Ergebnisse einer klinischen Studie (Phase IIa): Minocyclin bei akuter Rückenmarksverletzung Verkehrsunfälle oder Stürze sind die häufigsten Ursachen für eine Rückenmarksverletzung. Durch die akute Gewalteinwirkung kommt es zur Gewebezerstörung mit Einblutung und Nervenzell- und Nervenfaserzerstörung. Zusätzlich werden im Rückenmarksgewebe reaktiv über Stunden und Tage aus den zugrunde gehenden Zellen und den einwandernden Immunzellen Stoffe freigesetzt, die toxisch für Nervenzellen sind und schädigend auf das umliegende Gewebe wirken, so dass das Ausmaß der Gewebezerstörung vergrößert wird (sogenannte Sekundärschädigung). Daraus folgt eine größere werdende funktionelle Schädigung und eine schwierigere Rehabilitation. Das Rückenmark kann in einem gewissen Ausmaß Schäden kompensieren, d.h. nicht 100% Nervenzellen und Nervenfasern werden für die Kontrolle der Arm oder Beinbewegungen benötigt. Rehabilitation macht sich u.a. diese Tatsache zunutze. Infolge der Sekundärschädigung sterben aber auch Nervenzellen in weiterer Entfernung von der eigentlichen Verletzung ab, womit weitere Bewegungsfunktionen beeinträchtigt oder zunichte gemacht werden. Diese Sekundärschädigung kann somit auch das Ausmaß neuropathischer Schmerzen oder sich entwickelnder Spastizität beeinflussen. Eine neuroprotektive Therapie, die die Auswirkungen der Sekundärschädigung auf das Gewebe verhindert, kann somit einen Gewinn an Funktionen und Lebensqualität für den Querschnittpatienten bringen. Abb 1 und 2: Schematisiertes Konzept der neuroprotektiven Wirkung von Minocyclin. Minocyclin hat in präklinischen Studien einen neuroprotektiven Effekt, Verringerung des Gewebeschadens, gezeigt Zahlreiche präklinische Studien haben einen neuroprotektiven Effekt - Verringerung des Gewebeschadens - des Wirkstoffes „Minocyclin“ gezeigt (Wells et al., 2003). Aus dem Erhalt von Gewebestrukturen mit mehr überlebenden Nervenzellen und Oligodendrozyten (myelinbildenden Zellen) resultieren verbesserten motorischen Funktionen. Zwei weitere Gründe machen Minocyclin interessant: das Zeitfenster für eine wirksame Behandlung ist gegenüber den bisher bekannten neuroprotektiven Substanzen länger geöffnet und macht somit den klinischen Einsatz realistischer, da immer eine Zeitspanne (bis ca. 12h) zwischen Verletzung, Erstversorgung und klinischer Versorgung vergeht Minocyclin ist ein bereits zugelassenes Medikament mit wenigen gut bekannten Nebenwirkungen, es wird z.B. als Antibiotikum in der Aknebehandlung eingesetzt. Auf dieser Basis präklinischer Ergebnisse startete die Universität Calgary 2004 eine klinische Studie mit „Minocyclin“ bei akuten rückenmarksverletzten Patienten. In die Studie wurden Patienten mit einer akuten Rückenmarkverletzung höher als TH11 (die auch den weiteren Einschlusskriterien entsprachen) aufgenommen und wurden 7 Tage intravenös mit Minocyclin behandelt. Um Unterschiede in der Gabe als auch in der klinischen Beobachtung zu minimieren wurde die Studie in einem einzigen Zentrum als placebokontrollierte Doppelblindstudie durchgeführt. Die Studie war als Phase IIa Studie angelegt, die sowohl die Machbarkeit als auch Sicherheit des Medikaments in der entsprechenden Dosierung. Als sekundäre Endpunkt wurden erste Hinweise auf eine Wirksamkeit geprüft. 27 Patienten erhielten intravenös Minocyclin und wurden verglichen mit einer Kontrollgruppe von 25 Patienten, die ein Placebomedikament erhielten. Sowohl Patienten als auch die behandelnden Ärzte waren für die Medikation verblindet, d.h. sie wussten nicht welcher Gruppe der Patient angehörte. Die Wirkung wurde über das Ausmaß der funktionellen Erholung nach einem Jahr entsprechend der ASIA Skala (American Spinal Cord Injury Association) gemessen. Die Minocyclin Gabe erwies sich als machbar und sicher, ohne schwere Nebenwirkungen zu zeigen (1 Patient zeigte einen Anstieg von Leberenzymen, der nach Absetzen des Medikaments auf Normalniveau zurücksank). Obwohl diese Studie noch nicht die Wirksamkeit von Minocyclin bei akuter Rückenmarkverletzung belegen kann, sind die Ergebnisse ermutigend und rechtfertigen eine weitere Untersuchung in einer multizentrischen Phase III Studie, in die eine größere Zahl von Patienten eingeschlossen wird. Für weitere Informationen zu der Studie: http://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT00559494 Ref: Wells JE, Hurlbert RJ, Fehlings MG, Yong VW. Neuroprotection by minocycline facilitates significant recovery from spinal cord injury in mice. Brain. 2003 Jul;126(Pt 7):1628-37. Epub 2003 Jun 4 Casha S, Zygun D, McGowan MD, Bains I, Yong VW, John Hurlbert R: Results of a phase II placebo-controlled randomized trial of minocycline in acute spinal cord injury. Brain. 2012 Apr;135(Pt 4):1224-36