7. Zinsratenmodelle 7.1. Obligationen und Obligationsoptionen

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7. ZINSRATENMODELLE
7.
55
Zinsratenmodelle
7.1. Obligationen und Obligationsoptionen
Bezeichnen wir mit F (t, T ) den Betrag, den jemand zur Zeit T zurückzahlen muss,
der zum Zeitpunkt t sich einen Euro ausgeliehen hat. Nehmen wir für den Moment
an, dass F (t, T ) deterministisch ist. Damit es keine Arbitrage geben kann, muss
F (t, t) = 1 und F (t, s) = F (t, u)F (u, s) für alle 0 ≤ t ≤ u ≤ s gelten. Somit
haben wir log F (t, s) = log F (t, u) + log F (u, s). Es ist daher naheliegend, dass es
eine Funktion r(t) gibt, so dass
nZ s
o
F (t, s) = exp
r(u) du .
t
Die Funktion r(t) heisst Zinsintensität. Da niemand negative deterministische Zinsen akzeptieren würde, können wir annehmen, dass r(t) ≥ 0.
Leiht man zum Zeitpunkt 0 einen Euro aus, ist der Wert dieses Euros zum Zeitpunkt t St0 = F (0, t). Da wir annehmen, dass kein Risiko damit verbunden ist, sollte
man auf einem (sicheren) Bankkonto den gleichen Zins erhalten. Der Wertprozess
S 0 erfüllt somit die Differentialgleichung
dSt0 = r(t)St0 dt .
(7.1)
Eine Null-Coupon-Obligation ist eine Obligation, die keine Zinsen bezahlt und zu
einem bestimmten Zeitpunkt T einen Euro zurückzahlt. Den Preis zum Zeitpunkt t
bezeichnen wir mit P (t, T ). Damit es keine Arbitrage geben kann, muss P (t, T ) =
F (t, T )−1 gelten. Leiht man nämlich den Betrag P (t, T ), erhält man mit Zinsen zum
Zeitpunkt T den Betrag P (t, T )F (t, T ) zurück, was das Gleiche sein muss, wie bei
einer Null-Coupon-Obligation.
Ist nun der Zins stochastisch nehmen wir an, dass {r(t)} stochastisch ist. Der
risikolose Aktiv S 0 erfüllt dann die Gleichung (7.1). Damit der Aktiv wohldefiniert
RT
ist, muss 0 |r(s)| ds < ∞ gelten. Wir bezeichnen weiterhin mit P (t, s) den Wert
zum Zeitpunkt t einer Null-Coupon-Obligation, die zum Zeitpunkt s zurückgezahlt
wird. Es muss daher gelten, dass P (t, t) = 1. Motiviert durch das Black–ScholesModell nehmen wir nun an, dass es ein zu IIP äquvalentes Mass IIP∗ gibt, so dass
56
{exp{−
7. ZINSRATENMODELLE
Rt
0
r(u) du}P (t, s)} ein IIP∗ -Martingal ist. Das impliziert, da P (s, s) = 1,
n Z t
o
nZ t
o
P (t, s) = exp −
r(u) du P (t, s) exp
r(u) du
0
0
h n Z s
o i
nZ t
o
∗
= IIE exp −
r(u) du Ft exp
r(u) du
0
0
h n Z s
o i
= IIE∗ exp −
r(u) du Ft .
t
Der Vollständigkeit halber führen wir noch den Kassakurs ein. Der Kassakurs
R(t, s) ist die Zinsrate, die eine Null-Coupon-Obligation verspricht, das heisst
P (t, s)eR(t,s)(s−t) = 1 .
Somit gilt
R(t, s) = −
1
log P (t, s) .
s−t
Wir machen nun die Annahme, dass die Filtration {Ft } durch eine Brownsche
Bewegung erzeugt wird. Sei LT die Radon–Nikodym-Ableitung dIIP∗ /dIIP. Dann ist
für alle FT -messbaren Variablen X, IIE∗ [X] = IIE[LT X]. Ist nun X Ft messbar, so
haben wir IIE∗ [X] = IIE[Lt X], wobei Lt = IIE[LT | Ft ], siehe (D.1). Wir konstruieren
nun eine Darstellung des Prozesses {Lt }.
Proposition 7.1. Es gibt einen adaptierten Prozess {qt }, so dass
Z t
nZ t
o
1
qs dWs − 2
Lt = exp
qs2 ds .
0
0
Beweis. Sei τn = inf{t : Lt > n}. Da die Filtration durch die Brownsche Bewegung erzeugt wird und P (t, s) unter beiden Massen stetig ist, muss {Lt } auch
stetig sein. Dann ist {Lt∧τn } ein quadratisch integrierbares Martingal. Nach dem
Martingal-Representations-Theorem 5.6 gibt es dann einen adaptierten Prozess H n ,
so dass
Z t∧τ
n
Hsn dWs .
Lt∧τn = 1 +
0
Betrachten wir
Z t∧τn
Z
n+1
1+
Hs dWs = L(t∧τn )∧τn+1 = Lt∧τn = 1 +
0
t∧τn
Hsn dWs ,
0
R t∧τn
so sehen wir, dass 0 (Hsn+1 − Hsn ) dWs = 0. Daher ist auch
hZ t∧τn
i
hZ t∧τn
2 i
n+1
n 2
IIE
(Hs − Hs ) ds = IIE
(Hsn+1 − Hsn ) dWs
=0.
0
0
7. ZINSRATENMODELLE
57
R t∧τ
Da die linke Seite positiv ist, gilt 0 n (Hsn+1 − Hsn )2 ds = 0. Also muss Htn+1 = Htn
auf [0, τn ] gelten. Es gibt somit einen Prozess H, so dass
Z t
Hs dWs .
Lt = 1 +
0
Wir setzen nun qt = Ht /Lt . Die Itô-Formel ergibt
Z t
Z t
1
qs2 ds ,
log Lt =
qs dWs − 2
0
0
was die Behauptung beweist.
Wir erhalten somit das folgende
Korollar 7.2. Der Preis der Null-Coupon-Obligation ist gegeben durch
nZ s
Z s
o i
P (t, s) = IIE exp
qu dWu −
(r(u) + 21 qu2 ) du Ft .
t
Beweis.
t
Dies folgt sofort aus der Formel (D.2) und Proposition 7.1.
Proposition 7.3. Für jeden Auszahlungszeitpunkt s gibt es einen adaptierten Prozess {σts }, so dass
dP (t, s) = σts P (t, s) dWt + (r(t) − σts qt )P (t, s) dt .
(7.2)
Rt
Beweis. Der Prozess {P (t, s) exp{− 0 r(u) du}} ist ein IIP∗ -Martingal. Daher ist
Rt
{P (t, s) exp{− 0 r(u) du}Lt } ein IIP-Martingal. Alle Terme sind strikt positiv, also
gibt es wie im Beweis von Proposition 7.1 einen Prozess {θts }, so dass
Z t
o
n Z t
o
nZ t
s
1
P (t, s) exp −
r(u) du Lt = P (0, s) exp
θu dWs − 2
(θus )2 ds .
0
0
0
Damit ist
Z t
nZ t
o
s
P (t, s) = P (0, s) exp
(θu − qu ) dWu +
(r(u) + 21 [qu2 − (θus )2 ]) du .
0
0
Mit Hilfe der Itô-Formel haben wir
dP (t, s) = (θts − qt )P (t, s) dWt + {(r(t) + 21 [qt2 − (θts )2 ]) + 12 (θts − qt )2 }P (t, s) dt
= (θts − qt )P (t, s) dWt + {r(t) − qt (θts − qt )}P (t, s) dt .
Setzt man σts = θts − qt folgt die Behauptung.
58
7. ZINSRATENMODELLE
Bemerkungen.
i) Die stochastische Differentialgleichung hat nicht wie üblich den Anfangswert gegeben, sondern den Schlusswert P (s, s) = 1. Es handelt sich somit um eine
stochastische Rückwartsdifferentialgleichung.
ii) Unter dem Mass IIP∗ ist nach dem Girsanov-Theorem (Verallgemeinerung von
Rt
Proposition 5.3) der Prozess {Wt∗ = Wt − 0 qs ds} eine standard Brownsche
Bewegung. Wir haben dann die stochastische Differentialgleichung
dP (t, s) = σts P (t, s) dWt∗ + r(t)P (t, s) dt .
Das heisst, unter IIP∗ wächst P (t, s) im Schnitt gleich wie der risikolose Aktiv.
iii) Der durchschnittliche infinitesimale Zuwachs von P (t, s) ist unter dem Mass IIP
(r(t) − σts qt )P (t, s). Die Differenz zum risikofreien Aktiv ist −σts qt P (t, s). Dies ist
die Kompensation für die Zinsgarantie, die man übernommen hat. Daher nennt
man qt auch den Risikopreis.
Wir betrachten nun bedingte Ansprüche in diesem Zinsmarkt. Sei ζ < T ein Zeitpunkt und h ≥ 0 ein Fζ -messbarer bedingter Anspruch. Zum Beispiel kann h =
(P (ζ, T ) − K)+ eine Call-Option auf den Preis P (ζ, T ) sein. Wir versuchen nun
diesen bedingten Anspruch zu hedgen. Im Falle der Call-Option scheint es sinnvoll,
mit Null-Coupon-Obligationen zu hedgen.
Wir betrachten wieder Strategien φ = (φ0 , φ), wobei φ0t die Anzahl risikolose Aktiven und φt die Anzahl Null-Coupon-Obligationen bezeichnet, die man zum
Zeitpunkt t im Portfolio hält. Der Wert der Strategie zum Zeitpunkt t ist
nZ t
o
0 0
0
r(s) ds + φt P (t, T ) .
Vt (φ) = φt St + φt P (t, T ) = φt exp
0
Wir nennen ein Portfolio selbstfinanzierend, falls
dVt (φ) = φ0t dSt0 + φt dP (t, T ) .
Damit die Integrale wohldefiniert sind, brauchen wir die Bedingung
Z ζ
(|φ0t r(t)| + (φt σtT )2 ) dt < ∞ .
0
Analog zum Black–Scholes-Modell definieren wir
7. ZINSRATENMODELLE
59
Definition 7.4. Eine (wohldefinierte) Strategie φ heisst zulässig, falls sie selbstfinanzierend ist und Vt (φ) ≥ 0 oder (sup0≤t≤ζ Vt (φ))2 IIP∗ -integrierbar ist.
Proposition 7.5. Sei ζ < T , sup0≤t≤ζ |r(t)| beschränkt und σtT 6= 0 für 0 ≤ t ≤ ζ.
Rζ
Sei h ≥ 0 eine Fζ -messbare Zufallsvariable, so dass h exp{− 0 r(t) dt} quadratisch
integrierbar ist. Dann gibt es eine zulässige Strategie φ, so dass Vζ (φ) = h. Für jede
solche Strategie gilt
o i
h n Z ζ
∗
r(s) ds h Ft .
Vt (φ) = IIE exp −
t
Beweis. Sei φ eine zulässige Strategie mit Schlusswert h. Bezeichnen wir mit dem
Tildezeichen die diskontierten Werte. Dann gilt
dṼt (φ) = φt dP̃ (t, T ) = φt P̃ (t, T )σtT dWt∗ .
Somit ist wegen der quadratischen Integrierbarkeit {Ṽt (φ)} ein Martingal. Insbesondere gilt
h n Z ζ
o i
∗
∗
Ṽt (φ) = IIE [Ṽζ (φ) | Ft ] = IIE exp −
r(s) ds h Ft .
0
Wir haben somit den Wert einer solchen Strategie bestimmt.
Wir müssen somit noch zeigen, dass es eine Strategie gibt. Definieren wir Ṽt wie
oben. Dann haben wir ein quadratisch integrierbares Martingal. Also gibt es einen
Prozess θ, so dass
Z ζ
n Z ζ
o
h exp −
r(s) ds = Ṽ0 +
θt dWt∗ .
0
0
Wir setzen dann
φt =
θt
P̃ (t, T )σtT
und
φ0t = Ṽt −
θt
.
σtT
Diese Strategie ist selbstfinanzierend, Vζ (φ) = h, hat einen positiven Wert, und ist
quadratisch integrierbar. Die Integrierbarkeitsbedingungen sind erfüllt, da supt |r(t)|
beschränkt ist, und Vt und θt2 quadratisch integrierbar sind.
Bemerkung. Falls σtT > 0 für alle t < T , dann kann man zeigen, dass das Martingalmass IIP∗ eindeutig ist. Dies bedeutet, dass der Markt vollständig ist. Insbesondere
kann man jede FT -messbare quadratisch integrierbare Variable hedgen.
60
7. ZINSRATENMODELLE
7.2. Klassische Zinsratenmodelle
7.2.1.
Das Vasicek-Modell
Seien a, b, σ strikt positive Zahlen. Wir definieren {r(t)} durch die stochastische
Differentialgleichung
dr(t) = a(b − r(t)) dt + σ dWt .
Der Prozess {r(t) − b} ist somit ein Ornstein–Uhlenbeck Prozess. Wir möchten, dass
der Prozess die Form
dr(t) = a∗ (b∗ − r(t)) dt + σ ∗ dWt∗
hat, wobei W ∗ eine standard Brownsche Bewegung unter IIP∗ ist. Da dWt = dWt∗ +
qt dt, haben wir
dr(t) = [a(b − r(t)) + σqt ] dt + σ dWt∗ .
Wir schliessen, dass σ ∗ = σ und qt = αr(t) − λ. Damit erhalten wir a∗ = a + σα
und b∗ = (ab − σλ)/a∗ .
Da {r(t) − b} ein Ornstein–Uhlenbeck-Prozess ist, haben wir die Darstellung
(4.6)
Z t
−at
−at
−at
r(t) = r(0)e + b(1 − e ) + σe
eas dWs .
0
Daher ist r(t) normalverteilt mit Mittelwert IIE[r(t)] = r(0)e−at + b(1 − e−at ) und
Varianz Var[r(t)] = σ 2 (1 − e−2at )/(2a). Insbesondere hat man IIP[r(t) < 0] > 0.
Dies trifft in der Realität nicht zu, falls r(t) den Zins auf einem Bankkonto bezeichnet. Dann würde man besser alles Geld abheben und zu Hause im Tresor aufbewahren, als das Geld auf der Bank zu belassen. Es kann auch sein, dass der
Preis einer Null-Coupon-Obligation grösser als 1 ist. Auch dann wäre es besser, das
Geld zu Hause aufzubewahren, als in die Obligation zu investieren. Hat man diese
Möglichkeit im Markt (was wir hier ausschliessen), dann wäre der Markt nicht arbitragefrei. Die Möglichkeit r(t) < 0, wenn auch mit kleiner Wahrscheinlichkeit, ist
nicht wünschenswert im Modell. Eine Diskussion dieses Problems findet man in [6].
Um den Preis einer Null-Coupon-Obligation zu berechnen, müssen wir den Ausdruck
h n Z T
o i
∗
P (t, T ) = IIE exp −
r(s) ds Ft
t
RT
berechnen. Wir wollen zuerst die Verteilung von t r(s) ds berechnen. Setzen wir
der Einfachheithalber t = 0. Der deterministische Teil ist
hZ T
i Z T
1 − e−aT
.
IIE
r(s) ds =
r(0)e−as + b(1 − e−as ) ds = bT + (r(0) − b)
a
0
0
7. ZINSRATENMODELLE
61
Der stochastische Teil ist
T
Z
e
−as
s
Z
0
eav dWv ds .
0
Da r(t) stetig und pfadweise beschränkt ist, können wir die Riemannsumme
Z
n
T X −aiT /n iT /n av
e
e dWv
n i=1
0
bilden und n gegen Unendlich gehen lassen. Die einzelnen Summanden sind normalverteilt mit Mittelwert 0, und somit sind die Riemann-Summen normalverteilt mit
Mittelwert 0. Falls die Varianzen konvergieren, konvergiert auch die Verteilung der
Riemannsummen, und der Grenzwert ist eine Normalverteilung. Wir müssen also
RT
die Varianz von 0 r(s) ds berechnen. Dies ist
Var
hZ
T
T
Z
i
Z
r(s) ds =
T
Z
T
Z
Cov[r(s), r(v)] dv ds = 2
0
0
0
Cov[r(s), r(v)] dv ds .
0
Für die inneren Kovarianzen erhalten wir
Z
hZ s
au
2 −a(s+v)
e dWu ,
Cov[r(s), r(v)] = σ e
Cov
0
v
e
au
s
i
2 −a(s+v)
dWu = σ e
0
0
Z
s∧v
e2au du
0
e2a(s∧v) − 1
.
= σ 2 e−a(s+v)
2a
Also ergibt sich
Var
hZ
0
T
i
r(s) ds = σ
2
T
Z
e
0
−as
Z
0
s
eav − e−av
dv ds
a
Z
σ 2 T −as as
= 2
e (e + e−as − 2) ds
a 0
σ2
= 3 {2aT + 1 − e−2aT − 4(1 − e−aT )}
2a
σ2
= 3 (2aT + 4e−aT − e−2aT − 3) .
2a
Unter dem Mass IIP∗ müssen wir a und b durch a∗ und b∗ ersetzen. Der Preis P (0, T )
ist somit der Mittelwert einer Lognormal-Verteilung
n
hZ T
i
hZ T
io
∗
∗
1
P (0, T ) = exp 2 Var
r(s) ds − IIE
r(s) ds .
0
Da r(t) < 0 möglich ist, kann es sein, dass P (0, T ) ≥ 1.
0
62
7.2.2.
7. ZINSRATENMODELLE
Das Cox–Ingersoll–Ross-Modell
Um das Problem mit negativen Zinsraten zu umgehen, haben Cox, Ingersoll und
Ross [1] das folgende Modell vorgeschlagen
p
dr(t) = (a − br(t)) dt + σ r(t) dWt .
Da die Lipschitz-Bedingung nicht erfüllt ist, können wir nicht Satz 4.16 anwenden,
um zu zeigen, dass es eine eindeutige Lösung der stochastischen Differentialgleichung
gibt. Ein Beweis, dass es eine eindeutige Lösung der stochastischen Differentialgleichung gibt, findet man in [4, S. 221].
Wir wollen untersuchen, ob der Prozess Null erreichen kann, falls man mit einem
strikt positiven Wert startet.
Proposition 7.6. Sei r(0) = x > 0 und τy = inf{t : r(t) = y}. Dann gilt
i) Falls 2a ≥ σ 2 , dann gilt IIP[τ0 = ∞] = 1.
ii) Falls 0 ≤ 2a < σ 2 und b ≥ 0, dann gilt IIP[τ0 < ∞] = 1.
iii) Falls 0 ≤ 2a < σ 2 und b < 0, dann gilt IIP[τ0 < ∞] ∈ (0, 1).
Beweis. Sei für 0 < y < x < M < ∞, τyM = τy ∧ τM . Wir suchen nach einem
Martingal der Form {s(r(t))} für eine Funktion s(x). Aus Proposition 6.1 schliessen
wir, dass wir die Gleichung 21 σ 2 xs00 (x)+(a−bx)s0 (x) = 0 lösen müssen. Eine mögliche
Lösung ist
Z
x
2
2
y −2a/σ e2by/σ dy .
s(x) =
1
Dann gilt
2
2
s0 (x) = x−2a/σ e2bx/σ ,
2
2
s00 (x) = [2b/σ 2 − 2a/(σ 2 x)]x−2a/σ e2bx/σ .
Sei nun 0 < y < x < M . Aus der Itô-Formel schliessen wir
s(r(t ∧
τyM ))
Z
t∧τyM
− s(x) =
s0 (r(v))σ
p
r(v) dWv .
0
√
Da auf [y, M ] die Funktionen s0 (v) und v beschränkt sind, ist das stochastische
Integral ein quadratisch integrierbares Martingal. Also haben wir
IIE[{s(r(t ∧
τyM ))
2
2
− s(x)} ] = σ IIE
hZ
0
t∧τyM
i
{s0 (r(v))}2 r(v) dv .
7. ZINSRATENMODELLE
63
√
Die linke Seite ist beschränkt. Da auf [y, M ] sowohl s0 (v) als auch v von Null
wegbeschränkt sind, muss τyM < ∞ gelten. Der Stoppsatz und die Beschränktheit
von s(r(t ∧ τyM )) implizieren (t → ∞)
s(x) = IIE[s(r(τyM ))] = s(y)IIP[τyM = τy ] + s(M )IIP[τyM = τM ] .
Insbesondere haben wir
IIP[τy < τM ] =
s(M ) − s(x)
.
s(M ) − s(y)
Sei zuerst 2a ≥ σ 2 . Dann ist s(0) = −∞. Somit haben wir
s(M ) − s(x)
=0.
y→0 s(M ) − s(y)
IIP[τ0 < τM ] = lim
Also erreicht r(t) den Wert M bevor der Wert 0 erreicht wird. Lassen wir M → ∞
geht auch τM → ∞, und damit haben wir IIP[τ0 < ∞] = 0.
Ist 0 ≤ 2a < σ 2 , so ist s(0) endlich. Also erhalten wir wie oben
IIP[τ0 < τM ] =
s(M ) − s(x)
.
s(M ) − s(0)
Ist zusätzlich b ≥ 0, so haben wir s(∞) = ∞, und damit, wenn wir M gegen
unendlich gehen lassen, IIP[τ0 < ∞] = 1. Ist aber b < 0, so ist s(∞) < ∞, und
IIP[τ0 < ∞] ∈ (0, 1) folgt.
Wir möchten, dass der Prozess {r(t)} unter dem Mass IIP∗ von der gleichen Form
ist,
dr(t) = (a∗ − b∗ r(t)) dt + σ ∗
p
r(t) dWt∗ .
Mit der Brownschen Bewegung W ∗ bekommen wir
p
p
dr(t) = a − br(t) + σ r(t)qt dt + σ r(t) dWt∗ .
p
p
Also haben wir σ ∗ = σ und qt = −α r(t) + β/ r(t). Damit ist a∗ = a + βσ und
b∗ = b + ασ. Da qt nur für r(t) > 0 definiert ist, muss 2a ≥ σ 2 gelten, falls β 6= 0. Da
die Masse äquivalent sein sollen, müssen 2a ≥ σ 2 und 2a∗ ≥ σ 2 gleichzeitig gelten..
Um den Preis der Null-Coupon-Obligation und der Call-Option zu berechnen,
brauchen wir das folgende Resultat.
64
7. ZINSRATENMODELLE
Proposition 7.7. Seien λ, µ ≥ 0 und r(0) = x. Dann gilt
Z t
oi
h n
r(s) ds = exp{−aφλ,µ (t) − xψλ,µ (t)} ,
IIE exp −λr(t) − µ
0
wobei
2
2γet(γ+b)/2
,
log
σ2
σ 2 λ(eγt − 1) + γ − b + eγt (γ + b)
λ(γ + b + eγt (γ − b)) + 2µ(eγt − 1)
ψλ,µ (t) = 2 γt
σ λ(e − 1) + γ − b + eγt (γ + b)
φλ,µ (t) = −
und γ =
p
b2 + 2σ 2 µ.
Bemerkung. Seien {r1 (t)} und {r2 (t)} zwei unabhängige Cox–Ingersoll–RossModelle mit Parametern ai , b und σ, und Anfangswert xi . Die Brownschen Bewegungen bezeichnen wir mit W i . Dann erfüllt {r(t) = r1 (t) + r2 (t)}
s
s
p
p
r1 (t)
r2 (t)
dr(t) = (a1 + a2 − br(t)) dt + σ r(t)
dWt1 + σ r(t)
dWt2 .
r(t)
r(t)
Betrachten wir das Martingal W̃ , definiert als
s
s
r1 (t)
r2 (t)
dW̃t =
dWt1 +
dWt2 ,
r(t)
r(t)
W̃0 = 0 .
Der Klammer-Prozess wird
dhW̃ , W̃ it =
r (t) r (t) 2
1
+
dt = dt .
r(t)
r(t)
Man kann zeigen, dass W̃ eine standard Brownsche Bewegung ist. Somit haben wir
dr(t) = (a1 + a2 − br(t)) dt + σ
p
r(t) dW̃t
ist ein Cox–Ingersoll–Ross-Modell mit Parametern a1 + a2 , b, σ und Anfangswert
x1 + x2 . Daher muss die Laplace-Transformation aus Proposition 7.7 die behauptete
Form haben.
Beweis.
Wir wollen ein Martingal der Form
Z t
n
o
Mt = exp −µ
r(s) ds F (T − t, r(t))
0
7. ZINSRATENMODELLE
65
mit F (0, x) = e−λx konstruieren. Aus Korollar 6.2 schliessen wir, dass wir die Gleichung
−
∂ 2F
∂F
∂F
(t, x) + 12 σ 2 x 2 (t, x) + (a − bx)
(t, x) − µxF (t, x) = 0
∂t
∂x
∂x
mit der Anfangsbedingung F (0, x) = e−λx lösen sollten. Machen wir den Ansatz
F (t, x) = exp{−aφ(t) − xψ(t)}, erhalten wir das System
−ψ 0 (t) = 21 σ 2 ψ 2 (t) + bψ(t) − µ ,
φ0 (t) = ψ(t) ,
mit den Randbedingungen ψ(0) = λ und φ(0) = 0. Die erste Gleichung lässt sich
durch Separation der Variablen lösen, und wir erhalten ψλ,µ (t). Damit lässt sich die
zweite Gleichung lösen, und wir erhalten φλ,µ (t).
Da ψ(t) ≥ 0 und r(t) ≥ 0 ist, ist {Mt } beschränkt. Damit ist {Mt } gleichmässig
integrierbar; das heisst, ein Martingal. Die Behauptung folgt nun aus der Martingaleigenschaft M0 = IIE[MT ].
Setzen wir µ = 0 und damit γ = |b|, erhalten wir die Laplace-Transformierte von
r(t). Wir betrachten nur den Fall b > 0,
2a/σ2
n
o
2betb
2λbx
−λr(t)
IIE[e
]=
exp − 2 bt
σ 2 λ(ebt − 1) + 2ebt b
σ λ(e − 1) + 2ebt b
2
n
o
2a/σ
λbe−bt x
b
exp − 2
=
σ 2 λ(1 − e−bt )/2 + b
σ λ(1 − e−bt )/2 + b
o
n
1
λLζ
=
,
2 exp −
2a/σ
2λL + 1
(2λL + 1)
wobei L = σ 2 (1 − e−bt )/(4b) und ζ = 4xb/(σ 2 (ebt − 1)). Definieren wir
n
1
λζ o
gδ,ζ (λ) =
exp
−
,
(2λ + 1)δ/2
2λ + 1
so sehen wir, dass r(t)/L die Laplace-Transformierte g4a/σ2 ,ζ (λ) hat. Die Funktion
gδ,ζ (λ) ist die Laplace-Transformierte einer verallgemeinerten nicht-zentralen χ2 Verteilung mit δ Freiheitsgraden, und hat die Dichte
fδ,ζ (z) =
e−ζ/2
p
1
−z/2 −δ/4− 2
e
z
I
(
zζ) ,
δ/2−1
1
2ζ δ/4− 2
wobei Iν (z) die modifizierte Besselfunktion erster Ordnung mit Index ν ist,
Iν (z) = 1Iz>0
∞
z ν X
2
n=0
(z/2)2n
.
n!Γ(ν + n + 1)
66
7. ZINSRATENMODELLE
Die Besselfunktionen haben viele nette Eigenschaften und sind in den meisten mathematischen Programmen definiert.
Ist die Zinsrate r(t) und qt wie oben definiert, können wir nun den Preis der
Null-Coupon-Obligation berechnen. Mit a∗ und b∗ wie oben definiert erhalten wir
o i
h n Z T
∗
∗
r(s) ds Ft = exp{−a∗ φ∗0,1 (T − t) − r(t)ψ0,1
P (t, T ) = IIE exp −
(T − t)} .
t
∗
sind, mit γ ∗ =
Die Funktionen φ∗0,1 und ψ0,1
p
(b∗ )2 + 2σ 2 ,
∗
∗
2γ ∗ et(γ +b )/2
2
,
= − 2 log ∗
σ
γ − b∗ + eγ ∗ t (γ ∗ + b∗ )
∗
2(eγ t − 1)
∗
ψ0,1 (t) = ∗
.
γ − b∗ + eγ ∗ t (γ ∗ + b∗ )
φ∗0,1 (t)
Betrachten wir nun eine europäische Call-Option auf den Preis P (ζ, T ), mit ζ < T .
Für den Preis zur Zeit 0 erhalten wir
h n Z ζ
o
i
∗
C0 = IIE exp −
r(s) ds (P (ζ, T ) − K)+
0
h n Z ζ
o
i
∗
r(s) ds (exp{−aφ∗0,1 (T − ζ) − r(ζ)ψ0,1
(T − ζ)} − K)+
= IIE∗ exp −
0
h n Z ζ
o
i
∗
∗
∗
r(s) ds − aφ0,1 (T − ζ) − r(ζ)ψ0,1 (T − ζ) 1Ir(ζ)<r∗
= IIE exp −
0
h n Z ζ
o
i
∗
−KIIE exp −
r(s) ds 1Ir(ζ)<r∗ ,
0
wobei
− log K − aφ∗0,1 (T − ζ)
.
r =
∗
ψ0,1
(T − ζ)
∗
7.2.3.
Das Heath–Jarrow–Morton-Modell
Ein Problem mit den bisher betrachteten Modellen ist, dass die beobachteten Preise
P (0, t) nicht mit den theoretischen Preisen zusammenpassen. Zwar kann man die
Parameter so kalibrieren, dass die realen Preise die theoretischen Preise approximieren. Doch würde man es vorziehen, wenn das Modell die realen Preise reproduzieren
würde. Man muss aber aufpassen. Sind die momentanen Preise falsch, so werden
diese gefestigt und es entsteht eine ökonomische Blase. Beim Platzen dieser Blase
kann die Wirtschaft viel Geld verlieren.
7. ZINSRATENMODELLE
67
Ein Ansatz ist das Modell von Hull und White [3]. Das Vasicek-Modell wird
abgeändert zu
dr(t) = [a(t) − b(t)r(t)] dt + σ(t) dWt .
Statt den drei Konstanten lassen sich so drei Funktionen kalibrieren. Dies ergibt dann
genügend Freiheitsgrade, um das Modell an die beobachteten Preise anzupassen. Die
selbe Idee lässt sich mit dem Cox–Ingersoll–Ross-Modell durchführen,
p
dr(t) = [a(t) − b(t)r(t)] dt + σ(t) r(t) dWt .
Wir wollen hier aber einen anderen Ansatz verfolgen.
d
Definieren wir die Vorwärtsraten f (t, s) = − ds
log P (t, s). Dann können wir den
Preis schreiben als
n Z s
o
P (t, s) = exp −
f (t, v) dv .
t
Es ist dann natürlich, die Zinsrate als r(t) = f (t, t) zu definieren. Im VasicekModell und im Cox–Ingersoll–Ross-Modell kann man sich direkt überzeugen, dass
r(t) = f (t, t). Wir nehmen an, dass die Funktion f (t, s) in beiden Variablen stetig
ist.
Wenn nun t wächst, ändert sich P (t, s) und damit auch f (t, s). Da P (t, s) =
Rs
IIE [exp{− t r(v) dv} | Ft ] wird im Normalfall P (t, s1 ) und P (t, s2 ) sich in die
“gleiche Richtung” ändern. Die Preise P (t, s) und somit die Vorwärtsraten f (t, s)
müssen also abhängig sein. Wir modellieren deshalb
Z t
Z t
σ(f (t, s)) dWv .
(7.3)
α(v, s) dv +
f (t, s) = f (0, s) +
∗
0
0
Damit haben wir die Dynamik definiert, mit der sich die Funktionen s 7→ f (·, s)
verändern. Die Funktionen (t, s) 7→ α(t, s) und r 7→ σ(r) sollen stetig sein.
Wir wollen, dass es ein äquivalentes Mass IIP∗ gibt, unter dem wir die Preise
der Null-Coupon-Obligationen berechnen können. Die Existenz dieses Masses ist
äquivalent damit, dass wir die Dynamik der Preise P (t, s) wie in (7.2) ausdrücken
Rs
können. Sei s fest und Xt = − t f (t, v) dv. Dann gilt P (t, s) = exp Xt .
Hilfssatz 7.8. Es gilt
Z sZ v
Z sZ s
σ(f (w, v)) dWw dv =
σ(f (w, v)) dv dWw .
t
t
t
w
68
7. ZINSRATENMODELLE
Bemerkung. Das Resultat entspricht dem Satz von Fubini. Wäre die Zeit t die
obere Integrationgrenze, wäre der Satz von Fubini falsch. In der Tat, der Prozess
RtRt
RtRs
g(v, s) ds dWv
g(v,
s)
dW
ds
ist
von
beschränkter
Variation,
wogegen
v
0 v
0 0
unbeschränkte Variation hat.
Weiter, da in einem stochastischen Integral der Integrand adaptiert sein muss,
RsRs
würde ein doppeltes stochastisches Integral 0 v H(v, t) dWt dWv keinen Sinn machen.
Beweis. Sei τn = inf{t ≥ 0 : max{supt≤v≤s f (t, v) > n}. Wir haben dann
hZ s Z v
2 i
IIE
σ(f (w, v)) dWw dv
τn ∧t τn ∧t
Z z
Z s Z s hZ u
i
σ(f (w, u)) dWw
σ(f (v, z)) dWv 1Iτn ∧t<z∧u dz du
IIE
=
τ ∧t
τn ∧t
0
0
Z s Z s hZ nu∧z
i
σ(f (w, u))σ(f (w, z)) dw1Iτn ∧t<z∧u dz du
IIE
=
τn ∧t
0
0
hZ s Z s Z u∧z
i
= IIE
σ(f (w, u))σ(f (w, z)) dw dz du
τn ∧t τn ∧t τn ∧t
hZ s Z s Z s
i
= IIE
σ(f (w, u))σ(f (w, z)) dz du dw
τn ∧t w
w
h Z s Z s
2
i
= IIE
σ(f (w, u)) du dw .
τn ∧t
Weiter gilt
hZ
IIE
s
Z
w
s
σ(f (w, v)) dv dWw
τn ∧t
2 i
= IIE
s
hZ
Z
τn ∧t
w
s
σ(f (w, v)) dv
2
i
dw .
w
Und
IIE
hZ
s
Z
u
Z
s
Z
s
i
σ(f (z, v)) dv dWz
σ(f (w, u)) dWw du
τn ∧t z
Z s Z s
hZ u
i
=
IIE
σ(f (w, u)) dWw
σ(f (z, v)) dv dWz 1Iu>τn ∧t du
0
τn ∧t
τn ∧t z
Z s hZ u
Z s
i
=
IIE
σ(f (w, u))
σ(f (w, v)) dv dw1Iu>τn ∧t du
0
τn ∧t
w
Z s
hZ s Z s
i
σ(f (w, u)) du
σ(f (w, v)) dv dw
= IIE
τn ∧t w
w
h Z s Z s
2
i
= IIE
σ(f (w, u)) du dw .
τn ∧t
Zτns∧t
τn ∧t
w
Zusammengefasst
Z
hZ s Z v
IIE
σ(f (w, v)) dWw dv −
τn ∧t
τn ∧t
s
τn ∧t
Z
s
σ(f (w, v)) dv dWw
w
2 i
=0.
7. ZINSRATENMODELLE
69
Also gilt
Z
s
Z
v
Z
s
Z
s
σ(f (w, v)) dWw dv =
τn ∧t
σ(f (w, v)) dv dWw ,
τn ∧t
τn ∧t
w
und lässt man n → ∞,
Z sZ s
Z sZ v
σ(f (w, v)) dWw dv =
σ(f (w, v)) dv dWw .
t
t
t
w
Insbesondere gilt die Behauptung für alle t ∈ Q ∧ [0, s], und da die Prozesse stetig
sind, für alle t ∈ [0, s].
Somit haben wir
Z s
(−f (v, v) + f (v, v) − f (t, v)) dv
Xt =
t
Z s
Z sZ v
Z sZ v
=−
f (v, v) dv +
α(w, v) dw dv +
σ(f (w, v)) dWw dv
t
t
t
t
t
Z s
Z sZ s
Z sZ s
=−
f (v, v) dv +
α(w, v) dv dw +
σ(f (w, v)) dv dWw
t
t
w
t
w
Z t
Z tZ s
Z tZ s
= X0 +
f (v, v) dv −
α(w, v) dv dw −
σ(f (w, v)) dv dWw .
0
0
w
0
w
Wir haben also das stochastische Differential
Z s
Z s
dXt = f (t, t) −
α(t, v) dv dt −
σ(f (t, v)) dv dWt .
t
t
Aus der Itô-Formel erhalten wir
Z s
nZ s
o2 1
α(t, v) dv + 2
σ(f (t, v)) dv
P (t, s) dt
dP (t, s) = f (t, t) −
t
t
Z s
−
σ(f (t, v)) dv P (t, s) dWt .
t
Aus (7.2) und r(t) = f (t, t) schliessen wir
Z s
s
σt = −
σ(f (t, v)) dv
t
und
σts qt
Z
s
α(t, v) dv −
=
t
Also haben wir
Z s
α(t, v) dv =
t
1
2
nZ
t
1
2
nZ
s
σ(f (t, v)) dv
o2
.
t
s
σ(f (t, v)) dv
o2
Z
− qt
s
σ(f (t, v)) dv .
t
70
7. ZINSRATENMODELLE
Differenzieren wir nach s, erhalten wir
Z s
σ(f (t, v)) dv − qt σ(f (t, s)) .
α(t, s) = σ(f (t, s))
t
Setzen wir dies in die Definition (7.3) ein, erhalten wir
Z s
σ(f (t, v)) dv dt + σ(f (t, s)) dWt∗ .
df (t, s) = σ(f (t, s))
(7.4)
t
Das folgende Resultat wurde in [2] bewiesen.
Satz 7.9. Sei σ(x) Lipschitz-stetig und beschränkt. Für jede stetige Funktion φ :
[0, T ] → IR+ gibt es einen eindeutigen stetigen Prozess f (t, s), 0 ≤ t ≤ s ≤ T , so
dass für alle s der Prozess t 7→ f (t, s), 0 ≤ t ≤ s, adaptiert ist, die Gleichung (7.4)
und die Randbedingung f (0, s) = φ(s) erfüllt.
Es ist in [2] gezeigt, dass es für die Funktion σ(x) = x keine eindeutige Lösung gibt.
Daher kann man die Beschränktheit der Volatilität nicht weglassen.
Das Interessante an diesem Modell ist, dass es, wie im Black–Scholes-Modell,
nur nötig ist, die Funktion σ(x) zu bestimmen. Der Drift-Prozess α(t, s) hat auf die
Festsetzung der Preise keinen Einfluss.
7.3. Obligationen mit Kreditrisiko
In der Realität sind Option mit einem Kreditrisiko behaftet. Es ist somit nicht
sicher, dass die Schuld zum Auslaufzeitpunkt wirklich zurückbezahlt wird. Ist τ
der Zeitpunkt, an dem die Insolvenz eintritt, wird der Preis einer Null-CouponObligation
i
h n Z s
o
∗
P (t, s) = IIE exp −
r(u) du 1Iτ >s Ft .
t
Dies ist natürlich kleiner als der Preis der risikolosen Obligation. Der Preisunterschied ist der Preis für das Kreditrisiko.
Eine Möglichkeit, Kreditrisiko zu modellieren sind die Intensitätsmodelle. Man
nimmt an, dass die Verteilung von τ die folgende Form hat
o i
h n Z s
∗
∗
IIP [τ > s | Ft ] = 1Iτ >t IIE exp −
λ(X v ) dv Ft ,
t
wobei λ(x) eine positive Funktion ist, und {X t } ein stochastischer Prozess. Zum
Beispiel kann eine Koordinate von X die Zinsintensität r(t) sein. Oder eine Koordinate kann ausdrücken, wie die Firma durch eine Rating-Agentur beurteilt wurde.
7. ZINSRATENMODELLE
71
Nehmen wir an, dass X und r bekannt sind und betrachten der Einfachheit halber
den Zeitpunkt t = 0. Der Preis der Null-Coupon-Obligation wird dann
o
n Z s
o
n Z s
∗
r(v) dv = exp −
(λ(X v ) + r(v)) dv .
IIP [τ > s | X, r] exp −
0
0
Somit wird der Preis der Null-Coupon-Obligation
o i
h n Z s
∗
(λ(X v ) + r(v)) dv Ft .
P (t, s) = IIE exp −
t
Eine andere Möglichkeit zur Modellierung sind Strukturmodelle. Ein beliebtes Modell ist das Merton-Modell. Nehmen wir an, der Wert einer Firma wird als geometrische Brownsche Bewegung modelliert
Vt = V0 exp{σWt + (µ − 21 σ 2 )t} .
Die risikolose Zinsintensität ist r. Die Firma wird insolvent, wenn Vt < K. Das
bedeutet, dass die Aktionäre die Firma liquidieren, falls Ihr Wert unter K sinkt.
Dann wird der Preis der Null-Coupon-Obligation
P (t, s) = IIE∗ [e−r(s−t) 1Iinf{Vu :t<u≤s}≥K | Ft ]
= e−r(s−t) IIP∗ [inf{σ W̃u + (µ − 21 σ 2 )u : 0 ≤ u ≤ s − t} ≥ log K/Vt | Vt ] ,
wobei W̃ eine unabhängige Brownsche Bewegung ist. Die letzte Formel gilt natürlich
nur auf der Menge {Vt > K}, da sonst die Obligation schon wertlos geworden ist. Der
Prozess {Vt } sollte auch gleichviel Wert sein, wie die Summe aller Aktien. Das heisst,
dass Vt ein Vielfaches des Aktienkurses ist. Somit muss unter dem Martingalmass
σWt + (µ − 12 σ 2 )t = σWt∗ + (r − 21 σ 2 )t
gelten. Man braucht also bloss die Ruinwahrscheinlichkeit einer Brownschen Bewegung mit Drift zu kennen.
Tritt Insolvenz zum Zeitpunkt τ ein, und sind B Obligationen ausstehend, dann
wird der Wert der Obligationen Be−r(s−τ ) sein. Wir nehmen an, dass e−r(s−τ ) B > K.
Dann bekommen die Obligationshalter den Betrag K/B ausbezahlt. In diesem Fall
wird die Formel komplizierter
P (t, s) = IIE∗ [e−r((τ ∧s)−t) min{Vτ ∧s /B, 1} | Ft ] .
Als Verallgemeinerung kann man die Grenze K zeitabhängig wählen, das heisst,
τ = inf{t : Vt < Kt }. In diesem Fall wird die Berechnung von P (t, s) komliziert,
ausser man man wählt Kt = K0 eδt für ein δ ∈ IR. Wir machen hier die Berechnung
nicht explizit.
72
7. ZINSRATENMODELLE
7.4. Zinsswaps
Ein Zinsswap ist eine Abmachung, bei der die Zinsen von zwei unterschiedlichen
Schuldverschreibungen ausgetauscht werden, ohne dass die entsprechenden Schuldverschreibungen ausgetauscht werden. Normalerweise werden ein fester und ein variabler Zinssatz ausgetauscht. Die Swaps können auf zwei Arten verwendet werden:
Falls man Schulden hat, kann man den Zins, den man zahlen muss austauschen.
Falls man ein Darlehen gewährt hat, kann man den Zins, den man erhält, umwandeln. Zum Beispiel, eine Lebensversicherung hat Ihren Kunden einen festen Zinssatz
versprochen. Nun gewährt die Lebensversicherung eine Hypothek zu einem variablen Zinssatz. Um sich gegen eine Zinssenkung abzusichern, geht die Lebensversicherung einen Swap-Kontrakt ein. Die Lebensversicherung zahlt der Gegenpartei
einen variablen Zins, erhält im Gegenzug von der Gegenpartei eine festen Zins. Die
zugrundeliegende Hypothek bleibt aber im Besitz der Lebensversicherung.
Der variable Zinssatz wird oft durch die LIBOR (London Interbank Offered Rate) oder durch die EURIBOR (EURopean Interbank Offered Rate) bestimmt. Diese
Zinssätze basieren auf relativ kurzfristigen Darlehen zwischen Banken, und sind gut
beobachtbar. Wie aber die Erfahrung zeigt, können Bankangestellte die Zinssätze
einfach manipulieren. In vielen Fällen werden die Zinsen des festen Zinssatzes einmal pro Jahr ausgerichtet, die Zinsen der variablen Zinssatzes werden halbjährlich
bezahlt. Die zu bezahlenden Zinsen sind dann jeweils ein halbes Jahr im voraus
bekannt. Das heisst, zu Beginn des Halbjahres werden die Zinsen, die am Ende des
Halbjahres fällig werden, festgelegt.
Seien 0 < t1 < · · · < tn = T die Zeiten, an denen Zinsen fällig werden, und
t0 = 0. Nehmen wir an, dass ein Mass IIP∗ existiert, unter dem die Preise bestimmt
werden. Die risikolose Zinsrate wird mit r(t) bezeichnet, und wir nehmen an, dass
kein Kreditrisiko vorhanden ist. Zum Zeitpunkt tk−1 wird nun die Zahlung festgelegt,
die zum Zeitpunkt tk erfolgen wird. Im Zeitpunkt tk wird also die Zahlung Vk erfolgen. Nehmen wir für den Moment an, dass die Schuld zum Zeitpunkt tk beglichen
wird. Die Schuld im Zeitpunkt tk−1 ist 1. Also muss gelten
h n Z tk
o
i
∗
1 = (1 + Vk )IIE exp −
r(v) dv Ftk−1 = (1 + Vk )P (tk−1 , tk ) .
tk−1
Wir erhalten also
Vk = (P (tk−1 , tk ))−1 − 1 .
7. ZINSRATENMODELLE
73
Der Wert dieser Zahlung zum Zeitpunkt 0 ist dann
o i
h n Z tk
∗
r(v) dv Vk
IIE exp −
0
oi
o
i
h n Z tk
h n Z tk
∗
∗
r(v) dv
r(v) dv (1 + Vk ) − IIE exp −
= IIE exp −
0
0
oi
oi
h n Z tk
h n Z tk−1
∗
∗
r(v) dv
r(v) dv − IIE exp −
= IIE exp −
0
0
= P (0, tk−1 ) − P (0, tk ) .
Der Wert der variablen Zinszahlungen ist also 1 − P (0, T ). Rechnen wir die (nicht
zu bezahlende) Schuld dazu, wird der Wert also 1.
Für die festen Zinszahlungen mit Zins r erhalten wir die Formel
n
X
k=1
h
n Z
IIE r exp −
∗
tk
r(v) dv
oi
=r
0
n
X
P (0, tk ) ,
k=1
wobei wir annehmen, dass tk = kT /n. Der faire Zinssatz wird somit
1 − P (0, T )
r = Pn
.
k=1 P (0, tk )
Der Wert des Zinsswaps zum Zeitpunkt 0 ist dann also, betrachtet vom Empfänger
des festen Zinses,
r
n
X
k=1
P (0, tk ) − 1 + P (0, T ) = (1 + r)P (0, T ) + r
n−1
X
P (0, tk ) − 1 ,
k=1
wobei tk die Zeitpunkte der festen Zinszahlungen bezeichnet.
Man kann auch Optionen auf Swaps kaufen, sogenannte Swaptions. Bei einem
Call-Swaption hat der Käufer das Recht, aber nicht die Verpflichtung, zum Zeitpunkt t einen Swap-Kontrakt als Festratenempfänger einzugehen. Der Stillhalter
verpflichtet sich bei einem Call-Swaption die feste Rate zu bezahlen, und im Gegenzug die variable Rate zu empfangen. Bei einem Put-Swaption hat der Käufer
das Recht, aber nicht die Verflichtung einen Swap als Empfänger der variablen Rate
einzugehen. In beiden Fällen kann man die Festzinsrate als Strike-Preis betrachten.
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