Predigt über Apostelgeschichte 1,3-11 Zum heutigen Feiertag „Christi Himmelfahrt“ hören wir den dazugehörenden Bibelabschnitt aus dem ersten Kapitel der Apostelgeschichte: 3 Jesus zeigte sich den Aposteln nach seinem Leiden durch viele Beweise als der Lebendige und ließ sich sehen unter ihnen vierzig Tage lang und redete mit ihnen vom Reich Gottes. 4 Und als er mit ihnen zusammen war, befahl er ihnen, Jerusalem nicht zu verlassen, sondern zu warten auf die Verheißung des Vaters, die ihr, so sprach er, von mir gehört habt; 5 denn Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber sollt mit dem Heiligen Geist getauft werden nicht lange nach diesen Tagen. 6 Die nun zusammengekommen waren, fragten ihn und sprachen: Herr, wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten das Reich für Israel? 7 Er sprach aber zu ihnen: Es gebührt euch nicht, Zeit oder Stunde zu wissen, die der Vater in seiner Macht bestimmt hat; 8 aber ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde. 9 Und als er das gesagt hatte, wurde er zusehends aufgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg. 10 Und als sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Gewändern. 11 Die sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen. Herr, tu meine Lippen auf, dass mein Mund deinen Ruhm verkündige. Amen. I. Zurück zum Vater Liebe Gemeinde, was unterscheidet Christi Himmelfahrt von Peterchens Mondfahrt? Peterchens Mondfahrt ist ein nettes Kindermärchen von Gerdt von Bassewitz, das 1912 als Theaterstück uraufgeführt wurde. Es entstand also lange vor der ersten Mondlandung in einer Zeit, in der man sich eine Reise zum Mond nur märchenhaft vorstellen konnte. Und auch moderne Theologen sahen es für aufgeklärte Menschen als unzumutbar an, sich jeden Morgen elektrisch zu rasieren und trotzdem an einer Himmelfahrtserzählung festzuhalten, die auf einem veralteten Weltbild aufbaue. Aber es ist für mich die Frage, ob diese biblische Geschichte überhaupt eine Himmelsreise im wörtlichen Sinn beschreibt, bei der Jesus gewissermaßen eine Wolke als Raumschiff benutzt. Vielleicht will diese Geschichte auch etwas ganz anderes sagen. Den ersten Hinweis, dass die Himmelfahrts-Erzählung im übertragenen Sinn zu verstehen ist, finde ich bei dem Mann, der sie aufgeschrieben hat. Der Evangelist Lukas hat ja bekanntlich zwei Bücher zur Bibel beigesteuert: das Lukas-Evangelium und die Apostelgeschichte. Und in beiden Werken berichtet er von Christi Himmelfahrt: im Lukas-Evangelium am Ende und in der Apostelgeschichte, wie eben gehört, am Anfang. Und bei der Erzählung am Ende des Lukas-Evangeliums fällt als erstes auf, dass der eigentliche Vorgang der Himmelfahrt dort nur in sehr knappen, dürren Worten geschildert wird. Es heißt fast lapidar: „Und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel.“1 Lukas hat kein Interesse an einer ausführlichen Wundererzählung, die mit vielen unglaublichen Details ausgeschmückt ist und seinem Bericht vom Leben Jesu ein bombastisches, mit vielen Spezialeffekten aufgepepptes Finale hinzufügt. In manchen Handschriften, die den griechischen Text des neuen Testaments überliefern, fällt der Bericht des Lukas von Christi Himmelfahrt sogar noch kürzer aus: 1 Lukas 24,51. 1 In einigen Handschriften fehlt der Zusatz „und fuhr auf gen Himmel“ – dort heißt es lediglich: „Und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen.“ Punkt. Dem Evangelisten Lukas geht es nicht um Effekthascherei durch einen spektakulären Wunderbericht. Wenn er zu Beginn der Apostelgeschichte über Jesus schreibt, „eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg“ dann geht es ihm dabei um eine inhaltliche Aussage. Dafür spricht auch die Aussage der Gottesboten am Ende der Himmelfahrtsgeschichte: „Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen.“ Tatsächlich hatte Jesus dem Lukas-Evangelium zufolge zu seinen Jüngern gesagt, dass er am Ende der Zeiten wiederkommen wird: „Alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit.“2 Auch hier wieder die Wolke. Die Leser, für die Lukas damals schrieb, waren sehr vertraut mit dem Alten Testament, der Bibel des Volkes Israel. Und das Stichwort der Wolke weckte bei den damaligen Lesern gleich viele Erinnerungen an biblische Geschichten aus dem Alten Testament: Beim Auszug aus Ägypten erscheint Gott dem Volk Israel in einer Wolken- und Feuersäule und zeigt ihnen den Weg.3 Auf dem Berg Sinai spricht Gott aus einer Wolke zu Mose, dem Anführer Israels. 4 Und auf dem Berg der Verklärung spricht Gott aus einer Wolke zu den Jüngern und sagt zu ihnen über Jesus: „Dieser ist mein auserwählter Sohn; den sollt ihr hören!“5 Wenn es also in der Bibel um eine Wolke geht, dann bedeutet das oft: Gott offenbart sich den Menschen, Gott spricht zu den Menschen. In diesem Sinn berichtet auch der Prophet Daniel von einer nächtlichen Vision, in der er den Messias schaut, den von Gott gesandten Retter: „Siehe, es kam einer mit den Wolken des Himmels wie eines Menschen Sohn und gelangte zu dem, der uralt war, und wurde vor ihn gebracht. Der gab ihm Macht, Ehre und Reich, dass ihm alle Völker und Leute aus so vielen verschiedenen Sprachen dienen sollten. Seine Macht ist ewig und vergeht nicht, und sein Reich hat kein Ende.“6 Die Wolke, durch die der Menschensohn zu Gott gebracht wird, ist beim Propheten Daniel ein Zeichen dafür, dass Gott seinen Messias als Weltherrscher einsetzt, der den Ehrenplatz zur Rechten Gottes einnehmen darf. Wenn also in der Himmelfahrtsgeschichte davon die Rede ist, dass Jesus von einer Wolke emporgehoben ist - dann will Lukas damit nicht in erster Linie etwas über den Vorgang der Himmelsreise sagen. Sondern auch hier ist die Wolke wieder Zeichen für eine göttliche Offenbarung. Gott will den Menschen zeigen: Mein Sohn hat das Rettungswerk vollbracht, für das ich ihn in die Welt geschickt habe. Durch seinen Tod am Kreuz hat er die Erlösung von den Sünden vollbracht, durch seine Auferstehung hat er den Tod überwunden. Und jetzt will ich ihn an meiner Seite haben. Ich gebe ihm den Ehrenplatz zu meiner Rechten und setze ihn ein zum König der Welt. Deshalb haben wir vorhin auch den Himmelfahrts-Choral gesungen „Jesus Christus herrscht als König, alles wird ihm untertänig, alles legt ihm Gott zu Fuß“. Jesus kehrt zurück zum Vater - als König der Welt. Jesus kehrt zurück zum Vater. Aber damit lässt er seine Jünger nicht einfach allein. Bin dann mal weg - so ist Himmelfahrt eben nicht zu verstehen. Jesus macht sich nicht einfach aus dem Staub. Er vergrößert vielmehr seinen Wirkungsradius. Er lässt uns nicht einfach verwaist zurück oder gar im Stich - sondern er sendet uns seinen Heiligen Geist. Jesus verspricht seinen Jüngern: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein“. Die Gegenwart von Jesus ist ungebrochen - nur eben in anderer Form. Wirkmächtiger. Weltumspannend. Ebenso sein Beistand. Und sein Trost. Und seine Fürbitte beim Vater für uns. Himmel2 Lukas 21.27 2. Mose 13,17-22. 4 2. Mose 19,9; 24,16 u.a. 5 Lukas 9,35. 6 Daniel 7,13-14. 3 2 fahrt bedeutet: Jesus nicht mehr nur zu einem Zeitpunkt an einem Ort auf der Erde gegenwärtig, sondern ist uns immer und überall da, so wie der Himmel immer und überall da ist. Himmelfahrt ist nicht Abdankung, sondern die Inthronisierung von Jesus als König zur Rechten Gottes, des Vaters. Und darum ist sie unverzichtbar. Damit unser Leben und unser Glauben nicht zum Himmelfahrtskommando werden, sondern unter seinem Himmelfahrtskommando stehen. II. Zurück zu den Menschen Jesus kehrt zurück zum Vater - und schickt seine Jünger zurück zu den Menschen. Aber das muss er ihnen vor seiner Himmelfahrt erst noch einmal klarmachen. Denn die Jünger fragen ihn zuerst: „Herr, wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten das Reich für Israel?“ Die Apostel haben es immer noch nicht verstanden. Sie träumen offenbar immer noch von einem politischen Messias, der die römischen Besatzer aus dem Land wirft und als König Israel zu Unabhängigkeit und neuer Größe führt. Immerhin reden sie den Auferstandenen mit dem Hoheitstitel „Herr“ an. Jesus weist diese Frage schroff zurück: „Es gebührt euch nicht, Zeit oder Stunde zu wissen, die der Vater in seiner Macht bestimmt hat“. Die Abläufe der Geschichte und die Steuerung ihrer Wendepunkte gehen sie nichts an, sondern liegen allein in der Macht des himmlischen Vaters. Der Auferstandene erinnert die Jünger lieber an das, was jetzt für sie ansteht. „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde.“ Die Apostel werden die Kraft des heiligen Geistes für einen ganz bestimmten Auftrag empfangen - sie sollen Zeugen Jesu sein. Dabei wird ein dreifacher Wirkungskreis genannt, der sich schrittweise ausweitet: Beginnen sollen sie in Jerusalem, also vor Ort in der Hauptstadt des Gottesvolkes Israel, dann sollen sie den Auferstandenen in Judäa und Samarien, also im ganzen heiligen Land bezeugen und schließlich weltweit. Hierdurch und nicht durch politischen Umsturz wird das Reich Gottes weltweit aufgerichtet! Die Königsherrschaft Gottes bleibt durch seinen Geist bei den Jüngern anwesend - und dehnt sich mit ihrer Mithilfe in der ganzen Welt aus. Dieser Auftrag ist bis heute noch nicht vollständig erfüllt, gibt aber auch für uns als heutige Christenheit eine klare Missionsstrategie vor: An erster Stelle steht die Verkündigung des Evangeliums vor Ort, dann soll das ganze Land und schließlich die ganze Welt als Missionsfeld in den Blick genommen werden. Jesus, der Gekreuzigte und Auferstandene, sendet seine Jünger als Boten in die Welt, die ihn als den Auferstandenen bezeugen, dem sie begegnet sind. Jesus schickt seine Jünger zurück zu den Menschen - auch uns, die wir an ihn glauben und ihm folgen wollen. Jede und jeder, der auf Jesus Christus getauft ist und an ihn glaubt, ist dadurch aufgerufen, in Wort und Tat ein Zeuge für ihn zu sein. Seine Geistesgegenwart unterstützt uns dabei. Das kann sich zunächst einfach darin ausdrücken, als Christ glaubwürdig zu leben - und dieses gelebte Zeugnis wird dann auch von der Umgebung wahrgenommen. Es kann auch heißen, in der Familie, in Schule und Beruf dazu zu stehen: Ja, ich glaube an Jesus Christus, ja, ich halte mich zur Kirche, so fehlerhaft sie in ihrer menschlichen Gestalt auch sein mag - schon die ersten Jünger Jesu waren nicht ohne Fehler. Aber ich glaube daran, dass dieser Jesus seiner Kirche den Auftrag gegeben hat, allen Menschen von ihm als Herrn und Retter zu erzählen. Das kann sich für den Einzelnen auch durch die engagierte Mitarbeit in einer Gemeindegruppe sein in der die Botschaft von Jesus Christus weitergegeben wird - vom Hauskreis bis zum Posaunenchor. Es kann sich auch darin äußern, sich an der weltweiten Verkündigung der Christusbotschaft zu beteiligen, indem jemand Missionare in anderen Ländern durch Gebet und Gaben unterstützt - oder indem er selbst hinausgeht, wenn Jesus es ihm aufs Herz legt. Erst kürzlich war wieder eine junge Frau aus der Gemeinde hier zu Besuch, die von hier aus gesehen am anderen Ende der Welt jungen Menschen von Christus erzählt, in Australien. Dieser Auftrag gilt allen, die Jesus Christus nachfolgen - deshalb schickt er vor der Himmelfahrt seine Jünger zurück zu den Menschen. 3 III. Zurück in den Alltag Und er schickt sie zurück in den Alltag. Nachdem sich Jesus verabschiedet hat, sagen die beiden Gottesboten zu den Jüngern: „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen. Da kehrten sie nach Jerusalem zurück von dem Berg, der heißt Ölberg und liegt nahe bei Jerusalem, einen Sabbatweg entfernt. Und als sie hineinkamen, stiegen sie hinauf in das Obergemach des Hauses, wo sie sich aufzuhalten pflegten: Petrus, Johannes, Jakobus und Andreas, Philippus und Thomas, Bartholomäus und Matthäus, Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Simon der Zelot und Judas, der Sohn des Jakobus. Diese alle waren stets beieinander einmütig im Gebet samt den Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern.“ 7 Die Jünger, so die beiden Gottesboten, sollen Jesus nicht in den Himmel folgen oder ihn von dort zurückholen wollen. Sondern so, wie Jesus es ihnen aufgetragen hat, sollen sie nach Jerusalem zurückkehren, um dort den heiligen Geist zu erwarten, den Jesus ihnen an Pfingsten senden will. In der Kraft dieses heiligen Geistes werden sie ihren Missionsauftrag erfüllen können - und dieser Beistand und diese Zusage wird an Pfingsten auch uns gegeben, die wir heute zur Gemeinde von Jesus Christus gehören. Der Auferstandene ist von uns weg in den Himmel aufgenommen. Jesus als der aufgenommene Sohn wird sich zu dem Zeitpunkt der vollendeten neuen Schöpfung wieder seinen Anhängern sichtbar machen. Bis dahin regiert er unsichtbar durch den heiligen Geist. Er kann sich aber auch in einzelnen Visionen den Menschen zeigen wie z.B. dem Apostel Paulus vor Damaskus. 8 Er kann auch durch Engel indirekt handeln - wie z.B. bei Petrus, der durch einen Engel aus dem Gefängnis befreit wird.9 Und Jesus verspricht seinen Jüngern: Er kehrt am Ende der Welt zurück, um die Schöpfung in Vollendung wiederherzustellen. Jesus schickt seine Jünger zurück in den Alltag. Deshalb habe ich eben bewusst die Fortsetzung der Geschichte vorgelesen, wie sich die Jünger von Jesus in einem Haus in Jerusalem zum Gebet versammeln. Im gemeinsamen Gebet bereiten sie sich auf den Empfang des heiligen Geistes vor, der sie zu ihrem Missionswerk befähigt. Und das gilt heute für uns ganz genauso: In der betenden Erwartung des heiligen Geistes wird die Gemeinde missionarisch. Deshalb ist es so wichtig, dass wir in unserem Gemeinde-Alltag Zeiten des gemeinsamen Gebets haben, ob im Gottesdienst oder am Mittwochabend beim Gemeindegebet. Zeiten, in denen wir Jesus als König und Herrn anbeten und ihn bitten, dass er uns durch seinen Geist Kraft und Ideen gibt, um in der Welt seine Zeugen zu sein. Auch wenn sich die Gemeinde von Jesus Christus heute an einem Ort versammelt und zusammen betet, wird ihr dieser Auftrag gelingen. Das ist die dreifache Botschaft von Christi Himmelfahrt: Jesus kehrt zurück zum Vater - und sendet seine Jünger zurück zu den Menschen und zurück in den Alltag. Amen. 7 Apostelgeschichte 1,11-14. Apostelgeschichte 9,1-9. 9 Apostelgeschichte 12,1-17. 8 4