www.ssoar.info Das Medienklima - Relevanz und Logik der Medienberichterstattung über den anthropogenen Klimawandel Schäfer, Mike S.; Neverla, Irene Veröffentlichungsversion / Published Version Zeitschriftenartikel / journal article Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Schäfer, Mike S. ; Neverla, Irene: Das Medienklima - Relevanz und Logik der Medienberichterstattung über den anthropogenen Klimawandel. In: Mitteilungen DMG / Deutsche Meteorologischen Gesellschaft (2010), 3, pp. 9-12. URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-396184 Nutzungsbedingungen: Dieser Text wird unter einer CC BY-NC-ND Lizenz (Namensnennung-Nicht-kommerziell-Keine Bearbeitung) zur Verfügung gestellt. Nähere Auskünfte zu den CC-Lizenzen finden Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de Terms of use: This document is made available under a CC BY-NC-ND Licence (Attribution-Non Comercial-NoDerivatives). For more Information see: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/ focus 9 Das Medienklima – Relevanz und Logik der Medienberichterstattung über den anthropogenen Klimawandel Irene Neverla und Mike S. Schäfer Innerhalb der Naturwissenschaften geht man heute weitgehend konsensuell von der Existenz eines vornehmlich anthropogen indizierten Klimawandels aus: In den vergangenen Jahrzehnten wurde eine deutliche Erhöhung der mittleren globalen Luft- und Meerestemperaturen festgestellt, die sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschleunigt hat. Der größte Teil dieser Erwärmung ist sehr wahrscheinlich durch die angestiegenen anthropogenen Treibhausgasemissionen, mithin durch menschliche Einflüsse verursacht (vgl. z. B. IPCC, 2007). Zudem scheint klar, dass diese Klimaveränderungen mittel- und langfristig dramatische Folgen haben werden. Es dürfte zu einer fundamentalen Umgestaltung natürlicher Lebensräume, zu einer Umverteilung basaler Ressourcen wie Wasser und, auch durch regionale Geohazards, zu neuen Herausforderungen und Bedrohungen für menschliches Zusammenleben kommen (vgl. WBGU, 2008). All dem lässt sich, wenn überhaupt, nur unter Schwierigkeiten und hohen Kosten begegnen (vgl. Stern, 2007). Die gesellschaftliche Wahrnehmung des Klimawandels weicht jedoch zum Teil deutlich von diesem wissenschaftlichen Konsens ab (vgl. Weber, 2008). Dies hat mehrere Gründe: Erstens ist das Klima nicht direkt wahrnehmbar. Es handelt sich schließlich nicht um das sinnlich erfahrbare Wetter, sondern um Mittelwerte meteorologischer Abb. 1: Deutschland 1996-2010: Zahl der monatlich veröffentlichten Artikel zum Thema Klimawandel in der auflagenstärksten deutschen Qualitätstageszeitung, der „Süddeutschen Zeitung“ (erstellt mit Daten des Projekts „Global Media Map of Climate Change“ der Nachwuchsforschungsgruppe „Media Constructions of Climate Change“ am KlimaCampus der Universität Hamburg). Phänomene, die der wissenschaftlichen Rekonstruktion und Beschreibung bedürfen. Zweitens sind diese Beschreibungen hochkomplex. Dies liegt unter anderem daran, dass an der Modellierung des Klimawandels und seiner Folgen viele wissenschaftliche Disziplinen mit unterschiedlichen Modi der Erkenntnisproduktion beteiligt sind und daran, dass die in Klimamodellen verwendeten Einflussfaktoren in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen haben (vgl. Heffernan, 2010). Drittens wird der Klimawandel vornehmlich als globales und langfristiges Phänomen und damit auf derart großen raum-zeitlichen Skalen beschrieben, dass sie für die meisten Laien weitab von ihrer direkten Lebenswelt und jenseits ihres biographischen Zeithorizonts liegen. All dies führt – viertens – dazu, dass das Wissen vieler Menschen über den Klimawandel kaum durch Erfahrungen aus erster Hand genährt werden kann. Vielmehr beruht es im Wesentlichen auf Wissen, das kommunikativ entsteht – und dabei spielen die Massenmedien eine entscheidende Rolle. Bevölkerungsrepräsentative Umfrageuntersuchungen demonstrieren, dass die meisten Menschen, wenn sie sich über Klimaveränderungen informieren wollen, eher auf Medieninformationen zurück greifen als auf Gespräche mit Familie, Freunden usw. (Heinrichs, Grunenberg, 2009, 122, Whitmarsh, 2005, 128; Wippermann, Calmbach, Kleinhückelkotten, 2008, 48 ff.) und dass sie bei diesem Thema Medieninformationen auch verlässlicher finden (Stamm, Clark, Eblacas, 2000, 230; Synovate, 2010). Entsprechend prägend ist für die öffentliche Auseinandersetzung – außerhalb der Wissenschaft – die Medienberichterstattung. Dabei ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass Medien die wissenschaftlichen Beschreibungen des Klimawandels nicht einfach nachzeichnen. Sie folgen stattdessen eigenen Regeln, mittels derer sie Themen bearbeiten, Aufmerksamkeit generieren und letztlich eine spezifisch mediale Konstruktion der Wirklichkeit erzeugen. Diese medial erzeugte Wirklichkeitsbeschreibung geht teilweise mit der wissenschaftlichen Beschreibung des Klimawandels konform, weicht aber mitunter auch davon ab. Ein erster Befund, der sich der vorliegenden kommunikationswissenschaftlichen Literatur entnehmen lässt, ist, dass die Berichterstattung über das Thema Klimawandel in den letzten Jahrzehnten weltweit zugenommen hat. Das Thema hat also in den Medien – wie in der Wissenschaft – zunehmend Beachtung gefunden, wobei sich Aufmerksamkeitsgipfel Mitte der 1980er Jahre und zwischen 2006 und 2007 Mitteilungen 03/2010 focus 10 Abb. 2: USA 1969-2005: Artikel/Jahr in der „New York Times“ (Liu, X.S./Vedlitz, A./Alston, L. 2008: 383). Abb. 4: Japan 1998-2007: Artikel/Monat (und Halbjahresmittelwert) in den Tageszeitungen „Yomiuri“, „Asahi“ und „Mainichi“ (erstellt auf der Basis von Sampei, Y./Aoyagi-Usui, M. 2009: 205). Abb. 3: Großbritannien 1985-2003: Artikel/Jahr in „Guardian“, „Independent“ und „Times“ (Carvalho, A./Burgess, J. 2005: 1462) . zeigten. Dies ist mehrfach für Länder in Nordwesteuropa, Nordamerika sowie Australien – mithin für hochentwickelte Industrieländer – gezeigt worden (s. Diagramme). Für Entwicklungs- und Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien liegen weniger belastbare Daten vor. Die vorhandenen Indizien weisen jedoch in eine ähnliche Richtung (z. B. Billett, 2010; Boykoff, 2010), wobei der Anstieg der Berichterstattung in diesen Ländern erst in den 2000er Jahren erfolgte. Allerdings verläuft diese Zunahme der Berichterstattung nicht linear. Medienberichterstattung über jegliche Themen verläuft in mehr oder minder ausgeprägten Zyklen. Phasen intensiver Aufmerksamkeit folgen oftmals Phasen, in denen Themen wenig Beachtung finden und das mediale Interesse gesättigt ist. Aufmerksamkeitsphasen machen sich dabei oftmals an konkreten Ereignissen fest. Im Fall des Klimawandels sind es einerseits bekannte, routinisierte Ereignisse wie die regelmäßige Vorstellung der Sachstandsberichte des IPCC oder die „Conferences of the Parties“ (wie zuletzt COP 15 in Kopenhagen), die mediale Berichterstattung auslösen (vgl. Diagramme). Denn diese Ereignisse haben – etwa durch die Beteiligung prominenter wissenschaftlicher und politischer Akteure und durch ihre potenziell weitreichenden Folgen – einen hohen Nachrichtenwert und sind damit hochgradig berichtenswert. Mitteilungen 03/2010 Abb. 5: Indien 2004-2009: Artikel/Monat in den Zeitungen „Indian Express“, „Hindu“, „Hindustan Times“ und „Times of India“ (Boykoff, M. 2010: 22). Andererseits verknüpfen Medien – ob zu Recht oder nicht – globale Klimaveränderungen häufig mit regionalen Extremereignissen. Sie führen regionale Extremereignisse wie Stürme, Hitzewellen, Überschwemmungen, Flutkatastrophen o. ä. nicht selten auf den Klimawandel zurück. Deutlich war dies etwa nach dem Tsunami im Indischen Ozean oder dem Hurricane Katrina zu beobachten. „Are we making hurricanes worse? The Impact of Global Warming“ titelte im Oktober 2005 das US-Magazine „Times“ (s. Abbildung) und spekulierte in der Titelgeschichte über Zusammenhänge zwischen dem Sturm und dem globalen Klimawandel. Zudem spitzen Medien in der Berichterstattung häufig zu: Sie dramatisieren die möglichen Folgen des Klimawandels – etwa, wenn „Der Spiegel“ auf der Titelseite unter der Überschrift „Die Klimakatastrophe“ den Kölner Dom im Meer versinken lässt (s. Abb. 6). Zudem kann die journalistische Norm, bei Konflikten stets beide Seiten zu Wort kommen zu lassen, dazu führen, dass in der Berichterstattung über den Klimawandel dem wissenschaftlichen Mainstream einige we- focus 11 Abb. 6: von links: Time 3. Oktober 2005, Der Spiegel 33/1986, Focus 2/2010. nige Skeptiker als gleichberechtigt gegenüber gestellt werden – so geschehen beispielsweise in der „Focus“Titelstory „Fällt die Klimakatastrophe aus?“ Anfang 2010 (s. Abb. 6). Aber Medien weisen zum Teil auch auf mögliche Fehlentwicklungen hin und können notwendige gesellschaftliche Diskussionen herstellen. Dies war etwa erkennbar, als ‚ClimateGate’ öffentlich wurde. Die Kontroversen und Konkurrenzbeziehungen zwischen Klimaforschern, aber auch Fehler, die im IPCC-Report Eingang gefunden hatten, boten den Medien perfekten Stoff für zugespitzte Dramatik und Skandalisierung. Nicht zuletzt zeichnen Medien national ‚domestizierte’ Bilder von Klimaentwicklungen. Die Berichterstattung folgt den national-kulturellen Interessen, wie sie auch in der nationalen Politik erkennbar sind: So wird beispielsweise die Klimadebatte in Ländern wie Indien oder Bangladesh als postkolonialer Diskurs geführt (Billett, 2010; Dove, Khan, 1995). In den reichen Industrieländern reicht das Spektrum der Medienberichterstattung von eher technokratischen Sichtweisen wie etwa in den Niederlanden (Bollen, 2009) bis zu moral-ökologischen Positionen wie in Schweden (Berglez, Hoijer, Olausson, 2007). Im Kontrast zu Deutschland und anderen nordwesteuropäischen Ländern, wo die Medien einen gewissen ‚Alarmismus’ in der Klimaberichterstattung pflegen, gerät die Debatte über Klimawandel und Klimapolitik in einem Land wie Australien – eines der weltweit führenden Kohleexportländer – zu einer Art Kulturkampf, in dem konservative ‚Thinktanks’ mit ihrer Klimawandelskepsis in der führenden Murdoch-Presse den Ton angeben (Chubb, Nash, 2009). Mediale Beschreibungen des Klimawandels weichen also teilweise vom wissenschaftlichen Sachstand ab. Dies hat in der Vergangenheit zu Medienkritik aus der Wissenschaft geführt (vgl. Post, 2009). Mediale Darstellungen vom Klimawandel sind jedoch nicht falsch, sie bilden vielmehr auf Grund der Medienlogik andere Facetten ab. Und immerhin gelingt es den Medien, die gesellschaftliche Aufmerksamkeit auf das Thema zu fokussieren, insoweit sind mediale Beschreibungen im Vergleich zur Wissenschaft vielleicht wirkungsvoller. Eine eingehende Analyse medialer Klimaberichterstattung und ihrer Kontextbedingungen ist daher ange- zeigt, auch, weil Fragen wie die nach den konkreten Wirkungen dieser Mediendarstellungen noch weitgehend offen sind. Diese Themen und Fragen werden daher im Fokus sozialwissenschaftlicher Forschung bleiben – nicht zuletzt im Rahmen einer neuen Arbeitsgruppe am Hamburger KlimaCampus. Kommunikationswissenschaft am Hamburger KlimaCampus Für die öffentliche Wahrnehmung des Klimawandels spielen Massenmedien eine zentrale Rolle: Im Rahmen des Hamburger Exzellenzclusters „CliSAP“ analysieren daher Kommunikationswissenschaftler die Medienberichterstattung über Klimaveränderungen und deren Folgen. Im Mittelpunkt steht dabei • wie Wissenschaftler, Unternehmen und andere Akteure versuchen, durch Öffentlichkeitsarbeit ihre Problemsicht in den Medien und der Öffentlichkeit durchzusetzen (Agenda Building), • wie Medien den Klimawandel darstellen, wie sie regionale Ereignisse dazu in Beziehung setzen und wie sich diese Darstellung von Land zu Land unterscheidet (Mediendarstellung), • wie Mediennutzer die Darstellungen des Klimawandels wahrnehmen bzw. bewerten und wie dies ihre Einstellungen und Handlungen beeinflusst (Rezeption und Wirkung). Weitere Informationen zur Arbeit der kommunikationswissenschaftlichen Forschungsgruppen und zu deren konkreten Projekten finden sich unter www.klimacampus.de/media.html. Literatur Berglez, P., Hoijer, B., Olausson, U., 2009: Individualization and Nationalization of the Climate Issue. Two Ideological Horizons in Swedish News Media. – In: Boyce, T., Lewis, J. (Eds.): Climate Change and the Media. New York, Peter Lang, 211–225. Billett, S., 2010: Dividing climate change: global warming in the Indian mass media, Climatic Change 99, 1–16. Bollen, N., 2009: Dutch Media Coverage on Climate Change: Portrayal of the Deltaplan 2008 in three newspapers. – Unveröffentlichte Masterarbeit. Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft, Universität Haburg. Mitteilungen 03/2010 focus 12 Boykoff, M., 2010: Indian media representations of climate change in a threatened journalistic ecosystem. – Climatic Change 99, 17–25. Carvalho, A., Burgess, J., 2005: Cultural circuits of climate change in UK broadsheet newspapers, 1985–2003. – Risk Analysis 25, 1457–1469. Chubb, P., Nash, C., 2009: Rupert Murdoch and Climate Change Reporting. Vortrag auf der „Global Dialogue Conference“, Aarhus (Dänemark). Dove, M., Khan, M.H., 1995: Competing Constructions of Calamity: The April 1991 Bangladesh Cyclone. – Population and Environment 16, 445–471. Heffernan, O., 2010: Earth science: The climate machine, Nature, 1014–1016. Heinrichs, H., Grunenberg, H., 2009: Klimawandel und Gesellschaft: Perspektive Adaptionskommunikation. – Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften. IPCC, 2007: IPCC Fourth Assessment Report: Climate Change 2007. Geneva: IPCC – Intergovernmental Panel on Climate Change. Liu, X.S., Vedlitz, A., Alston, L., 2008: Regional news portrayals of global warming and climate change. – Environmental Science & Policy 11, 379-393. Post, S., 2009: Klimakatastrophe oder Katastrophenklima? Die Berichterstattung über den Klimawandel aus Sicht der Klimaforscher. – Baden-Baden, Nomos. Sampei, Y., Aoyagi-Usui, M., 2009: Mass-media coverage, its influence on public awareness of climate-change is- sues, and implications for Japan's national campaign to reduce greenhouse gas emissions. – Global Environmental Change 19, 203-212. Stamm, K.R., Clark, F., Eblacas, P.R., 2000: Mass communication and public understanding of environmental problems: The case of global warming. – Public Understanding of Science 9, 219–237. Stern, N., 2007: The Economics of Climate Change. The Stern Review. – Cambridge: Cambridge University Press. Synovate, 2010: Climate Change Global Study 2010. – Deutsche Welle Global Media Forum, Bonn. WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen, 2008: Welt im Wandel: Sicherheitsrisiko Klimawandel. – Berlin, Heidelberg & New York, Springer. Weber, M., 2008: Alltagsbilder des Klimawandels. Zum Klimabewusstsein in Deutschland. – Wiesbaden, Westdeutscher Verlag. Whitmarsh, L. E., 2005: A Study of Public Understanding of and Response to Climate Change in the South of England, – University of Bath. Wippermann, C., Calmbach, M., Kleinhückelkotten, S., 2008: Repräsentativumfrage zum Umweltbewusstsein und Umweltverhalten im Jahr 2008. – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU), Berlin. Übersichtsgrafiken zur deutschen Klimaforschungslandschaft veröffentlicht DWD Der Deutsche Wetterdienst bietet seit kurzem Übersichtsgrafiken zur deutschen Klimaforschungslandschaft zum Download im Internet (www.dwd.de/klimawandel → Klimaforschung in Deutschland) an. Sie stehen – bei Quellenangabe – zur freien Verfügung und werden permanent aktualisiert. Ergänzungs- und Änderungswünsche sind daher stets willkommen und sollten an [email protected] (Betreff: „Deutsche Klimaforschung“) geschickt werden. Mitteilungen 03/2010