nähe, t ≈ t0 , dann ist seine Geschwindigkeit praktisch genau gleich Kosmologie 14 60 50 40 r 30 20 10 PSfrag replacements 0 10 20 30 40 50 60 t Abbildung 3: Wie weit ist das Photon zur Zeit t von uns entfernt, wenn es zur Zeit t0 hier war oder sein wird? r(t) = a(t)|η(t) − η(t 0 )| für t0 = 2, 15 bzw. 50 Milliarden Jahre in einem Universum mit a max = 20 · 109 . Die schwarze Begrenzungslinie ist die maximal mögliche Entfernung im gegebenen Augenblick, also die Entfernung zum Antipodenpunkt. Die Geschwindigkeit eines Photons ist immer um 1 größer oder kleiner als die momentane kosmische Expansionsgeschwindigkeit an seinem jeweiligen Ort. Im Augenblick der Passage bei χ = 0 hat seine Geschwindigkeit daher genau den Wert 1. Kosmologie 15 c. Wegen H = ȧ/a und r = aχ lässt sich die globale Geschwindigkeit des Photons auch in der Form ṙ(t) = H(t)r(t) ± 1 (27) schreiben. Zum Vergleich nochmals die entsprechende Gleichung für die Bewegung der Galaxien: ṙ(t) = H(t)r(t) . (28) Das Photon bewegt sich also gegenüber seiner momentanen Galaxienumgebung immer und überall mit der Geschwindigkeit 1, hierzu addiert sich nichtrelativistisch die kosmologische Fluchtgeschwindigkeit H(t)r(t) der Galaxien relativ zu uns. Dies ist die Art und Weise, wie ein Photon durch die Expansion des Universums fortgetragen bzw. abgebremst wird. Erneut sehen wir, dass die Lichtausbreitung im expandierenden Universum genauso abläuft wie die Bewegung auf einem sich aufblähenden Ballon. Aus Abb. 3 geht hervor, dass ein vor langer Zeit in unsere Richtung ausgestrahltes Photon sich auf seinem langen Weg hierher zunächst von uns entfernt, da es von der Expansionsbewegung fortgetragen wird. Dort wo der Abstand des Photons von uns maximal ist, durchquert es das Gebiet, wo die Fluchtgeschwindigkeit genau c beträgt. Wenn die Expansion des Universums etwas langsamer geworden ist, biegt sich die Kurve nach unten4 , und ab dann kommt das Photon uns nicht nur in χ, sondern auch in r näher. Das führt zu dem eigenartigen Effekt, dass Licht, das vor langer Zeit in unserer Nähe abgestrahlt wurde, uns erst heute erreicht, wohingegen Licht, das später ausgesendet wurde und aus größerer Entfernung kommt, schon gestern hier angekommen ist. Das wäre in einem statischen Universum nur dann möglich, wenn das junge Licht das alte überholt hätte. Im expandierenden Universum ist es ganz einfach so, dass das alte Licht zwar in relativer Nähe abgestrahlt wurde, aber dann durch die kosmische Expansion weit von uns weggetragen wurde. Währenddessen gibt es genügend Zwischenzeit und -raum für Quellen mit kleinerem χ, aber wegen der zwischenzeitlich 4 Genauer: Aus r = aχ und χ̇ = −1/a folgt r̈ = äχ+ȧχ̇. Es tragen also zwei Anteile dazu bei, dass r(t) eine konkave Funktion ist: Die Abbremsung der Expansion, ä < 0, und die Geschwindigkeit des Photons, χ̇ < 0. Kosmologie 16 stattgefundenen Expansion größerem r, ihr Licht vorher zu uns zu bringen. Eine solche Situation ist in Abb. 4 dargestellt. 8 6 r 4 2 PSfrag replacements 0 2 4 6 8 10 12 14 t Abbildung 4: Ausschnitt aus Abb. 3. Das rote Photon kommt früher hier an als das grüne, obwohl es in größerer Entfernung und später gestartet ist. Im Unterschied zu r verhält sich χ für ein in unsere Richtung ausgestrahltes Photon einfach: χ(t) ist streng monoton fallend, das Photon kommt also auf seinem Weg zu uns an immer neuen Galaxien vorbei. Wir merken noch an, dass uns heute Licht erreicht, das von Objekten emittiert wurde, die sich damals mit Überlichtgeschwindigkeit von uns entfernt haben, und dies bis heute tun (siehe Abschnitt 4), obwohl es lokal immer nur mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs ist. Wenden wir uns nun der Rotverschiebung zu, also der Frequenz- bzw. Wellenlängenänderung, die das Licht in einem expandierenden Universum erfährt. Ein bei χ = 0 Kosmologie 17 emittiertes Photon bewegt sich entlang der Trajektorie t χ(t) xµ (t) = , ϑ0 ϕ0 (29) wobei wir von der prinzipiell bekannten Funktion χ(t) nur wissen müssen, dass sie die Bewegungsgleichung χ̇ = 1/a erfüllt. Währenddessen wird der Wellenzahlvektor k µ des Photons entlang dieser Trajektorie paralleltransportiert: µ dk α α β dx = −Γ βµ k dt dt , (30) ausgeschrieben k̇ t = −a(t)ȧ(t)k χ χ̇(t) k̇ χ = − ȧ(t) t ȧ(t) χ k χ̇(t) − k a(t) a(t) (31) Dies ist ein lineares Differentialgleichungssystem mit variablen Koeffizienten für die gesuchten Funktionen k t (t) und k χ (t). Durch χ̇ = 1/a vereinfacht es sich etwas zu k̇ t = −ȧ(t)k χ k̇ χ = − ȧ(t) t χ k + a(t)k a(t)2 (32) Setzt man die erste Gleichung in die zweite ein, dann erhält man k̇ χ ȧ 1 = − k t + k̇ t = a a kt a · . (33) Die Lösung hiervon ist eine t-abhängige Relation zwischen k t und k χ , die die Erhaltung der Lichtartigkeit von k µ ausdrückt: k t = a(t)k χ . (34) Zusammen mit der ersten Gleichung ergibt dies eine entkoppelte Differentialglei- Kosmologie 18 chung für k t (t): k̇ t = − ȧ(t) t k a(t) , (35) die sich für beliebiges a(t) zu einer Relation zwischen k t und a integrieren lässt: k t (t2 ) a(t1 ) = t k (t1 ) a(t2 ) . (36) Wegen der Metrik (1) ist ω = k t , so dass das Verhältnis der Anfangs- und Endfrequenz des Photons umgekehrt proportional zum Verhältnis aus Anfangs- und Endgröße des Universums ist: a ω0 = 0 ω a . (37) Die Frequenz nimmt also ab während das Universum sich vergrößert, und nimmt zu während das Universum kleiner wird. Entsprechend ist die Änderung der Wellenlänge wegen λν = c gegeben durch a0 λ0 = λ a . (38) Die Dehnung der Wellenlänge ist also proportional zur Größenzunahme des Universums. Man erkennt, dass die Rotverschiebung“ eher eine Rotskalierung ist: Das ” neue Spektrum entsteht aus dem alten durch Skalierung mit einem konstanten (soll heißen wellenlängenunabhängigen) Faktor λ0 = a0 λ a (39) und nicht durch Verschiebung um einen konstanten Betrag. (Das würde auch wenig Sinn machen, denn der Raum der Wellenlängen ist kein Vektorraum.) Anders ausgedrückt handelt es sich um eine zentrische Streckung mit dem Zentrum λ = 0. Diese Skalierung äußert sich effektiv natürlich sehr wohl in einer Verschiebung der Spektrallinien, und zwar um einen Betrag, der ihrer Wellenlänge proportional ist: 0 a 0 λ −λ = − 1 λ =: zλ (40) a Kosmologie 19 Dieser Proportionalitätsfaktor z ist es, den man traditionell als die Rotverschie” bung“ bezeichnet. Die Rotverschiebung“ ist also in Wirklichkeit der um 1 vermin” derte Skalierungsfaktor des Spektrums. Die Fixierung auf z statt auf den Skalierungsfaktor z + 1 hat den Vorteil, dass die Abwesenheit von Rotverschiebung durch den Wert 0 statt durch den Wert 1 charakterisiert wird5 . Die Rotverschiebung“ z ist somit keine der beiden Größen, die man zuerst mit ” diesem Begriff assoziieren würde, nämlich weder ∆λ noch λ0 /λ, sondern der Proportionalitätsfaktor zwischen ∆λ und λ. Eine Rotverschiebung von z = 0.23 bedeutet also, dass alle beobachteten Spektrallinien eine um 23% größere Wellenlänge aufweisen. Für das Universum bedeutet es, dass es heute um den Faktor 1.23 größer ist als zum Aussendezeitpunkt des Photons. Zu einem gegebenen Zeitpunkt t0 ( jetzt“) ist die Rotverschiebung eine Funktion ” der Aussendezeit t1 : zt0 (t1 ) = a(t0 ) −1 . a(t1 ) (41) Äquivalent dazu ist die Rotverschiebungs-Lichtlaufzeit-Relation (kurz zT -Relation), d.h. die Rotverschiebung als Funktion der Lichtlaufzeit T = t0 − t1 : zt0 (T ) = a(t0 ) −1 . a(t0 − T ) (42) In einem Universum mit amax = 20 · 109 ergibt sich zur Zeit t0 = 15 · 109 die in Abb. 5 dargestellte zT -Relation. Die Rotverschiebungs-Lichtlaufzeit-Relation ist der einfache, direkte, physikalisch ursächliche, unzweideutige Zusammenhang: Durch das Vergehen von Zeit wird ein Photon rotverschoben, denn im Laufe der Zeit dehnt sich das Universum aus. Hieraus leitet sich dann durch das zusätzliche Zurücklegen von Strecke beim Photon die Rotverschiebungs-Entfernungs-Relation ab, die experimentell und historisch eher zugänglich ist, und auf die wir später zu sprechen kommen. Der Rotverschiebungshorizont z = ∞ entspricht den beim Urknall ausgestrahlten Photonen und liegt für das betrachtete Universum und t0 bei χ = η(t0 ) = 2.27. 5 Etwas unschön ist, dass Blauverschiebung durch z ∈ [−1, 0] charakterisiert wird, Rotverschiebung durch z ∈ [0, ∞]. Mathematischer wäre es gewesen z = log(a0 /a) bzw. z = log(λ0 /λ) zu definieren, denn dann entspräche Rotverschiebung z ∈ [0, ∞] und Blauverschiebung z ∈ [−∞, 0]. Kosmologie 20 4 3 z 2 1 PSfrag replacements 0 2 4 6 8 10 12 14 T Abbildung 5: Rotverschiebung als Funktion der Lichtlaufzeit in einem Universum mit amax = 20 · 109 zur Zeit t0 = 15 · 109 . Für nahe der anfänglichen Singularität emittierte Photonen, T → t0 , wird die Rotverschiebung singulär. Das heißt, in dem betrachteten Universum kann man zum betrachteten Zeitpunkt über den Lichtgeschwindigkeitshorizont“ bei χ = 2.14 hinaussehen, also Objekte ” sehen, die sich noch heute – und erst recht gestern – mit Überlichtgeschwindigkeit von uns entfernen. Dies geht nur solange das Universum noch genügend jung ist, η(t) < 1/ȧ(t). Im betrachteten Fall ist nicht mehr viel Spielraum: Nach t = 16.1 · 109 liegt der Lichtgeschwindigkeitshorizont“ außerhalb des Rotverschiebungshorizonts, ” die Expansion hat sich so weit verlangsamt, dass nur noch ultraweit entfernte Galaxien sich mit Überlichtgeschwindigkeit von uns wegbewegen. Es ist interessant, die zT -Relation zu einem späteren Zeitpunkt in der Entwicklung des Universums zu betrachten, etwa bei t0 = 50 · 109 . Da unser Universum mit amax = 20·109 ein Alter von tmax = 62.3·109 erreichen wird, befinden wir uns zu dieser Zeit bereits weit in der Phase der Rekontraktion. Dementsprechend beobachtet man nun wie in Abb. 6 dargestellt eine Blauverschiebung bei jungem“ Licht, keine Ver” schiebung bei Licht, welches zum korrespondierenden Zeitpunkt tmax − t0 = 12.3 · 109 abgestrahlt wurde, und eine Rotverschiebung für alle Abstrahlzeitpunkte zu denen das Universum kleiner war als es jetzt ist. Es ist wichtig zu betonen, dass die Rotverschiebung durch die kosmische Expansion nichts mit dem Doppler-Effekt zu tun hat. Obwohl für kleine Abstände r die Kosmologie 21 4 3 z 2 1 PSfrag replacements 0 10 20 30 40 50 T Abbildung 6: Blau- und Rotverschiebung als Funktion der Lichtlaufzeit in einem Universum mit amax = 20 · 109 zur Zeit t0 = 50 · 109 . Fluchtgeschwindigkeit ṙ der Galaxien mit der Rotverschiebung z über die DopplerFormel zusammenpasst (siehe Abschnitt 5), stimmt dies für große Entfernungen, besser Lichtlaufzeiten, nicht mehr. Schon die Formulierung der Rotverschiebung als Geschwindigkeitseffekt wird dann schwierig, da sich die Relativgeschwindigkeit zwischen Sender und Empfänger ändert während das Licht unterwegs ist. Die Interpretation als Doppler-Effekt bricht spätestens dann zusammen, wenn man bemerkt, dass man heute das Licht von Galaxien sehen kann, die sich damals, heute und in der gesamten Zwischenzeit mit Überlichtgeschwindigkeit von uns wegbewegt haben, und deren Licht trotzdem eine endliche Rotverschiebung hat. Tatsächlich ist die physikalische Ursache der kosmologischen Rotverschiebung eine ganz andere als bei der Rotverschiebung durch Geschwindigkeit. Die kosmologische Rotverschiebung entsteht durch die Expansion des Raumes in der gesamten Zwischenzeit vom Zeitpunkt der Aussendung bis zum Zeitpunkt des Empfangs. Demgegenüber hängt die Doppler-Verschiebung nur von den Geschwindigkeiten von Sender und Empfänger im Augenblick des Absendens bzw. Empfangens ab. Nur für eine sehr spezielle Abhängigkeit der Entfernung von der Zeit würde beides dasselbe ergeben. Kosmologie 4 22 Erscheinungsbild und Beobachtungen Die Rotverschiebung der Galaxien ist die beobachtbare Größe in der Kosmologie. Alle anderen Größen, wie Lichtlaufzeit, Hyperpolarwinkel und Entfernung des beobachteten Objekts werden hieraus abgeleitet, indem man ein bestimmtes kosmologisches Modell zugrundelegt und mit dessen Hilfe Schlüsse aus der beobachteten Rotverschiebung zieht. Wie die kosmologischen Modellparameter selbst aus Beobachtungsdaten gewonnen werden können, werden wir in Abschnitt 5 behandeln. Wenn wir hier und heute ein Spektrum mit Rotverschiebung z beobachten, dann hätten wir gerne folgendes gewusst: 1) Wann wurde es ausgeschickt? 2) Von welcher Galaxie (d.h. von welchem χ) wurde es ausgeschickt? 3) Wie weit war die emittierende Galaxie damals von uns entfernt? 4) Wie weit ist die emittierende Galaxie heute von uns entfernt? Bei der Beantwortung dieser Fragen tun wir – wie immer – so, als ob sich das Universum durch ein Friedmann-Modell mit amax = 20 · 109 beschreiben lässt, und sein Alter t0 = 15 · 109 beträgt. Das logische Vorgehen sieht so aus, dass man die Fragen 1) bis 4) der Reihe nach (z → t → χ → r) durchgeht: Als erstes kann man aus z die Aussendezeit t1 bestimmen, indem man 1 a(t1 ) = a(t0 ) (43) 1+z nach t1 auflöst. Hat man den Aussendezeitpunkt, dann folgt χ aus der Bewegungsgleichung für radiale Photonen: χ = η(t0 ) − η(t1 ) . (44) Die damalige bzw. heutige Entfernung der Galaxie ist schließlich r1 = a(t1 )χ (45) r0 = a(t0 )χ . (46) Das konkrete Vorgehen ist etwas aufwändiger als das logische Vorgehen, denn da man die Funktion a(t) nicht explizit kennt, muss man einen Zwischenschritt über η Kosmologie 23 einlegen, und kann erst daraus t bestimmen. 3 2.5 2 χ 1.5 1 PSfrag replacements 0.5 0 0.5 1 1.5 2 2.5 3 3.5 4 z Abbildung 7: Hier ist die emittierende Galaxis χ als Funktion der hier und jetzt (t0 = 15 · 109 ) beobachteten Rotverschiebung z für ein Universum mit amax = 20 · 109 dargestellt. Schon für z = 4 sieht man fast bis zum Äquator“ ” bei χ = π/2. Die maximale Sichtweite reicht zu diesem Zeitpunkt bis zum Horizont bei χ = η(t0 ) = 2.27. Zum Zeitpunkt der maximalen Expansion wird η = π sein, ab dann kann man den Antipodenpunkt und darüber hinaus, also das gesamte Universum sehen. Das allgemeine Resultat ist in den vier Graphen der Abb. 7 und 8 zusammengefasst, die den vier gestellten Fragen entsprechen. In Abb. 7 ist die Identifikationsfunk” tion“ z 7→ χ dargestellt, die es erlaubt, aus der beobachteten Rotverschiebung die emittierende Galaxis zu bestimmen. χ wird nach oben begrenzt durch η(t0 ), denn dies ist der Winkel, den maximale“ ” Photonen, d.h. solche, die seit dem Urknall unterwegs sind, bis heute zurückgelegt haben. Anders formuliert: Zur Zeit t0 treten die Galaxien mit χ = η(t0 ) in den beobachtbaren Bereich. Genauer handelt es sich um das ultrafrühe Stadium dieser Galaxien, die heute längst erwachsen sind und sich in der Entfernung r = a(t0 )η(t0 ) befinden. Sehen tun wir sie aber eben in ihrem Embryonalstadium, als sie lediglich Fluktuationen im Strahlungshintergrund waren. Zum Zeitpunkt der maximalen Ausdehnung des Universums ist η = π, das bedeutet, dass man ab dann prinzipiell einen Überblick über alle im Weltall vorhandenen Objekte haben kann, wenn auch in sehr unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Kosmologie 24 In Abb. 8 sind der Emissionszeitpunkt sowie die damalige und die heutige Entfernung des Emitters als Funktion der hier und jetzt beobachteten Rotverschiebung z dargestellt. Man erkennt, dass sich die damalige und die heutige Entfernung bis etwa 4 · 109 Lichtjahre kaum unterscheiden, darüber aber deutlich auseinanderfallen. Dieser Nahbereich ist auch der, in dem die Rotverschiebung z und die Lichtlaufzeit T ungefähr linear zur Entfernung (egal ob r1 oder r0 ) sind. 25 20 15 t, r 10 5 PSfrag replacements 0 0.5 1 1.5 2 2.5 3 3.5 4 z Abbildung 8: Hier sind der Emissionszeitpunkt (rot) sowie die damalige (grün) und die heutige Entfernung (blau) der emittierenden Galaxie als Funktion der hier und jetzt (t0 = 15·109 ) beobachteten Rotverschiebung z für ein Universum mit amax = 20 · 109 dargestellt. Im Nahbereich erkennt man die Proportionalität zwischen Entfernung und Lichtlaufzeit. Die in dieser Abbildung dargestellten Zusammenhänge sind die wirkliche, kosmologische“ Rotverschiebungs” Entfernungs-Relation. Zusammenfassung in einem Satz: Bei immer größerem z sieht man Galaxien in immer früheren Entwicklungsstadien, die heutzutage immer weiter entfernt sind, zum Zeitpunkt der Lichtaussendung aber viel näher waren. Bemerkenswert ist, dass die Entfernung zum Emissionszeitpunkt keine monoton steigende Funktion von z ist. Sie erreicht einen Maximalwert von etwa 7 · 109 ungefähr bei z = 1, und fällt danach wieder ab. Man muss sich also von der Vorstellung verabschieden, dass immer größeres z, also immer älteres Licht, aus immer größerer Entfernung zu uns kommt. Der Blick immer tiefer in den Kosmos“ zeigt uns zuletzt ” Dinge, die sich vor langer Zeit sehr nah bei uns abgespielt haben. Dies ist in einem expandierenden Universum, das gestern kleiner war als heute, eigentlich trivial. Es Kosmologie 25 stimmt mit der Aussage von Abb. 3 überein, auch dort hat die Entfernungskurve der Photonen mit t0 = 15 · 109 ein Maximum, und zwar eben bei r = 7 · 109 . Es ist wichtig, dies nicht falsch zu verstehen: Das Wiederabnehmen der Aussendeentfernung heißt nicht, dass wir für große z bzw. T wieder die näheren Galaxien“ ” und am Ende unsere direkte Nachbarschaft (z.B. den Andromeda-Nebel) sehen: χ ist eine streng monoton steigende Funktion von z. Sondern die Aussendeentfernung nimmt einzig und allein aus dem Grund wieder ab, dass die Objekte mit großem z (großem χ) ein großes T haben, und wir daher in eine Zeit zurückblicken, als das Universum deutlich kleiner war als es heute ist. Wir sehen also für großes z Dinge, die sich vor langer Zeit in relativer Nähe ereignet haben, aber dies ist nicht die Vergangenheit der Dinge, die heute in unserer Nachbarschaft sind. Wenn man beispielsweise für die Hintergrundstrahlung eine Rotverschiebung von z = 1000 annimmt, dann bedeutet dies bei den gewählten Werten von amax und t0 eine Entstehungszeit von etwa t1 = 3.1 · 105 und weiter, dass die heute beobachtete Hintergrundstrahlung in einer Entfernung von nur etwa 36.2 · 106 Lichtjahren emittiert wurde. Ihre Koordinate χ ist natürlich sehr groß, nämlich χ = η(t0 ) − η(t1 ) = 2.21 . (47) Die Materie, die die heute hier beobachtete Hintergrundstrahlung emittierte, ist heute sehr weit von uns entfernt, nämlich r0 = a(t0 )χ = 36.3 · 109 (48) und sieht inzwischen völlig anders aus. Interessant ist es noch, die Geschwindigkeit der emittierenden Materie zum damaligen und zum heutigen Zeitpunkt zu berechnen: ṙ1 = ȧ(t1 )χ = 77.1 ṙ0 = ȧ(t0 )χ = 1.03 Die Hintergrundstrahlung stammt also von Quellen, die sich während der gesamten Laufzeit der Strahlung mit Überlichtgeschwindigkeit von uns entfernt haben. Dass wir für große z in ein viel kleineres Universum blicken, hat eine lustige, prinzipiell beobachtbare Konsequenz: Nicht nur ist die Entfernung der Kugelschale zu gegebenem z kleiner, sondern auch deren Fläche! Die Sphäre der bei großem z gese- Kosmologie 26 henen Galaxien ist also nicht riesengroß, sondern relativ klein, und ein Winkelbogen von einem Grad zwischen zwei Objekten auf der Himmelssphäre entspricht für immer größeres z einem immer kleineren Abstand zwischen diesen Objekten. Dies führt zu einer Art Vergrößerungseffekt bei der Beobachtung weit entfernter Galaxien. Betrachten wir die Kugelschale zu gegebenem z, also die Menge aller Galaxien mit einer gegebenen Rotverschiebung. Wie groß ist die Fläche der Sphäre, die wir da sehen, d.h. wie groß war sie zum Emissionszeitpunkt? (Zum damaligen Zeitpunkt eine Menge von Galaxien, die nichts weiter verbindet, als dass sie den gleichen Abstand zu dem haben, woraus sich später die Milchstraße entwickeln wird.) Genauer: Wie groß war die Fläche der um uns zentrierten Kugelschale χ = χ(z) zum Zeitpunkt t1 (z) der Lichtaussendung? Antwort: Aus z und t0 bestimmen wir t1 und χ wie gehabt, und daraus den Flächeninhalt gemäß Gleichung (7): A = 4πa2 (t1 ) sin2 χ . (49) Dies ist aus zwei verschiedenen Gründen kleiner als in einem statischen, Newtonschen Universum: Erstens hängt aufgrund der Raumkrümmung A nichttrivial von χ ab (sin2 χ statt χ2 ), was zu einem Vergrößerungseffekt schon für ein statisches Universum führt. Bei Annäherung der Sichtweite an χ = π ist es eine immer kleinere Fläche, die sich über den Raumwinkel 4π ausbreitet – bis man im Extremfall beim Erreichen von χ = π einen einzelnen Punkt, nämlich den Antipodenpunkt, über den gesamten Himmel ausgebreitet sieht. Die entsprechende z-Schicht wäre völlig isotrope Strahlung – allerdings mit verschwindender Intensität. Zweitens geht der retardierte Zeitpunkt t1 anstelle der Beobachtungszeit t0 in die Flächenberechnung ein, und dadurch wegen der Dynamik des Universums das kleinere a(t1 ) anstelle von a(t0 ). Solange t0 deutlich kleiner ist als tmax /2 spielt der Effekt der Raumkrümmung nur eine untergeordnete Rolle, da die momentane Sichtgrenze χ = η(t0 ) noch weit von χ = π entfernt ist. Die größere Rolle spielt der Effekt der zeitlichen Entwicklung, da man jederzeit prinzipiell bis t = 0 blicken kann. Der Umfang der betrachteten Sphäre ist U = 2πa(t1 ) sin χ , (50) Kosmologie 27 1 rad entspricht also einem Abstand von a(t1 ) sin χ . (51) Dies stimmt strenggenommen nicht hundertprozentig, da die kürzeste Verbindung zwischen 2 Galaxien auf der Sphäre ja nicht entlang der Sphäre sondern sekantisch“ ” dazu verlief. Für kleine Winkelabstände δ ist ∆s = δa(t1 ) sin χ (52) aber eine gute Näherung. Beispielsweise lagen zwei Quellorte der Hintergrundstrahlung mit z = 1000, die wir heute um 1◦ auseinandersehen, damals nur etwa 230000 ly auseinander. Demgegenüber entspricht 1◦ bei z = 1 einem Abstand von über 110 · 106 ly. Aus all diesem folgt, dass die einfache Frage Wie weit können wir sehen?“ keine ” einfache Antwort hat, die sich in einer bestimmten Zahl von Lichtjahren ausdrücken ließe. Zwar ist der sichtbare Horizont durch χ = η(t0 ) eindeutig definiert. Wenn man diesem aber seine heutige Entfernung zuordnet, und behauptet wir könnten heute bis a(t0 )η(t0 ) sehen, dann ist das irreführend, denn das können wir nicht: Wir sehen nur Objekte, die heute diese Entfernung haben, zu einem viel früheren Zeitpunkt und aus weit größerer Nähe. Wenn man dem Horizont andererseits seine damalige Entfernung a(t1 )η(t0 ) zuschreibt, dann ist das ebenso unangemessen, denn die nimmt ja für immer größere z wieder ab und geht schließlich auf 0 zurück. Entsprechendes gilt im übrigen auch für die Frage nach dem am weitesten entfernten Objekt, das mit heutigen Teleskopen sichtbar ist. Die Schlussfolgerung die man hieraus ziehen sollte, ist, Entfernungsangaben bei kosmologischen Beobachtungen nicht mit r sondern eher mit χ zu assoziieren. χ und das maximale χ = η(t0 ), bis zu dem wir heute sehen können, haben im Unterschied zu r eine einfache, eindeutige und anschauliche, auf die Geometrie des Universums gegründete Bedeutung, bei der man nicht viel dazuerklären muss. χ ist außerdem eine konstante Eigenschaft des beobachteten Objekts – wenn man davon ausgeht, dass es an der kosmischen Expansionsbewegung teilnimmt. Man stößt mitunter auf Formulierungen wie Je weiter wir in das Universum hin” ausblicken, desto weiter sehen wir in die Vergangenheit zurück – bis in eine Zeit, als das Universum viel kleiner war als heute.“ Eine solche Aussage klingt paradox: Wie Kosmologie 28 kann man weit, etwa 15 · 109 Lichtjahre, ins Universum hinausblicken und dabei in eine Vergangenheit sehen, als das Universum viel kleiner war als es heute ist und einen Umfang von vielleicht nur 1 · 109 Lichtjahren hatte? Zur Vermeidung dieser Art von Paradoxien und allgemein bei der Interpretation kosmologischer Beobachtungen ist es sehr nützlich, sich von der Vorstellung, man könne einfach immer weiter in das Universum hinaussehen“, zu lösen. Stattdessen stellt ” man sich den kosmologischen Beobachtungshimmel – also das was man z.B. auf dem Hubble Ultra Deep Field sieht – wohl am besten als ein ziemlich artifizielles“ visu” elles Konstrukt vor, das wie eine Zwiebel aus Schichten aufgebaut ist. Jede Schicht ist beobachtbar markiert durch ihre Rotverschiebung z und entspricht einem festen Hyperpolarwinkel χ. Jede Schicht trägt eine Ansicht der zu χ gehörenden Objekte (Galaxien), so wie diese zur Zeit t1 , als sie sich in ihrem Frühstadium und in unserer Nähe befanden, zu sehen gewesen wären, wenn man sie damals von hier aus instantan hätte beobachten können (bis auf die Verfärbung durch die Rotverschiebung). Dazu gehört auch der Vergrößerungseffekt“ aufgrund des zur Aussendezeit t1 kleine” ren Universums, der genau genommen eigentlich gerade kein Vergrößerungseffekt ist. Auf einer kosmologischen Aufnahme erscheinen diese Schichten ihrem z bzw. χ entsprechend angeordnet, das soll heißen: Galaxien mit größerem z bzw. χ stehen tatsächlich hinter solchen mit kleinerem z bzw. χ, die sich im Vordergrund befinden. Dies verleitet ganz natürlich dazu, die weiter hinten stehenden Galaxien als weiter ” entfernt“ zu betrachten, und eben dadurch entsteht der Eindruck, man könne immer weiter in das Universum hinaussehen. Tatsächlich blickt man aber nicht in große Entfernung, sondern in die ferne Vergangenheit von Objekten mit großem Hyperpolarwinkel χ. Es wäre interessant, festzustellen, ob tatsächlich bei genügend großer Rotverschiebung ein Punkt erreicht wird, ab dem die Winkelgröße der Galaxienbilder wieder zunimmt. Dies ist natürlich sehr schwer zu beurteilen, da man nicht davon ausgehen kann, dass die Galaxien in ihrem Frühstadium schon genauso groß waren, wie sie es heutzutage sind. Man kann mit heutigen Teleskopen Galaxien bis ungefähr z = 6 sehen, mit dem Weltraumteleskop der nächsten Generation soll diese Grenze bis über z = 10 hinaus ausgedehnt werden. Die Hintergrundstrahlung andererseits hat eine Rotverschiebung von etwa z = 1000. Das bedeutet, es gibt beim momentanen Stand der Beobachtungen einen dunklen Bereich“ z ∈ [10, 1000]. Dieser Bereich scheint sehr groß zu ” sein, ist es aber in Wirklichkeit nicht. Wie die Identifikationsfunktion“ χ(z) (Abb. ” Kosmologie 29 7) zeigt, entspricht bei hohen z-Werten eine große z-Differenz nur noch einer kleinen χ-Differenz. Tatsächlich ist man bei z = 10 schon bis auf t1 = 280 · 106 Jahre an den Urknall herangerückt und sieht bis zu einem Hyperpolarwinkel von χ = 1.7 . Der fehlende Bereich bis z = 1000 bringt uns weiter in die Vergangenheit bis t1 = 310·103 Jahre und bis χ = 2.2 . Was erwartet einen im Bereich z = 10 bis z = 1000? Es tauchen immer schwächere Galaxien aus der Schwärze des Raums auf, die sich in ultrafrühen Entwicklungsstadien befinden, und deren Intensitätsmaximum bis in den Infrarot- bzw. Radiobereich verschoben ist. Wenn man dies tatsächlich bis z = 1000 verfolgen kann, dann muss es einen Übergangsbereich geben, in dem die Galaxien sich völlig aufgelöst haben, und das Erscheinungsbild immer isotroper wird und sich immer mehr dem Aussehen der Hintergrundstrahlung annähert, mit eventuellen Fluktuationen als Galaxienkeimen. Zum Abschluss dieses Abschnitts ein paar Sätze zur Entstehung der Hintergrundstrahlung: Zur Zeit der Bildung von Wasserstoffatomen wird das Universum plötzlich durchsichtig. Von jedem Punkt des Raums werden in alle Richtungen Photonen ausgestrahlt, die nicht mehr sofort absorbiert werden, sondern sich ungestört geradeaus bewegen. Die Hintergrundstrahlung ist also eigentlich ein Blitz von jedem Punkt in alle Richtungen, und keine kontinuierlich abgegebene Strahlung! Dass die Hintergrundstrahlung kontinuierlich zu leuchten scheint, liegt daran, dass dieser Blitz nicht von einem Punkt im Universum ausgegangen ist (wie etwa bei einer Supernova), sondern von allen Punkten im Universum zugleich. Bei uns kommen heute einige der Photonen an, die damals von einem ganz bestimmten χ ausgestrahlt wurden, also von einer Kugelschale mit ganz bestimmter damaliger und heutiger Entfernung: χ = η(t0 ) − η(t1 ) für t1 = 3 · 105 , vgl. Abb. 2. 5 Bestimmung der kosmologischen Parameter In diesem Abschnitt gehen wir darauf ein, wie man durch Messung von Rotverschiebungen und Entfernungen den Wert des freien Parameters amax in (3) und das Alter t0 des Universums bestimmen kann. Dazu betrachten wir zunächst den Zusammenhang zwischen Rotverschiebung z und Lichtlaufzeit T im Nahbereich, und entwickeln zt0 (T ) = a(t0 ) −1 a(t0 − T ) (53) Kosmologie 30 um T = 0 bis zur 2. Ordnung: ȧ0 zt0 (T ) = T + a0 ȧ20 1 ä0 − a20 2 a0 T2 + ... . (54) Definiert man Hubble-Konstante H0 und Decelerationsparameter q0 durch H0 := ȧ0 a0 , q0 := − a0 ä0 ȧ20 , (55) dann wird dies zu 1 zt0 (T ) = H0 T + H02 1 + q0 T 2 + . . . 2 . (56) Man erkennt, dass der lineare Anteil, der für kleine Lichtlaufzeiten dominiert, eine direkte Folge der Expansion ist, proportional zu ȧ. In der Krümmung der zT -Kurve manifestiert sich die Abbremsung der Expansion, aber nicht nur: Die Krümmung der zT -Kurve bei größeren Lichtlaufzeiten besteht aus zwei Anteilen, die jeweils homogen in ȧ bzw. ä sind. D.h. selbst bei konstanter Expansionsgeschwindigkeit, ä = 0, würde man eine Abweichung vom linearen Verhalten beobachten. Zu diesem rein geometrischen Effekt tritt noch die Auswirkung der veränderlichen Expansionsgeschwindigkeit. Für praktische Zwecke ist die Rotverschiebungs-Entfernungs-Relation, die wir als nächstes ableiten, brauchbarer als die Rotverschiebungs-Lichtlaufzeit-Relation. Zur Herleitung der (zur Jetztzeit t0 gültigen) zr-Relation verwenden wir, dass wir sowohl z als auch r als Funktionen der Lichtlaufzeit T kennen: z(T ) = a(t0 ) −1 a(t0 − T ) (57) r(T ) = a(t0 − T )χ(t0 − T ) Dabei ist z(T ) die Rotverschiebung eines Photons, das vor T Jahren emittiert wurde und heute, zur Zeit t0 , hier ankommt. r(T ) ist die damalige Entfernung des Emitters dieses Photons. Die Funktion χ(t) gibt den Ort eines Photons, das heute hier ankommt, zur vergangenen Zeit t an. Sie ist gegeben durch χ(t) = − Zt t0 dt0 a(t0 ) . (58) Kosmologie 31 0.3 0.25 0.2 z 0.15 0.1 0.05 PSfrag replacements 0 1 2 3 4 5 6 T Abbildung 9: Rotverschiebung als Funktion der Lichtlaufzeit in einem Universum mit amax = 20 · 109 zur Zeit t0 = 15 · 109 im intermediären Bereich bis T = 6 · 109 . Dargestellt sind von unten nach oben: lineare Näherung, quadratische Näherung ohne Berücksichtigung der Deceleration, quadratische Näherung mit Berücksichtigung der Deceleration, exakte Funktion. Kosmologie 32 Damit sind z(T ) und r(T ) vollständig gegeben, sobald die Funktion a(t) bekannt ist. Diese Zusammenhänge gelten für jede Metrik vom Typ (1), unabhängig von der expliziten Form der Funktion a(t). Wir halten diesen Allgemeinheitsgrad weiter aufrecht, damit die Ergebnisse auch auf allgemeinere Dynamik (d.h. Zustandsgleichung der Materie, Abschnitt 7) angewendet werden können. Man erhält aus (57) die exakte zr-Relation, also die Funktion z(r), indem man r(T ) nach T auflöst und dies in z(T ) einsetzt. Uns genügt aber die Entwicklung von z(r) bis zur 2. Ordnung: z(r) = z0 + z00 r + 1 00 2 z r + ... 2 0 (59) Die Ableitungen von z(r) bei r = 0 lassen sich aus der Parameterdarstellung (57) berechnen, d.h. durch die Werte der Funktion a(t) und ihrer Ableitungen zum jetzigen Zeitpunkt ausdrücken. Man erhält: 2 3ȧ0 ä0 ȧ0 r + r2 + . . . (60) − z(r) = a0 2a20 2a0 bzw. z(r) = H0 r + H02 3 1 + q0 r 2 + . . . 2 2 (61) Gelingt es also, durch astronomische Beobachtungen von Rotverschiebungen und durch Messung der zugehörigen Entfernungen den linearen und den quadratischen Koeffizienten von z(r) empirisch zu bestimmen, dann hat man damit auch die Werte von H0 und q0 . Setzt man voraus, dass das Universum vom Friedmann-Typ ist, dann folgen aus (3) die Funktionen H(η) und q(η): sin η amax (1 − cos η)2 1 q(η) = 1 + cos η H(η) = 2 und man kann nun aus den gemessenen Werten von H0 und η0 eine quantitative Aussage sowohl über das gegenwärtige Alter t0 der Welt als auch über ihre gesamte Kosmologie 33 Lebensdauer tmax machen, indem man ! H(η0 ) = H0 ! q(η0 ) = q0 nach η0 und amax auflöst, und daraus t0 = t(η0 ) und tmax = πamax bestimmt. 6 Dynamik No plan for predicting the dynamics of geometry could be at the same time more mistaken and more right than this: “Give the distribution of mass-energy; then solve Einstein’s second order equation Gµν = 8πTµν for the geometry.” Give the distribution of mass-energy in spacetime and solve for the spacetime geometry? No. Give the fields that generate mass-energy, and their time-rates of change, and give 3-geometry of space and its time-rate of change, all at one time, and solve for the 4-geometry of spacetime at that one time? Yes. And only then let one’s equations for geometrodynamics and field dynamics go on to predict for all time ... both the spacetime geometry and the flow of mass-energy throughout this spacetime. MTW, Chapter 21 Das Ziel dieses Abschnittes ist es, die Funktion a(t), die bis jetzt als gegeben angenommen wurde, mit Hilfe der Einstein-Gleichungen aus der raumzeitlichen Verteilung von Energie und Impuls zu bestimmen, genauer: aus dem Energie-ImpulsTensorfeld Tµν (x) , das neben der Energiedichte auch die Energiestromdichte, die Impulsdichte und die Impulsstromdichte enthält. Versucht man nun naiv, ein (nichtverschwindendes) Energie-Impuls-Tensorfeld als Funktion von x vorzugeben, dann stößt man sofort auf die folgende Schwierigkeit: Man kann nur solche Tµν vorgeben, die die Bedingung der kovarianten Divergenzfreiheit ∇µ T µν = 0 erfüllen, denn dies ist die Integrabilitätsbedingung der EinsteinGleichungen. Da aber in die kovariante Divergenz die Metrik selbst eingeht, die wir Kosmologie 34 erst suchen, ist es unmöglich, diese Bedingung von vornherein sicherzustellen. Das Auftreten dieses Problems ist kein zufälliges Ärgernis, sondern hat einen wichtigen physikalischen Hintergrund. Es zeigt, dass es nicht möglich ist, den EinsteinGleichungen einen Energie-Impuls-Tensor ohne konkreten Ansatz für die ihn erzeugende Materie vorzuschreiben. Genauer: Man kann nur dann hoffen, Lösungen der inhomogenen Einstein-Gleichungen zu finden, wenn man ein realistisches“ wech” selwirkendes Gesamtsystem aus Materie und Geometrie betrachtet, und nicht bloß einen losgelösten Energie-Impuls-Tensor, der auf passive Geometrie wirkt. Das bedeutet konkret, dass man einen expliziten Ansatz für die Materie vorgeben muss: Durch welche Felder sie beschrieben wird und welchen Bewegungsgleichungen diese genügen sollen. Daraus abgeleitet konstituiert sich dann ein Energie-ImpulsTensor, dessen Divergenzfreiheit durch die Bewegungsgleichungen der Materie (die die Metrik gµν enthalten) automatisch sichergestellt ist. Erst ein solches Gesamtsystem für Materiefelder und Metrik kann man konsistent lösen, seine Lösung liefert die gemeinsame zeitliche Entwicklung von Materie und Geometrie. Die Einstein-Gleichungen verbieten es also, die Geometrie als bloß passiv von vorgegebener Materie determiniert zu betrachten. Strenggenommen sollte man daher eigentlich gar nicht von Lösungen der Einstein-Gleichungen“ sprechen, sondern im” mer nur von Lösungen eines konkreten Systems aus Einstein- und Materiegleichungen. Wir nehmen nun den allereinfachsten Ansatz für kontinuierliche Materie, nämlich das ideale Fluid ohne Druck ( Staub“). Dieses wird beschrieben durch zwei Felder: ” Das Vektorfeld uµ (x) der 4Geschwindigkeit der Fluidelemente, und das Skalarfeld ρ(x) ihrer Massendichte im lokalen momentan mitbewegten Lorentz-System. Diese Felder erfüllen die Bewegungsgleichungen uµ ∇µ uν = 0 (62) ∇µ (ρuµ ) = 0 (63) und generieren einen divergenzfreien Energie-Impuls-Tensor gemäß T µν = ρuµ uν . (64) Für vorgegebene Metrik beschreiben diese Bewegungsgleichungen den freien, druckund kraftlosen Fall des Materiestaubs ( Testgalaxien“) durch eine unbeeinflussbare ” Kosmologie 35 (nicht notwendigerweise starre) Hintergrund-RaumZeit. Wir interessieren uns aber für das kosmologische Problem, also RaumZeit und Materie in Wechselwirkung. Wir geben die Metrik daher nicht vor, sondern betrachten das gekoppelte System aus Materie- und Einstein-Gleichungen für ρ, uµ und gµν : uµ ∇µ uν = 0 ∇µ (ρuµ ) = 0 Gµν = 8πρuµ uν (65) Grob gesagt formulieren die beiden ersten Gleichungen den Einfluss der RaumZeit auf die Bewegung der Materie und die dritte Gleichung die Rückwirkung der Materie auf die RaumZeit. Die Materie formt sich auf diese Weise selbst die RaumZeit, durch die sie frei fällt: Space acts on matter, telling it how to move. In turn, matter ” reacts back on space, telling it how to curve.“ (MTW). Ausgeschrieben ist (65) ein schrecklich kompliziertes System von nichtlinearen partiellen Differentialgleichungen für die gesuchten Felder gµν , uµ und ρ. Setzen wir den einfachen Ansatz (1) für die homogene isotrope Metrik ein, dann erhalten wir immer noch recht komplizierte Materiegleichungen aber sehr einfache Einstein-Gleichungen. Alle nichtdiagonalen Komponenten des Einstein-Tensors verschwinden nämlich, und die verbleibenden Diagonalelemente sind von sehr einfacher Form: 3 (1 + ȧ2 ) a2 = −(1 + ȧ2 + 2aä) G00 = G11 G22 = −(1 + ȧ2 + 2aä) sin2 χ (66) G33 = −(1 + ȧ2 + 2aä) sin2 χ sin2 ϑ Aus dem Verschwinden der gemischten Komponenten von Gµν = 8πρuµ uν (67) kann man wegen u0 6= 0 auf u1 = u2 = u3 = 0 schließen. Aus u2 = −1, u0 > 0 folgt Kosmologie 36 dann weiter, dass u0 = 1 und schließlich u1 = u2 = u3 = 0. Damit ist 1 0 uµ (x) = δ0µ , u(x) = 0 0 (68) die einzige Möglichkeit für die Bewegung der Materie, die mit den Einstein-Gleichungen und der homogen-isotropen Metrik (1) verträglich ist. Diese ist wegen Γµ 00 = 0 auch tatsächlich eine Lösung der Euler-Gleichung (62). Auf fester Hintergrund-RaumZeit hätte man alle komplizierten Lösungen uµ (x) der komplizierten Materiegleichungen betrachten müssen, hier kann man glücklicherweise alle bis auf (68) sofort vergessen. Weiter folgt aus der 00-Komponente der Einstein-Gleichungen 3 (1 + ȧ2 ) = 8πρ , a2 (69) dass ρ keine räumliche Abhängigkeit haben kann: ρ = ρ(t). Diese Resultate sind physikalisch sehr plausibel: Die Bewegung und die Verteilung der Materie, die das Gravitationsfeld erzeugt“, muss genauso homogen und isotrop sein wie die Geome” trie selbst. Es verbleiben die Kontinuitätsgleichung (ρa3 )· = 0 (70) ȧ ρ̇ + 3 ρ = 0 a (71) ρa3 = const. (72) oder oder für die zeitliche Entwicklung von ρ, sowie zwei Komponenten der Einstein-Gleichungen. Die Wechselwirkung von RaumZeit a(t) und Materie ρ(t) wird also unter den angenommenen Voraussetzungen durch das folgende System gewöhnlicher Differenti- Kosmologie 37 algleichungen beschrieben: (ρa3 )· = 0 3 (1 + ȧ2 ) = 8πρ a2 1 + ȧ2 + 2aä = 0 (73) Jede Lösung hiervon ergibt eine räumlich geschlossene, homogene und isotrope Lösung der Einstein-Gleichungen mit drucklosem idealem Fluid, und umgekehrt. Betrachtet man das System genauer, dann fällt auf, dass man scheinbar 3 Gleichungen für nur 2 gesuchte Funktionen hat. Man überzeugt sich aber leicht, dass die 3 Gleichungen nicht unabhängig voneinander sind, sondern dass aus der EinsteinGleichung erster Ordnung vermittels der Kontinuitätsgleichung für ρ die EinsteinGleichung zweiter Ordnung automatisch folgt. Diese kann man sich also schenken: 3 3 a ρ = a0 ρ0 (74) 3 2 (1 + ȧ ) = 8πρ 2 a Anders betrachtet: Die beiden Einstein-Gleichungen sind 2 Gleichungen für 2 Funktionen a und ρ und legen diese (bei gegebenen Anfangsbedingungen a0 , ρ0 ) eindeutig und widerspruchsfrei fest. Und zwar tun sie das so, dass die Kontinuitätsgleichung für ρ automatisch erfüllt ist. Wir hätten uns also eigentlich die ganze Betrachtung der Materiegleichungen sparen können. (74) sind nun zwei Gleichungen für zwei gesuchte Funktionen. Wir eliminieren ρ(t), indem wir die erste Gleichung in die zweite einsetzen: a(1 + ȧ2 ) = 8πa30 ρ0 3 . (75) Den konstanten Parameter auf der rechten Seite kann man netter durch die zeitlich konstante Gesamtmasse des Universums M = ρ(t)V (t) = 2π 2 a30 ρ0 (76) Kosmologie 38 ausdrücken und erhält so schließlich: a(1 + ȧ2 ) = 4M 3π (77) Dies ist also das Ergebnis: Eine Differentialgleichung, in der nur noch a(t) auftritt. Physikalisch ist es sehr ungewöhnlich, eine Gleichung erster Ordnung in der Zeit zu erhalten. Eigentlich würde man M als Systemparameter“ auffassen, der unabhän” gig von irgendwelchen Anfangswerten gewählt werden kann, und dann a0 und ȧ0 beliebig vorgeben wollen. Die Gleichung zeigt aber, dass das so nicht möglich ist: Bei gegebenem M ist ȧ0 durch a0 (bis auf Vorzeichen) eindeutig festgelegt. Oder: Man gibt a0 und ȧ0 beliebig vor. Dann ist dadurch aber schon das Universum M vollständig festgelegt, es gibt nur eine bestimmte Gesamtmasse, die die gewählten a0 und ȧ0 gleichzeitig zulässt. Durch Einsetzen von ȧ = 0 erhält man die maximale Ausdehnung amax als Funktion der Gesamtmasse: amax = 4M 3π . (78) Man kann die Bewegungsgleichung für a also auch in der Form a(1 + ȧ2 ) = amax schreiben. Als Lösung hiervon finden wir genau die Funktionen (3) amax t(η) = (η − sin η) 2 η = 0 . . . 2π amax (1 − cos η) a(η) = 2 (79) (80) wobei wir jetzt noch als zusätzliche Information den Zusammenhang zwischen dem Parameter amax (geometrische Eigenschaft des Universums) und M (dynamische Eigenschaft des Universums) kennen: amax = 4 GM 3π c2 . (81) amax und damit auch die Lebensdauer tmax = πamax des Universums ist also pro- Kosmologie 39 portional zur Gesamtmasse M der im Universum vorhandenen Materie. Für das Friedmann-Universum mit amax = 20 · 109 ergibt sich daraus eine Masse von M = 6.0 · 1053 kg . 7 Dynamik mit allgemeinem idealen Fluid Wir verlassen den Bereich des mit drucklosem Staub gefüllten Friedmann-Universums und betrachten ein allgemeines ideales Materiefluid. Ein solches wird durch drei Felder beschrieben: Die 4Geschwindigkeit uµ (x) der Fluidelemente, ihre Massendichte ρ(x) und den Druck p(x) im lokalen momentan mitbewegten Lorentz-System. Außerdem wird noch der für das betrachtete ideale Fluid charakteristische Zusammenhang zwischen p und ρ vorgegeben, die Zustandsgleichung p = p(ρ) des Fluids. Das drucklose ideale Fluid ist der Spezialfall eines idealen Fluids mit trivialer Zustandsgleichung. Auf gegebener Hintergrund-RaumZeit gµν erfüllt das ideale Fluid die Bewegungsgleichungen (ρ + p)uµ ∇µ uν = −(g µν + uµ uν )∇µ p µ ∇µ (ρu ) = −p∇µ u µ (82) (83) und generiert einen divergenzfreien Energie-Impuls-Tensor gemäß T µν = ρuµ uν + p(g µν + uµ uν ) . (84) Das in der Kosmologie am häufigsten verwendete ideale Fluid mit Druck ist thermische elektromagnetische Strahlung ( Photonengas“). Da dieses in mehrerer Hinsicht ” einen besonderen Fall darstellt, gehen wir etwas genauer darauf ein. Im Falle thermischer Strahlung haben die Größen ρ und uµ eine andere Bedeutung als bei einem materiellen Fluid, da es für Photonen kein momentan mitbewegtes System und keine Ruhmassendichte gibt. Wohl aber gibt es an jedem RaumZeit-Punkt ein System, in dem die Energie im Mittel ruht, in dem die gemittelte Stromdichte der Strahlungsenergie verschwindet: das makroskopische Ruhsystem“ der Strahlung. uµ ” ist das 4Geschwindigkeitsfeld dieser lokal isotropen“ Beobachter, ρ ist die Energie” dichte und p der Druck der Strahlung, so wie sie von diesen gemessen wird. Obwohl von Beobachtern die Rede ist, sind uµ , ρ und p durch die Bedingung im Mittel ” Kosmologie 40 kein Fluss von Energie“ eindeutige Eigenschaften der Strahlung selbst, genauso wie die analogen Größen im lokalen Ruhsystem eines materiellen Fluids. Die Behandlung von Strahlung kann also exakt gleich wie die eines materiellen idealen Fluids erfolgen, man muss bloß momentan mitbewegtes System“ durch makroskopisches ” ” Ruhsystem“ ersetzen. Für thermische Strahlung sind Druck und Energiedichte durch die Zustandsgleichung p(ρ) = 1 ρ 3 (85) verknüpft. Man kann sich fragen, worin denn der Unterschied zwischen Photonen und Galaxien besteht, dass Photonen in der Lage sind einen Druck aufzubauen, während Galaxien als druckloser Staub behandelt werden. Schließlich gibt es in beiden Fällen keine Wechselwirkung der Fluidelemente untereinander, die zu einer Abstoßung und damit zum Aufbau eines Drucks führen könnten. Weiter kann man fragen, was für eine Bedeutung der Photonendruck im kosmologischen Zusammenhang überhaupt hat, da einerseits die Photonen untereinander ja nicht wechselwirken und andererseits auch keine Behälterwände“ vorhanden sind, so dass es aussieht, als gäbe es ” nichts, worauf dieser Druck jemals wirken könnte. Die Antwort ist, dass es hier eigentlich gar nicht um den Druck und seine mechanische Wirkung geht, sondern vielmehr um die konvektive Impulsstromdichte der Strahlung. Diese manifestiert sich als Druck, sobald ihr eine Wand im Wege steht. Im lokalen Ruhsystem der Galaxien gibt es keine konvektive Impulsstromdichte, da sie eben ruhen. Im lokalen makroskopischen Ruhsystem der Photonen dagegen sehr wohl, nämlich aufgrund der mikroskopischen Bewegung der Photonen. Diese transportieren zwar im Mittel keine Energie und die Impulsdichte der Strahlung verschwindet auch, da sich Energieströme und Impulse in unterschiedliche Richtungen an jedem Punkt aufheben (per Definition des makroskopischen Ruhsystems). Die mittlere Impulsstromdichte verschwindet aber nicht: Der von den in x-Richtung bewegten Photonen transportierte x-Impuls wird keineswegs durch die Photonen in −x-Richtung aufgehoben, denn diese transportieren −x-Impuls. In diesem Sinne ist Gleichung (85) zu verstehen, eher als Impulsstromdichte und nicht so sehr als Druck. Natürlich hat diese Impulsstromdichte auch ihre übliche mechanische Wirkung als Druck, sobald man ihr ein Hindernis in den Weg stellt. Im Fall der thermischen Strahlung sind ρ und p eindeutig durch die Temperatur T Kosmologie 41 der Strahlung bestimmt: π2 k4 4 T 15 ~3 c3 π2 k4 4 p(T ) = T 45 ~3 c3 ρ(T ) = (86) (87) Nach diesem Exkurs wenden wir uns wieder unserem eigentlichen Problem zu. Will man nicht die Bewegung der Materie auf einer gegebenen Hintergrund-RaumZeit betrachten, sondern das kosmologische Problem, also RaumZeit und Materie in Wechselwirkung, dann treten zum System der Materiegleichungen die EinsteinGleichungen für die Metrik gµν hinzu: p = p(ρ) (ρ + p)uµ ∇µ uν = −(g µν + uµ uν )∇µ p (88) µ µ ∇ (ρu ) = −p∇ u µ µ Gµν = 8π (ρ + p)uµ uν + pgµν Dies ist das vollständige gekoppelte System zur gemeinsamen Bestimmung von u, p, ρ und gµν . Wie im Fall p = 0 sind auch hier die Einstein-Gleichungen die einfachsten und der Schlüssel zum Erfolg. Der Einstein-Tensor ist nach wie vor gegeben durch 3 (1 + ȧ2 ) a2 = −(1 + ȧ2 + 2aä) G00 = G11 G22 = −(1 + ȧ2 + 2aä) sin2 χ (89) G33 = −(1 + ȧ2 + 2aä) sin2 χ sin2 ϑ Da die Nichtdiagonalelemente der Metrik gµν verschwinden, führt das Verschwinden der Nichtdiagonalelemente von Gµν durch dieselbe Argumentation wie im Fall p = 0 auf eine eindeutige Lösung für u, nämlich uµ (x) = δ0µ . (90) Wie wir schon wissen, ist dies im Falle der Metrik (1) eine Trägheitsbewegung. In der Tat verschwindet die linke Seite der Euler-Gleichung identisch für uµ (x) = δ0µ , also muss auch ihre rechte Seite, die räumliche Projektion des Druckgradienten, Kosmologie 42 verschwinden. Daher p = p(t) , (91) und weiter wegen der Zustandsgleichung auch ρ = ρ(t) . (92) Die Materie bewegt sich also im freien Fall auf Linien konstanter räumlicher Koordinaten, genauso wie bei Abwesenheit von Druck. Es gibt wegen der Homogenität und Isotropie keinen (räumlichen) Druckgradienten. Die Kontinuitätsgleichung wird durch das, was wir über Metrik, uµ , ρ und p wissen zu: ρa3 · = −p a3 · . (93) Dies zeigt, dass die Gesamtenergie ρa3 der Materie nicht zeitlich konstant ist. Sie nimmt ab, wenn der Druck des Materiefluids Arbeit leistet bzw. nimmt zu, wenn gegen den Druck Arbeit verrichtet wird. Das ist während der Expansion bzw. während der Kontraktion der Fall. Wir werden uns weiter unten genauer mit dem Energieaustausch zwischen Materie und Geometrie beschäftigen. Durch das, was wir über die Metrik, uµ , ρ und p wissen, nimmt die rechte Seite der Einstein-Gleichungen die Form T00 = ρ T11 = pa2 T22 = pa2 sin2 χ (94) T22 = pa2 sin2 χ sin2 ϑ an. Damit verbleibt nun ein System aus Zustandsgleichung, Kontinuitätsgleichung und der zeitlichen und einer räumlichen Komponente der Einstein-Gleichungen: p = p(ρ) · · 3 3 = −p a ρa (95) 3 2 (1 + ȧ ) = 8πρ a2 −(1 + ȧ2 + 2aä) = 8πpa2 Kosmologie 43 das die Wechselwirkung von homogen-isotroper RaumZeit und idealem Materiefluid beschreibt6 . Betrachten wir es etwas genauer: Zunächst fällt auf, dass wir scheinbar 4 Gleichungen für 3 gesuchte Funktionen a, ρ und p haben. Tatsächlich sind aber nur 3 dieser 4 Gleichungen voneinander unabhängig: Wie im drucklosen Fall folgt aus der Einstein-Gleichung erster Ordnung vermittels der Kontinuitätsgleichung für ρ die Einstein-Gleichung zweiter Ordnung. Äquivalent dazu ist die Sichtweise, dass die dynamische Einstein-Gleichung (95.4) den Anfangswert-Constraint (95.3) automatisch propagiert – wenn die Kontinuitätsgleichung (95.2), die einen Zusammenhang zwischen den Inhomogenitäten des Constraints und der dynamischen Gleichung herstellt, für alle Zeiten erfüllt ist. Das sieht man, indem man die mit a3 multiplizierte Constraint-Gleichung nach t ableitet und die entstehenden zweiten Ableitungen von a durch die dynamische Gleichung ersetzt: 3a(1 + ȧ2 ) − 8πρa3 · = 3ȧ(1 + ȧ2 + 2ȧä) − 8π ρa3 · · = −8π p a3 + ρa3 · = 0 . Das ganze ist völlig unabhängig davon, welche konkrete Form die Zustandsgleichung der Materie hat, diese kann beliebig vorgegeben werden. Tatsächlich haben wir also 3 unabhängige p = · ρa3 = 3 (1 + ȧ2 ) = a2 Gleichungen für 3 gesuchte Funktionen: p(ρ) 3 · −p a (96) 8πρ so wie es sein muss. Dieses System ist für jede vorgegebene Zustandsgleichung numerisch lösbar und reduziert sich für p = 0 auf das Gleichungssystem aus Abschnitt 6. Für numerische Anwendungen ist der Anfangswert-Constraint nicht als Entwicklungsgleichung brauchbar, da die höchste auftretende Ableitung nichtlinear auftritt, und insbesondere das Vorzeichen von ȧ nicht festgelegt ist. Die dynamische Gleichung ist sehr viel besser geeignet, da sie linear in der höchsten Ableitung ist. Daher wird man in einer numerischen Lösung des Systems den Constraint nur benutzen, um zulässige Anfangswerte zu konstruieren, und diese dann mit der dynamischen 6 Dies reduziert sich für p = 0 auf das bereits bekannte System (73). Kosmologie 44 Gleichung propagieren. Wie man aus der dynamischen Gleichung −(1 + ȧ2 + 2aä) = 8πpa2 sieht, ist die zweite Ableitung von a immer negativ, solange der Druck der Materie positiv ist. D.h. der Radius des Universums hat immer einen Drang zur Null hin, der mit zunehmendem Gegendruck“ der Materie nur noch größer wird. Das liegt daran, ” dass eben nicht die mechanische Wirkung des Drucks als Abstoßung in die EinsteinGleichungen eingeht, sondern seine gravitierende Wirkung als Impulsstromdichte. Ist also der Druck groß, dann auch die mit ihm verbundene Impulsstromdichte und deren Gravitation. Das führt zu schneller Abbremsung und Rekontraktion. Umgekehrt kann eine anziehende“ Zustandsgleichung mit negativem Druck zu einer Beschleu” nigung der Expansion führen: Eliminiert man aus der dynamischen Gleichung ȧ mit Hilfe der Kontinuitätsgleichung, dann erhält man ä = − 4π a (ρ + 3p) . 3 Sobald der Druck genügend stark negativ wird, so dass sein gravitierender Beitrag (abstoßend) den positiven Beitrag (anziehend) der Energie überschreitet, wird die Dynamik des Universums instabil. Für p = − 31 ρ verhält es sich indifferent, d.h. die Expansion verlangsamt nicht und beschleunigt nicht, sondern geht mit dem anfänglichen Wert von ȧ ewig weiter. Zum selben Ergebnis kommt man auch, wenn man nach statischen Lösungen sucht: Setzt man alle Zeitableitungen Null, dann bleibt p = p(ρ) 3 (97) = 8πρ 2 a −1 = 8πpa2 übrig. Eine Lösung existiert nur, wenn die Zustandsgleichung der Materie 1 p(ρ) = − ρ 3 (98) lautet (dies ist nicht die Zustandsgleichung inkohärenter Strahlung, Vorzeichen!), dann allerdings ist jedes beliebige konstante a mit den zugehörigen Werten von ρ Kosmologie 45 und p eine Lösung. Will man aus der Kontinuitätsgleichung ρa3 · = −p a3 · , (99) die die Veränderlichkeit der materiellen Energie durch die Arbeit des Drucks formuliert, eine echte Erhaltungsgleichung der Gesamtenergie ableiten, dann geht das so: Man schreibt sie in der Form 0 = ρa3 · + p a3 · (100) und versucht nun, den Druckterm mit Hilfe der Bewegungsgleichungen in die Form einer totalen Zeitableitung einer aus a und ȧ aufgebauten Größe zu bringen. Dies ist tatsächlich möglich, indem man den Druck mit Hilfe der dynamischen Gleichung (95.4) eliminiert, d.h. alles durch die geometrischen Größen a, ȧ und ä ausdrückt: p a3 · = 3ȧpa2 = − · 3 3 ȧ(1 + ȧ2 + 2aä) = − a(1 + ȧ2 ) 8π 8π (101) Daraus folgt: ρa3 − 3 a(1 + ȧ2 ) = const. 8π (102) Das schreit geradezu danach, den Ausdruck − 3 a(1 + ȧ2 ) 8π (103) als die im Gravitationsfeld bzw. in der Geometrie enthaltene Energie zu interpretieren7 . Diese ist stets negativ und setzt sich zusammen aus einem potentiellen und einem kinetischen Anteil. Bemerkenswert ist folgendes: Der Erhaltungssatz (102) zeigt, 7 Das ist nur bis auf einen konstanten Vorfaktor korrekt: Da das 3Volumen des Universums 2π a beträgt, sind die beiden Anteile der Gesamtenergie in Wirklichkeit 2 3 EM EG = 2π 2 ρa3 3πc2 = − a(c2 + ȧ2 ) 4G Dabei haben wir in EG die Gravitationskonstante und die Lichtgeschwindigkeit wiederhergestellt. Kosmologie 46 dass die aus materieller und gravitativer Energie zusammengesetzte Gesamtenergie des Universums konstant ist. Er hat die übliche Form eines Energieerhaltungssatzes für ein 1dimensionales mechanisches System und erweckt den Eindruck, als könne man mit seiner Hilfe bei vorgegebenem Anfangszustand ρ, a, ȧ die konstante Energie des Universums berechnen. Wenn man aber berücksichtigt, dass der AnfangswertConstraint (95.3) erfüllt sein muss, dann sieht man, dass die Erhaltungsgröße aus (102) für zulässige Anfangsdaten verschwindet. Das bedeutet, die Gesamtenergie des Universums ist nicht nur konstant, sondern Null! Der Anfangswert-Constraint ist also eine Nullenergie-Bedingung“, bei gegebenen Zustandsgrößen ρ und a fixiert ” er ȧ auf genau den Wert, der zu (momentan und dadurch immer) verschwindender Gesamtenergie führt. Die Gravitationsenergie ist also zu jedem Zeitpunkt betragsmäßig genauso groß wie die materielle Energie. Der Energieaustausch zwischen Materie und Gravitation ist abhängig von der Zustandsgleichung der Materie. Handelt es sich um drucklosen Galaxienstaub, dann ist wegen der Kontinuitätsgleichung die Energie der Materie und daher auch die Energie der Geometrie für sich erhalten: − ρa3 = EM = const. (104) 3 (a + aȧ2 ) = EG = const. 8π (105) In diesem Fall findet also – trotz Wechselwirkung – kein Energieaustausch statt, es verwandelt sich bloß Gravitationsenergie von kinetisch in potentiell und zurück. Hat man Materie mit nichttrivialer, physikalischer Zustandsgleichung (d.h. p > 0), dann verrichtet während der Expansion die Materie Arbeit an der Geometrie, lädt diese mit Energie auf und kühlt dabei ab. Während der Kontraktion ist es umgekehrt, die Gravitation verrichtet Arbeit an der Materie und heizt sie auf. Betrachtet man konkret das Photonengas, dann nimmt die Strahlungsenergie während der Expansion durch Rotverschiebung ab, während der Kontraktion durch Blauverschiebung wieder zu. In der Zwischenzeit ist die Energie im Gravitationsfeld gespeichert. Was passiert, wenn die Photonen im Augenblick der maximalen Expansion zu druckloser Materie kondensieren? Die verbliebene Energie der maximal rotverschobenen Photonen geht in die Ruhemasse der Materie, und die zuvor abgegebene Energie der Photonen steckt in der Geometrie. Und dort bleibt sie bei der sich anschließenden Rekontraktion auch, da nun p = 0 ist und kein Energieaustausch mehr stattfinden kann. Die Kontraktion läuft daher anders ab als die Expansion, es werden andere Kosmologie Zustände in einem anderen Zeitraum durchlaufen. 47