Einführung in die Theoretische Philosophie SS 2010

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Philosophische Fakultät Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Dr. Holm Bräuer
Einführung in die
Theoretische Philosophie
SS 2010
Kontaktinformationen
Vorlesung
Tutorien
Einführung in die Theoretische
Phil
Philosophie
hi
Einführung in die Theoretische
Phil
Philosophie
hi
Holm Bräuer
Norbert Engemaier
Mi (3) [11:10 – 12:40]
Zeit:
I: Do (1) [07:30 – 09:00]
II: Do (2) [09:20 – 10:50]
III: Do (3) [11:10 – 12:40]
SCH A 251
Raum: BZW A 416
Sprechstunde:
p
Mi,, 13:00 – 14:00
Tel.: 0351-463-32257
Email: [email protected]
http://tu-dresden.de/die_tu_dresden/fakultaeten/
philosophische_fakultaet/iph/thph/braeuer/index_html
SS 2010
Raum:
ABS 216
ABS 01
ABS 02
Kontaktdaten:
Raum: BZW A 425
Sprechstunde: nach Vereinbarung
Email: [email protected]
Einführung in die Theoretische Philosophie
2
Semesterablaufplan Vorlesung
14.04.2010
Philosophische Begriffe und Argumente
21.04.2010
Sprachphilosophie – Bedeutung/ Bezugnahme
28.04.2010
Sprachphilosophie – Semantik
05.05.2010
dies academicus
12.05.2010
Sprachphilosophie – Pragmatik
19.05.2010
Erkenntnistheorie – Wissen
26 05 2010
26.05.2010
Pfi
Pfingsten
t
02.06.2010
Erkenntnistheorie – Wahrheit & Rechtfertigung
09.06.2010
Wissenschaftstheorie – wiss. Erklärungen
16.06.2010
Wissenschaftstheorie – Bestätigung/ Theorien
23.06.2010
Metaphysik & Ontologie – Grundbegriffe
30.06.2010
Metaphysik & Ontologie – Kategorien
07.07.2010
Philosophie des Geistes – Dualismus
14.07.2010
Philosophie des Geistes – Physikalismus
21 07 2010
21.07.2010
Ab hl
Abschlussklausur
kl
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
3
Semesterablaufplan Tutorium
15.04.2010
Organisatorisches
22.04.2010
Begriffe und Argumente – Reader Text 1
29.04.2010
Sprachphilosophie – Reader Text 2
06.05.2010
Sprachphilosophie – Wiederholung Vorlesung
13.05.2010
Himmelfahrt
20.05.2010
Erkenntnistheorie – Reader Text 3
27 05 2010
27.05.2010
Pfi
Pfingsten
t
03.06.2010
Erkenntnistheorie – Wiederholung Vorlesung
10.06.2010
Wissenschaftstheorie – Reader Text 4
17.06.2010
Wissenschaftstheorie – Wiederholung Vorlesung
24.06.2010
Metaphysik & Ontologie – Reader Text 5
01.07.2010
Metaphysik & Ontologie – Wiederholung Vorlesung
08.07.2010
Philosophie des Geistes – Reader Text 6/ Klausurvorbereitung
15.07.2010
Philosophie des Geistes – Wiederholung Vorlesung/ Klausurvorbereitung
21 07 2010
21.07.2010
Ab hl
Abschlussklausur
kl
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Einführung in die Theoretische Philosophie
4
Reader zur „
„Einführung
g in die
Theoretische Philosophie“
im Copyshop EMF (Zellescher Weg)
Folien zur Vorlesung „Einführung
in die Theoretische Philosophie
Philosophie“
auff meiner Homepage unter: Lehre
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
5
Klausurschwerpunkte
Methodenlehre
Wissenschaftstheorie
indirekter Beweis, Definition, Paradoxie,
Dilemma, Petitio Principii
D-N-Modell, H-D-Modell, Paradoxien der
Bestätigung, Falsifikationismus, Holismus
Sprachphilosophie
h hil
hi
Metaphysik und Ontologie
Frege, Russel, Propositionentheorie,
Verifikationstheorie, Implikaturen
Existenz, Identität, Realismus,
Nominalismus Eigenschaften
Nominalismus,
Erkenntnistheorie
Philosophie des Geistes
Platon, Gettier, Reliabilismus,
Wahrheitsträger, Wittgensteins Bildtheorie,
Definition der Rechtfertigung,
Rechtfertigungstrilemma
Descartes Argumente für den Dualismus,
Wittgensteins
Privatsprachenargument,
Funktionalismus,
anomaler
Monismus
( p
(Supervenienz)
)
Es ist nicht gestattet, das Vorlesungsskript für die Klausur zu verwenden!
Fragenverteilung: Methodenlehre (2); Spachphilosophie (3); Erkenntnistheorie (3); Wissenschaftstheorie (3);
Metaphysik (3); Philosophie des Geistes (3) Gesamt: 17 Fragen (rund 5 min pro Frage)
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6
Klausurhinweise
Belehrung
Diese Klausur ist eine Prüfungsleistung! Abschreiben, die Verwendung nicht zugelassener Hilfsmittel sowie
das absichtliche Stören der Klausur werden als Täuschungsversuch aufgefasst. Die Klausur gilt in diesem
Falle als „nicht bestanden“. Unterschreiben Sie bitte die Belehrung in der Kopfzeile!
Es dürfen nur die Studenten geprüft werden, die auf den Notenlisten aufgeführt sind, d.h. diejenigen, die
sich
i h beim
b i Prüfungsamt
P üf
t angemeldet
ld t haben.
h b
(Gilt nur für
fü Bachelorstudenten.)
B h l
t d t
)
Abgabe der Klausur
Vermerken
Ve
me ken Sie auf
a f jedem Blatt ihren
ih en Namen und
nd versuchen
e s chen Sie,
Sie falls möglich,
möglich Ihre
Ih e Blätter
Blätte
zusammenzuheften.
Bitte quittieren Sie (zu Ihrer eigenen Sicherheit) die Abgabe durch Ihre Unterschrift auf den Notenlisten.
Halten Sie ein Ausweisdokument bei der Abgabe bereit. Wir sind verpflichtet, dem Prüfungsamt diejenigen
Studenten melden, die sich nicht ausweisen konnten!
Veröffentlichung der Noten
Die Noten finden Sie in etwa 14 Tagen
g
auf meiner Homepage.
p g
Ich darf die Noten aus Gründen des
Datenschutzes weder unter Ihrem Namen, noch unter Ihrer Matrikelnummer veröffentlichen. Tragen Sie
daher bitte Ihre Prüfungs-ID in den Kopfzeilen der Klausur ein. Falls Sie diese nicht kennen, dann denken
Sie sich eine siebenstellige Zahl aus und merken sich diese!
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Einführung in die Theoretische Philosophie
7
Inhalte der Lehrveranstaltung
1 Philosophische
1.
Phil
hi h Begriffe
B
iff und
d Argumente
A
t
a. Was ist denn das: Philosophie?
b Grundbegriffe
b.
G
db
iff und
d Disziplinen
Di i li
der
d Philosophie
Phil
hi
c. Argumente 1: Kritikmuster
d. Argumente 2: Werkzeugkasten
2. Sprachphilosophie
a. Bedeutung (Grundbegriff der Sprachphilosophie)
b. Bezugnahme
c. Semantik
d. Pragmatik
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Einführung in die Theoretische Philosophie
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Inhalte der Lehrveranstaltung
3 Erkenntnistheorie
3.
E k
t i th
i
a. Wissen (Grundbegriff der Erkenntnistheorie)
b Was
b.
W kö
können wir
i wissen?
i
? (Skeptizismus)
(Sk ti i
)
c. Was ist Wissen?
d. Was ist Wahrheit?
e. Worin besteht Rechtfertigung?
4. Wissenschaftstheorie
a. Probleme und Ziele der Wissenschaftstheorie
b. Wissenschaftliche Erklärungen
c. Zur Bestätigung wissenschaftlicher Theorien
d. Was ist eine wissenschaftliche Theorie?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
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Inhalte der Lehrveranstaltung
5 Ontologie und Metaphysik
5.
a. Was ist Metaphysik?
b. Die Grundfrage der Ontologie
c. Die Grundbegriffe der Ontologie
d. Grundlagen der kategorialen Ontologie
6. Philosophie des Geistes
a. Problembereiche der Philosophie des Geistes
b. Der Substanzdualismus
c. Spielarten des Physikalismus
d Eliminativer
d.
Eli i ti
M
Materialismus
t i li
e. Die Naturalisierung des Geistes
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Weitere Angebote
Sprachphilosophie
Mi (2): Wahrmacher (Schönrich)
Mi (2): Identität und Notwendigkeit (Wansing)
Do (3): Einführung in die analytische Sprachphilosophie (Grajner)
Erkenntnistheorie
Di (4): Einführung in die Erkenntnistheorie (Wansing)
Di ((5):
) W.V.O. Q
Quine „„Zwei Dogmen
g
des Empirismus“
p
((Bräuer))
Mi (3): Der Skeptizismus von der Antike bis zur Renaissance (Wöhler)
Mi (4): David Hume „Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand“ (Schönrich)
Mi (6): David Hume „Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand“ (Gutschmidt)
Fr (4): Philosophische Probleme der Wahrnehmung (Grajner)
Metaphysik & Ontologie
Mo (5): Natürliche Arten (Hauswald)
Di (5): Philosophie der Werte (Schönrich)
Do (4): Ist Existenz eine Eigenschaft? (Engemaier)
Do (5): Der antike und mittelalterliche Universalienstreit (Wöhler
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Einführung in die Theoretische Philosophie
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Philosophische Fakultät Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Dr. Holm Bräuer
1. Philosophische Begriffe
und Argumente
Philosophie? Was ist denn das?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
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Was ist denn das: Philosophie?
ϕιλοσοϕια
ϕ ς = Freund / Liebhaber / Begehrender
ϕιλος
g
σοϕια = Weisheit / Wissen / Sachkunde
Jemand, der „philosophiert“ (ein Philosoph) ist also dem Worte nach
…
…
…
…
jemand,
jemand,
jemand,
jemand,
der
der
der
der
das Wissen liebt
sich um Weisheit bemüht
Gefallen an sachkundigen Urteilen hat
auf der Suche nach der Wahrheit ist
Sind wir alle schon Philosophen? Können wir nach Hause gehen?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
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Was ist denn das: Philosophie?
Philosophisches Denken zeichnet sich durch das Bemühen aus, das
Nachdenken
hd k
von seinen
i
Voraussetzungen und
d Vorurteilen
il
zu
befreien oder diese zumindest offen zu legen. Das Bewusstmachen
solcher Vorurteile und Voraussetzungen – das fragwürdig werden des
bisher fraglos Hingenommenen - erzeugt ein Staunen, das als der Beginn
einer philosophischen Haltung angesehen werden kann.
Das Staunen ist die Einstellung
g eines Mannes,, der die Weisheit wahrhaft
liebt, ja es gibt keinen anderen Anfang der Philosophie als diesen. (Platon)
„Die Gedanken sind frei.“
„Du sollst nicht töten.“
„Wahr ist, was der Wirklichkeit entspricht.“
„„Eine g
gerechte Gesellschaft ist besser als eine ungerechte.“
g
„Ich heiße Holm Bräuer und habe zwei Hände.“
„Es gibt (k)einen Gott.“
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
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Was ist denn das: Philosophie?
Obwohl sich die Philosophie im Unterschied zu den Spezialwissenschaften
nicht durch einen begrenzten Gegenstandsbereich charakterisieren
lässt, so sind es doch immer grundlegende (radikale) Fragen und
Probleme, die in der Philosophie aufgeworfen werden und die sich
in aller Regel nicht innerhalb der Spezialwissenschaften
b
beantworten
t
t
l
lassen.
Was ist „gut“ und „böse“? Gibt es das überhaupt?
Was ist gerecht?
Gibt es einen Gott?
Besitzt der Mensch eine (unsterbliche) Seele?
Was ist der Sinn des Lebens?
Wann dürfen Lebewesen getötet werden?
Welche Rechte und Pflichten habe ich als Mensch?
g
g
Ist die Natur gesetzmäßig?
Existiert das, was wir erleben, wirklich?
Können wir überhaupt gesicherte Erkenntnis besitzen?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
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Disziplinen der Theoretischen
Philosophie
Sprachphilosophie
Was ist Bedeutung? Was heißt es,
es dass sprachliche Ausdrücke für etwas stehen? Ist
das Sprechen ein Handeln?
Erkenntnistheorie
Was ist Erkenntnis? Was ist Wahrheit? Was heißt es, dass eine Behauptung
gerechtfertigt ist? Können wir überhaupt etwas wissen? (Skeptizismus)
Wissenschaftstheorie
Was ist ein Gesetz? Was heißt es, eine Aussage oder Theorie zu bestätigen? Was sind
Erklärungen? Was macht eine wissenschaftliche Theorie aus?
Ontologie und Metaphysik
Was gibt es überhaupt? Was ist ein Ding, was eine Eigenschaft? Gibt es Ereignisse?
Was ist Zeit, was ist Raum? Worin besteht Veränderung? Worin Dauer?
Philosophie des Geistes
Was ist Bewusstsein? Was ist Denken? Ist eine neurophysiologische Erklärung des
Geistes vollständig? Gehört der Geist zur Natur? Lässt er sich naturalisieren?
SS 2010
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Disziplinen der Praktischen
Philosophie
Philosophische Anthropologie
Was ist der Mensch? Was unterscheidet den Menschen von anderen Lebewesen?
Ethik
An welchen Normen und Werten sollen wir unser Handeln orientieren? Was ist das
Gute? Gibt es ein gutes Leben und worin besteht es?
Politische Philosophie
Warum soll es überhaupt so etwas wie einen Staat geben? Woher leitet er seine
Autorität ab? Welche Herrschaft darf als legitim gelten?
Rechtsphilosophie
Ist das geltende Recht legitim und begründet? Welchen Prinzipien hat es zu folgen?
Gibt es überhaupt Recht und Unrecht? Was ist Gerechtigkeit?
Sozialphilosophie
Wie sieht das richtige Zusammenleben der Individuen innerhalb einer Gesellschaft
bzw. der Gesellschaften untereinander aus?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
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Weitere Disziplinen der Philosophie
Geschichtsphilosophie
Hat die Geschichte einen Sinn? Worin besteht Fortschritt? Wie kann man historische
Ereignisse erklären?
Technikphilosophie
Ist es zulässig, alles technisch Machbare auch zu verwirklichen? Darf man die Natur
verändern wie man will?
Religionsphilosophie
Gibt es religiöse Erfahrungen? Was ist Gott? Was heißt es, an etwas zu glauben?
Lässt sich ein solcher Glaube rechtfertigen?
Ästhetik
Was ist das Schöne? Gibt es Wahrheit oder Erkenntnis in der Kunst? Wodurch
zeichnet sich ein Kunstwerk aus?
Philosophische Logik
Was ist ein gültiges Argument?
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Einführung in die Theoretische Philosophie
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Was ist denn das: Philosophie?
Anders als Religionen,
g
, Ideologien,
g
, Weltanschauungen
g
ist beim
philosophischen Nachdenken allein die rationale, nachvollziehbare
Argumentation zulässig, um die zentralen Fragen der menschlichen
Lebenspraxis und unseres Weltverständnisses zu beantworten.
Raten/ Losen
Wahrsagerei/ Kaffeesatzlesen/ Pendeln/ Astrologie
Talkshows/ Medien
Expertenmeinungen/ Lehrer/ Eltern/ Autoritäten
Religiöse Glaubenssätze
Weltanschauungen/ Ideologien
Die Meinung des Gartennachbarn/ der Mehrheit
Mythologie/ Märchen/ Geschichten/ Anekdoten
Wissenschaftliche, empirische Forschung
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Einführung in die Theoretische Philosophie
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Was ist denn das: Philosophie?
Die Grundidee des antiken Griechenland
Jemand, der „die Weisheit wahrhaft liebt“; jemand, der auf der Suche
nach der Wahrheit ist, ist jemand, der versucht,
(1) die grundlegenden, zentralen Fragen der menschlichen Lebenspraxis
und unseres Weltverständnisses,
(2) weitgehend ohne Vorurteile oder andere Voraussetzungen zu
beantworten, und zwar so, dass er
(3) sich dabei ausschließlich des Mittels der rationalen, vernünftigen,
intersubjektiv nachvollziehbaren Argumentation bedient.
!!!! Philosophieren bedeutet immer Arbeit mit Argumenten !!!!
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Einführung in die Theoretische Philosophie
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Was ist denn das: Philosophie?
Philosophieren heißt:
1) grundlegende
dl
d F
Fragen stellen;
t ll
2) unvoreingenommene
i
Antworten
A t
t
auff
diese Fragen geben;
3) Argumente vorbringen, die diese
Antworten stützen
stützen.
SS 2010
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Was ist denn das: Philosophie?
Ein Philosoph beschäftigt sich mit philosophischen Texten.
Texten
Welche Textelemente sind bei der Lektüre
philosophischen Textes vorrangig zu beachten?
(Analyse)
eines
Fragen / Problemstellungen
Quelle der Forschung
Thesen (Antworten)
Ziel der Forschung
Argumente (Begründungen)
Methode
Begriffliche Unterscheidungen
Definitionen
methodische Hilfsmittel
(Präzision Klarheit etc.)
(Präzision,
etc )
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Was ist denn das: Philosophie?
Der „ideale“ Text
Frage
gefolgt
g
g von
Methodische Hilfsmittel
(Präzision, Klarheit)
beantwortet
These
gefolgt von
begründet
Argument
Falls ein philosophischer Text nicht „ideal“ in diesem Sinne (also leserunfreundlich) ist, dann behandeln Sie ihn trotzdem
so, als handele es sich um einen „idealen“ Text! Falls die Fragestellung des Textes für Sie einschlägig ist, dann besteht
g
allein darin,, die Argumente
g
zu bewerten,, die der Autor für seine These ins Feld führt.
Ihre Aufgabe
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Einführung in die Theoretische Philosophie
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Die Arbeit mit Argumenten
Argumente
g
und Hilfsmittel
Unzulässige
g Argumente
g
Argumente und ihre Gültigkeit
Widerspruch
Indirekter Beweis
Paradoxie
Begriffsanalyse
Dilemma
Explikation
Äquivokation
Definition
Petitio Principii
Analogie und Metapher
Infiniter Regress
Gedankenexperiment
Scheinbehauptung
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Argumente
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Einführung in die Theoretische Philosophie
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Was ist überhaupt ein Argument?
Ein Argument ist die Stützung einer Überzeugung (Aussage, These, Annahme etc.)
durch Gründe.
Gründe
Ein Argument besteht selbst aus einer Reihe von Aussagen.
Eine der Aussagen ist das, wofür argumentiert wird: technisch gesprochen die Konklusion.
Die anderen Aussagen bestehen in der Angabe dessen, worauf sich diese Konklusion als
Voraussetzung stützt (die Gründe): technisch gesprochen die Prämissen.
Prämisse
P
ä i
1
1:
Prämisse 2:
Prämisse 3:
Konklusion:
Mord
M
d ist
i moralisch
li h unzulässig.
lä i
Wenn Abtreibung Mord ist, dann ist auch Abtreibung moralisch
unzulässig.
g ist Mord.
Abtreibung
Abtreibung ist moralisch unzulässig.
Ein Argument lässt sich auf zweierlei Weise bestreiten:
1) Nachweis, dass es kein formal gültiges Argument ist. (Formfrage)
2) Nachweis, dass eine oder mehrere Prämissen falsch oder
(Tatsachenfrage)
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unzulässig
sind.
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Argumente und ihre Gültigkeit
Formale Gültigkeit
Wenn der Opponent alle Prämissen eines Arguments akzeptiert, dann ist er
gezwungen, der Konklusion zuzustimmen, falls das Argument der Form nach
gültig
l
ist.
In unserem Beispielfall handelt es sich um ein gültiges Argument. Es hat die
f l
folgende
d Form:
F
Wenn p, dann q
p
Also: q
Wenn Abtreibung Mord ist, dann ist Abtreibung moralisch unzulässig.
Abtreibung ist Mord.
Also: Abtreibung ist moralisch unzulässig.
Diese Argumentform hat den lateinischen Namen Modus Ponens.
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Einführung in die Theoretische Philosophie
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Argumente
Formale Gültigkeit
g
Das Gegenstück zum Modus Ponens ist ein formal ungültiges Argument:
Wenn p, dann q
q
Also: p
Prämisse:
Prämisse:
Konklusion:
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„Umkehrschluss“
Wenn Gott die Welt erschaffen hat, dann herrschen
Ordnung und Gesetzmäßigkeit.
In der Welt herrschen Ordnung und
Gesetzmäßigkeit.
Gesetzmäßigkeit
Daher wurde die Welt von Gott erschaffen.
Einführung in die Theoretische Philosophie
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Argumente
Materiale Gültigkeit
Die formale Gültigkeit eines Arguments reicht noch nicht aus, um von
einem erfolgreichen Argument zu sprechen. Die meisten – wenn auch
nicht
h alle
ll – Argumente sind
d formal
f
l gültig
l
und
d dennoch
d
h nicht
h akzeptabel.
k
b l
Was Sie jetzt noch tun können, ist die Wahrheit der Prämissen (der
angegebenen
b
G ü d ) zu bezweifeln.
Gründe)
b
if l
Di
Dieser
A
Aspekt
k heißt
h iß materiale
i l
Gültigkeit.
P ä i
Prämisse:
Prämisse:
Wenn Abtreibung
W
Abt ib
M d ist,
Mord
i t dann
d
i t Abtreibung
ist
Abt ib
moralisch unzulässig.
Abtreibung ist Mord.
?????
Konklusion:
Abtreibung ist moralisch unzulässig.
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Einführung in die Theoretische Philosophie
?????
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Indirekter Beweis
reductio ad absurdum
Bei einem indirekten Beweis wird eine Aussage argumentativ gestützt, indem
gezeigt
i
wird,
i d dass
d
aus ihrer
ih
Negation
i
entweder
d
ein
i logischer
l i h
Widerspruch
id
h oder
d
ein Widerspruch zu einer bereits anerkannten These folgt.
Wi wollen
Wir
ll
zeigen,
i
d
dass
nicht
i ht alle
ll Menschen
M
h
G i h
Griechen
sind.
i d
Annahme: Alle Menschen sind Griechen. (Negation unserer Aussage)
A
Anerkannte
k
t Prämisse:
P ä i
Ci
Cicero
i t ein
ist
i Mensch.
M
h
Konklusion: Cicero ist ein Grieche.
Weitere anerkannte These: Cicero ist kein Grieche (sondern Römer).
Widerspruch: Cicero ist ein Grieche und ist kein Grieche. (A und nicht-A.)
Konklusion des indirekten Beweise: Nicht alle Menschen sind Griechen.
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Einführung in die Theoretische Philosophie
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Begriffliche
g
Klarheit und
Eindeutigkeit
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32
Problem: Vagheit
Scharfe Begriffe
… führen bei der Anwendung auf beliebige Objekte – in jedem Anwendungskontext –
immer zu eindeutigen Resultaten,
Resultaten d.h.
d h sie sind entweder eindeutig anwendbar oder
eindeutig nicht anwendbar. (Beispiele: Wellenlänge, Ladung, logische Folge)
Vage Begriffe
… führen bei der Anwendung auf beliebige Objekte nicht immer zu eindeutigen Resultaten,
d.h. sie sind in einem Kontext auf ein Objekt anwendbar, in einem anderen jedoch nicht
anwendbar. (Beispiele: Tier, Haufen, rot, Mann)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
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Problem: Vagheit
vager
g
Begriff
g
Mann
Anwendungskontexte
g
Biologie: menschliches Lebewesen mit
einem x und y Chromosomensatz
Psychologie: menschliches Lebewesen
mit typisch männlichen Wesenszügen
(primäre und sekundäre
Geschlechtsmerkmale)
Soziologie: volljähriger Mensch mit
typisch männlichen Verhaltensweisen
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Einführung in die Theoretische Philosophie
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Problem: Mehrdeutigkeit
Ein eindeutiger Begriff wir immer nur in einem Sinn gebraucht.
Ein mehrdeutiger Begriff hat in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche
Anwendungsfälle.
Mehrdeutiger Begriff mit gemeinsamen Kern („Mann“)
Mehrdeutiger Begriff mit disjunkten Anwendungen („Bank“, „Hahn“)
Mehrdeutiger Begriff mit partiellen Überschneidungen ohne gemeinsamen Kern
(„Spiel“)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
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Problem: Äquivokation
Eine Äquivokation liegt dann vor, wenn ein Wort in verschiedenen Kontexten
unterschiedlich gebraucht wird.
Alle Menschen sind sterblich.
Alle Griechen sind Menschen.
Also: Alle Griechen sind sterblich.
Herakles ist ein Grieche.
Also: Herakles ist sterblich.
Das obige Argument ist ungültig, weil einer der Ausdrücke - Mensch „unsauber“ (mehrdeutig) gebraucht wird. In der ersten Zeile so, dass Halbgötter
nicht
i ht eingeschlossen
i
hl
sind,
i d denn
d
di
diese
sind
i d nicht
i ht sterblich.
t bli h In
I der
d
zweiten
it
Z il
Zeile
jedoch beinhaltet der Ausdruck „Mensch“ die Halbgötter, weil er auf alle Griechen
angewendet wird, zu denen auch – wie im zweiten Argument – Herakles gehört.
SS 2010
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Abhilfen: Definitionen
Um Mehrdeutigkeiten oder Missverständnisse zu vermeiden, definieren
Phil
Philosophen
h
ih
ihre
wichtigsten
i hti t
B
Begriffe.
iff
Ei
Eine
D fi iti
Definition
stellt
t llt eine
i
Identitätsbeziehung zwischen einem zu definierenden Begriff (dem
Definiendum) und einem oder mehreren anderen definierenden
Begriffen (dem Definiens) her.
her
Definiendum =def Definiens
„Ein Nephograph ist ein Gerät, das die verschiedenen Arten und die
Dichte der Bewölkung fotographisch aufzeichnet.“
Definiendum: Nephograph
Definiens: Gerät,
Gerät das die verschiedenen Arten und die Dichte der
Bewölkung fotographisch aufzeichnet
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
37
Abhilfen: Definitionen
Nominaldefinitionen
Nominaldefinitionen sind konventionell eingeführte Abkürzungen. Der zu
definierende Begriff wird relativ willkürlich gewählt. Nominaldefinitionen sind
notwendig wahr. (true by convention)
„Ein Nephograph ist ein Gerät, das die verschiedenen Arten und die Dichte der
Bewölkung fotographisch aufzeichnet.“
Realdefinitionen
Realdefinitionen beruhen auf wesentlichen Zusammenhängen zwischen dem
Definiendum und dem Definiens. Der zu definierende Begriff besitzt schon vor
der Definition bestimmte Anwendungsbedingungen, welche durch die Definition
p
gemacht werden sollen. Realdefinitionen können sich als falsch
g
erst explizit
herausstellen. (true by the facts)
„Gold ist ein chemisches Element mit der Kernladungszahl 79.“
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
38
Abhilfen: Definitionen
Rekursive (induktive) Definitionen
In einer rekursiven Definition werden die Anwendungsbedingungen
g
g g
eines Begriffs
g
dadurch bestimmt, dass ein korrekter Anwendungsfall aufgeführt und eine Regel
festgelegt wird, durch die sich alle weiteren Anwendungsfälle bestimmen lassen.
Die rekursive Definition der natürlichen, ganzen Zahlen
Rekursionsanfang: 0 ist eine natürliche Zahl.
Rekursionsschritt: Wenn N eine natürliche Zahl ist, so auch N+1.
Rekursionsabschluss: Nichts sonst ist eine natürliche Zahl.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
39
Abhilfen: Definitionen
Ostensive (hinweisende) Definitionen
Eine hinweisende Definition ist keine Definition im strengen Sinne.
Sinne Man versteht
darunter die Erklärung eines Begriffs durch das hinweisende Aufzeigen seiner
Anwendungsfälle.
„Dies ist rot.“
„Das dort ist ein Apfel.“
Eine ostensive Definition kann auch darin bestehen, dass auf abgrenzende
Gegenbeispiele gezeigt wird:
„Das dort drüben ist kein Apfel. Das ist eine Birne.“
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
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Abhilfen: Begriffsexplikationen
Begriffsexplikation: Übersetzung eines Begriffs aus einer weniger exakten
S
Sprache
h in
i eine
i
exaktere
k
S
Sprache.
h
(
(Herausgreifen
if
einer
i
– für
fü den
d
j
jeweils
il
verfolgten Zweck – optimalen Anwendung eines zu explizierenden Begriffs.)
Ei Mann
Ein
M
i t ein
i
1 ist
(i) menschliches
hli h Lebewesen;
L b
(ii) mit einem x- und einem y-Chromosomensatz.
Ei Mann
Ein
M
i t ein
i
2 ist
(i) menschliches
hli h Lebewesen;
L b
(ii) mit einem x- und einem y-Chromosomensatz;
(iii) das älter als 18 Jahre ist.
Ein Mann3 ist ein
(i) menschliches Lebewesen;
(ii) das älter als 18 Jahre ist;
(iii) und typisch „männliche“ Wesenszüge aufweist.
Explikandum
SS 2010
Explikat
Einführung in die Theoretische Philosophie
41
Abhilfen: Begriffsexplikationen
Begriffsexplikation: Übersetzung eines Begriffs aus einer weniger exakten
S
Sprache
h in
i eine
i
exaktere
k
S
Sprache.
h
(
(Herausgreifen
if
einer
i
– für
fü den
d
j
jeweils
il
verfolgten Zweck – optimalen Anwendung eines zu explizierenden Begriffs.)
Eigenschaften
Ei
h ft
d
der
B
Begriffsexplikation
iff
lik ti
• keine Identitätsbeziehung (Explikat ist teilw. verschieden vom Explikandum)
• Explikation kann nie wahr oder falsch sein, sondern nur angemessen (adäquat)
oder unangemessen (inadäquat)
Adäquatheitsbedingungen der Begriffsexplikation
• Explikandum
E plikand m und
nd Explikat
E plikat müssen ähnliche (aber
(abe
nicht identische)
Anwendungsbedingungen besitzen.
• Explikat muss exakter (eindeutiger, schärfer) als Explikandum sein
• Explikat muss fruchtbarer sein (muss sich in Gesetzen verwenden lassen)
• Explikat muss einfacher (leichter zu definieren) sein
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
42
Hilfsmittel
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
43
Analogien und Metaphern
Häufig werden in der
Metaphern verwendet.
philosophischen
Argumentation
Analogien
oder
Das Grundmuster solcher Argumente ist die Proportionalanalogie:
a:b=c:d
Der Wert einer Analogie besteht darin, dass man bei Kenntnis von a, b und c auf
d schließen kann.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
44
Analogien und Metaphern
Der menschliche Verstand (John Locke)
Der menschliche Verstand ist eine tabula rasa (eine leere Tafel), auf die die
Erfahrung ihren Bericht einschreibt.
leere Tafel : Beschreiben mit Kreide = Verstand : Erfahrungen sammeln
Seele und Staat (Platon)
Für Platon besteht die Seele aus einer lenkenden Vernunft und den zu lenkenden
Antrieben. Wenn wir annehmen, dass das Staatsvolk etwas ist, was gelenkt
werden muss, dann kann ich vor dem Hintergrund dieses Modells der
menschlichen Seele darauf schließen, dass es auch im Staat eine lenkende
Instanz geben muss.
muss
Antriebe : lenkende Vernunft = Staatsvolk : Herrscher im Staat
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
45
Gedankenexperimente
Philosophen machen sehr häufig Gedankenexperimente. Sie beschreiben mit
diesen erfundene,
erfundene nicht wirkliche Situationen.
Situationen Die Argumente,
Argumente welche sich auf
ein solches Gedankenexperiment stützen, haben einen besonderen Charakter:
1)) Die
e Prämissen
ä sse a
als
s auc
auch d
die
e Konklusion
o
us o haben
abe e
einen
e kontrafaktischen
o t a a t sc e Status
Status:
Wenn die Prämissen wahr wären, dann wäre die Konklusion wahr, falls es die
beschriebene Situation wirklich gäbe.
2) Gedankenexperimente
G d k
i
t sprechen
h
üb Umstände,
über
U tä d die
di in
i möglichen
ö li h
Sit ti
Situationen
vorliegen würden. („Angenommen, die Welt wäre so und so, selbst dann müsste
das und das gelten!“)
3) Die in Gedankenexperimenten ausbuchstabierten Möglichkeiten zeigen, dass
gewisse Sachverhalte entweder notwendig oder nicht notwendig bestehen.
4) Gedankenexperimente
G d k
i
t
d k
decken
d h
daher
notwendige
t
di
W h h it
Wahrheiten
und
d
Zusammenhänge auf oder ziehen diese in Zweifel, indem sie Umstände
beschreiben, die möglicherweise der Fall sein könnten.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
46
Gedankenexperimente
Deus Malignus (René Descartes)
Es könnte sein, dass ein böser Gott (deus malignus) „bewirkt hat, dass es
überhaupt keine Erde, keinen Himmel, kein ausgedehntes Ding, keine Gestalt,
keine Größe,
Größe keinen Ort gibt,
gibt und dass dennoch dies alles genauso,
genauso wie es mir
jetzt vorkommt, bloß da zu sein scheint.“ [René Descartes: Meditationes de
Prima Philosophia]
Descartes fragt sich, ob es ein unerschütterliches Fundament der Erkenntnis
gibt, welches unbezweifelbar gewiss ist. Erfahrungserkenntnis kann uns kein
sicheres, über jeden Zweifel erhabenes Wissen verschaffen, da unsere Sinne uns
täuschen können. Was wäre,, wenn sie uns tatsächlich täuschen würden? Gibt es
in dieser (kontrafaktischen, möglichen) Situation überhaupt noch etwas, das
unerschütterlich gewiss ist?
Descartes Antwort: Es gibt dann immer noch die Selbstgewissheit des
Denkens (cogito ergo sum). Diese Selbstgewissheit bildet das unbezweifelbare
Fundament unseres Wissens, weil sie in allen denkbaren Situationen bestehen
bleibt.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
47
Unzulässige Argumente
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
48
Widersprüche und Antinomien
Widerspruch: heißt eine Aussage der Form „A und nicht A“.
g von Aussagen
g
heißt inkonsistent,,
Inkonsistenz: Eine Menge
wenn sie einen Widerspruch enthält, also z.B. zu einer Aussage
der Form „A und nicht A“ führt.
Antinomie: heißt eine spezielle Art des logischen Widerspruchs,
bei der die zueinander in Widerspruch stehenden Aussagen
gleichermaßen gut begründet (bzw. im Fall formaler Systeme:
bewiesen) sind.
¾ Aus einem widersprüchlichen System von Aussagen (d.h.
(d h einem
Argument oder einer Theorie) ist jede beliebige Aussage ableitbar.
Es ist daher unbrauchbar. (ex falso quodlibet)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
49
Die vier Antinomien des
Verstandes (Immanuel Kant)
reinen
Erste Antinomie: Kosmologisches Raum-Zeit-Problem
These: „Die Welt hat einen Anfang in der Zeit, und ist dem Raum nach auch in
Grenzen eingeschlossen.“
Antithese: „Die Welt hat keinen Anfang, und keine Grenzen im Raume, sondern
ist, sowohl in Ansehung der Zeit, als des Raumes, unendlich.“
Zweite Antinomie: Unteilbarkeit oder unendliche Teilbarkeit der Materie
These: „Eine
Eine jede zusammengesetzte Substanz in der Welt besteht aus einfachen
Teilen, und es existiert überall nichts als das Einfache, oder das, was aus diesem
zusammengesetzt ist.“
Antithese: „Kein zusammengesetztes Ding in der Welt besteht aus einfachen
Teilen, und es existiert überall nichts Einfaches in derselben.“ (unendliche
Teilbarkeit)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
50
Die vier Antinomien des
Verstandes (Immanuel Kant)
reinen
Dritte Antinomie: Naturkausalität kontra Freiheit
These: „Die Kausalität nach Gesetzen der Natur ist nicht die einzige, aus
welcher die Erscheinungen der Welt insgesamt abgeleitet werden können. Es ist
noch eine Kausalität durch Freiheit zur Erklärung derselben anzunehmen
notwendig.“
t
di “
Antithese: „Es ist keine Freiheit, sondern alles in der Welt geschieht lediglich
nach Gesetzen der Natur.
Natur “
Vierte Antinomie: Zufall vs. absolute Notwendigkeit
These: „Zu der Welt gehört etwas, das, entweder als ihr Teil, oder ihre
Ursache, ein schlechthin notwendiges Wesen ist.“
Antithese: „Es existiert überall kein schlechthin notwendiges Wesen, weder in
der Welt, noch außer der Welt, als ihre Ursache.“
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
51
Paradoxien
Ein Paradoxon oder Paradox ([alt]griechisch παράδοξον, von παρα~,
para~ - gegen~ und δόξα,
δόξα dóxa - Meinung,
Meinung Ansicht),
Ansicht) auch Paradoxie
(παραδοξία) genannt, ist eine spezielle Art von Widerspruch.
Als Paradoxie wird eine wohlbegründete Aussage bezeichnet,
bezeichnet die einer
landläufigen, weit verbreiteten Meinung widerspricht, woraus sich aber
keine echten internen logischen Schwierigkeiten ergeben. Der
Widerspruch besteht hier zwischen einer Aussage, die aus einer Theorie
folgt, und einer Aussage, die einer weit verbreiteten Auffassung
widerspricht.
Theorie
Th
i
Landläufige Auffassung
Widerspruch
A
nicht-A
A und nicht-A
Fazit: Die Theorie lässt ist nicht mit der landläufigen Auffassung
vereinbar. Das heißt nicht, dass sie intern widersprüchlich ist.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
52
Paradoxien
Das Rabenparadoxon (Bestätigungsparadoxon)
Annahme 1: Ein Gesetz wird durch Beobachtung seiner Instanzen
bestätigt.
Annahme 2: Die Bestätigung eines Gesetzes hängt nicht von dessen
Formulierung
l
ab.
b
Gesetz:
„Alle Raben sind schwarz.“
Kontraposition: „Alle
Alle nicht
nicht-schwarzen
schwarzen Gegenstände sind keine Raben.
Raben “
Schlußfolgerung: Das Gesetz „Alle Raben sind schwarz“ lässt sich auch
durch die Sichtung von weißen Kreidestücken bestätigen, denn diese sind
weder schwarz, noch Raben – und damit Instanzen einer logisch
äquivalenten Formulierung unseres Gesetzes.
Landläufige Auffassung: Das Gesetz „Alle
Alle Raben sind schwarz
schwarz“ lässt
sich nicht durch die Beobachtung von weißen Kreidestücken bestätigen. …
denn sonst könnten wir auch Vogelkunde betreiben, ohne in den Regen
hinaus zu müssen ...
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
53
Performativer Widerspruch
Einen performativen Widerspruch (Widersprüchlichkeit als Folge der Negation
von Selbstbezüglichkeit)
S lb b ü li hk i ) erhält
häl man, wenn man eine
i
auff sich
i h selbst
lb anwendbare
db
Aussage negiert. Ein Beispiel für einen performativen Widerspruch ist das
„Paradox“ des Eubulides:
„Dieser Satz ist falsch.“
Wahr oder falsch?
Ist dieser Satz nun wahr oder falsch?
a) Er ist genau dann wahr, wenn er falsch ist.
b) Er ist genau dann falsch, wenn er wahr ist.
Die Annahme, dass jeder Satz wahr oder falsch ist, kann bei Sätzen, die selbst
die Worte „wahr“ oder „falsch“ enthalten, zu Widersprüchen führen.
„Kann man diese Frage nur verneinen?“
Ein Kreter: „Alle Kreter lügen.“
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
Ja oder nein?
Lügt er oder nicht?
54
Dilemma
Ein Dilemma (griechisch δί-λημμα: „zweigliedrige Annahme“, Plural: Dilemmas
oder Dilemmata),
Dilemmata) auch Zwickmühle,
Zwickmühle bezeichnet eine Situation,
Situation die zwei
Wahlmöglichkeiten bietet, welche jedoch beide zu einem unerwünschten Resultat
führen. Es wird durch seine Ausweglosigkeit als paradox empfunden.
Auch der Zwang zu einer Auswahl zwischen zwei positiven Möglichkeiten kann
ein Dilemma sein.
Gefangenendilemma
Ein Staatsanwalt schlägt zwei getrennt voneinander einsitzenden Untersuchungshäftlingen
einen Handel vor. Ihnen wurde bereits eine kleinere Straftat nachgewiesen,
g
, aber eine
weitere wird ihnen vorgeworfen. Nun bestehen die folgenden Alternativen:
a) Schweigen beide, werden sie nur für die nachgewiesene Straftat bestraft (z.B. ein Jahr).
b) Gesteht aber einer die bislang nicht nachweisbare Haupttat,
Haupttat so geht er zur Belohnung
straffrei aus, während der andere eine weitaus höhere Strafe erhält (z.B. 10 Jahre).
c) Gestehen beide, dann erhalten beide eine hohe Strafe (z.B. fünf Jahre).
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
55
Petitio Principii und
Circulus Vitiosus
Beii der
d Petitio
i i Principii
i i ii [lateinisch:
[l
i i h „Forderung
d
d Beweisgrundes“]
des
i
d “] handelt
h d l es
sich um einen Beweis- bzw. Argumentationsfehler, der darin besteht, dass zum
Beweis eine selbst erst beweisbedürftige Aussage verwendet wird.
Annahme 1
Annahme 2
....
Annahme, die problematisch / begründungsbedürftig ist
begründete These
Ein Sonderfall der Petitio Principii ist der Circulus Vitiosus (Zirkelschluss), bei
g
die Konklusion ((das,, was bewiesen werden soll))
dem man in einem Argument
schon in den Prämissen (den Beweisgründen) verwendet.
Annahme 1
Annahme 2
....
Annahme die (offensichtlich / verdeckt) identisch mit der begründeten These ist
Annahme,
begründete These
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
56
Petitio Principii
Humes Induktionsproblem
p
„Das früher verzehrte Brot hat mich ernährt, d.h. ein Körper von diesen sinnlichen
Eigenschaften war zu dieser Zeit mit dieser verborgenen Kraft ausgerüstet; folgt aber
daraus dass ein anderes Brot,
daraus,
Brot zu anderer Zeit,
Zeit mich ebenfalls ernähren muss und dass die
gleichen sinnlichen Eigenschaften mit gleichen geheimen Kräften immer verbunden sind?
Diese Folge ist durchaus nicht notwendig; wenigstens muss man anerkennen, dass hier eine
... Schlussart besteht, die der Erklärung bedarf.“
(David Hume,
Hume Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand)
1. Annahme: In einigen Fällen habe ich die nahrhafte Wirkung von Brot erfahren.
2. Annahme: Gleichartige Gegenstände haben immer gleichartige Wirkungen.
(Petitio Principii)
begründete These: Jedes Brot hat eine nahrhafte Wirkung.
Mit welchem Recht können wir davon ausgehen, dass gleiche Ursachen gleiche Wirkungen
haben?
Woher nehmen wir die Gewissheit, dass sich die Natur gleichförmig verhält?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
57
Infiniter Regress
Eine unendliche Reihe ist eine Reihe, deren Endpunkt nie erreicht wird. Solche
Reihen
ih
gibt
ib es viele,
i l
z.B. die
di Reihe
ih der
d
positiven
ii
ganzen Zahlen:
hl
1, 2,
2 3,
3 ...
Hierbei handelt es sich um einen harmlosen Regress.
Als einen
Al
i
i fi it
infiniten
R
Regress
b
bezeichnet
i h t man in
i der
d Philosophie
Phil
hi einen
i
B
Beweis,
i bei
b i
dem es bei der Begründung der Beweisgründe zu einer immer wieder erneuten
Anwendung desselben Beweises kommt, so dass eine unendliche Reihe der
Beweisgründe
g
entsteht. Zu einem schädlichen Regress
g
kommt es dann,, wenn:
Die Reihe der Beweisgründe zu keinem Ende gelangen kann.
Der Regress aus einer philosophisch interessanten These entsteht.
Der Regress für die Position,
Position aus der er abgeleitet wird,
wird eine Inkohärenz
darstellt.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
58
Infiniter Regress
Was ist eine freie Handlung?
1. These: Eine Handlung ist frei, wenn der Handelnde die Handlung will.
2. These: Das Wollen besteht aus einem Willensakt (eine „innere“ Handlung).
3. These: Ein Willensakt ist frei, wenn ...
Wenn das Wollen ein Willensakt und damit auch eine Handlung ist, dann stellt
sich die Frage, inwiefern das Wollen (als Handeln) frei ist. Um von einer freien
Handlung zu sprechen, muss diese nicht nur auf einem Willen als solchen,
sondern auf einem freien Willen beruhen.
Regress: Eine Handlung ist frei gemäß Definition, wenn der Handelnde sie will.
Ein Willensakt aber ist frei, wenn er gemäß Definition vom Handelnden gewollt
wird Der Akt des Wollens eines Willensaktes wiederum ist frei,
wird.
frei wenn ... usw.
usw
usf.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
59
Scheinbehauptungen
In meiner Armbanduhr sitzt ein Dämon. ... Man kann ihn nicht sehen oder
auff sonstige
i
Weise
i
sinnlich
i li h wahrnehmen.
h
h
S i
Seine
Entfernung
f
würde
ü d die
di Funktion
ki
der Uhr nicht beeinträchtigen. Es lässt sich kein Unterschied angeben zwischen
einer Armbanduhr, in der ein Dämon sitzt, und einer solchen, in der keiner sitzt.
Diese Behauptung
• lässt sich prinzipiell nicht verifizieren oder falsifizieren.
• ist nicht kritisierbar.
kritisierbar
• ist weder kohärent noch inkohärent, da sie mit keinen weiteren Behauptungen
in Beziehung steht.
Es handelt sich um eine Scheinbehauptung!
Sie ist leer und bedeutungslos.
bedeutungslos
Sie besitzt weder positive noch negative Konsequenzen.
Wir können sie ohne Verlust aufgeben.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
60
Kritikmuster
Widerspruch: Zwei Annahmen widersprechen sich, d.h. sie haben die
F
Form
„A
A und
d nicht-A“.
i ht A“
Inkonsistenz: Aus den Annahmen einer Theorie
Üb
Überzeugungssystems
t
lä t sich
lässt
i h ein
i Widerspruch
Wid
h ableiten.
bl it
oder
eines
Paradoxie: Aus den Annahmen einer Theorie oder eines
Üb
Überzeugungssystems
t
f l
folgen
nicht
i ht hinnehmbare
hi
h b
oder
d
kontraintuitive
k
t i t iti
Konsequenzen.
Dilemma: Eine
Dilemma
Ei
Sit ti
Situation
b it t zweii Wahlmöglichkeiten,
besitzt
W hl ö li hk it
welche
l h aber
b
beide zu nicht hinnehmbaren Konsequenzen führen.
Petitio Principii: Bei der Begründung einer Aussage wird etwas
vorausgesetzt, das selbst begründungsbedürftig ist.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
61
Kritikmuster
Circulus Vitiosus: Bei der Begründung einer Aussage wird das
vorausgesetzt,
t t was bewiesen
b i
(b
(begründet)
ü d t) werden
d
soll.
ll
Infiniter Regress: Die Begründung einer Aussage beruht auf
P ä i
Prämissen,
di denselben
die
d
lb
problematischen
bl
ti h
St t
Status
b it
besitzen,
wie
i die
di zu
beweisende Aussage.
Äquivokation:
Ä
i k ti
B i der
Bei
d
B
Begründung
ü d
einer
i
A
Aussage
wird
i d mindestens
i d t
einer der verwendeten Ausdrücke unsauber (mehrdeutig) gebraucht.
Verlorener
Ve
lo ene Gegensatz:
Gegensat
Mi d t
Mindestens
einer
i
d
der
i einer
in
i
A
Argumentation
t ti
verwendeten Begriffe ist leer und damit unbrauchbar.
Scheinbehauptung: Es wird etwas behauptet,
behauptet das weder kritikfähig ist
noch irgendwelche Konsequenzen besitzt.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
62
Zusammenfassung
• Philosophen stellen Fragen.
• Philosophen prüfen Intuitionen auf ihre Konsistenz. (Widerspruchsfreiheit)
• Philosophen stellen Thesen auf und stützen diese durch Argumente.
• Philosophen führen grundlegende Unterscheidungen ein und definieren
ihre Begriffe.
• Philosophen prüfen die Argumente anderer kritisch.
• Philosophen fragen nach den Bedingungen der Möglichkeit eines bestimmten
Gegenstandsbereichs. (Gedankenexperimente)
• Philosophen stellen Vergleiche an. (Analogien und Metaphern)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
63
Zusammenfassung
Ziel der Philosophie
Philosophischer
Handwerkskasten
Hinterfragen des Unhinterfragten und kritische
Prüfung von Argumenten
Disziplinen der Philosophie
Sprachphilosophie (Bedeutung)
Wissenschaftstheorie (Gesetz, Erklärung)
Ethik (das gute Leben)
Ontologie (Sein, Existenz, Möglichkeit, ...)
Politische Philosophie (Staat)
Ästhetik (das Schöne)
Religionsphilosophie (Gott)
...
SS 2010
Kritikmuster
Widerspruch
Äquivokation
Petitio Principii
Infiniter Regress
Scheinbehauptung
Paradoxie
...
Wegbereiter/ Hilfsmittel
Logische Analyse
Gedankenexperiment
Metapher und Analogie
Definition
...
Einführung in die Theoretische Philosophie
64
Philosophische Fakultät Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Dr. Holm Bräuer
2. Sprachphilosophie
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
66
Bedeutung
Bedeutung
natürliche / nichtsprachliche
Semiotik
konventionelle / sprachliche
Sprecher-Bedeutung
Pragmatik
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
Wort- & Satzbedeutung
Semantik
67
Bedeutung
Nichtsprachliche Bedeutung
1) Der dunkle Rauch am Himmel zeigt,
zeigt dass der Wald bereits brennt.
brennt
2) Ein teures Auto bedeutet einen hohen sozialen Status des Besitzers.
3) Das Wegschieben des leeren Bierglases heißt, dass der Gast ein neues Bier
wünscht.
4) Der unregelmäßige, rosa Fleck auf der Karte bezeichnet Deutschland.
Gegenstände, Ereignisse oder Handlungen können als Zeichen für etwas
anderes stehend interpretiert werden.
Dieser Aspekt
p
von Bedeutung
g wird in der Semiotik untersucht.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
68
Bedeutung
Wort- und Satzbedeutung
1) „Schnee
Schnee ist weiß
weiß“ bedeutet,
bedeutet dass Schnee weiß ist.
ist
2) Das Nomen „Giraffe“ trifft auf Giraffen zu.
3) Der Name „Theo Lingens“ bezeichnet Theo Lingens.
Die Ausdrücke einer Sprache besitzen eine „literale“ Bedeutung, welche in
verschiedenen Gebrauchssituationen konstant bleibt und unabhängig von
bestimmten Sprechern und Hörern ist.
Dieser Aspekt
p
von Bedeutung
g ist Thema der Semantik.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
69
Bedeutung
Sprecher-Bedeutung
1)) Wenn Molly
y zu einem Kellner in einem Restaurant sagt
g „„Ich möchte einen
Drink.“, dann bedeutet das, dass sie den Kellner bittet, ihr einen Drink zu
bringen.
2) Wenn Molly zu ihren Freunden in der Wüste sagt „Ich möchte einen Drink.“,
dann bedeutet das, dass sie ihren Freunden mitteilen möchte, dass sie durstig
ist.
Sprache
S
h kann
k
i sozial
in
i l orientierten,
i ti t
i t ti
intentionalen
l
S
Sprech-Handlungen
h H dl
b
benutzt
t t
werden, um entweder gewisse Absichten und andere Einstellungen zum
Ausdruck zu bringen oder gewisse Reaktionen seitens der Hörer hervorzurufen.
Dieser Aspekt der Bedeutung gehört zur Pragmatik und wird z. B. in der
Sprechakttheorie thematisiert.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
70
Bedeutung
Weitere Aspekte von Bedeutung
Soziale Bedeutung: Was wird mit einer Äußerung über die sozialen Umstände
des Sprachgebrauchs kommuniziert?
Affektive Bedeutung: Was wird mit einer Äußerung über die Gefühle und
Einstellungen des Sprechers kommuniziert?
Konnotative Bedeutung: Was wird mit den Worten einer Äußerung aufgrund
der Beziehung dieser Worte zu einem anderen Sinn nahegelegt? Was „schwingt“
in der Verwendung bestimmter Ausdrücke mit? (Pferd vs.
vs Klepper)
Thematische Bedeutung: Was wird mit einer Äußerung durch die Art und
Weise wie sie in Bezug auf Reihenfolge der Worte und Emphasis (Betonung)
Weise,
organisiert ist, mitgeteilt?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
71
Bedeutung
Bedeutungsverstehen und Sprachkompetenz
„Das Geheimnis der Auferstehung gibt ständig zu denken, ohne dass es ein
befriedigendes Resultat gibt. Es ist verständlich, dass reine Verstandesmenschen
sich mit Verdruss abwenden.“ (... aus einem evangelischen Kalenderblatt am
Ostersonntag)
Ein Sprecher des Deutschen versteht diese Sätze und die meisten anderen Sätze
seiner Sprache ohne weiteres und ohne genau diese Sätze je zuvor gehört oder
gelesen zu haben.
• Wie funktioniert das?
• Was macht die Fähigkeit eines Sprecher aus, die darin besteht, eine Sprache
zu verstehen und zu gebrauchen?
• Was muss ein Sprecher wissen, wenn er versteht, was ein Satz seiner Sprache
bedeutet?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
72
Bedeutung
Bedeutungsverstehen und Sprachkompetenz
Die philosophische Untersuchung der Sprache stützt sich auf die folgenden
Daten:
• Einige Zeichenreihen oder Geräuschsequenzen sind bedeutungsvolle Sätze.
• Jeder bedeutungsvolle Satz hat Teile, die selbst eine Bedeutung besitzen.
• Jeder bedeutungsvolle Satz besitzt eine ganz spezifische Bedeutung.
Bedeutung
• Kompetente Sprecher einer Sprache sind in der Lage, die Sätze dieser Sprache
ohne Anstrengung und fast unmittelbar zu verstehen.
Diese Tatsachen verlangen nach einer Erklärung:
• Wie kommt es, dass eine Sequenz von Zeichen bedeutungsvoll ist?
• Weshalb bedeutet eine solche Sequenz das, was sie bedeutet?
• Was befähigt Menschen dazu, bedeutungsvolle Zeichenreihen zu verstehen
bzw. zu produzieren? Welche kognitiven Leistungen sind daran beteiligt?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
73
Sprachphilosophie
Bedeutung und Bezugnahme singulärer Terme
(Theorien der Referenz)
Bedeutung komplexer Ausdrücke
(Semantik)
Bedeutung und Kontext
(Pragmatik)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
74
Autor
Blabla
Blabla
Blabla
Problem
Problemstellung
Autor
Blabla
Blabla
Blabla
????
Autor
Blabla
Blabla
Blabla
SS 2010
Thesen &
Argumente
Blabla
Blabla
Blabla
Thesen &
A
Argumente
Blabla
Blabla
Blabla
Thesen &
Argumente
Blabla
Blabla
Blabla
Einführung in die Theoretische Philosophie
Probleme
Blabla
Blabla
Blabla
Probleme
Blabla
Blabla
Blabla
Probleme
Blabla
Blabla
Blabla
75
Sprachphilosophie
Theorien der Bedeutung und
Bezugnahme singulärer
Ausdrücke
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
76
Die naive Sichtweise
Der Eigenname „Theo Lingens“ steht für Theo Lingens.
Die Kennzeichnung „der König von Frankreich“ steht für den König von
Frankreich.
Das Nomen „Hund“ bezieht sich auf Hunde.
Der Satz „„Die Katze sitzt auf der Matte“ beschreibt eine Situation,, in der eine
Katze auf der Matte sitzt (indem sich „die Katze“ auf eine Katze, „die Matte“ auf
eine Matte und „sitzt-auf“ auf eine Relation des Sitzens-auf-etwas bezieht).
Verallgemeinerung
Ve
allgemeine ng
Sprachliche Ausdrücke haben eine Bedeutung, weil sie für etwas stehen.
Naive Sichtweise
Die Dinge und Situationen, für die sprachliche
Bezugnahme/ Referenz), ist deren Bedeutung.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
Ausdrücke
stehen
(ihre
77
Die naive Sichtweise
Nicht jeder Name steht für ein tatsächliches Ding.
„Sherlock Holmes“ hat zwar eine Bedeutung, aber er bezeichnet nichts.
Nicht jedes Wort steht für einen Gegenstand.
Viele Ausdrücke der Sprache („niemand“, „sehr“, „und“, „das“, ...) haben eine andere
Funktion als für einen Gegenstand zu stehen.
Nicht jede Folge von Worten bedeutet etwas.
Sinnlose Folgen von Worten haben keine Bedeutung, auch wenn sich die einzelnen
Ausdrücke auf etwas beziehen mögen. („Theo Lingens Matte Katze grün.
grün.“))
Worte, die für denselben Gegenstand stehen, besitzen oft unterschiedliche
Bedeutungen.
Die Kennzeichnung „die gegenwärtige Bundeskanzlerin“ und der Eigenname „Angela Merkel“
beziehen sich jetzt zwar auf dieselbe Person, sie sind aber nicht bedeutungsgleich, denn
dann wäre Merkel notwendigerweise Bundeskanzlerin.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
78
Semantische Rollen
singuläre
i
lä
T
Terme:
Cl
Clemens
L b
Lauben,
er, wir,
i dort,
d t die
di Königin
Kö i i von England,
E l d der
d
Eifelturm (Eigennamen, Pronomen, Kennzeichnungen)
¾ ... beziehen sich auf einzelne Gegenstände oder Personen.
generelle Terme: Hund, rot, fett, Zwergkaninchen, Liebe, größer als (Nomen,
Verben, Adjektive)
¾ ... beschreiben oder charakterisieren Gegenstände oder Personen.
Personen Sie
bezeichnen Qualitäten (Eigenschaften) oder Relationen.
Funktionsausdrücke: viele,
viele sehr,
sehr und,
und falls,
falls möglich (Quantoren,
(Quantoren Junktoren,
Junktoren
Adverbien)
¾ ... haben eine andere semantische Funktion.
Vermutung
Für singuläre Terme gilt das Paradigma, dass Bedeutung = Bezugnahme.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
79
Korrigierte naive Sichtweise
Die These, die es nun zu untersuchen gilt, ist die, dass sich in einem
typischen atomaren Satz,
Satz etwa „Theo
Theo Lingens ist groß.“,
groß “ es zwei
Arten von Ausdrücken gibt, die unterschiedliche semantische
Funktionen besitzen.
• Die semantische Funktion des singulären Terms (hier des
Eigennames „Theo Lingens“) ist es, sich auf eine bestimmte Person zu
b i h
beziehen,
oder
d
di
diese
eine
i
P
Person
unter
t
mehreren
h
möglichen
ö li h
herauszugreifen.
• Die semantische Funktion des generellen Terms (hier der
Verbalphrase „ist groß“) ist es anschließend, die herausgegriffene
Person weiter zu charakterisieren oder zu beschreiben.
• Ein Satz wie „Theo Lingens ist groß“ ist genau dann wahr, wenn der
Gegenstand, auf den sich der singuläre Term bezieht, das
Charakteristikum tatsächlich besitzt, welches durch den generellen
Term beschrieben wird.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
80
Gottlob Frege über Sinn und
Bedeutung
Gottlob Frege (1848 – 1925)
Frege ist als Begründer der modernen
Logik in die Wissenschaftsgeschichte
eingegangen Sein Werk hatte auf die
eingegangen.
Entwicklung der Sprachphilosophie
einen entscheidenden Einfluss.
Wichtigste Werke:
Begriffsschrift (1879)
Die Grundlagen der Arithmetik (1884)
„Über Sinn und Bedeutung“ (1892)
Grundgesetze
der
Arithmetik
(1893/1903)
„Der Gedanke“ (1918)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
81
Gottlob Frege über Sinn und
Bedeutung
Substitutionsprinzip
Austauschbarkeit salva veritate
Wenn wir einen Satz S haben, der den singulären Term α enthält, dann ändert
sich die Bedeutung von S nicht (Wahrheit bzw. Falschheit), wenn wir α durch
einen anderen singulären Term β ersetzen, falls dieser dieselbe Bedeutung
besitzt.
Die Schwester von John ist Ärztin. (α = die Schwester von John)
Die Tochter der Eltern von John ist Ärztin. (β = die Tochter von Johns Eltern)
Wenn der erste Satz wahr ist,
ist so muss notwendigerweise auch der zweite wahr
sein und umgekehrt. Beide beschreiben dieselbe Situation, da sich die Ausdrücke
α und β auf dieselbe Person (auf Christa) beziehen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
82
Gottlob Frege über Sinn und
Bedeutung
Identitätssätze
(1) Der Abendstern ist der Morgenstern.
(2) Der Morgenstern ist der Morgenstern.
(1) stellt eine astronomische Entdeckung dar und ist daher kontingent
wahr.
(2) ist eine Tautologie und damit a priori wahr!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
83
Gottlob Frege über Sinn und
Bedeutung
Glaubenssätze
(3) Sophia Loren glaubt, dass Mark Twain tot ist.
(4) Sophia Loren glaubt, dass Samuel Clemens tot ist.
Es kann Situationen geben,
geben in denen (3) wahr und (4) falsch ist oder umgekehrt,
umgekehrt
z.B. wenn:
• Sophia Loren verbindet mit den beiden Namen verschiedene Personen.
• Sophia Loren kennt Samuel Clemens nur unter seinem Künstlernamen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
84
Gottlob Frege über Sinn und
Bedeutung
Bezugnahme scheint nicht alles zu
sein, wenn es um die Bedeutung von
singulären Termen geht. Wir brauchen
noch „feinkörnigere“
Bedeutungsträger um z.B.
Bedeutungsträger,
z B zwischen
informativen und trivialen
Identitätssätzen oder zwischen
unterschiedlichen Glaubenssätzen
unterscheiden zu können.
Angenommen, wir schauen durch ein Fernrohr zur Venus. Wir könnten dann
unterscheiden zwischen den folgenden Gegenständen:
Bezugnahme (Gegenstand, auf den sich „der Morgenstern“ bezieht) = der Planet Venus
Sinn (Gegebenheitsweise der Venus) = Projektion der Venus auf dem Teleskop
Vorstellung (mentale Repräsentation der Venus) = Abbild der Venus auf der Retina
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
85
Gottlob Frege über Sinn und
Bedeutung
Gottlob Frege schlägt deshalb vor, zwischen der BedeutungF (Denotation) und
dem Sinn eines Ausdrucks zu unterscheiden. Bei beiden handelt es sich um
verschiedene „Bedeutungsträger“, die in verschiedenen sprachlichen Kontexten
wirksam sind.
Ausdruck
Vorstellung
g
(subjektiv)
SinnF
(Art des Gegebenseins,
intersubjektiv)
Morgenstern
{Stern, den ich gestern am
Hi
Himmel
l gesehen
h
h
habe}
b }
{Stern, der am Wintermorgen leuchtet}
[Stern, der morgens als
l t t verlischt]
letzter
li ht]
Abendstern
{Stern, den ich letzte
Woche in Berlin gesehen
habe}
{Abbildung in einem
Märchenbuch}
[Stern, der abends als
erster erscheint]
Satz
Kombination von
g
Vorstellungen
Gedanke
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
Bedeutung
gF
(objektiv)
Wahrheitswert: das
Wahre / das Falsche
86
Gottlob Frege über Sinn und
Bedeutung
Frege und die Terminologie für Bedeutungsaspekte
Autor
Sachbezug
Begriffsbezug
übl. dt. Terminologie
Bezugsgegenstand
Bedeutung
J. S. Mill (1862)
Denotation
Konnotation
G. Frege (1892)
Bedeutung
Sinn
B. Russell (1905)
Denotation
Bedeutung
R. Carnap (1947)
Extension
Intension
M. Black (1949)
Referenz
Sinn
W. V. Quine (1960)
Referenz
Bedeutung
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
87
Bertrand Russells
Kennzeichnungstheorie
Bertrand Russell (1872 - 1970)
Russell gilt neben Frege als einer der
Begründer der modernen Logik. Er arbeitete
zu den Grundlagen
g
der Mathematik und
hatte auf die Entwicklung der modernen
analytischen Philosophie großen Einfluss. In
seinen späteren Jahren arbeitete er auf dem
Gebiet
der
politischen
p
und
Sozialphilosophie.
Wichtigste Werke:
Principles of Mathematics (1903)
„On Denoting“ (1905)
Principia Mathematica (1910
(1910-1913)
1913)
„Knowledge by Acquaintance and Knowledge
by Description“ (1910)
The Philosophy of Logical Atomism (1918)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
88
Bertrand Russells
Kennzeichnungstheorie
Das Problem der Bezugnahme auf nichtexistente Gegenstände
(1) Der gegenwärtige König von Frankreich ist reich.
Das Problem der negativen Existenzsätze
(2) Der gegenwärtige König von Frankreich existiert nicht.
Freges Identitätsrätsel
((3)) Angela
g
Merkel ist die g
gegenwärtige
g
g Bundeskanzlerin.
Das Substitutionsproblem
(4) Hans glaubt, dass der Autor der Wahlverwandtschaften [der Gatte von
Charlotte Vulpius] ein Freund Schillers war.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
89
Bertrand Russells
Kennzeichnungstheorie
(5) Der Autor der Wahlverwandtschaften war ein Freund Schillers.
Dieser Satz besitzt – so Russell – eine (semantische) „Tiefenstruktur“, die aus
einer Konjunktion von drei Aussagen besteht, von denen keine einen
b
bezugnehmenden
h
d
A d
Ausdruck
k enthält,
thält der
d für
fü Goethe
G th steht:
t ht
Existenzbehauptung: Es gibt (mindestens) einen Autor der Wahlverwandtschaften.
Einzigkeitsbehauptung: Es gibt höchstens einen Autor der Wahlverwandtschaften.
Wahlverwandtschaften
Prädikation: Jeder, der die Wahlverwandtschaften schrieb, war ein Freund Schillers.
Zusammengesetzt ergeben diese drei Aussagen:
(6) Es gibt einen und nur einen Autor der Wahlverwandtschaften und dieser war
ein Freund Schillers.
symbolisch: ∃x (AW(x) ∧ ∀y ((AW(y) → y = x) ∧ FS(x)))
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
90
Bertrand Russells
Kennzeichnungstheorie
Das Problem der Bezugnahme auf nichtexistente Gegenstände
(1a)
Es gibt einen König von Frankreich und
es gibt höchstens einen König von Frankreich und
wer immer König von Frankreich ist,
ist ist reich.
reich
Das Problem der negativen Existenzsätze
(2a)
Es ist nicht der Fall, dass folgendes gilt: es gibt einen und nur einen
König von Frankreich.
Freges Identitätsrätsel
(3a)
SS 2010
Es gibt eine Bundeskanzlerin und
es gibt höchstens eine Bundeskanzlerin und
wer immer gegenwärtig Bundeskanzlerin ist, es ist Angela Merkel.
Einführung in die Theoretische Philosophie
91
Bertrand Russells
Kennzeichnungstheorie
Das Substitutionsproblem
(4a)
Hans glaubt das folgende: Es gibt einen Autor der
Wahlverwandtschaften und es gibt höchstens einen Autor der
Wahlverwandtschaften und wer immer der Autor der
Wahlverwandtschaften ist, war ein Freund Schillers.
(4b)
Hans glaubt das folgende: Es gibt einen Gatten von Christiane Vulpius
und es gibt höchstens einen Gatten von Christiane Vulpius und wer
immer der Gatte von Christiane Vulpius
p
war,, war ein Freund Schillers.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
92
Bertrand Russells
Kennzeichnungstheorie
Falschheit überzogen (Frege/Strawson)
(1) Der gegenwärtige König von Frankreich ist reich.
Was sagst du da? Frankreich hat doch gar keinen König!
Falls es keinen gegenwärtigen König von Frankreich gibt, dann scheint (1)
intuitiv nicht falsch zu sein, sondern in einem gewissen Sinne unvollständig oder
unangemessen. Wir würden eher sagen, (1) sei eine unvollständige, misslungene
oder fehlgeschlagene Äußerung.
Ä
Domänenbeschränkung
(7) Der Mann überquerte die Straße.
Es wäre übertrieben zu behaupten,
behaupten dieser Satz sei nur dann wahr,
wahr wenn es einen
und nur einen Mann gibt. Dieser Satz kann vielmehr erfolgreich geäußert werden
und wahr sein, wenn der Hörer weiß, welcher Mann gemeint ist.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
93
Bertrand Russells
Kennzeichnungstheorie
Beschreibende und bezugnehmende Kennzeichnungen
(Donnellan 1966)
(8) Der Mörder von Schmidt ist wahnsinnig.
Situation 1: Wir finden eine übel zugerichtete Leiche von Schmidt und wissen
nicht wer dessen Mörder ist:
(8a) Der Mörder von Schmidt (wer auch immer das sein mag) ist wahnsinnig.
Situation 2: Wir befinden uns im Gerichtssaal und wir nehmen an, dass Jones
der Mörder von Schmidt ist. (Was vielleicht noch nicht bewiesen ist.) Jones
benimmt sich sehr merkwürdig:
(8b) Der Mörder von Schmidt (d.h. Jones) ist wahnsinnig.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
94
Bertrand Russells
Name Claim
Bezugnahme auf nichtexistente Gegenstände
(1b) Sherlock Holmes wohnt in der Bakerstreet.
Negative Existenzsätze
(2b) Pegasus existiert nicht.
Freges Identitätsrätsel
((3b)) Mark Twain ist Samuel Clemens [[Mark Twain].
]
Substitutionsproblem
(4c) Sophia Loren glaubt, dass Samuel Clemens [Mark Twain] Huckleberry Finn
schrieb.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
95
Bertrand Russells
Name Claim
Russell erweiterte seine Theorie auf Eigennamen. Er behauptete, dass
Eigennamen
i
Abkürzungen
bkü
fü Kennzeichnungen
für
i h
sind,
i d die
di wiederum
i d
– nach
h
seiner Theorie der Kennzeichnungen – als Abkürzungen für komplexere,
quantifikationale Strukturen analysiert werden müssen.
Diese Ansicht hat leider schwerwiegende Probleme.
Abkürzungen wofür?
Oft gibt es keine einzelne, bestimmte Kennzeichnung, die den Sinn eines
Eigennamens wiedergeben könnte,
könnte weder in Bezug auf den einzelnen Sprecher
noch intersubjektiv:
Angela Merkel
SS 2010
= die gegenwärtige Bundeskanzlerin
= die Vorsitzende der CDU
= die Gewinnerin der Wahlen 2005 ... usw.
Einführung in die Theoretische Philosophie
96
Bertrand Russells
Name Claim
Trivialität?
( )
(9)
(10)
Angela
g
Merkel g
gewann die Wahlen 2005.
Es gibt eine und nur eine Gewinnerin der Wahlen 2005, welche die
Wahlen 2005 gewann.
Schwankungen des Sinns?
Das, was verschiedene Personen über den Träger eines Eigennamens wissen,
kann sich stark voneinander unterscheiden; ebenso das, was ein einzelner
Sprecher zu verschiedenen Zeitpunkten über diesen weiß. Schwankt damit der
Sinn eines Eigennamens von Sprecher zu Sprecher oder von Zeitpunkt zu
Z i
Zeitpunkt?
k ? Oder
Od sind
i d Eigennamen
Ei
ambige
bi
(
(mehrdeutige)
h d
i ) Ausdrücke,
A d ü k die
di je
j nach
h
Situation Verschiedenes bedeuten können?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
97
Bertrand Russells
Name Claim
Gödel und Schmidt
Russells Name Claim:
„Gödel“ = „derjenige, der das Unvollständigkeitstheorem bewies“
(11)
Gödel bewies das Unvollständigkeitstheorem.
Intuitiv: Der Satz sagt etwas Falsches von Gödel.
Russell: Der Satz ist trivial wahr und sagt etwas von Schmidt.
Schmidt
(12)
Gödel bewies das Unvollständigkeitstheorem nicht.
Intuitiv: Der Satz sagt etwas Wahres von Gödel.
Russell: Der Satz ist widersprüchlich und sagt etwas von Schmidt.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
98
Saul Kripkes Theorie der rigiden
Designatoren
Saul (Aaron) Kripke (*1940)
Amerikanischer Logiker und Philosoph.
Beschäftigt sich vorwiegend mit der
Modallogik Bekannt wurde er auch
Modallogik.
durch seine Arbeiten zur kausalen
Theorie der Bezugnahme.
Wichtigste Werke:
Naming and Necessity (1972)
„An
A
O tli
Outline
off a Theory
Th
off Truth“
T th“
(1975)
„Speaker Reference and Semantic
(
)
Reference“ (1977)
„A Puzzle About Belief“ (1979)
Wittgenstein on Rules and Private
Language (1984)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
99
Saul Kripkes Theorie der rigiden
Designatoren
Situation 1:
Das rote Rechteck ist
kleiner als das grüne
g
Rechteck.
Situation 2:
Das rote Rechteck ist
kleiner als das grüne
Rechteck.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
100
Saul Kripkes Theorie der rigiden
Designatoren
„Alpha“
Situation 1:
„Beta“
Alpha ist kleiner als Beta.
Beta
„Alpha“
„Alpha
„Beta“
Situation 2:
Alpha ist kleiner als Beta.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
101
Saul Kripkes Theorie der rigiden
Designatoren
Mögliche Welten (Situationen)
Stellen wir uns unsere aktuale Welt vor. Wenn wir über Dinge in dieser Welt
sprechen, dann sprechen wir darüber, was tatsächlich passiert: „Schröder ist
Bundeskanzler “, „Gras
Bundeskanzler.
Gras ist grün.
grün “ usw.
usw
Es hätte aber auch anders sein können, die Welt könnte anders sein, als sie ist:
Merkel könnte die Wahlen verloren haben, Gras könnte auch rot sein usw. Es
gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, wie unsere Welt aussehen könnte.
Diese nennen wir mögliche Welten. Jede dieser möglichen Welten repräsentiert
eine nichtaktuale, globale Möglichkeit, wie die Welt (das gesamte Universum)
sein könnte.
Die Wahrheit eines Satzes hängt davon ab, welche Welt wir in Betracht
ziehen.
• Der
D Satz
S
„Merkel
M k l ist
i Bundeskanzlerin.“
B d k
l i “ ist
i wahr
h in
i unserer Welt,
W l aber
b in
i einer
i
anderen möglichen Welt, in der die Wahlen anders ausgegangen wären, ist
dieser Satz falsch.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
102
Saul Kripkes Theorie der rigiden
Designatoren
Eigennamen
Kennzeichnungen
g
„Alpha“
„Beta“
Situation 1
„Alpha“
„Alpha“
„„Beta“
Situation 2
„Alpha“
„Beta“
Situation 1
„„Beta“
Situation 2
(15) Das rote Rechteck ist kleiner als das
grüne Rechteck.
(16) Alpha ist kleiner als Beta.
Schwache Designatoren
Rigide Designatoren
... sind solche singulären Terme, welche in
verschiedenen
Welten
(Situationen)
unterschiedliche
Bezugsgegenstände
besitzen.
... bezeichnen in jeder Welt (Situation)
dasselbe Individuum, falls sie in der aktualen
Welt eines bezeichnen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
103
Saul Kripkes Theorie der rigiden
Designatoren
Kennzeichnungen sind schwache und Eigennamen rigide Designatoren. Daher
kö
können
Eigennamen
i
nicht
i h äquivalent
ä i l
mit
i Kennzeichnungen
i h
sein.
i
Test auf Rigidität
Es hätte sein können, dass N nicht N gewesen ist.
Bei Einsetzung von schwachen Designatoren für N ergibt das üblicherweise
einen wahren Satz:
(17)
Es hätte sein können, dass der berühmteste römische Redner nicht
d
der
b üh
berühmteste
römische
ö i h Redner
d
gewesen ist.
Bei rigiden Designatoren ergibt das einen kaum verständlichen, seltsamen
S t
Satz:
(18)
SS 2010
Es hätte sein können, dass Cicero nicht Cicero gewesen ist.
Einführung in die Theoretische Philosophie
104
Saul Kripkes Theorie der rigiden
Designatoren
Die kausal-historische Theorie der Bezugnahme
g
Wie gelingt es uns eigentlich, auf den Träger eines Namens Bezug zu
nehmen, ohne dafür „identifizierende Beschreibungen
Beschreibungen“ zu benutzen?
„Sagen wir, es wird jemand geboren, ein Baby; seine Eltern rufen es
mit einem bestimmten Namen.
Namen Sie reden mit Freunden über es.
es Andere
Leute kommen mit ihnen zusammen. Durch verschiedene Arten der
Rede wird der Name von Glied zu Glied verbreitet wie durch eine Kette.
... Eine bestimmte Kommunikationskette erreicht den Sprecher.
Sprecher Er
referiert dann auf Feynman, obwohl er ihn nicht durch Beschreibungen,
die auf ihn als einzigen zutreffen, identifizieren kann.“ (Kripke
1981/1972 107)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
105
Eigennamen und ihre Träger
John Steward Mill: Die Bedeutung von Eigennamen liegt allein in ihrem Träger.
Ihre Funktion erschöpft sich darin,
darin ein Individuum in den Diskurs einzuführen.
einzuführen
Sie sind eine Art Etiketten, durch die Ausdrücke zu Individuen zugeordnet
werden.
Bertrand Russell: Eigennamen stellen abgekürzte Kennzeichnungen dar. Ihre
Funktion liegt darin, eine komplexe, quantifizierende Behauptung einzuführen,
durch die ein einzelnes Individuum anhand der verwendeten Beschreibungen
herausgegriffen werden kann.
John Searle: Eigennamen stehen für Cluster individuierender Beschreibungen,
mit denen es uns gelingt, das gemeinte Individuum zu identifizieren.
Saul Kripke: Eigennamen besitzen eine rigide Bezugnahme. Die Zuordnung des
Namens auf den entsprechenden Referenten basiert weder auf einzelnen noch
auf Clustern von Beschreibungen,
Beschreibungen sondern auf den kausalen Beziehungen in
einer Kommunikationskette, die bis auf einen Akt der Namensgebung zurück
reicht.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
106
Hilary Putnam über Ausdrücke für
natürliche Arten
Hilary Putnam (*1926)
Putnam
ist
ein
einflussreicher
amerikanischer Philosoph, der vor
allem bekannt ist wegen seiner
Arbeiten
auf
den
Gebieten
der
Wissenschaftstheorie, der Philosophie
des Geistes und des Pragmatismus.
Wichtigste Werke:
Philosophical Papers,
Papers 3 Bde.
Bde (1972(1972
1983)
„The Meaning of ‚Meaning‘“ (1975)
y ((1981))
Reason,, Truth,, and History
Representation and Reality (1988)
Realism with a Human Face (1990)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
107
Hilary Putnam über Ausdrücke für
natürliche Arten
Prädikate für natürliche Arten: allgemeine Nomen, die für natürliche
S b
Substanzen
oder
d O
Organismen
i
wie
i Wasser, Kupfer,
f
Tiger,
i
Molybdän
l bdä usw. stehen.
h
Beschreibungstheorie und Stereotypen
Eine Beschreibungstheorie für natürliche-Arten-Ausdrücke behauptet, dass jeder
Ausdruck dieses Typs mit einem deskriptiven Stereotyp assoziiert ist, anhand
d
dessen
di Gegenstände,
die
G
tä d
di unter
die
t
d
das
j
jeweilige
ili
P ädik t fallen,
Prädikat
f ll
id tifi i t
identifiziert
werden können:
• Wasser = die klare,
klare geschmacklose Flüssigkeit,
Flüssigkeit die als Regen vom Himmel
fällt und Seen und Flüsse füllt
• Tiger = der katzenähnliche, schwarz-orange gestreifte Fleischfresser, welcher
einzeln durch die Wälder von Asien streift
• Kupfer = das rotbraune, metallische Material, welches sich leicht erwärmen
lässt, relativ biegsam ist und den Strom leitet
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
108
Hilary Putnam über Ausdrücke für
natürliche Arten
Das Twin Earth Gedankenexperiment I
Stellen wir uns vor, es gäbe eine Doppelerde (Twin Earth), die in allen Aspekten
mit unserer wirklichen Erde identisch ist – insbesondere in Bezug auf die
sichtbaren Eigenschaften eines Stoffes, der dort Flüsse und Seen füllt,
geruchsneutral und durchsichtig ist.
Stellen wir uns weiter vor, dass dieser Stoff dort nicht die Zusammensetzung von
Wasser (nämlich H2O), sondern die Zusammensetzung XYZ hätte.
These: Diesen Stoff würden wir nicht „Wasser“ nennen, auch wenn es dem
Wasser auf unserer Erde in allen anderen phänomenalen Eigenschaften gleicht.
• Der Wasserstereotyp kann nicht als identifizierend für „Wasser“ angesehen
werden.
• Was Wasser ist, wird durch seine Zusammensetzung (chem. Struktur)
festgelegt, nicht durch den Stereotyp.
• „Wasser“ wie auch „Tiger“ oder „Molybdän“ sind rigide Designatoren!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
109
Hilary Putnam über Ausdrücke für
natürliche Arten
Das Twin Earth Gedankenexperiment II
Stellen wir uns nun vor, dass es auf der Doppelerde eine Molekül für Molekül
identische Angela Merkel gibt. Nennen wir sie „Doppelmerkel“. Merkel und
Doppelmerkel äußern nun im selben Moment den Satz „Ich
Ich möchte ein Glas
Wasser.“
Obwohl beide sich z.B. in demselben Gehirnzustand befinden und vielleicht auch
die Zusammensetzung von „Wasser“ (H2O) und „Doppelwasser“ (XYZ) nicht
k
kennen,
und
d obwohl
b hl der
d
einzige
i i
U t
Unterschied
hi d zwischen
i h
d
der
E d und
Erde
d der
d
Doppelerde in der chemischen Zusammensetzung von Wasser besteht, haben die
Worte aus Merkels und Doppelmerkels Mund eine unterschiedliche Bedeutung. ⇒
Die beiden Sätze sind nicht äquivalent, denn Merkel möchte H2O und
Doppelmerkel
l
k l XYZ!
¾ Die Bedeutungen unserer Worte werden weder festgelegt durch die
Totalzustände unserer Gehirne,
Gehirne noch durch die Totalzustände unseres
Körpers, noch durch die psychologischen Zustände, in denen wir uns
befinden,
denn
diese
sind
nach
den
Voraussetzungen
unseres
Gedankenexperiments identisch!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
110
„Meanings are not in the head.“
(Hilary Putnam)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
111
Sprachphilosophie
Semantik
Bedeutungstheorien
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
112
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
113
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
114
Bedeutungstatsachen
Bedeutungsgehalt: Unter der Menge der Tonfolgen und der Menge der
Zeichenreihen gibt es solche,
solche die bedeutungsvoll sind,
sind und solche die es nicht
sind. Wie ist das zu erklären? Welche Eigenschaften muss ein Satz aufweisen,
damit er etwas bedeutet?
Der Mond scheint hell. / Brt xyz $3&?ß JJJ.
Synonymie: Zwei Ausdrücke werden manchmal bedeutungsgleich genannt. Was
h ißt es, dass
heißt
d
zweii Ausdrücke
A d ü k dieselbe
di
lb Bedeutung
B d t
b it
besitzen?
? Worin
W i gleichen
l i h
sie
i
sich? Was ist ihr gemeinsames Merkmal?
Der Erpel balzt. / Das Entenmännchen balzt.
Ambiguität: Es gibt Ausdrücke, die mehr als eine Bedeutung besitzen. Wann ist
dies der Fall? Wie kann man entscheiden, wann welcher Ausdruck welche
B d t
Bedeutung
b it t?
besitzt?
Maria erkennt ihre Bank an dem blauen Quadrat. / Horst ist ein Esel.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
115
Bedeutungstatsachen
Analytizität: Wir sagen manchmal, ein Ausdruck sei in einem anderen schon
„enthalten“.. Sätze, die aus solchen Ausdrücken zusammengesetzt sind, sind
„enthalten
wahr aufgrund der Bedeutung der Ausdrücke, aus denen sie zusammengesetzt
sind. Wir brauchen kein Faktenwissen, um ihre Wahrheit oder Falschheit
herauszufinden. Wie lässt sich das erklären? Was genau heißt es, dass ein
Ausdruck in einem anderen „enthalten
enthalten“ ist?
Junggesellen sind unverheiratete Männer.
Folgebeziehungen: Ein Satz kann aus einem oder mehreren anderen Sätzen
folgen. Welche Merkmale müssen die entsprechenden Sätze besitzen, damit
einer aus dem anderen folgt?
Wenn es regnet, dann ist die Straße nass. Es regnet. Also: Die Straße ist nass.
Präsuppositionen: Die Wahrheit mancher Sätze hat die Wahrheit eines oder
mehrer anderer Sätze zur Voraussetzung. Wie kann das erklärt werden?
Maria hat mit dem Rauchen aufgehört. >> Maria hat geraucht.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
116
Grundfragen der Semantik
Kombination
Sprache
Ausdruck X
Ausdruck Y
Ausdruck Z
Ausdruck ((XYZ))
B
Bezugnahme
h
/R
Repräsentation
ä
t ti / Abbildung
Abbild
/D
Denotation
t ti
Bedeutung von X
Bedeutung von Y
Bedeutung von Z
Bedeutung von (XYZ)
Bedeutungen
Kombination
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
117
Grundfragen der Semantik
1) Welche Aussage wird dazu getroffen, was die Bedeutungen
sprachlicher Ausdrücke sind? Was sind die Bedeutungsobjekte?
2) Wie können anhand der Strukturen und Mechanismen, die für die
unterstellten Bedeutungsobjekte maßgeblich sind,
sind die genannten
Bedeutungstatsachen erklärt werden?
3) Welche Beziehungen bestehen zwischen der Bedeutung eines
komplexen sprachlichen Ausdrucks (z. B. eines Satzes) und den
Bedeutungen der Teile, aus denen er zusammengesetzt ist (z. B. der
Worte, aus denen ein Satz aufgebaut ist)?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
118
John Locke über Vorstellungen und
Bedeutungen
John Locke (1632 – 1704)
Locke
ist
einer
der
wichtigsten
Philosophen
des
sog.
britischen
E
Empirismus.
i i
S i Hauptinteresse
Sein
H
ti t
galt
lt
der Erkenntnistheorie. Darüber hinaus
hat er sich mit der politischen
Philosophie
p
und den Prinzipien
p
der
Bildung beschäftigt.
Wichtigstes Werk:
An
Essay
y
Concerning
g
Understanding (1690)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
Human
119
John Locke über Vorstellungen und
Bedeutungen
Wenn jemand auch eine Fülle verschiedener Gedanken hegt, ... so sind
sie doch alle in seiner Brust verschlossen, für andere unsichtbar und
verborgen: sie können auch nicht durch sich selbst kundgegeben
werden. Da nun aber die Annehmlichkeiten und Vorteile der
Gemeinschaft
h f ohne
h
eine Mitteilung
l
d
der
Gedanken
d k
nicht
h zu erreichen
h
sind, so musste der Mensch notwendig gewisse äußere, sinnlich
wahrnehmbare Zeichen finden, mit deren Hilfe jene unsichtbaren Ideen,
di
die
seine
i
G d k
Gedankenwelt
lt ausmachen,
h
anderen
d
mitgeteilt
it t ilt werden
d
könnten. Für diesen Zweck war ... nichts so gut geeignet wie jene
artikulierten Laute, die der Mensch mit Leichtigkeit und Mannigfaltigkeit
zu erzeugen imstande war.
war So wird es begreiflich,
begreiflich wie es dazu kam,
kam daß
gerade die Wörter ... als Zeichen für ihre Ideen verwendet wurden. ...
Der Zweck der Wörter besteht also darin, sinnlich wahrnehmbare
Kennzeichen der Ideen zu sein; die Ideen,
Ideen für die sie stehen,
stehen machen
ihre eigentliche und unmittelbare Bedeutung aus. (John Locke, Versuch
über den menschlichen Verstand, 3. Buch)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
120
John Locke über Vorstellungen und
Bedeutungen
Kommunikation ist ein Kodieren und Dekodieren von mentalen Zuständen
(
(Vorstellungen,
ll
Ideen)
d
) anhand
h d von Zeichenfolgen.
i h f l
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
121
John Locke über Vorstellungen und
Bedeutungen
Orientierung an den Bedeutungstatsachen
Ein sprachlicher Ausdruck (z.B. ein Satz als Ton- oder Zeichenfolge) ist dann
bedeutungsvoll, wenn er mit einem „inhaltsvollen“ mentalen Zustand assoziiert
ist.
ist
Zwei Ausdrücke sind dann synonym, wenn sie mit derselben Idee/Vorstellung
assoziiert sind
Ein Ausdruck ist ambig (mehrdeutig), wenn er mit mehr als einer Vorstellung
assoziiert ist.
Ein Satz folgt aus einem anderen, wenn die Vorstellungen, die mit dem
Folgesatz (Konklusion) verbunden sind, in den Vorstellungen enthalten sind, die
mit dem ersten Satz ((Prämisse)) verbunden sind.
... usw.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
122
John Locke über Vorstellungen und
Bedeutungen - Probleme
• Die Theorie ist nicht gehaltvoll genug. Um sie zu präzisieren, müsste geklärt
werden was genau eine Idee bzw.
werden,
bzw eine Vorstellung ist.
ist Mentale Bilder sind als
Bedeutungstatsachen ungeeignet; auch abstraktere mentale Konzepte wie
„Begriffe“ helfen nicht weiter, da es sich hierbei um ebenso unklare
„Gegenstände“ handelt.
• Zu vielen Worten der Sprache besitzen wir überhaupt keine Vorstellungen
(„ist“, „nicht“, „als“, „Anbetracht“, „davon“ ...). Viele Sätze sind kompliziert und
lang. Es ist schwer zu sagen, welche Vorstellungen sich damit verbinden sollten.
• Ideen und Vorstellungen sind subjektive Entitäten und unterscheiden sich von
Person zu Person. A’s Vorstellung von einem Hund ist nicht B’s Vorstellung
d
davon,
obgleich
b l i h „Hund“
H d“ für
fü A dasselbe
d
lb bedeuten
b d t
sollte
llt wie
i für
fü B.
B
• Die primären Träger von Bedeutungen sind für Locke die einzelnen Worte. Was
aber die Bedeutung von komplexen Ausdrücken ist und wie sie sich aus den
Bedeutungen der Teile ergibt, darüber sagt diese Theorie so gut wie gar nichts
aus.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
123
Die Propositionentheorie
G. Frege (1848-1925)
B. Russell (1872-1970)
G.E. Moore (1873-1958)
Vorstellungen/Ideen: sprachunabhängige, subjektive Entitäten
Propositionen: abstrakte, sprachunabhängige, objektive Entitäten
Propositionen sind keine beobachtbaren Dinge.
Dinge Wir haben keinen unmittelbaren Zugang zu
ihnen. Sie sind eine Art Werkzeug – ein theoretischer Begriff wie „Neutrino“ in der Physik –
welcher dazu dient, präzise Aussagen über den Phänomenbereich zu machen, mit dem sich
eine Bedeutungstheorie befasst.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
124
Die Propositionentheorie
Das Paradigma: Indirekte Rede
Direkte Rede
J
Jones
sagte
t „Snow
S
i white.“
is
hit “
Indirekte Rede
Jones sagte, dass Schnee weiß ist
Jones sagte, dass Schnee eine weiße Farbe besitzt.
Jones sagte, dass kristallines Wasser eine weiße Färbung besitzt.
... usw.
Der Satz „Snow is white“ kann in der indirekten Rede auf verschiedene Weise
wiedergegeben werden. Die Propositionstheorie erklärt dies so, dass der
ursprüngliche Satz „Snow is white“ und die verschiedenen dass-Sätze der
indirekten Rede dieselbe Proposition zum Ausdruck bringen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
125
Die Propositionentheorie
Eigenschaften von Propositionen
Propositionen sind (im Unterschied zu Ideen oder Vorstellungen) objektiv und
spachunabhängig. Sie sind weder räumlich noch zeitlich lokalisiert. Sie
k
können
weder
d
entstehen
h
noch
h vergehen.
h
Propositionen werden nicht nur als die Bedeutungen von Sätzen angesehen,
sondern
d
auch
h als
l die
di Inhalte
I h lt mentaler
t l
Z tä d (Jones
Zustände.
(J
glaubt,
l bt dass
d
S h
Schnee
weiß ist. >> Jones steht in der Beziehung des Glaubens zu der Proposition, dass
Schnee weiß ist.)
Propositionen sind die fundamentalen Träger von Wahrheit und Falschheit.
Sie besitzen permanente Wahrheitswerte (sind bleibend entweder wahr oder
falsch).
) Ein Satz ist wahr/falsch,, weil die Proposition,
p
, die er zum Ausdruck bringt,
g,
wahr/falsch ist. Die Äußerung eines Satzes zu einer bestimmten Gelegenheit
kann relativ zum Äußerungskontext verschiedene Propositionen zum Ausdruck
bringen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
126
Die Propositionentheorie
Eigenschaften von Propositionen
Propositionen besitzen eine interne Struktur; sie sind zusammengesetzt aus
abstrakten begrifflichen Teilen. Nur vollständige Sätze drücken Propositionen
aus; einzelne
l
Worte hingegen
h
d
drücken
k
etwas aus, das
d
Teill vieler
l
verschiedener
h d
Propositionen ist: einen Begriff (concept).
Propositionen
P
iti
sind
i d primär
i ä gegenüber
üb
B
Begriffen
iff
– ein
i Begriff
B
iff kann
k
aus
Propositionen abgeleitet werden, durch die Rolle, die er in den Propositionen
spielt, in denen er vorkommt.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
127
Die Propositionentheorie
Orientierung an den Bedeutungstatsachen
Eine Laut-/Zeichenfolge besitzt eine Bedeutung, weil sie in einer spezifischen
Beziehung zu einem abstrakten Inhalt steht: weil sie eine Proposition zum
Ausdruck bringt.
Zwei Sätze (derselben Sprache oder zweier verschiedener Sprachen) sind
synonym, wenn sie dieselbe Proposition ausdrücken.
Ein Satz ist ambig (mehrdeutig), wenn er zwei oder mehr verschiedene
Propositionen ausdrücken kann.
Ein Wort ist synonym mit einem anderen Wort, wenn beide dieselbe Rolle in
allen Propositionen spielen, in denen sie vorkommen.
Ein Wort ist ambig (mehrdeutig), wenn es verschiedene Rollen in den
Propositionen spielt, in denen es vorkommt.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
128
Die Propositionentheorie
Das Erfassen einer Proposition: Wenn eine Person x einen Satz S versteht,
dann steht x in einer gewissen Relation zu einer Proposition p, die S zum
Ausdruck bringt. Diese Relation besteht im Erfassen einer Proposition: Einen
Satz S zu verstehen, heißt eine Proposition p zu erfassen und zu wissen, dass S
die Proposition p ausdrückt:
... when we understand the meaning of a sentence, something else does
happen in our mindes besides the mere hearing of the words of which the
sentence is composed. You can easily satisfy yourself of this by contrasting
what happens when you hear a sentence, which you do understand, from what
happens when you do not understand ... in the first case, there occurs ...
another act of consciousness – an apprehension of their meaning, which is
plain that the apprehension
pp
of the
absent in the second case. And it is no less p
meaning of one sentence with one meaning, differs in some respect from the
apprehension of another sentence with a different meaning ... There certainly
are such things as the two different meanings apprehended. And each of these
g is what I call a p
proposition.
p
((G.E.Moore,, Some Main Problems of
two meanings
Philosophy)
Die Propositionentheorie kann uns nicht sagen, worin das Erfassen einer
Proposition besteht.
besteht
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
129
Die Propositionentheorie
Das Ausdrücken einer Proposition: Die Propositionen Theorie ist nicht
explanatorisch.
l
i h Die
i Annahme,
h
d
dass
ein
i Satz
S
eine
i
Proposition
ii
ausdrückt,
d ü k scheint
h i
nur eine umständlichere Sprechweise dafür zu sein, dass der Satz
bedeutungsvoll ist bzw. eine Bedeutung besitzt. Eine Bedeutungstheorie muss
ein gewisses Maß an Voraussagekraft besitzen. Die Annahme von Propositionen
kann gewinnbringend sein, bedarf aber weiterer Verfeinerung und Ausarbeitung.
Sprache
p
und
Reaktionen auf
etwas aufgrund
sich in einem
eingehen.
eingehen
SS 2010
Verhalten: Unsere sprachliche
p
Aktivitäten sind meistens
sprachliche Aktivitäten anderer Menschen. Wir tun manchmal
der Überzeugungen, die wir besitzen. Das Sprachlernen vollzieht
intersubjektiven Rahmen, in dem wir handelnd aufeinander
Einführung in die Theoretische Philosophie
130
Ludwig Wittgensteins Gebrauchstheorie der
Bedeutung
Ludwig Wittgenstein (1889 – 1951)
Wittgenstein
gilt
als
einer
der
bedeutendsten Philosophen des 20.
J h h d t In
Jahrhunderts.
I seinem
i
F üh
Frühwerk
k (TLP)
orientiert er sich an Frege und Russell
und konzipiert eine ideale Sprache. In
seinem
Spätwerk
p
((PU))
revidiert
Wittgenstein
die
meisten
seiner
Ansichten und legte den Grundstein für
eine Gebrauchstheorie der Bedeutung.
Wichtigste Werke:
Tractatus Logico-Philosophicus (1921)
Philosophische Untersuchungen (1953)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
131
Ludwig Wittgensteins Gebrauchstheorie der
Bedeutung
Denke nun an die Verwendung der Sprache: Ich schicke jemanden
einkaufen. Ich gebe ihm einen Zettel, auf diesem stehen die Zeichen:
„fünf rote Äpfel“. Er trägt den Zettel zum Kaufmann; der öffnet die
Lade, auf welcher das Zeichen „Äpfel“ steht; dann sucht er in der
Tabelle
b ll das
d
Wort „rot““ auff und
d findet
f d
ihm
h gegenüber
b
ein Farbmuster;
b
nun sagt er die Reihe der Grundzahlwörter – ich nehme an, er weiß sie
auswendig – bis zum Worte „fünf“ und bei jedem Zahlwort nimmt er
einen
i
A f l aus der
Apfel
d
L d
Lade,
d
der
di Farbe
die
F b des
d
M t
Musters
h t – So
hat.
S und
d
ähnlich operiert man mit Worten. – „Wie weiß er aber, wo und wie er
das Wort ‚rot’ nachschlagen soll und was er mit dem Wort ‚fünf’
anzufangen hat?
hat?“ – Nun,
Nun ich nehme an,
an er handelt,
handelt wie ich es
beschrieben habe. Die Erklärungen haben irgendwo ein Ende. – Was ist
aber die Bedeutung des Wortes „fünf“? – Von einer solchen war hier gar
nicht die Rede; nur davon,
davon wie das Wort „fünf
fünf“ gebraucht wird.
wird (Ludwig
Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, §1)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
132
Ludwig Wittgensteins Gebrauchstheorie der
Bedeutung
Der Aspekt des Sprachlernens
Was wir lernen, ist eine komplexe Form sozialen Verhaltens. Wir lernen, uns auf
eine bestimmte Weise zu verhalten, wenn Menschen Geräusche machen, und
lernen welche Geräusche wir machen sollen,
lernen,
sollen wenn wir uns in gewissen
Situationen befinden.
Die sprachliche Praxis wird geleitet durch eine hochkomplexe Menge von Regeln,
auch wenn diese nicht explizit artikuliert werden. Sprachlernen besteht im
Ei üb
Einüben
di
dieser
i
impliziten
li it
R
Regeln.
l
D
Durch
h ständiges
tä di
Üb
Üben
l
lernen
wir
i diesen
di
zu
folgen.
Der Grundgedanke der Gebrauchstheorie
Die Bedeutung eines Ausdrucks zu kennen, heißt zu wissen, wie dieser Ausdruck
in verschiedenen kommunikativen Situationen verwendet wird. Das Wesentliche
der Sprache sind keine Bedeutungsentitäten (Ideen, Propositionen), sondern
konkrete Sprachspiele, in denen wir Ausdrücke verwenden, um mit ihnen
gewissen Handlungen (Spielzüge) in einem konventionell geordneten sozialen
Raum auszuführen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
133
Ludwig Wittgensteins Gebrauchstheorie der
Bedeutung
• Wittgensteins Bild von der Sprache als einem Baustein in einer hochk
konventionalisierten,
i
li i
sozialen
i l
Praxis
i hat
h
zum Paradigma
di
solche
l h Ausrufe
f wie
i
„Hallo.“, „Entschuldigung.“, „Danke.“, „Hör auf damit!“, „Hol den Stein dort!“
usw., welche fest eingebunden in solche sozialen Praktiken sind. Weite Bereiche
unserer Sprache funktionieren jedoch nicht nach diesem Muster. Die meisten
Sätze, die wir hören und verstehen, sind uns neu. Viele Sätze sind lang und
kompliziert und lassen sich keiner bestimmten Praxis zuordnen – und trotzdem
verstehen wir sie.
• Unsere Fähigkeit, neue, komplizierte Sätze auch außerhalb jedes spezifischen
Sprachspiels zu verstehen, kann kein Produkt unserer Kenntnis der Konventionen
sein deren
sein,
de en Bestandteil diese Sätze
Sät e sind,
sind denn für
fü diese sind nie irgendwelche
i gend elche
Konventionen aufgestellt worden.
• Viele andere Praktiken wie gewisse Sportspiele (Fußball,
(Fußball Schach,
Schach Tennis) sind
ebenso durch explizite und implizite Regeln geleitet. Wodurch aber unterscheiden
sich Sprachspiele von anderen konventionalisierten Praktiken?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
134
Das reduktive Programm von
H.P. Grice
Herbert Paul Grice (1913-1988)
Paul Grice ist bekannt geworden durch seine
Arbeiten zur Sprachphilosophie. Er führte
den Begriff der Sprecherbedeutung ein,
„erfand“ die konversationalen Implikaturen
(Pragmatik)
und
entwickelte
eine
intentionale Semantik. Als Resultat dieser
Ideen wechselte das Interesse in der
philosophischen Debatte zum Begriff der
Bedeutung in den 70ern und 80ern von der
linguistischen zur mentalen Repräsentation.
Wichtigste Werke:
„Logic and Conversation“ (1975)
„Further Notes on Logic and Coversation“
(1978)
Studies in the Way of Words (1989)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
135
Das reduktive Programm von
H.P. Grice
Worin liegt die Bedeutung eines konkreten Satzes, den wir zu einer bestimmten
G l
Gelegenheit
h i äußern?
ä ß
?
Locke: In den privaten Ideen, die wir anderen mit unseren Worten übermitteln.
Frege u.a.: In einer abstrakten Proposition, die durch den Satz zum Ausdruck
gebracht wird.
Wittgenstein: In den impliziten Regeln unseres Sprachgebrauchs.
Grice: In den kommunikativen Absichten und Überzeugungen
Ü
des Sprechers.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
136
Das reduktive Programm von
H.P. Grice
Eine Explikation der Satzbedeutung durch psychische Zustände
Erster Schritt
Rückführung der Satz
Satz-Bedeutung
Bedeutung auf die Sprecher
Sprecher-Bedeutung
Bedeutung
Zweiter Schritt
Rückführung
Zustände
SS 2010
der
Sprecher-Bedeutung
auf
einen
Einführung in die Theoretische Philosophie
Komplex
psychischer
137
Das reduktive Programm von
H.P. Grice
Sprecher-Bedeutung vs. Satz-Bedeutung
Nicht immer stimmt das, was ein Sprecher mit einem Satz bei einer bestimmten
Gelegenheit zu sagen beabsichtigt, mit dem überein, was der Satz literal
(
(wörtlich)
l h) bedeutet:
b d
Was für eine brillante Idee!
Da hast du dir ja wieder mal etwas
ausgesprochen Dummes einfallen lassen!
Es zieht!
Mach die Tür zu!
Der ist aber schön rot.
Dieser Apfel hat eine schöne rote Färbung.
Der Himmel lacht.
Heute ist schönes, wolkenloses Wetter.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
138
Das reduktive Programm von
H.P. Grice
Explikation der Satz-Bedeutung durch die Sprecher-Bedeutung
„S bedeutet, dass p, gdw. S normalerweise die Sprecher-Bedeutung
besitzt, dass p.“
• Die Satz-Bedeutung beschränkt das, was ein Sprecher mit einem Satz meinen
kann. Wir können nicht einen beliebigen Satz benutzen, um damit etwas
Bestimmtes zu meinen. Sätze scheinen daher schon vorgängig eine bestimmte
B d
Bedeutung
zu besitzen.
b i
• Die meisten bedeutungsvollen Sätze einer Sprache sind noch nie geäußert
worden Nie geäußerte Sätze besitzen aber keine Sprecherbedeutung.
worden.
Sprecherbedeutung
• Sätze können nur einmal und in einem nichtliteralen Sinne geäußert werden.
Wie kann dann die Sprecher-Bedeutung die Satz-Bedeutung determinieren?
• Viele Sätze werden immer in einem nichtliteralen Sinne geäußert. Wie kommen
diese zu ihrer abweichenden Satz-Bedeutung?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
139
Das reduktive Programm von
H.P. Grice
Rückführung der Sprecher-Bedeutung auf psychische Zustände
Mit dem Äußern von S meint A, dass p. =def
Mit dem Äußern von S
(1) beabsichtigt A, dass H die Überzeugung erwirbt, dass p.
((2)) beabsichtigt
g A,, dass H A´s Absicht ((1)) erkennt.
(3) beabsichtigt A, dass H die Überzeugung, dass p, teilweise aufgrund von A´s
Absicht in (1) erwirbt.
¾ Reduktion der Sprecher-Bedeutung auf einen Komplex aus Intentionen
(Absichten), Überzeugungen und anderen psychischen Zuständen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
140
Das reduktive Programm von
H.P. Grice
Rückführung der Sprecher-Bedeutung auf psychische Zustände
S bedeutet, dass p in A´s Idiolekt, gdw.:
A steht die folgende Prozedur zur Verfügung: A beabsichtigt in Bezug auf einen Hörer H,
dass H die Überzeugung erwirbt, dass p, und A beabsichtigt, dass H A´s Absicht erkennt und
beabsichtigt, dass H die Überzeugung aufgrund der entsprechenden Absicht von A erwirbt.
S bedeutet, dass p für eine Gruppe von Sprechern G, gdw.:
(a) Den meisten Mitgliedern von G steht die folgende Prozedur zur Verfügung: G
beabsichtigt in Bezug auf einen Hörer H,
H dass H die Überzeugung erwirbt,
erwirbt dass p,
p und
beabsichtigt, dass H G´s Absicht erkennt und beabsichtigt, dass H die Überzeugung
aufgrund der Absichten von G erwirbt.
(b) Die Annahme, dass viele Mitglieder von G dieser Prozedur in diesem Falle anwenden, ist
eine Bedingung für die Anwendung der Prozedur eines der Mitglieder von G.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
141
Das reduktive Programm von
H.P. Grice
Keine Audienz: Was ich einfach so vor mich hinsage (ohne die Absicht,
jemanden von etwas zu überzeugen) hat auch eine Bedeutung.
Bedeutung
¾ Ein Sprecher muss mindestens beabsichtigen, dass – falls jemand zuhörte –
dieser
d
ese d
die
e e
entsprechende
tsp ec e de Übe
Überzeugung
eugu g e
erwirbt,
bt, auc
auch wenn
e
im Moment
o e t niemand
e a d
aktuell da ist, der mir zuhört. (modale Abschwächung)
Prüfungen: Manchmal (bei Prüfungen) meinen wir (als Studenten) etwas,
wovon andere
d
b
bereits
it überzeugt
üb
t sind
i d (Professoren).
(P f
)
¾ H muss die Überzeugung
(Abschwächung von G1)
erwerben,
dass
S
überzeugt
ist,
dass
p.
Beweise: Wenn man etwas beweist, dann soll H von der Konklusion des
Beweises nicht aufgrund der Sprecherintentionen, sondern aufgrund der
P ä i
Prämissen
d Beweises
des
B
i
üb
überzeugt
t sein.
i
¾?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
142
Die Verifikationstheorie
Rudolf Carnap (1891-1970)
Otto Neurath (1882-1945)
Alfred Jules Ayer (1910-1989)
Logischer Empirismus: Einflussreiche wissenschaftstheoretische Position, die
ausgehend vom Wiener Kreis (Schlick, Neurath, Carnap, Reichenbach, Feigl u.a.)
etwa zwischen 1930 und 1950 entwickelt wurde. Ziel war eine wissenschaftliche
(moderne) Philosophie,
Philosophie die sich kritisch mit der traditionellen Philosophie
auseinandersetzte, sich der Methoden der Logik bedient und wie der klassischen
Empirismus die Bedeutung der Erfahrung bei der Erkenntnisgewinnung
hervorhob.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
143
Die Verifikationstheorie
Verifikationsprinzip
Die Bedeutung eines Satzes liegt in den Bedingungen seiner Verifikation.
Die Verifikationsbedingungen (die Bedeutung) eines Satzes zu kennen, heißt
zu wissen, welche Erfahrungen man haben müsste, wenn der Satz wahr ist.
Die Verifikationsbedingungen sind also diejenigen (möglichen) Erfahrungen,
die man machen würde, wenn der betreffende Satz wahr sein würde.
Das Verifikationsprinzip lokalisiert die Bedeutung in unserer Weise, wie wir etwas
erkennen oder herausfinden. Die Menge der sinnlichen Evidenzen, die für
einen
i
S t sprechen,
Satz
h
machen
h
seine
i
B d t
Bedeutung
aus. Das
D
P i i beinhaltet
Prinzip
b i h lt t
daher eine epistemische Theorie der Bedeutung.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
144
Die Verifikationstheorie
Empiristisches Sinnkriterium
Falls ein Satz keine Verifikations-/Falsifikationsbedingungen besitzt, falls es also
keine Erfahrungen gibt, die seine Wahrheit bzw. Falschheit entscheiden könnten,
d
dann
ist dieser
d
Satz sinnlos
l (bedeutungslos).
(b d
l )
Naturwissenschaft
spekulative Metaphysik
Sätze mit empirischem
Sätze ohne empirischen
Gehalt /Bedeutung
Gehalt / Bedeutung
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
145
Die Verifikationstheorie
Analytische Sätze
Es gibt eine ganze Reihe von Sätzen, die keinen empirischen Inhalt besitzen und
dennoch bedeutungsvoll sind.
Kein Junggeselle ist verheiratet.
Eine Geiß ist eine weibliche Ziege.
g
Wenn es schneit, dann schneit es.
Fünf Stifte sind mehr als zwei Stifte.
Die Energie
g eines Körpers
p
ist g
gleich dem Produkt aus seiner Masse und dem
Quadrat der Lichtgeschwindigkeit.
Solche Sätze machen keine empirischen Voraussagen. Sie sind aber dennoch
bedeutungsvoll. Wie kann das sein?
Die logischen Empiristen behaupten, dass sie wahr qua Konvention sind. Ihre
Wahrheit wird garantiert durch die Bedeutungen der Worte, die sie enthalten.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
146
Die beiden „Dogmen“ des
Logischen Empirismus
Verifikationstheorie der
Bedeutung
d
Unterscheidung zwischen
analytischen
l i h
und
d synthetischen
h i h
Sätzen
Nur solche Sätze sind sinnvoll
(besitzen eine Bedeutung), die sich an
der Erfahrung verifizieren lassen.
Es gibt Sätze, die nur Sprachwissen
und kein Tatsachenwissen enthalten.
Naturwissenschaft
spekulative Metaphysik
wiss. Philosophie
synthetische Sätze mit
synthetische Sätze ohne
analytische Sätze
empirischem Gehalt
empirischen Gehalt
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
147
Die Verifikationstheorie
• Das Verifikationsprinzip kann nur auf deskriptive, tatsachenbehauptende Sätze
angewandt
d werden.
d
Fragen, Behauptungen,
h
Poetik,
ik Witze
i
oder
d
Zeremonien
i
besitzen keine Verifikationsbedingungen und sind dennoch bedeutungsvoll.
• Wie
Wi können
kö
wir
i wissen,
i
ob
b ein
i Satz
S t verifizierbar
ifi i b ist,
i t bevor
b
wir
i wissen,
i
was er
bedeutet. Wenn wir wissen, was ein Satz bedeutet, dann ist er bedeutungsvoll,
ob er sich nun verifizieren lässt oder nicht.
• Viele Sätze, gerade der Naturwissenschaften, sind Sätze über Entitäten, die
sich nicht direkt beobachten lassen (Elektronen, psychische Zustände,
Röntgenstrahlen
g
usw.).
) Die empirischen
p
Evidenzen,, die wir für solche Sätze
haben können, erstrecken sich auf gewisse Ausschläge von Messgeräten, auf
beobachtbares Verhalten von Personen, auf Spuren in Nebelkammern, auf
Muster in einer Kathodenstrahlröhre usw. Die Verifikationstheorie impliziert, dass
wir mit solchen Sätzen nicht über Elektronen oder psychische Zustände,
Zustände sondern
über Nebelkammern und das Verhalten von Personen sprechen. Das aber ist
kontraintuitiv.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
148
W.V. Quines
Bedeutungsskeptizismus
Willard Van Orman Quine
(1908-2000)
Quine gilt als einer der einflussreichsten
20 Jahrhunderts.
Jahrhunderts Er ist als
Philosophen des 20.
einer der Hauptvertreter der analytischen
Philosophie und war als Schüler von Carnap
einer der wichtigsten Kritiker des Logischen
Empirismus
Empirismus.
Sein
riesiges
Lebenswerk
umfasst
die
Gebiete
der
Logik,
Wissenschaftstheorie, Sprachphilosophie und
Erkenntnistheorie.
Wichtigste Werke:
„On What There Is“ (1948)
„Two
Two Dogmas of Empirism
Empirism“ (1951)
Word and Object (1960)
„Ontological Relativity“ (1968)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
149
W.V. Quines
Bedeutungsskeptizismus
Die Kritik an der Unterscheidung zwischen analytischen und
synthetischen Sätzen
Synthetische
y
Sätze: Die Bedeutung
g dieser Sätze liegt
g allein in ihrem
empirischen Inhalt, d.h. in ihren Verifikationsbedingungen, in den empirischen
Evidenzen, die sich für sie vorbringen lassen.
Analytische Sätze: Die Bedeutung dieser Sätze ist rein konventionell. Sie
besitzen keinen empirischen Inhalt. Sie sind wahr oder falsch aufgrund
sprachlicher Konventionen.
Quine stellt sich zwei Fragen:
1) Ist
I t das
d Konzept
K
t eines
i
analytischen
l ti h
S t
Satzes
üb h
überhaupt
t haltbar?
h ltb ?
2) Gibt es eine absolute Unterscheidung zwischen Sätzen, die konventionell sind
und solchen, die empirisch sind? (wiss. Philosophie/Naturwissenschaft)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
150
W.V. Quines
Bedeutungsskeptizismus
Eine Geiß ist eine weibliche Ziege.
These: Dieser Satz ist analytisch, weil die Ausdrücke „Geiß“ und „weibliche
Ziege“ synonym sind.
Die zwei Ausdrücke „Geiß“ und „weibliche Ziege“ sind synonym, wenn folgendes
gilt: Für jedes Individuum gilt notwendig: Wenn es eine Geiß ist, dann ist es
eine weibliche Ziege und umgekehrt.
umgekehrt
Problem: Welche Gründe gibt es dafür, dass die Aussage, dass jedes
Individuum dass eine Geiß ist auch eine weibliche Ziege ist notwendig wahr ist?
Individuum,
Der einzige Grund dafür scheint zu sein, dass „Jede Geiß ist eine weibliche Ziege“
analytisch ist. Der Umweg über die Synonymie hat uns zu einem Zirkel geführt!
Fazit: Um entscheiden zu können, ob ein Satz analytisch ist, müssen wir einen
starken Begriff der Bedeutung/ Synonymie schon voraussetzen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
151
W.V. Quines
Bedeutungsskeptizismus
Die Verifikationstheorie setzt voraus, dass jeder Satz einzeln durch die
Erfahrung bestätigt oder widerlegt werden kann – denn ihr zufolge besteht ja die
Bedeutung eines Satzes in der Methode seiner Bestätigung.
Die Duhem-Quine
Duhem Quine These (Holistische Verifikationstheorie)
• Es gibt keine Aussagen, deren Bedeutung sich einzeln in Bezug auf die
Erfahrung bestimmen lässt.
• An der Erfahrung getestet wird nicht ein einzelner Satz, sondern eine Theorie
als ganze.
• Kein Satz einer Theorie ist sakrosankt (analytisch). Bei einem empirischen Test
steht (im Prinzip) jeder Satz einer Theorie zur Disposition.
Disposition
• Jeder einzelne Satz kann, wie immer der Test auch ausfällt, beibehalten
werden, wenn an anderen Stellen der Theorie (ausgleichende) Veränderungen
vorgenommen werden.
• An welcher Stelle wir Veränderungen an einer Theorie vornehmen, falls wir mit
gegenläufigen Erfahrungen konfrontiert sind, wird durch pragmatische Maximen
(Einfachheit, Anschlussfähigkeit usw.) entschieden.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
152
W.V. Quines
Bedeutungsskeptizismus
Die Unbestimmtheit der Übersetzung
„gavagai“ bedeutet ...
a) Hase
b) unabgetrenntes Hasenteil
c)) zeitliches
itli h Stadium
St di
eines
i
H
Hasen
d) Exemplar der Hasenheit
Welche der Hypothesen der Sprachforscher wählt,
wählt hängt davon ab
ab, wie er sein
Übersetzungshandbuch aufbaut, d.h. wie er die anderen Sätze und Ausdrücke
der zu untersuchenden Sprache übersetzt.
Für den Forscher, ganz egal wie viele empirische Daten er auch sammelt, gibt es
immer mehrere verschiedene Handbücher, die gleich gut mit der Gesamtheit
aller Daten zusammenpassen, aber einen Satz der Fremdsprache mit
g
Sprache
p
übersetzt.
verschiedenen Sätzen der eigenen
Bedeutungsskeptizismus:
Der
Begriff
der
wissenschaftliches Konzept aufgegeben werden!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
Bedeutung
muss
als
153
W.V. Quines
Bedeutungsskeptizismus
Die Verifikationstheorie des Logischen Empirismus ist falsch, da:
• ... nur ganze Theorien empirisch verifiziert werden können. (Duhem-QuineThese)
• ... es keine sinnvolle Unterscheidung zwischen (empirischem) Tatsachenwissen
und (analytischem) Sprachwissen gibt. (Quine: „Zwei Dogmen des Empirismus“)
Quine
Q
i
vertritt
t itt eine
i
h li ti h Verifikationstheorie,
holistische
V ifik ti
th
i
d
der
zufolge
f l
nur ganze
Theorien empirischen Gehalt (Bedeutung) besitzen.
Er vertritt
E
e t itt außerdem
a ße dem eine skeptische Position hinsichtlich der
de Vorstellung,
Vo stell ng dass
einzelne Sätze oder einzelne Ausdrücke eine eindeutig spezifizierbare Bedeutung
besitzen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
154
Modelltheoretische Semantik
R. Carnap (1891-1970)
D. Lewis (1941-2001)
Meaning and Necessity
„General Semantics“
(1956)
(1970)
D. Davidson (1917- 2003)
R. Montague (1930-1971)
„„English
g
as a Formal
SS 2010
„Truth and Meaning“
Language“ (1970)
(1967)
„The Proper Treatment
„Semantics for Natural
of Quantification in
Languages“ (1968)
Ordinary Englisch“ (1973)
Einführung in die Theoretische Philosophie
155
Modelltheoretische Semantik
Verifikationsbedingungen: diejenigen Evidenzen, die für einen Satz sprechen.
¾ Problem der Verwechslung von Evidenz und Bedeutung
Wahrheitsbedingungen: diejenigen Tatsachen, unter denen ein Satz wahr ist.
¾ Bedeutungsbegriff, der unabhängig von aktuellen oder möglichen Evidenzen
bzw. Beobachtungen ist
¾ Vermeidung von epistemischen Verkürzungen in der Semantik
Leitmotiv der wahrheitskonditionalen Semantik
Die Bedeutung eines Satzes zu kennen, heißt, zu wissen, wie die Welt
beschaffen sein müsste, damit der Satz wahr (oder falsch) ist.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
156
Modelltheoretische Semantik
Das Kompositionalitätsprinzip
Da es keine klare Beschränkung der Anzahl sinnvoller Ausdrücke zu geben scheint, muss
eine funktionsfähige Theorie die Bedeutung jedes Ausdrucks auf der Grundlage ... einer
endlichen Zahl von Merkmalen erklären.
erklären ... eine befriedigende Semantik [muss] erklären,
erklären
welchen Beitrag wiederholbare Merkmale zur Bedeutung der Sätze leisten, in denen sie
vorkommen. (Donald Davidson, „Die Semantik natürlicher Sprachen“)
¾ Eine Bedeutungstheorie muss sich erstens auf eine relativ kleine Anzahl bedeutungsvoller
Ausdrücke (Worte) stützen, die als „Bedeutungsatome“ dienen und die Basis der Theorie
bilden.
¾ Eine Bedeutungstheorie muss zweitens Regeln enthalten, wie wir ausgehend von diesen
basalen Ausdrücken die Bedeutung komplexer und im Prinzip unendlich vieler Ausdrücke
generieren können.
Die Bedeutung eines (beliebig komplexen) Satzes ist eine Funktion der
Bedeutungen der den Satz konstituierenden Worte und der Beziehungen, in denen
sie zueinander stehen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
157
Modelltheoretische Semantik
Eine Modellsprache
Interpretation der basalen Ausdrücke der Sprache
„F“ steht für alle faulen Individuen
„G“ steht für alle genügsamen Individuen
„a“ denotiert Albert
„„b“ denotiert Berta
Projektionsregeln für atomare Sätze
Ein Subjekt-Prädikat-Satz
ubj
äd a
a „„P(s)“
( ) ist wahr,
a , gd
gdw. da
das,, was
a sd
denotiert,
o
, ein Element
der Menge der Klasse der Dinge ist, für die „P“ steht.
Projektionsregeln
j
g
für komplexe
p
Sätze
Ein Satz der Form „Nicht p“ ist wahr, gdw. der Satz p nicht wahr ist.
Ein Satz der Form „p und q“ ist wahr, gdw. sowohl p als auch q wahr sind.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
158
Modelltheoretische Semantik
Eine Modellsprache
Die Regeln dieser (trivialen) Sprache erlauben es uns, die Wahrheitsbedingungen
von unendlich langen und unendlich vielen Sätzen anzugeben, indem wir einfach
die Regeln auf jede mögliche Kombination anwenden.
anwenden
• „F(a)“ ist wahr, gdw. Albert faul ist.
G(b)“ ist wahr, gdw. Albert faul ist und Berta genügsam ist.
• „F(a) und G(b)
• „F(a) und nicht G(a) und F(b) und nicht G(b)“ ist wahr, gdw. Albert faul
und nicht genügsam ist und Berta faul und nicht genügsam ist.
• „nicht F(a) und G(b) und F(b) und nicht G(b)“ ist wahr, gdw. Albert nicht
f l und
faul
d genügsam
ü
und
d Berta
B t faul
f l und
d nicht
i ht genügsam
ü
i t
ist.
• ...
Wir haben eine kompositionale Bedeutungstheorie für eine sehr einfache
Sprache entwickelt, die fähig ist, die Bedeutung von Ausdrücken beliebiger
Komplexität und beliebiger Anzahl anzugeben!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
159
Modelltheoretische Semantik
Eine Semantik für die natürliche Sprache
Wie sieht eine wahrheitskonditionale (modelltheoretische)
Deutschen, Englischen, Russischen usw. aus?
Semantik
des
¾ Wir brauchen zunächst ein Lexikon, welches jedem basalen Ausdruck der
Sprache eine Denotation zuweist. (Welche Ausdrücke gibt es und was denotieren
sie?)
¾ Wir brauchen darüber hinaus eine Syntax, die uns sagt, welche
Ausdruckssequenzen wohlgebildete Sätze der entsprechenden Sprache sind und
welche nicht.
nicht (Wie sind komplexe Ausdrücke zusammengesetzt?)
¾ Schließlich brauchen wir Projektionsregeln, die uns für jede Regel der
Syntax – welche aus wohlgebildeten basalen Ausdrücken wohlgebildete
komplexe Ausdrücke formt – sagen, wie wir aus der Bedeutung der beteiligten
basalen Ausdrücke, die wir aus dem Lexikon kennen, die Bedeutung des neuen,
komplexen Ausdrucks „berechnen“ können. (Wie lässt sich die Bedeutung
p
Ausdrücke „berechnen“?))
komplexer
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
160
Modelltheoretische Semantik
natürliche Sprache
⇑
Annäherung an
⇑
idealisierte formalisierte Sprache
idealisierte,
mit einem Lexikon und einer eindeutigen Syntax
⇓
Semantik
a) Regeln der Denotation atomarer Ausdrücke
b) Regeln der Berechnung der Denotation zusammengesetzter Ausdrücke
⇑
Modell
Ausschnitt der Welt in einer mengentheoretischen Formulierung
⇓
Annäherung an
⇓
Welt
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
161
Modelltheoretische Semantik
S
Sprache
h
⇓
Interpretation
Sprachliche Ausdrücke werden in Modellen interpretiert
⇓
Modell
⇓
Repräsentation
Modelle repräsentieren Ausschnitte der Welt
⇓
Welt
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
162
Modelltheoretische Semantik:
Interpretation
p
via Übersetzung
g
Natürliche
ü li h S
Sprache
h
⇓
Übersetzung
Ausdrücke der natürlichen Sprache werden in Ausdrücke
der formalen Sprache übersetzt
⇓
Formale Sprache
⇓
Interpretation
Ausdrücke der formalen Sprache werden in Modellen interpretiert
⇓
Modell
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
163
Modelltheoretische Semantik:
Interpretation via Übersetzung
Wozu formale Sprachen?
• Formale Sprachen sind besonders übersichtlich. (Struktur ist
durchsichtig)
• Formale Sprachen sind syntaktisch eindeutig.
• In formalen Sprachen wird von Phänomenen abstrahiert, die für die
Gültigkeit von Schlussfolgerungen keine Rolle spielen.
spielen
• Durch die Verwendung einer formalen Sprache, können wir die
natürliche Sprache als Metasprache verwenden, um über die formale
Sprache als Objektsprache zu sprechen.
sprechen
• Die formalen Sprachen spielen eine wichtige Rolle in den
symbolischen Wissenschaften (Mathematik, Informatik, formale
Linguistik KI,
Linguistik,
KI formale Philosophie)
• Es existiert kein Beweissystem für natürliche Sprachen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
164
Modelltheoretische Semantik:
Sprachökonomie
p
Natürliche
ü li h S
Sprache
h
Übersetzung in eine formale Sprache
Lexikon
Lexikon
Formale Sprache 1
Formale Sprache 2
Syntax
Semantik
Syntax
Interpretation in einem Modell
Formale Sprache 1 Modell
Ökonomie in Grammatik und Vokabukar:
Einfache Syntax/Lexikon, wenige semantische Regeln
Aber: lange Ausdrücke, keine eindeutige Beziehung zur nat. Sprache
SS 2010
Semantik
Formale Sprache 2 Ökonomie im praktischen Ausdruck:
kurze Ausdrücke, eindeutige Beziehung zur nat. Sprache
Aber: komplexe Syntax/Lexikon, viele semantische Regeln
Einführung in die Theoretische Philosophie
165
Modelltheoretische Semantik
Eine Semantik für die natürliche Sprache
(Phrasen-Struktur-Grammatik)
NP → Hans,, Berta
N → Hund, Ball, Junge, Mädchen
Adj → rot
Det → der, die, ein(e), jede(r)
Vint → bellt, läuft, kommt
Vtran → schießt, liebt
NP → Det + N / Det + Adj + N
VP → Vint / Vtran + NP
S → NP + VP
S
NP
Det
N
der
Hund
V
NP
V
bellt
Hans
kommt
S
NP
VP
NP
Det
jeder
SS 2010
S
N
V
Det
Adj
N
Junge
liebt
einen
roten
Ball
Einführung in die Theoretische Philosophie
166
Modelltheoretische Semantik
1. Beispiel
Lexikon
S1: Bill = NP; schlafen = Vint
T1: [[Bill]] = b; [[schlafen]] = λx[Schlafen (x)]
Subjekt-Prädikat Regel
S4: NP + Vint
i t = S
T4: [[S]] = [[Vi]] ([[NP]])
Bill schläft,, S,, S4
Schlafen (b), T4
Bill, NP, S1
b, T1
SS 2010
schläft, Vi, S1
λx[Schlafen (x)], T1
Einführung in die Theoretische Philosophie
167
Modelltheoretische Semantik
2. Beispiel
Lexikon
S1: Mary = NP, mögen = Vtrans
T1: [[Mary]] = m; [[mögen]] = λyλx[Mögen (x,
(x y)]
Transitives Verb - direktes Objekt Regel
S5: Vtrans + NP = Vint
T5: [[Vi]] = [[Vt]] ([[NP]])
Bill mag Mary, S, S4
Mögen (b, m), T4
Bill, NP, S1
b, T1
mag Mary, VPi, S5
λx[Mögen (x, m)], T5
mag, VPt, S1
λyλx[Mögen (x, y)], T1
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
Mary, NP, S1
m, T1
168
Modelltheoretische Semantik
3. Beispiel
∀x (Hund(x) → ∃y (y ist rot ∧ Ball(y) ∧ x liebt y))
Jeder Hund liebt einen roten Ball, S
λQ[∀x(Hund(x) → Q(x))]
jeder Hund, NP
λx[∃y(y ist rot ∧ Ball(y) ∧ x liebt y)]
liebt einen roten Ball, VP
λxλy [x liebt y]
liebt, Vtrans
λQ[∃y(y ist rot ∧ Ball(y) ∧ Q(y))]
einen roten Ball, NP
λz [z ist rot ∧ Ball (z)]
roter Ball, N
λPλQ[∀x(P(x)
λPλQ[∀
(P( ) → Q(x))]
Q( ))]
jeder, Det
SS 2010
λx [Hund
λ
[H d (x)]
( )]
Hund, N
λPλQ[∃y(P(y)
λPλQ[∃
(P( ) ∧ Q(
Q(y))]
))] λz
λ [z
[ ist
i t rot]
t] λz
λ [Ball
[B ll (z)]
( )]
einen, Det
roten, Adj
Ball, N
Einführung in die Theoretische Philosophie
169
Modelltheoretische Semantik
Deiktische Ausdrücke
Viele Sätze der Sprache enthalten Ausdrücke, deren Interpretation abhängig ist
von der
d konkreten
k k t
Ä ß
Äußerungssituation.
it ti
„Ich bin jetzt hier.“ ist wahr, gdw. ???
Der Wahrheitswert dieses Satzes hängt vom Sprecher, von der Zeit und dem Ort
der Äußerung ab.
¾ Die Wahrheitsbedingungen müssen auf sog. Parameter (Zeit, Ort, Sprecher,
Auditorium usw.) relativiert werden.
„Ich bin jetzt krank“ ist wahr (für Sprecher s, Ort o und Zeit t), gdw. s an o zu t
∈ {x | krank(x)}
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
170
Modelltheoretische Semantik
Intersektive und nicht-intersektive Adjektive
Adjektive bilden mit Nomen komplexere Nomen, deren Bedeutung normalerweise als die
Schnittmenge der Individuen, die unter das Nomen fallen, und der Individuen, die unter das
Adjektiv fallen,
fallen angesehen werden kann:
[[grauerAdj ElefantN]] = {x | grau (x)} ∩ {x | Elefant (x)}
Diese Regel trifft leider nicht immer zu. Ein kleiner Elefant ist immer noch ein großes Tier.
[[kleinerAdj ElefantN]] = {x | klein (x)} ∩ {x | Elefant (x)} ????
¾ Die Bedeutung mancher Adjektive wie „groß“, „klein“, „schwer“, „hoch“ usw. ist
kontextabhängig. Wir müssen sie in Bezug auf ein weiteres Parameter interpretieren.
[[kleinerAdj ElefantN]] = ({x | klein (x)} ∩ {x | K (x)}) ∩ {x | Elefant (x)}
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
171
Modelltheoretische Semantik
Koextensionalität
Wenn wir die Bedeutung von Prädikaten einfach als die Menge derjenigen Individuen
auffassen, die unter das Prädikat fallen, dann haben zwei Prädikate, die dieselbe Menge von
Individuen denotieren, dieselbe Bedeutung. Das ist intuitiv nicht korrekt:
{x | Lebewesen-mit-Nieren (x)} = {x | Lebewesen-mit-Herz (x)}
g
Nennen wir diese Menge
Wahrheitsbedingungen:
N,,
dann
haben
die
folgenden
g
beiden
Sätze
dieselben
„Fido ist ein Lebewesen mit Nieren.“ ist wahr, gdw. f ∈ N.
„Fido
Fido ist ein Lebewesen mit Herz.
Herz “ ist wahr
wahr, gdw.
gdw f ∈ N.
N
„Lebewesen mit Nieren“ und „Lebewesen mit Herz“ sind nicht synonym. Die beiden Sätze
sagen dementsprechend etwas verschiedenes über Fido aus.
¾ Wir brauchen für Prädikate „feinkörnigere“ Bedeutungen als deren Extensionen (Menge
der Individuen, auf die das Prädikat in unserer Welt zutrifft).
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
172
Modelltheoretische Semantik
Nicht-wahrheitskonditionale Konnektive und Operatoren
Wir können komplexe Sätze aus atomaren Sätzen bilden, indem wir sie mit
verschiedenen Konnektiven verbinden. Eine Gruppe dieser Konnektive (wie
„und
und“, „oder
oder“, „falls
falls“)) heißen wahrheitskonditional,
wahrheitskonditional weil die Bedeutung des
komplexen Satzes abhängig ist von den Wahrheitswerten der atomaren Sätze:
„Bill schläft und Maria ist wach“ ist wahr, g
gdw. „Bill schläft“ wahr ist
und „Maria ist wach“ wahr ist.
Andere Konnektive und Operatoren verhalten sich anders:
„Es ist möglich, dass Bill schläft.“ ist wahr, gdw. ???
Die Wahrheit des komplexen Satzes hängt nicht nur von der Wahrheit (oder
Falschheit) des atomaren Satzes „Bill schläft“ ab. Es stellt sich somit die Frage,
wie man eine Projektionsregel für Sätze mit „möglich“ formulieren sollte.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
173
Modelltheoretische Semantik
Glaubenssätze
Wir können keine Projektionsregel für Glaubenssätze niederschreiben, wenn wir
als Denotationen von Sätzen nur Wahrheitswerte zur Verfügung haben, denn alle
wahren bzw. alle falschen Sätze haben dieselbe Denotation (nämlich „wahr“ oder
„falsch“):
„John glaubt, dass Elefanten groß sind“ ist wahr, gdw. ???
Das Problem der Koextensionalität stellt sich im Kontext von Glaubenssätzen in
einer
i
verschärften
hä ft
F
Form:
„John glaubt, dass Fido Nieren besitzt.“
„John
h glaubt,
l b d
dass Fido
d ein Herz besitzt.“
b
“
¾ Wir benötigen feinkörnigere Bedeutungen für Sätze als Wahrheitswerte.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
174
Mögliche Welten Semantik
Mögliche Welten
Eine einfache (extensionale) wahrheitskonditionale Semantik versteht Bedeutung als eine
Korrespondenz zwischen Ausdrücken und den tatsächlich vorliegenden Tatsachen.
Es gibt nun eine ganze Reihe von Möglichkeiten, wie unsere Welt aussehen könnte. Diese
Möglichkeiten nennen wir mögliche Welten.
Jede dieser möglichen Welten repräsentiert eine nichtaktuale, globale Möglichkeit, wie die
Welt (das gesamte Universum) sein könnte.
Die Wahrheit eines Satzes hängt davon ab, welche Welt wir in Betracht ziehen. Der Satz
„Schröder ist Bundeskanzler.
Bundeskanzler.“ ist wahr in unserer Welt, aber in einer anderen möglichen
Welt, in der die Wahlen anders ausgegangen wären, ist dieser Satz falsch.
Dies bringt uns zu einem neuen Verständnis von Wahrheitsbedingungen. Ein Satz ist wahr
in manchen möglichen Welten (Situationen) und falsch in anderen.
Wir können daher die Bedeutung eines Satzes einfach als die Menge derjenigen
möglichen Welten auffassen, in denen er wahr ist (wäre).
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
175
Mögliche Welten Semantik
Mögliche Welten
Rudolf Carnap und Richard Montague haben der wahrheitskonditionalen
Semantik eine Interpretation in Bezug auf mögliche Welten gegeben und damit
gleichzeitig die Konzeption Freges, nämlich die Unterscheidung zwischen Sinn
(Intension) und Bedeutung (Extension), weiterentwickelt. Der Trick ist, die
Intension eines Ausdrucks als eine Funktion von möglichen Welten in
Extensionen darzustellen.
darzustellen
Ausdruck
Intension
Extension
Kategorie
Singulärer Term
Individuenbegriffe (Funktion von
mögl. Welten in Individuen)
Individuen
Kategorie
Genereller Term
Eigenschaften (Funktion von mögl.
Welten in Mengen von Individuen)
Mengen von
I di id
Individuen
Kategorie
Satz
Propositionen (Funktion von mögl.
Welten in Wahrheitswerte)
Wahrheitswerte
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
176
Mögliche Welten Semantik
(1)
„Die Bundeskanzlerin ist dickköpfig.“
Die Mögliche-Welten-Semantik ist eine kompositionale Bedeutungstheorie. „Die
Bundeskanzlerin“ denotiert in einer möglichen Welt jeweils dasjenige Individuum,
welches
l h
i dieser
in
di
W lt das
Welt
d
A t des
Amt
d
K
Kanzlers
l
i
innehat.
h t (Die
(Di Extension
E t
i
mag sich
i h
von Welt zu Welt unterscheiden, schließlich könnte jemand anderes als Merkel
Bundeskanzler sein.)
(1) ist wahr in einer möglichen Welt, wenn das jeweilige Individuum, das dort
Bundeskanzler ist, zur lokalen Extension von „dickköpfig“ gehört.
¾ Wenn wir die Intension von „der Bundeskanzler“ und die Intension von
„dickköpfig“ kennen, wissen wir, in welchen möglichen Welten (1) wahr (bzw.
falsch) ist. Damit haben wir die entsprechende Funktion von Welten in
Wahrheitswerte, d.h. wir kennen die Proposition von „Die Bundeskanzlerin ist
dickköpfig.“
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
177
Mögliche Welten Semantik
Die Denotation von „Die Bundeskanzlerin ist dickköpfig.“
Welt1
W lt2
Welt
wahr
h
Welt3
Welt4
Welt5
falsch
Welt6
...
[[Die Bundeskanzlerin ist dickköpfig]] = {w2, w5, ...}
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
178
Mögliche Welten Semantik
Koextensionalität
Das Problem der Koextensionalität stellt sich für eine Mögliche-Welten-Semantik
nicht mehr, denn die Intensionen z.B. von „Lebewesen mit Nieren“ und
„Lebewesen
Lebewesen mit Herz
Herz“ sind verschieden,
verschieden auch wenn ihre Extension – die Menge
der Lebewesen mit Nieren bzw. mit Herz – (zufällig) identisch ist. Die Eigenschaft
Nieren zu besitzen und die Eigenschaft ein Herz zu besitzen unterscheiden sich,
da die Extensionen dieser Prädikate in verschiedenen möglichen Welten
unterschiedlich sind.
sind
Daher sind auch die Wahrheitsbedingungen der folgenden beiden Sätze
verschieden:
„Fido ist ein Lebewesen mit Nieren.“ ist wahr in w, gdw. f ∈ w → {x | LmN (x)}.
„Fido ist ein Lebewesen mit Herz.“ ist wahr in w, gdw. f ∈ w → {x | LmH (x)}.
„Lebewesen mit Nieren“ und „Lebewesen mit Herz“ sind nicht synonym. Die
beiden Sätze sagen dementsprechend etwas verschiedenes über Fido aus.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
179
Mögliche Welten Semantik
Intersektive und nicht-intersektive Adjektive
Die Bedeutung von nicht-intersektiven Adjektiven lässt sich jetzt als eine Funktion von
Intensionen in Intensionen angeben:
[[kleinerAdj ElefantN]]: w → (w → {x | Elefant (x)})
Diese Funktion nimmt die Intension von „„Elefant“ und transformiert diese in eine modifizierte
Intension, die nur die kleinen Elefanten herausgreift.
Nicht-wahrheitskonditionale Konnektive und Operatoren
Die Wahrheitsbedingungen für Sätze mit nicht wahrheitsfunktionalen Operatoren lassen sich
nun relativ einfach angeben:
„Es ist möglich, dass Bill schläft.“ ist wahr in w, gdw. es eine Welt w gibt,
so dass b ∈ {x | schläft (x)}
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
180
Mögliche Welten Semantik
Glaubenssätze
Die Mögliche-Welten-Semantik kann auch mit Glaubenssätzen umgehen. Die Intension eines
Satzes ist eine Proposition (d.h. eine Menge möglicher Welten). Eine Projektionsregel für
einen Glaubenssatz kann dann so formuliert werden,
werden dass man sagt,
sagt er sei wahr,
wahr wenn das
entsprechende Individuum in der Relation des Glaubens zu der entsprechenden Proposition
steht, welche der Inhaltssatz zum Ausdruck bringt:
„John
J h glaubt,
l bt dass
d
Bill schläft“
hläft“ ist
i t wahr,
h gdw.
d
Gl b
Glauben
(j {w
(j,
{ | Bill schläft
hläft (w)})
( )})
Auch das Problem der Koextensionalität in Glaubenssätzen stellt sich nicht mehr:
„John glaubt, dass Fido Nieren besitzt.“
„John glaubt, dass Fido ein Herz besitzt.“
Diese beiden Sätze haben nicht dieselbe Bedeutung, da „Fido besitzt Nieren“ und „Fido
besitzt ein Herz“ eine verschiedene Intension haben.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
181
Mögliche Welten Semantik
Das Problem der (logischen) Allwissenheit
Wenn wir unterstellen, dass eine Proposition eine Menge möglicher Welten ist, so
sind Sätze, die notwendig wahr sind (wie mathematische Aussagen, analytische
Sätze etc.),
etc ) in allen möglichen Welten wahr.
wahr Die Bedeutung solcher Sätze ist
daher identisch, was kontraintuitiv ist, insbesondere in Bezug auf Sätze des
Glaubens:
John glaubt, dass zwei plus zwei vier ist.
John glaubt, dass die Quadratwurzel aus 81 gleich neun ist.
John glaubt, dass Junggesellen unverheiratete Männer sind.
....
Da notwendig wahre Inhaltssätze nach der Mögliche-Welten-Semantik identische
Propositionen zum Ausdruck bringen, würde die Tatsache, dass John eine simple
mathematische Wahrheit glaubt, implizieren, dass er von allen notwendigen
Wahrheiten überzeugt – d.h. dass er omnipotent – ist.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
182
Sprachphilosophie
Ja.
Kannst du mir
sagen, wie
spät es ist?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
183
Sprachphilosophie
Pragmatik
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
184
Verstehen vs. Verstehen
Ein Hörer H versteht einen Satz S genau dann, wenn …
a) …
b) …
c) …
d) …
e) …
H
H
H
H
H
die Gedanken rekonstruieren kann, die der Sprecher von S kodiert hat.
die Proposition erfasst, die durch S ausgedrückt wird.
weiß, wie auf eine Äußerung von S reagiert werden muss.
weiß, unter welchen Umständen S verifiziert werden kann.
weiß, unter welchen Umständen S wahr wäre.
ABER:
Hast du verstanden, was er da gesagt hat?
Ja klar,, aber mir ist noch unklar … wie er es g
gemeint hat!
Ja klar, aber mir ist noch unklar … was er damit andeuten wollte!
Ja klar, aber mir ist noch unklar … was er eigentlich von mir wollte!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
185
Was ist Pragmatik?
Eine klassische Ansicht
If in an investigation explicit reference is made to the speaker, or to put
in in more g
general terms, the user of language,
g g then we assign
g it to the
field of pragmatics.
If we abstract from the user of language and analyze only the
expression and their designata, we are in the field of semantics.
And, finally, if we abstract from the designata also and analyze only the
relations between the expressions, we are in syntax.
(Rudolf Carnap, Foundations of Logic and Mathematics)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
186
Was ist Pragmatik?
Neuere Ansichten
Pragmatik = Studium der kontextabhängigen Bedeutung.
Bedeutung
(Jerry Katz: Propositional Structure and Illocutionary Force, 1977)
Pragmatik = Studium der nicht-wahrheitskonditionalen Bedeutung.
(Gerald Gazdar: Pragmatics. Implicature, Presupposition and Logical
Form, 1979)
Pragmatik = Umfassende Theorie des Sprachgebrauchs.
(Herbert Clark: Using Language,
Language 1996)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
187
Gegenstandsbereiche der
Pragmatik
Als am 10. Juli 1997 der damals amtierende Bundespräsident Roman Herzog von
Jugendlichen in Kronach gefragt wurde,
wurde
ob die Rechtschreibreform
zurückgenommen werden sollte, antwortete er: Ich habe mich nie mit der
Rechtschreibreform befasst. Ich befasse mich nur mit wichtigen Dingen.
(Schwäbisches Tageblatt, 11.7.1997)
Deixis: Um zu wissen, dass sich „ich“ auf Roman Herzog bezieht, muss man
wissen,
i
d
dass
di Ä
die
Äußerung
ß
von ihm
ih stammt.
t
t
Implikatur: Herzog deutet an, dass er die Rechtschreibreform für unwichtig
hält.
Präsupposition: Herzog unterstellt, dass es eine Rechtschreibreform gegeben
hat.
Sprechakt: Herzog stellt eine Behauptung auf.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
188
Gegenstandsbereiche der
Pragmatik
Theorien zur natürlichen Sprache
Syntax
...
Theorien der
Deixis
SS 2010
Semantik
...
Pragmatik
Sprechakttheorie
Implikaturentheorie
Präsuppositionstheorie
Einführung in die Theoretische Philosophie
189
Probleme der Deixis
Kontextabhängige Ausdrücke
Es gibt Sätze, die als solche einen Wahrheitswert erhalten können, ohne dass
man weiß, wer sie wann wo usw. geäußert hat. Um jedoch die meisten unserer
Sätze
zu
interpretieren,
benötigen
wir
zusätzliche,
kontextuelle
Informationen. Diese Informationen bestehen aus einer klar begrenzten Menge
von Werten.
Hier ist es jetzt warm.
⇓ + Kontext
K t t (Sprecher,
(S
h
O t Zeit,
Ort,
Z it ...))
Hier [SCH A 251] ist es jetzt [12.5.2010, 11:40] warm.
¾ Wie können wir diese zusätzlichen kontextuellen Informationen in unsere
semantische Theorie einbauen?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
190
Typen der Deixis
Personaldeixis: involvierte Partizipanten
Ich hoffe,
hoffe du hast den Herd ausgeschalten!
Temporaldeixis: Zeitpunke oder Zeitspannen
Wir
Wir
Wir
Wir
Wir
SS 2010
treffen
treffen
treffen
treffen
treffen
uns
uns
uns
uns
uns
in 10 Minuten.
j
jetzt.
um 11:10 am Montag.
nächsten Dienstag.
übermorgen
übermorgen.
Einführung in die Theoretische Philosophie
191
Typen der Deixis
Tempus: Zeitverhältnisse
Es schneite, als wir ankamen.
Maria ist gekommen und Hans wird noch kommen.
Lokaldeixis: Ortsangaben
Der Bahnhof ist 1 km von hier entfernt.
Das Buch liegt dort.
Ich bin jetzt hier.
hier
Textdeixis: anaphorische Pronomen
Ein Hund kam um die Ecke. Er fing an zu bellen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
192
Deixis in der intensionalen
Semantik
Die Parametertheorie
Kontextuelle Informationen lassen sich in eine semantische Theorie einbauen,
wenn man annimmt, dass ein Satz nicht ohne weiteres wahr oder falsch ist,
sondern wahr oder falsch in Bezug zu einem sog. Index.
Ein Index ist eine Folge von kontextuellen Variablen (den sog. Parametern).
Als
l Standard
d d gilt
l ein Index
d
mit acht
h Elementen
l
: 1. eine mögliche
l h Welt,
l 2. eine
Zeit, 3. ein Ort, 4. ein Sprecher, 5. ein (oder mehrere) Hörer, 6. eine Sequenz
demonstrierter Objekte, 7. ein Diskurssegment sowie eine 8. Folge von
Bewertungen für freie Variablen.
In diesem System sehen die Wahrheitsbedingungen folgendermaßen aus:
„Ich bin jetzt wach“ ist wahr bei <t, l, s, h, i, d, f>, gdw. s zu t wach ist.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
193
Deixis in der intensionalen
Semantik
Problem: Viele Sätze sind auf eine „unvorhersehbare“ Weise kontextabhängig.
„Es ist Herbst.“
Dieser Satz ist jetzt wahr in der nördlichen Hemisphäre und falsch in der
südlichen. Wir müssen den Satz also auf Hemisphären relativieren!
„Es ist 12:30 Uhr.“
Die Wahrheit dieses Satz hängt von einer Zeitzone ab.
John kam zur Mensa. / John ging zur Mensa.
Diese beiden Sätze enthalten einen „Gesichtspunkt“. Sie sind zwar unter
denselben Bedingungen wahr, aber im ersten befindet sich der Sprecher in der
Mensa, im zweiten außerhalb dieser.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
194
David Kaplans
Charakter-Theorie
David Kaplan (*1930)
Kaplan ist ein einflussreicher amerikanischer
Philosoph, der derzeit in Los Angeles lehrt.
Seine wichtigsten Beiträge zur Philosophie
liegen auf dem Gebiet der Semantik,
insbesondere
der
Semantik
von
Glaubenssätzen sowie der Semantik von
deiktischen Ausdrücken.
Wichtige Werke:
„Quantifying In“ (1968)
„Bob and Carol and Ted and Alice“ (1973)
„Dthat“ (1978)
„Opacity“
O
it “ (1986)
„Demonstratives“ (1989)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
195
David Kaplans
Charakter-Theorie
Wir können für das Problem mit deiktischen Ausdrücken die folgende allgemeine
Beschreibung
h ib
geben:
b
Wenn wir einen kontextabhängigen Ausdruck x haben, dann müssen wir, um
ihn interpretieren zu können, eine Regel α kennen, die diesem Ausdruck je nach
Kontext C einen entsprechenden Bezugsgegenstand zuordnet: α (x, C)
„Ich bin jetzt wach“ ist wahr, gdw. α(ich, C) α(jetzt, C) wach ist.
David Kaplan konzipiert solche Regeln als Funktionen, welche (mögliche)
Kontexte als Argumente und Bedeutungen als Werte besitzen. Solche Funktionen
nennt Kaplan den Charakter eines Ausdrucks.
¾ Der Charakter eines Ausdrucks legt mit Bezug auf die relevanten
kontextuellen Merkmale der Äußerungssituation die Bedeutung des Ausdrucks
fest.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
196
David Kaplans
Charakter-Theorie
Doppelte Bewertung
Kontext C1
Kontext C2
Welt w1
Welt w2
Fred äußert „Ich bin ein Philosoph.“
Hans äußert „Ich bin ein Philosoph.“
Fred ist Philosoph.
Hans ist Philosoph.
Charakter
Ich bin ein Philosoph.
Philosoph
+C1
Intension
(Bedeutung)
Extension
SS 2010
+C2
Fred ist ein Philosoph.
Hans ist ein Philosoph.
+w1
+w2
+w1
+w2
wahr
falsch
falsch
wahr
Einführung in die Theoretische Philosophie
197
David Kaplans
Charakter-Theorie
Zur „Logik“ deiktischer Ausdrücke
Kaplans Theorie enthält eine Logik deiktischer Ausdrücke mit entsprechenden
philosophischen Konsequenzen.
Der Sprecher eines Satzes existiert in jeder Welt, in der der Satz geäußert wird,
daher sind die Sätze:
„Ich existiere.“
„Ich bin jetzt hier.“
wahr in jeder Welt, d.h. sie sind notwendig wahr.
Andererseits ist der Bedeutung dieser Sätze verschieden von Kontext zu
K t t Die
Kontext.
Di Bedeutung
B d t
d Satzes
des
S t
i t demnach
ist
d
h kontingent.
k ti
t
¾ Es gibt notwendig wahre Sätze, deren Bedeutung kontingent ist!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
198
Die Implikaturentheorie von
Herbert Paul Grice
[Herbert] Paul Grice (1913-1988)
Grice ist bekannt geworden durch
seine Arbeiten zur Sprachphilosophie.
E
Er
füh t
führte
d
den
B
Begriff
iff
d
der
Sprecherbedeutung ein, „erfand“ die
konversationalen
Implikaturen
((Pragmatik)
g
) und entwickelte eine
intentionale Semantik.
Wichtigste
g
Werke:
„Logic and Conversation“ (1975)
„„Further
Notes
on
Logic
g
and
Coversation“ (1978)
Studies in the Way of Words (1989)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
199
Die Implikaturentheorie von
Herbert Paul Grice
Was (literal) gesagt wird.
Was mitgemeint (implikiert) ist.
Einige Sportler rauchen.
Nicht alle Sportler rauchen.
Hans ist eine Intelligenzbestie.
Hans ist ein Idiot. (Ironie)
(A: Kommst du zur Party?)
B: Ich muss arbeiten.
(A: Kommst du zur Party?)
B: Nein, ich komme nicht zur Party.
Sie gab ihm den Schlüssel und er öffnete die
Tür.
Sie gab ihm den Schlüssel und danach öffnete
er die Tür mit diesem Schlüssel.
(A: Ich möchte nächste Woche das Matterhorn
besteigen.)
B: Ihr Knie braucht Zeit zur Heilung.
A: Ich möchte nächste Woche das Matterhorn
besteigen.
B: Sie sollten damit noch warten.
Ich sah John um Mitternacht mit einer Frau.
Frau
Ich sah John um Mitternacht mit einer Frau,
Frau
die mir nicht bekannt ist.
(A: Hat Hans eine Freundin?)
B: Er ist oft in Berlin gewesen die letzten Tage.
(A: Hat Hans eine Freundin?)
B: Er hat (möglicherweise) eine Freundin in
Berlin.
Berlin
Er war nicht gerade ein Held.
Er war feige. (Litotes)
Hannah beleidigte John und John verzweifelte.
Hannahs
Beleidigung
Verzweiflung
Verzweiflung.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
brachte
John
zur
200
Die Implikaturentheorie von
Herbert Paul Grice
Implikaturtypen
Implikaturen
konventionell
konversational
Konventionelle Implikaturen sind Bestandteile der konventionellen Bedeutung
von bestimmten Ausdrücken.
Konversationale Implikaturen entstehen, weil die Konversationsteilnehmer
bestimmten Konversationsmaximen folgen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
201
Die Implikaturentheorie von
Herbert Paul Grice
Konventionelle Implikaturen
• werden hervorgerufen durch die Bedeutungen bestimmter Worte
• sind unabhängig vom Kontext der Äußerung
Bill ist ein Engländer, d.h. er ist mutig.
Bill ist ein Engländer aber mutig.
Bill ist ein Engländer ....
... und er ist mutig.
literal gesagt
Bill ist ein Engländer ...
... aufgrund dessen ist er mutig.
implikiert
SS 2010
Bill ist ein Engländer ...
... trotz dessen ist er mutig.
implikiert
Einführung in die Theoretische Philosophie
202
Die Implikaturentheorie von
Herbert Paul Grice
Konversationale Implikaturen [Beispiel: Ironie]
[Es regnet in Stömen] A: Schönes Wetter heute!
Der Hörer weiß, dass das Wetter scheußlich ist und dass A das bemerkt haben
muss.
Es ist also offensichtlich, dass A etwas gesagt hat, was A für falsch hält. (Ironie)
Der Hörer nimmt an, dass sich A kooperativ verhält, d.h. etwas informatives
sagen will.
Der Hörer versucht demnach, die Aussage von A anders zu deuten.
Der Hörer schließt (implikiert), dass A ihm nahe legen wollte, dass heute
Mistwetter herrscht.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
203
Die Implikaturentheorie von
Herbert Paul Grice
Kooperationsprinzip: „Mache deinen Gesprächsbeitrag jeweils so, wie es von dem
akzeptierten Zweck oder der akzeptierten Richtung des Gesprächs,
Gesprächs an dem du teilnimmst
teilnimmst,
gerade verlangt wird.“ (Paul Grice, „Logik und Konversation“)
Maximen
a
e de
der Qua
Quantität
ä
Maximen
a
e de
der Qua
Qualität
ä
Sei so informativ wie nötig!
Sei nicht informativer als nötig!
Sage nichts, was du für falsch hältst!
Sage nichts, wofür dir angemessene Gründe
f hl !
fehlen!
Maximen der Modalität
Maxime der Relevanz
Vermeide Dunkelheit des
Ausdrucks!
Vermeide Mehrdeutigkeit!
Fasse dich kurz!
Der Reihe nach!
SS 2010
Sei relevant!
Einführung in die Theoretische Philosophie
204
Die Implikaturentheorie von
Herbert Paul Grice
Konversationale Implikaturen
• sind nicht an Worte oder besondere sprachliche Konstruktionen gebunden;
• ergeben sich aus dem Zusammenspiel a) des Inhaltes des geäußerten Satzes,
b) dem Kontext der Äußerung sowie c) aus den Prinzipien der rationalen
kooperativen Konversation;
• beruhen darauf, dass die Kommunikation eine regelgeleitete Aktivität ist, bei
der bestimmte Prinzipien (Maximen) beachtet werden.
Wie erhält man Implikaturen unter Ausnutzung der Konversationsmaximen?
Verletzung der Maximen
Ein Sprecher A verstößt offen gegen eine der Maximen, aber B bezweifelt nicht,
dass A dem allgemeinen Kooperationsprinzip Folge leistet.
leistet In diesem Fall hat B
die Möglichkeit, die Maximen so auszubeuten, dass er einen Grund für das
Verhalten von A findet (konstruiert).
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
205
Die Implikaturentheorie von
Herbert Paul Grice
Gutachten: Sehr geehrte Damen und Herren, der Student X beherrscht die
deutsche Sprache ausgezeichnet und nimmt an allen Veranstaltungen regelmäßig
teil.
™ Der
e Leser
ese be
bemerkt,
e t, dass das Gutac
Gutachten
te nicht
c t informativ
o at ist.
st ((Verletzung
e et u g de
der
Maxime der Quantität)
™ Der Leser nimmt an, dass sich der Gutachter kooperativ verhält.
(Unterstellung, dass das Kooperationsprinzip in Geltung bleibt)
™ Der
D
L
Leser
versucht,
ht die
di Aussage
A
d
des
G t ht
Gutachters
anders
d
zu deuten.
d t
(D h er
(D.h.
nimmt an, dass der Gutachter etwas anderes mitteilen wollte, und zwar so, dass
auch die Maxime der Quantität in Geltung bleibt!)
plausibler Grund dafür,, dass der Gutachter nicht informativ war,, bestünde
™ Ein p
darin, dass (a) alles, was man sonst über den Kandidaten sagen könnte, etwas
Schlechtes wäre und (b) der Gutachter nichts Schlechtes über den Kandidaten
sagen wollte.
Der Leser kann demnach schließen (implikieren), dass ihm der Gutachter nahe
legen wollte, dass der Student für den Job ungeeignet ist.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
206
Die Implikaturentheorie von
Herbert Paul Grice
Partikulare vs. generalisierte konversationale Implikaturen
Für bestimmte Implikaturen muss man die Eigenschaften der Äußerungssituation
kennen, für andere nicht. Grice unterscheidet danach zwischen zwei Typen von
konversationalen Implikaturen:
Partikulare Implikaturen entstehen, weil der Kontext ein bestimmtes Merkmal
besitzt.
„Schönes Wetter heute!“, Gutachten
Generalisierte
G
li i t
I
Implikaturen
lik t
Kontextmerkmalen.
b
beruhen
h
nicht
i ht
auff
spezifischen
ifi h
„Maria
Maria hat drei Katzen.
Katzen “ (nämlich genau drei und nicht vier oder
fünfzehn)
„Hans trifft sich heute Abend mit einer Frau.“ (nicht mit seiner Frau,
seiner Mutter oder Schwester)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
207
Die Implikaturentheorie von
Herbert Paul Grice
Eigenschaften von konversationalen Implikaturen
Ablösbarkeit: Konversationale Implikaturen sind nicht an bestimmte
Worte gebunden. Sie hängen vom Kontext und den Konversationsmaximen ab,
nicht aber vom Gebrauch eines bestimmten Wortes.
Wortes (Wenn eine Äußerung in
einem gewissen Kontext einen konversationale Implikatur besitzt, dann besitzen
in diesem Kontext alle anderen Ausdrücke mit derselben Bedeutung dieselbe
Implikatur.)
Hans ist eine Intelligenzbestie! / Hans ist ein Genie! / Hans ist die Intelligenz in
Person! / Hans ist ein großer Kopf!
Aufhebbarkeit: Konversationale Implikaturen lassen sich „umgehen“
(löschen). Wenn eine Äußerung eine konversationale Implikatur besitzt, dann
ergibt die Hinzufügung der Negation der Implikatur keinen Widerspruch.
Er war nicht gerade ein Held!
Er war feige. (Litotes)
Er war nicht gerade ein Held! Aber feige war er auch nicht.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
Er war feige.
208
Präsuppositionen
Frege über nicht-denotierende singuläre Terme
„Wenn man also behauptet, so ist immer die Voraussetzung selbstverständlich, dass die
gebrauchten einfachen oder zusammengesetzten Eigennamen eine Bedeutung haben. Wenn
man also behauptet, ‚Kepler starb im Elend‘, so ist dabei vorausgesetzt, dass der Name
‚Kepler‘
K l ‘ etwas
t
b
bezeichne;
i h
aber
b darum
d
i t doch
ist
d h im
i Sinne
Si
d
des
S t
Satzes
‚Kepler
K l starb
t b im
i Elend‘
El d‘
der Gedanke, dass ‚Kepler‘ etwas bezeichne nicht enthalten.“
(Gottlob Frege: „Über Sinn und Bedeutung“)
Satz:
Negierter Satz:
Kepler starb im Elend.
Kepler starb nicht im Elend.
Präsupposition:
Der Name „Kepler“ bezeichnet etwas.
Negation der Präsupposition: # Kepler gibt es nicht, und dieser starb im Elend.
¾ Präsuppositionen werden nicht mitbehauptet und können daher nicht negiert werden; sie
sind statt dessen: Bedingungen für die erfolgreiche Äußerung eines Satzes.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
209
Präsuppositionen
Präsuppositionen und Russells Kennzeichnungstheorie
Der gegenwärtige König von Frankreich ist reich.
Es gibt einen und nur einen König von Frankreich und dieser ist reich.
• Die Russell-Paraphrase enthält keine singulären Terme, weshalb die Probleme mit nichtdenotierenden Ausdrücken nicht mehr auftauchen.
• Das, was bei Frege eine Präsupposition genannt wird, erscheint bei Russell als eine
logische
g
Folgerung
g
g des Satzes. Der p
präsuppositionale
pp
Gehalt wird mitbehauptet.
p
• Die Beobachtung Freges, dass die Negation eines Satzes seine Präsuppositionen teilt,
ersetzt Russell durch eine Ambiguität, die aus der unterschiedlichen „Reichweite“ (=Skopus)
der Partikel „nicht“ resultiert.
Der gegenwärtige König von Frankreich ist nicht reich.
Fall 1:
Es ist nicht der Fall, dass es einen und nur einen gegenwärtigen König von
Frankreich gibt,
gibt der reich ist.
ist (Präsupposition wird getilgt)
Fall 2:
Es gibt einen und nur einen gegenwärtigen König von Frankreich und dieser ist
nicht reich. (Präsupposition bleibt erhalten)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
210
Präsuppositionen – Strawsons
Wiederentdeckung
g
Peter F. Strawson (*1919)
Strawson ist ein britischer Philosoph,
der die Methoden der analytischen
osop e au
auf klassische
ass sc e p
philosooso
Philosophie
phische
Probleme
anwendet.
Er
kritisierte Russells Kennzeichnungstheorie, entwickelte ein Konzept der
deskriptiven Metaphysik und gilt als ein
einflussreicher Kantinterpret.
Wichtigste Werke:
„On Referring“ (1950)
Introduction to Logical Theory (1952)
Th Bounds
The
B
d off Sense
S
(1966)
Scepticism and Naturalism (1985)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
211
Präsuppositionen – Strawsons
Wiederentdeckung
g
Peter F. Strawsons Sicht ähnelt der von Frege. Er nimmt an, dass die Wahrheit
d
der
Präsuppositionen
ä
ii
eines
i
S
Satzes
Bedingungen
di
fü die
für
di Möglichkeit
ö li hk i seien,
i
eine
i
Behauptung mithilfe dieses Satzes zu vollziehen. Seine Hauptkritik an Russell
war, dass man mit seiner Theorie die folgende Unterscheidung nicht mehr
vornehmen kann:
• dem Gebrauch eines Ausdrucks, mit dem man auf einen Gegenstand Bezug
nimmt
• die Aussage, dass es ein Individuum gibt, welches gewisse Eigenschaften
besitzt
Wenn eine Präsupposition nicht erfüllt ist, dann kann man mit dem Satz keine
Behauptung machen. Strawson entwickelte die klassische Definition einer
Präsupposition:
Eine Aussage A präsupponiert eine Aussage B, wenn die Wahrheit von B
eine notwendige Bedingung für die Wahrheit oder Falschheit von A ist.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
212
Präsuppositionen
Was sind eigentlich Präsuppositionen?
Die Beantwortung dieser Frage hat insbesondere in den 60ern bis zum
Ende der 70er Jahre zu einer umfangreichen
g
Debatte g
geführt, in der
hauptsächlich zwei Positionen vertreten wurden:
Die semantische Konzeption: Präsuppositionen sind wie die
logischen Folgerungen ein Spezialfall der semantischen Implikationen
eines Satzes.
Die
pragmatischen
Konzeption:
Präsuppositionen
sind
Unterstellungen, die ein Sprecher mit einer Äußerung in einem
speziellen Kontext macht.
Beide Konzeptionen haben eine sehr differenzierte Ausgestaltung
erfahren und lassen viele verschiedene Unterpositionen zu.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
213
Präsuppositionen
Die semantische Konzeption
Vertreter der semantischen Konzeption sehen Präsuppositionen als unabhängig von den
Überzeugungen von Sprecher und Hörer, vom Hintergrundwissen der Diskursteilnehmer
oder von anderen kontextuellen Faktoren an.
an
Präsuppositionen sind semantische
Beziehungen zwischen Sätzen:
Die einfachste Definition lautet:
A >> B (A präsupponiert B), gdw.
A ╞ B (in jeder Interpretation, in der A wahr ist, ist B wahr) und
¬A
A ╞ B (in jeder Interpretation,
Interpretation in der A falsch ist,
ist ist B wahr)
Wenn wir uns an die orthodoxe Auffassung halten, dass es nur zwei Wahrheitswerte gibt,
dann impliziert das die Ansicht von Frege und Strawson, dass ein Satz keinen Wahrheitswert
besitzt, wenn seine Präsuppositionen nicht erfüllt sind.
Mit dieser Definition lässt sich die klassische zweiwertige Logik nicht halten!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
214
Präsuppositionen
Die pragmatischen Konzeptionen
Unter diese Rubrik fallen eine ganze Reihe diverser Ansätze, welche versuchen, den Begriff
der Präsupposition anhand von kontextuellen Faktoren zu erklären. Im Unterschied zu den
semantischen Konzepten stützen diese sich auf einen anderen Aspekt: Präsuppositionen
werden angesehen als Bedingungen für die Möglichkeit einer gelingenden Äußerung.
Sprechakttheoretische Ansätze: Präsuppositionen werden als Bedingungen für den
akzeptablen
k
t bl
G b
Gebrauch
h eines
i
S t
Satzes
th
thematisiert.
ti i t (Fillmore,
(Fill
L
Langendoen
d
& Savin)
S i )
Sprecherbasierte Ansätze: Präsuppositionen werden als diejenigen Annahmen
gekennzeichnet,, die ein Sprecher
g
p
in einem Diskurs als g
geteilte Hintergrundannahmen
g
voraussetzen kann. (Stalnaker, Soames)
Konversationale Ansätze: Präsuppositionen werden als eine spezifische Form
konventioneller oder konversationaler Implikaturen (im Sinne von Grice) angesehen.
angesehen
(Sadock, Karttunen & Peters, Kempson)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
215
Präsuppositionen – Träger
Eigennamen
Kepler starb (nicht) im Elend.
>> Es gibt jemanden namens „Kepler“.
Quantoren
(nicht) Jedes der Kindes von John schläft.
>> John hat Kinder.
Aspektverben
John hat (nicht) aufgehört seine Großmutter zu schlagen.
>> John hat seine Großmutter geschlagen.
Betonung
g
Der FLEISCHER tötete die Gans ((nicht).
)
>> Jemand tötete die Gans.
Spaltsätze
p
Es war ((nicht)) Barney,
y, der den Honig
g stahl.
>> Jemand stahl den Honig.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
216
Präsuppositionen – Tests
Negationstest
Modalitätstest
Peter bedauert, dass Hans gegangen
ist.
⇒ Jemand bedauert,
bedauert
dass Hans
gegangen ist.
>> Hans ist gegangen.
Peter bedauert, dass Hans gegangen
ist.
⇒ Jemand bedauert,
bedauert
dass Hans
gegangen ist.
>> Hans ist gegangen.
Peter bedauert nicht, dass
gegangen ist.
=/⇒ Jemand bedauert, dass
gegangen ist.
ist
>> Hans ist gegangen.
Vielleicht bedauert es Peter, dass Hans
gegangen ist.
=/⇒ Jemand bedauert, dass Hans
gegangen ist.
ist
>> Hans ist gegangen.
Hans
Hans
¾ Präsuppositionen sind
diejenigen
Folgerungen von Sätzen, welche unter
Negation erhalten bleiben.
SS 2010
¾ Bei der Einbettung unter einen
Modalitätsoperator
bleibt
die
Präsupposition erhalten, die Folgerung
nicht.
Einführung in die Theoretische Philosophie
217
Präsuppositionen
Das Projektionsproblem
j
p
Das Projektionsproblem für Präsuppositionen – erstmals von Langendoen und
S i (1972)
Savin
( 9 2) formuliert
f
li
– besteht
b
h in
i der
d
ganz allgemeinen
ll
i
Frage, was mit
i den
d
Präsuppositionen eines Satzes passiert, wenn dieser in einem komplexeren Satz
eingebettet ist.
A1, A2, ..., An seien elementare Sätze
P(A1), P(A2), ..., P(An) seien die die Präsuppositionen von A1, A2, ..., An
(A1, A2, ..., An) sei ein komplexer Satz,
Satz der aus der Kombination von A1, A2, ...,
An gebildet worden ist.
Was sind die Präsuppositionen von (A1, A2, ..., An)?
Die kumulative Hypothese
(A1, A2, ..., An) >> P(A1) & P(A2) & … & P(An)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
218
Präsuppositionen
Das Projektionsproblem
j
p
Direkte Rede
Hans sagte: „Paul hat aufgehört
f
seine Großmutter
ß
zu schlagen“.
>/> Paul hat seine Großmutter geschlagen.
Propositionale Einstellungen
Hans glaubt sogar, dass Paul aufgehört hat, seine Großmutter zu schlagen.
>/> Paul hat seine Großmutter geschlagen.
Aufhebung mittels direkter Verneinung der Präsupposition eines negierten Satzes
Paul hat nicht aufgehört seine Großmutter zu schlagen, weil er sie nie geschlagen
hat.
>/> Paul hat seine Großmutter geschlagen.
geschlagen
Disjunktion
geschlagen,
g , oder er hat aufgehört,
g
, sie zu
Entweder hat Hans seine Großmutter nie g
schlagen.
>/> Paul hat seine Großmutter geschlagen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
219
Sprechakttheorie: J.L. Austin
John Langshaw Austin
( 9
(1911-1960)
960)
Austin gilt als einer der Begründer der
sog „Ordinary
sog.
Ordinary Language Philosophy
Philosophy“.
Er beschäftigte sich intensiv mit dem
Handlungsaspekt
der
Sprache
(Sprechakte), sowie mit der Struktur
von Äußerungen über Sinneseindrücke.
Sinneseindrücke
Seine beiden Hauptwerke basieren auf
Skripten und Vorlesungen, die von
seinen Schülern posthum veröffentlicht
wurden.
wurden
Wichtigste Werke:
How To Do Things With Words (1962)
Sense and Sensibilia (1962)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
220
Sprechakttheorie: J.L. Austin
Der Handlungsaspekt der Sprache
[Beim Pokern] Ich verdopple.
[Im Standesamt] Hiermit ernenne ich sie zu Mann und Frau.
[Bei einer Taufe] Hiermit nenne ich dieses Schiff Queen
Victoria.
Diese Sätze
Handlungen,
einer Heirat
Anschluss an
liefert keine Beschreibung meines Tuns, sondern sind
die in einem Verdoppeln des Einsatzes beim Pokern, in
oder einer Schiffstaufe bestehen. Niemand könnte im
die jeweiligen Äußerungen
Ä
„Das ist falsch!“ sagen.
Austin nannte derartige Sätze performative Sätze, im Unterschied zu
deskriptiven Sätzen, in denen wir eine beschreibende Aussage
machen, die wahr oder falsch sein kann.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
221
Sprechakttheorie: J.L. Austin
Geglücktheitsbedingungen/ Gelingensbedingungen
Sprechakte können können zwar nicht literal wahr oder falsch sein, aber sie können
erfolgreich sein oder nicht erfolgreich. Die Voraussetzungen für erfolgreiche Sprechakte
nennt Austin Geglücktheitsbedingungen (felicity conditions).
conditions)
• Es muss eine konventionelle Regel geben, nach der der Sprechakt vollzogen wird.
• Die Umstände und Personen müssen angemessen sein.
• Die Regel muss korrekt und vollständig ausgeführt werden.
• Oft müssen die beteiligten Personen entsprechende Gedanken, Gefühle oder Absichten
besitzen, und falls ein Anschlussverhalten gefordert wird, dann müssen die relevanten
Personen dies ausführen.
Die Regeln, die unsere Sprechakte leiten, sind in den meisten Fällen nur implizit in unserer
sozialen Praxis verankert. Nur selten gibt es explizite Niederschriften oder Anweisungen zum
V ll
Vollzug
b ti
bestimmter
t Sprechakte
S
h kt (etwa
( t
i institutionellen
in
i tit ti
ll
P ktik
Praktiken
wie
i einer
i
H i t oder
Heirat
d einer
i
Taufe oder in den Regelwerken von Kartenspielen etc.).
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
222
Sprechakttheorie: J.L. Austin
Der Aufbau eines Sprechaktes
p
Austin unterscheidet unterschiedliche Aspekte eines Sprechaktes:
Lokutionärer Akt: die Bedeutung oder der Inhalt einer Äußerung
(Lokution entspricht in etwa dem Begriff der Proposition)
Illokutionärer Akt: der Handlungsaspekt oder –typ eines Sprechaktes
(Befehl, Angebot, Bitte, Versprechen etc.)
Perlokutionärer Akt: die Folgen eines Sprechaktes (die Tatsachen, die
dadurch, dass ein Sprechakt eine Handlung ist, geschaffen oder
verändert werden)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
223
Sprechakttheorie: J.L. Austin
Illokutionäre Indikatoren
Die meisten Sprechakte können so vollzogen werden, dass sie nicht nur einen
Sprechakt zum Ausdruck bringen, sondern diesen auch explizit beschreiben:
Ich werde hier sein.
Du musst dich setzen!
Ich war dumm.
Ich verspreche, dass ich hier sein werde.
Ich befehle dir hiermit,, dich zu setzen.
Ich gebe zu, dass ich dumm war.
Explizite
p
performative Äußerungen
p
g
enthalten ein handlungsanzeigendes
g
g
Verb wie
versprechen oder zugeben (jeweils in der ersten Person Indikativ Präsens) sowie
manchmal auch weitere Indikatoren wie das Adverb hiermit. Im Gegensatz dazu
stehen Äußerungen, die indirekt oder implizit performativ sind.
¾ Sprachliche Ausdrücke, die die
illokutionäre Indikatoren genannt.
SS 2010
Illokution
explizit
Einführung in die Theoretische Philosophie
anzeigen,
werden
224
Sprechakttheorie: J.R. Searle
John R. Searle (*1932)
John Searle wurde bekannt durch seine
Arbeiten
zur
Sprechakttheorie,
zur
Philosophie
des
Geistes
sowie
zur
Sozialphilosophie. Er arbeitet auf vielfältigen
Gebieten und gilt heute als einer der
wichtigsten philosophischen Autoren.
Wichtigste Werke:
Speech
p
Acts ((1969))
Expression and Meaning (1979)
„Minds, Brains, and Programs“ (1980)
Intentionality (1983)
The Rediscovery of Mind (1992)
The Construction of Social Reality (1997)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
225
Sprechakttheorie: J.R. Searle
Zur Klassifikation der Sprechakte
p
Searle entwickelte Austins Ansätze zur Sprechakttheorie wesentlich
weiter wobei er besonders die illokutionären Akte analysiert.
weiter,
analysiert
Searle teilt die Sprechakte nach den folgenden Kriterien ein:
• Zweck oder Funktion des Sprechaktes
• Anpassungsrichtung zwischen Wort und Welt
• psychische Einstellung, die mit einem Sprechakt einhergeht
Anhand
A
h d dieser
di
K it i
Kriterien
l
lassen
sich
i h die
di
f l
folgenden
d
T
Typen
von
Sprechakten unterscheiden: Deklarative, Repräsentative, Direktive,
Kommissive und Expressive.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
226
Sprechakttheorie: J.R. Searle
S
Sprechakt
h kt
Z
Zweck
k
A
Anpassungsrichtung
i ht
psychischer
hi h
Zustand
Deklarative
institutionelle
Routinen
Welt-an-Wort
?
Repräsentative
Festlegung
Wahrheit
Wort-an-Welt
Glaube/Wissen
Direktive
Hörer soll etwas tun
Welt-an-Wort
Wunsch
Kommissive
Festlegung auf eine
Handlung
Welt-an-Wort
Absicht
Expressive
Ausdrücken
Einstellung
?
variabel
SS 2010
auf
die
einer
Einführung in die Theoretische Philosophie
227
Sprechakttheorie: J.R. Searle
Deklarative (taufen, heiraten, kündigen, ...)
Deklarative
D
kl
ti
S
Sprechakte
h kt sind
i d sprachliche
hli h Routineformeln,
R ti f
l die
di in
i der
d Regel
R
l an die
di Existenz
E i t
von
Institutionen gebunden sind.
Hiermit kündige ich zum 31.07.2005.
Der Angeklagte ist schuldig.
Repräsentative (behaupten, feststellen, berichten, ...)
Repräsentative Sprechakte legen den Sprecher darauf fest,
fest dass der ausgedrückte
propositionale Inhalt der Äußerung wahr ist.
Die Erde ist flach.
Ein neuer Bürgermeister wurde gewählt.
gewählt
Direktive (befehlen, auffordern, bitten, ...)
Direktive Sprechakte
p
haben den Zweck,, dass der Sprecher
p
versucht,, den Hörer dazu zu
bringen etwas zu tun.
Einen Kaffe, schwarz mit etwas Zucker bitte!
Nicht betreten!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
228
Sprechakttheorie: J.R. Searle
Kommissive (versprechen, ankündigen, drohen, ...)
Kommissive Sprechakte haben die Funktion, den Sprecher auf eine zukünftige
Handlung festzulegen.
Ich bin gleich zurück.
Ich verspreche, das nicht wieder zu tun.
Expressive (danken, gratulieren, sich entschuldigen, ...)
Expressive Sprechakte haben die Funktion,
Einstellung zum Ausdruck zu bringen.
zu
einem
Sachverhalt
eine
Es tut mir sehr leid.
Danke für das Kompliment.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
229
Sprechakttheorie: J.R. Searle
Gelingensbedingungen nach Searle
Für jede Sprechhandlung sollten nach Searle folgende Gelingensbedingungen
unterschieden werden (illustriert am Beispiel einer Bitte): Bitte tue A!
Einleitungsbedingung: Der Sprecher glaubt, dass der Hörer A tun kann. Es ist
nicht offensichtlich, dass der Hörer A tun würde, ohne darum gebeten zu
werden.
Bedingung des propositionalen Gehalts: Der Hörer wird A tun.
Aufrichtigkeitsbedingung. Der Sprecher hat tatsächlich den Wunsch, dass der
Hörer A tut.
Wesentliche Bedingung: Die Äußerung der Bitte ist ein Versuch, den Hörer
dazu zu bringen, A zu tun.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
230
Sprechakttheorie: J.R. Searle
Das geglückte Versprechen „Hiermit verspreche ich, A zu tun.“
Wenn ein Sprecher S einen Satz T im Beisein eines Hörers H äußert, dann
verspricht er H, dass er A tun wird, gdw. die folgenden Bedingungen erfüllt sind:
Einleitungsbedingungen
generell: S und H sprechen die gleiche Sprache, sind nicht taub oder betrunken
und es handelt sich um Erwachsene.
spezifisch: Die Ausführung von A durch S ist für H positiver als die
Unterlassung.
# Ich verspreche dir, morgen Pilzsuppe zu kochen, obgleich ich weiß, dass du
Pilze hasst.
spezifisch: Es ist nicht offensichtlich, dass S sowieso A ausführen würde.
# Ich gehe jeden Tag zur Arbeit und verspreche, es morgen auch zu tun.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
231
Sprechakttheorie: J.R. Searle
Das geglückte Versprechen „Hiermit verspreche ich, A zu tun.“
Wenn ein Sprecher S einen Satz T im Beisein eines Hörers H äußert, dann
verspricht er H, dass er A tun wird, gdw. die folgenden Bedingungen erfüllt sind:
Bedingungen des propositionalen Gehalts
Mit der Äußerung von T drückt S die Proposition,
Proposition dass p,
p aus.
aus
# Ich verspreche dir einen Klurks.
Indem S ausdrückt, dass p, sagt S eine zukünftige Handlung A von S voraus.
# Ich verspreche, dass ich gestern in Theater war.
Aufrichtigkeitsbedingung
S beabsichtigt tatsächlich, A zu tun.
# Ich verspreche zu kommen, werde es aber nicht tun.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
232
Sprechakttheorie: J.R. Searle
Das geglückte Versprechen
„Hiermit verspreche ich, A zu tun.“
Wenn ein Sprecher S einen Satz T im Beisein eines Hörers H äußert, dann verspricht er H,
dass er A tun wird, gdw. die folgenden Bedingungen erfüllt sind:
Wesentliche Bedingung
Es liegt in der Absicht von S, sich mit der Äußerung von T zur Ausführung von A zu
verpflichten.
fli ht
# Ich verspreche, den Kuchen zu backen, habe aber nicht die Absicht es zu tun.
Sonstiges
S beabsichtigt, dass H erkennt, dass S mit der Äußerung von T die Verpflichtung zur
Ausführung von A übernimmt.
(Ein Versprechen funktioniert nur, wenn der Sprecher denkt, dass der Hörer seine
Äußerung überhaupt als ein Versprechen auffasst.)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
233
Sprechakttheorie: J.R. Searle
Indirekte Sprechakte
Ein indirekter Sprechakt liegt dann vor, wenn in einem nicht-neutralen Kontext
auf das Vorliegen einer Illokution geschlossen wird, die von der im neutralen
Kontext zu erwartenden Illokution abweicht.
Äußerung
ausgedrückter SA
gemeinter SA
Der Kleine hat in die Windeln geschissen.
Deklarativ
Aufforderung
Hier zieht es.
Deklarativ
Aufforderung
Kannst du mir das Salz reichen?
Frage
Bitte
Ist das denn realistisch?
Frage
Entgegnung
V
Verschwinde
h i d jetzt
j t t bitte
bitt aus dem
d
Zi
Zimmer.
Bitt
Bitte
W
Warnung
Ich verspreche dir,
Nachtisch bekommst.
Versprechen
Drohung
SS 2010
dass
du
keinen
Einführung in die Theoretische Philosophie
234
Philosophische Fakultät Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Dr. Holm Bräuer
3. Erkenntnistheorie
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
236
Wissen
Wissen
praktisches Wissen
(knowing how)
propositionales Wissen
(knowing that)
Wissen, wie etwas ist
(knowing how it is)
Fähigkeiten, Fertigkeiten
theoretisch, Erkenntnisse
Sinnesqualitäten, Eindrücke
Erkenntnistheorie
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
Philosophie des Geistes
237
Wissen
Praktisches Wissen (
(Wissen,, wie)
)
Albert weiß, wie man Posaune spielt.
Hans und
nd Maria
Ma ia wissen,
issen wie
ie man Fahrrad
Fah ad fährt.
fäh t
Helena weiß, wie man Rührei macht.
• Praktisches Wissen besteht in einer praktischen Fertigkeit oder einem
Können.
• Es besitzt keinen „Inhalt
„Inhalt“,, d.h. es ist kein Wissen, dass sich etwas so
sound-so verhält.
• Wer weiß, wie man Fahrrad fährt, kann dieses Wissen nicht sprachlich
ausdrücken, sondern nur dadurch zeigen, dass er Fahrrad fährt.
• Dieser Typ von Wissen ist nicht Thema der Erkenntnistheorie.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
238
Wissen
Propositionales Wissen (Wissen, dass)
Der Detektiv weiß, dass der Gärtner der Mörder ist.
Maria wusste gestern nicht, dass heute schönes Wetter ist. Jetzt weiß sie es.
Ich weiß, dass ich zwei Hände habe.
Zuschreibungen des Wissens haben die folgende Form:
S weiß, dass p.
wobei „S
S“ für eine bestimmte Person (oder irgendeinem Subjekt des Wissens)
steht und „p“ für einen propositionalen Gehalt (den Inhalt des Satzes „Der
Mörder ist der Gärtner.“ oder „Ich habe zwei Hände.“ usw.)
• Theoretisches Wissen ist immer ein Wissen, das einen Inhalt hat. Man weiß,
dass sich etwas so-und-so verhält.
• Der Gegenstand der Erkenntnistheorie ist das propositionale Wissen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
239
Wissen
Wissen, wie etwas ist
Albert weiß, wie eine Kiwi schmeckt.
Johanna weiß, wie es ist, wenn man einen Sonnenbrand hat.
Gegen die Gleichsetzung des „Wissens, wie etwas ist“ mit dem propositionalen
Wissen sprechen zwei Argumente.
(1) Auf die Frage „Wie
Wie ist es denn,
denn eine Kiwi zu essen?
essen?“ gibt es keine
befriedigende Antwort, die es Albert erübrigen würde, eine Kiwi zu kosten, um
das zu wissen.
(2) Auch wenn man propositional von Kiwis alles weiß, weiß man dennoch nicht,
wie
i eine
i
Ki i schmeckt,
Kiwi
h
kt wenn man nie
i eine
i
probiert
bi t hat.
h t
• Bei dieser Art von Wissen handelt es sich weder um praktisches noch um
propositionales Wissen.
• Das Wissen, wie etwas ist, ist Gegenstand der Philosophie des Geistes
(Qualiadebatte).
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
240
Erkenntnistheorie
Skeptizismus
Was ist Wissen?
Was ist Wahrheit?
W i besteht
Worin
b t ht Rechtfertigung?
R htf ti
?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
241
Erkenntnistheorie
Skeptizismus
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
242
Skeptizismus
Philosophische Skepsis vs. Alltagsskepsis
Philosophische Skeptiker bestreiten oder bezweifeln, dass wir Wissen über die
Welt haben oder haben können, aber:
• Sie haben Gründe für den Zweifel.
• Sie argumentieren
Voraussetzungen.
dafür
und
machen
dabei
bewusst
bestimmte
• Sie erheben einen Allgemeinheitsanspruch.
Der philosophische Skeptiker stellt die Möglichkeit des Wissens über die Welt
grundsätzlich in Frage. Er argumentiert für diesen Zweifel, begründet diesen und
ist sich der Voraussetzungen, die er dabei eingeht, durchaus bewusst.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
243
Skeptizismus
Irrtum und Zweifel
Irren ist menschlich! Folgt aber daraus, dass ich mich manchmal irre, die
Möglichkeit, dass ich mich immer irre, d.h. vielleicht gar kein Wissen über die
Welt um mich habe?
• Bei der Feststellung, dass wir uns manchmal irren, wird vorausgesetzt, dass
man Irrtümer feststellen kann. Das aber setzt voraus, dass man sich nicht in
jeder Hinsicht täuschen kann.
• Die Feststellung eines Irrtums kann selber kein Irrtum sein, sonst wäre sie
gerade nicht die Feststellung eines Irrtums.
• Wenn ich feststelle,
feststelle mich geirrt zu haben,
haben dann habe ich einen besonderen
Grund, der gegen meine frühere Überzeugung spricht. Gegen meine jetzige
Überzeugung habe ich keinen spezifischen Grund. Ich habe keinen Grund, sie
aufzugeben.
Die Tatsache, dass wir uns hin und wieder irren, sollte uns nicht beunruhigen
und erst recht nicht zum Skeptiker werden lassen!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
244
Skeptizismus
Sekundäre Qualitäten
Haben Gegenstände Farben?
John Locke
Wenn wir von den Farben sprechen, dann geht es nur um die Wirkungen, die die
Oberflächenstruktur eines Körpers unter bestimmten Umständen (Lichtverhältnisse) für den
menschlichen Betrachter hat.
Primäre Qualitäten: Eigenschaften, die den Gegenständen als solchen zukommen.
Sekundäre Qualitäten: Eigenschaften, die von unseren kognitiven und Wahrnehmungsf h k
fähigkeiten
abhängig
bh
sind.
d
Skeptische Schlussfolgerung
Wir nehmen die Welt nicht so wahr,
wahr wie sie an sich beschaffen ist!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
245
Skeptizismus
Das Traumargument
Rene Descartes
Prämisse: Wenn ich weiß, dass ich jetzt eine Vorlesung halte, dann weiß ich auch, dass ich
jetzt nicht im Bett liege und bloß träume, dass ich eine Vorlesung halte.
P ä i
Prämisse:
I h weiß
Ich
iß jetzt
j t t nicht,
i ht ob
b ich
i h jetzt
j t t träume
t ä
oder
d nicht.
i ht
modus tollens
Konklusion: Also weiß ich nicht, dass ich jetzt eine Vorlesung halte.
Argument für die zweite Prämisse:
Prämisse: Um zu wissen, ob ich jetzt träume, müsste ich ein Kriterium besitzen, das es
mir erlaubt, Traum von Wachheit zu unterscheiden.
Prämisse: Ich kann kein solches Kriterium besitzen, denn immer wenn ich meine, ein
brauchbares Kriterium anzuwenden, könnte es sein, dass ich bloß träume, dass ich ein
brauchbares Kriterium anwende!
modus tollens
Konklusion: Ich weiß jetzt nicht, ob ich träume oder wach bin!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
246
Skeptizismus
Gibt es eine Außenwelt?
Rene Descartes
Halluzinationen: Wir alle wissen, dass Menschen unter bestimmten Umständen
halluzinieren. Nach langer Arbeit an dieser Vorlesung sehe ich aus dem Fenster
und erblicke einen rosa Elefanten auf der Strasse.
Strasse In Wirklichkeit ist kein Elefant
in der Nähe. Auf der Strasse ist gar nichts los.
In Fällen wie dem der Halluzination besteht die Täuschung
g darin, dass ich meine,
dass meiner Vorstellung ein Gegenstand in der Welt (der rosa Elefant)
entspricht. Ich täusche mich aber nicht darin, dass ich meine, einen Elefanten zu
sehen.
Skeptische Fragen
• Wie kann ich wissen, dass sich meine Vorstellungen auf etwas beziehen?
g
, dass ich nur meine Vorstellungen
g
besitze,, denen „„in
• Ist es möglich,
Wirklichkeit“ nichts entspricht?
• Kann ich wirklich wissen, dass es überhaupt eine Welt jenseits oder außerhalb
meiner Vorstellungen – eine Außenwelt – gibt?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
247
Skeptizismus
Gibt es eine Außenwelt?
I am plagued by doubts. What if
everything is an illusion and
nothing exists? In that case, I
definitely overpaid for my carpet.
Prämisse: Wenn ich etwas über irgendeinen Gegenstand der Außenwelt weiß,
dann weiß ich auch, dass es eine Außenwelt gibt.
Prämisse: Ich kann nicht wissen,, dass es eine Außenwelt g
gibt.
modus tollens
Konklusion: Ich kann über keinen Gegenstand der Außenwelt etwas wissen.
• Wie das Traum-Argument endet auch das Außenwelt-Argument mit der
Konklusion, dass ich kein empirisches Wissen über die Welt haben kann.
• Das Außenwelt-Argument bestreitet eine der Voraussetzungen, welche beim
Traum-Argument gemacht werden muss; dass es nämlich eine Außenwelt gibt.
• Das Traum-Argument kann auch unter der Prämisse geführt werden, dass es
eine Außenwelt gibt. Es handelt sich um zwei verschiedene Argumente.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
248
Skeptizismus
Hilary Putnam
Gehirne im Tank
Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Jemandem ist von einem übelwollenden
Neurowissenschaftler das Gehirn entnommen worden. Um es am Leben zu
erhalten hat dieser es in eine Nährlösung gegeben.
erhalten,
gegeben Die Nervenenden sind mit
einem leistungsfähigen Computer verbunden worden, der dem Gehirn den
Eindruck erzeugt, dass alles wie immer und ganz normal sei. Das Gehirn hat also
den Eindruck, dass es von den vertrauten Gegenständen umgeben ist, während
in Wirklichkeit dieser Eindruck nur von elektronischen Impulsen ausgeht,
ausgeht die der
Computer dem Gehirn sendet. Es gibt kein Erlebnis, das der Computer dem
Gehirn nicht „vorspielen“ kann.
Prämisse: Wenn ich irgendetwas über die Welt weiß, dann weiß ich auch, dass
ich kein Gehirn im Tank bin.
Prämisse: Ich kann nicht wissen, ob ich ein Gehirn im Tank bin.
modus tollens
Konklusion: Ich kann nichts über die Welt wissen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
249
Skeptizismus
Unsere epistemische Situation
Epistemische Situation: kognitive und sinnliche Fähigkeiten im Verhältnis zu unserer
Umgebung
Die skeptischen Fragen sind Ausdruck des Versuchs herauszufinden, ob wir uns überhaupt in
einer epistemischen Situation befinden, die Wissen möglich macht. Der Skeptiker zeigt uns,
dass durchaus die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen ist, dass uns einige oder die meisten
Aspekte unserer epistemischen Umgebung intransparent sind:
• Ein Träumer hat, während er träumt, nicht die Möglichkeit festzustellen, ob er träumt oder
wach ist.
• Wir haben keine (direkte) Möglichkeit festzustellen, ob unseren Vorstellungen tatsächlich
Gegenstände entsprechen oder nicht, d.h. wir können die Existenz der Außenwelt nur
annehmen, nicht beweisen.
• Wir haben keinen Grund zu der Annahme,
Annahme dass die Welt um uns herum so beschaffen ist,
ist
wie wir sie wahrnehmen, denn viele der Eigenschaften, die wir erkennen können, sind keine
Eigenschaften der Dinge, sondern Eigenschaften, die von unserer sinnlichen und kognitiven
Ausstattung abhängig sind.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
250
Erkenntnistheorie
Was ist Wissen?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
251
Was ist Wissen?
Gestern wusste ich nicht, wie heute das Wetter sein wird. Heute weiß
ich es.
• Wir sind in der Lage, Fälle des Wissens von Fällen des Nicht-Wissens
zu unterscheiden.
• Wir können den Begriff des Wissens korrekt verwenden.
• Wozu also diese Frage?
• Was ist das eigentlich für eine Frage?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
252
Begriffsanalyse
Die Frage nach notwendigen und hinreichenden Bedingungen
x ist ein Junggeselle, gdw.
(1) x unverheiratet ist
(2) x männlich ist und
(3) x die meisten Abende allein verbringt.
eine
Bedingung ist
nicht
notwendig
Notwendige Bedingungen sind solche Merkmale, die für den fraglichen Begriff immer erfüllt sind. Die
dritte Bedingung ist nicht notwendig, da es Junggesellen gibt, die die meisten Abende nicht allein
verbringen (Partylöwen, die Single sind).
x ist ein Junggeselle, gdw.
(1) x unverheiratet ist und
(2) x männlich ist.
Bedingungen
sind
zusammen
noch nicht
hinreichend
Hinreichend ist eine Menge von Bedingungen dann,
dann wenn die Merkmale immer Fälle des fraglichen
Begriffs sind. Die beiden angeführten Merkmale sind zusammen nicht hinreichend, da es unverheiratete,
männliche Wesen gibt, die keine Junggesellen sind (Knaben).
x ist ein Junggeselle, gdw.
SS 2010
(1) x unverheiratet ist
(2) x männlich ist und
(3) x im heiratsfähigem Alter ist.
Einführung in die Theoretische Philosophie
Bedingungen
sind notwendig
und
hinreichend?
253
Die traditionelle Konzeption
Die für viele Jahrhunderte unbestrittene Definition des Wissens stammt
aus der Antike, nämlich von Platon, und lautet:
Wissen = wahre, gerechtfertigte Meinung
Ignoranz
S weiß, dass p, gdw.
SS 2010
Irrtum
Zufall
(1) S glaubt, dass p;
(2) p ist wahr;
(3) S ist gerechtfertigt zu glauben, dass p.
Einführung in die Theoretische Philosophie
254
Die traditionelle Konzeption
Überzeugungen
Eine erste notwendige
Überzeugung:
Bedingung
für
Wissen
besteht
im
Haben
einer
Wenn S weiß, dass p, dann hat S die Überzeugung, dass p.
Dass Wissen Überzeugungen voraussetzt,
voraussetzt wird plausibel,
plausibel wenn man versucht
sich vorzustellen, dass dem nicht so ist.
Hans weiß, dass Dresden südlich von Berlin liegt, aber er glaubt es nicht.
Eine solche Beschreibung ist verwirrend und zwar deshalb, weil beides offenbar
nicht miteinander vereinbar ist.
Also: Das Haben einer Überzeugung entsprechenden Inhalts ist eine notwendige
Bedingung für Wissen!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
255
Die traditionelle Konzeption
Wahrheit
Überzeugungen sind nicht hinreichend für Wissen, denn Überzeugungen können
wahr oder falsch sein. Und falsche Überzeugungen sind keine Fälle von Wissen.
Wenn S weiß, dass p, dann ist es wahr, dass p.
Dass Wissen Wahrheit voraussetzt,
voraussetzt wird wieder klar,
klar wenn wir versuchen,
versuchen dies in
Abrede zu stellen:
Hans weiß, dass Berlin südlich von Dresden liegt.
Auch diese Beschreibung ist verwirrend und zwar ebenfalls deshalb, weil beides –
Falschheit und Wissen – nicht miteinander vereinbar ist. Wenn etwas falsch ist,
dann liegt kein Wissen vor.
vor
Also: Auch die Wahrheit des Gewussten ist eine notwendige Bedingung für
Wissen!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
256
Die traditionelle Konzeption
Rechtfertigung
Wahre Überzeugungen sind noch immer keine hinreichende Bedingung von
Wissen!
Hans bekommt ein Säckchen mit Murmeln vorgesetzt. Er soll nun raten, wie viele
Murmeln sich in dem Säckchen befinden. Er denkt eine Weile nach und sagt dann
geöffnet, wobei sich herausstellt, dass es zufällig
g
„16“. Jetzt wird das Säckchen g
wirklich 16 Murmeln sind! Hans hatte also eine wahre Überzeugung
Ü
über die
Anzahl der Murmeln im Säckchen.
Aber: Wusste Hans vorher, wie viele Murmeln im Säckchen sind?
Wer (zufällig) richtig liegt, weiß z.B. wie viele Murmeln sich im Säckchen
befinden. ???
Zufällig wahre Vermutungen stellen kein Wissen dar. Überzeugungen und
Wahrheit sind nicht hinreichend, um Wissen zu definieren.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
257
Die traditionelle Konzeption
Rechtfertigung
Wenn S weiß, dass p, dann ist S‘s Überzeugung, dass p, gerechtfertigt.
„Sokrates: ... die richtigen Vorstellungen sind eine schöne Sache, solange sie
bleiben, und bewirken alles Gute; lange Zeit aber pflegen sie nicht zu bleiben,
sondern gehen davon aus der Seele des Menschen, so dass sie doch nicht viel
wert sind, bis man sie bindet durch Aufweisen ihrer Begründung. ... Nachdem sie
aber gebunden werden, werden sie zuerst Erkenntnisse und dann auch bleibend.
Und deshalb nun ist Erkenntnis höher zu schätzen als die richtige Vorstellung,
und es unterscheidet sich eben durch das Gebundensein die Erkenntnis von der
richtigen Vorstellung.“ [Platon: Menon 97e-98a]
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
258
Die traditionelle Konzeption
Rechtfertigung
Wenn S weiß, dass p, dann ist S‘s Überzeugung, dass p, gerechtfertigt.
Was auch immer im Einzelnen unter „Rechtfertigung“ zu verstehen ist, lässt sich
nicht leicht beantworten. Dennoch: Die traditionelle Konzeption des Wissens als
wahrer, gerechtfertigter Meinung lässt sich an vielen Beispielen belegen:
• Maria weiß nur dann, dass die Bibliothek sonntags geöffnet ist, wenn sie
Gründe hat, das anzunehmen.
• Eine Frau weiß, dass sie schwanger ist nicht schon, wenn sie es ahnt (und es
zufällig
fälli stimmt),
ti
t) sondern
d
erstt dann,
d
wenn sie
i eindeutige
i d ti
E id
Evidenzen
d fü hat.
dafür
h t
• Ein Mathematiker weiß erst dann, dass ein gewisser Satz wahr ist, wenn er ihn
beweisen kann und nicht schon, wenn er das nur vermutet oder glaubt.
• Hans weiß nicht, wie viele Murmeln im Säckchen sind, wenn er es nur rät. Er
weiß es erst dann, wenn er seine Vermutung stützen und begründen kann; wenn
er entsprechende Anhaltspunkte hat.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
259
Edmund Gettiers Problem
Schmidt und Müller bewerben sich auf dieselbe Stelle. Schmidt hat aus
glaubhafter
f
Quelle erfahren,
f
dass sich die Firma für
f Müller entscheiden
wird. Außerdem hat er zufällig gesehen, dass Müller zehn Münzen in
seiner Hosentasche hat. Diese Daten rechtfertigen seine Annahme:
Müller wird die Stelle bekommen. & Müller hat zehn Münzen in seiner Hosentasche.
Derjenige, der die Stelle bekommen wird, hat zehn Münzen in der Hosentasche.
Nun ereignen sich für Schmidt zwei unerwartete Zufälle. Auch Schmidt hat genau zehn
Münzen in seiner Hosentasche und bekommt trotz gegenteiliger Vorinformation selbst die
Stelle.
• Schmidt hat eine wahre Überzeugung.
Überzeugung
• Seine Überzeugung ist gerechtfertigt.
• Schmidt hat eine wahre und gerechtfertigte Meinung.
Wusste Schmidt wirklich,
wirklich was er glaubte?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
260
Edmund Gettiers Problem
Zusatzbedingungen?
Gibt es eine Lösung für das Gettierproblem durch die Angabe zusätzlicher Bedingungen?
Schmidts Rechtfertigung beruhte auf der falschen Prämisse, dass Müller die Stelle bekommt.
Vielleicht sollten wir einfach falsche Überzeugungen als Rechtfertigungsgründe ausschließen?
S weiß, dass p, gdw.
(1), (2), (3) und
((4)) die rechtfertigenden
g
Überzeugungen
g g
wahr sind.
Angenommen Schmidt erfährt aus seiner Quelle (nämlich von Schulz, einem Mitglied des Auswahlkomitees),
dass er selbst die Stelle bekommt und er bemerkt auch die zehn Münzen in seiner Tasche. Damit sind
seine rechtfertigenden Überzeugungen beide wahr.
Zufälligerweise ist es aber so, dass in der Sitzung des Komitees beschlossen wurde, dass Müller
angenommen und Schmidt abgelehnt wird. Erst zu einem späteren Zeitpunkt wird von übergeordneter
Stelle angeordnet, doch Schmidt und nicht Müller zu nehmen. Schulz hatte also etwas
durcheinandergebracht und nur zufällig eine wahre Information weitergegeben.
• Würden wir Schmidts Überzeugung nach der Sitzung und vor der Weisung durch die
übergeordnete Stelle als Wissen bezeichnen?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
261
Edmund Gettiers Problem
Zusatzbedingungen?
Der eben konstruierte Fall beruht darauf, dass die rechtfertigenden Gründe zwar
wahr, aber nur zufällig wahr sind. Dies weist darauf hin, dass die vierte
Bedingung noch zu schwach war. Ein nichtzufälliger wahrer Grund für eine
Überzeugung liegt offensichtlich dann vor, wenn dieser selbst gerechtfertigt ist:
S weiß, dass p, gdw.
(1), (2), (3) und
(4) die Rechtfertiger wahr und gerechtfertigt sind.
Das führt leider in einen infiniten Regress, denn das Definiens (insbesondere
die vierte Bedingung) hat dieselbe Struktur wie das Definiendum. Wir könnten
nun fragen, wie es um die rechtfertigenden Überzeugungen der rechtfertigenden
Überzeugungen steht usw.
usw Das Problem verschiebt sich statt gelöst zu werden!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
262
Internalismus vs. Externalismus
internalistische Konzepte
externalistische Konzepte
S weiß, dass p, gdw.
(1) S glaubt, dass p;
(2) p ist wahr; und
(3) S ist gerechtfertigt, p zu glauben.
(4) ???
S weiß, dass p, gdw.
(1) S glaubt, dass p;
(2) p ist wahr; und
(3) ???
Externalistische Konzepte halten Rechtfertigung nicht für eine notwendige
Bedingung des Wissens. Sie suchen diese durch eine andere zu ersetzen. Sie
versuchen also die Voraussetzung des „nicht zufällig Wahr-seins“ anders zu
bestimmen. Wir sehen uns jetzt die folgenden drei Varianten externalistischer
Wissenskonzepte an:
¾ kausale Konzeptionen
¾ reliabilistische Konzeptionen
¾ kontextualistische Konzeptionen
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
263
Die kausale Konzeption
Eine besonders nahe liegende Form einer
externalistischen Konzeption ist die kausale
Konzeption.
S weiß, dass p, gdw.
Alvin I.
Goldman
ld
(1), (2) und
(3) S´s Überzeugung durch die Tatsache, dass p,
verursacht wurde.
Diese Variante eignet sich besonders für Wahrnehmungswissen:
Nehmen wir wieder Schmidt. Im ersten Fall hatte er die wahre Überzeugung, dass derjenige,
d die
der
di Stelle
St ll bekommt,
b k
t zehn
h Münzen
Mü
i seiner
in
i
H
Hosentasche
t
h hat.
h t Diese
Di
j d h wurde
jedoch
d nicht
i ht
von seinen Evidenzen verursacht, sondern beruhte auf einem logischen Schluss, den
Schmidt aus seinen Evidenzen zog. Die dritte Bedingung der kausalen Konzeption ist
demnach nicht erfüllt gewesen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
264
Die kausale Konzeption
Zukunft: Man kann Wissen über zukünftige Tatsachen haben (z.B. weiß ich,
dass das Wasser im Teekessel kochen wird,
wird wenn ich diesen auf eine heiße
Herdplatte stelle). Zukünftige Tatsachen können aber keine Ursachen für
gegenwärtige Überzeugungen sein.
Devianz: Die Verursachung der Überzeugung muss von der „richtigen Art“ sein.
Nehmen wir an, dass Luise an Masern erkrankt ist und dass die Masern zu einer zusätzlichen
allergischen Reaktion geführt haben,
haben welche Ursache für die kleinen roten Flecken ist,
ist
welche dann in Luise die Überzeugung verursachen, dass sie Masern hat. In diesem Fall ist
zwar die Tatsache, dass Luise Masern hat, die Ursache für Luises Überzeugung, dass sie
Masern hat, doch auch hier würden wir nicht von Wissen sprechen, denn die allergische
Reaktion und ihre Masernerkrankung
g sind zwei unterschiedliche Phänomene.
Abschwächung der kausalen Konzeption
S weiß, dass p, gdw.
(1), (2) und
(3) S´s
S´ Überzeugung
Üb
mit
i der
d Tatsache,
h dass
d
p, in
i
angemessener Weise kausal verbunden ist.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
265
Die kausale Konzeption
Angemessenheit: Was genau besagt die Bedingung, dass es sich um eine
angemessen kausale
k
l
Verbindung
bi d
h d l ? (selbst-erfüllende
handelt?
( lb
füll d
Prophezeiung;
h
i
Wissen über die Zukunft; deviante Kausalketten usw.)
Negative
N
ti
T t
Tatsachen:
h
I h weiß,
Ich
iß dass
d
es in
i der
d Sahara
S h
k i
keine
Ei b
Eisberge
gibt.
ibt Gibt
es nun auch „negative Tatsachen“, die Ursache für meine Überzeugung sein
können, dass es keine Eisberge in der Sahara gibt?
Mathematisches Wissen: Ich weiß, dass 7+5=12 ist. Welche Tatsachen
könnten Ursache für dieses Wissen sein?
Modales Wissen: Welche Tatsache könnte Ursache meines Wissens sein, dass
der Wahlverlierer die Wahl akzeptiert hätte, wenn er sie gewonnen hätte? Es gibt
keine solche Tatsache, denn er hat die Wahl ja verloren!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
266
Die reliabilistische Konzeption
Frank P. Ramsey
1903-1930
S weiß, dass p, gdw. (1), (2) und
(3) S ist auf eine verlässliche Art und
Weise zu seiner Überzeugung p gelangt.
• Schmidt ging im ersten Fall von der falschen Information aus, dass Müller die
Stelle bekommt. Falschinformationen stellen keine verlässliche Weise des
Erwerbs für eine Überzeugung dar.
• Im modifizierten Fall schloss Schmidt aus zufällig wahren Informationen auf
seine Überzeugung.
Übe e g ng Auch
A ch dies ist kein verlässlicher
e lässliche Fall des Meinungserwerbs.
Mein ngse e bs
• Ein anderer Fall: Wenn mir eine Wahrsagerin prophezeien würde, dass ich den
Hauptgewinn bei einer Tombola ziehe und dies tatsächlich geschieht, dann kann
man nicht sagen,
sagen ich wusste,
wusste dass ich gewinnen werde,
werde weil Wahrsagerei kein
verlässlicher Prozess des Überzeugungserwerbs ist.
• usw.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
267
Die reliabilistische Konzeption
Präzisierte Bedingung der Verlässlichkeit
Die dritte Bedingung verlangt, dass die Überzeugung durch eine verlässliche
Methode zustande gekommen ist. Doch welche Methode ist verlässlich?
Eine verlässliche Methode des Meinungserwerbs zeichnet sich dadurch aus, dass
die Wahrscheinlichkeit, mit dieser Methode zu einer wahren Überzeugung zu
kommen, hoch (nahe 1) ist.
0<
Anzahl der mit einer Methode
erworbenen
b
wahren
h
M
Meinungen
i
Anzahl der Anwendungen der Methode
<1
Verlässlichkeit ist graduell und die Grenze zwischen verlässlichen Methoden und
unverlässlichen Methoden ist vage. Es wird immer Fälle geben, bei denen nicht
klar ist, ob man sie verlässlich nennen sollte oder nicht.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
268
Die reliabilistische Konzeption
Die Verlässlichkeit einer Methode des Meinungserwerbs ist relativ zu
einem
i
gegebenen
b
Z
Zweck:
k
Wahrnehmung ohne technische Hilfsmittel: ist eine verlässliche
M th d wenn man an Informationen
Methode,
I f
ti
üb mittelgroße
über
itt l
ß Gegenstände
G
tä d in
i
der näheren Umgebung interessiert ist (z.B. ob jetzt ein ein Stück
Kreide vor mir liegt). Sie ist keine verlässliche Methode, wenn wir etwas
zur Mikrostruktur eines Metalls oder über die Oberfläche eines
entfernten Planeten wissen möchten.
Wahrnehmung unter Zuhilfenahme komplizierter Instrumente:
ist eine verlässliche Methode, wenn der Meinungserwerb durch
Gebrauch des entsprechenden Instruments (Mikroskop, Teleskop)
zustande gekommen ist. Der Gebrauch eines Teleskops oder eines
Mik
Mikroskops
k
i t unverlässlich,
ist
lä li h wenn wir
i etwas
t
von den
d
mittelgroßen
itt l
ß
Gegenständen in unserer Umgebung wissen wollen (das Stück Kreide
z.B.) oder wenn das Instrument selbst unzuverlässig arbeitet.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
269
Die reliabilistische Konzeption
Methoden des Wissenserwerbs
Wahrnehmung: reliabel in Bezug auf Wissen von mittelgroßen
Gegenständen.
Gegenständen
Wahrsagerei: nicht reliabel.
Schlussfolgern aus wahren Prämissen: reliabel
Schlussfolgern aus falschen Prämissen: nicht reliabel
Raten/Münze werfen: nicht reliabel
Expertenwissen: reliabel in Bezug auf das entsprechende Fachgebiet
Alltagserfahrung: reliabel in Bezug auf die entsprechenden
Alltagsthemen
Träumen: nicht reliabel
Zeugenbefragung:
Reliabilität
abhängig
von
verschiedenen
Umständen (Glaubwürdigkeit etc.)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
270
Die reliabilistische Konzeption
Unbestimmtheit der Methode
Anna sieht ein Flugzeug in weiter Ferne vorbei fliegen. Weiß sie, dass ein Flugzeug vorbei
fliegt? Visuelle Wahrnehmung allein ist dafür nicht zuverlässig genug, da das fragliche
Objekt
j
zu weit entfernt ist. In diesem Fall aber bestanden besondere Umstände: die Sicht
war außergewöhnlich klar; Anna hatte gerade Augentropfen genommen, die die Fernsicht
verstärken; Anna war besonders aufmerksam usw. Alles in allem hat dies zu einem
zuverlässigen Wissenserwerb geführt.
Wie sollen wir die hier angewandte Methode korrekt beschreiben?
Maximal: Bei der Spezifikation der Methode werden alle besonderen Umstände
mit einbezogen.
einbezogen Das führt im Extremfall zu detaillierten Beschreibungen von
Einzelfällen. Einzelfälle aber haben keine probabilistischen Eigenschaften.
Minimal: Bei der Spezifikation
p
der verwendeten Methode werden nur die
allgemeinsten Merkmale einbezogen, z.B. dass es sich in einem gegebenen Fall
um visuelle Wahrnehmung ohne Hilfsmittel handelt. Das führt allerdings zu
einem unbrauchbaren Verhältnis zwischen Reliabilität und Wissen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
271
Die kontextualistische
Konzeption
Die Standards des Wissens hängen vom Kontext ab!
Bert ist Laien-Meteorologe. Am Freitag Nachmittag schließt er aus der Art der Wolken, dem
Westwind und noch einigem Anderen mehr darauf, dass es am Samstag regnen wird. Und
Bert hat Recht: Am Samstag fällt der erwartete Regen.
Regen Als Laien-Meteorologe hat Bert eine
reliable Methode entwickelt. Er weiß am Freitag, dass es am Samstag regnen wird.
Erna ist professionelle Meteorologin. Auch sie stellt dieselben Überlegungen wie Bert an. Sie
hat aber noch nicht die aktuellen Wetterdaten durchgesehen und antwortet am Freitag
Nachmittag auf die Frage, ob sie schon wüsste, ob es am Samstag regnen wird, korrekt,
dass sie das noch nicht sagen kann, da sie die entsprechenden Informationen noch nicht hat.
Dasselbe Verfahren liefert in Bezug auf Berts und Ernas Kontext unterschiedliche
Ergebnisse hinsichtlich der Feststellung darüber, ob Bert und Erna am Freitag
wissen, dass es am Samstag regnen wird. Die Standards einer professionellen
W tt
Wettervorhersage
h
sind
i d anspruchsvoller
h
ll als
l die
di einer
i
L i
Laien-vorhersage.
h
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
272
Die kontextualistische
Konzeption
Die kontextualistische Konzeption des Wissens liefert den folgenden
Definitionsvorschlag:
S weiß, dass p, gdw.
(1), (2) und
(3) S die im gegebenen Kontext einschlägigen
Standards erfüllt.
Wodurch wird bestimmt, was die einschlägigen Standards sind?
Konventionen: Es gibt keine von uns unabhängige Tatsache, die den
Standard für Wissen festlegt. Vielmehr legen wir ihn konventionell fest.
Es gibt zum einen Konventionen, die die professionellen Meteorologen
untereinander
teilen,
zum
anderen
Konventionen,
die
die
meteorologischen Laien im Alltag miteinander teilen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
273
Die kontextualistische
Konzeption
Was legt den Kontext fest?
Erna sitzt am Freitag über ihren meteorologischen Daten und schaut aus dem Fenster. Sie
kommt aufgrund ihrer Beobachtungen wie Bert zu der (wahren) Überzeugung, dass es am
Samstag regnen wird.
wird Diese Überzeugung stellt Wissen dar,
dar wenn wir Erna als LaienLaien
Meteorologin betrachten; sie stellt kein Wissen dar, wenn wir Erna als professionelle
Meteorologin betrachten. In welchem Kontext befindet sie sich?
Was der entsprechende Kontext ist, hängt ebenfalls nicht von objektiven
Merkmalen
der
Welt
ab,
sondern
ist
betrachterrelativ
bzw.
perspektivengebunden.
Wissen ist relativ zu einem Zuschreiber, d.h. derjenigen Person, die
beurteilen muss, in welchem Kontext sich jemand befindet, wenn er eine
Überzeugung erwirbt.
erwirbt
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
274
Die Relativität des
Wissensbegriffs
Die Grundfrage für alle Konzeptionen der reduktiven Definition des Wissensbegriffs lautete:
Unter welchen Bedingungen gilt eine wahre Überzeugung als Wissen?
Verlässlichkeit: Die Beurteilung der Verlässlichkeit des Meinungserwerbs hängt davon ab,
ab
wie detailliert wir die verwendeten Methoden beschreiben.
Standards: Die Zuschreibung von Wissen ist zudem abhängig von den zugrundegelegten
S
Standards.
d d Welchen
W l h
S
Standard
d d wir
i wählen,
ähl
hä
hängt
d
davon
ab,
b in
i welchem
l h
K
Kontext
wir
i den
d
Wissenserwerb betrachten.
Kontext: Die Wahl des Kontexts ist nicht objektiv,
j
, sondern p
perspektivengebunden.
p
g
Vielleicht sollten wir den Versuch einer reduktiven Definition des Wissensbegriffs ganz
aufgeben? Zumindest ist das Wissen oder Nicht-Wissen einer Person keine Tatsache, die
unabhängig vom Kontext und insbesondere von der Perspektive des Betrachters ist.
ist
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
275
Erkenntnistheorie
Was ist Wahrheit?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
276
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
277
Was ist denn das: Philosophie?
ϕιλοσοϕια
ϕ ς = Freund / Liebhaber / Begehrender
ϕιλος
g
σοϕια = Weisheit / Wissen / Sachkunde
Jemand, der „philosophiert“ (ein Philosoph) ist also dem Worte nach
…
…
…
…
jemand,
jemand,
jemand,
jemand,
der
der
der
der
das Wissen liebt
sich um Weisheit bemüht
Gefallen an sachkundigen Urteilen hat
auf der Suche nach der Wahrheit ist
Sind wir alle schon Philosophen? Können wir nach Hause gehen?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
278
Was ist denn das: Philosophie?
ϕιλοσοϕια
ϕ ς = Freund / Liebhaber / Begehrender
ϕιλος
g
σοϕια = Weisheit / Wissen / Sachkunde
Jemand, der „philosophiert“ (ein Philosoph) ist also dem Worte nach
… jemand, der das
Wissen liebt
… jemand, der sich um Weisheit bemüht
… jemand, der Gefallen an sachkundigen Urteilen hat
… jemand,
jemand der auf der Suche nach der Wahrheit ist
Sind wir alle schon Philosophen? Können wir nach Hause gehen?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
279
Was ist denn das: Philosophie?
ϕιλοσοϕια
ϕιλος = Freund / Liebhaber / Begehrender
σοϕια = Weisheit / Wissen / Sachkunde
Jemand,, der „p
„philosophiert“
p
((ein Philosoph)
p ) ist also dem Worte nach
… jemand, der das Wissen liebt
… jemand,
jemand der sich um Weisheit bemüht
… jemand, der Gefallen an sachkundigen Urteilen hat
… jemand, der auf der Suche nach der
Wahrheit ist
Sind wir alle schon Philosophen? Können wir nach Hause gehen?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
280
Eigenschaften der Wahrheit
(a) unstrittig
Objektivität: „Wahr-Sein“ vs. „Für-Wahr-Halten“
Zeitlosigkeit: Wahrheit hat keine Geschichte, Glauben und Wissen hingegen schon.
Wahrheit ist sprachunabhängig und sprachübergreifend: Übersetzung.
Übersetzung
(b) strittig
Transzendenz (Realismus): Wahrheit ist unabhängig von Erkennbarkeit. Definition der
Wahrheit ≠ Kriterium der Wahrheit
Immanenz (Anti-Realismus):
(Anti Realismus): Wahrheit und Erkenntnis sind untrennbar miteinander
verbunden. Definition der Wahrheit = Kriterium der Wahrheit
***********************************************************************
Eine Definition der Wahrheit gibt an, was es heißt, „wahr“ zu sein, was Wahrheit ist.
Ein Kriterium der Wahrheit dient dazu zu entscheiden, ob etwas wahr ist oder nicht, d.h.
dazu, herauszufinden, was wahr ist und was nicht.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
281
Wahrheitsträger
Was kann überhaupt wahr oder falsch sein?
(a) Sprachliche Wahrheitsträger
Sätze (abstrakte sprachliche Formen)
Äußerungen (konkrete sprachliche Handlungen)
Problem: Wahrheit ist sprachübergreifend
(b) Psychische Wahrheitsträger
Urteile (konkrete psychische Ereignisse)
Überzeugungen (konkrete psychische Zustände)
Problem: Wahrheit ist objektiv und zeitlos.
(c) Abstrakte Wahrheitsträger
Propositionen (abstrakte semantische Objekte)
Problem: Zugang zu abstrakten Entitäten
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
282
Die Korrespondenztheorie
Etwas ist wahr, wenn es mit der Welt im Einklang steht.
Eine Satz ist wahr, gdw. es eine Tatsache gibt, mit der er übereinstimmt.
Was heißt „Übereinstimmung“ mit einer Tatsache? Lässt sich diese Redeweise
noch weiter präzisieren?
Bildtheorie (Wittgenstein)
SS 2010
semantische Theorie (Tarski)
Einführung in die Theoretische Philosophie
283
Korrespondenztheorie
Wittgensteins Bild-Theorie
These: Der Satz ist ein „Bild“ der Tatsache.
Semantische Bedingung: Die Teilelemente eines Satzes
stehen für entsprechende Teilelemente der Tatsachen.
Bedingung der Strukturgleichheit: Die Teilelemente
eines Satzes sind untereinander genauso angeordnet wie
die Teilelemente der Tatsache.
„Die Katze sitzt auf der Matte.“
die Katze
sitzt auf
der Matte
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
284
Korrespondenztheorie
Wittgensteins Bild-Theorie
Universalienproblem: Es ist umstritten, dass es neben Einzelgegenständen wie
Katzen und
d Matten auch
h Universalien
i
li
wie
i Eigenschaften
i
h f
oder
d Relationen
l i
( i der
(wie
d
des Auf-etwas-Sitzens) gibt.
Das Problem fehlender korrespondierender Tatsachen:
N
Negative,
ti
wahre
h
Sät
Sätze:
„Bello
B ll sitzt
it t nicht
i ht auff der
d Matte.“
M tt “
Existenzsätze: „Es gibt eine Katze, die auf der Matte sitzt.“
Kontrafaktische Sätze: „Bello könnte auf der Matte sitzen.“
Probabilistische Sätze: „Höchstwahrscheinlich sitzt die Katze auf der Matte.“
Mathematische Sätze: „2+2=4.“
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
285
Korrespondenztheorie
Wittgensteins Bild-Theorie
Das Slingshot-Argument
Alonzo Church
(1903-1995)
Korrespondenztheorie: Sätze korrespondieren mit Tatsachen.
Bildtheorie: Die Teilausdrücke eines Satzes stehen für etwas in der Welt.
E t
Extensionalitätsbedingung:
i
lität b di
W
Wenn
man einen
i
T il
Teilausdruck
d
k eines
i
S t
Satzes
durch
d
h einen
i
anderen ersetzt, der für dasselbe steht, dann korrespondiert der Satz, der sich daraus
ergibt, mit derselben Tatsache wie der ursprüngliche Satz.
Scott ist der Autor von Waverly.
Substitution
Scott ist der, der 29 Waverly-Novellen geschrieben hat.
S
Synonymie
i
Die Anzahl von Scotts Waverly-Novellen ist 29.
Substitution
Die Anzahl der Verwaltungsbezirke in Utah ist 29.
Synonymie
Jeder
dieser
Sät e
Sätze
bringt
dieselbe
Tatsache
zum
Ausdruck
Utah hat 29 Verwaltungsbezirke.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
286
Tarskis semantische Theorie der
Wahrheit
Alfred Tarski (1901-1983)
Tarski ist ein polnisch-amerikanischer
Logiker, der ab 1942 in Berkeley
lehrte Er gilt als der Begründer der
lehrte.
formalen Semantik („Modelltheorie“).
Seine Arbeiten zum Problem der
Definition
der
Wahrheit
waren
bahnbrechend und hatten einen großen
Einfluss auf die Philosophie.
Wichtigste
g
Werke:
„Der
Wahrheitsbegriff
in
den
formalisierten Sprachen“ (1936)
„The
Th Semantic
S
i Conception
C
i
off Truth
T h and
d
the Foundations of Semantics“ (1944)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
287
Korrespondenztheorie
Tarskis semantische Theorie
Etwas ist wahr, wenn es mit der Welt im Einklang steht.
Ein Satz ist (genau) dann wahr, wenn es sich so verhält, wie der Satz sagt.
„x“ ist wahr in L, gdw. p
Tarski ist der Auffassung, dass eine Theorie der Wahrheit so beschaffen sein
muss, dass sich aus dieser Sätze der obigen Form ableiten lassen müsse.
T-Sätze
• „Grass is green“ ist wahr im Englischen, gdw. Gras grün ist.
Rom“ ist wahr im Deutschen, gdw. Neapel südlich von
• „Neapel liegt südlich von Rom
Rom liegt.
• usw. ...
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
288
Tarskis semantische Theorie der
Wahrheit
Paradoxien in natürlichen Sprachen
Ist Wahrheit für eine natürliche Sprache überhaupt definierbar?
(W)
Der Satz W ist nicht wahr.
Wenn W wahr ist, dann verhält es sich so, wie W sagt, d.h. W ist nicht wahr. Demzufolge ist
W genau dann wahr,
wahr wenn W nicht wahr ist,
ist was zu einem Widerspruch in unserer
Wahrheitsdefinition führt!!
Natürliche Sprachen wie das Deutsche oder Englische enthalten die Möglichkeit solcher
Widersprüche.
d
h
Tarski zieht die Konsequenz, dass der Wahrheitsbegriff für eine natürliche Sprache
nicht
c t de
definiert
e t werden
e de kann,
a , so
sondern
de nur
u für
ü sog
sog. formale
o a e Sprachen.
Sp ac e
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
289
Tarskis semantische Theorie der
Wahrheit
Objekt- und Metasprache
(1)
„Grass is green“ ist wahr im Englischen gdw. Gras grün ist.
Objektsprache
Metasprache
Objektsprache: Sprache, zu der der Satz gehört, über dessen Wahrheit wir
reden (in unserem Beispiel das Englische)
Metasprache
p
bzw. Theoriesprache:
p
Sprache,
p
, in der wir die Wahrheitsdefinition
geben (in unserem Beispiel das Deutsche)
Dies impliziert nicht, dass (1) ein Satz ist, der zwei Sprachen enthält!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
290
Korrespondenztheorie
Tarskis semantische Theorie
Die Gefahr korrekter, aber inadäquater T-Sätze
(T) „x“ ist wahr in LO Ù p
((T-1))
„Gras
„G
as ist
s g
grün“
ü ist
s wahr
a im Deutschen
us
ÙS
Schnee weiß ist.
s
(T-1) ist zwar wahr, weil beide Seiten des Konditionals wahr sind, aber nicht adäquat!
Konvention T (Adäquatheitskriterium)
Eine Wahrheitsdefinition für eine Sprache
p
LO impliziert
p
alle korrekten Sätze des
Schemas
(T) „x“ ist wahr in LO Ù p
so dass x ein Satz der Objektsprache LO und p eine Übersetzung von x in die
Theoriesprache (Metasprache) ist.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
291
Korrespondenztheorie
Tarskis semantische Theorie
Wie sieht denn nun eine Wahrheitsdefinition aus?
(T-2)
„Gras ist grün“ ist wahr im Deutschen, gdw. Gras grün ist.
Dieser T-Satz stellt zwar eine adäquate Definition der Wahrheit für den
deutschen Satz „Gras ist grün“ dar, das ist aber noch nicht das, was wir
eigentlich haben wollen: eine allgemeine Definition des Wahrheitsbegriffs für
alle Sätze der untersuchten Sprache.
„Wir können nur sagen, daß jede Äquivalenz der Form (T), die wir nach
E
Ersetzung
t
von ‚p‘‘ durch
d
h eine
i
partikuläre
tik lä Aussage
A
und
d von ‚x‘‘ durch
d
h den
d
N
Namen
dieser Aussage erhalten, als eine partielle Definition der Wahrheit betrachtet
werden kann, die erklärt, worin die Wahrheit dieser einen individuellen Aussage
besteht. Die allgemeine Definition muß in einem gewissen Sinne die logische
Konjunktion all dieser partiellen Definitionen sein.“ [Alfred Tarski, Die
semantische Definition der Wahrheit und die Grundlagen der Semantik]
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
292
Korrespondenztheorie
Tarskis semantische Theorie
Wie sieht denn nun eine Wahrheitsdefinition aus?
Rekursive Definitionen [Angabe von Wahrheitsbedingungen]
atomare Sätze (Rekusionsanfang)
• Falls S ein Satz der Form „F(a)“ in L ist, dann ist S in L wahr, gdw. das Individuum,
welches a denotiert, Element der Klasse von Individuen ist, welche F denotieren.
komplexe
k
l
Sät
Sätze
(R k
(Rekursionsschritt)
i
h itt)
• Falls S ein Satz der Form „G und H“ in L ist, dann ist S in L wahr, gdw. G wahr ist und H
wahr ist.
• Falls S ein Satz der Form „G oder H“ in L ist, dann ist S in L wahr, gdw. G wahr ist oder H
wahr ist.
ist
• Falls S ein Satz der Form „Für alle x, Fx“ in L ist, dann ist S in L wahr, gdw. F(i) für alle
Belegungen i für die Variable x wahr ist.
• ...
Abschluss (Rekursionsabschluss)
• Nichts sonst ist wahr in L.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
293
Korrespondenztheorie
Tarskis semantische Theorie
Zusammenfassung
g
(1) Welche Form muss eine Theorie der Wahrheit haben?
Sie muss Sätze der Form T liefern.
(2) Unter welchen Bedingungen ist eine Definition von „ist wahr in L“ adäquat?
Sobald die Konvention T erfüllt ist.
(3) Wie kann man praktisch eine allgemeine Definition dieser Art liefern?
Durch eine induktive Definition, in der zuerst die
Wahrheitsbedingungen für die Basissätze einer Sprache und danach
aufbauend für alle anderen, komplexen Sätze dieser Sprache formuliert
werden.
d
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
294
Die Redundanztheorie
p ist wahr
p
Die Redundanztheorie der Wahrheit behauptet, dass
d
das
Wort „wahr“
h “ bzw.
b
d
der
Begriff
iff der
d
Wahrheit
h h i
überflüssig, weil redundant ist:
G
i t grün“
ü “ ist
i t wahr
h Ù Gras
G
i t grün.
ü
„Gras
ist
ist
F.P. Ramsey
W.V.O. Quine
g uns das T-Schema dazu,, jjeden Satz der Form „p
Berechtigt
„p“ ist wahr durch einen
Satz der Form p zu ersetzen? Und heißt das nicht, dass wir jederzeit, statt zu
sagen, ein Satz sei wahr, das Wörtchen wahr streichen und den Satz einfach
behaupten können?
Probleme
Verallgemeinerungen:
Alles, was der Papst sagt, ist wahr.
Negationen:
Es ist nicht wahr, dass Gras rot ist.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
295
Epistemische Wahrheitstheorien
Charles Sanders
Peirce
(1839 1914)
(1839-1914)
(1) Rationale Akzeptierbarkeit
Der Antirealist behauptet gegen die realistische Auffassung der Wahrheit, dass
Wahrheit untrennbar mir Erkenntnis verbunden ist. Diese Grundidee hat
vielfältige Ausformulierungen gefunden. Eine lautet:
Eine Proposition ist wahr, gdw. sie unter idealen oder optimalen
Bedingungen von einer vollständig rationalen Person akzeptiert werden
würde.
• Wahr
W h ist
i t demzufolge
d
f l
d
das,
was vollständig
ll tä di
ausreichender Nachforschung für wahr halten.
vernünftige
ü fti
M
Menschen
h
nach
h
• Wahrheit übersteigt die Perspektive rationaler Personen grundsätzlich nicht.
nicht
• Wahrheit ist eine immanente Eigenschaft unserer sprachlichen Praxis.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
296
Epistemische Wahrheitstheorien
Idealisierungen: Da wir keine vollständig rationalen Personen sind und die
Bedingungen auch niemals ideal sind,
sind ist es fraglich,
fraglich ob wir je herausfinden
können, was eine vollständig rationale Person unter idealen Bedingungen
akzeptieren würde. Da wir dies aber herausfinden müssten, um den epistemisch
verstandenen Wahrheitsbegriff überhaupt anwenden zu können, ist auch mehr
als
l fraglich,
f
li h ob
b wir
i den
d
W h h it b
Wahrheitsbegriff
iff überhaupt
üb h
t anwenden
d
kö
können.
N
Nun
können wir ihn aber anwenden.
Akzeptanz: Wann kann man eine Überzeugung akzeptieren? Wenn sie
authentisch geäußert wurde … überzeugend ist … von einer Person mit fachlicher
Autorität vorgebracht worden ist? Offensichtlich kann man etwas aus
unterschiedlichen Gründen akzeptieren. Der relevante Begriff der Akzeptanz hier
muss lauten: Etwas (also: eine Proposition,
Proposition einen Satz usw.)
usw ) als wahr
akzeptieren. Damit wird aber die gegebene Definition zirkulär.
Rationalität: Wann nennt man eine Person rational? Wenn sie in ihrem Denken
und Handeln Prinzipien folgt, die Wahrheit erhalten bzw. zur Wahrheit führen.
Man kann den Begriff der Rationalität nicht explizieren, ohne dabei den Begriff
der Wahrheit zu verwenden. Wieder droht ein Zirkel.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
297
Epistemische Wahrheitstheorien
(2) Konsenstheorie
Jürgen Habermas Karl Otto Apel
Der Konsenstheorie zufolge ist wahr genau das, worauf sich alle einigen
können:
Eine Proposition ist wahr, gdw. sie unter idealen und optimalen
Bedingungen für alle Mitglieder einer Sprechergemeinschaft
rational
i
l akzeptierbar
k
i b
i
ist.
Die Probleme mit den Idealisierungen sowie der Bestimmung von
Ak
Akzeptanz
t
und
d Rationalität
R ti
lität stellen
t ll
sich
i h hier
hi erneut.
t
Zusätzlich fragt sich, warum Wahrheit eine soziale Angelegenheit sein
soll.
ll Bestätigt
B täti t Konsens
K
nicht
i ht bestenfalls
b t f ll manchmal
h
l (und
( d bestimmt
b ti
t nicht
i ht
immer) eine Wahrheit, anstatt sie allererst zu begründen?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
298
Epistemische Wahrheitstheorien
(3) Holismus/ Kohärenztheorien
B. Blanshard O. Neurath D. Davidson
Wenn wir uns fragen, ob ein Satz oder eine Überzeugung wahr ist, haben wir
dann nicht immer nur andere Sätze oder Überzeugungen, auf die wir uns dabei
stützen können? Der holistischen Position zufolge ist Wahrheit ein Merkmal,
Merkmal dass
nicht einem einzelnen Satz, sondern einem ganzen System von Sätzen oder
Überzeugungen zukommt. Aber unter welchen Umständen?
Eine Überzeugung
Ü
ist wahr, gdw. sie ein Element in einem kohärenten
System von Überzeugungen ist.
Wir müssen noch klären,
klären was unter Kohärenz zu verstehen ist.
ist
(1) Die Überzeugungen müssen logisch konsistent und dürfen nicht
p
sein.
widersprüchlich
(2) Die Überzeugungen müssen untereinander in einem Schlussfolgerungs-,
Rechtfertigungs- und Erklärungszusammenhang stehen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
299
Epistemische Wahrheitstheorien
Probleme für die Kohärenztheorie
Alternativsysteme 1: Zu jedem kohärenten System von Überzeugungen gibt
es mindestens ein anderes, ebenfalls kohärentes System von Überzeugungen
derart dass beide Systeme sich gegenseitig logisch ausschließen.
derart,
ausschließen
Alternativsysteme 2: Man kann kohärente Märchen erzählen. Man kann
g
beliebiges
g
kohärentes System von Überzeugungen
g g
überhaupt irgendein
konstruieren, das nichts mit unserer Wirklichkeit gemein haben muss.
Holismus: Eine Überzeugung allein kann gemäß der Kohärenztheorie weder
wahr noch falsch sein; sie muss immer in Bezug auf ein System von
Überzeugungen auf ihre Wahrheit/Falschheit beurteilt werden. Das ist eine
starke, kontraintuitive These.
Definitionszirkel: Wie kann man erklären, was mit logischer Konsistenz,
Schlussfolgerung oder Erklärung gemeint ist, ohne dabei schon den Begriff der
Wahrheit in Anspruch zu nehmen? Das ist zirkulär.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
300
Epistemische Wahrheitstheorien
(1) Theorie der rationalen Akzeptierbarkeit
Eine Proposition ist wahr, gdw. sie unter idealen oder optimalen Bedingungen
von einer vollständig rationalen Person akzeptiert werden würde.
(2) Konsenstheorie
Eine Proposition ist wahr, gdw. sie unter idealen oder optimalen Bedingungen für
alle Mitglieder einer Sprechergemeinschaft rational akzeptierbar ist.
(3) Holismus/ Kohärenztheorie
Eine Überzeugung ist wahr,
wahr gdw.
gdw sie ein Element in einem kohärenten System
von Überzeugungen ist.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
301
Erkenntnistheorie
Worin besteht
Rechtfertigung?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
302
Worin besteht Rechtfertigung?
Die fallibilistische Auffassung
g der epistemischen
p
Rechtfertigung
Die (epistemische) Rechtfertigung ist ein Mittel,
Mittel um wahre Überzeugungen zu
erzielen. Die epistemische Rechtfertigung ist damit (definiert als):
… ein gutes (geeignetes) Mittel zur Erzielung wahrer Überzeugungen
Gute oder geeignete Mittel müssen nicht erfolgsgarantierend sein. Es genügt,
wenn sie den Erfolg wahrscheinlich machen. Die Definition der Rechtfertigung
schließt daher deren Fehlbarkeit und Anfechtbarkeit nicht aus!
Es gibt Überzeugungen, die gerechtfertigt und trotzdem falsch sind!
Es gibt Überzeugungen, die ungerechtfertigt und trotzdem wahr sind!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
303
Worin besteht Rechtfertigung?
Eigenschaften der (epistemischen) Rechtfertigung
Zeitrelativität: Jede Rechtfertigung für eine Überzeugung kann durch
den Erwerb zusätzlicher Informationen zu einem späteren
p
Zeitpunkt
p
aufgehoben werden.
Personenrelativität: Zwei Personen können zwar eine Überzeugung
teilen, es ist aber nicht (noch nicht einmal meistens) so, dass beider
Überzeugung gleichermaßen gerechtfertigt ist!
Rechtfertigung ist evaluativ: Gerechtfertigt ist jemand, wenn er gute
Gründe für seine Überzeugungen besitzt.
Rechtfertigung ist graduell: Jemand kann für seine Meinung
schwache oder starke Gründe haben, er kann diese durch zusätzliche
Belege verstärken oder abschwächen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
304
Die Definition der Rechtfertigung
Eine Person S ist gerechtfertigt zu glauben, dass p, gdw.
(1) S Gründe für seine Meinung hat;
(2) die Gründe seine Meinung stützen;
(3) die Gründe adäquat sind.
William P. Alston
(1) Die Rechtfertigung einer Überzeugung setzt voraus, dass es „Rechtfertiger“
für diese Überzeugung, d. h. Gründe für sie gibt.
(2) Die Gründe müssen S´s Gründe für die zu rechtfertigende Überzeugung sein.
Überzeugungen und Gründe dürfen in keinem beliebigen Verhältnis zueinander
stehen, d.h. die Gründe müssen die Überzeugung tatsächlich stützen.
(3) Gründe können eine Überzeugung nur dann rechtfertigen, wenn es nicht bloß
irgendwelche Gründe für die Meinung, sondern nur wenn es gute Gründe sind.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
305
Probleme der Rechtfertigung
Eine Person S ist gerechtfertigt zu glauben, dass p, gdw.
(1) S Gründe für seine Meinung hat;
(2) die Gründe seine Meinung stützen;
(3) die Gründe adäquat (gut) sind.
Unter welchen Umständen stützen bestimmte Gründe eine bestimmte Meinung?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
306
Probleme der Stützungsbeziehung
Irene glaubt, dass es draußen regnet. Sie hört den Regen auf das Vordach ihrer Veranda tropfen. Sie hätte
damit einen exzellenten (adäquaten) Grund für ihre Meinung. Allerdings ist Irene unaufmerksam. Sie ist
abgelenkt. Sie glaubt, dass es regnet, weil sie es in der lokalen Wettervorhersage gehört hat. Die
Wettervorhersage aber ist in ihren Breiten normalerweise sehr unzuverlässig und kommt daher nicht als
adäquater Grund für ihre Meinung infrage. Ist Irenes Meinung gerechtfertigt?
Wettervorhersage
Regen auf Vordach
Es regnet!
Irene hat eine Überzeugung und einen adäquaten Grund für diese: ihre Wahrnehmung der
Regentropfen auf dem Verandadach.
Der Grund stützt auch ihre Meinung. Das Hören von Regengeräuschen ist ein guter Indikator
für die betreffende Überzeugung.
Irene hat jedoch ihre Überzeugung nicht, weil sie diesen guten Grund hat, sondern weil sie
die Wettervorhersage gehört hat, die ein schlechter Grund für ihre Überzeugung ist.
Damit eine Meinung gerechtfertigt ist, muss man für diese Meinung nicht nur gute
und stützende Gründe haben. Man muss selbst Grund zu der Annahme haben, dass
diese Gründe die Meinung stützen. Man muss beides (richtig) miteinander in
Verbindung bringen!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
307
Probleme der Stützungsbeziehung
Die Bedingungen sind nicht hinreichend. Was ist zu tun? Müssen wir die zweite
Bedingung weiter einschränken, um Fälle wie den von Irene auszuschließen?
Eine Person S ist gerechtfertigt zu glauben, dass p, gdw.
(1), (2), (3) und
(4) S gerechtfertigt ist zu glauben, dass die
Stützungsbeziehung besteht.
Diese Definition ist entweder zirkulär („gerechtfertigt“ im Definiens) oder führt in
einen infiniten Regress von sich aufstufenden Rechtfertigungen (wann ist S
gerechtfertigt, zu glauben, dass p? usw.).
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
308
Probleme der
Stützungsbeziehung
Die kausale Analyse der Stützungsbeziehung
A.I.Goldman
W.P. Alston
Wir bemerken, dass Ernies Auto nicht vor dem Haus steht; dass das Licht in seiner Wohnung
aus ist usw. Wir schließen daraus, dass Ernie nicht zuhause ist, ohne überhaupt daran zu
denken welche Überzeugungen wir haben und ob die eine die andere stützt.
denken,
stützt Dennoch
können wir in unserer Auffassung gerechtfertigt sein.
Das Haben gerechtfertigter Überzeugungen setzt keine Metaüberzeugungen
sowie deren Beziehungen untereinander voraus. Da aber dennoch eine
„Verbindung“ zwischen Rechtfertiger und Gerechtfertigtem bestehen muss,
liegt folgende alternative Erklärung nahe:
S ist zum Zeitpunkt t gerechtfertigt zu glauben, dass p, gdw.
(1), (2), (3) und
(4) die Gründe die Überzeugung verursachen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
309
Probleme der
Stützungsbeziehung
Externalismus
Die Rechtfertigung muss einer
Person selbst nicht kognitiv
zugänglich sein.
Eine Überzeugung kann
gerechtfertigt sein, ohne dass die
Person die Überzeugung
rechtfertigen bzw. begründen kann.
Epistemische Rechte ohne epistemische Pflichten sind möglich.
SS 2010
Internalismus
Rechtfertigung setzt kognitive
Zugänglichkeit voraus
voraus.
Eine Überzeugung ist nur dann
gerechtfertigt, wenn man sie
tatsächlich rechtfertigen bzw.
begründen kann.
Keine epistemischen Rechte ohne
epistemische Pflichten.
Einführung in die Theoretische Philosophie
310
Probleme der Rechtfertigung
Eine Person S ist gerechtfertigt zu glauben, dass p, gdw.
(1) S Gründe für seine Meinung hat;
(2) die Gründe seine Meinung stützen;
(3) die Gründe adäquat (gut) sind.
Welche Gründe sind adäquat (angemessen, gut)?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
311
Welche Gründe sind adäquat?
Ein Kommissar ist mit der Untersuchung eines Mordfalls beschäftigt. Er glaubt,
d
dass
d
der
Koch
h den
d
G f
Grafen
umgebracht
b
h hat.
h
Die
i Begründung
ü d
di
dieser
Annahme
h
liegt für ihn darin, dass es nur drei weitere mögliche Täter gibt, nämlich den
Fahrer, den Butler und den Gärtner, dass alle drei, anders als der Koch,
handfeste Alibis haben und dass kein Zweifel daran bestehen kann, dass der Graf
tatsächlich umgebracht worden ist und nicht Selbstmord beging oder eines
natürlichen Todes starb.
• Sind diese Gründe gute Gründe für die Überzeugung, dass der Koch den Grafen
umgebracht hat?
• Ist die Annahme, dass es nur drei weitere mögliche Täter gibt, gerechtfertigt?
• Ist die Annahme, dass die Alibis der anderen wasserdicht sind, selbst
wasserdicht?
• Sind die Annahmen, dass der Koch kein gutes Alibi hat und der Graf tatsächlich
umgebracht
b
ht worden
d
i t gutt begründet?
ist,
b
ü d t?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
312
Das Rechtfertigungstrilemma
Allgemein kann man sich die Situation folgendermaßen klar machen: Eine
gerechtfertigte
hf i
Üb
Überzeugung
setzt voraus, dass
d
es für
fü diese
di
Überzeugung einen
Üb
i
Grund G1 gibt:
Üb
Überzeugung
G
Grund
d1
Ob dieser Grund auch adäquat ist, hängt davon ab, ob er sich selbst wieder
rechtfertigen lässt:
Grund1
Grund2
Entscheidend ist, dass Ü ⇒ G1 nur dann gilt, wenn G1 ⇒ G2
Üb
Überzeugung
G
Grund
d1
G
Grund
d2
Welche Implikationen hat das?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
313
Welche Gründe sind adäquat?
Das Rechtfertigungstrilemma
g g
Infiniter Regress: Ü
G1
G2
G3
...
Ein infiniter Regress von Gründen ist inakzeptabel, weil Menschen
endliche Wesen sind und keine unendliche Anzahl von Überzeugungen
h
b
kö
haben
können.
Dogmatischer Abbruch: Ü
G1
G2
G3
Ein letzter Grund (ein Regress-Stopper) kann nur wieder eine
Überzeugung sein und es ist dogmatisch, an einer bestimmten Stelle
mit
Begründen
aufzuhören.
it dem
d
B
ü d
f hö
Circulus Vitiosus: Ü
G1
G2
G3
Ü
Der Begründungszirkel führt zu einer sich selbst begründenden Meinung
und macht das Rechtfertigen überflüssig.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
314
Welche Gründe sind adäquat?
Positionen zur Rechtfertigung
g g
Fundamentalismus
Es gibt ausgezeichnete Typen von Überzeugungen (Regress-Stopper), die
keiner weiteren Begründung bedürfen. („Dogmen sind nicht immer schlecht.“)
Kohärentismus
Ein Rechtfertigungszirkel kann vermieden werden, wenn wir unsere
Überzeugungen und ihre Gründe vor dem Hintergrund eines ganzen Systems von
Überzeugungen – vor dem Hintergrund einer Theorie – betrachten. („Ein
Rechtfertigungszirkel ist nicht immer schlecht.“)
K
Kontextualismus
li
Es gibt keinen wirklichen infiniten Regress des Rechtfertigens. In der Praxis
hängt es vom Kontext und unseren Konventionen ab, welche Gründe wir für
adäquat halten.
halten („Es
( Es gibt zwar theoretisch einen infiniten Regress,
Regress aber nicht
faktisch.“)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
315
Fundamentalismus
Argumente für den Fundamentalismus
Gewissheitsargument: Wissen und Rechtfertigung erfordern Unfehlbarkeit.
Unfehlbarkeit ist nur möglich, wenn es basale Meinungen gibt.
• Für Wissen ist keine starke Infallibilität erforderlich; Rechtfertigung erfordert
nur Wahrscheinlichkeit der Wahrheit
Regressargument: Da es Rechtfertigung wirklich gibt und diese weder durch
einen Zirkel, noch durch einen infiniten Regress möglich wäre, muss es basale
Meinungen geben.
• Es könnte sein, dass wir im Alltag die Rechtfertigung an irgendeiner Stelle
tatsächlich abbrechen und nicht weiterfragen.
weiterfragen Wir müssen dabei zu keinen
basalen Meinungen gelangen.
Isolationsargument:
g
Wir besitzen empirisches
p
Wissen. Nur wenn es
unmittelbar durch die Erfahrung gerechtfertigte, basale Meinungen gibt, kann
man dieses überhaupt erlangen.
• Meinungen über empirische Tatsachen sind zwar basal, aber nicht
unrevidierbar oder infallibel.
infallibel
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
316
Fundamentalismus
Intuitionistischer Fundamentalismus: Die Basis der Rechtfertigung bilden
selbstevidente Meinungen,
Meinungen die unmittelbar einleuchtend und nicht sinnvoll
anzweifelbar sind.
• Die Wissenschaftsgeschichte liefert jede Menge Beispielmaterial dafür, dass auch scheinbar
selbstevidente Meinungen widerlegt worden sind. (Beispiel: Bewegung der Sonne um die
Erde)
Doxastischer Fundamentalismus: Die Basis
g
über die eigenen
g
mentalen Zustände.
Meinungen
der
Rechtfertigung
bilden
• Lernen wir nicht zuerst, über die Welt zu urteilen, und dann erst über unser Erleben der
Welt? Überzeugungen über die eigenen mentalen Zustände allein können keine
Überzeugungen über etwas anderes (die Welt) rechtfertigen. Es entsteht ein „AußenweltProblem“.
Empiristischer Fundamentalimus: Die Rechtfertigung hat ihr Fundament im
„Gegebenen“, d.h. den unmittelbaren Erfahrungen, die wir machen.
• Das „Gegebene
Gegebene“ ist keine Überzeugung,
Überzeugung sondern eine Art unmittelbares Erlebnis.
Erlebnis Ein
Erlebnis als solches kann nichts rechtfertigen, denn nur die Überzeugungen, die ich mir
aufgrund dieses Erlebnisses bilde, können Gründe für Meinungen sein.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
317
Kohärentismus
Wie Schiffer sind wir, die ihr Schiff auf offener See umbauen
müssen, ohne es jemals in einem Dock zerlegen und aus besten
Bestandteilen neu errichten zu können. (Otto Neurath, 1932/33)
Die
wichtigste
Alternative
zum
Fundamentalismus
besteht
darin,
Rechtfertigungsbeziehungen
zwischen
allen
Überzeugungen
eines
Überzeugungssystems anzunehmen und die Möglichkeit eines Fundaments der
Rechtfertigung zurückzuweisen.
Eigenschaften der Kohärenz
• logische
l i h Konsistenz
K
i t
(Wid
(Widerspruchsfreiheit)
h f ih it)
• inferentielle Beziehungen (Prämissen – Konklusionen)
• explanatorische Beziehungen (Annahme – Begründung)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
318
Kohärentismus
Der Relativismuseinwand
Wer es ernst meint mit der Kohärenz als alleiniges Kriterium der Wahrheit, muss
beliebig erdichtete Märchen für ebenso wahr halten wie einen historischen
Bericht oder Sätze in einem Lehrbuch der Chemie, wenn nur die Märchen so gut
erfunden sind, dass nirgends ein Widerspruch auftritt. (Moritz Schlick, 1934)
Der Isolationseinwand
Die anderen können ... nicht etwa einwenden, dass dieses Verfahren den
Beobachtungen widerstreite, denn nach der Kohärenzlehre kommt es auf
irgendwelche ‚Beobachtungen‘ gar nicht an, sondern allein auf die Verträglichkeit
der Aussagen. (Moritz Schlick, 1934)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
319
Kohärentismus
Konsistenz und Komplexität
Konsistenz ist eine zu starke Eigenschaft, da bereits durch eine einzige
Inkonsistenz im Meinungssystem die Kohärenz des Gesamtsystems gestört
werden kann. In der Regel sind die meisten realen und reichhaltigen
Wissenssysteme oder Datenbanken irgendwo inkonsistent.
Die Kohärenz eines umfangreichen Meinungssystems ist eine so komplexe
Eigenschaft, dass wir sie in der Regel gar nicht erfassen, geschweige denn
beweisen können.
„negativer“ Kohärentismus: Zwar ist Kohärenz keine Quelle der
Rechtfertigung; Inkohärenz aber ist ein Grund zur Revision oder Korrektur von
ehemals gerechtfertigten Meinungen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
320
Kontextualismus
Keith DeRose
Ob ein Grund eine Überzeugung rechtfertigt und wie stark diese Rechtfertigung
ist, hängt Kontextualisten zufolge vom Kontext ab und variiert mit dem Kontext.
Was ein Grund ist und wie gut ein Grund ist, variiert mit dem Kontext.
Wer von einem Kontext in einen anderen wechselt, kann plötzlich
Rechtfertigung erwerben oder verlieren.
verlieren
Gründe sind nicht absolut gut oder schlecht.
Wo die Kette der Begründungen aufhören kann, hängt im Wesentlichen
vom Kontext ab.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
321
Kontextualismus
Was ein Grund ist und wie gut ein Grund ist, variiert mit dem Kontext.
• Kurt
K t ist
i t Hobby-Archäologe
H bb A hä l
und
d findet
fi d t einen
i
alten
lt
K
Krug.
M h
Mehrere
A
Anzeichen
i h
sprechen
h
d fü
dafür,
dass es sich um einen spätmittelalterlichen Krug handelt und Kurts Handbuch bestätigt
diesen Eindruck. Kurt hat gute Gründe für die Annahme, dass es sich um einen
spätmittelalterlichen Krug handelt. In seiner Situation gibt es keine besseren Gründe.
• Maria ist professionelle Archäologin.
Archäologin Für sie sind Kurts Gründe allenfalls Indizien,
Indizien aber um
zu einer begründeten Meinung gelangen, muss sie einige raffinierte Methoden anwenden.
Kurts Indizien zählen für sie nicht. Sie sind inadäquat. Ihre Standards der Begründung sind
in dieser Situation viel höher.
Wer von einem Kontext in einen anderen wechselt, kann plötzlich
Rechtfertigung erwerben oder verlieren.
• Auch für Maria sind Kurts Indizien, wenn sie im Urlaub ist und den Krug findet, sehr gute
Gründe für die Annahme,
Annahme dass er spätmittelalterlich ist.
ist Sobald sie wieder auf Arbeit ist,
ist
verliert sie diese Rechtfertigung.
Gründe sind nicht absolut gut oder schlecht.
• Ein Argument gegen die Kugelform der Erde war, dass die Antipoden auf der jeweils
anderen Seite des Globus mit dem Kopf nach unten hängen würden. Dies ist nur solange ein
gutes Argument, wie es die von uns heute akzeptierte Gravitationstheorie und Astronomie
nicht gibt. Die Güte eines Grundes bemisst sich daher auch nach den jeweils zur Verfügung
stehenden Hintergrundwissen.
Hintergrundwissen
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
322
Philosophische Fakultät Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Dr. Holm Bräuer
4. Wissenschaftstheorie
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
324
Erkenntnistheorie und
Wissenschaftstheorie
Die Wissenschaftstheorie nähert sich dem komplexen Phänomen Wissenschaft
auf eine besondere Weise.
Weise Sie fragt nach der
Wissenschaft als Erkenntnis
Die Wissenschaftstheorie muss sich wie die Erkenntnistheorie mit dem Problem
auseinandersetzen, worin der Wahrheitsnachweis oder eine Begründung
(wissenschaftlichen) Erkenntnis besteht. Insofern ist die Wissenschaftstheorie
ein spezieller Zweig der Erkenntnistheorie
Was als Erkenntnis
E kenntnis und
nd Wissen gilt,
gilt wird
i d heute
he te hauptsächlich
ha ptsächlich in den
Wissenschaften entschieden. Die Auseinandersetzung mit diesen Grundbegriffen
kommt daher nicht ohne eine detaillierte Analyse der Begründungspraxis der
Wissenschaften aus. So ist die Wissenschaftstheorie auch
eine Erbin der Erkenntnistheorie
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
325
Erkenntnistheorie und
Wissenschaftstheorie
Erkenntnistheorie
Wissenschaftstheorie
spezielle
allgemeine
Naturphilosophie
Biologie
Physik
y
Geschichte
Mathematik
Psychologie
y
g
...
Begriffe
Theorien
Erklärungen
Evidenzen
Prognosen
g
...
Freiheit
Determinismus
Raum & Zeit
Geist/Körper
Materie
....
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
326
Wissenschaftstheorie
Aspekte und Probleme wissenschaftlicher
Erklärungen
g
Aspekte
p
und Probleme der Bestätigung
g g
wissenschaftlicher Theorien
Was sind wissenschaftliche Theorien?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
327
Wissenschaftstheorie
Aspekte und Probleme
wissenschaftlicher Erklärungen
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
328
Wissenschaftliche Erklärungen
Das charakteristische Ziel der Wissenschaft ist die Angabe systematischer und
zuverlässig untermauerter Erklärungen. (Ernest Nagel)
Die
Frage
nach
dem
Charakter,
der
Struktur
und
den
Adäquatheitsbedingungen von wissenschaftlichen Erklärungen ist eine
der zentralsten Fragen der Wissenschaftstheorie.
Was ist überhaupt eine wissenschaftliche Erklärung?
Welche Struktur hat sie?
Wann gilt eine Erklärung als „zuverlässig untermauert“?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
329
Erklärungen als Antworten auf
Warum-Fragen
Frage / Explanandum
Warum
Warum erscheint das Licht entfernter Galaxien in einer Rotverschiebung?
--- erklärt (unterstützt, beweist, legt nahe ...) ----
Antwort / Explanans
Weil
Weil sich das Universum ausdehnt und die entfernten Galaxien sich
von uns wegbewegen.
In welchem Verhältnis muss das Explanans zum Explanandum stehen, damit
das Explanans als eine Erklärung des Explanandums gilt?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
330
Formen von Argumenten
Beweis
Prämissen
Rechtfertigung
q
r
s
Gründe
q
r
s
-------------beweisen----------------
----------stützen/rechtfertigen-----------
Konklusion
Überzeugung
p
p
q, r, s enthalten (logisch) p
q, r, s sind Gründe für p
Erklärung
Bestätigung
Explanans
l
q
r
s
Evidenzen
d
q
r
s
-------------erklären-----------------
----------stützen/bestätigen------------
Explanandum
Gesetz/ Theorie
q, r, s erklären p
SS 2010
p
p
q, r, s bestätigen p
Einführung in die Theoretische Philosophie
331
C.G. Hempel: Zur Logik
wissenschaftlicher Erklärungen
g
Carl Gustav Hempel (1905-1997)
Hempel war einer der führenden Vertreter
des Logischen Empirismus. Zu seinen
Lehrern gehörte u.a. Rudolf Carnap; er war
mit
it Hans
H
R i hb h und
Reichbach
d Paul
P l Oppenheim
O
h i
befreudet – alles führende Wissenschaftstheoretiker seiner Zeit. Er lehrte in Chicago,
New York, an der Yale University und in
Princeton.
Seine
wichtigsten
Beiträge
stammen aus den Gebieten der wissenschaftlichen Erklärungen und der Theorie der
Bestätigung.
„A
Purely
Syntactical
Definition
of
Confirmation“ (1943)
„Studies in the Logic of Confirmation“ (1945)
„Studies in the Logic of Explanation
Explanation“ (1948)
Aspects of Scientific Explanation (1965)
Philosophy of Natural Science (1966)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
332
Das D-N-Modell
Warum dreht sich ein Eiskunstläufer schneller, wenn er die Arme anlegt?
1.
2.
3
3.
4.
Der Drehimpuls eines Körpers bleibt ohne Einwirkungen einer äußeren Kraft konstant.
Der Eiskunstläufer erfährt keine Einwirkung einer externen Kraft.
Der Eiskunstläufer dreht sich um die eigene Achse.
Achse
Der Eiskunstläufer legt seine Arme eng an seinen Köper an und reduziert damit seine
träge Masse.
----------------------------erklären----------------------------------------------------------------Die Drehung des Eiskunstläufers vergrößert sich.
• Das Explanandum ist die Konklusion eines Arguments.
• Die Explanans bildet die Prämissen dieses Arguments.
• Die erste Prämisse besteht aus der Anführung eines Naturgesetzes
(Impulserhaltungssatz).
• Die weiteren Prämissen bilden die Randbedingungen.
• Das Argument ist logisch valide, d.h. die Konklusion folgt aus den Prämissen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
333
Das D-N-Modell
Zur Struktur einer wissenschaftlichen Erklärung
(1) Allgemeines Gesetz
Falls Ereignisse Typs A, des Typs B, ... und des Typs N eintreten, dann wird ein
Ereignis des Typs X eintreten.
eintreten
(2) Initial-/Randbedingungen
Es treten die Ereignisse a des Typs A, b des Typs B, ... und n des Typs N ein.
(3) Erklärtes Ereignis
Ereignis x des Typs X tritt ein.
Wenn (1) gilt und (2) zutrifft, dann ist (3) erklärt.
L1, ..., Ln
C1, ..., Cn
E
Im D-N-Modell einer Erklärung wird das Explanandum E als logisch valide
Konklusion eines Arguments dargestellt, deren Prämissen (a) eine oder
mehrere korrekte Verallgemeinerungen (Naturgesetze L1 ... Ln) und (b) die
entsprechenden Rand- oder Initialbedingungen (C1 ... Cn) enthalten.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
334
Das D-N-Modell
Adäquatheitsbedingungen
(1) Das Explanandum muss eine logische Konsequenz des Explanans sein, d.h.
die Erklärung muss die Form eines logisch gültigen, deduktiven Arguments
besitzen.
besitzen
(2) Das Explanans muss mindestens ein allgemeines Gesetz enthalten, das eine
wesentliche Rolle in der Erklärung spielt, d.h. das Argument darf nach Weglassen
des allgemeinen Gesetzes nicht mehr logisch gültig sein.
( ) Das Explanans
(3)
p
muss empirischen
p
Gehalt besitzen,, d.h. es muss sich im
Prinzip empirisch testen lassen.
(4) Die Explanans-Sätze müssen wahr sein.
Wahre Erklärungen: erfüllen alle vier Bedingungen
Potentielle Erklärungen:
g
erfüllen nur die ersten drei Bedingungen
g g
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
335
Was ist ein Naturgesetz?
1. In jedem geschlossenen System 2. Keine Signale können schneller als
bleibt
die
Summe
der
Energie Lichtgeschwindigkeit
übertragen
erhalten.
werden.
3. Jeder Apfel in meinem Kühlschrank 4. Keine Maus wiegt mehr als eine
ist rot.
Tonne.
Handelt es sich um ein Gesetz? Ja oder Nein?
1.
2
2.
3.
4.
SS 2010
Ja/Nein
Ja/Nein
Ja/Nein
Ja/Nein
Einführung in die Theoretische Philosophie
336
Was ist ein Naturgesetz?
1) bis 4) sind wahre Verallgemeinerungen. Sie besitzen die Form „Alle A sind B
B“ bzw.
„Kein A ist B“. Trotzdem unterscheiden sich 1) und 2) wesentlich von 3) und 4).
Gesetze unterstützen kontrafaktische Schlüsse. Sie „gelten“ auch für Fälle,
d momentan nicht
die
h vorliegen:
l
• „Wenn sich dieser Apfel, den ich jetzt in meiner Hand halte, in meinem Kühlschrank
befände dann wäre er rot.
befände,
rot “
• „Wenn dieser Elefant da drüben eine Maus wäre, dann würde er nicht mehr als eine Tonne
wiegen.“
Gesetze unterstützen modale Sätze über physikalische Notwendigkeiten und
Möglichkeiten:
• „Es ist (physikalisch) notwendig, dass alle Äpfel in meinem Kühlschrank rot sind.“
• „„Es ist (p
(physikalisch)
y
) unmöglich,
g
, dass eine Maus mehr als eine Tonne wiegt.“
g
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
337
Was ist ein Naturgesetz?
Kontrafaktisches Kriterium
Frage: Warum könnte ein Apfel in meinem Kühlschrank grün sein?
Antwort: Weil es gegen keine physikalischen Gesetzmäßigkeiten verstößt.
Modales Kriterium
Frage: Warum ist es physikalisch möglich, dass nicht alle Äpfel in meinem
Kühlschrank rot sind?
Antwort: Weil es gegen keine physikalische Gesetzmäßigkeit verstößt.
Die Frage, welche modalen Sätze als möglich und notwendig erachtet werden
und welche kontrafaktischen Schlüsse zulässig sind, hängt davon ab, welche
R
Regelmäßigkeiten
l äßi k it
als
l physikalische
h ik li h Gesetze
G
t angesehen
h
werden
d
und
d umgekehrt.
k h t
Die Unterscheidungskriterien sind zirkulär!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
338
Probleme des D-N-Modells
Der Fahnenmast und sein Schatten
Auf einem ebenen Boden steht ein Fahnenmast von 4 m Höhe. Die Sonne scheint aus einem Winkel von 60°
sehr hell. Der Mast wirft einen Schatten von 4,4 m. Wenn wir fragen, warum der Schatten diese Länge hat,
dann lässt sich das ganz einfach mit ein wenig Trigonometrie (deduktiv) herleiten. Das Ergebnis ist eine DN-Erklärung der Schattenlänge.
Wir könnten durch Ausnutzung desselben Schemas und genau derselben Gesetze erklären:
1) warum der Schatten 4,4 m lang ist (Trigonometrie, Höhe des Mastes, Sonnenwinkel);
2) warum der Mast 4 m hoch ist (Trigonometrie, Länge des Schattens, Sonnenwinkel);
3) warum die Sonne in einem Winkel von 60° zur Erde steht (Trigonometrie, Schattenlänge,
Höhe des Mastes).
Während (1) eine angemessene Erklärung der Schattenlänge ist, sind die Erklärungen in (2)
und (3) keine adäquaten Antworten auf die Fragen: „Warum ist der Mast so und so hoch?“
bzw. „Warum steht die Sonne in dem und dem Winkel zur Erde“!
Erklärungen sind asymmetrisch: Wenn A B erklärt, dann kann B nicht A erklären.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
339
Probleme des D-N-Modells
Das Barometer und der Sturm
Wenn das Barometer schnell fällt, dann können wir einen Sturm vorhersagen. Dennoch erklärt das Fallen
des Barometers das Auftreten des Sturmes nicht. Das Fallen des atmosphärischen Druckes ist
demgegenüber sowohl verantwortlich für das Fallen des Barometers wie des Aufkommens eines Sturmes.
Wenn zwei Wirkungen eine gemeinsame Ursache besitzen (Sturm und Barometer), können
wir nicht die eine Wirkung durch die andere erklären.
Sonnenfinsternis
Vom jetzigen Stand der Sonne sowie einer Anzahl von Gesetzen über die Planetenbewegungen können
Astronomen eine zukünftige Sonnenfinsternis vorhersagen. Aufgrund eben derselben Daten und Gesetze
lassen sich aber auch vorangehende Sonnenfinsternisse „voraussagen“. Während wir die zukünftige
Sonnenfinsternis aufgrund gegenwärtiger Daten wirklich als eine Voraussage / Erklärung behandeln, würden
wir es als eine verfehlte Erklärung ansehen, wenn wir eine vergangene Sonnenfinsternis auf den jetzigen
Stand der Sonne zurückführten.
Wir führen keine gegenwärtigen oder zukünftigen Bedingungen an, wenn wir vergangene
Ereignisse erklären.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
340
Probleme des D-N-Modells
Antibabypille für den Mann?
Ein Mann erklärt die Tatsache, dass er nicht schwanger wurde, indem er behauptet, dass er regelmäßig die
Antibabypille seiner Frau genommen habe und dass Männer, die Antibabypillen nehmen, nicht schwanger
werden. Das Erklärmuster hat die Form einer D-N-Erklärung, zitiert aber irrelevante Sachverhalte. Es ist
irrelevant, ob Männer eine Antibabypille nehmen oder nicht. Sie werden nicht schwanger.
Die Adäquatheitsbedingungen für D-N-Erklärungen sind zu schwach. Derartige Erklärungen
gelten nicht als erfolgreiche
g
g
Erklärungen!
g
Der Tintenfleck
Auf einem Teppich in der Nähe des Schreibtisches befindet sich ein schwarzer Fleck. Wie kann das erklärt
werden? Nun, gestern stand auf dem Rand des Schreibtisches ein offenes Tintenfass, der Professor hat sich
versehentlich am Schreibtisch gestoßen, worauf das Fass herunterfiel. Obwohl diese Erklärung keine
allgemeinen Gesetzmäßigkeiten enthält, gilt sie dennoch als erfolgreiche Erklärung. Jeder Versuch, diese
Tatsache exakt unter Verwendung von Naturgesetzen vorauszusagen,
vorauszusagen würde misslingen.
misslingen (Wir wären nicht
dazu in der Lage.)
Die Adäquatheitsbedingungen sind nicht nur zu schwach, sondern auch zu stark!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
341
Das I-S-Modell
In Induktiv-Statistischen-Erklärungen wird das Explanandum nur mit einer
gewissen
i
Wahrscheinlichkeit
h h i li hk i durch
d
h die
di Prämissen
ä i
gestützt:
ü
Fast jede Streptokokken-Infektion kann durch Penicillin geheilt werden.
Jane Jones hatte eine Streptokokken-Infektion.
Jane Jones erhielt Penicillin.
-----------------------erklären------------------------------- [r]
Konklusion:
Jane Jones wurde geheilt.
In D-N-Erklärungen besteht zwischen den Prämissen und der Konklusion der
Erklärung eine logische Folgebeziehung.
In I-S-Erklärungen wird die Konklusion durch die Prämissen nur als
wahrscheinlich dargestellt. Diese Beziehung des Stützens kann verschieden stark
sein ([r] ist ein Parameter dieser Stärke).
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
342
Das I-S-Modell
Die Bedingung der maximalen Spezifität
Fast keine penicillin-resistente Streptokokken-Infektion kann durch Penicillin
geheilt werden.
Jane Jones hatte eine penicillin-resistente Streptokokken-Infektion.
Jane Jones erhielt Penicillin.
--------------------------erklären-----------------------------------------------[r]
[ ]
Konklusion:
Jane Jones wurde nicht geheilt.
I-S-Erklärungen erfordern eine zusätzliche Adäquatheitsbedingung: Die
Erklärung der Heilung von Jane Jones wäre keine gültige I-S-Erklärung, wenn wir
gewusst hätten, dass Jane Jones an penicillin-resistenten Streptokokken litt.
Daher
h müssen I-S-Erklärungen
kl
immer alles
ll
j
jeweils
il zur Verfügung
fü
stehende
h d
Wissen beinhalten. (Bedingung der maximalen Spezifität)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
343
Probleme des I-S-Modells
Psychotherapie für Bruce Brown
Bruce Brown hat ein neurotisches Symptom. Er geht zu einer Psychotherapie und das Symptom
verschwindet. Können wir dies erklären, indem wir darauf hinweisen, dass die meisten Menschen mit
diesem Symptom nach einer Psychotherapie gesunden?
Falls viele Menschen mit diesem Symptom spontan, d.h. unabhängig von einer Behandlung
gesunden, dann ist die Erklärung nicht legitim.
Eine hohe Wahrscheinlichkeit ist nicht hinreichend für eine gelungene Erklärung.
Selbst wenn die Rate der Menschen, die nach einer Behandlung gesunden, sehr gering ist,
wäre die Erklärung korrekt, falls die Rate mit Behandlung trotzdem größer ist als ohne.
Eine hohe Wahrscheinlichkeit ist nicht notwendig für eine gelungene Erklärung.
Wir müssen herausfinden, ob die Behandlung irgendeinen nachweisbaren Einfluss auf die
Genesung von einem bestimmten Symptom hat, d.h. wir müssen die relevanten von den
irrelevanten Einflüssen unterscheiden. Erst dieses Wissen macht die Erklärung erfolgreich!
Nicht alle verfügbaren Informationen machen I-S-Erklärungsschemata zu guten Erklärungen,
sondern nur die relevanten Informationen!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
344
Probleme des I-S-Modells
Syphilis und Paresis
Paresis ist eine höhere Form von Syphilis, die mit einer Wahrscheinlichkeit von 25% auftritt, wenn die
Syphilis unbehandelt bleibt. Nehmen wir an, Schmidt hat Paresis und wir fragen, warum. Eine korrekte
Antwort wäre: weil er an einer unbehandelten Syphilis litt.
(1)
a) Unbehandelte Syphilis führt zu Paresis.
b) Schmidt hatte eine unbehandelte Syphilis.
----------------erklären-----------------------------[.25]
Konklusion:
Schmidt hat Paresis.
((2))
a) Unbehandelte Syphilis führt zu Paresis.
b) Schmidt hatte eine unbehandelte Syphilis.
------------------erklären----------------------------[.75]
Konklusion:
Schmidt hat keine Paresis.
Paresis
Während die induktive Stützung für die Konklusion in (2) viel höher als für die in (1) ist,
scheint (2) keine akzeptable Erklärung zu sein. (1) dagegen scheint erfolgreich zu sein.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
345
Probleme des I-S-Modells
a) 25 % der Opfer unbehandelter Syphilis bekommen Paresis.
b) Schmidt hatte eine unbehandelte Syphilis.
---------------erklären--------------------------------------------[.25]
Konklusion:
Schmidt bekommt Paresis.
a) 95 % der Opfer unbehandelter Syphilis, die ein P-Merkmal besitzen, bekommen Paresis.
b) Schmidt hatte eine unbehandelte Syphilis.
c) Schmidt hatte das P-Merkmal.
---------------erklären--------------------------------------------[.95]
Konklusion:
Schmidt bekommt Paresis.
a)) Alle
All Opfer
O f
unbehandelter
b h d lt
S hili
Syphilis,
di ein
die
i P-Merkmal
P M k
l und
d ein
i Q-Merkmal
Q M k
l besitzen,
b it
bekommen Paresis.
b) Schmidt hatte eine unbehandelte Syphilis.
c)) Schmidt hatte das P-Merkmal.
d) Schmidt hatte das Q-Merkmal.
Konklusion:
SS 2010
Schmidt bekommt Paresis.
Einführung in die Theoretische Philosophie
346
Probleme des I-S-Modells
Determinismus
... ist die Doktrin, dass alles, was in unserem Universum passiert, vollständig
durch vorangehende Bedingungen (allgemeine Gesetze und Randbedingungen)
determiniert ist.
Falls diese Doktrin wahr wäre, dann wäre jedes Ereignis im Prinzip deduktiv
erklärbar und jede I-S-Erklärung wäre eine unvollständige D-N-Erklärung. I-SErklärungen ließen sich dann auf D-N-Erklärungen reduzieren und wären kein
eigenständiger Erklärtypus (was nicht heißt, dass sie in der Praxis nutzlos
wären).
wären)
• Ist der Determinismus wahr?
• Gibt es Erklärungen die irreduzibel statistisch sind?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
347
Das S-R-Modell
Statistische Relevanz
Das Hauptproblem des I-S-Modells besteht darin, dass nicht eine hohe Wahrscheinlichkeit
sondern die statistische Relevanz der ausschlaggebende Faktor bei nichtdeduktiven
Erklärungen zu sein scheint. (Psychotherapie von Bruce Brown und Syphilis-Paresis-Beispiel)
Betrachten wir Bruce Brown. Er ist ein Mitglied der Gruppe von Menschen, die an einem neurotischen
Syndrom leiden. Innerhalb dieser Gruppe gibt es eine gewisse Wahrscheinlichkeit W, von diesem Syndrom
spontan zu genesen: Anzahl der Genesenden (G)/Anzahl der Gesamtgruppe (X); W = G/X. Für die Anzahl
der Genesenden,, die mit Psychotherapie
y
p ((P)) behandelt wurden,, können wir eine andere Wahrscheinlichkeit
annehmen: W = G+P/X.
Die Psychotherapie ist positiv relevant für die Genesung, falls: W(G/X) < W(G+P/X)
Die Psychotherapie ist negativ relevant für die Genesung, falls: W(G/X) > W(G+P/X)
Die Psychotherapie ist irrelevant für die Genesung, falls: W(G/X) = W(G+P/X)
Es gibt keine Aussage über die Höhe der relevanten Wahrscheinlichkeiten. Sie
müssen sich nur von anderen Wahrscheinlichkeiten in relevanten Hinsichten
unterscheiden.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
348
Das K-R-Modell
Kausale Relevanz
• Kausale Beziehungen sind asymmetrisch (Fahnenmastbeispiel).
• Die Ursache ist relevant in Bezug auf die Wirkung (Antibabypille).
• Wir können Vermutungen
g
zu den Ursachen eines bestimmten Ereignisses
g
haben, ohne ein genaues Gesetz zu kennen, das beide miteinander verbindet
(Tintenfleck).
• Die Psychotherapie erklärt die Genesung von einem psychischen Symptom
dann, wenn sie diese (zumindest zum Teil) verursacht hat. (Bruce Brown)
• Syphilis ist die Ursache von Paresis, auch wenn nicht jeder mit Syphilis an
Paresis erkrankt. (Schmidt)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
349
Humes Kritik am Begriff der
Kausalität
David Hume (1711-1776)
Hume gilt als einer der wichtigsten Vertreter
des klassischen, Britischen Empirismus. Er
vertrat eine Philosophie des gesunden
M
Menschenverstandes
h
t d
und
d wendete
d t
sich
i h
gegen die traditionelle Metaphysik, die er als
Quelle des Irrtums ablehnte. In der
Wissenschaftstheorie haben vor allem seine
kritischen Ausführungen zur Kausalität und
Induktion eine durchschlagende Wirkung
gehabt.
A Treatise of Human Nature (1739/40)
An
Enquiry
Concerning
Human
Understanding (1748)
An Enquiry Concerning the Principles of
Moral (1751)
Dialogues
Concerning
Natural
Religion
(1779)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
350
Humes Kritik am Begriff der
Kausalität
Wie können wir Erkenntnis von Kausal-Beziehungen erlangen?
Stellen wir uns vor, wir beobachten zwei Billardkugeln. Die eine ist blau und
stößt die andere, welche rot ist, an. Danach bleibt die blaue Kugel stehen und die
rote bewegt
b
sich
h in einer bestimmten
b
Richtung
h
f
fort.
Wir könnten
k
d
dies
so
erklären, dass wir sagen, der Anstoß der blauen Kugel in einem bestimmten
Winkel war die Ursache der Bewegung der roten Kugel.
Was können wir tatsächlich beobachten?
Eine temporale Asymmetrie zwischen Ursache und Wirkung.
Eine raum-zeitliche Nähe zwischen Ursache und Wirkung.
Eine konstante (wiederholbare) Verbindung zwischen beiden.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
351
Das K-R-Modell
Falls Kausalität nur schwach, nämlich als eine wiederholbare Folge von
Ereignissen aufgefasst wird, dann bilden die kausalen Erklärungen eine
Teilklasse der D-N-Erklärungen:
Für alle E1, E2: Falls E1 eintritt, dann tritt auch E2 ein. (gesetzmäßige
Verallgemeinerung/ beobachtete Regelmäßigkeit)
E1 ist eingetreten. (Randbedingung)
E2 ist eingetreten (Konklusion)
Einer der Gründe, warum die gängigen Modelle wissenschaftlicher
Erklärung sich nicht auf Kausalität berufen, hat mit diesem
skeptischen Problem zu tun, für das es noch keine adäquate Losung zu
geben scheint.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
352
Wissenschaftliche Erklärungen
Das deduktiv-nomologische Modell
Das induktiv-statistische Modell
Ein Ereignis/ Phänomen wird erklärt, indem
es als Konklusion eines gültigen Arguments
dargestellt wird. Das Ereignis folgt logisch
aus einem oder mehreren allgemeingültigen
Naturgesetzen und den dazugehörigen
Anfangsbedingungen.
Ein Ereignis/ Phänomen wird erklärt, indem
es
als
Konklusion
eines
Arguments
dargestellt wird. Das Ereignis wird mit
W h h i li hk it r aus einem
Wahrscheinlichkeit
i
statistischen
t ti ti h
Zusammenhang und den dazugehörigen
Anfangsbedingungen induktiv abgeleitet.
Es gilt universal: P ⊃ Q
P
Q
Mit W
Wahrscheinlichkeit
h h i li hk it r gilt:
ilt P ⊃ Q
P
[r]
Q
Zeitliche/ kausale Asymmetrie
Kausal irrelevante Faktoren
Maximale Spezifität
Statistisch irrelevante Faktoren
Unvollständiges Wissen?
Determinismus?
Kausale Relevanz?
SS 2010
Statistische Relevanz?
Einführung in die Theoretische Philosophie
353
Zur Pragmatik von Erklärungen
Emphase
a) Warum aß Adam den Apfel?
b) Warum aß Adam den Apfel?
p
c)) Warum aß Adam den Apfel?
Obwohl es immer dieselben Worte sind, handelt es sich um drei verschiedene Fragen, die
verschiedene Erklärungen verlangen. Das kann gezeigt werden, indem wir uns die
Kontrastklassen ansehen, die für die jeweilige Frage entscheidend sind:
a) Warum hat Adam einen Apfel und nicht eine Banane, einen Joghurt usw. gegessen?
Kontrastklasse: {Apfel, Banane, Joghurt, Bratwurst, ...}
b) Warum hat Adam und nicht Eva, eine Ziege oder der Hirte den Apfel gegessen?
Kontrastklasse: {Adam, Eva, Ziege, Hirte, ...}
c) Warum hat Adam den Apfel gegessen und nicht weggeworfen oder irgendwo versteckt?
Kontrastklasse: {essen, wegwerfen, verstecken, ...}
¾ Wenn wir nicht wissen, wonach gefragt wird, werden wir nicht wissen, was eine
erfolgreiche Erklärung ist.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
354
Zur Pragmatik von Erklärungen
Vorwissen
Eine Erklärung ist nicht erfolgreich, wenn sie Tatsachen enthält, die der entsprechenden
Hörerschaft schon hinreichend bekannt sind.
Das Drehmoment eines Körpers bleibt ohne Einwirkungen einer äußeren Kraft konstant.
Der Eiskunstläufer erfahrt keine Einwirkung einer externen Kraft.
g
Achse.
Der Eiskunstläufer dreht sich um die eigene
Der Eiskunstläufer reduziert seine träge Masse, indem er die Arme eng an seinen Köper
anlegt
K kl i
Konklusion:
Di Drehung
Die
D h
d Eiskunstläufers
des
Ei k
tlä f
vergrößert
öß t sich.
i h
Im Eiskunstläuferbeispiel bspw. wird ein zweiter Zuschauer nicht wissen wollen, ob der
Eiskunstläufer seine Arme angezogen
g
g
hat oder nicht ((denn das sieht er).
) Hier ist es
wesentlich auf die Gesetze der Rotationskraft hinzuweisen. Ein anderer mag diese Gesetze
kennen und nicht bemerkt haben, dass er seine Arme zum Körper bewegte, dann ist die
Anführung dieser Tatsache relevant für die Erklärung usw.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
355
Zur Pragmatik von Erklärungen
Idealer explanatorischer Text vs. explanative Informationen
Wir müssen zwischen dem idealen explanatorischen Text und der explanativen Information
unterscheiden!
Der ideale Text einer Erklärung enthält alle Tatsachen und alle Gesetze, die für das jeweilige Explanandum
relevant sind. In den meisten Fällen wird ein solcher idealer Text unheimlich komplex und lang sein (... die
physikalischen Gesetze und Randbedingungen beim Herunterfallen eines Tintenfasses ...).
Dieser ideale Text wird in aktualen Erklärungen kaum oder nie vollständig erwähnt.
erwähnt Entscheidend ist
vielmehr, dass (je nach Kontext) die entsprechenden Portionen dieses idealen Textes erwähnt werden, die
für die entsprechende Absicht und das Frageinteresse benötigt werden. Wenn wir Wissen vermitteln und
damit einen Aspekt des idealen Textes einer Erklärung liefern, dann unterbreiten wir die explanativen
Informationen.
¾ Die Bitte nach einer Erklärungen ist nie eine Bitte um den idealen Text, sondern eine Bitte um
explanatorische Informationen. Worin diese Informationen bestehen, das variiert mit unserem Vorwissen,
unseren Frageinteressen und dem Kontext, in welchem nach der entsprechenden Information gesucht wird.
¾ In der Pragmatik der Erklärung geht es darum, welche Aspekte eines idealen explanatorischen Textes in
einem spezifischen Kontext angemessene Erklärungen liefern und welche nicht.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
356
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
357
Wissenschaftstheorie
Aspekte und Probleme der
Bestätigung wissenschaftlicher
Theorien
Das charakteristische Ziel der Wissenschaft ist die Angabe
systematischer und zuverlässig untermauerter Erklärungen.
(Ernest Nagel)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
358
Empirische Evidenzen
(a)
???
Welt
Explanans
In welchem Verhältnis müssen das
Explanans und die Welt stehen, damit
das Explanans empirisch signifikant
und wahr ist?
(b)
Allgemeine Gesetzmäßigkeiten
(im Idealfall: Theorie)
Randbedingungen/ Hilfshypothesen
Wie müssen Explanans und Explanandum
aufeinander bezogen sein, damit man von
einer Erklärung sprechen kann?
Explanandum
Das, was die Theorie erklären bzw.
voraussagen soll.
Das Explanans einer Erklärung enthält sowohl allgemeine Gesetze als auch Sätze
über das Gegebensein spezifischer Sachverhalte (Randbedingungen).
Wie lassen sich allgemeine Gesetze (Theorien) bestätigen (verifizieren)?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
359
Das H-D-Modell
Wie lassen sich Sätze bestätigen, wenn wir deren Wahrheit nicht direkt durch
Beobachtung
g feststellen können? ((Die Wissenschaft enthält fast ausschließlich Sätze
dieses Typs!)
Die klassische Antwort besteht in der H[ypothetisch]-D[eduktiven]-Methode:
Eine Hypothese wird durch ihre beobachtbaren Konsequenzen bestätigt bzw.
widerlegt. Wenn die beobachtbaren Konsequenzen eintreffen, dann gilt sie als (teilweise)
bestätigt; sonst als widerlegt.
Boyles Gasgesetz
P x V = const. (bei T = const.)
Das Anfangsvolumen des beobachteten Gases ist 1 cbm.
Der Anfangsdruck ist 1 atm.
atm
Der Druck wird auf 2 atm erhöht.
Die Temperatur bleibt konstant.
Der Druck eines Gases ist bei konstanter Temperatur
umgekehrt proportional zu seinem Volumen. (Hypothese)
Das Volumen verringert sich auf 0,5 cbm. (beobachtbare Konsequenz)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
360
Das H-D-Modell
Testschema
A (beobachtbare
(b b htb
A f
Anfangsbedingungen)
b di
)
H (Hypothese)
q
)
K ((beobachtbare Konsequenz)
Genau genommen benötigt jeder Test in einem D-N-Modell weitere Hilfshypothesen, die sich
auf die „Beobachtbarkeit“ von Anfangsbedingungen und Konsequenz beziehen. Im Beispiel:
Temperaturen und Drücke lassen sich nicht direkt beobachten. Wir brauchen Thermometer,
Druckmesser, eine zuverlässige Gaskammer usw. Dies ist in fast allen Testsituationen der
Fall. Das Schema muss also folgendermaßen erweitert werden:
Erweitertes Testschema
A (beobachtbare Anfangsbedingungen)
HH (Hilfshypothesen)
H (Hypothese)
K (beobachtbare Konsequenz)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
361
Probleme des H-D-Modells
Das Problem der alternativen Hypothesen
Immer wenn ein beobachtbares Resultat eines H-D-Tests eine gegebene Hypothese
bestätigt, bestätigt dieser Test ebenso unendlich viele andere Hypothesen, die mit der
gegebenen Hypothese inkompatibel sind.
sind
Jede beliebige (aber endliche) Anzahl von Tests lässt viele weitere Kurven zu, die durch die
Testpunkte
p
bestätigt
g werden würden.
Wie können wir sicher sein, dass ein Test als Bestätigung für eine bestimmte Hypothese gilt,
wenn dieser Test viele weitere, inkompatible Hypothesen bestätigen würde?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
362
Probleme des H-D-Modells
Das Problem der statistischen Hypothesen
Ausnahmen bestätigen die Regel!
Statistische Gesetzmäßigkeiten lassen sich in einem H-D-Modell nicht testen!
Angenommen, wir möchten testen, ob der Gang zur Psychotherapie die Wahrscheinlichkeit
der Genesung von einem bestimmten neurotischen Syndrom erhöht. Wie könnten wir das
anstellen? Wir könnten ein Experiment mit zwei Gruppen von Personen mit dem
entsprechenden neurotischen Syndrom durchführen; eine von beiden erhält eine Therapie,
Therapie
die andere nicht.
Problem: Wir können aus dieser Hypothese nicht ableiten, dass die Mitglieder
der Therapiegruppe tatsächlich genesen. Wir können lediglich ableiten, dass es
wahrscheinlich ist, dass Anzahl der Genesenden in der Therapiegruppe größer
ist als die Anzahl der Genesenden in der Gruppe ohne Therapie.
Wahrscheinlichkeiten können in der Regel nicht gestestet werden. D.h., wir
können in einem Einzelfall nicht entscheiden, ob es sich um einen bestätigenden
oder um einen widerlegenden Test handelt!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
363
Hempels Rabenparadoxon
Hypothesen werden durch positive Instanzen bestätigt. (H-D-Modell)
Wenn wir jedes Mal, wenn wir Raben sehen, feststellen, dass sie schwarz sind, neigen wir
dazu, die Hypothese "Alle Raben sind schwarz" als bestätigt anzusehen. Werden nur wenige
Raben beobachtet, ist dies eine schwache Bestätigung; werden dagegen Tausende oder
Milli
Millionen
schwarzer
h
R b
Raben
gesehen,
h
i t dies
ist
di eine
i
starke
t k Bestätigung.
B täti
Beobachtungen, die eine logisch äquivalente Aussage bestätigen,
bestätigen auch die ursprüngliche Aussage. (Äquivalenzbedingung)
Hypothesen können auf verschiedene Arten formuliert werden. Zwei logisch äquivalente
Formulierungen einer Hypothese werden durch exakt dieselben Objekte bestätigt bzw.
widerlegt Die Bestätigung hängt nicht von der Formulierung einer Hypothese ab.
widerlegt.
ab
(P ⊃ Q) ↔ (¬Q ⊃ ¬P) (Gesetz der Kontraposition)
Eine Aussage der Form P ⊃ Q ist logisch äquivalent mit einer Aussage der Form (¬Q ⊃ ¬P).
Beide Aussagen sind unter genau denselben Umständen wahr (bzw. falsch).
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
364
Hempels Rabenparadoxon
Hypothesen werden durch ihre positiven Beobachtungen bestätigt.
Beobachtungen, die eine logisch äquivalente
bestätigen auch die ursprüngliche Aussage.
Aussage
bestätigen,
Alle Raben sind schwarz ↔ Alle nichtschwarzen Dinge sind keine Raben
Aus den beiden plausiblen Prämissen (H
(H-D-Modell
D Modell und Äquivalenzbedingung)
folgt: Alle Beobachtungen von nicht-schwarzen Objekten, die keine Raben sind,
bestätigen die Hypothese "Alle Raben sind schwarz".
Das heißt, die Beobachtung von bunten Kühen oder roten Autos bestätigt die
Hypothese, dass alle Raben schwarz sind!
Intuitiv empfindet man dies als paradox. („Wir müssen nicht in den Regen
hinaus, um Vogelkunde zu betreiben.“)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
365
Hempels Rabenparadoxon
Carl G. Hempel nahm an, dass hier kein Paradox, sondern eine
psychologische Fehleinschätzung vorliegt und die Beobachtung von runden
Bällen oder hohen Türmen tatsächlich die Hypothese "Alle Raben sind schwarz"
(schwach) bestätigt.
bestätigt Die Wahrscheinlichkeit dafür,
dafür dass Raben schwarz sind wird
durch die Beobachtung von nicht-schwarzen Nicht-Raben leicht erhöht. Ganz
allgemein: jede Beobachtung, die einer Allaussage nicht widerspricht,
bestätigt sie.
Karl Popper
pp
vertrat die Ansicht,, dass es für Hypothesen
yp
keine
Bestätigung gibt. Popper ließ nur die Falsifikation von Hypothesen zu. All unser
Bestreben muss es sein, Hypothesen durch negative Beispiele zu Fall zu bringen,
zu falsifizieren. Allerdings kam Popper nicht umhin, durch die Hintertüre doch die
Idee der Bestätigung zuzulassen.
zuzulassen Er nannte sie den Bewährungsgrad einer
Theorie. Je häufiger Falsifikationsversuche scheiterten, desto mehr hat sich eine
Theorie bewährt (schwach bestätigt).
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
366
Hempels Rabenparadoxon
J. L. Mackie versuchte das Raben-Paradox mit wahrscheinlichkeitstheoretischen Überlegungen aufzuweichen. Die Wahrscheinlichkeit für ein
b li bi
beliebiges
Obj kt ein
Objekt
i schwarzer
h
R b zu sein
Rabe
i ist
i t bei
b i weitem
it
geringer
i
als
l ein
i
nicht-schwarzer Nicht-Rabe zu sein. Deshalb bestätigt die Beobachtung eines
schwarzen Raben die Hypothse ungleich schwerwiegender als die Beobachtung
von nicht-schwarzen Nicht-Raben.
W. V. O. Quine versucht Hempels Paradox aufzulösen, indem er die
Bestätigung einschränkt. Er schlägt vor, nur die Beobachtungen als Bestätigung
anzusehen, wo die Objekte natürliche Arten (natural kinds) sind. Natürliche
Arten kommen in wissenschaftlichen, z.B. biologischen Gesetzen vor. Ausdrücke
wie
i "Nicht-Raben"
"Ni ht R b " jedoch
j d h handeln
h d l nicht
i ht von natürlichen
tü li h
A t
Arten
und
d daher
d h
sind
i d
Hypothesen, in denen von Dingen wie „Nicht-Raben“ die Rede ist, gar keine
Naturgesetze, für die es eine Bestätigung geben könnte.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
367
Nelson Goodmans neues
Rätsel der Induktion
Nelson Goodman (1906-1998)
Goodman ist ein führender Vertreter
der analytischen Philosophie in den
V
Vereinigten
i i t
St t
Staaten.
E arbeitete
Er
b it t zu
erkenntnistheoretischen,
wissenschaftstheoretischen,
sprachphilosophischen
p
p
p
und
ästhetischen Themenstellungen.
The Structure of Appearance (1951)
Fact, Fiction, and Forecast (1955)
Languages
g g of Art ((1968))
Ways of Worldmaking (1976)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
368
Nelson Goodmans neues
Rätsel der Induktion
Wir definieren das Prädikat grot, welches eine Eigenschaft bezeichnen soll, die
ein Ding besitzt,
besitzt wenn es vor Juli 20010 grün ist und danach rot:
Juli 2010
Juli 2010
grün
Alle Smaragde sind grün.
grot
Alle Smaragde sind grot.
Beide Hypothesen werden bis Juli 2010 durch genau dieselben Evidenzen
gestützt: Das Auffinden grüner Smaragde bis Juli 2010 bestätigt beide
Hypothesen gleichermaßen; das Auffinden andersfarbiger Smaragde würde beide
widerlegen! Alle bisher gefundenen Smaragde waren grün bzw.
bzw grot.
grot Beide
Hypothesen gelten als exakt gleich gut bestätigt, ganz egal wie viele Testfälle
wir heranziehen!
Dennoch sind „grün“ und „grot“ zwei inkompatible Prädikate: Ein Ding kann nicht
zugleich sowohl grün als auch grot sein! Denn nach Juli 2010 ist ein grünes Ding
grün und ein grotes rot. Beiden Hypothesen liefern unterschiedliche
Voraussagen:
g
Es können nicht beide zugleich
g
wahr sein!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
369
Nelson Goodmans neues
Rätsel der Induktion
Lässt sich Goodmans Paradox lösen, indem man darauf hinweist, dass das
Prädikat
ädik „grot““ im
i Unterschied
hi d zum Prädikat
ädik „grün“
ü “ komplex
k
l
i ? (Dürfen
ist?
( ü f
wir
i in
i
unseren Hypothesen nur einfache und keine komplexen, zusammengesetzten
Prädikate verwenden?)
Welches Prädikat komplex und welches einfach ist, hängt davon ab, wo
wir beginnen! Wir können den Fall auch so konstruieren, dass „grün“
komplex
p
und „g
„grot“ einfach ist.
Beweis: Wir können grün unter Zuhilfenahme eines weiteren Prädikates,
nämlich rün definieren. Ein Gegenstand
g
sei rün,, wenn er vor Juli 2010 rot und
danach grün ist. Damit lässt sich „grün“ definieren als eine Eigenschaft, die ein
Gegenstand dann besitzt, wenn er vor Juli 2010 grot und danach rün ist.
g
grot
rün
grün (vor Juli 2010 grot, danach rün)
Juli 2010
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
370
Nelson Goodmans neues
Rätsel der Induktion
Lässt
ä
sich
i h Goodmans
G d
Paradox
d
lö
lösen,
i d
indem
man darauf
d
f hinweist,
hi
i
d
dass
sich
i h das
d
Prädikat „grot“ im Unterschied zum Prädikat „grün“ auf einen ganz
bestimmten Zeitpunkt bezieht?
Dürfen wir in unseren Hypothesen nur einfache und nicht zeitrelative Prädikate
verwenden?
Die
Wissenschaft
enthält
sehr
viele
Hypothesen
(Gesetze,
Verallgemeinerungen), in denen unverzichtbare Begriffe vorkommen,
die auf bestimmte Zeitpunkte oder Zeitspannen Bezug nehmen!
•
•
•
•
•
im Mittelalter
während der Pupertät
p
von Picassos Malerei
in der Frühphase
innerhalb der ersten drei Sekunden nach dem Urknall
…
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
371
Nelson Goodmans neues
Rätsel der Induktion
Goodmans pragmatische Lösung: entrenchment (Verankerung)
Wir benutzen das Prädikat grün und nicht das Prädikat grot in unseren
wissenschaftlichen Hypothesen, weil grün in unsere wissenschaftliche Praxis
tiefer eingebettet/ verankert ist als grot. Aber prinzipiell hätten wir es auch
anders machen können.
Entrenchment: Ein Begriff P ist zu einem Zeitpunkt t tiefer eingebettet/
verankert als ein Begriff Q, wenn P in der Zeit vor t häufiger verwendet wurde
als Q.
Das rein syntaktische H-D-Modell der Bestätigung wissenschaftlicher Hypothesen
ist
unzureichend,,
um
die
Bestätigungs-Beziehung
g g
g
angemessen
g
zu
charakterisieren!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
372
Poppers Falsifikationismus
Karl [Raimund] Popper
( 902 99 )
(1902-1994)
Popper gilt als einer der einflussreichsten
Autoren
auf
den
Gebieten
der
Wissenschaftstheorie sowie der politischen
Philosophie. Er kritisierte den Logischen
Empirismus und dessen Sichtweise der
wissenschaftlichen Methode. In die politische
Theorie ist er als wichtiger Kritiker des
Marxismus eingegangen. Popper wurde 1965
von der Queen Elizabeth II geadelt.
Wichtigste Werke:
Logik der Forschung (1934)
The Open Society and Its Enemies (1945)
Conjectures and Refutations (1965)
Objective Knowledge (1972)
The Self and Its Brain (1977)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
373
Poppers Falsifikationismus
Deduktion vs. Induktion
Deduktion (deduktive Argumente)
Induktion (induktive Argumente)
Alle Menschen sind sterblich.
Sokrates ist ein Mensch.
Prämissen
Dieser beobachtete Rabe ist schwarz.
Jener beobachtete Rabe ist schwarz.
Konklusion
Also: Alle Raben sind schwarz.
Also: Sokrates ist sterblich.
Deduktive Argument sind:
Induktive Argumente sind:
• nicht erkenntniserweiternd: Der Inhalt
der Konklusion ist schon implizit in den
Prämissen enthalten. (Wir lernen nichts
dazu wenn wir eine Konklusion ziehen.)
dazu,
ziehen )
• notwendig wahrheitserhaltend: Wenn
die Prämissen wahr sind, dann muss die
Konklusion ebenfalls wahr sein.
• erosionsbeständig:
Die
Hinzufügung
neuer Prämissen verändern nicht die
Gültigkeit eines deduktiven Arguments.
• absolut: Die Gültigkeit eines deduktiven
Arguments
g
kennt keine Grade.
• erkenntniserweiternd: Der Inhalt der
Konklusion geht über den Inhalt der
Prämissen
hinaus.
(Sie
ist
stärker,
allgemeiner. Wir lernen etwas neues hinzu.)
• nicht notwendig wahrheitserhaltend:
Ein induktives Argument kann trotz wahrer
Prämissen eine falsche Konklusion besitzen.
• nicht
erosionsbeständig:
Neue
Prämissen unterminieren die Gültigkeit eines
induktiven Arguments.
• graduell: Die Prämissen können die
Konklusion
in
unterschiedlicher
Stärke
stützen.
tüt
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
374
Poppers Falsifikationismus
- Das klassische Bild Wissenschaftliche Hypothesenbildung
(Entdeckungszusammenhang)
Bestätigung wiss. Hypothesen
(Rechtfertigungszusammenhang)
(
g g
g)
Dieser beobachtete Rabe ist schwarz. (Beobacht.)
Jener beobachtete Rabe ist schwarz. (Beobacht.)
Also: Alle Raben sind schwarz.
schwarz
(Hypothese)
Alle Raben sind schwarz. (Hypothese)
Dies ist ein Rabe.
(Randbedingung)
Also: Er ist schwarz.
schwarz
(beobachtbare Konsequenz)
Das Aufstellen allgemeiner Hypothesen
geschieht
über
induktive
Verallgemeinerungen, die unsere Beobachtungen
„zusammenfassen“.
Hypothesenbildung
beruht auf akkumulativer Beobachtung.
Hypothesen
werden
anhand
ihrer
beobachtbaren
Konsequenzen
(graduell)
bestätigt Bestätigung lässt sich über viele
bestätigt.
Instanzen (induktiv) akkumulieren.
Humes Induktionsskepsis:
keinerlei Rechtfertigung für
Schlüsse.
Goodmans neues Rätsel der Induktion:
Es gibt Jede Bestätigung einer Hypothese gilt immer
induktive zugleich als eine Bestätigung vieler anderer
inkompatibler Hypothesen.
Das
Problem
der
alternativen Hempels
Rabenparadox:
Hypothesen
Hypothesen:
Ein
und
dieselben scheinen
sich
auch
durch
irrelevante
Beobachtungen rechtfertigen eine Vielzahl Beobachtungen stützen zu lassen.
inkompatibler Hypothesen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
375
Poppers Falsifikationismus
Vermutungen und Widerlegungen
Wissenschaftliche Hypothesenbildung
(Entdeckungszusammenhang)
Bestätigung wiss. Hypothesen
(Rechtfertigungszusammenhang)
Wissenschaft
beginnt
nie
mit Beobachtungen können zwar nie die Wahrheit
Hypothesen
begründen
Beobachtungen
(induktiv),
sondern wissenschaftlicher
(Verifikation) wohl aber ihre Falschheit
(Verifikation),
immer mit Vermutungen (deduktiv).
(Falsifikation).
Die
Beobachtung
eines
schwarzen Schwans falsifiziert die Hypothese
The work of the scientist consists in ein für alle mal, dass alle Schwäne weiß sind.
putting forward and testing theories. The
initial stage, the act of conceiving or
inventing a theory, seems to me neither to Poppers Bild: Der Wissenschaftler stellt
call for logical analysis nor to be Vermutungen auf und versucht diese durch
susceptible of it. The question how it Experimente
und
Beobachtungen
zu
happens that a new idea occurs to a man widerlegen. Wenn eine Vermutung eine Reihe
... may be of great interest to empirical von Tests erfolgreich überstanden hat, dann
psychology; but it is irrelevant to the kann sie vorläufig akzeptiert werden. Eine
Theorie,
ein
Gesetz
oder
eine
logical analysis of scientific knowledge.
wissenschaftliche
h fl h
Hypothese
h
sind
d nie mit
(Popper, Logic of Inquiry)
Gewissheit wahr. Sie können sich bei der
nächsten
Testgelegenheit
als
falsch
herausstellen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
376
Poppers Falsifikationismus
Keplers Entdeckung der elliptischen Bahn der Planeten, ein Beispiel
Kepler entdeckte, dass sich der Mars in einer elliptischen Bahn um die Sonne bewegt. Wie lässt sich das
erklären? Kepler ging davon aus, dass der Orbit der Planeten die Sonne statt die Erde ist. Außerdem
vermutete er, dass die Bewegung der Planeten entweder zirkulär oder zusammengesetzt aus wenigen
g g
ist. Um die elliptische
p
Bahn zu erklären bildete er drei Hypothesen:
yp
zirkulären Bewegungen
1. Der Orbit des Mars ist ein Kreis um ein Zentrum C, welches sich ein wenig von der Sonne
entfernt befindet.
2 Der Orbit des Mars setzt sich aus zwei Kreisen zusammen,
2.
zusammen deren zusammengesetzte Form
eiförmig ist, wobei das spitze Ende den sonnennächsten Punkt des Mars bildet.
3. Der Orbit des Mars ist eine Ellipse mit der Sonne in einem der Zentren.
Jede dieser Hypothesen,
Hypothesen die Kepler nacheinander aufgestellt hat,
hat hat er sorgfältig mit den empirischen
Daten verglichen. Die ersten beiden Vermutungen musste er aufgrund ihrer Nichtübereinstimmung mit den
verfügbaren Daten verwerfen; nur die dritte Hypothese widerstand allen ihm verfügbaren Kenntnissen über
die Bewegung des Mars. Diese ist als das Keplersche Gesetz in die Wissenschaftsgeschichte eingegangen.
Kepler hat (1) zunächst einfache Vermutungen angestellt. Er hat dann (2) die daraus
folgenden Konsequenzen mit dem beobachteten Daten verglichen und schließlich (3)
diejenigen Hypothesen verworfen, deren Konsequenzen nicht mit den beobachteten Daten
im Einklang standen. Hypothesenbildung ist kreativ; Hypothesentesten ist falsifikatorisch!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
377
Poppers Falsifikationismus
Gut und schlecht bestätigte Vermutungen?
Stellen wir uns vor, eine Theorie T sei zu einem Zeitpunkt t1 von einem Wissenschaftler (Dr. E) aufgestellt
worden. Zu t1 gibt es noch keine Evidenzen für T, so dass es sich um eine reine Vermutung handelt.
Zwischen t1 und t2 jedoch haben Dr. E und seine Kollegen gezeigt, dass sich mit T eine ganze Reihe von
g
erklären lassen. Außerdem haben sie T einer g
ganzen Reihe experimenteller
p
Tests
Beobachtungen
unterzogen, von denen sich jeder einzelne als Erfolg herausgestellt hat.
Intuition: Für T hat es zu t1 keine Rechtfertigung durch Evidenzen gegeben, aber zu t2
liegen starke empirische Evidenzen für T vor, die uns rechtfertigen, T als eine gute Theorie
i der
in
d Wissenschaftspraxis
Wi
h ft
i weiter
it zu verwenden.
d
Aus Poppers These, dass es nur Widerlegungen, aber keine Bestätigung für eine
wissenschaftliche Theorie geben kann, folgt, dass T zu t1 eine ebenso unbestätigte
V
Vermutung
t
d
darstellt
t llt wie
i zu t2. Das
D aber
b ist
i t kontraintuitiv.
k t i t iti
Wir müssen zeigen können, wie wissenschaftliche Vermutungen durch Evidenzen, die sie
bestätigen, gerechtfertigt werden können. Popper führte daher den Bewährungsgrad einer
Th
Theorie
i ein:
i Je
J häufiger
hä fi
eine
i
Th
Theorie
i dem
d
V
Versuch
h der
d Widerlegung
Wid l
widerstanden
id
t d
h t desto
hat,
d t
höher ist ihr Bewährungsgrad. Der Begriff des Bewährungsgrades entspricht genau unserem
alten Begriff der (graduellen) Bestätigung einer Theorie (Hypothese), wodurch wir uns
genau die Probleme wieder einhandeln, die Popper vermeiden wollte!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
378
Poppers Falsifikationismus
Die Asymmetrie zwischen All- und Existenzaussagen
Alle Raben sind schwarz.
Es gibt weiße Raben.
Diese Allaussage lässt sich durch die
Beobachtung von schwarzen Raben graduell
(induktiv) bestätigen.
Diese Existenzaussage lässt sich durch die
Beobachtung von schwarzen Raben graduell
(induktiv) falsifizieren.
Diese Allaussage lässt sich durch die
Beobachtung
b h
eines einzigen nichtschwarzen
h h
Raben absolut (deduktiv) falsifizieren.
Diese Existenzaussage lässt sich durch die
Beobachtung
b h
eines einzigen weißen
ß
Rabens
b
absolut (deduktiv) verifizieren.
Dies ist ein weißer Rabe.
Nicht alle Raben sind schwarz.
Dies ist ein weißer Rabe.
Es gibt weiße Raben.
Es gibt
E
ibt keinen
k i
i t i i h
intrinsischen
Z
Zusammenhang
h
zwischen
i h
V ifik ti /B täti
Verifikation/Bestätigung
und
d
induktiven (graduellen) Argumenten bzw. Falsifikation/Widerlegung und deduktiven
(absoluten) Argumenten. Ob sich eine Hypothese absolut oder nur graduell
bestätigen/falsifizieren lässt, hängt von ihrer logischen Form und nicht von der
angewandten
dt
M th d ab.
Methode
b Verifikation
V ifik ti
und
d Falsifikation
F l ifik ti
sitzen
it
i selben
im
lb
B t!
Boot!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
379
Poincarés Konventionalismus
[Jules] Henry Poincaré
(1854-1912)
Poincaré ist ein bedeutender Mathematiker,
Ph ik
d
Wi
h ft th
tik
Physiker
und
Wissenschaftstheoretiker,
welcher in Paris lehrte. Er interessierte sich
für nicht-Euklidische Geometrie, entdeckte
einen
Vorläufer
der
speziellen
R l ti ität th
Relativitätstheorie
i und
d formulierte
f
li t wichtige
i hti
Gesetze
in
der
Chaostheorie.
In
wissenschaftstheoretischer Perspektive gilt
er als Begründer des Konventionalismus.
Wichtigste Werke
Science and Hypothesis (1902)
The Value of Science (1905)
Science and Method (1908)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
380
Poincarés Konventionalismus
Welchen Status haben die Axiome der Geometrie?
Historischer Hintergrund
y
Urteile a p
priori
Kant betrachtete die Axiome der Euklidischen Geometrie als synthetische
(d.h. als Urteile, die vor aller Erfahrung liegen und gleichzeitig als die Bedingung der
Möglichkeit der räumlichen Erfahrung gelten).
Die Weiterentwicklung der Geometrie durch Hilbert und Lobachevsky zeigte, dass sich
alternative Geometrien entwickeln lassen, die dieselbe logische und mathematische
Legitimität wie die Euklidische Geometrie besitzen.
Poincaré arbeitete mit der Geometrie von Lobachevsky und fand verschiedene
Anwendungen, die zeigten, dass diese sich auf einigen Gebieten besser eignet als die
Euklidische Geometrie.
Die geometrischen Axiome sind ... weder synthetische Urteile a priori noch experimentelle
Tatsachen. Es sind auf Übereinkommen
Ü
beruhende Festsetzungen; unter allen möglichen
Festsetzungen wird unsere Wahl von experimentellen Tatsachen geleitet; aber sie bleibt frei
und ist nur durch die Notwendigkeit begrenzt, jeden Widerspruch zu vermeiden ... Mit
anderen Worten: die geometrischen Axiome ... sind nur verkleidete Definitionen.
(P i
(Poincaré,
é Science
S i
and
d Hypothesis)
H
th i )
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
381
Poincarés Konventionalismus
Welchen Status haben die Axiome der Geometrie?
Alle geometrischen Systeme sind auf dieselbe Realität bezogen. Sie behandeln
denselben Raum, obgleich sie sich in der sprachlichen Formulierung
unterscheiden und von verschiedenen/ inkompatiblen Axiomen ausgehen.
Die Wahl einer Theorie ist letztlich rein konventionell und basiert auf Prinzipien
der theoretischen Ökonomie
Ö
und Einfachheit.
Der Grund, warum wir gewöhnlich die Euklidische Geometrie favorisieren, liegt
d i dass
darin,
d
sie
i für
fü die
di meisten
i t
A
Anwendungen
d
di einfachste
die
i f h t Theorie
Th
i ist.
i t
In Bezug auf spezifische Anwendungen kann es aber sein, dass eine andere,
alternative Theorie bequemer als die Euklidische ist.
ist Beispielsweise nutzte
Einstein im Jahre 1915 eine nicht-Euklidische Geometrie um die
Relativitätstheorie zu formulieren, da dies zu den einfachsten Resultaten führte.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
382
Poincarés Konventionalismus
Welchen Status haben wissenschaftliche Hypothesen im allgemeinen?
Obwohl wissenschaftliche Theorien auf Erfahrung beruhen, so sind sie doch weder
verifizier- noch falsifizierbar durch die Erfahrung allein!
Wenn wir beispielsweise ein mathematisches
Gesetz finden möchten, das eine gegebene
Serie von Beobachtungen beschreiben soll,
dann wird üblicherweise die einfachste Linie
eines
gegeben
Graphen
von
Punkten
interpoliert.
Die tatsächliche Kurve, die wir in unserer Theorie mit mathematischen Mitteln konstruieren,
hängt sowohl von der Erfahrung als auch von der Einfachheit der Kurve ab – je einfacher die
Kurve, desto mehr Punkte werden außerhalb dieser liegen.
Ei f h aber
Einfach
b
ungenau oder
d
k
kompliziert
li i t und
d genau?
? Wie
Wi entscheiden
t h id
wir
i uns?
?
Die interpolierte Kurve – das angenommene Gesetz – ist keine direkte Generalisierung aus
der Erfahrung, denn sie korrigiert die Erfahrung! Welche Linie wir wählen (welche Theorie
wir favorisieren), hängt von unseren Entscheidungen ab!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
383
Duhems Holismus
Pierre [Maurice M.] Duhem
( 86
(1861-1916)
9 6)
Duhem war ein bedeutender Physiker und
Mathematiker,, der an der Universität von
Bordeaux theoretische Physik lehrte. Auf
dem Gebiet der Wissenschaftstheorie lieferte
es sich einen heftigen Disput mit Poincaré.
Seine bedeutendste Entdeckung, nämlich
dass bei der empirischen Bestätigung einer
Hypothese stets ein Gefüge weiterer
Annahmen vorausgesetzt werden muss, ist
als Duhem-Quine These in die Geschichte
eingegangen.
Wichtigste Werke
The Aim and Structure of Physical Theory
(1904/05)
The Value of Science (1904/05)
Physics of a Believer (1905)
T Save
To
S
the
h Phaenomena
Ph
(1908)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
384
Duhems Holismus
H ... sei eine Hypothese,
Hypothese die überprüft werden soll
A1, A2, A2 ... seien die entsprechenden Zusatzannahmen
O ... sei der Beobachtungssatz, der sich aus H und A1, A2, A2 ableiten lässt.
(H & A1 & A2 & A2) → O
H-D-Testmodell
Nun nehmen wir an, dass O nicht eintritt. Können wir daraus schließen, dass H falsifiziert
wird? Offensichtlich nicht,, denn nicht-O impliziert
p
lediglich:
g
nicht (H & A1 & A2 & A2)
Was äquivalent ist mit:
(nicht H) oder (nicht A1) oder (nicht A2) oder (nicht A3)
Wir können aus dem Fehlschlagen eines empirischen Tests nur schließen, dass entweder
unsere Hypothese oder eine oder mehrere Zusatzannahmen falsch sind. Weder die
Beobachtung, noch die Logik kann uns zeigen, welche der verschiedenen Annahmen wir
verwerfen sollen!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
385
Duhems Holismus
Entscheidungsexperimente: Nehmen wir an, wir hätten zwei sich ausschließende
Hypothesen H1 und H2, und nehmen wir weiter an,
an alle Zusatzannahmen,
Zusatzannahmen die wir machen
müssen, um diese Hypothesen zu testen, lassen sich durch ein einziges Symbol A darstellen,
dann haben wir die folgenden Annahmen:
H1 oder H2
(H1 und A) → O1
(H2 und A) → O2
N
Nun
machen
h
wir
i einen
i
T
Test
und
d finden
fi d
O1 und
d nicht
i h O2. Daraus
D
kö
können
wir
i schließen,
hli ß
d
dass:
nicht (H2 und A) ⇔ (nicht H2) oder (nicht A)
Holismus: Wir wissen nicht, ob H2 oder die Zusatzannahmen zur falschen Vorhersage
führten. Aber: Wir waren in der Lage, eine korrekte Voraussage mit A zu machen!
Unbestimmtheit: Das Argument gelingt nur, wenn wir wir wissen, dass nur eine der beiden
Hypothesen korrekt ist. Wir können aber nie die Möglichkeit ausschließen, dass es weitere
Hypothesen H3, ..., Hn gibt, die inkompatibel mit H1 und H2 sind. Ein
Entscheidungsexperiment ist nur möglich, wenn wir alle möglichen Hypothesen erschöpfend
in Betracht gezogen haben. Dazu aber sind wir nie in der Lage.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
386
Die Duhem-Quine Thesen
Kein
K
i Experiment
E
i
i in
ist
i der
d Lage,
L
eine
i
einzelne
i
l
H
Hypothese
h
zu
falsifizieren. Was auf dem Prüfstand der Erfahrung steht, ist
immer eine ganze Theorie, bzw. eine Theorie zusammen mit
einem ganzen Netz von Zusatzannahmen.
Wenn sich aus der Theorie zusammen mit den
Zusatzannahmen empirische Konsequenzen ableiten lassen,
die unseren Beobachtungen oder unseren experimentellen
T t widersprechen,
Tests
id
h
d
dann
steht
t ht es uns frei,
f i an einer
i
beliebigen Hypothese festzuhalten und die Theorie an einer
anderen Stelle so zu verändern, dass sie wieder mit den
empirischen Daten im Einklang steht.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
387
Kuhns Paradigmen und
Revolutionen
Thomas [Samuel] Kuhn
(1922-1996)
Kuhn gilt als einer der wichtigsten
amerikanischen
ik i h
Wi
Wissenschaftstheoretiker.
h ft th
tik
E
Er
lehrte in Berkeley und später am MIT
Philosophie und Wissenschaftsgeschichte.
Sein
wichtigstes
Werk
„Die
Struktur
wissenschaftlicher
i
h ftli h
R
Revolutionen“
l ti
“ schrieb
h i b er
schon als Student in Havard. Er gilt als einer
der
wichtigsten
Kritiker
des
Falsifikationismus.
Wichtigstes Werk
The Structure
(1962)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
of
Scientific
Revolutions
388
Kuhns Paradigmen und
Revolutionen
Der Grundzug von Kuhns Theorie ist die Betonung des revolutionären Charakters
wissenschaftlichen Fortschritts,
Fortschritts wobei eine Revolution in der Wissenschaft zur
endgültigen Aufgabe einer theoretischen Struktur (eines Paradigmas) führt, die
durch eine andere, mit ihr unvereinbare (inkommensurable) Struktur ersetzt
wird.
Kuhns Vorstellung von wissenschaftlichem Wandel
V Wi
Vor-Wissenschaft
h ft (k
(keine
i
Prinzipien,
P i i i
keine
k i
Methoden)
M th d )
Normale Wissenschaft (Prinzipien, Methoden, Schwierigkeiten)
Krise (Schwierigkeiten nehmen überhand)
Revolution (neue Prinzipien, neue Methoden)
Normalwissenschaft (neue Prinzipien, neue Methoden, neue Schwierigkeiten)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
389
Kuhns Paradigmen und
Revolutionen
Paradigmen und Normalwissenschaft
Normalwissenschaft ist ein
Problemlösen, das sich nach den
Regeln eines Paradigmas richtet.
richtet
Eine voll entwickelte Wissenschaft wird durch ein Paradigma geleitet:
• Die Probleme und Rätsel eines Paradigmas sind entweder theoretischer oder
instrumenteller
Natur
(Berechnung
der
Planetenbewegungen
vs.
Präzisierung
teleskopischer Betrachtungen).
• Das Scheitern bei der Lösung paradigmatischer Probleme wird als Scheitern des
Wissenschaftlers und nicht als Scheitern des Paradigmas gewertet.
• Ein Normalwissenschaftler muss dem Paradigma, in welchem er arbeitet, unkritisch
gegenüberstehen.
• Die Ausbildung eines Wissenschaftlers innerhalb eines wissenschaftlichen Paradigmas
besteht im Lösen von Standardproblemen, der Anwendung der Theorie auf
Standardsituationen sowie dem Ausführen von Standardexperimenten, die ihn mit den
Methoden und Techniken des Paradigmas vertraut machen.
• Probleme, die sich einer Lösung widersetzen, werden eher als Anomalien im Paradigma
statt als Falsifikationen des Paradigmas betrachtet.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
390
Kuhns Paradigmen und
Revolutionen
Krise und Revolution
Zu einer Krise kommt es, wenn:
•
•
•
•
eine Anomalie die entscheidenden Grundlagen eines Paradigmas bedroht;
eine Anomalie in Bezug auf soziale Erfordernisse dringlich ist;
es zu viele Anomalien gibt oder die Zeitspanne ihrer Resistenz zu groß wird;
sich
i h ein
i ein
i rivalisierendes
i li i
d Paradigma
P
di
einstellt.
i
ll
Die Paradigmen lösen sich nicht so voneinander ab, dass das eine die Anomalien des
anderen löst,, sondern dieser Prozess ist so zu beschreiben,, dass ein neues Paradigma
g
ganz
g
andere Fragestellungen mit sich bringt, und damit die Problemstellungen des alten
Paradigmas als obsolet oder müßig betrachtet.
Rivalisierende Paradigmen erachten unterschiedliche Fragen als legitim oder
bedeutsam!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
391
Kuhns Paradigmen und
Revolutionen
Die Inkommensurabilität von Paradigmen
Anhänger rivalisierender Paradigmen leben „in verschiedenen Welten“. Weil die
Fragen, Problemstellungen und überhaupt die Ansicht, was eigentlich die
Phänomene sind, die die Theorie zu erklären hat, für zwei rivalisierende
Paradigmen so extrem unterschiedlich sind, kann es nach Kuhn kein logisches
oder empirisches Argument geben, dass die Überlegenheit des einen über das
andere Paradigma beweist und das darüber hinaus einen vernunftgeleiteten
Wissenschaftler zwingen könnte, den Wandel zu vollziehen.
¾ Wenn zwei Paradigmen keine wissenschaftlichen Standards miteinander
teilen, dann gibt es keine gemeinsamen Voraussetzungen, vor welchen sich
stringente Argumentationen für und wider eine Theorie überhaupt entwickeln
lassen.
Rivalisierende Paradigmen sind einander inkommensurabel!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
392
Feyerabend: Anything goes
Paul [Karl] Feyerabend
(1924-1994)
Der
österreichische
Philosoph
Paul
F
Feyerabend
b d beschäftigte
b
häfti t sich
i h vorwiegend
i
d mit
it
der Wissenschaftstheorie, Erkenntnistheorie
und den sozialen Folgen der Wissenschaft. In
seinem wichtigsten Werk (Wider den
M th d
Methodenzwang)
) behauptete
b h
t t er, dass
d
d
der
Wissenschaftsfortschritt hauptsächlich durch
Irrtümer, Irrationalitäten und abgelehnte
Theorien zustande gekommen ist.
Wichtigste Werke
Wider den Methodenzwang (1974)
Science in Free Society (1978)
Wissenschaft als Kunst (1984)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
393
Feyerabend: Anything goes
Wenn
die
wissenschaftlichen
Methodologien
(Verifikationismus,
Falsifikationismus,
l ifik i i
Holismus,
li
Konventionalismus
i
li
etc.)) als
l Regeln
l aufgefasst
f f
werden, die vorschreiben, wie sich ein Wissenschaftler in einer realistischen
Situation entscheiden soll, dann sind diese nach Ansicht Feyerabends nicht nur
wirklichkeitsfern, sondern schädlich:
Der Gedanke, die Wissenschaft könne und sollte nach festen und allgemeinen
Regeln
g
betrieben werden,, ist sowohl wirklichkeitsfern als auch schädlich. Er ist
wirklichkeitsfern, weil er sich die Fähigkeiten des Menschen und die Bedingungen
ihrer Entwicklung zu einfach vorstellt. Und er ist schädlich, weil der Versuch, die
Regeln durchzusetzen, zur Erhöhung der fachlichen Fähigkeiten auf Kosten
unserer
nse e Menschlichkeit führen
füh en muss.
m ss Außerdem
A ße dem ist der
de Gedanke für
fü die
Wissenschaft selbst von Nachteil, denn er vernachlässigt die komplizierten
physikalischen und historischen Bedingungen des Fortschritts. ... Alle
Methodologien
g
haben ihre Grenzen,, und die einzige
g ‚‚Regel‘,
g , die übrigbleibt,
g
, lautet
‚Anything goes‘. (Paul Feyerabend, in: Wider den Methodenzwang)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
394
Feyerabend: Anything goes
Wissenschaft vs. Wissenschaftsmethodologie
Scharlatan: Relativ ungebundene Einführung eines neuen, noch unentwickelten
Standpunktes, ohne diesen anschließend auf die Probe zu stellen.
Wissenschaftler: Relativ ungebundene Einführung eines neuen,
neuen
noch
unentwickelten Standpunktes, der anschließend der härtesten Prüfung
unterzogen wird.
Ein Wissenschaftler unterscheidet sich von einem Scharlatan weder darin, wie er
zu seinen Thesen gekommen ist, noch in den Inhalten der vertretenen Theorie.
Der Unterschied besteht darin, wie der Wissenschaftler mit seinen Hypothesen
umgeht. Er ist bereit, sie in allen möglichen Fällen auf die Probe zu stellen; er
arbeitet ihre Konsequenzen und internen Schwierigkeiten heraus; er
berücksichtigt die Einwände gegen seine Ansicht und wird sie aufgeben, wenn sie
der Kritik nicht standhält.
In der Wissenschaft reicht es nicht aus, seinen Launen und Neigungen
nachzugehen!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
395
Feyerabend: Anything goes
Inkommensurabilität der beobachtbaren Konsequenzen einer Theorie
Feyerabends Sichtweise der Inkommensurabilität von wissenschaftlichen Theorien deckt sich
nur zum Teil mit der Ansicht Kuhns. Seine Sichtweise leitet sich von der Vorstellung der
Theorieabhängigkeit der Beobachtung ab. In einigen Fällen können sich die Prinzipien
zweier
i
rivalisierender
i li i
d
Th
Theorien
i
so radikal
dik l voneinander
i
d
unterscheiden,
t
h id
d
dass
b id Theorien
beide
Th
i
keine einzige Beobachtungsaussage gemeinsam haben! In solchen Fällen ist es nicht
möglich, die beiden Theorien sinnvoll miteinander zu vergleichen. Sie sind daher
inkommensurabel (nicht miteinander vergleichbar).
Klassische Mechanik: Physikalische Objekte besitzen eine Form, eine Masse und ein
Volumen und diese Eigenschaften können nur durch physikalische Wechselwirkungen
verändert werden.
Relativitätstheorie: Eigenschaften wie Form,
Form Masse oder Volumen existieren nicht als
solche. Sie werden zu Relationen zwischen physikalischen Objekten und einem
Bezugsrahmen und können daher ohne eine physikalische Wechselwirkung verändert
werden, indem man von einem Bezugsrahmen zum anderen wechselt.
¾ Jeder Beobachtungsaussage über Gegenstände in der klassischen Mechanik kommt eine
grundsätzlich andere Bedeutung zu als einer ähnlichen Beobachtungsaussage innerhalb
der Relativitätstheorie!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
396
Wissenschaftstheorie
Was ist eigentlich eine
wissenschaftliche Theorie?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
397
Was eigentlich ist eine
wissenschaftliche Theorie
Das Problem theoretischer Terme
Das Problem der Bestätigung einer Hypothese kommt dadurch zustande,
dass wissenschaftliche Hypothesen über ihre stützenden Belege hinausgehen.
Eine Hypothese
h
wie „Alle
ll Raben
b
sind
d schwarz“
h
“ kann
k
f l h sein, obwohl
falsch
b hl jeder
d
bisher beobachtete Rabe schwarz war.
Auch
A
h Theorien
Th
i
gehen
h
üb
über
ih
ihre
B l
Belege
hi
hinaus,
und
d zwar noch
h viel
i l
weitgehender. Sie berufen sich zumeist auf ungewöhnliche und in vielerlei
Hinsicht unbeobachtbare Entitäten, wie Neutrinos, Kräfte, Felder, Triebe oder
Motive.
o
Hier stellen sich nicht nur
u Probleme
ob
der Realität
d
a ä d
der eingeführten
g ü
Entitäten, sondern auch Fragen hinsichtlich der empirischen Signifikanz der von
einer Theorie postulierten Gegenstände.
Wie verhalten sich theoretische Gegenstände hinsichtlich der experimentellen
Daten, die eine Theorie stützen bzw. widerlegen?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
398
Der klassische (syntaktische)
Ansatz
Eine wissenschaftliche Theorie ist eine Menge von Sätzen,
die in einer Sprache mit spezifischem Vokabular und klar
angegebener Struktur formuliert sind.
Theoretische Prinzipien
mathematisch formulierte Axiome
der Theorie
Beispiel: P x V = const.
Korrespondenzregeln
Verfahren
der
Messung
der
einzelnen Symbole
Beispiel: p sei der Druck an
einem Druckmessgerät
SS 2010
Rudolf Carnap
(1891-1970)
Theoretische Terme
Grundbegriffe der Theorie, die
sich nicht auf Beobachtbares
beziehen
Beispiel: kinetische Energie,
Positron
Beobachtungsterme
Ausdrücke,
die
einen
empirischen Gehalt besitzen
Beispiel: ist rot, wiegt 3 Tonnen
Einführung in die Theoretische Philosophie
399
Der klassische (syntaktische)
Ansatz
Uninterpretierte Formelsysteme und Korrespondenzregeln
Theorien als solche sind dem syntaktischen Ansatz zufolge uninterpretierte
Mengen von Sätzen, die in bestimmten mathematischen oder logischen
Beziehungen zueinander stehen.
Korrespondenzregeln dienen als ein Mittel, durch das den theoretischen
Termen in den Prinzipien der Theorie eine beobachtungsbezogene (oder
messbare) Bedeutung verliehen wird. Erst dadurch wird den Theorien
empirischer Gehalt verliehen.
Operationalismus: Ein theoretischer Term ist synonym mit der „Menge von
Operationen“, durch die er bestimmt oder gemessen wird.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
400
Der klassische (syntaktische)
Ansatz
Verdienste der klassischen Position
Klärung des Unterschieds zwischen einer Theorie als solcher (als uninterpretierte Menge
von Prinzipien) und dem Bereich, der zur Anwendung einer Theorie gehört
(Interpretation der theoretischen Terme mittels Korrespondenzregeln)
Wenn man eine Menge von Erklärungsprinzipien als „Theorie
Theorie“ bezeichnet
bezeichnet, so ist das unabhängig
davon, in welchem Grade diese Prinzipien untermauert sind. Manche Theorien sind gut bestätigt,
andere nicht.
Erläuterung,
g, wie Theorien,, welche theoretische Terme wie „„Kraft“,, „„Feld“,, „„das
Unbewusste“ usw. verwenden, empirische Signifikanz erlangen können
Eine Theorie hat nach der klassischen Auffassung nur dann empirische Signifikanz, wenn sie
prüfbare Konsequenzen besitzt. Korrespondenzregeln bauen eine Brücke zwischen theoretischen
Prinzipien und Fakten der Beobachtung.
Anwendung des hypothetisch-deduktiven Theoriemodells
Die Hypothesen (Prinzipien) einer Theorie sollen einerseits die beobachtungsbezogenen
Konsequenzen erklären und werden umgekehrt durch diese bestätigt.
Unterscheidung zwischen Entdeckungs- und Bestätigungsdimension:
Die philosophische Analyse wissenschaftlicher Theorien muss sich ausschließlich um die Funktion
der Hypothesen kümmern. Die Umstände, unter denen eine Theorie entdeckt und aufgestellt
worden ist, gelten als belanglos. Worauf es ankommt, ist die begriffliche Struktur der Theorie und
die Verfahren,
Verfahren mit deren Hilfe man sie auf die Probe stellen kann.
kann
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
401
Der klassische (syntaktische)
Ansatz
Probleme der Unterscheidung zwischen Theorie und Beobachtung
Was als die Daten einer Theorie gilt, das hängt von den Theorien im Hintergrund ab.
gibt es in der Wissenschaft g
gar keine Beobachtungsdaten.
g
Ohne Theorien g
Beobachtungsaussagen können nur so genau sein, wie das begriffliche Gerüst der Sprache
(Theorie), das sie verwenden. In der Physik beispielsweise ist der Begriff „Kraft“ ein
präziser Ausdruck, weil er eine zentrale Rolle in der Newtonschen Mechanik spielt; in der
Alltagssprache ist der Begriff „Kraft“ nur ungenau, weil unsere Alltagstheorien mannigfaltig
und ungenau sind.
Präzise formulierte Theorien sind Voraussetzung für präzise Voraussagen.
Jede Beobachtungsaussage ist fehlbar. Um die Wahrheit einer Beobachtungsaussage (wie
„Dies ist ein Stück Kreide.“) nachzuweisen, muss man sich auf eine oder mehrere Theorien
stützen; und je zuverlässiger die Gültigkeit nachgewiesen werden soll, desto umfassender
muss das herangezogene theoretische Wissen sein.
Beobachtungsaussagen sind ebenso fehlbar wie die Theorien, derer sie bedürfen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
402
Der semantische Ansatz
Modelle statt uninterpretierte Formelsysteme
Bas van Fraassen
*1941
Ein theoretisches Modell postuliert eine Menge von Gegenständen, deren
Eigenschaften und Verhalten durch spezifische Gesetze wiedergegeben wird.
Ein Newtonsches Teilchensystem ist ein Modell mit Teilchen
Massepunkten, das die drei Newtonschen Bewegungsgesetze erfüllt.
als
Das Molekularmodell des Gases ist ein Modell, in dem die Moleküle durch
elastische Kugeln wiedergegeben werden, die in einem abgeschlossenen Raum
M
Masse
und
d Bewegung
B
h b
haben
und
d den
d
G
Grundgesetzen
d
t
d statistischen
der
t ti ti h
M h ik
Mechanik
unterliegen.
¾ Ein Modell ist eine idealisierte Wiedergabe eines realen,
realen physikalischen
Systems.
¾ Für ein Modell kann es verschiedene sprachliche Formulierungen geben.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
403
Der semantische Ansatz
Isomorphie (Strukturgleichheit)
Nach der semantischen Auffassung bestehen Theorien aus Modellen sowie aus
der empirischen Hypothese, dass die Modelle die Welt in bestimmten Hinsichten
annähernd wiedergeben. Insofern diese Wiedergabe gelingt – insoweit das
Modell den Daten angemessen ist – besitzt die Theorie erstens ein
Erklärvermögen und kann zweitens durch die Daten gestützt werden.
Modell M
Isomorphie
• Idealisierte
Id li i t Gegenstände
G
tä d
• Beziehungen
zwischen Erklärung
diesen Gegenständen
• Gesetze,
Gesetze die das Verhalten
B täti
Bestätigung
dieser
Gegenstände
bestimmen
SS 2010
Physikalische Struktur P
• Reale
R l Gegenstände
G
tä d
• beobachtete
Beziehungen
zwischen diesen Gegenständen
• beobachtetes Verhalten dieser
Gegenstände
Einführung in die Theoretische Philosophie
404
Was eigentlich ist eine
wissenschaftliche Theorie?
Der syntaktische Ansatz
Der semantische Ansatz
Fundamental sind die uninterpretierten Fundamental sind die Modelle, die
Sätze der Theorie.
durch
die
Sätze
der
Theorie
spezifiziert
f
werden.
d
Eine Theorie gilt als bestätigt, wenn
sich aus deren Prinzipien (ihre
H
Hypothesen,
th
N t
Naturgesetze)
t ) mittels
itt l der
d
Korrespondenzregeln
empirische
Konsequenzen ableiten lassen.
Eine Theorie gilt als bestätigt, wenn
das
durch
Sätze
der
Theorie
b
beschriebene
h i b
M d ll (weitgehend)
Modell
( it h d)
isomorph
zu
einem
realen,
physikalischen System ist.
Wissenschaftler „konstruieren“ eine
abstrakte Wissenschaftssprache,
aus der sich mittels weiterer Regeln
beobachtbare Konsequenzen ableiten
lassen.
Wissenschaftler
„konstruieren“
ideale, abstrakte Modelle für reale
Zusammenhänge
in
der
Welt
(empirische Systeme).
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
405
Philosophische Fakultät Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Dr. Holm Bräuer
5. Metaphysik
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
407
Wie die Metaphysik zu ihrem
Namen kam ...
Aristoteles (384-322 v. Chr.)
Aristoteles gehört zu den berühmtesten und
einflussreichsten Philosophen der griechischen
Antike. Er studierte 20 Jahre an Platons
Akademie zuerst als Student,
Akademie,
Student später auch als
Lehrer. Später ging er nach Makedonien, wo
er Lehrer von Alexander des Großen war. Als
Alexander König wurde, kehrte Aristoteles
nach Athen zurück und g
gründete seine eigene
g
Philosophenschule, das Lykeion.
Organon
Physik
Metaphysik
Nikomachische Ethik
Politik
τα μετα τα ϕυσικα
dasjenige, was nach der Physik kommt
Metaphysik
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
408
Die Metaphysik des Aristoteles
Die vierzehn Bücher der Metaphysik des Aristoteles stellen kein
einheitliches Werk dar:
Erstes Buch: Metaphysik
p y
als eine Wissenschaft der ersten und obersten
Ursachen oder Prinzipien
Zweites Buch: Metaphysik als die Erforschung der Wahrheit
Sechstes Buch: Metaphysik als die Wissenschaft des Seienden als Seiendem
Sechstes und zwölftes Buches: Metaphysik als philosophische Gotteslehre
(„Theologie“)
Substanzbücher (Bücher 7 bis 9): Metaphysik als Lehre von den ersten
Prinzipien der wahrnehmbaren und veränderlichen Substanzen
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
409
Die Metaphysik des Aristoteles
Wissenschaft vom Seienden als Seiendem
Seiendes in seinen Attributen
Seiendes als solches
Akzidenzien
Substanzen
(existiert als „Hinzukommendes“)
(existiert unabgeleitet als solches)
veränderliche, wahrnehmbare
Substanz
unveränderliche, göttliche
Substanz
Ontologie
Theologie
erste Ursachen und Prinzipien
der veränderlichen Welt
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
erste Ursachen und Prinzipien der
unveränderlichen Substanz
410
Metaphysik und Ontologie bei
Micraelius und Wolff
metaphysica generalis
allgemeine Ontologie
Johann Micraelius
(1597-1658)
metaphysica specialis
theologia rationalis
(Philosophische Theologie)
Christian Wolff
(1679
1754)
(1679-1754)
cosmologia rationalis
(Philosophische Kosmologie)
psychologia rationalis
(Philosophische Psychologie)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
411
Die Grundfrage der Ontologie
Was gibt es?
Was ist Bedeutung?
W ist
Was
i t Wissen?
Wi
?
Was ist eine Erklärung?
usw.
Erfassen eines Begriffs
durch eine reduktive
Definition.
(philosophische
Analyse)
a yse)
W.V.O. Quine, 1908-2000
Lässt sich die Frage nach dem,
dem
was es gibt, durch eine philosophische
Analyse beantworten???
• Was bedeutet es, dass etwas existiert?
as bedeutet es, dass et
etwas
as existiert?
e st e t
• Was
SS 2010
Interessant am Problem der Ontologie ist seine
Einfachheit. Es kann mit drei deutschen
W t
Worten
beschrieben
b
h i b
werden:
d
„Was
W gibt
ibt es?“
?“
Mehr noch, es kann mit einem einzigen Wort
beantwortet werden: „alles“ – und jeder würde
diese Antwort als wahr akzeptieren. Doch
damit ist noch nicht mehr gesagt als dass es
gibt, was es gibt. Die Möglichkeit
verschiedener Auffassungen über einzelne
Fälle bleibt bestehen und damit hat dann das
Problem auch Jahrhunderte überlebt. (W.V.O.
Quine, Was es gibt)
Einführung in die Theoretische Philosophie
412
Ontologie und Metaphysik
Grundbegriffe der allgemeinen Ontologie
Existenz
Modalität
Identität
Was bedeutet es, dass etwas existiert?
Grundlagen der kategorialen Ontologie
Dinge
Eigenschaften
Sachverhalte
Ereignisse
SS 2010
Was bedeutet es, dass etwas existiert?
Einführung in die Theoretische Philosophie
413
Ontologie und Metaphysik
Grundbegriffe der allgemeinen
Ontologie
Existenz
Modalität
Identität
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
414
Sein als Grundbegriff der
Ontologie
„Was
Was bedeutet es,
dass etwas existiert?“
„Sokrates
S k t
i t“
ist.“
existentielle Verwendung
{x | x = Sokrates} ≠ ∅
„Sokrates ist ein Mensch.“
prädikative Verwendung
Sokrates ∈ {x | x ist ein Mensch}
sein
„Cicero ist Tullius.“
Identität
Cicero = Tullius
„Ein
Ein Mensch ist ein Säugetier.
Säugetier “
inklusive Verwendung
{x | x ist ein Mensch} ⊆ {y | y ist ein Säugetier}
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
415
Sein als Grundbegriff der
Ontologie
„Was
Was bedeutet es,
dass etwas existiert?“
„Sokrates ist.“
existenzielle Verwendung
In der Menge aller, die es gibt, existiert
einer, der mit Sokrates identisch ist.
„Sokrates ist ein Mensch.“
prädikative Verwendung
S k t iistt ein
Sokrates
i Element
El
t der
d Menge
M
der
d Menschen.
M
h
sein
„Cicero ist Tullius.“
Id
Identität
i ä
Cicero ist identisch mit Tullius.
„Ein
Ei Mensch
M
h ist
i t ein
i Säugetier.“
Sä
ti
“
inklusive Verwendung
Die Menge der Menschen ist Teilmenge der
Menge der Säugetiere
Säugetiere.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
416
Parmenides´ Existenzparadoxie
Parmenides (* 510 v. Chr.)
Parmenides gehört zu den
Vorsokratikern, also den griechischen
Philosophen die bevor Sokrates und
Philosophen,
besonders dessen Schüler Platon
wirkten. Diese Philosophie hat in den
ersten Jahrzehnten des 6. Jhds. v. Chr.
mit Thales und Anaximander in Ionien
und Unteritalien begonnen. (In der Zeit
der Vorsokratiker hat Athen noch nicht
die Monopolstellung in der Philosophie
wie zu Zeiten Platons oder Aristoteles.)
Aristoteles )
Parmenides gilt als der Hauptvertreter
der Eleatischen Philosophie und als
Vater der Ontologie.
Vom Wesen des Seienden
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
417
Parmenides Existenzparadoxie
Nur das, was gedacht werden kann, kann existieren.
Nichtseiendes kann nicht gedacht werden.
Nichtseiendes kann nicht existieren.
Rekonstruktion
Wenn man sinnvoll über Dinge sprechen/denken möchte, dann muss man sich
auf diese beziehen können: Nur das, was gedacht werden kann (über das man
etwas sagen kann), kann existieren.
Diejenigen Dinge, auf die man sich sprachlich beziehen kann, müssen existieren:
Nichtseiendes kann nicht gedacht werden./ Über Nichtseiendes lässt sich nichts
aussagen („Platons
aussagen.
( Platons Bart
Bart“))
Also kann es kein Nichtseiendes geben, da es nicht möglich ist, von etwas
auszusagen dass es nicht existiert.
auszusagen,
existiert
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
418
Parmenides Existenzparadoxie
Entweder trifft A oder B zu:
A Das Seiende existiert und es ist nicht möglich, nicht zu existieren.
B Das Seiende existiert nicht und es ist notwendig, nicht zu existieren.
Nichtseiendes kann nicht existieren.
Nur das Seiende existiert und es ist nicht möglich, nicht zu existieren.
Parmenides´ Existenzparadoxie
Nur das,, was ist,, existiert;; und es existiert notwendigerweise.
g
Es ist unmöglich, dass das, was existiert, auch hätte nicht nicht existieren
können.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
419
Lösungen der Existenzparadoxie
Immanuel Kant
(1724-1804)
1. Existenz ist keine Eigenschaft
Wenn ich also ein Ding, durch welche und wie viel Prädikate ich will,
(selbst in der durchgängigen Bestimmung) denke, so kommt dadurch,
dass ich noch hinzusetze,
hinzusetze dieses Ding ist,
ist nicht das mindeste zu dem
Dinge hinzu. Denn sonst würde nicht eben dasselbe, sondern mehr
existieren, als ich im Begriffe gedacht hatte, und ich könnte nicht
sagen dass gerade der Gegenstand meines Begriffs existiere.
sagen,
existiere Denke ich
mir sogar in einem Ding alle Realität außer einer, so kommt dadurch,
dass ich sage, ein solches mangelhaftes Ding existiert, die fehlende
Realität nicht hinzu,
hinzu sondern es existiert gerade mit demselben Mangel
behaftet, als ich es gedacht habe, sonst würde etwas anderes, als ich
dachte, existieren. (Kant, Kritik der reinen Vernunft)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
420
Lösungen der Existenzparadoxie
2. Existenz ist ein Eigenschaft höherer Ordnung
Existenz ist eine Eigenschaft 2. Ordnung, also eine
Eigenschaft von Eigenschaften (bzw. Mengen oder Klassen).
Gottlob Frege Bertrand Russell
Dieser Stuhl ist rot. „Rot“ ist eine Eigenschaft 1. Ordnung (Eigenschaft von einem Ding.)
Rot ist eine Farbe.
Farbe „Farbe
Farbe“ ist eine Eigenschaft 2.
2 Ordnung (Eigenschaft einer Klasse.)
Klasse )
Eine Eigenschaft 2. Ordnung kann nicht auf Gegenstände angewendet werden!
# Dieser Stuhl ist eine Farbe.
Rot ist eine Farbe.
Elefanten existieren.
existieren
Die Menge der Farben enthält das Element ROT.
Die Menge der Elefanten besitzt mindestens ein Element.
Element
Problem der negativen Existenzaussagen: Pegasus existiert nicht.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
421
Lösungen der Existenzparadoxie
3. Existenzquantor und Bezugsrahmen
⇒
Elefanten existieren.
Es g
gibt mindestens ein x,, so dass x Elefant ist.
⇒
∃x (Elefant (x))
W V Quine
R dolf Carnap
Rudolf
Ca nap W.V.
... wobei ∃ der sog.
sog Existenzquantor,
Existenzquantor x die von diesem Quantor gebundene
Variable und (...) der sog. Skopus des Existenzquantors ist.
Der Quantifikationsbereich [d.h.
[d h die Domäne von Gegenständen,
Gegenständen die die Variable
als Wert annehmen darf] ist abhängig von einer Sprache oder Theorie.
Die Antwort auf die Frage nach dem,
dem was es gibt,
gibt kann nur relativ zu einem
Bezugsrahmen oder einem Sprachsystem beantwortet werden.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
422
Lösungen der Existenzparadoxie
Anthony Kenny
4 Existenz
4.
E i t
als
l Aktualität
Akt lität
Dinosaurier existieren nicht mehr, obwohl es früher welche gab.
Es gibt zwar Tote, aber die Menschen, die sie mal waren, existieren nicht mehr.
Aktualität kann einzelnen Dingen wie ein Prädikat unterster Stufe sowohl zuals auch abgesprochen werden.
In diesem Sinne kann man von etwas sagen, es beginne zu existieren, existiere
noch immer oder existiere nicht mehr.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
423
Die alethischen Modalitäten
A Das Seiende existiert und es ist nicht möglich, nicht zu existieren.
B Das Seiende existiert nicht und es ist notwendig, nicht zu existieren.
g
in denen die Ausdrücke „möglich“,
g
„notwendig“
g usw. vorkommen,
Aussagen,
nennt man Modalaussagen.
Die Ausdrücke „möglich“, „notwendig“ usw. heißen Modaloperatoren.
notwendig
Das, was ist, muss der Fall sein.
kontingent
Das, was ist, könnte nicht der Fall sein.
möglich
g
Das,, was nicht ist,, könnte der Fall sein.
unmöglich
Das, was nicht ist, kann nicht der Fall sein.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
424
Die alethischen Modalitäten
Die epistemische Interpretation der Modalitäten
ontologisch
epistemisch
notwendig
a priori
möglich
a posteriori
Beispiel:
2+2=4
Alle Schwäne sind weiß.
Kripke über notwendige Sätze a posteriori und das kontingente Apriori
Goldbachs Vermutung
Goldbachs Vermutung besagt, dass jede gerade Zahl, die größer als zwei ist, die Summe von
zwei Primzahlen sein muss. Wenn diese Vermutung wahr ist, dann handelt es sich um eine
notwendige Wahrheit; wenn sie falsch ist, dann ist sie notwendig falsch.
Das Urmeter in Paris
g ein Stab,, dessen Länge
g als Standard für das Meter dient. Ist es eine
In Paris liegt
notwendige Wahrheit, dass dieser Stab einen Meter lang ist? Wenn apriorische Sätze
notwendig wahr sind, müssen wir dies bejahen, denn dieser Stab in Paris ist ja per Definition
(a priori) einen Meter lang. Das brauchen und können wir nicht empirisch überprüfen, denn
das Urmeter ist ja der Standard für jede Längenmessung.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
425
Modalitäten und mögliche Welten
Mögliche Welten
Es ist notwendig, dass S. Es ist möglich, dass S.
w1
w1
w2
wahr
h
w2
wahr
h
w3
w3
w4
falsch
w4
falsch
w5
w5
...
...
Es ist unmöglich, dass S.
w1
w2
wahr
h
w3
w4
falsch
w5
...
Existieren alternative mögliche Welten tatsächlich?
Realismus: Auch die anderen möglichen Welten mit ihren Einwohnern, auch
wenn sie in unserer Welt nicht aktuell existieren, existieren tatsächlich und sind
real.
l
Aktualismus: Nur diejenigen Entitäten existieren, die auch in unserer Welt
existieren.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
426
Lewis´ realistische Deutung
David Lewis (1941-2001)
Lewis gilt als einer der wichtigsten
amerikanischen Philosophen, der auf
fast allen Gebieten der theoretischen
Philosophie arbeitete und wichtige
Beiträge lieferte. Am einflussreichsten
waren vielleicht seine Arbeiten zum
Begriff der möglichen Welten.
Welten
SS 2010
Convention. A Philosophical Study
(1969)
„General Semantics“ (1970)
Counterfactuals (1973)
„Adverbs of Quantification“ (1975)
(
)
„How to Define Theoretical Terms“
(1978)
„Scorekeeping in a Language Game“
(1979)
„Attitudes De Dicto and De Se“ (1979)
Einführung in die Theoretische Philosophie
427
On the Plurality of Worlds (1986)
Lewis´ realistische
Interpretation
Die realistische Interpretation möglicher Welten setzt eine Pluralität von Universen
voraus die genau so real sind,
voraus,
sind wie der Kosmos,
Kosmos in dem wir leben.
leben Unsere Welt ist lediglich
Teil der umfassenden Realität aller Kosmen.
Die anderen Welten können wir wegen der raum-zeitlichen und der kausalen Trennung
von unserer Welt nicht erreichen.
erreichen Es ist sinnlos nach räumlichen,
räumlichen zeitlichen oder kausalen
Verbindungen zwischen den Individuen der verschiedenen Welten zu fragen.
In Bezug auf die Identität von Individuen in verschiedenen Welten kann der Realist aufgrund
der unterstellten Realität der anderen Welten nicht behaupten,
behaupten dass diese mit den
Gegenstücken (counterfactuals), die in den anderen Welten existieren, identisch sind. Dass
Merkel in einer anderen Welt Philosophin statt Bundeskanzlerin ist, muss demnach so
analysiert werden, dass ein ihm ähnliches Gegenstück in einer anderen Welt Philosoph ist. Es
gibt keine Transwelt-Identität, sondern nur Welt-gebundene Individuen, die ähnliche
Gegenstücke in anderen Welten besitzen.
Die anderen möglichen Welten sind nicht weniger real als unsere aktuale Welt. Der Ausdruck
„aktual“ dient lediglich als indexikalischer Ausdruck, der sich auf diejenige Welt bezieht,
in der er geäußert wird. Er impliziert keinen ontologischen Vorrang unserer Welt gegenüber
allen anderen. Die aktuale Welt ist daher nicht diejenige Welt, die allein existiert, sondern
eben diejenige Welt, in der dieser Ausdruck jeweils geäußert wird.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
428
Modalitäten und mögliche Welten
Eigenschaft: Eine Eigenschaft P ist eine Funktion, die jeder möglichen Welt die Menge von
Individuen zuordnet,
zuordnet auf die der entsprechende Allgemeinbegriff P zutrifft.
zutrifft
Essentielle Eigenschaft: Ein Individuum x hat eine Eigenschaft P notwendig, wenn in jeder
möglichen Welt, in der es ein Gegenstück y zu x gibt, y P besitzt.
Proposition: Die Proposition, die ein Satz S ausdrückt, ist die Menge der möglichen Welten,
in denen S wahr ist.
Notwendigkeit: Ein Satz S ist notwendig, wenn er in allen möglichen Welten wahr ist.
Eine notwendige wahre Proposition muss als die Menge aller möglichen
Welten dargestellt werden. Davon gibt es aber nur eine, so dass alle
notwendigen Wahrheiten miteinander identisch sind.
Notwendig falsche Propositionen sind in keiner möglichen Welt wahr sind
und müssen damit als die leere Menge von Welten dargestellt werden, die es
ebenfalls nur einmal gibt.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
429
Plantingas aktualistische
Deutung
Alvin Plantinga
Die aktualistische Sicht auf mögliche
Welten wird u.a. von Alvin Plantinga
vertreten Er lehrt an der Universität von
vertreten.
Notre Dame (Indiana) und ist vor allem
durch seine religionsphilosophischen wie
auch
seine
ontologischen
Arbeiten
bekannt geworden.
geworden
„Transworld Identity or Worldbound
(
)
Individuals“ (1973)
The Nature of Necessity (1974)
„Actualism and Possible Worlds“ (1976)
„How to be an Anti-Realist“ (1982)
„Two Concepts of Modality. Modal
Realism and Modal Reductionism“ (1987)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
430
Plantingas aktualistische
Interpretation
Nichtreduktivität
Mögliche Welten sind maximale, kohärente, mögliche Tatsachen, d.h.
abstrakte Entitäten, die realisiert sein können oder nicht. Nur eine einzige dieser
möglichen maximalen Tatsachen besteht: unsere aktuale Welt.
Ein Gegenstand x existiert in einer möglichen Welt w, wenn es unmöglich ist,
dass w aktual ist, ohne dass x existiert. Existenz ist keine echte Präsenz in einer
Welt, sondern sondern sie wird kontrafaktisch behauptet: Würde die Welt w
aktual sein, dann würde x existieren.
Ein Aktualist nimmt an, dass die Rede von ein und demselben Individuum in
verschiedenen Welten sinnvoll ist. Wenn wir also behaupten, dass Merkel auch
Philosophin sein könnte, dann sagen wir etwas über die aktuale Merkel aus und
nicht über irgendein ähnliches Gegenstück von Merkel in einer anderen Welt
(Transwelt-Identität).
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
431
Identität
Identität und Existenz
In der Logik wird der Begriff der Existenz oft über den Begriff der Identität eingeführt:
a existiert
i i
=def Es
E gibt
ib mindestens
i d
ein
i x, so dass
d
gilt:
il x = a.
Formen der Identität
• numerische vs. qualitative Identität (Selbigkeit vs. Gleichheit)
• notwendige vs. kontingente Identität
• absolute vs. relative Identität
• synchrone vs. diachrone Identität
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
432
Eigenschaften der Identität
Reflexivität
Symmetrie
Transitivität
x=x
x=y→y=x
x=y&y=z→x=z
Leibniz´ Gesetz
x = y ↔ ∀F [F(x) ↔ F(y)]
Ununterscheidbarkeit des Identischen x = y → ∀F [F(x) ↔ F(y)]
Falls x mit y identisch ist, dann stimmt x mit allen Eigenschaften von y überein.
Identität des Ununterscheidbaren
∀F [F(x) ↔ F(y)] → x = y
Falls x in allen Eigenschaften mit y übereinstimmt, dann ist x identisch mit y.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
433
Identitätsbedingungen als methodisches
Mittel zur Klärung ontologischer
Fragestellungen
g
g
„No entity without identity.“ W.V. Quine
Bündeltheorien
Identität des Ununterscheidbaren
∀F [F(a) ↔ F(b)] → a = b
Essentialismus (Substanzentheorie)
Substanz-Kriterium
∀Fe [Fe(a) ↔ Fe(b)] → a = b
Haecceitas
Haecceitas-Kriterium
∀Fhaec [Fhaec(a) ↔ Fhaec(b)] → a = b
B
Bare
P tik l
Partikulars
(S b t tth
(Substrattheorie)
i )
Substrat-Kriterium
∃z [S(z, a) & S(z, b)] → a = b
Raum-Zeit-Regionen
Lemmon Kriterium
SS 2010
(xa, ya, za, ta) = (xb, yb, zb, tb) → a = b
Einführung in die Theoretische Philosophie
434
Diachrone Identität Theseus´
Schiff
Fall 1: Stellen wir uns ein Schiff aus Holz vor und nennen es S zu t1. Nun
werden
d
di Teile
die
il von S im
i
Laufe
f der
d
Zeit
i alle
ll durch
d
h neue Teile
il ersetzt bis
bi zu
einem Zeitpunkt t2, zu dem das Schiff vollständig aus ersetzten Teilen besteht.
Nennen wir dieses Schiff zum Zeitpunkt t2 entsprechend Sneu.
Frage: Ist S identisch mit Sneu?
Fall 2: Stellen wir uns nun vor,
vor die alten Teile des Schiffes S werden jedes Mal in
irgendein Lagerhaus gebracht, so dass, nachdem das ganze Schiff erneuert
wurde, das alte Schiff aus den alten Teilen zum Zeitpunkt t2 woanders wieder
aufgebaut
g
werden kann. Nennen wir nun das wiederaufgebaute
g
Schiff Salt.
Frage: Ist S identisch mit Salt?
Problem: Das restaurierte Schiff Sneu und das wieder aufgebaute Schiff Salt sind
zwei (numerisch) verschiedene Schiffe. Mit welchem der beiden ist S identisch?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
435
Diachrone Identität
Perdurantismus vs. Endurantismus
Salt
Endurantismus
S
t0
S
t1
Sneu
t2
Perdurantismus
t
zeitliche Teile
von Salt
S ist zeitlicher Teil von Salt und zeitlicher Teil von Sneu
zeitliche Teile
von Sneu
t0
SS 2010
t1
Einführung in die Theoretische Philosophie
t2
t
436
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
437
Ontologie und Metaphysik
Kategoriale Ontologie
Dinge
Eigenschaften
Sachverhalte
Ereignisse
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
438
Dinge und ihre Eigenschaften
Dinge sind konkret (räumlich und zeitlich lokalisierbar)
Dinge sind den Sinnen zugänglich
Dinge sind partikulär
Dinge verändern sich
Dinge existieren nur kontingenterweise
Dinge und ihre Eigenschaften (Universalienstreit):
Dinge sind irreduzibel und ontologisch basal (Nominalismus)
Dinge sind komplex und ontologisch abgeleitet (Realismus)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
439
Das Universalienproblem
Der Tisch ist rot.
Sokrates ist weise.
Die Blume ist schön.
Gibt es so etwas wie die Röte, die Weisheit oder die Schönheit – also
abstrakte (vs. konkrete) bzw. universale (vs. partikuläre) Entitäten?
Realismus
Nominalismus
Tropentheorie
Ja, es gibt universale
Gegenstände.
Nein, es gibt keine
universalen
Gegenstände. Wir
h b
haben
es nur mit
i
konkreten
Einzeldingen zu tun,
von
on denen gewisse
ge i e
Eigenschaften
„ausgesagt“ werden.
Eigenschaften sind
konkret und
gegenüber den
Ei
Einzelgegenständen
l
ä d
basal.
ante rem
SS 2010
in re
Einführung in die Theoretische Philosophie
440
Universalienrealismus
Bündeltheorie
Zwei Eigenschaften sind kopräsent, wenn sie an derselben Raumzeitstelle auftreten.
Konkrete Einzelgegenstände sind Mengen (Bündel) von Eigenschaften,
die in der Relation der Kopräsenz zueinander stehen.
Zwei Dinge nur dann voneinander unterscheiden, wenn sie sich mindestens in
einer Eigenschaft unterscheiden. Völlige Übereinstimmung kopräsenter
Eigenschaften impliziert daher Identität der entsprechenden Gegenstände:
Die Identität des Ununterscheidbaren
∀F [
[F(x)
( ) ↔ F(y)]
(y)] → x = y
Einschränkung: Zwei Einzeldinge lassen sich nur dann voneinander
unterscheiden, wenn sie sich in mindestens einer intrinsischen Eigenschaft
g
unterscheiden.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
441
Universalienrealismus
Bare Particulars Theorie
Konkrete Einzeldinge sind Komplexe aus zwei Konstituenten, einem
eigenschaftslosen Substrat (bare particular) und einem Bündel von
Eigenschaften, die diesem Substrat jeweils zukommen.
Ein bare particular ist das,
das was übrig bleibt,
bleibt wenn man von allen
Eigenschaften eines partikulären Dinges abstrahiert.
Ein bare
Ei
b
particular
ti l
i t der
ist
d
T ä
Träger
d
der
Ei
Eigenschaften
h ft
eines
i
k k t
konkreten
Einzelgegenstandes.
Ein bare particular ist der letzte Grund der Individualität eines Dinges
und damit der Garant für die numerische Verschiedenheit.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
442
Universalienrealismus
Tropentheorie
Konkrete Einzelgegenstände sind Mengen (Bündel) kopräsenter Tropen.
Tropen sind konkret: sie existieren an ganz bestimmten Stellen im
Raum und in der Zeit. Keine zwei konkreten Eigenschaften können zur
selben Zeit an mehreren verschiedenen Orten vorkommen.
vorkommen
Ein konkreter Diamant ist z.B. eine Menge besonderer, konkreter Fälle
von Härte,
Hä t
D
Durchsichtigkeit,
h i hti k it Glanz,
Gl
K i t ll t kt
Kristallstruktur,
M
Masse,
S lidität
Solidität,
Temperatur usw.
Begriffe: Tropen, abstract particulars, cases, Eigenschaftsinstanzen
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
443
Probleme der Bündeltheorie
Max Blacks identische Kugeln
Die Bündeltheorie leidet unter der Schwierigkeit, dass
nicht alle Autoren anerkennen,
anerkennen dass es nicht zwei
numerisch verschiedene Einzelgegenstände geben
kann, die in allen intrinsischen Eigenschaften genau
übereinstimmen.
Black Max: „The
Black,
The Identity of Indiscernibles“
Indiscernibles (1952)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
444
Probleme: bare particulars und
Tropentheorie
Bare Partikulars Theorie
Widersprüchlichkeit
Einem eigenschaftslosen Substrat dürfte die Eigenschaft „Träger von Eigenschaften
zu sein“ nicht zukommen, doch diese Eigenschaft kommt ihm wesentlich zu.
Infiniter Regress
Unter welchen Umständen handelt es sich um zwei und nicht um ein und denselben
Träger? Braucht es nicht wiederum etwas, das die numerische Verschiedenheit der
bare particulars begründet?
Tropentheorie
Ähnlichkeit
Worauf ist die Ähnlichkeit zweier Gegenstände zurückzuführen, wenn es keine
Eigenschaften gibt, die diese begründen könnten?
Lokalisierung
Tropen sind als konkrete Entitäten nicht exklusiv. Die Farbe, das Gewicht und die
Form einer einzelnen Erbse kommen alle an derselben Raumzeitstelle vor. Es ist nicht
leicht dieser Idee einen präzisen Sinn abzugewinnen
leicht,
abzugewinnen, der nicht kontraintuitiv ist
ist.
Ultraessentialismus vs. Antiessentialismus
Unseren Alltagsintuitionen zufolge kommen einem Ding mache Eigenschaften wesentlich (essentiell) zu, während ihm andere nur
zufällig
g ((akzidentiell)) zukommen. Ein ding
g verändert sich,, wenn es akzidentelle Eigenschaften
g
annimmt bzw. verliert.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
445
Nominalismus
Warum gibt es keine Universalien?
Multiple Exemplifizierung
Kann ein und dieselbe Entität an verschiedenen Orten und Zeiten gleichzeitig
präsent sein? Ist die Aussage „Die Röte ist 10 Meter von sich selbst entfernt.“
sinnvoll?
Identitätsbedingungen
Die Frage, wann zwei Eigenschaften E1 und E2 identisch sind, lässt sich nicht klar
beantworten. (no entity without identity)
Ockhamsches Rasiermesser
Wenn zwei Theorien dieselbe explanative Stärke besitzen, dann ist diejenige zu
vorzuziehen,
i h
welche
l h mit
it weniger
i
i d ibl
irreduziblen
A
Annahmen
h
auskommt.
k
t
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
446
Nominalismus
Spielarten des Nominalismus
Strikter Nominalismus
Idee: Es ist eine basale,, irreduzible Tatsache der Welt,, dass verschiedene
Gegenstände in ihren Eigenschaften übereinstimmen. Es muss keine besonderen
universalen Entitäten geben, um diese Tatsache zu erklären!
„Sokrates ist weise“ ist wahr, genau dann wenn:
(i) „Sokrates“ ein Individuum benennt, und
(ii) das von „Sokrates“ benannte Individuum eines der
Individuen ist, auf welches den Ausdruck „ist weise“ zutrifft.
Man muss nicht behaupten, Sokrates sei weise, wenn Sokrates die Eigenschaft
d Weisheit
der
h
b i
besitzt.
Statt dessen
d
k
können
wir behaupten,
b h
d
dass
Sokrates
k
weise
ist, wenn der Ausdruck „ist weise“ auf Sokrates zutrifft. Das Zutreffen eines
Ausdrucks auf einen konkreten Einzelgegenstand ist eine irreduzible Tatsache.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
447
Nominalismus
Spielarten des Nominalismus
Metalinguistischer Nominalismus
Aussagen
g
über abstrakte oder universale Gegenstände
g
sind implizit
p
metalingustisch: sie sind versteckte Weisen, um über sprachliche Ausdrücke zu
sprechen. (Roscelin, Abelard William von Ockham, Rudolf Carnap, Wilfrid Sellars)
Sätze, die scheinbar Aussagen über universale Gegenstände beinhalten, werden
als Sätze analysiert, in denen über allgemeine Ausdrücke (über nomina)
gesprochen wird.
Der Charakter der Allgemeinheit oder Universalität kommt nicht besonderen
Entitäten wie Eigenschaften zu; sie hat – so die Ansicht der metalinguistischen
Nominalisten - ihre Wurzeln in der Sprache.
Sprache Ausdrücke,
Ausdrücke nicht Entitäten,
Entitäten können
universal sein, indem sie auf mehrere konkrete Dinge zutreffen können.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
448
Nominalismus
Spielarten des Nominalismus
Konstruktiver Nominalismus
Idee: Prädikate wie „Röte“, „Tapferkeit“, „Schönheit“ usw. stehen nicht für
Eigenschaften, sondern für Mengen konkreter Einzelgegenstände.
“schwarz“ denotiert die Menge A = {1, 5, 8, 9, 10, 12, 13}
“schön“ denotiert die Menge D = {4, 7, 8, 9, 11, 12, 13}
Wenn wir nun sagen, dass der Tisch schwarz ist, dann können wir das so
rekonstruieren, dass wir damit sagen, dass ein spezieller Einzelgegenstand,
beispielsweise hier die Nummer 8, ein Element der Menge der roten
G
Gegenstände,
tä d also
l hier
hi der
d Menge
M
A ist.
i t
Wir haben damit Eigenschaften auf Dinge und Mengen zurückgeführt.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
449
Nominalismus
Bezugnahme auf abstrakte Entitäten
Tapferkeit ist eine Tugend.
Rot ist eine Farbe.
Problem: Während „Tapferkeit ist eine Tugend“ein wahrer Satz ist, ist
die Aussage „Tapfere Menschen sind tugendhaft.“ falsch!
Strikter Nominalismus
Tapfere Menschen sind tugendhaft.
Metalinguistischer Nominalismus
„Tapferkeit“ ist ein Tugend-Prädikat.
Konstruktiver Nominalismus
Rote Dinge sind farbig.
Problem: Ersatz nichtlinguistischer Universalien durch linguistische
Universalien
„Rot“ ist ein Farb-Prädikat.
Problem: Koextensionalität, Mengenzugehörigkeit
Die Menge
g der Farben enthält als Element die Menge
g der roten Gegenstände.
g
Die Menge der Tugenden enthält als Element die Menge der Tapferen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
450
Konstruktiver Nominalismus
Koextensionalität
Lebewesen mit Nieren
Lebewesen mit Herz
w1
w2
w3
w4
w5
...
w1
w2
w3
w4
w5
...
{a, b, c, d}
{a, b, c}
{c, d}
{a d}
{a,
{∅}
{a, b, c, d}
{a, b, c}
{a, b}
{b c,
{b,
c d}
{∅}
Mengenzugehörigkeit
Ein Gegenstand x gehört genau dann zur Menge M,
M wenn er dem Gegenstand a
ähnlich ist und a ein paradigmatischer Gegenstand für M ist, d.h. wenn er zu der
von a konstituierten Ähnlichkeitsklasse gehört.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
451
Dinge und ihre Eigenschaften
Realismus
Bündeltheorie
Bare Particulars
Tropentheorie
Eigenschaften sind
basal und abstrakt
basal und abstrakt
basal und konkret
Dinge sind
Bündel kopräsenter
Eigenschaften
g
Komplexe aus Bündeln
von Eigenschaften
g
und
einem Substrat als dem
Träger derselben
Bündel kopräsenter
Eigenschaften
g
Probleme
Leibniz-Prinzip
Widersprüchlichkeit
Infiniter Regress
Ähnlichkeit
Lokalisierung
Essenzen?
Ultraessentialismus
Antiessentialismus
Ultraessentialismus
Nominalismus
Strikter
Nominalismus
Metalinguistischer
Nominalismus
Konstruktiver
Nominalismus
Eigenschaften
beruhen auf irreduziblen
Tatsachen der Welt
haben einen metalinguistischen Charakter
a) sind Mengen
b) sind Funktionen
Di e sind
Dinge
i d
b
basal
l und
d konkret
k k t
b
basal
l und
d konkret
k k t
b
basal
l und
d konkret
k k t
Probleme
Bezugnahme auf
abstrakte Entitäten
Linguistische Universalien
Koextensionalität
Ähnlichkeit
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
452
Was spricht für Sachverhalte?
1. Die Erfolglosigkeit von Nominalismus und Realismus
Weder die (realistische) Reduktion von Dingen auf Bündel von Eigenschaften,
noch die (nominalistische) Elimination der Eigenschaften scheinen erfolgreich zu
sein.
i
2. Der unauflösbare Zusammenhang von Dingen und Eigenschaften
„... wir nehmen Dinge, Eigenschaften und Beziehungen nie abgesondert und für
sich wahr ..., sondern immer nur im Zusammenhang von Sachverhalten.“ (Erwin
Tegtmeier)
3. Das Wahrmacher-Prinzip (truth-maker principle)
Wenn der Satz „Dieser Tisch ist rot.“ wahr ist, dann muss der Sachverhalt des
Rot-seins des Tisches existieren.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
453
Sachverhaltskonzeptionen
Sachverhalte sind konkrete, partikulare Entitäten, deren
Konstituenten
i
k k
konkrete
Entitäten
iä
( i
(Dinge,
k k
konkrete
Eigenschaften)
i
h f
)
sind. (David Armstrong)
Sachverhalte
S
h
h lt
sind
i d abstrakte
b t kt
E tität
Entitäten,
d
deren
K
Konstituenten
tit
t
konkrete und abstrakte Entitäten (Dinge, abstrakte Eigenschaften)
sind. (Betrand Russell)
Sachverhalte sind abstrakte Entitäten, deren Konstituenten nur
abstrakte Entitäten sind. (Gottlob Frege)
Sachverhalte sind ontologisch basal und nicht aus anderen
Entitäten zusammengesetzt.
g
Dinge
g
oder Eigenschaften
g
sind
Abstraktionen aus und nicht Konstituenten von Sachverhalten.
(Francis Bradley)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
454
Sachverhalte
Identitätsbedingungen für Sachverhalte?
Über jeden Gegenstand lassen sich endlos viele wahre Aussagen treffen:
Dieser Tisch ist rot.
Dieser Tisch ist einen Meter hoch.
Dieser Tisch hat vier Beine.
...
Diese Sätze haben alle unterschiedliche Wahrmacher!
Die Schwierigkeit anzugeben, in wie viele Tatsachen der Tisch tatsächlich
involviert ist, lässt zu dem Schluss kommen, dass wir über keine zuverlässigen
Identitätskriterien für Tatsachen verfügen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
455
Donald Davidson: Gibt es
Ereignisse?
Donald Davidson (1917 – 2003)
Davidson gilt als einer der prominentesten
Vertreter der analytischen Philosophie in der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine
A f ät auff den
Aufsätze
d
G bi t
Gebieten
d Semantik,
der
S
tik der
d
Erkenntnistheorie,
der
Philosophie
des
Geistes sowie der Ontologie waren sehr
einflussreich. Davidsons großes Vorbild war
W.V. Quine, an dessen Position er kritisch
und konstruktiv angeschlossen hat.
„The Logical Form of Action Sentences“
(1967)
„Truth and Meaning“ (1967)
„On Saying That“ (1968)
„Events as Particulars“ (1970)
„Mentall Events““ (1970)
( 9 0)
„Radical Interpretation“ (1973)
„A Coherence Theory of Truth and
Knowledge“ (1983)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
456
Donald Davidson: Gibt es
Ereignisse?
Doris singt.
Doris singt.
Doris exemplifiziert die Eigenschaft des
Singens.
Es gibt ein Ereignis, welches ein Singen
und von Doris ist.
∃e (e ist ein Singen & e ist von Doris)
Singen (d)
Doris singt bei Nacht laut in ihrem
Wohnzimmer.
„Doris“, „bei Nacht“, „laut“ und „in
Doris´ Wohnzimmer“ stehen in der
vierstelligen Relation des Singens.
Singen (d, nachts, laut, im WZ)
SS 2010
g bei Nacht laut in ihrem
Doris singt
Wohnzimmer.
Es gibt ein Ereignis, welches ein Singen
ist von
ist,
on Doris
Do is ist,
ist bei Nacht stattfindet,
stattfindet
laut ist und in Doris` Wohnzimmer
stattfindet.
∃e (e ist ein Singen & e ist von Doris &
e ist bei Nacht & e ist laut & e ist im
Wohnzimmer)
Einführung in die Theoretische Philosophie
457
Was sind Ereignisse?
Ereignisse als Elemente von Kausalbeziehungen
Ereignisse sind genau dann miteinander identisch, wenn
sie dieselbe kausale Rolle besitzen. (D. Davidson)
Ereignisse als Raum-Zeit-Zonen
Ereignisse sind genau dann miteinander identisch, wenn
sie dieselbe Raumzeitstelle ausfüllen.
ausfüllen (W.V.O.
(W V O Quine)
Ereignisse als Exemplifikationen von Eigenschaften
Ereignisse sind genau dann miteinander identisch, wenn
sie denselben Träger besitzen, dieselbe Eigenschaft
exemplifizieren und zur selben Zeit vorkommen. (J. Kim)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
458
Ereignisse als Elemente von
Kausalbeziehungen
Identitätskriterium: Elemente von Kausalbeziehungen
„Ereignisse sind dann und nur dann identisch, wenn sie genau dieselben
Ursachen und Wirkungen haben“ (Donald Davidson)
∀ u, w ((u verursachte e1) ↔ (u verursachte e2) & (e1 verursachte w) ↔ (e2
verursachte w)) → e1 = e2
Probleme
Ereignisse
vs
vs.
Zustände:
Akzeptiert
man
die
kausale
Rolle
als
Identitätsbedingung für Ereignisse, so stellt sich die Frage, ob diese nicht auch in
genauer Entsprechung für Zustände gelten muss.
Zirkularität: Im Explans kommen die Variablen u und w vor, welche für Entitäten
stehen, die als Ursachen und Wirkungen von Ereignissen in Frage kommen. Als
Ursachen und Wirkungen jedoch gelten wiederum Ereignisse.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
459
Ereignisse als Raum-Zeit-Zonen
Identitätskriterium für Ereignisse (Lemmon-Kriterium)
„we may ... identify events with space-time-zones“ (E.J. Lemmon)
„... physical objects are well individuated, being identitical if and only if
spatiotemporally identical. (W.V. Quine)
∀ x,y,z,t (x,y,z (e1) = x,y,z (e2) & t (e1) = t (e2) → e1 = e2
Probleme
Drehung und Erwärmung: Stellen wir uns eine
Metallkugel vor, die sich während einer
bestimmten Zeitspanne erwärmt und
gleichzeitig eine Drehung durchmacht.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
460
Kim: Ereignisse als
Eigenschaftsexemplifikationen
g
p
Jaegwon Kim
Kim
ist
ein
koreanisch-amerikanischer
Philosoph, der derzeit an der Brown
University lehrt.
lehrt Er beschäftigt sich vor allem
mit der Philosophie des Geistes, der
Ontologie sowie der Wissenschaftstheorie.
„Events
E
t and
d Their
Th i Descriptions“
D
i ti
“ (1969)
„Events as Property Exemplifications“ (1976)
„Psychophysical Supervenience“ (1982)
„Mental Causation in a Physical World
World“
(1993)
Supervenience and Mind (1993)
Philosophy of Mind (1996)
Mind in a Physical World (1998)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
461
Kim: Ereignisse als
Eigenschaftsexemplifikationen
g
p
Identitätsbedingung für Ereignisse
x = y & P = Q & t1 = t2 → [x, P, t1] = [y, Q, t2]
K
Kanonische
i h Notation:
N t ti
[ P,
[x,
P t]
x ... der
d Träger
T ä
von e
P ... die konstitutive Eigenschaft von e
t ... die Zeit des Vorkommens von e
Probleme
Feinkörnigkeit: Sebastian spaziert gemütlich durch Bologna. Wie viele Ereignisse finden
statt?
Ereignis 1: Sebastians Spaziergang.
Ereignis 2: Sebastians gemütlicher Spaziergang
Ereignis 3: Sebastians Spaziergang durch Bologna
Nicht jeder Spaziergang ist ein gemütlicher Spaziergang und nicht jeder gemütliche
Spaziergang ist ein Spaziergang durch Bologna usw. Es handelt sich um verschiedene
Eigenschaften und damit um numerisch verschiedene partikuläre Ereignisse!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
462
Philosophische Fakultät Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Dr. Holm Bräuer
6. Philosophie des Geistes
SS 2010
Tod und Narr aus dem Großbaseler Totentanz
Einführung in die Theoretische Philosophie
(Kupferstichkopie von Matthäus Merian 1621) 464
Problembereiche
Ontologie
Körper-Geist-Problem
Erkenntnistheorie
Priorität der ersten Person
Problem des Fremdpsychischen
Wissenschaftstheorie
Problem der Methodologie
Status psychophysischer Gesetze
Sprachphilosophie
Problem der Bedeutung mentaler Begriffe
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
465
Das Leib-Seele-Problem
Gibt es neben den physischen Dingen auch noch immaterielle, geistige Entitäten,
di die
die
di Träger
ä
mentaler
l Eigenschaften
i
h f
sind?
i d?
Dualisten
Ja, es gibt immaterielle, geistige Substanzen
Der Geist (die Seele) ist der Träger psychischer Eigenschaften.
Problem: In welchen Verhältnis stehen die beiden verschiedenen Entitäten?
Physikalisten
Nein, es gibt nur physische Gegenstände.
Psychische Eigenschaften treffen auf physische Gegenstände zu.
Problem: Wie lässt sich dann das Bewusstsein physikalisch erklären?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
466
Geist und Welt
Die charakteristischen
M k
Merkmale
l des
d
Mentalen
M t l
und die Probleme der
N t
Naturalisierung
li i
d
des G
Geistes
i t
Empfindungen
Qualitativer Erlebnischarakter
Empfindungen sind in erster Linie durch
ihren
phänomenalen
Erlebnischarakter
definiert, durch das, was man erlebt oder
fühlt wenn man eine Empfindung hat,
fühlt,
hat oder
die Art, wie es ist, eine solche Empfindung
zu haben.
Gehirnzustände hat man, aber man erlebt
sie nicht. Wie soll es überhaupt möglich sein,
dass
es
sich
irgendwie
anfühlt
ein
bestimmtes Wahrnehmungserlebnis (z.B.
(z B
einer grünen Wiese) zu besitzen, wenn man
dabei in einem bestimmten Gehirnzustand
ist?
Ei t ll
Einstellungen
Intentionalität
Einstellungen wie Überzeugungen, Wünsche,
Erwartungen, Befürchtungen usw. zeichnen
sich dadurch aus, dass sie auf etwas
gerichtet sind, dass sie einen Inhalt
besitzen.
SS 2010
Manche mentalen Zustände haben einen
repräsentationalen Inhalt bzw. sind auf ein
bestimmtes Objekt gerichtet. Wie aber ist es
möglich, dass physische Zustände dieses
Merkmal aufweisen?
Einführung in die Theoretische Philosophie
467
Philosophie des Geistes
Substanz-Dualismus
Spielarten des Physikalismus
Semantischer Physikalismus
Logischer Behaviorismus
Identitätstheorie
Funktionalismus
Anomaler Monismus
Supervenience-Theorie
Repräsentationale Theorie des Geistes
Theorie intentionaler Systeme
Eliminativer Materialismus
Die Naturalisierung des Geistes
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
468
Substanz-Dualismus
Typische Annahmen (insbesondere der christlichabendländischen Kultur)
Der Mensch besteht aus einem materiellen Körper und einer immateriellen Seele.
Die Seele macht das eigentliche Selbst des Menschen aus.
aus
Körper und Seele sind nur während des Lebens eines Menschen miteinander
verbunden Nach dem Tode löst sich die Seele vom Körper ab
verbunden.
ab.
Die Seele benötigt für ihre Existenz keinen Körper. Sie kann auch ohne diesen,
für sich selbst existieren.
Während der Körper vergänglich ist, ist die Seele unsterblich.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
469
Platon über die Unsterblichkeit
der Seele
Platon (427 v. Chr. – 348 v. Chr.)
Platon stammte aus vornehmer Familie.
Unter dem Einfluss seines Lehrers Sokrates
begann er sich,
sich der Philosophie zuzuwenden.
zuzuwenden
Er gründete um 386 v.Chr. in Athen seine
eigene Schule, die Akademie.
Alle von Platon veröffentlichten Schriften
sind überliefert.
überliefert Seine Schriften sind mit
Ausnahme der Apologie (Die Verteidigung
des Sokrates) und einer Anzahl Briefen als
Dialoge abgefasst. In seinem Werk "Der
Staat" entwickelt er seine Theorie des
Staat
idealen Staates. Später entwickelte er seine
Staatstheorie in den "Nomoi" (Gesetze)
weiter. In fortgeschrittenem Alter reiste er
noch zweimal nach Syrakus auf Sizilien (366
und 361), wo er den jungen Tyrannen
Dionysios II unterrichtete.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
470
Platon über die Unsterblichkeit
der Seele
Platons Argumente für den Substanz-Dualismus (Phaidon)
Der Zyklus des Entstehens und Vergehens
Zu jedem Prozess, der von A nach B führt, muss es einen Prozess geben, der umgekehrt von B nach A führt.
Insbesondere muss es zum Prozess des Sterbens den entsprechenden Prozess des Wiederauflebens geben.
Di Seelen
Die
S l
müssen
ü
sich
i h nach
h dem
d
T d und
Tod
d vor dem
d
Wi d
Wiederaufleben
fl b
i
irgendwo
d
aufhalten.
fh lt
Erinnerung
Wir verfügen
g
über Wissen,, das wir nur vor der Geburt erworben haben können. Zu diesem Wissen g
gelangen
g
wir dadurch, dass sich die Seele wieder daran erinnert. Also muss die Seele schon vor der Geburt existiert
haben.
Verwandtschaft von Seele und Ideen
Während die Seele nach der Erkenntnis ewiger Ideen strebt, richtet sich der Körper auf die Welt der
vergänglichen Dinge. Es gibt also eine Verwandtschaft zwischen Körper und vergänglicher Welt und Seele
und der Welt der unvergänglichen Ideen.
Seele als Lebensprinzip
Die Seele verleiht allem, wovon sie Besitz ergreift, Leben. Wenn die Seele allem, dem sie innewohnt,
Teilhabe am Leben verleiht und Teilhabe am Tod verhindert, dann kann sie nicht selbst etwas sein, dass
vergänglich ist. Also ist die Seele unsterblich.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
471
Descartes
res cogitans und res extensa
René Descartes (1596 – 1650)
Descartes war Mathematiker und gilt als
Gründer des neuzeitlichen Rationalismus. Da
er in einer Zeit lebte als traditionelle Ideen
hinterfragt wurden, suchte er nach einer
Methode, mit der man zu wahrer und
gesicherter Erkenntnis kommen konnte. Sein
Problem
und
seine
Methode
des
systematischen
Zweifels
hatten
einen
enormen Einfluss auf die nachfolgende
Entwicklung der Philosophie, was ihn zu dem
„Vater der Philosophie der Neuzeit
Neuzeit“ machte.
Diskurs über die Methode (1637)
p
Meditationen über die erste Philosophie
(1641)
Prinzipien der Philosophie (1644)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
472
Descartes: res cogitans und res
extensa
Das metaphysische Argument
„Zuerst: da ich weiß, dass alles, was ich klar und deutlich begreife, von Gott in
der Weise gemacht werden kann, wie ich es begreife, so reicht es aus, daß ich
eine Sache ohne eine andere klar und deutlich begreifen kann, damit ich sicher
bin, daß die eine von der anderen verschieden ist, ... Und deshalb: gerade
daraus, daß ich weiß, ich existiere, und daß ich bisher nichts anderes zu meiner
Natur oder meinem Wesen gehörig bemerke,
bemerke außer daß ich ein denkendes Ding
bin, eben daraus schließe ich mit Recht, daß mein Wesen allein darin besteht,
daß ich ein denkendes Ding bin. ... da ich auf der anderen Seite eine klare und
deutliche Idee von mir selbst habe, insofern ich ein denkendes, nicht
ausgedehntes Ding bin, und auf der anderen Seite eine deutliche Idee vom
Körper, insofern dieser nur ein ausgedehntes nicht denkendes Ding ist, so ist,
sage ich, gewiß, daß ich von meinem Körper wirklich verschieden bin und ohne
ihn existieren kann.
kann “ (René Descartes,
Descartes Meditationen über die erste Philosophie)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
473
Descartes: res cogitans und res
extensa
Das metaphysische Argument
Alles, was man klar und deutlich einsehen kann, ist möglich.
Man kann klar und deutlich begreifen, dass man allein mit der
Eigenschaft zu denken existieren kann.
Man kann klar und deutlich einsehen, dass Körper ohne zu denken
existieren können.
Es ist möglich, dass körperliche Substanzen (res extensa) und
geistige Substanzen (res cogitans) nicht identisch sind.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
474
Descartes: res cogitans und res
extensa
Das metaphysische Argument
(1) Wenn a = b, dann ist a = b notwendig. (Identitätsprinzip)
(2) Wenn a = b nicht notwendig ist,
ist dann ist a ≠ b.
b (Kontraposition)
(3) Wenn a ≠ b möglich ist, dann ist es nicht notwendig, dass a = b.
(Bedeutung des Wortes notwendig)
Es ist möglich, dass körperliche Substanzen (res extensa) und geistige
Substanzen (res cogitans) nicht identisch sind.
Körperliche Substanzen (res extensa) und geistige Substanzen
(res cogitans) sind nicht identisch.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
475
Descartes: res cogitans und res
extensa
Das naturphilosophische Argument
„... gäbe es .... Maschinen, die unseren Körpern ähnlich wären und unsere
Handlungen insoweit nachahmten, wie dies für Maschinen wahrscheinlich möglich
ist so hätten wir immer zwei ganz sichere Mittel,
ist,
Mittel um zu erkennen,
erkennen daß sie
keineswegs wahre Menschen sind. Erstens könnten sie nämlich niemals Worte
oder andere Zeichen dadurch gebrauchen, daß sie sie zusammenstellen, wie wir
es tun, um anderen unsere Gedanken mitzuteilen. ... [Und zweitens:] Sollten
diese Maschinen auch manches ebenso gut oder sogar besser verrichten als
irgendeiner von uns, so würden sie doch zweifellos bei vielem anderen versagen,
wodurch offen zutage tritt, daß sie nicht aus Einsicht handeln, sondern nur
aufgrund der Einrichtung ihrer Organe.
Organe
Denn die Vernunft ist ein
Universalinstrument, das bei allen Gelegenheiten zu Diensten steht, während
diese Organe für jede besondere Handlung einer besonderen Einrichtung
bedürfen.“ (René Descartes, Diskurs über die Methode)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
476
Positionen des Dualismus
Interaktionistischer Dualismus
Körper
p
und Geist stehen in einer kausalen Wechselwirkung.
g ((Descartes,,
Eccles)
Parallelismus
Körper und Geist sind kausal voneinander unabhängig.
unabhängig Es besteht aber
eine ‚prästabilisierte Harmonie‘ zwischen beiden. (Leibniz)
Okkasionalismus
Körper und Geist sind kausal voneinander unabhängig. Gott bringt jeweils
anlässlich bestimmter Zustände im Körper bestimmte Zustände im Geist
hervor und umgekehrt. (Geulincx, Malebranche)
Epiphänomenalismus
Zwar werden Zustände im Geist von Zuständen im Körper verursacht, aber
nicht umgekehrt. (Huxley, Jackson)
Eigenschaftsdualismus
Zwar sind physische Dinge (biologische Organismen) Träger mentaler
Eigenschaften, aber mentale Eigenschaften können nicht auf physikalische
Eigenschaften zurückgeführt werden.
werden (Chalmers)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
477
Interaktionistischer Dualismus
Wenn Körper und Geist kausal interagieren, dann muss es einen Ort der
Interaktion zwischen Geist und Gehirn geben! Wo findet sie statt? Und
wie?
Descartes: In der Zirbeldrüse! Die Nerven bestehen aus kleinen,
biegsamen Röhrchen, durch die sich die spiritus animales bewegen. Der
Geist kann dann die Zirbeldrüse so drehen, dass sich die aus ihr
austretenden spiritus animales in die Nerven bewegen, die zu den
entsprechenden Muskeln und damit zu Körperbewegungen führen.
Eccles: Im Liaisonhirn! Der Geist kann kleine funktionelle Einheiten des
Liaisonhirns abtasten und damit die Aktivität des Liaisonhirns
modifizieren,
od
e e , was
as zu
u spe
spezifischen
sc e Erregungsmustern
egu gs uste
und
u
d da
damitt u
u.a.
a zu
u
spezifischen Körperbewegungen führt.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
478
Interaktionistischer Dualismus
Neurobiologische Untersuchungen haben bisher nirgends einen Anhaltspunkt für
d Wirken
das
Wi k
nicht-physiologischer
i ht h i l i h Ursachen
U
h
i unserem Gehirn
in
G hi ergeben.
b
Das kausale Eingreifen des Geistes in ein physikalisches System würde auf jeden
Fall eine Änderung des Energiezustandes dieses Systems implizieren und damit
in Konflikt zum Energieerhaltungssatz stehen.
Frage: Wie ist es zu erklären,
erklären dass der Geist eines komplexen Gehirns bedarf?
Entweder ist ein Großteil unseres Gehirns überflüssig, da in ihm Probleme gelöst
werden, die eigentlich in die Kompetenz des Geistes fallen, oder der Geist hat
wenig oder gar nichts zu tun, da das meiste schon vom Gehirn erledigt wird.
Frage: Wie kommt es, dass mein Geist auf mein Gehirn und auf kein anderes
einwirken kann? Welche Relation könnte zwischen meinem Geist und meinem
Gehirn bestehen, damit mein Geist auf mein Gehirn und nicht auf das Gehirn
irgendeiner anderen Person einwirkt?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
479
Epiphänomenalismus
Es gibt kaum Zweifel, dass alle bewussten Erlebnisse kausal abhängig
von Aktivitäten bestimmter Gehirnareale sind. Wie steht es aber mit der
Umkehrung?
Können
mentale
Zustände
physische
Zustände
verursachen?
Der Epiphänomenalist sagt: Nein!
„Es scheint so, daß sich das Bewußtsein der Tiere zum Mechanismus
ihrer Körper nur wie eine Begleiterscheinung seiner Arbeitsweise verhält
und daß es genauso wenig eine Kraft hat,
hat diese Arbeitsweise zu
verändern, wie die Dampfpfeife, die das Funktionieren der
Antriebsmaschine einer Dampflokomotive begleitet, einen Einfluss auf
deren
de
e Arbeitsweise
be ts e se bes
besitzt.
t t Ihre
e Willensakte
e sa te ... s
sind
d nichts
c ts weiter
e te a
als
s
eine
Emotion,
die
physische
Veränderungen
anzeigt,
diese
Veränderungen aber nicht verursacht.“ (T.H. Huxley, 1874)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
480
Epiphänomenalismus
Bewusstsein ist für Huxley nichts anderes als eine Begleiterscheinung –
ein Epiphänomen – der Vorgänge im Gehirn, die für unser Verhalten
verantwortlich sind, nicht deren Ursache.
These: Der Geist ist kausal unwirksam!
Problem: Wie können physikalische Vorgänge im Gehirn Bewusstsein
verursachen?
Mögliche
Antwort: Mentale Eigenschaften sind emergente
Eigenschaften des Gehirns.
Gehirns
Zombie-Problem: Unser gesamtes Leben könnte genau so ablaufen,
wie
i
es jetzt
j
abläuft,
blä f
ohne
h
d
dass
wir
i
j
je
b
bewusste
E l b i
Erlebnisse,
Überzeugungen oder Wünsche hätten. Vielleicht sind gerade SIE ein
Zombie! Oder ICH?
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
481
Philosophie des Geistes
Spielarten des Physikalismus
Semantischer Physikalismus
Logischer Behaviorismus
Identitätstheorie
Funktionalismus
Anomaler Monismus und Supervenience
Repräsentationale Theorie des Geistes
Instrumentalismus
I t
t li
Eliminativer Materialismus
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
482
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
483
Semantischer Physikalismus
Verifikationstheorie und semantischer Physikalismus
Verifikationsthese: Der Gehalt (die Bedeutung) einer Aussage ergibt sich aus
den Beobachtungssätzen, die aus ihr ableitbar sind.
Beobachtungssätze beschreiben unsere unmittelbaren Beobachtungen.
Beobachtbar sind letzten
physikalische Eigenschaften.
Endes
nur
physikalische
Gegenstände
bzw.
Also gibt es zu jedem bedeutungsvollen Satz einen inhaltsgleichen Satz in
physikalischer Sprache, nämlich den Satz, der sozusagen die Zusammenfassung
aller Beobachtungssätze besteht, die aus ihm abgeleitet werden können.
Daher lassen sich alle Sätze über mentale Phänomene in Sätzen über
physikalische Phänomene formulieren.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
484
Semantischer Physikalismus
Rudolf
Carnap
Paul hat Zahnschmerzen.
Carl G.
Hempel
„Im besonderen haben zwei verschieden
formulierte Aussagen dann und nur dann
dieselbe Bedeutung oder denselben
faktischen Inhalt, wenn sie unter
denselben Bedingungen beide wahr bzw.
beide falsch sind.“
sind “ (C.G.
(C G Hempel: „The
The
Logical Analysis of Psychology“)
Paul jammert und hält sich die Wange.
Auf die Frage „Was hast du denn?“ antwortet Paul „Ich habe Zahnschmerzen.“
Bei genauerer Untersuchung zeigt sich, dass einer von Pauls Zähnen kariös und
der Nerv angegriffen ist.
Pauls Blutdruck und Reaktionsfähigkeit sind in bestimmter Weise verändert.
I Pauls
In
P l Zentralnervensystem
Z t l
t
spielen
i l
sich
i h bestimmte
b ti
t charakteristische
h
kt i ti h Prozesse
P
ab.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
485
Semantischer Physikalismus
„Angela möchte einen Schnaps trinken“ genau dann, wenn gilt:
Wenn Angela zuhause ist und sich ein Schnaps im Kühlschrank befindet, holt sich
Angela den Schnaps aus dem Kühlschrank. & Wenn Angela im Restaurant ist,
d
dann
b t llt sich
bestellt
i h Angela
A
l einen
i
S h
Schnaps.
& Wenn
W
man Angela
A
l einen
i
S h
Schnaps
anbietet, nimmt sie ihn sofort an. …
Problem: Angela holt sich einen Schnaps aus dem Kühlschrank,
Kühlschrank nur falls Angela
auch glaubt, dass sich im Kühlschrank Schnaps befindet!!!
„Angela
Angela glaubt,
glaubt dass im Kühlschrank Schnaps steht
steht“ genau dann,
dann wenn:
Wenn Angela zuhause ist und ein Schnaps im Kühlschrank ist, holt Angela sich
den Schnaps aus dem Kühlschrank.
Kühlschrank
Problem: Angela holt sich den Schnaps aus dem Kühlschrank, nur falls Angela
einen Schnaps trinken möchte!!!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
486
Semantischer Physikalismus
Probleme
Mentale Prädikate sind in der Regel Cluster-Begriffe, die sich nicht so
einfach durch die Angabe physikalischer Erfüllungs-Bedingungen
definieren lassen.
Es ist schwierig, die Bedingungen so zu formulieren, dass sie nicht mit
Gegenbeispielen
b i i l
k f
konfrontiert
i
werden
d
kö
können.
Mentale Ausdrücke lassen sich
physikalischer
h ik li h
S
Sprache
h definieren.
d fi i
in
der
Regel
nicht
zirkelfrei
in
Zwar besteht zwischen Sätzen über mentale Phänomene und Sätzen über
beobachtbares Verhalten ein enger Zusammenhang.
Zusammenhang Aber es ist trotzdem nicht
möglich, für Sätze über mentale Phänomene bedeutungsgleiche Sätze zu finden,
in denen nur auf beobachtbares Verhalten Bezug genommen wird!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
487
Wittgensteins
Privatsprachenargument
E
SS 2010
„Stellen
Stellen wir uns diesen Fall vor.
vor Ich will über das Wiederkehren einer
gewissen Empfindung ein Tagebuch führen. Dazu assoziiere ich sie mit
dem Zeichen ‚E‘ und schreibe in einen Kalender zu jedem Tag, an dem
ich die Empfindung habe, dieses Zeichen. – Ich will zuerst bemerken,
dass sich eine Definition des Zeichens nicht aussprechen läßt. – Aber
ich kann sie doch mir selbst als eine Art hinweisende Definition geben.
... ich spreche, oder schreibe das Zeichen, und dabei konzentriere ich
meine Aufmerksamkeit auf die Empfindung ... Eine Definition dient ...
dazu, die Bedeutung eines Zeichens festzulegen. – Nun, das geschieht
eben durch das Konzentrieren der Aufmerksamkeit; denn dadurch
präge ich mir die Verbindung des Zeichens mit der Empfindung ein. –
‚Ich präge sie mir ein‘ kann doch nur heißen: dieser Vorgang bewirkt,
daß ich mich in Zukunft richtig an diese Verbindung erinnere. Aber in
unserem Falle habe ich ja kein Kriterium für die Richtigkeit. Man
möchte hier sagen: richtig ist,
ist was immer mir als richtig erscheinen
wird. Und das heißt nur, daß hier von ‚richtig‘ nicht geredet werden
kann.“ (Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 258)
Einführung in die Theoretische Philosophie
488
Wittgensteins
Privatsprachenargument
Die normative Sicht auf Bedeutung
Ein Ausdruck kann nur dann eine Bedeutung besitzen, wenn es für seine
Anwendung Korrektheitsstandards gibt, die uns sagen, wann wir den
Ausdruck richtig verwenden und wann nicht. Den Ausdruck „rot“ auf rote Dinge
anzuwenden ist beispielsweise korrekt; ihn auf grüne oder blaue Dinge
anzuwenden,
anzuwenden, dagegen inkorrekt.
Das Privatsprachenargument
E
Annahme 1: Für die Anwendung eines Ausdrucks muss es öffentlich
zugängliche Kriterien geben, da wir ansonsten keine Korrektheitsstandards
bilden können, die uns sagen, wann der entsprechende Ausdruck richtig bzw.
falsch angewendet wird.
wird (Die normative Sicht auf Bedeutung)
Annahme 2: Wenn sich mentale Ausdrücke auf private, innere Phänomene
beziehen, von denen nur die jeweilige Person selbst wissen kann, ob sie
vorliegen oder nicht, dann gäbe es für diese Ausdrücke keine
Korrektheitsstandards und auch keine richtigen oder falschen Anwendungen.
Konklusion: Mentale Ausdrücke können sich nicht auf private, innere
Phänomene beziehen, von denen nur die jeweilige Person selbst wissen kann, ob
sie vorliegen oder nicht. (These von der Unmöglichkeit einer Privatsprache)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
489
Logischer Behaviorismus
Gilbert Ryle (1900-1976)
Ryle gilt als einer der Hauptvertreter des
logischen Behaviorismus. Ryle ist ein
britischer Philosoph,
Philosoph der in Oxford lehrte.
lehrte Er
hatte einen enormen Einfluss auf die
Entwicklung der analytischen Philosophie.
Innerhalb der Sprachphilosophie gilt er
neben Austin und dem späten Wittgenstein
als ein Vertreter der Ordinary-LanguagePhilosophy. Auf dem Gebiet der Philosophie
des Geistes gilt er als einer der wichtigsten
Kritiker des Dualismus.
„Systematically
Misleading
(1932)
„Categories“ (1938)
The Concept of Mind (1949)
Dilemmas (1954)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
Expressions“
490
Logischer Behaviorismus
Methodischer Behaviorismus (Psychologie)
In der Psychologie war der Behaviorismus als Reaktion auf die methodischen Probleme der
Introspektion entstanden. Wenn jemand aufgrund von Introspektion über sein geistiges
Innenleben berichtet, so ist keine Überprüfung seiner Aussagen möglich. Ohne Überprüfung
i t – so die
ist
di Behavioristen
B h i i t
– auch
h keine
k i
Wi
Wissenschaft
h ft möglich.
ö li h Der
D methodische
th di h Ausweg
A
fü
für
die Psychologie: Sie solle auf introspektive Berichte verzichten und statt dessen das
Verhalten mithilfe von Reiz-Reaktions-Mustern beschreiben.
Logischer Behaviorismus (Philosophie)
Parallel zu diesen methodischen Überlegungen entstand der philosophische Behaviorismus.
Behaviorismus
Dieser ist durch die Philosophie des Logischen Empirismus geprägt, der ganz generell
unüberprüfbare Aussagen für sinnlos hält, und speziell natürlich auch solche über das
mentale Innenleben qua Introspektion. Doch was sollen Berichte über mentale Zustände
dann sein,, wenn diese einerseits sinnvoll zu sein scheinen,, aber als Berichte über das p
private
Innenleben einer Person nicht überprüfbar und daher sinnlos zu sein scheinen? Antwort: Die
Beschreibungen mentaler Zustände sind nichts anderes als Verhaltensbeschreibungen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
491
Logischer Behaviorismus
„Ich hoffe zu zeigen, dass [die offizielle Lehre] ganz und gar
falsch ist, nicht nur in Einzelheiten, sondern grundsätzlich. ... Sie
besteht aus einem einzigen großen Irrtum, einem Irrtum ganz
besonderer Art, nämlich einer Kategorienverwechslung. Sie stellt
gehörten sie zu
die Tatsachen des Geisteslebens so dar,, als g
einem bestimmten logischen Typ oder einer Kategorie ...,
während sie in Wirklichkeit zu einer anderen gehören. Das
Dogma ist daher ein philosophischer Mythos.“
(Gilbert Ryle, 1949)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
492
Logischer Behaviorismus
Kategorienfehler
Zwei Ausdrücke α und β gehören zu derselben Kategorie, wenn man den
Ausdruck α in allen Kontexten, in denen die Verwendung von α sinnvoll ist, durch
den Ausdruck β ersetzen kann und umgekehrt, ohne dass Unsinn entsteht.
Ein Kategorienfehler liegt dann vor, wenn man einen Ausdruck α so behandelt,
als gehöre er zu der Kategorie A, während er zu der Kategorie B gehört.
Dualismus: Mentale Ausdrücke beziehen sich auf verborgene Ereignisse im
Inneren oder im Geist eines Menschen. Es sind diese „inneren“, „privaten“
Ereignisse die sein Verhalten verursachen.
Ereignisse,
verursachen
Logischer Behaviorismus: Mentale Ausdrücke werden verwendet, um
öffentlich beobachtbare Handlungen auf eine spezifische Weise zu
charakterisieren und zu beschreiben. Geistiges verursacht also kein
beobachtbares Verhalten.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
493
Logischer Behaviorismus
Wann ist eine Handlung intelligent?
Dualist: Eine Handlung ist intelligent, wenn sie durch eine Überlegung
verursacht wurde.
Behaviorist: Eine Handlung wird „intelligent“ genannt, wenn sie richtig und
erfolgreich ausgeführt wird, und wenn der Handelnde fähig ist, in seinem
Vorgehen Fehler zu entdecken und auszumerzen, Erfolge zu wiederholen und zu
vergrößern etc.
etc
Wann ist eine Handlung willentlich?
Dualist: Eine Handlung ist willentlich, wenn sie durch einen Willensakt
verursacht wurde.
Behaviorist: Eine Handlung wird „willentlich“
willentlich“ genannt,
genannt wenn der Handelnde die
Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt, die Handlung richtig auszuführen und wenn
er nicht durch äußere Umstände von der richtigen Ausführung der Handlung
abgehalten
g
wurde.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
494
Identitätstheorie
J.J.C. Smart
Mentale
l Zustände
ä d sind
i d mit
i Gehirnzuständen
G hi
ä d
a posteriori,
i i aber
b nicht
i h begrifflich/
b
iffli h/
logisch identisch.
Semantischer Physikalismus: Die Ausdrücke „M
M“ und „N
N“ sind synonym,
synonym
d.h. sie treffen mit begrifflicher Notwendigkeit auf dieselben Gegenstände zu.
Identitätstheorie:
Die Ausdrücke „M“ und
„N
N“ sind nomologisch
koextensional, d.h. sie
treffen mit naturgesetzlicher Notwendigkeit auf
dieselben Gegenstände
zu.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
495
Identitätstheorie: Einwände
Identisch, aber nicht begrifflich identisch?
Die Identität mentaler Zustände mit physikalischen Zuständen ist nicht eine
Sache unserer Sprache (semantischer Physikalismus, Wittgenstein, Ryle).
Identitäten, die nomologisch und a posteriori sind, müssen wir erst
entdecken. (Wasser ist mit H2O identisch; die Temperatur ist mit der mittleren
kinetischen Energie der Moleküle eines Gases identisch; Blitze sind elektrische
Entladungen)
Vorteile
Die Identitätstheorie setzt nicht voraus, dass jeder mentale Ausdruck in
physikalischer Sprache definiert werden kann.
kann
Die Identitätstheorie bietet eine einfache Lösung für das Problem der kausalen
Verursachung.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
496
Identitätstheorie: Einwände
Scheineinwände
„Jeder, so ungebildet er auch sein mag, kann völlig problemlos über seine
Nachbilder oder Schmerzen reden ...; trotzdem weiß er vielleicht nicht das
geringste
i
t über
üb
N
Neurophysiologie.
h i l i
... Also
Al
kö
können
di Dinge,
die
Di
üb
über
di wir
die
i
sprechen, wenn wir unsere Empfindungen beschreiben, keine Gehirnprozesse
sein.“ (Smart 1959)
„Man kann sinnvollerweise von einer molekularen Bewegung im Gehirn sagen,
sie sei langsam oder schnell, gerade oder kreisförmig, aber es ist nicht sinnvoll,
dies von der Erfahrung,
g, etwas Gelbes zu sehen,, zu sagen.“
g
((Smart 1959))
„Empfindungen sind privat, Gehirnprozesse sind öffentlich. Wenn ich aufrichtig
sage ‚Ich sehe ein gelb-oranges Nachbild‘ und keinen sprachlichen Fehler mache,
dann kann ich mich nicht irren. Aber ich kann mich in Bezug auf einen
Gehirnprozess irren.“ (Smart 1959)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
497
Identitätstheorie: Einwände
Die Multirealisierbarkeit mentaler Zustände
Ein bestimmter mentaler Zustand kann bei verschiedenen Personen mit unterschiedlichen
neuronalen Zuständen korreliert sein.
Die Korrelation zwischen mentalen und Gehirnzuständen kann sich im Laufe des Lebens
dramatisch verändern.
Die Neurophysiologie der meisten Tiere unterscheidet sich von der unsrigen stark.
Im Prinzip spricht nichts dagegen, sich Gehirne vorzustellen, die nicht aus Nervenzellen
sondern z.B.
z B aus Silizium-Chips bestehen.
bestehen
Es ist mehr als unwahrscheinlich, dass jedem Typ eines mentalen Zustands genau ein Typ
eines neurophysiologischen Zustands entspricht.
Fazit: Die Identitätstheorie setzt voraus, dass es eindeutige naturgesetzliche Korrelationen
zwischen mentalen Zuständen und Gehirnzuständen gibt. Aber diese scheint es nicht zu
geben!
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
498
Funktionalismus
Mentale Zustände sind funktionale Zustände.
Hilary Putnam
Jerry Fodor
Funktionale Zustände sind Zustände eines Systems, die durch ihre
kausale Rolle (also durch ihre Inputs und Outputs) charakterisiert
e de können.
ö e
werden
Z1
Z2
Z1
Z2
Z1
Z1
Ned Block
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
499
Funktionalismus
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
500
Funktionalismus - Einwände
Einwand der seltsamen Realisierungen
Es könnte Systeme geben, die die gleiche funktionale Architektur wie bewusste
Menschen aufweisen, von denen wir aber nicht sagen würden, dass sie ein
e usstse hätten.
ätte
Bewusstsein
Qualia
Der Funktionalismus kann die Qualia bzw. Erlebnisgehalte der mentalen
Zustände nicht erklären.
E te nalism s
Externalismus
„Gedanken sind nicht im Kopf“ (Putnam): Die interne funktionale Architektur der
Gedanken „Die Ulme ist ein Baum
Baum“ und „Die Buche ist ein Baum
Baum“ kann die
gleiche sein. Dennoch sind diese zwei Gedanken unterschiedliche Gedanken, weil
sie sich auf Verschiedenes beziehen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
501
Anomaler Monismus
Donald
Davidson
Identitätstheorie
Jeder mentale Zustand (jedes
mentale Ereignis) des Typs M ist mit
einem
i
neuronalen
l
Z
Zustand
t d (E
(Ereignis)
i i )
des Typs N a posteriori identisch.
Anomaler Monimsus
Jeder mentale Zustand
Jede
Z stand (jedes
mentale Ereignis) ist mit einem
physikalischen Zustand (Ereignis) –
irgendeines
g
Typs
yp - a p
posteriori
identisch.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
502
Anomaler Monismus
Interaktion
1. Mentale Ereignisse interagieren kausal mit physischen Ereignissen, sie können
einander verursachen.
Strikte Gesetze
2. Ereignisse, die einander verursachen, fallen unter ein striktes Naturgesetz.
Die Anomalität des Mentalen
3. Es gibt keine strikten Naturgesetze über mentale Ereignisse.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
503
Anomaler Monismus
Das Prinzip
p der Leib-Seele-Interaktion
Mentale Ereignisse interagieren kausal mit physischen Ereignissen, sie
können einander verursachen.
Diese Annahme hat eine hohe intuitive Plausibilität. Sie entspricht den
Vorstellungen unseres Alltags.
Es scheint selbstverständlich zu sein, dass z.B. Angst (ein mentales Ereignis)
eine Fluchtreaktion (ein physisches Ereignis) verursachen kann.
Umgekehrt verursacht beispielsweise ein Tritt gegen das Schienbein (ein
physikalisches Ereignis) eine Schmerzempfindung (ein mentales Ereignis).
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
504
Anomaler Monismus
Der Gesetzescharakter von Kausalität
Ereignisse, die
Naturgesetz.
einander
verursachen,
fallen
unter
ein
striktes
Seit der berühmten Kritik des Kausalbegriffs
g
durch David Hume, wird von den
meisten Autoren anerkannt, dass die Rede von einer kausalen Beziehung nur
dann (teilweise) gerechtfertigt werden kann, wenn wir naturgesetzmäßige
Verallgemeinerungen finden, die zwischen Ursache und Wirkung bestehen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
505
Anomaler Monismus
Die Anomalität des Mentalen
Es gibt keine strikten Naturgesetze über mentale Ereignisse.
Davidsons These ist nicht, dass es grundsätzlich keine psychischen oder
psychophyischen
Gesetzmäßigkeiten
gibt.
Wir
alle
kennen
solche
Gesetzmäßigkeiten wie etwa:
„Wenn jemand Hunger verspürt, dann isst er etwas.“
„Wenn jemandem ins Schienbein getreten wurde, dann verspürt er Schmerz.“
Davidson behauptet vielmehr, dass solche Gesetzmäßigkeiten immer nur einen
eingeschränkten Charakter hätten (d.h. vielerlei Ausnahmen zulassen) und damit
nie strikte Naturgesetze wie etwa das Newtonsche Fallgesetz sein können.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
506
Anomaler Monismus
Interaktion
1. Mentale Ereignisse interagieren kausal mit physischen Ereignissen, sie können
einander verursachen.
1* Einzelne mentale Ereignisse interagieren als physische Ereignisse kausal mit
einzelnen physischen Ereignissen, sie können einander verursachen.
Strikte Gesetze
2. Ereignisse, die einander verursachen, fallen unter ein striktes Naturgesetz.
Die Anomalität des Mentalen
3. Es gibt keine strikten Naturgesetze über mentale Ereignisse.
3* Es gibt keine strikten Naturgesetze über mentale Ereignistypen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
507
Problem: Anomaler Monismus
Ist eine Tokenidentität ohne eine Typenidentität verständlich?
Falls ein einzelnes physikalisches Ereignis n1 (Feuern von Neuronen im Bereich
xyz) identisch mit einem einzelnen mentalen Ereignis m (spezifische
Bl
Blauwahrnehmung)
h
h
) ist,
i t dann
d
fällt dieses
di
einzelne
i
l
physikalische
h ik li h Ereignis
E i i als
l
solches auch unter einem mentalen Ereignistyp M (Blauwahrnehmungen).
Anomalie: Es ist möglich,
möglich dass ein anderes physikalisches Ereignis n2, welches
unter demselben physikalischen Typ N wie n1 fällt (Feuern von Neuronen im
Bereich xyz), kein mentales Ereignis desselben Typus M (Blauwahrnehmung)
realisiert.
Daraus folgt: All diejenigen physikalischen Ereignisse n1 bis nn, die M realisieren,
dürfen keine physikalische Eigenschaft gemeinsam haben, denn sonst würden sie
auch unter denselben physikalischen Typ N fallen, was wieder zur Typenidentität
führt! (Unterschied zur Identitätstheorie und zum Funktionalismus)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
508
Anomaler Monismus und
Supervenience
Supervenienz (lat. von super „über“, „zusätzlich“ und venire „kommen“): Eine Klasse von
Eigenschaften M superveniert genau dann über einer Klasse von Eigenschaften P,
P wenn es
nicht möglich ist, M zu ändern, ohne P zu ändern.
Slogan: Keine psychischen Unterschiede ohne physische Unterschiede.
El Grecos „Blick auf Toledo“
SS 2010
... und eine perfekte Fälschung
... die von mir beschriebene
Position ... lässt sich mit der
Auffassung
vereinbaren,
dass
geistige
i ti
M k
Merkmale
l
i
in
gewissem
i
Sinne von physischen Merkmalen
abhängig sind oder über diesen
supervenieren.
Eine
derartige
Supervenience ließe sich in dem
Sinne auffassen, dass es keine zwei
Ereignisse geben kann, die in allen
Hinsichten physisch gleich, aber in
einer geistigen Hinsicht verschieden
sind ... Supervenience dieser Art
enthält nicht Reduzierbarbeit durch
ein Gesetz oder eine Definition.
(Davidson „Mental
(Davidson,
Mental Events“,
Events“ 1970)
Einführung in die Theoretische Philosophie
509
Fodor: Die repräsentationale
Theorie des Geistes
Jerry [Alan] Fodor (*1959)
Jerry Fodor, einer der einflussreichsten
Autoren in der Philosophie des Geistes, hat
ab etwa Mitte der 70er Jahre eine recht
komplexe Theorie entwickelt, die sehr viel
avancierter als der Funktionalismus oder
der anomale Monismus ist und behauptet,
deren Hauptprobleme lösen zu können.
Seine Hauptthese besagt, dass das Denken
ein Prozess ist, der viele Ähnlichkeiten mit
der Ausführung eines Computerprogramms
hat.
The Language of Thought (1975)
The Modularity of Mind (1983)
P
Psychosemantics.
h
ti
Th Problem
The
P bl
off Meaning
M
i
in the Philosophy of Mind (1987)
A Theory of Content and other Essays
(1990)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
510
Fodor: Die repräsentationale
Theorie des Geistes
Die zentralen Thesen der RTG
(RT) Repräsentationsthese
Sich in einem intentionalen psychischen Zustand des Typs A mit dem Inhalt p zu befinden,
heißt, sich in einer funktionalen Relation RA zu einer mentalen Repräsentation r zu
befinden, die die Bedeutung p hat.
(LOT) These von der Sprache des Geistes
Mentale Repräsentationen
p
haben eine syntaktische
y
Struktur und eine Semantik.
(CT) Computationsthese
Die
Kausalbeziehungen
zwischen
intentionalen
Zuständen
Symbolverarbeitungsprozessen über mentale Repräsentationen.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
beruhen
auf
511
RTG: Repräsentationsthese
(RT)
Jemand befindet sich genau dann in einem intentionalen psychischen
Zustand des Typs A mit dem Inhalt p, wenn er sich in einer funktionalen
Relation RA zu einer mentalen Repräsentation r befindet, die die
Bedeutung p hat.
Überzeugungsspeicher
Wünschespeicher
r1 r2 r3
r4 r5
RÜ
r11 r12 r13
r14 r15
r6 r7 r8
r9 r10
RW
Absichtenspeicher
RA
Jerry glaubt, dass Raben schwarz sind.
(i) r3 hat die Bedeutung [[Raben sind schwarz]].
(ii) Jerry befindet sich in der Relation RÜ zu r3
( 3 befindet
(r
b fi d t sich
i h in
i Jerrys
J
Üb
Überzeugungsspeicher)
i h )
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
512
RTG: Language of Thought und
Computationsthese
(LOT)
Mentale Repräsentationen haben eine syntaktische Struktur und eine
kompositionale Semantik.
(CT)
Die Kausalbeziehungen zwischen intentionalen Zuständen beruhen auf
struktursensitiven (syntaktischen) Symbolverarbeitungsprozessen über
mentale Repräsentationen.
Rep äsentationen
Wer F(a) glaubt, glaubt auch ∃x F(x).
(i) Suche im Überzeugungsspeicher eine
Repräsentation der Form F(a).
(ii) Überprüfe, ob sich eine Repräsentation
der Form ∃x F(x) im Überzeugungsspeicher
befindet.
(iii) Falls ja, gehe zu (i).
(iv) Falls nein, schreibe die Repräsentation
∃ F(x)
∃x
F( ) in
i den
d
Üb
Überzeugungsspeicher
i h
und
d
gehe dann zu (i).
SS 2010
Wenn jemand p und <wenn p, dann q>
glaubt, dann glaubt er auch q.
(i) Suche im Überzeugungsspeicher eine
Repräsentation der Form p.
(ii) Überprüfe,
Überprüfe ob sich eine Repräsentation
der Form <wenn p, dann q> im
Überzeugungsspeicher befindet.
(iii) Falls nein, gehe zu (i).
(i ) Falls
(iv)
F ll ja,
j schreibe
h ib die
di Repräsentation
R
ä
t ti
q in
i
den Überzeugungsspeicher und gehe dann
zu (i).
Einführung in die Theoretische Philosophie
513
RTG: Language of Thought und
Computationsthese
Wenn jemand p erreichen will und glaubt, dass die Ausführung von h ein
geeignetes Mittel zu Erreichung von p ist,
ist und nicht glaubt,
glaubt dass die
Ausführung von h Folgen hat, die er nicht will, dann wird er
normalerweise daran gehen, h auszuführen.
(i) Wähle eine Repräsentation r aus dem Wunschspeicher aus und streiche sie
aus dem Speicher.
(ii) Bilde eine Liste aller in einer gegebenen Situation möglichen Handlungen und
wähle aus dieser eine Handlung h aus und streiche sie aus der Liste.
Liste
(iii) Prüfe, ob sich die mentale Repräsentation h → r im Überzeugungsspeicher
befindet.
((iv)) Falls nein,, g
gehe zu ((ii)) zurück.
(v) Falls ja, prüfe ob sich eine Repräsentation h → r´ im Überzeugungsspeicher
befindet.
(vi) Falls ja, prüfe ob sich eine mentale Repräsentation ¬ r´ im Wunschspeicher
befindet.
befindet
(vi) Falls ja, gehe zu (ii) zurück.
(vii) Falls nein, führe h aus.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
514
Das chinesische Zimmer
J h R.
John
R Searle
S
l
SS 2010
„Stellen Sie sich vor, Sie wären in ein Zimmer eingesperrt, in dem
mehrer Körbe mit Chinesischen Symbolen stehen. Und stellen Sie sich
vor, dass Sie (wie ich) kein Wort Chinesisch verstehen, dass Ihnen
allerdings ein auf Deutsch verfasstes Regelwerk für die Handhabung
dieser Chinesischen Symbole gegeben worden wäre. Die Regeln
geben rein formal ... an, was mit den Symbolen gemacht werden soll.
Eine solche Regel mag lauten: ‚Nimm ein Kritzel-Kratzel-Zeichen aus
Korb 1 und lege es neben ein Schnörkel-Schnarkel-Zeichen aus Korb
2.‘ Nehmen wir nun an, dass irgendwelche anderen Chinesischen
Symbole in das Zimmer gereicht werden, und dass Ihnen noch
zusätzliche Regeln dafür gegeben werden, welche Chinesischen
Symbole jeweils aus dem Zimmer herauszureichen sind. Die
hereingereichten Symbole werden von den Leuten draußen ‚Fragen‘
genannt, und die Symbole, die Sie dann aus dem Zimmer
herausreichen, ‚Antworten‘ – aber dies geschieht ohne ihr Wissen.
Nehmen wir außerdem an, dass die Programme so trefflich und ihre
Ausführung so brav ist, dass Ihre Antworten sich schon bald nicht
mehr von denen eines chinesischen Muttersprachlers unterscheiden
lassen.“ (John R. Searle, Geist, Gehirn und Wissenschaft, 1984)
Einführung in die Theoretische Philosophie
515
Explizite Repräsentationen?
„Der These [(CT)] zufolge sind mentale Prozesse kausale Abfolgen
von Transformationen mentaler Repräsentationen.
Repräsentationen Daher müssen
Vorkommnissen propositionaler Einstellungen Vorkommnisse
mentaler Repräsentationen entsprechen ... [sonst] ist die RTG
schlicht falsch“ (Jerry Fodor, Psychosemantics, 1987)
Daniel C. Dennett
SS 2010
„In einem Gespräch mit dem Entwickler von Schachprogrammen
hörte
ö te
ich
c
kürzlich
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c
die
d
e
folgende
o ge de
Kritik
t
an
a
einem
e
e
Konkurrenzprogramm: ‚Es glaubt, dass es seine Dame früh ins
Spiel bringen muss‘. Damit wird dem Programm auf sehr nützliche
und Vorhersagen ermöglichende Weise eine propositionale
Einstellung
g zugeschrieben
g
... Aber auf keiner der vielen Ebenen,,
auf denen in diesem Programm etwas explizit repräsentiert wird,
gibt es ein explizites Vorkommnis einer Repräsentation, die auch
nur annähernd die gleiche Bedeutung hätte wie der Satz ‚Ich sollte
meine Dame früh ins Spiel
p
bringen‘.“
g
((Daniel C. Dennett,, „„A Cure
for the Common Code“, 1978)
Einführung in die Theoretische Philosophie
516
Dennetts Instrumentalismus
Daniel Dennett (*1942)
Dennett ist ein amerikanischer Philosoph und
Direktor
des
Zentrums
für
Kognitionswissenschaften
an
der
Tufts
University Als Schüler von Gilbert Ryle
University.
beschäftigt sich Dennett hauptsächlich mit
der Philosophie des Geistes und gilt heute
als einer der führenden Vertreter dieser
Disziplin.
Content and Consciousness (1969)
Brainstorms. Philosophical Essays on Mind
and Psychology (1978)
Elbow Room (1984)
The Intentional Stance (1987)
Consciousness Explained (1991)
Ki d off Minds
Kinds
Mi d (1996)
Brainchildren – Essays On Designing Minds
(1998)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
517
Dennetts Instrumentalismus
Komplexe Systeme lassen sich verschieden beschreiben, und zwar durch die:
Physikalische Einstellung (physical stance)
Funktionale Einstellung (design stance)
Intentionale Einstellung (intentional stance)
„Man sagt in einem solchen Fall Verhalten voraus, indem man dem System den Besitz
gewisser Informationen zuschreibt, von ihm annimmt, dass es von gewissen Zielen geleitet
wird, und sich dann auf der Grundlage dieser Zuschreibungen und Annahmen die
vernünftigste und angemessenste Handlung überlegt.“ (Dennett, Intentional Systems, 1971)
Dennetts Instrumentalismus: Ein Wesen hat dann intentionale Zustände, wenn sein
Verhalten in einer intentionalen Einstellung vorhergesagt und erklärt werden kann.
„Tatsächliche Überzeugungen zu haben (to be a true believer) heißt nicht anderes als ein
intentionales System zu sein, ein System dessen Verhalten verlässlich und weitestgehend
mit Hilfe der intentionalen Strategie vorausgesagt werden kann.“ (Dennett, „True Believers.
The Intentional Strategy and Why it Works“, 1981)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
518
Dennetts Instrumentalismus
Der Spagat zwischen eliminativen Materialismus und intentionalen Realismus
(A) Es ist theoretisch möglich und empirisch wahrscheinlich, dass es weder in der
neuronalen noch in der funktionalen Architektur des Gehirns Strukturen gibt, die den
intentionalen Zuständen entsprechen, mit deren Hilfe wir auf der intentionalen Ebene unser
Verhalten voraussagen und erklären.
(B) Es ist sinnvoll und sogar unvermeidlich, an der intentionalen Strategie festzuhalten und
intentionale Zustände in einem gewissen Sinne für real zu halten.
halten
Instrumentalismus
Wir verwenden die intentionale Strategie aus pragmatischen Gründen, wenn uns
Verhaltenserklärungen und –voraussagen auf der funktionalen oder der physikalischen
Ebene nicht zugänglich sind. Wir sind uns aber bewusst, dass die Annahme, dass das
Verhalten eines Menschen durch seine intentionalen Zustände hervorgerufen
g
wird,, nichts
weiter als eine nützliche Fiktion ist, denn wir wissen ja, dass die wirklichen Ursachen dieses
Verhaltens auf der funktionalen und der physikalischen Ebene zu suchen sind.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
519
Eliminativer Materialismus
Paul Churchland
Patricia Churchland
Steven Stich
Scientific
and
S i
ifi Realism
R li
d the
h
Plasticity of Mind (1979)
A
Neurocomputational
Perspective (1989)
The Engine of Reason, the
Seat of the Soul (1995)
Neurophilosophy.
N
hil
h Toward
T
da
Unified Science of the MindBrain (1986)
Brain-Wise. Studies in
Neurophilosophy (MIT Press,
2002)
From Folk Psychology to
Cognitive Science: The Case
Against Belief (1983)
g
of
The
Fragmentation
Reason (1990)
Deconstructing the Mind
(1996)
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
520
Eliminativer Materialismus
Das Theorieargument
(1) Die Alltagspsychologie hat den Status einer
Theorie und ist damit grundsätzlich falsifizierbar.
(2) Falls diese Theorie falsifiziert wäre, könnte
es sich herausstellen, dass sich die Begriffe der
Alltagspsychologie auf nichts beziehen.
(3) Die Alltagspsychologie ist eine schlechte und
eine seit 2500 Jahren stagnierende Theorie.
(4)
Die
sich
rasant
Neurowissenschaften
können
kognitive Fähigkeiten erklären,
Alltagspsychologie
g p y
g keinen Zugang
g g
entwickelnden
schon
jetzt
zu denen die
hat.
(5) Die Alltagspsychologie gehört abgeschafft
SS 2010
Unser Glauben an mentale Zustände ist
genauso eine falsche Theorie, wie das
geozentrische
Weltbild
und
wird
genauso
in
der
Wissenschaftsentwicklung abgeschafft werden.
Einführung in die Theoretische Philosophie
521
Argumente gegen den
eliminativen Materialismus
Intuitive Vorbehalte
Die These des eliminativen Materialismus scheint so offensichtlich falsch zu sein, dass sich
jede weitere Argumentation erübrige. Zudem ist die Existenz von mentalen Zuständen
zentral für unser Weltbild, weshalb es enorm starker Argumente bedürfe, um deren Existenz
erfolgreich
f l
i h zu bestreiten.
b t it
„if
if commonsense psychology
h l
were to
t collapse,
ll
th t would
that
ld be,
b
beyond comparison, the greatest intellectual catastrophe in the history of our species ...„
(Fodor 1987)
I k hä
Inkohärenzeinwand
i
d
Da der Eliminativist seinen Thesen Bedeutung zuspricht und sie für wahr und begründet hält,
setzt er implizit das voraus, was er eigentlich bestreiten will – mentale Zustände.
Qualia
Da Qualia allgemein als Eigenschaften von mentalen Zuständen angesehen werden,
werden ist ihre
Existenz nicht mit dem Eliminativismus verträglich. Eliminative Materialisten lehnen daher
auch Qualia ab. Dies ist problematisch, da die Existenz von Qualia vollkommen offensichtlich
scheint.
SS 2010
Einführung in die Theoretische Philosophie
522
Das Leib-Seele-Problem
Physikalismus
Dualismus
Problem: Wie kann der Geist, trotz seiner materiellen Natur,
nichtmaterielle Eigenschaften haben (Qualia, Intentionalität)?
Interaktionistischer Dualismus
Behaviorismus
Mentale Zustände sind lediglich Verhaltensbeschreibungen bzw. –
di
dispositionen.
iti
Problem:
Mentale
Zustände
lassen
sich
nicht
auf
Verhaltensbeschreibungen reduzieren.
Identitätstheorie
Mentale Zustände sind a p
posteriori identisch mit neuronalen
Zuständen.
Problem: Mentaler Zustände können verschieden realisiert sein.
Funktionalismus
Mentale Zustände sind funktionale Zustände des „Gehirnautomaten“
und können unterschiedlich realisiert sein.
sein
Problem: Wie können die „funktionslosen“ Eigenschaften mentaler
Zustände (Qualia) erklärt werden?
Supervenience-Theorie
Mentale Zustände basieren auf physikalischen Zuständen, lassen sich
aber
b nicht
i ht aus diesen
di
ableiten.
bl it
Problem: unbefriedigend
Instrumentalismus/ Materialismus
Mentale Zustände gibt es nicht.
Problem: Die Leugnung des Phänomens löst unser Problem nicht und
ist seinerseits nicht begründet.
SS 2010
Problem: Wie ist es möglich, dass Geist und Materie interagieren?
Geist und Materie interagieren kausal miteinander.
Problem: Wie und wo können die beiden Substanzen interagieren?
Psychophysischer Parallelismus
Geist und Materie interagieren nicht miteinander, sondern laufen in
einer von Gott geschaffenen Synchronizität ab.
Problem: Gott als perfekter, anfänglicher Synchronisierer notwendig.
Okkasionalismus
Geist und Materie interagieren nicht miteinander, sondern werden
von Gott von Fall zu Fall aufeinander abgestimmt.
Problem: Gott als perfekter, unablässiger Synchronisierer notwendig.
Epiphänomenalismus
Zwar verursachen physische Phänomene mentale Phänomene, aber
nicht umgekehrt.
Problem: Wie und wo wirkt Materie auf den Geist ein? Widerspricht
den Erhaltungsgesetzen der Physik.
Idealismus
Es gibt nur geistige Phänomene.
Solipsismus
Alles was existiert,
Alles,
existiert existiert nur in MEINEM Geist.
Geist
Einführung in die Theoretische Philosophie
523
Zugehörige Unterlagen
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