Philosophische Fakultät Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Dr. Holm Bräuer Einführung in die Theoretische Philosophie SS 2010 Kontaktinformationen Vorlesung Tutorien Einführung in die Theoretische Phil Philosophie hi Einführung in die Theoretische Phil Philosophie hi Holm Bräuer Norbert Engemaier Mi (3) [11:10 – 12:40] Zeit: I: Do (1) [07:30 – 09:00] II: Do (2) [09:20 – 10:50] III: Do (3) [11:10 – 12:40] SCH A 251 Raum: BZW A 416 Sprechstunde: p Mi,, 13:00 – 14:00 Tel.: 0351-463-32257 Email: [email protected] http://tu-dresden.de/die_tu_dresden/fakultaeten/ philosophische_fakultaet/iph/thph/braeuer/index_html SS 2010 Raum: ABS 216 ABS 01 ABS 02 Kontaktdaten: Raum: BZW A 425 Sprechstunde: nach Vereinbarung Email: [email protected] Einführung in die Theoretische Philosophie 2 Semesterablaufplan Vorlesung 14.04.2010 Philosophische Begriffe und Argumente 21.04.2010 Sprachphilosophie – Bedeutung/ Bezugnahme 28.04.2010 Sprachphilosophie – Semantik 05.05.2010 dies academicus 12.05.2010 Sprachphilosophie – Pragmatik 19.05.2010 Erkenntnistheorie – Wissen 26 05 2010 26.05.2010 Pfi Pfingsten t 02.06.2010 Erkenntnistheorie – Wahrheit & Rechtfertigung 09.06.2010 Wissenschaftstheorie – wiss. Erklärungen 16.06.2010 Wissenschaftstheorie – Bestätigung/ Theorien 23.06.2010 Metaphysik & Ontologie – Grundbegriffe 30.06.2010 Metaphysik & Ontologie – Kategorien 07.07.2010 Philosophie des Geistes – Dualismus 14.07.2010 Philosophie des Geistes – Physikalismus 21 07 2010 21.07.2010 Ab hl Abschlussklausur kl SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 3 Semesterablaufplan Tutorium 15.04.2010 Organisatorisches 22.04.2010 Begriffe und Argumente – Reader Text 1 29.04.2010 Sprachphilosophie – Reader Text 2 06.05.2010 Sprachphilosophie – Wiederholung Vorlesung 13.05.2010 Himmelfahrt 20.05.2010 Erkenntnistheorie – Reader Text 3 27 05 2010 27.05.2010 Pfi Pfingsten t 03.06.2010 Erkenntnistheorie – Wiederholung Vorlesung 10.06.2010 Wissenschaftstheorie – Reader Text 4 17.06.2010 Wissenschaftstheorie – Wiederholung Vorlesung 24.06.2010 Metaphysik & Ontologie – Reader Text 5 01.07.2010 Metaphysik & Ontologie – Wiederholung Vorlesung 08.07.2010 Philosophie des Geistes – Reader Text 6/ Klausurvorbereitung 15.07.2010 Philosophie des Geistes – Wiederholung Vorlesung/ Klausurvorbereitung 21 07 2010 21.07.2010 Ab hl Abschlussklausur kl SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 4 Reader zur „ „Einführung g in die Theoretische Philosophie“ im Copyshop EMF (Zellescher Weg) Folien zur Vorlesung „Einführung in die Theoretische Philosophie Philosophie“ auff meiner Homepage unter: Lehre SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 5 Klausurschwerpunkte Methodenlehre Wissenschaftstheorie indirekter Beweis, Definition, Paradoxie, Dilemma, Petitio Principii D-N-Modell, H-D-Modell, Paradoxien der Bestätigung, Falsifikationismus, Holismus Sprachphilosophie h hil hi Metaphysik und Ontologie Frege, Russel, Propositionentheorie, Verifikationstheorie, Implikaturen Existenz, Identität, Realismus, Nominalismus Eigenschaften Nominalismus, Erkenntnistheorie Philosophie des Geistes Platon, Gettier, Reliabilismus, Wahrheitsträger, Wittgensteins Bildtheorie, Definition der Rechtfertigung, Rechtfertigungstrilemma Descartes Argumente für den Dualismus, Wittgensteins Privatsprachenargument, Funktionalismus, anomaler Monismus ( p (Supervenienz) ) Es ist nicht gestattet, das Vorlesungsskript für die Klausur zu verwenden! Fragenverteilung: Methodenlehre (2); Spachphilosophie (3); Erkenntnistheorie (3); Wissenschaftstheorie (3); Metaphysik (3); Philosophie des Geistes (3) Gesamt: 17 Fragen (rund 5 min pro Frage) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 6 Klausurhinweise Belehrung Diese Klausur ist eine Prüfungsleistung! Abschreiben, die Verwendung nicht zugelassener Hilfsmittel sowie das absichtliche Stören der Klausur werden als Täuschungsversuch aufgefasst. Die Klausur gilt in diesem Falle als „nicht bestanden“. Unterschreiben Sie bitte die Belehrung in der Kopfzeile! Es dürfen nur die Studenten geprüft werden, die auf den Notenlisten aufgeführt sind, d.h. diejenigen, die sich i h beim b i Prüfungsamt P üf t angemeldet ld t haben. h b (Gilt nur für fü Bachelorstudenten.) B h l t d t ) Abgabe der Klausur Vermerken Ve me ken Sie auf a f jedem Blatt ihren ih en Namen und nd versuchen e s chen Sie, Sie falls möglich, möglich Ihre Ih e Blätter Blätte zusammenzuheften. Bitte quittieren Sie (zu Ihrer eigenen Sicherheit) die Abgabe durch Ihre Unterschrift auf den Notenlisten. Halten Sie ein Ausweisdokument bei der Abgabe bereit. Wir sind verpflichtet, dem Prüfungsamt diejenigen Studenten melden, die sich nicht ausweisen konnten! Veröffentlichung der Noten Die Noten finden Sie in etwa 14 Tagen g auf meiner Homepage. p g Ich darf die Noten aus Gründen des Datenschutzes weder unter Ihrem Namen, noch unter Ihrer Matrikelnummer veröffentlichen. Tragen Sie daher bitte Ihre Prüfungs-ID in den Kopfzeilen der Klausur ein. Falls Sie diese nicht kennen, dann denken Sie sich eine siebenstellige Zahl aus und merken sich diese! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 7 Inhalte der Lehrveranstaltung 1 Philosophische 1. Phil hi h Begriffe B iff und d Argumente A t a. Was ist denn das: Philosophie? b Grundbegriffe b. G db iff und d Disziplinen Di i li der d Philosophie Phil hi c. Argumente 1: Kritikmuster d. Argumente 2: Werkzeugkasten 2. Sprachphilosophie a. Bedeutung (Grundbegriff der Sprachphilosophie) b. Bezugnahme c. Semantik d. Pragmatik SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 8 Inhalte der Lehrveranstaltung 3 Erkenntnistheorie 3. E k t i th i a. Wissen (Grundbegriff der Erkenntnistheorie) b Was b. W kö können wir i wissen? i ? (Skeptizismus) (Sk ti i ) c. Was ist Wissen? d. Was ist Wahrheit? e. Worin besteht Rechtfertigung? 4. Wissenschaftstheorie a. Probleme und Ziele der Wissenschaftstheorie b. Wissenschaftliche Erklärungen c. Zur Bestätigung wissenschaftlicher Theorien d. Was ist eine wissenschaftliche Theorie? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 9 Inhalte der Lehrveranstaltung 5 Ontologie und Metaphysik 5. a. Was ist Metaphysik? b. Die Grundfrage der Ontologie c. Die Grundbegriffe der Ontologie d. Grundlagen der kategorialen Ontologie 6. Philosophie des Geistes a. Problembereiche der Philosophie des Geistes b. Der Substanzdualismus c. Spielarten des Physikalismus d Eliminativer d. Eli i ti M Materialismus t i li e. Die Naturalisierung des Geistes SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 10 Weitere Angebote Sprachphilosophie Mi (2): Wahrmacher (Schönrich) Mi (2): Identität und Notwendigkeit (Wansing) Do (3): Einführung in die analytische Sprachphilosophie (Grajner) Erkenntnistheorie Di (4): Einführung in die Erkenntnistheorie (Wansing) Di ((5): ) W.V.O. Q Quine „„Zwei Dogmen g des Empirismus“ p ((Bräuer)) Mi (3): Der Skeptizismus von der Antike bis zur Renaissance (Wöhler) Mi (4): David Hume „Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand“ (Schönrich) Mi (6): David Hume „Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand“ (Gutschmidt) Fr (4): Philosophische Probleme der Wahrnehmung (Grajner) Metaphysik & Ontologie Mo (5): Natürliche Arten (Hauswald) Di (5): Philosophie der Werte (Schönrich) Do (4): Ist Existenz eine Eigenschaft? (Engemaier) Do (5): Der antike und mittelalterliche Universalienstreit (Wöhler SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 11 Philosophische Fakultät Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Dr. Holm Bräuer 1. Philosophische Begriffe und Argumente Philosophie? Was ist denn das? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 13 Was ist denn das: Philosophie? ϕιλοσοϕια ϕ ς = Freund / Liebhaber / Begehrender ϕιλος g σοϕια = Weisheit / Wissen / Sachkunde Jemand, der „philosophiert“ (ein Philosoph) ist also dem Worte nach … … … … jemand, jemand, jemand, jemand, der der der der das Wissen liebt sich um Weisheit bemüht Gefallen an sachkundigen Urteilen hat auf der Suche nach der Wahrheit ist Sind wir alle schon Philosophen? Können wir nach Hause gehen? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 14 Was ist denn das: Philosophie? Philosophisches Denken zeichnet sich durch das Bemühen aus, das Nachdenken hd k von seinen i Voraussetzungen und d Vorurteilen il zu befreien oder diese zumindest offen zu legen. Das Bewusstmachen solcher Vorurteile und Voraussetzungen – das fragwürdig werden des bisher fraglos Hingenommenen - erzeugt ein Staunen, das als der Beginn einer philosophischen Haltung angesehen werden kann. Das Staunen ist die Einstellung g eines Mannes,, der die Weisheit wahrhaft liebt, ja es gibt keinen anderen Anfang der Philosophie als diesen. (Platon) „Die Gedanken sind frei.“ „Du sollst nicht töten.“ „Wahr ist, was der Wirklichkeit entspricht.“ „„Eine g gerechte Gesellschaft ist besser als eine ungerechte.“ g „Ich heiße Holm Bräuer und habe zwei Hände.“ „Es gibt (k)einen Gott.“ SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 15 Was ist denn das: Philosophie? Obwohl sich die Philosophie im Unterschied zu den Spezialwissenschaften nicht durch einen begrenzten Gegenstandsbereich charakterisieren lässt, so sind es doch immer grundlegende (radikale) Fragen und Probleme, die in der Philosophie aufgeworfen werden und die sich in aller Regel nicht innerhalb der Spezialwissenschaften b beantworten t t l lassen. Was ist „gut“ und „böse“? Gibt es das überhaupt? Was ist gerecht? Gibt es einen Gott? Besitzt der Mensch eine (unsterbliche) Seele? Was ist der Sinn des Lebens? Wann dürfen Lebewesen getötet werden? Welche Rechte und Pflichten habe ich als Mensch? g g Ist die Natur gesetzmäßig? Existiert das, was wir erleben, wirklich? Können wir überhaupt gesicherte Erkenntnis besitzen? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 16 Disziplinen der Theoretischen Philosophie Sprachphilosophie Was ist Bedeutung? Was heißt es, es dass sprachliche Ausdrücke für etwas stehen? Ist das Sprechen ein Handeln? Erkenntnistheorie Was ist Erkenntnis? Was ist Wahrheit? Was heißt es, dass eine Behauptung gerechtfertigt ist? Können wir überhaupt etwas wissen? (Skeptizismus) Wissenschaftstheorie Was ist ein Gesetz? Was heißt es, eine Aussage oder Theorie zu bestätigen? Was sind Erklärungen? Was macht eine wissenschaftliche Theorie aus? Ontologie und Metaphysik Was gibt es überhaupt? Was ist ein Ding, was eine Eigenschaft? Gibt es Ereignisse? Was ist Zeit, was ist Raum? Worin besteht Veränderung? Worin Dauer? Philosophie des Geistes Was ist Bewusstsein? Was ist Denken? Ist eine neurophysiologische Erklärung des Geistes vollständig? Gehört der Geist zur Natur? Lässt er sich naturalisieren? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 17 Disziplinen der Praktischen Philosophie Philosophische Anthropologie Was ist der Mensch? Was unterscheidet den Menschen von anderen Lebewesen? Ethik An welchen Normen und Werten sollen wir unser Handeln orientieren? Was ist das Gute? Gibt es ein gutes Leben und worin besteht es? Politische Philosophie Warum soll es überhaupt so etwas wie einen Staat geben? Woher leitet er seine Autorität ab? Welche Herrschaft darf als legitim gelten? Rechtsphilosophie Ist das geltende Recht legitim und begründet? Welchen Prinzipien hat es zu folgen? Gibt es überhaupt Recht und Unrecht? Was ist Gerechtigkeit? Sozialphilosophie Wie sieht das richtige Zusammenleben der Individuen innerhalb einer Gesellschaft bzw. der Gesellschaften untereinander aus? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 18 Weitere Disziplinen der Philosophie Geschichtsphilosophie Hat die Geschichte einen Sinn? Worin besteht Fortschritt? Wie kann man historische Ereignisse erklären? Technikphilosophie Ist es zulässig, alles technisch Machbare auch zu verwirklichen? Darf man die Natur verändern wie man will? Religionsphilosophie Gibt es religiöse Erfahrungen? Was ist Gott? Was heißt es, an etwas zu glauben? Lässt sich ein solcher Glaube rechtfertigen? Ästhetik Was ist das Schöne? Gibt es Wahrheit oder Erkenntnis in der Kunst? Wodurch zeichnet sich ein Kunstwerk aus? Philosophische Logik Was ist ein gültiges Argument? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 19 Was ist denn das: Philosophie? Anders als Religionen, g , Ideologien, g , Weltanschauungen g ist beim philosophischen Nachdenken allein die rationale, nachvollziehbare Argumentation zulässig, um die zentralen Fragen der menschlichen Lebenspraxis und unseres Weltverständnisses zu beantworten. Raten/ Losen Wahrsagerei/ Kaffeesatzlesen/ Pendeln/ Astrologie Talkshows/ Medien Expertenmeinungen/ Lehrer/ Eltern/ Autoritäten Religiöse Glaubenssätze Weltanschauungen/ Ideologien Die Meinung des Gartennachbarn/ der Mehrheit Mythologie/ Märchen/ Geschichten/ Anekdoten Wissenschaftliche, empirische Forschung SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 20 Was ist denn das: Philosophie? Die Grundidee des antiken Griechenland Jemand, der „die Weisheit wahrhaft liebt“; jemand, der auf der Suche nach der Wahrheit ist, ist jemand, der versucht, (1) die grundlegenden, zentralen Fragen der menschlichen Lebenspraxis und unseres Weltverständnisses, (2) weitgehend ohne Vorurteile oder andere Voraussetzungen zu beantworten, und zwar so, dass er (3) sich dabei ausschließlich des Mittels der rationalen, vernünftigen, intersubjektiv nachvollziehbaren Argumentation bedient. !!!! Philosophieren bedeutet immer Arbeit mit Argumenten !!!! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 21 Was ist denn das: Philosophie? Philosophieren heißt: 1) grundlegende dl d F Fragen stellen; t ll 2) unvoreingenommene i Antworten A t t auff diese Fragen geben; 3) Argumente vorbringen, die diese Antworten stützen stützen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 22 Was ist denn das: Philosophie? Ein Philosoph beschäftigt sich mit philosophischen Texten. Texten Welche Textelemente sind bei der Lektüre philosophischen Textes vorrangig zu beachten? (Analyse) eines Fragen / Problemstellungen Quelle der Forschung Thesen (Antworten) Ziel der Forschung Argumente (Begründungen) Methode Begriffliche Unterscheidungen Definitionen methodische Hilfsmittel (Präzision Klarheit etc.) (Präzision, etc ) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 23 Was ist denn das: Philosophie? Der „ideale“ Text Frage gefolgt g g von Methodische Hilfsmittel (Präzision, Klarheit) beantwortet These gefolgt von begründet Argument Falls ein philosophischer Text nicht „ideal“ in diesem Sinne (also leserunfreundlich) ist, dann behandeln Sie ihn trotzdem so, als handele es sich um einen „idealen“ Text! Falls die Fragestellung des Textes für Sie einschlägig ist, dann besteht g allein darin,, die Argumente g zu bewerten,, die der Autor für seine These ins Feld führt. Ihre Aufgabe SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 24 Die Arbeit mit Argumenten Argumente g und Hilfsmittel Unzulässige g Argumente g Argumente und ihre Gültigkeit Widerspruch Indirekter Beweis Paradoxie Begriffsanalyse Dilemma Explikation Äquivokation Definition Petitio Principii Analogie und Metapher Infiniter Regress Gedankenexperiment Scheinbehauptung SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 25 Argumente SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 26 Was ist überhaupt ein Argument? Ein Argument ist die Stützung einer Überzeugung (Aussage, These, Annahme etc.) durch Gründe. Gründe Ein Argument besteht selbst aus einer Reihe von Aussagen. Eine der Aussagen ist das, wofür argumentiert wird: technisch gesprochen die Konklusion. Die anderen Aussagen bestehen in der Angabe dessen, worauf sich diese Konklusion als Voraussetzung stützt (die Gründe): technisch gesprochen die Prämissen. Prämisse P ä i 1 1: Prämisse 2: Prämisse 3: Konklusion: Mord M d ist i moralisch li h unzulässig. lä i Wenn Abtreibung Mord ist, dann ist auch Abtreibung moralisch unzulässig. g ist Mord. Abtreibung Abtreibung ist moralisch unzulässig. Ein Argument lässt sich auf zweierlei Weise bestreiten: 1) Nachweis, dass es kein formal gültiges Argument ist. (Formfrage) 2) Nachweis, dass eine oder mehrere Prämissen falsch oder (Tatsachenfrage) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie unzulässig sind. 27 Argumente und ihre Gültigkeit Formale Gültigkeit Wenn der Opponent alle Prämissen eines Arguments akzeptiert, dann ist er gezwungen, der Konklusion zuzustimmen, falls das Argument der Form nach gültig l ist. In unserem Beispielfall handelt es sich um ein gültiges Argument. Es hat die f l folgende d Form: F Wenn p, dann q p Also: q Wenn Abtreibung Mord ist, dann ist Abtreibung moralisch unzulässig. Abtreibung ist Mord. Also: Abtreibung ist moralisch unzulässig. Diese Argumentform hat den lateinischen Namen Modus Ponens. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 28 Argumente Formale Gültigkeit g Das Gegenstück zum Modus Ponens ist ein formal ungültiges Argument: Wenn p, dann q q Also: p Prämisse: Prämisse: Konklusion: SS 2010 „Umkehrschluss“ Wenn Gott die Welt erschaffen hat, dann herrschen Ordnung und Gesetzmäßigkeit. In der Welt herrschen Ordnung und Gesetzmäßigkeit. Gesetzmäßigkeit Daher wurde die Welt von Gott erschaffen. Einführung in die Theoretische Philosophie 29 Argumente Materiale Gültigkeit Die formale Gültigkeit eines Arguments reicht noch nicht aus, um von einem erfolgreichen Argument zu sprechen. Die meisten – wenn auch nicht h alle ll – Argumente sind d formal f l gültig l und d dennoch d h nicht h akzeptabel. k b l Was Sie jetzt noch tun können, ist die Wahrheit der Prämissen (der angegebenen b G ü d ) zu bezweifeln. Gründe) b if l Di Dieser A Aspekt k heißt h iß materiale i l Gültigkeit. P ä i Prämisse: Prämisse: Wenn Abtreibung W Abt ib M d ist, Mord i t dann d i t Abtreibung ist Abt ib moralisch unzulässig. Abtreibung ist Mord. ????? Konklusion: Abtreibung ist moralisch unzulässig. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie ????? 30 Indirekter Beweis reductio ad absurdum Bei einem indirekten Beweis wird eine Aussage argumentativ gestützt, indem gezeigt i wird, i d dass d aus ihrer ih Negation i entweder d ein i logischer l i h Widerspruch id h oder d ein Widerspruch zu einer bereits anerkannten These folgt. Wi wollen Wir ll zeigen, i d dass nicht i ht alle ll Menschen M h G i h Griechen sind. i d Annahme: Alle Menschen sind Griechen. (Negation unserer Aussage) A Anerkannte k t Prämisse: P ä i Ci Cicero i t ein ist i Mensch. M h Konklusion: Cicero ist ein Grieche. Weitere anerkannte These: Cicero ist kein Grieche (sondern Römer). Widerspruch: Cicero ist ein Grieche und ist kein Grieche. (A und nicht-A.) Konklusion des indirekten Beweise: Nicht alle Menschen sind Griechen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 31 Begriffliche g Klarheit und Eindeutigkeit SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 32 Problem: Vagheit Scharfe Begriffe … führen bei der Anwendung auf beliebige Objekte – in jedem Anwendungskontext – immer zu eindeutigen Resultaten, Resultaten d.h. d h sie sind entweder eindeutig anwendbar oder eindeutig nicht anwendbar. (Beispiele: Wellenlänge, Ladung, logische Folge) Vage Begriffe … führen bei der Anwendung auf beliebige Objekte nicht immer zu eindeutigen Resultaten, d.h. sie sind in einem Kontext auf ein Objekt anwendbar, in einem anderen jedoch nicht anwendbar. (Beispiele: Tier, Haufen, rot, Mann) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 33 Problem: Vagheit vager g Begriff g Mann Anwendungskontexte g Biologie: menschliches Lebewesen mit einem x und y Chromosomensatz Psychologie: menschliches Lebewesen mit typisch männlichen Wesenszügen (primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale) Soziologie: volljähriger Mensch mit typisch männlichen Verhaltensweisen SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 34 Problem: Mehrdeutigkeit Ein eindeutiger Begriff wir immer nur in einem Sinn gebraucht. Ein mehrdeutiger Begriff hat in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Anwendungsfälle. Mehrdeutiger Begriff mit gemeinsamen Kern („Mann“) Mehrdeutiger Begriff mit disjunkten Anwendungen („Bank“, „Hahn“) Mehrdeutiger Begriff mit partiellen Überschneidungen ohne gemeinsamen Kern („Spiel“) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 35 Problem: Äquivokation Eine Äquivokation liegt dann vor, wenn ein Wort in verschiedenen Kontexten unterschiedlich gebraucht wird. Alle Menschen sind sterblich. Alle Griechen sind Menschen. Also: Alle Griechen sind sterblich. Herakles ist ein Grieche. Also: Herakles ist sterblich. Das obige Argument ist ungültig, weil einer der Ausdrücke - Mensch „unsauber“ (mehrdeutig) gebraucht wird. In der ersten Zeile so, dass Halbgötter nicht i ht eingeschlossen i hl sind, i d denn d di diese sind i d nicht i ht sterblich. t bli h In I der d zweiten it Z il Zeile jedoch beinhaltet der Ausdruck „Mensch“ die Halbgötter, weil er auf alle Griechen angewendet wird, zu denen auch – wie im zweiten Argument – Herakles gehört. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 36 Abhilfen: Definitionen Um Mehrdeutigkeiten oder Missverständnisse zu vermeiden, definieren Phil Philosophen h ih ihre wichtigsten i hti t B Begriffe. iff Ei Eine D fi iti Definition stellt t llt eine i Identitätsbeziehung zwischen einem zu definierenden Begriff (dem Definiendum) und einem oder mehreren anderen definierenden Begriffen (dem Definiens) her. her Definiendum =def Definiens „Ein Nephograph ist ein Gerät, das die verschiedenen Arten und die Dichte der Bewölkung fotographisch aufzeichnet.“ Definiendum: Nephograph Definiens: Gerät, Gerät das die verschiedenen Arten und die Dichte der Bewölkung fotographisch aufzeichnet SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 37 Abhilfen: Definitionen Nominaldefinitionen Nominaldefinitionen sind konventionell eingeführte Abkürzungen. Der zu definierende Begriff wird relativ willkürlich gewählt. Nominaldefinitionen sind notwendig wahr. (true by convention) „Ein Nephograph ist ein Gerät, das die verschiedenen Arten und die Dichte der Bewölkung fotographisch aufzeichnet.“ Realdefinitionen Realdefinitionen beruhen auf wesentlichen Zusammenhängen zwischen dem Definiendum und dem Definiens. Der zu definierende Begriff besitzt schon vor der Definition bestimmte Anwendungsbedingungen, welche durch die Definition p gemacht werden sollen. Realdefinitionen können sich als falsch g erst explizit herausstellen. (true by the facts) „Gold ist ein chemisches Element mit der Kernladungszahl 79.“ SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 38 Abhilfen: Definitionen Rekursive (induktive) Definitionen In einer rekursiven Definition werden die Anwendungsbedingungen g g g eines Begriffs g dadurch bestimmt, dass ein korrekter Anwendungsfall aufgeführt und eine Regel festgelegt wird, durch die sich alle weiteren Anwendungsfälle bestimmen lassen. Die rekursive Definition der natürlichen, ganzen Zahlen Rekursionsanfang: 0 ist eine natürliche Zahl. Rekursionsschritt: Wenn N eine natürliche Zahl ist, so auch N+1. Rekursionsabschluss: Nichts sonst ist eine natürliche Zahl. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 39 Abhilfen: Definitionen Ostensive (hinweisende) Definitionen Eine hinweisende Definition ist keine Definition im strengen Sinne. Sinne Man versteht darunter die Erklärung eines Begriffs durch das hinweisende Aufzeigen seiner Anwendungsfälle. „Dies ist rot.“ „Das dort ist ein Apfel.“ Eine ostensive Definition kann auch darin bestehen, dass auf abgrenzende Gegenbeispiele gezeigt wird: „Das dort drüben ist kein Apfel. Das ist eine Birne.“ SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 40 Abhilfen: Begriffsexplikationen Begriffsexplikation: Übersetzung eines Begriffs aus einer weniger exakten S Sprache h in i eine i exaktere k S Sprache. h ( (Herausgreifen if einer i – für fü den d j jeweils il verfolgten Zweck – optimalen Anwendung eines zu explizierenden Begriffs.) Ei Mann Ein M i t ein i 1 ist (i) menschliches hli h Lebewesen; L b (ii) mit einem x- und einem y-Chromosomensatz. Ei Mann Ein M i t ein i 2 ist (i) menschliches hli h Lebewesen; L b (ii) mit einem x- und einem y-Chromosomensatz; (iii) das älter als 18 Jahre ist. Ein Mann3 ist ein (i) menschliches Lebewesen; (ii) das älter als 18 Jahre ist; (iii) und typisch „männliche“ Wesenszüge aufweist. Explikandum SS 2010 Explikat Einführung in die Theoretische Philosophie 41 Abhilfen: Begriffsexplikationen Begriffsexplikation: Übersetzung eines Begriffs aus einer weniger exakten S Sprache h in i eine i exaktere k S Sprache. h ( (Herausgreifen if einer i – für fü den d j jeweils il verfolgten Zweck – optimalen Anwendung eines zu explizierenden Begriffs.) Eigenschaften Ei h ft d der B Begriffsexplikation iff lik ti • keine Identitätsbeziehung (Explikat ist teilw. verschieden vom Explikandum) • Explikation kann nie wahr oder falsch sein, sondern nur angemessen (adäquat) oder unangemessen (inadäquat) Adäquatheitsbedingungen der Begriffsexplikation • Explikandum E plikand m und nd Explikat E plikat müssen ähnliche (aber (abe nicht identische) Anwendungsbedingungen besitzen. • Explikat muss exakter (eindeutiger, schärfer) als Explikandum sein • Explikat muss fruchtbarer sein (muss sich in Gesetzen verwenden lassen) • Explikat muss einfacher (leichter zu definieren) sein SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 42 Hilfsmittel SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 43 Analogien und Metaphern Häufig werden in der Metaphern verwendet. philosophischen Argumentation Analogien oder Das Grundmuster solcher Argumente ist die Proportionalanalogie: a:b=c:d Der Wert einer Analogie besteht darin, dass man bei Kenntnis von a, b und c auf d schließen kann. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 44 Analogien und Metaphern Der menschliche Verstand (John Locke) Der menschliche Verstand ist eine tabula rasa (eine leere Tafel), auf die die Erfahrung ihren Bericht einschreibt. leere Tafel : Beschreiben mit Kreide = Verstand : Erfahrungen sammeln Seele und Staat (Platon) Für Platon besteht die Seele aus einer lenkenden Vernunft und den zu lenkenden Antrieben. Wenn wir annehmen, dass das Staatsvolk etwas ist, was gelenkt werden muss, dann kann ich vor dem Hintergrund dieses Modells der menschlichen Seele darauf schließen, dass es auch im Staat eine lenkende Instanz geben muss. muss Antriebe : lenkende Vernunft = Staatsvolk : Herrscher im Staat SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 45 Gedankenexperimente Philosophen machen sehr häufig Gedankenexperimente. Sie beschreiben mit diesen erfundene, erfundene nicht wirkliche Situationen. Situationen Die Argumente, Argumente welche sich auf ein solches Gedankenexperiment stützen, haben einen besonderen Charakter: 1)) Die e Prämissen ä sse a als s auc auch d die e Konklusion o us o haben abe e einen e kontrafaktischen o t a a t sc e Status Status: Wenn die Prämissen wahr wären, dann wäre die Konklusion wahr, falls es die beschriebene Situation wirklich gäbe. 2) Gedankenexperimente G d k i t sprechen h üb Umstände, über U tä d die di in i möglichen ö li h Sit ti Situationen vorliegen würden. („Angenommen, die Welt wäre so und so, selbst dann müsste das und das gelten!“) 3) Die in Gedankenexperimenten ausbuchstabierten Möglichkeiten zeigen, dass gewisse Sachverhalte entweder notwendig oder nicht notwendig bestehen. 4) Gedankenexperimente G d k i t d k decken d h daher notwendige t di W h h it Wahrheiten und d Zusammenhänge auf oder ziehen diese in Zweifel, indem sie Umstände beschreiben, die möglicherweise der Fall sein könnten. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 46 Gedankenexperimente Deus Malignus (René Descartes) Es könnte sein, dass ein böser Gott (deus malignus) „bewirkt hat, dass es überhaupt keine Erde, keinen Himmel, kein ausgedehntes Ding, keine Gestalt, keine Größe, Größe keinen Ort gibt, gibt und dass dennoch dies alles genauso, genauso wie es mir jetzt vorkommt, bloß da zu sein scheint.“ [René Descartes: Meditationes de Prima Philosophia] Descartes fragt sich, ob es ein unerschütterliches Fundament der Erkenntnis gibt, welches unbezweifelbar gewiss ist. Erfahrungserkenntnis kann uns kein sicheres, über jeden Zweifel erhabenes Wissen verschaffen, da unsere Sinne uns täuschen können. Was wäre,, wenn sie uns tatsächlich täuschen würden? Gibt es in dieser (kontrafaktischen, möglichen) Situation überhaupt noch etwas, das unerschütterlich gewiss ist? Descartes Antwort: Es gibt dann immer noch die Selbstgewissheit des Denkens (cogito ergo sum). Diese Selbstgewissheit bildet das unbezweifelbare Fundament unseres Wissens, weil sie in allen denkbaren Situationen bestehen bleibt. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 47 Unzulässige Argumente SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 48 Widersprüche und Antinomien Widerspruch: heißt eine Aussage der Form „A und nicht A“. g von Aussagen g heißt inkonsistent,, Inkonsistenz: Eine Menge wenn sie einen Widerspruch enthält, also z.B. zu einer Aussage der Form „A und nicht A“ führt. Antinomie: heißt eine spezielle Art des logischen Widerspruchs, bei der die zueinander in Widerspruch stehenden Aussagen gleichermaßen gut begründet (bzw. im Fall formaler Systeme: bewiesen) sind. ¾ Aus einem widersprüchlichen System von Aussagen (d.h. (d h einem Argument oder einer Theorie) ist jede beliebige Aussage ableitbar. Es ist daher unbrauchbar. (ex falso quodlibet) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 49 Die vier Antinomien des Verstandes (Immanuel Kant) reinen Erste Antinomie: Kosmologisches Raum-Zeit-Problem These: „Die Welt hat einen Anfang in der Zeit, und ist dem Raum nach auch in Grenzen eingeschlossen.“ Antithese: „Die Welt hat keinen Anfang, und keine Grenzen im Raume, sondern ist, sowohl in Ansehung der Zeit, als des Raumes, unendlich.“ Zweite Antinomie: Unteilbarkeit oder unendliche Teilbarkeit der Materie These: „Eine Eine jede zusammengesetzte Substanz in der Welt besteht aus einfachen Teilen, und es existiert überall nichts als das Einfache, oder das, was aus diesem zusammengesetzt ist.“ Antithese: „Kein zusammengesetztes Ding in der Welt besteht aus einfachen Teilen, und es existiert überall nichts Einfaches in derselben.“ (unendliche Teilbarkeit) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 50 Die vier Antinomien des Verstandes (Immanuel Kant) reinen Dritte Antinomie: Naturkausalität kontra Freiheit These: „Die Kausalität nach Gesetzen der Natur ist nicht die einzige, aus welcher die Erscheinungen der Welt insgesamt abgeleitet werden können. Es ist noch eine Kausalität durch Freiheit zur Erklärung derselben anzunehmen notwendig.“ t di “ Antithese: „Es ist keine Freiheit, sondern alles in der Welt geschieht lediglich nach Gesetzen der Natur. Natur “ Vierte Antinomie: Zufall vs. absolute Notwendigkeit These: „Zu der Welt gehört etwas, das, entweder als ihr Teil, oder ihre Ursache, ein schlechthin notwendiges Wesen ist.“ Antithese: „Es existiert überall kein schlechthin notwendiges Wesen, weder in der Welt, noch außer der Welt, als ihre Ursache.“ SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 51 Paradoxien Ein Paradoxon oder Paradox ([alt]griechisch παράδοξον, von παρα~, para~ - gegen~ und δόξα, δόξα dóxa - Meinung, Meinung Ansicht), Ansicht) auch Paradoxie (παραδοξία) genannt, ist eine spezielle Art von Widerspruch. Als Paradoxie wird eine wohlbegründete Aussage bezeichnet, bezeichnet die einer landläufigen, weit verbreiteten Meinung widerspricht, woraus sich aber keine echten internen logischen Schwierigkeiten ergeben. Der Widerspruch besteht hier zwischen einer Aussage, die aus einer Theorie folgt, und einer Aussage, die einer weit verbreiteten Auffassung widerspricht. Theorie Th i Landläufige Auffassung Widerspruch A nicht-A A und nicht-A Fazit: Die Theorie lässt ist nicht mit der landläufigen Auffassung vereinbar. Das heißt nicht, dass sie intern widersprüchlich ist. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 52 Paradoxien Das Rabenparadoxon (Bestätigungsparadoxon) Annahme 1: Ein Gesetz wird durch Beobachtung seiner Instanzen bestätigt. Annahme 2: Die Bestätigung eines Gesetzes hängt nicht von dessen Formulierung l ab. b Gesetz: „Alle Raben sind schwarz.“ Kontraposition: „Alle Alle nicht nicht-schwarzen schwarzen Gegenstände sind keine Raben. Raben “ Schlußfolgerung: Das Gesetz „Alle Raben sind schwarz“ lässt sich auch durch die Sichtung von weißen Kreidestücken bestätigen, denn diese sind weder schwarz, noch Raben – und damit Instanzen einer logisch äquivalenten Formulierung unseres Gesetzes. Landläufige Auffassung: Das Gesetz „Alle Alle Raben sind schwarz schwarz“ lässt sich nicht durch die Beobachtung von weißen Kreidestücken bestätigen. … denn sonst könnten wir auch Vogelkunde betreiben, ohne in den Regen hinaus zu müssen ... SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 53 Performativer Widerspruch Einen performativen Widerspruch (Widersprüchlichkeit als Folge der Negation von Selbstbezüglichkeit) S lb b ü li hk i ) erhält häl man, wenn man eine i auff sich i h selbst lb anwendbare db Aussage negiert. Ein Beispiel für einen performativen Widerspruch ist das „Paradox“ des Eubulides: „Dieser Satz ist falsch.“ Wahr oder falsch? Ist dieser Satz nun wahr oder falsch? a) Er ist genau dann wahr, wenn er falsch ist. b) Er ist genau dann falsch, wenn er wahr ist. Die Annahme, dass jeder Satz wahr oder falsch ist, kann bei Sätzen, die selbst die Worte „wahr“ oder „falsch“ enthalten, zu Widersprüchen führen. „Kann man diese Frage nur verneinen?“ Ein Kreter: „Alle Kreter lügen.“ SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie Ja oder nein? Lügt er oder nicht? 54 Dilemma Ein Dilemma (griechisch δί-λημμα: „zweigliedrige Annahme“, Plural: Dilemmas oder Dilemmata), Dilemmata) auch Zwickmühle, Zwickmühle bezeichnet eine Situation, Situation die zwei Wahlmöglichkeiten bietet, welche jedoch beide zu einem unerwünschten Resultat führen. Es wird durch seine Ausweglosigkeit als paradox empfunden. Auch der Zwang zu einer Auswahl zwischen zwei positiven Möglichkeiten kann ein Dilemma sein. Gefangenendilemma Ein Staatsanwalt schlägt zwei getrennt voneinander einsitzenden Untersuchungshäftlingen einen Handel vor. Ihnen wurde bereits eine kleinere Straftat nachgewiesen, g , aber eine weitere wird ihnen vorgeworfen. Nun bestehen die folgenden Alternativen: a) Schweigen beide, werden sie nur für die nachgewiesene Straftat bestraft (z.B. ein Jahr). b) Gesteht aber einer die bislang nicht nachweisbare Haupttat, Haupttat so geht er zur Belohnung straffrei aus, während der andere eine weitaus höhere Strafe erhält (z.B. 10 Jahre). c) Gestehen beide, dann erhalten beide eine hohe Strafe (z.B. fünf Jahre). SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 55 Petitio Principii und Circulus Vitiosus Beii der d Petitio i i Principii i i ii [lateinisch: [l i i h „Forderung d d Beweisgrundes“] des i d “] handelt h d l es sich um einen Beweis- bzw. Argumentationsfehler, der darin besteht, dass zum Beweis eine selbst erst beweisbedürftige Aussage verwendet wird. Annahme 1 Annahme 2 .... Annahme, die problematisch / begründungsbedürftig ist begründete These Ein Sonderfall der Petitio Principii ist der Circulus Vitiosus (Zirkelschluss), bei g die Konklusion ((das,, was bewiesen werden soll)) dem man in einem Argument schon in den Prämissen (den Beweisgründen) verwendet. Annahme 1 Annahme 2 .... Annahme die (offensichtlich / verdeckt) identisch mit der begründeten These ist Annahme, begründete These SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 56 Petitio Principii Humes Induktionsproblem p „Das früher verzehrte Brot hat mich ernährt, d.h. ein Körper von diesen sinnlichen Eigenschaften war zu dieser Zeit mit dieser verborgenen Kraft ausgerüstet; folgt aber daraus dass ein anderes Brot, daraus, Brot zu anderer Zeit, Zeit mich ebenfalls ernähren muss und dass die gleichen sinnlichen Eigenschaften mit gleichen geheimen Kräften immer verbunden sind? Diese Folge ist durchaus nicht notwendig; wenigstens muss man anerkennen, dass hier eine ... Schlussart besteht, die der Erklärung bedarf.“ (David Hume, Hume Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand) 1. Annahme: In einigen Fällen habe ich die nahrhafte Wirkung von Brot erfahren. 2. Annahme: Gleichartige Gegenstände haben immer gleichartige Wirkungen. (Petitio Principii) begründete These: Jedes Brot hat eine nahrhafte Wirkung. Mit welchem Recht können wir davon ausgehen, dass gleiche Ursachen gleiche Wirkungen haben? Woher nehmen wir die Gewissheit, dass sich die Natur gleichförmig verhält? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 57 Infiniter Regress Eine unendliche Reihe ist eine Reihe, deren Endpunkt nie erreicht wird. Solche Reihen ih gibt ib es viele, i l z.B. die di Reihe ih der d positiven ii ganzen Zahlen: hl 1, 2, 2 3, 3 ... Hierbei handelt es sich um einen harmlosen Regress. Als einen Al i i fi it infiniten R Regress b bezeichnet i h t man in i der d Philosophie Phil hi einen i B Beweis, i bei b i dem es bei der Begründung der Beweisgründe zu einer immer wieder erneuten Anwendung desselben Beweises kommt, so dass eine unendliche Reihe der Beweisgründe g entsteht. Zu einem schädlichen Regress g kommt es dann,, wenn: Die Reihe der Beweisgründe zu keinem Ende gelangen kann. Der Regress aus einer philosophisch interessanten These entsteht. Der Regress für die Position, Position aus der er abgeleitet wird, wird eine Inkohärenz darstellt. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 58 Infiniter Regress Was ist eine freie Handlung? 1. These: Eine Handlung ist frei, wenn der Handelnde die Handlung will. 2. These: Das Wollen besteht aus einem Willensakt (eine „innere“ Handlung). 3. These: Ein Willensakt ist frei, wenn ... Wenn das Wollen ein Willensakt und damit auch eine Handlung ist, dann stellt sich die Frage, inwiefern das Wollen (als Handeln) frei ist. Um von einer freien Handlung zu sprechen, muss diese nicht nur auf einem Willen als solchen, sondern auf einem freien Willen beruhen. Regress: Eine Handlung ist frei gemäß Definition, wenn der Handelnde sie will. Ein Willensakt aber ist frei, wenn er gemäß Definition vom Handelnden gewollt wird Der Akt des Wollens eines Willensaktes wiederum ist frei, wird. frei wenn ... usw. usw usf. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 59 Scheinbehauptungen In meiner Armbanduhr sitzt ein Dämon. ... Man kann ihn nicht sehen oder auff sonstige i Weise i sinnlich i li h wahrnehmen. h h S i Seine Entfernung f würde ü d die di Funktion ki der Uhr nicht beeinträchtigen. Es lässt sich kein Unterschied angeben zwischen einer Armbanduhr, in der ein Dämon sitzt, und einer solchen, in der keiner sitzt. Diese Behauptung • lässt sich prinzipiell nicht verifizieren oder falsifizieren. • ist nicht kritisierbar. kritisierbar • ist weder kohärent noch inkohärent, da sie mit keinen weiteren Behauptungen in Beziehung steht. Es handelt sich um eine Scheinbehauptung! Sie ist leer und bedeutungslos. bedeutungslos Sie besitzt weder positive noch negative Konsequenzen. Wir können sie ohne Verlust aufgeben. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 60 Kritikmuster Widerspruch: Zwei Annahmen widersprechen sich, d.h. sie haben die F Form „A A und d nicht-A“. i ht A“ Inkonsistenz: Aus den Annahmen einer Theorie Üb Überzeugungssystems t lä t sich lässt i h ein i Widerspruch Wid h ableiten. bl it oder eines Paradoxie: Aus den Annahmen einer Theorie oder eines Üb Überzeugungssystems t f l folgen nicht i ht hinnehmbare hi h b oder d kontraintuitive k t i t iti Konsequenzen. Dilemma: Eine Dilemma Ei Sit ti Situation b it t zweii Wahlmöglichkeiten, besitzt W hl ö li hk it welche l h aber b beide zu nicht hinnehmbaren Konsequenzen führen. Petitio Principii: Bei der Begründung einer Aussage wird etwas vorausgesetzt, das selbst begründungsbedürftig ist. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 61 Kritikmuster Circulus Vitiosus: Bei der Begründung einer Aussage wird das vorausgesetzt, t t was bewiesen b i (b (begründet) ü d t) werden d soll. ll Infiniter Regress: Die Begründung einer Aussage beruht auf P ä i Prämissen, di denselben die d lb problematischen bl ti h St t Status b it besitzen, wie i die di zu beweisende Aussage. Äquivokation: Ä i k ti B i der Bei d B Begründung ü d einer i A Aussage wird i d mindestens i d t einer der verwendeten Ausdrücke unsauber (mehrdeutig) gebraucht. Verlorener Ve lo ene Gegensatz: Gegensat Mi d t Mindestens einer i d der i einer in i A Argumentation t ti verwendeten Begriffe ist leer und damit unbrauchbar. Scheinbehauptung: Es wird etwas behauptet, behauptet das weder kritikfähig ist noch irgendwelche Konsequenzen besitzt. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 62 Zusammenfassung • Philosophen stellen Fragen. • Philosophen prüfen Intuitionen auf ihre Konsistenz. (Widerspruchsfreiheit) • Philosophen stellen Thesen auf und stützen diese durch Argumente. • Philosophen führen grundlegende Unterscheidungen ein und definieren ihre Begriffe. • Philosophen prüfen die Argumente anderer kritisch. • Philosophen fragen nach den Bedingungen der Möglichkeit eines bestimmten Gegenstandsbereichs. (Gedankenexperimente) • Philosophen stellen Vergleiche an. (Analogien und Metaphern) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 63 Zusammenfassung Ziel der Philosophie Philosophischer Handwerkskasten Hinterfragen des Unhinterfragten und kritische Prüfung von Argumenten Disziplinen der Philosophie Sprachphilosophie (Bedeutung) Wissenschaftstheorie (Gesetz, Erklärung) Ethik (das gute Leben) Ontologie (Sein, Existenz, Möglichkeit, ...) Politische Philosophie (Staat) Ästhetik (das Schöne) Religionsphilosophie (Gott) ... SS 2010 Kritikmuster Widerspruch Äquivokation Petitio Principii Infiniter Regress Scheinbehauptung Paradoxie ... Wegbereiter/ Hilfsmittel Logische Analyse Gedankenexperiment Metapher und Analogie Definition ... Einführung in die Theoretische Philosophie 64 Philosophische Fakultät Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Dr. Holm Bräuer 2. Sprachphilosophie SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 66 Bedeutung Bedeutung natürliche / nichtsprachliche Semiotik konventionelle / sprachliche Sprecher-Bedeutung Pragmatik SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie Wort- & Satzbedeutung Semantik 67 Bedeutung Nichtsprachliche Bedeutung 1) Der dunkle Rauch am Himmel zeigt, zeigt dass der Wald bereits brennt. brennt 2) Ein teures Auto bedeutet einen hohen sozialen Status des Besitzers. 3) Das Wegschieben des leeren Bierglases heißt, dass der Gast ein neues Bier wünscht. 4) Der unregelmäßige, rosa Fleck auf der Karte bezeichnet Deutschland. Gegenstände, Ereignisse oder Handlungen können als Zeichen für etwas anderes stehend interpretiert werden. Dieser Aspekt p von Bedeutung g wird in der Semiotik untersucht. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 68 Bedeutung Wort- und Satzbedeutung 1) „Schnee Schnee ist weiß weiß“ bedeutet, bedeutet dass Schnee weiß ist. ist 2) Das Nomen „Giraffe“ trifft auf Giraffen zu. 3) Der Name „Theo Lingens“ bezeichnet Theo Lingens. Die Ausdrücke einer Sprache besitzen eine „literale“ Bedeutung, welche in verschiedenen Gebrauchssituationen konstant bleibt und unabhängig von bestimmten Sprechern und Hörern ist. Dieser Aspekt p von Bedeutung g ist Thema der Semantik. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 69 Bedeutung Sprecher-Bedeutung 1)) Wenn Molly y zu einem Kellner in einem Restaurant sagt g „„Ich möchte einen Drink.“, dann bedeutet das, dass sie den Kellner bittet, ihr einen Drink zu bringen. 2) Wenn Molly zu ihren Freunden in der Wüste sagt „Ich möchte einen Drink.“, dann bedeutet das, dass sie ihren Freunden mitteilen möchte, dass sie durstig ist. Sprache S h kann k i sozial in i l orientierten, i ti t i t ti intentionalen l S Sprech-Handlungen h H dl b benutzt t t werden, um entweder gewisse Absichten und andere Einstellungen zum Ausdruck zu bringen oder gewisse Reaktionen seitens der Hörer hervorzurufen. Dieser Aspekt der Bedeutung gehört zur Pragmatik und wird z. B. in der Sprechakttheorie thematisiert. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 70 Bedeutung Weitere Aspekte von Bedeutung Soziale Bedeutung: Was wird mit einer Äußerung über die sozialen Umstände des Sprachgebrauchs kommuniziert? Affektive Bedeutung: Was wird mit einer Äußerung über die Gefühle und Einstellungen des Sprechers kommuniziert? Konnotative Bedeutung: Was wird mit den Worten einer Äußerung aufgrund der Beziehung dieser Worte zu einem anderen Sinn nahegelegt? Was „schwingt“ in der Verwendung bestimmter Ausdrücke mit? (Pferd vs. vs Klepper) Thematische Bedeutung: Was wird mit einer Äußerung durch die Art und Weise wie sie in Bezug auf Reihenfolge der Worte und Emphasis (Betonung) Weise, organisiert ist, mitgeteilt? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 71 Bedeutung Bedeutungsverstehen und Sprachkompetenz „Das Geheimnis der Auferstehung gibt ständig zu denken, ohne dass es ein befriedigendes Resultat gibt. Es ist verständlich, dass reine Verstandesmenschen sich mit Verdruss abwenden.“ (... aus einem evangelischen Kalenderblatt am Ostersonntag) Ein Sprecher des Deutschen versteht diese Sätze und die meisten anderen Sätze seiner Sprache ohne weiteres und ohne genau diese Sätze je zuvor gehört oder gelesen zu haben. • Wie funktioniert das? • Was macht die Fähigkeit eines Sprecher aus, die darin besteht, eine Sprache zu verstehen und zu gebrauchen? • Was muss ein Sprecher wissen, wenn er versteht, was ein Satz seiner Sprache bedeutet? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 72 Bedeutung Bedeutungsverstehen und Sprachkompetenz Die philosophische Untersuchung der Sprache stützt sich auf die folgenden Daten: • Einige Zeichenreihen oder Geräuschsequenzen sind bedeutungsvolle Sätze. • Jeder bedeutungsvolle Satz hat Teile, die selbst eine Bedeutung besitzen. • Jeder bedeutungsvolle Satz besitzt eine ganz spezifische Bedeutung. Bedeutung • Kompetente Sprecher einer Sprache sind in der Lage, die Sätze dieser Sprache ohne Anstrengung und fast unmittelbar zu verstehen. Diese Tatsachen verlangen nach einer Erklärung: • Wie kommt es, dass eine Sequenz von Zeichen bedeutungsvoll ist? • Weshalb bedeutet eine solche Sequenz das, was sie bedeutet? • Was befähigt Menschen dazu, bedeutungsvolle Zeichenreihen zu verstehen bzw. zu produzieren? Welche kognitiven Leistungen sind daran beteiligt? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 73 Sprachphilosophie Bedeutung und Bezugnahme singulärer Terme (Theorien der Referenz) Bedeutung komplexer Ausdrücke (Semantik) Bedeutung und Kontext (Pragmatik) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 74 Autor Blabla Blabla Blabla Problem Problemstellung Autor Blabla Blabla Blabla ???? Autor Blabla Blabla Blabla SS 2010 Thesen & Argumente Blabla Blabla Blabla Thesen & A Argumente Blabla Blabla Blabla Thesen & Argumente Blabla Blabla Blabla Einführung in die Theoretische Philosophie Probleme Blabla Blabla Blabla Probleme Blabla Blabla Blabla Probleme Blabla Blabla Blabla 75 Sprachphilosophie Theorien der Bedeutung und Bezugnahme singulärer Ausdrücke SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 76 Die naive Sichtweise Der Eigenname „Theo Lingens“ steht für Theo Lingens. Die Kennzeichnung „der König von Frankreich“ steht für den König von Frankreich. Das Nomen „Hund“ bezieht sich auf Hunde. Der Satz „„Die Katze sitzt auf der Matte“ beschreibt eine Situation,, in der eine Katze auf der Matte sitzt (indem sich „die Katze“ auf eine Katze, „die Matte“ auf eine Matte und „sitzt-auf“ auf eine Relation des Sitzens-auf-etwas bezieht). Verallgemeinerung Ve allgemeine ng Sprachliche Ausdrücke haben eine Bedeutung, weil sie für etwas stehen. Naive Sichtweise Die Dinge und Situationen, für die sprachliche Bezugnahme/ Referenz), ist deren Bedeutung. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie Ausdrücke stehen (ihre 77 Die naive Sichtweise Nicht jeder Name steht für ein tatsächliches Ding. „Sherlock Holmes“ hat zwar eine Bedeutung, aber er bezeichnet nichts. Nicht jedes Wort steht für einen Gegenstand. Viele Ausdrücke der Sprache („niemand“, „sehr“, „und“, „das“, ...) haben eine andere Funktion als für einen Gegenstand zu stehen. Nicht jede Folge von Worten bedeutet etwas. Sinnlose Folgen von Worten haben keine Bedeutung, auch wenn sich die einzelnen Ausdrücke auf etwas beziehen mögen. („Theo Lingens Matte Katze grün. grün.“)) Worte, die für denselben Gegenstand stehen, besitzen oft unterschiedliche Bedeutungen. Die Kennzeichnung „die gegenwärtige Bundeskanzlerin“ und der Eigenname „Angela Merkel“ beziehen sich jetzt zwar auf dieselbe Person, sie sind aber nicht bedeutungsgleich, denn dann wäre Merkel notwendigerweise Bundeskanzlerin. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 78 Semantische Rollen singuläre i lä T Terme: Cl Clemens L b Lauben, er, wir, i dort, d t die di Königin Kö i i von England, E l d der d Eifelturm (Eigennamen, Pronomen, Kennzeichnungen) ¾ ... beziehen sich auf einzelne Gegenstände oder Personen. generelle Terme: Hund, rot, fett, Zwergkaninchen, Liebe, größer als (Nomen, Verben, Adjektive) ¾ ... beschreiben oder charakterisieren Gegenstände oder Personen. Personen Sie bezeichnen Qualitäten (Eigenschaften) oder Relationen. Funktionsausdrücke: viele, viele sehr, sehr und, und falls, falls möglich (Quantoren, (Quantoren Junktoren, Junktoren Adverbien) ¾ ... haben eine andere semantische Funktion. Vermutung Für singuläre Terme gilt das Paradigma, dass Bedeutung = Bezugnahme. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 79 Korrigierte naive Sichtweise Die These, die es nun zu untersuchen gilt, ist die, dass sich in einem typischen atomaren Satz, Satz etwa „Theo Theo Lingens ist groß.“, groß “ es zwei Arten von Ausdrücken gibt, die unterschiedliche semantische Funktionen besitzen. • Die semantische Funktion des singulären Terms (hier des Eigennames „Theo Lingens“) ist es, sich auf eine bestimmte Person zu b i h beziehen, oder d di diese eine i P Person unter t mehreren h möglichen ö li h herauszugreifen. • Die semantische Funktion des generellen Terms (hier der Verbalphrase „ist groß“) ist es anschließend, die herausgegriffene Person weiter zu charakterisieren oder zu beschreiben. • Ein Satz wie „Theo Lingens ist groß“ ist genau dann wahr, wenn der Gegenstand, auf den sich der singuläre Term bezieht, das Charakteristikum tatsächlich besitzt, welches durch den generellen Term beschrieben wird. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 80 Gottlob Frege über Sinn und Bedeutung Gottlob Frege (1848 – 1925) Frege ist als Begründer der modernen Logik in die Wissenschaftsgeschichte eingegangen Sein Werk hatte auf die eingegangen. Entwicklung der Sprachphilosophie einen entscheidenden Einfluss. Wichtigste Werke: Begriffsschrift (1879) Die Grundlagen der Arithmetik (1884) „Über Sinn und Bedeutung“ (1892) Grundgesetze der Arithmetik (1893/1903) „Der Gedanke“ (1918) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 81 Gottlob Frege über Sinn und Bedeutung Substitutionsprinzip Austauschbarkeit salva veritate Wenn wir einen Satz S haben, der den singulären Term α enthält, dann ändert sich die Bedeutung von S nicht (Wahrheit bzw. Falschheit), wenn wir α durch einen anderen singulären Term β ersetzen, falls dieser dieselbe Bedeutung besitzt. Die Schwester von John ist Ärztin. (α = die Schwester von John) Die Tochter der Eltern von John ist Ärztin. (β = die Tochter von Johns Eltern) Wenn der erste Satz wahr ist, ist so muss notwendigerweise auch der zweite wahr sein und umgekehrt. Beide beschreiben dieselbe Situation, da sich die Ausdrücke α und β auf dieselbe Person (auf Christa) beziehen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 82 Gottlob Frege über Sinn und Bedeutung Identitätssätze (1) Der Abendstern ist der Morgenstern. (2) Der Morgenstern ist der Morgenstern. (1) stellt eine astronomische Entdeckung dar und ist daher kontingent wahr. (2) ist eine Tautologie und damit a priori wahr! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 83 Gottlob Frege über Sinn und Bedeutung Glaubenssätze (3) Sophia Loren glaubt, dass Mark Twain tot ist. (4) Sophia Loren glaubt, dass Samuel Clemens tot ist. Es kann Situationen geben, geben in denen (3) wahr und (4) falsch ist oder umgekehrt, umgekehrt z.B. wenn: • Sophia Loren verbindet mit den beiden Namen verschiedene Personen. • Sophia Loren kennt Samuel Clemens nur unter seinem Künstlernamen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 84 Gottlob Frege über Sinn und Bedeutung Bezugnahme scheint nicht alles zu sein, wenn es um die Bedeutung von singulären Termen geht. Wir brauchen noch „feinkörnigere“ Bedeutungsträger um z.B. Bedeutungsträger, z B zwischen informativen und trivialen Identitätssätzen oder zwischen unterschiedlichen Glaubenssätzen unterscheiden zu können. Angenommen, wir schauen durch ein Fernrohr zur Venus. Wir könnten dann unterscheiden zwischen den folgenden Gegenständen: Bezugnahme (Gegenstand, auf den sich „der Morgenstern“ bezieht) = der Planet Venus Sinn (Gegebenheitsweise der Venus) = Projektion der Venus auf dem Teleskop Vorstellung (mentale Repräsentation der Venus) = Abbild der Venus auf der Retina SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 85 Gottlob Frege über Sinn und Bedeutung Gottlob Frege schlägt deshalb vor, zwischen der BedeutungF (Denotation) und dem Sinn eines Ausdrucks zu unterscheiden. Bei beiden handelt es sich um verschiedene „Bedeutungsträger“, die in verschiedenen sprachlichen Kontexten wirksam sind. Ausdruck Vorstellung g (subjektiv) SinnF (Art des Gegebenseins, intersubjektiv) Morgenstern {Stern, den ich gestern am Hi Himmel l gesehen h h habe} b } {Stern, der am Wintermorgen leuchtet} [Stern, der morgens als l t t verlischt] letzter li ht] Abendstern {Stern, den ich letzte Woche in Berlin gesehen habe} {Abbildung in einem Märchenbuch} [Stern, der abends als erster erscheint] Satz Kombination von g Vorstellungen Gedanke SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie Bedeutung gF (objektiv) Wahrheitswert: das Wahre / das Falsche 86 Gottlob Frege über Sinn und Bedeutung Frege und die Terminologie für Bedeutungsaspekte Autor Sachbezug Begriffsbezug übl. dt. Terminologie Bezugsgegenstand Bedeutung J. S. Mill (1862) Denotation Konnotation G. Frege (1892) Bedeutung Sinn B. Russell (1905) Denotation Bedeutung R. Carnap (1947) Extension Intension M. Black (1949) Referenz Sinn W. V. Quine (1960) Referenz Bedeutung SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 87 Bertrand Russells Kennzeichnungstheorie Bertrand Russell (1872 - 1970) Russell gilt neben Frege als einer der Begründer der modernen Logik. Er arbeitete zu den Grundlagen g der Mathematik und hatte auf die Entwicklung der modernen analytischen Philosophie großen Einfluss. In seinen späteren Jahren arbeitete er auf dem Gebiet der politischen p und Sozialphilosophie. Wichtigste Werke: Principles of Mathematics (1903) „On Denoting“ (1905) Principia Mathematica (1910 (1910-1913) 1913) „Knowledge by Acquaintance and Knowledge by Description“ (1910) The Philosophy of Logical Atomism (1918) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 88 Bertrand Russells Kennzeichnungstheorie Das Problem der Bezugnahme auf nichtexistente Gegenstände (1) Der gegenwärtige König von Frankreich ist reich. Das Problem der negativen Existenzsätze (2) Der gegenwärtige König von Frankreich existiert nicht. Freges Identitätsrätsel ((3)) Angela g Merkel ist die g gegenwärtige g g Bundeskanzlerin. Das Substitutionsproblem (4) Hans glaubt, dass der Autor der Wahlverwandtschaften [der Gatte von Charlotte Vulpius] ein Freund Schillers war. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 89 Bertrand Russells Kennzeichnungstheorie (5) Der Autor der Wahlverwandtschaften war ein Freund Schillers. Dieser Satz besitzt – so Russell – eine (semantische) „Tiefenstruktur“, die aus einer Konjunktion von drei Aussagen besteht, von denen keine einen b bezugnehmenden h d A d Ausdruck k enthält, thält der d für fü Goethe G th steht: t ht Existenzbehauptung: Es gibt (mindestens) einen Autor der Wahlverwandtschaften. Einzigkeitsbehauptung: Es gibt höchstens einen Autor der Wahlverwandtschaften. Wahlverwandtschaften Prädikation: Jeder, der die Wahlverwandtschaften schrieb, war ein Freund Schillers. Zusammengesetzt ergeben diese drei Aussagen: (6) Es gibt einen und nur einen Autor der Wahlverwandtschaften und dieser war ein Freund Schillers. symbolisch: ∃x (AW(x) ∧ ∀y ((AW(y) → y = x) ∧ FS(x))) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 90 Bertrand Russells Kennzeichnungstheorie Das Problem der Bezugnahme auf nichtexistente Gegenstände (1a) Es gibt einen König von Frankreich und es gibt höchstens einen König von Frankreich und wer immer König von Frankreich ist, ist ist reich. reich Das Problem der negativen Existenzsätze (2a) Es ist nicht der Fall, dass folgendes gilt: es gibt einen und nur einen König von Frankreich. Freges Identitätsrätsel (3a) SS 2010 Es gibt eine Bundeskanzlerin und es gibt höchstens eine Bundeskanzlerin und wer immer gegenwärtig Bundeskanzlerin ist, es ist Angela Merkel. Einführung in die Theoretische Philosophie 91 Bertrand Russells Kennzeichnungstheorie Das Substitutionsproblem (4a) Hans glaubt das folgende: Es gibt einen Autor der Wahlverwandtschaften und es gibt höchstens einen Autor der Wahlverwandtschaften und wer immer der Autor der Wahlverwandtschaften ist, war ein Freund Schillers. (4b) Hans glaubt das folgende: Es gibt einen Gatten von Christiane Vulpius und es gibt höchstens einen Gatten von Christiane Vulpius und wer immer der Gatte von Christiane Vulpius p war,, war ein Freund Schillers. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 92 Bertrand Russells Kennzeichnungstheorie Falschheit überzogen (Frege/Strawson) (1) Der gegenwärtige König von Frankreich ist reich. Was sagst du da? Frankreich hat doch gar keinen König! Falls es keinen gegenwärtigen König von Frankreich gibt, dann scheint (1) intuitiv nicht falsch zu sein, sondern in einem gewissen Sinne unvollständig oder unangemessen. Wir würden eher sagen, (1) sei eine unvollständige, misslungene oder fehlgeschlagene Äußerung. Ä Domänenbeschränkung (7) Der Mann überquerte die Straße. Es wäre übertrieben zu behaupten, behaupten dieser Satz sei nur dann wahr, wahr wenn es einen und nur einen Mann gibt. Dieser Satz kann vielmehr erfolgreich geäußert werden und wahr sein, wenn der Hörer weiß, welcher Mann gemeint ist. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 93 Bertrand Russells Kennzeichnungstheorie Beschreibende und bezugnehmende Kennzeichnungen (Donnellan 1966) (8) Der Mörder von Schmidt ist wahnsinnig. Situation 1: Wir finden eine übel zugerichtete Leiche von Schmidt und wissen nicht wer dessen Mörder ist: (8a) Der Mörder von Schmidt (wer auch immer das sein mag) ist wahnsinnig. Situation 2: Wir befinden uns im Gerichtssaal und wir nehmen an, dass Jones der Mörder von Schmidt ist. (Was vielleicht noch nicht bewiesen ist.) Jones benimmt sich sehr merkwürdig: (8b) Der Mörder von Schmidt (d.h. Jones) ist wahnsinnig. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 94 Bertrand Russells Name Claim Bezugnahme auf nichtexistente Gegenstände (1b) Sherlock Holmes wohnt in der Bakerstreet. Negative Existenzsätze (2b) Pegasus existiert nicht. Freges Identitätsrätsel ((3b)) Mark Twain ist Samuel Clemens [[Mark Twain]. ] Substitutionsproblem (4c) Sophia Loren glaubt, dass Samuel Clemens [Mark Twain] Huckleberry Finn schrieb. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 95 Bertrand Russells Name Claim Russell erweiterte seine Theorie auf Eigennamen. Er behauptete, dass Eigennamen i Abkürzungen bkü fü Kennzeichnungen für i h sind, i d die di wiederum i d – nach h seiner Theorie der Kennzeichnungen – als Abkürzungen für komplexere, quantifikationale Strukturen analysiert werden müssen. Diese Ansicht hat leider schwerwiegende Probleme. Abkürzungen wofür? Oft gibt es keine einzelne, bestimmte Kennzeichnung, die den Sinn eines Eigennamens wiedergeben könnte, könnte weder in Bezug auf den einzelnen Sprecher noch intersubjektiv: Angela Merkel SS 2010 = die gegenwärtige Bundeskanzlerin = die Vorsitzende der CDU = die Gewinnerin der Wahlen 2005 ... usw. Einführung in die Theoretische Philosophie 96 Bertrand Russells Name Claim Trivialität? ( ) (9) (10) Angela g Merkel g gewann die Wahlen 2005. Es gibt eine und nur eine Gewinnerin der Wahlen 2005, welche die Wahlen 2005 gewann. Schwankungen des Sinns? Das, was verschiedene Personen über den Träger eines Eigennamens wissen, kann sich stark voneinander unterscheiden; ebenso das, was ein einzelner Sprecher zu verschiedenen Zeitpunkten über diesen weiß. Schwankt damit der Sinn eines Eigennamens von Sprecher zu Sprecher oder von Zeitpunkt zu Z i Zeitpunkt? k ? Oder Od sind i d Eigennamen Ei ambige bi ( (mehrdeutige) h d i ) Ausdrücke, A d ü k die di je j nach h Situation Verschiedenes bedeuten können? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 97 Bertrand Russells Name Claim Gödel und Schmidt Russells Name Claim: „Gödel“ = „derjenige, der das Unvollständigkeitstheorem bewies“ (11) Gödel bewies das Unvollständigkeitstheorem. Intuitiv: Der Satz sagt etwas Falsches von Gödel. Russell: Der Satz ist trivial wahr und sagt etwas von Schmidt. Schmidt (12) Gödel bewies das Unvollständigkeitstheorem nicht. Intuitiv: Der Satz sagt etwas Wahres von Gödel. Russell: Der Satz ist widersprüchlich und sagt etwas von Schmidt. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 98 Saul Kripkes Theorie der rigiden Designatoren Saul (Aaron) Kripke (*1940) Amerikanischer Logiker und Philosoph. Beschäftigt sich vorwiegend mit der Modallogik Bekannt wurde er auch Modallogik. durch seine Arbeiten zur kausalen Theorie der Bezugnahme. Wichtigste Werke: Naming and Necessity (1972) „An A O tli Outline off a Theory Th off Truth“ T th“ (1975) „Speaker Reference and Semantic ( ) Reference“ (1977) „A Puzzle About Belief“ (1979) Wittgenstein on Rules and Private Language (1984) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 99 Saul Kripkes Theorie der rigiden Designatoren Situation 1: Das rote Rechteck ist kleiner als das grüne g Rechteck. Situation 2: Das rote Rechteck ist kleiner als das grüne Rechteck. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 100 Saul Kripkes Theorie der rigiden Designatoren „Alpha“ Situation 1: „Beta“ Alpha ist kleiner als Beta. Beta „Alpha“ „Alpha „Beta“ Situation 2: Alpha ist kleiner als Beta. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 101 Saul Kripkes Theorie der rigiden Designatoren Mögliche Welten (Situationen) Stellen wir uns unsere aktuale Welt vor. Wenn wir über Dinge in dieser Welt sprechen, dann sprechen wir darüber, was tatsächlich passiert: „Schröder ist Bundeskanzler “, „Gras Bundeskanzler. Gras ist grün. grün “ usw. usw Es hätte aber auch anders sein können, die Welt könnte anders sein, als sie ist: Merkel könnte die Wahlen verloren haben, Gras könnte auch rot sein usw. Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, wie unsere Welt aussehen könnte. Diese nennen wir mögliche Welten. Jede dieser möglichen Welten repräsentiert eine nichtaktuale, globale Möglichkeit, wie die Welt (das gesamte Universum) sein könnte. Die Wahrheit eines Satzes hängt davon ab, welche Welt wir in Betracht ziehen. • Der D Satz S „Merkel M k l ist i Bundeskanzlerin.“ B d k l i “ ist i wahr h in i unserer Welt, W l aber b in i einer i anderen möglichen Welt, in der die Wahlen anders ausgegangen wären, ist dieser Satz falsch. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 102 Saul Kripkes Theorie der rigiden Designatoren Eigennamen Kennzeichnungen g „Alpha“ „Beta“ Situation 1 „Alpha“ „Alpha“ „„Beta“ Situation 2 „Alpha“ „Beta“ Situation 1 „„Beta“ Situation 2 (15) Das rote Rechteck ist kleiner als das grüne Rechteck. (16) Alpha ist kleiner als Beta. Schwache Designatoren Rigide Designatoren ... sind solche singulären Terme, welche in verschiedenen Welten (Situationen) unterschiedliche Bezugsgegenstände besitzen. ... bezeichnen in jeder Welt (Situation) dasselbe Individuum, falls sie in der aktualen Welt eines bezeichnen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 103 Saul Kripkes Theorie der rigiden Designatoren Kennzeichnungen sind schwache und Eigennamen rigide Designatoren. Daher kö können Eigennamen i nicht i h äquivalent ä i l mit i Kennzeichnungen i h sein. i Test auf Rigidität Es hätte sein können, dass N nicht N gewesen ist. Bei Einsetzung von schwachen Designatoren für N ergibt das üblicherweise einen wahren Satz: (17) Es hätte sein können, dass der berühmteste römische Redner nicht d der b üh berühmteste römische ö i h Redner d gewesen ist. Bei rigiden Designatoren ergibt das einen kaum verständlichen, seltsamen S t Satz: (18) SS 2010 Es hätte sein können, dass Cicero nicht Cicero gewesen ist. Einführung in die Theoretische Philosophie 104 Saul Kripkes Theorie der rigiden Designatoren Die kausal-historische Theorie der Bezugnahme g Wie gelingt es uns eigentlich, auf den Träger eines Namens Bezug zu nehmen, ohne dafür „identifizierende Beschreibungen Beschreibungen“ zu benutzen? „Sagen wir, es wird jemand geboren, ein Baby; seine Eltern rufen es mit einem bestimmten Namen. Namen Sie reden mit Freunden über es. es Andere Leute kommen mit ihnen zusammen. Durch verschiedene Arten der Rede wird der Name von Glied zu Glied verbreitet wie durch eine Kette. ... Eine bestimmte Kommunikationskette erreicht den Sprecher. Sprecher Er referiert dann auf Feynman, obwohl er ihn nicht durch Beschreibungen, die auf ihn als einzigen zutreffen, identifizieren kann.“ (Kripke 1981/1972 107) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 105 Eigennamen und ihre Träger John Steward Mill: Die Bedeutung von Eigennamen liegt allein in ihrem Träger. Ihre Funktion erschöpft sich darin, darin ein Individuum in den Diskurs einzuführen. einzuführen Sie sind eine Art Etiketten, durch die Ausdrücke zu Individuen zugeordnet werden. Bertrand Russell: Eigennamen stellen abgekürzte Kennzeichnungen dar. Ihre Funktion liegt darin, eine komplexe, quantifizierende Behauptung einzuführen, durch die ein einzelnes Individuum anhand der verwendeten Beschreibungen herausgegriffen werden kann. John Searle: Eigennamen stehen für Cluster individuierender Beschreibungen, mit denen es uns gelingt, das gemeinte Individuum zu identifizieren. Saul Kripke: Eigennamen besitzen eine rigide Bezugnahme. Die Zuordnung des Namens auf den entsprechenden Referenten basiert weder auf einzelnen noch auf Clustern von Beschreibungen, Beschreibungen sondern auf den kausalen Beziehungen in einer Kommunikationskette, die bis auf einen Akt der Namensgebung zurück reicht. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 106 Hilary Putnam über Ausdrücke für natürliche Arten Hilary Putnam (*1926) Putnam ist ein einflussreicher amerikanischer Philosoph, der vor allem bekannt ist wegen seiner Arbeiten auf den Gebieten der Wissenschaftstheorie, der Philosophie des Geistes und des Pragmatismus. Wichtigste Werke: Philosophical Papers, Papers 3 Bde. Bde (1972(1972 1983) „The Meaning of ‚Meaning‘“ (1975) y ((1981)) Reason,, Truth,, and History Representation and Reality (1988) Realism with a Human Face (1990) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 107 Hilary Putnam über Ausdrücke für natürliche Arten Prädikate für natürliche Arten: allgemeine Nomen, die für natürliche S b Substanzen oder d O Organismen i wie i Wasser, Kupfer, f Tiger, i Molybdän l bdä usw. stehen. h Beschreibungstheorie und Stereotypen Eine Beschreibungstheorie für natürliche-Arten-Ausdrücke behauptet, dass jeder Ausdruck dieses Typs mit einem deskriptiven Stereotyp assoziiert ist, anhand d dessen di Gegenstände, die G tä d di unter die t d das j jeweilige ili P ädik t fallen, Prädikat f ll id tifi i t identifiziert werden können: • Wasser = die klare, klare geschmacklose Flüssigkeit, Flüssigkeit die als Regen vom Himmel fällt und Seen und Flüsse füllt • Tiger = der katzenähnliche, schwarz-orange gestreifte Fleischfresser, welcher einzeln durch die Wälder von Asien streift • Kupfer = das rotbraune, metallische Material, welches sich leicht erwärmen lässt, relativ biegsam ist und den Strom leitet SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 108 Hilary Putnam über Ausdrücke für natürliche Arten Das Twin Earth Gedankenexperiment I Stellen wir uns vor, es gäbe eine Doppelerde (Twin Earth), die in allen Aspekten mit unserer wirklichen Erde identisch ist – insbesondere in Bezug auf die sichtbaren Eigenschaften eines Stoffes, der dort Flüsse und Seen füllt, geruchsneutral und durchsichtig ist. Stellen wir uns weiter vor, dass dieser Stoff dort nicht die Zusammensetzung von Wasser (nämlich H2O), sondern die Zusammensetzung XYZ hätte. These: Diesen Stoff würden wir nicht „Wasser“ nennen, auch wenn es dem Wasser auf unserer Erde in allen anderen phänomenalen Eigenschaften gleicht. • Der Wasserstereotyp kann nicht als identifizierend für „Wasser“ angesehen werden. • Was Wasser ist, wird durch seine Zusammensetzung (chem. Struktur) festgelegt, nicht durch den Stereotyp. • „Wasser“ wie auch „Tiger“ oder „Molybdän“ sind rigide Designatoren! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 109 Hilary Putnam über Ausdrücke für natürliche Arten Das Twin Earth Gedankenexperiment II Stellen wir uns nun vor, dass es auf der Doppelerde eine Molekül für Molekül identische Angela Merkel gibt. Nennen wir sie „Doppelmerkel“. Merkel und Doppelmerkel äußern nun im selben Moment den Satz „Ich Ich möchte ein Glas Wasser.“ Obwohl beide sich z.B. in demselben Gehirnzustand befinden und vielleicht auch die Zusammensetzung von „Wasser“ (H2O) und „Doppelwasser“ (XYZ) nicht k kennen, und d obwohl b hl der d einzige i i U t Unterschied hi d zwischen i h d der E d und Erde d der d Doppelerde in der chemischen Zusammensetzung von Wasser besteht, haben die Worte aus Merkels und Doppelmerkels Mund eine unterschiedliche Bedeutung. ⇒ Die beiden Sätze sind nicht äquivalent, denn Merkel möchte H2O und Doppelmerkel l k l XYZ! ¾ Die Bedeutungen unserer Worte werden weder festgelegt durch die Totalzustände unserer Gehirne, Gehirne noch durch die Totalzustände unseres Körpers, noch durch die psychologischen Zustände, in denen wir uns befinden, denn diese sind nach den Voraussetzungen unseres Gedankenexperiments identisch! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 110 „Meanings are not in the head.“ (Hilary Putnam) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 111 Sprachphilosophie Semantik Bedeutungstheorien SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 112 SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 113 SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 114 Bedeutungstatsachen Bedeutungsgehalt: Unter der Menge der Tonfolgen und der Menge der Zeichenreihen gibt es solche, solche die bedeutungsvoll sind, sind und solche die es nicht sind. Wie ist das zu erklären? Welche Eigenschaften muss ein Satz aufweisen, damit er etwas bedeutet? Der Mond scheint hell. / Brt xyz $3&?ß JJJ. Synonymie: Zwei Ausdrücke werden manchmal bedeutungsgleich genannt. Was h ißt es, dass heißt d zweii Ausdrücke A d ü k dieselbe di lb Bedeutung B d t b it besitzen? ? Worin W i gleichen l i h sie i sich? Was ist ihr gemeinsames Merkmal? Der Erpel balzt. / Das Entenmännchen balzt. Ambiguität: Es gibt Ausdrücke, die mehr als eine Bedeutung besitzen. Wann ist dies der Fall? Wie kann man entscheiden, wann welcher Ausdruck welche B d t Bedeutung b it t? besitzt? Maria erkennt ihre Bank an dem blauen Quadrat. / Horst ist ein Esel. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 115 Bedeutungstatsachen Analytizität: Wir sagen manchmal, ein Ausdruck sei in einem anderen schon „enthalten“.. Sätze, die aus solchen Ausdrücken zusammengesetzt sind, sind „enthalten wahr aufgrund der Bedeutung der Ausdrücke, aus denen sie zusammengesetzt sind. Wir brauchen kein Faktenwissen, um ihre Wahrheit oder Falschheit herauszufinden. Wie lässt sich das erklären? Was genau heißt es, dass ein Ausdruck in einem anderen „enthalten enthalten“ ist? Junggesellen sind unverheiratete Männer. Folgebeziehungen: Ein Satz kann aus einem oder mehreren anderen Sätzen folgen. Welche Merkmale müssen die entsprechenden Sätze besitzen, damit einer aus dem anderen folgt? Wenn es regnet, dann ist die Straße nass. Es regnet. Also: Die Straße ist nass. Präsuppositionen: Die Wahrheit mancher Sätze hat die Wahrheit eines oder mehrer anderer Sätze zur Voraussetzung. Wie kann das erklärt werden? Maria hat mit dem Rauchen aufgehört. >> Maria hat geraucht. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 116 Grundfragen der Semantik Kombination Sprache Ausdruck X Ausdruck Y Ausdruck Z Ausdruck ((XYZ)) B Bezugnahme h /R Repräsentation ä t ti / Abbildung Abbild /D Denotation t ti Bedeutung von X Bedeutung von Y Bedeutung von Z Bedeutung von (XYZ) Bedeutungen Kombination SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 117 Grundfragen der Semantik 1) Welche Aussage wird dazu getroffen, was die Bedeutungen sprachlicher Ausdrücke sind? Was sind die Bedeutungsobjekte? 2) Wie können anhand der Strukturen und Mechanismen, die für die unterstellten Bedeutungsobjekte maßgeblich sind, sind die genannten Bedeutungstatsachen erklärt werden? 3) Welche Beziehungen bestehen zwischen der Bedeutung eines komplexen sprachlichen Ausdrucks (z. B. eines Satzes) und den Bedeutungen der Teile, aus denen er zusammengesetzt ist (z. B. der Worte, aus denen ein Satz aufgebaut ist)? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 118 John Locke über Vorstellungen und Bedeutungen John Locke (1632 – 1704) Locke ist einer der wichtigsten Philosophen des sog. britischen E Empirismus. i i S i Hauptinteresse Sein H ti t galt lt der Erkenntnistheorie. Darüber hinaus hat er sich mit der politischen Philosophie p und den Prinzipien p der Bildung beschäftigt. Wichtigstes Werk: An Essay y Concerning g Understanding (1690) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie Human 119 John Locke über Vorstellungen und Bedeutungen Wenn jemand auch eine Fülle verschiedener Gedanken hegt, ... so sind sie doch alle in seiner Brust verschlossen, für andere unsichtbar und verborgen: sie können auch nicht durch sich selbst kundgegeben werden. Da nun aber die Annehmlichkeiten und Vorteile der Gemeinschaft h f ohne h eine Mitteilung l d der Gedanken d k nicht h zu erreichen h sind, so musste der Mensch notwendig gewisse äußere, sinnlich wahrnehmbare Zeichen finden, mit deren Hilfe jene unsichtbaren Ideen, di die seine i G d k Gedankenwelt lt ausmachen, h anderen d mitgeteilt it t ilt werden d könnten. Für diesen Zweck war ... nichts so gut geeignet wie jene artikulierten Laute, die der Mensch mit Leichtigkeit und Mannigfaltigkeit zu erzeugen imstande war. war So wird es begreiflich, begreiflich wie es dazu kam, kam daß gerade die Wörter ... als Zeichen für ihre Ideen verwendet wurden. ... Der Zweck der Wörter besteht also darin, sinnlich wahrnehmbare Kennzeichen der Ideen zu sein; die Ideen, Ideen für die sie stehen, stehen machen ihre eigentliche und unmittelbare Bedeutung aus. (John Locke, Versuch über den menschlichen Verstand, 3. Buch) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 120 John Locke über Vorstellungen und Bedeutungen Kommunikation ist ein Kodieren und Dekodieren von mentalen Zuständen ( (Vorstellungen, ll Ideen) d ) anhand h d von Zeichenfolgen. i h f l SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 121 John Locke über Vorstellungen und Bedeutungen Orientierung an den Bedeutungstatsachen Ein sprachlicher Ausdruck (z.B. ein Satz als Ton- oder Zeichenfolge) ist dann bedeutungsvoll, wenn er mit einem „inhaltsvollen“ mentalen Zustand assoziiert ist. ist Zwei Ausdrücke sind dann synonym, wenn sie mit derselben Idee/Vorstellung assoziiert sind Ein Ausdruck ist ambig (mehrdeutig), wenn er mit mehr als einer Vorstellung assoziiert ist. Ein Satz folgt aus einem anderen, wenn die Vorstellungen, die mit dem Folgesatz (Konklusion) verbunden sind, in den Vorstellungen enthalten sind, die mit dem ersten Satz ((Prämisse)) verbunden sind. ... usw. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 122 John Locke über Vorstellungen und Bedeutungen - Probleme • Die Theorie ist nicht gehaltvoll genug. Um sie zu präzisieren, müsste geklärt werden was genau eine Idee bzw. werden, bzw eine Vorstellung ist. ist Mentale Bilder sind als Bedeutungstatsachen ungeeignet; auch abstraktere mentale Konzepte wie „Begriffe“ helfen nicht weiter, da es sich hierbei um ebenso unklare „Gegenstände“ handelt. • Zu vielen Worten der Sprache besitzen wir überhaupt keine Vorstellungen („ist“, „nicht“, „als“, „Anbetracht“, „davon“ ...). Viele Sätze sind kompliziert und lang. Es ist schwer zu sagen, welche Vorstellungen sich damit verbinden sollten. • Ideen und Vorstellungen sind subjektive Entitäten und unterscheiden sich von Person zu Person. A’s Vorstellung von einem Hund ist nicht B’s Vorstellung d davon, obgleich b l i h „Hund“ H d“ für fü A dasselbe d lb bedeuten b d t sollte llt wie i für fü B. B • Die primären Träger von Bedeutungen sind für Locke die einzelnen Worte. Was aber die Bedeutung von komplexen Ausdrücken ist und wie sie sich aus den Bedeutungen der Teile ergibt, darüber sagt diese Theorie so gut wie gar nichts aus. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 123 Die Propositionentheorie G. Frege (1848-1925) B. Russell (1872-1970) G.E. Moore (1873-1958) Vorstellungen/Ideen: sprachunabhängige, subjektive Entitäten Propositionen: abstrakte, sprachunabhängige, objektive Entitäten Propositionen sind keine beobachtbaren Dinge. Dinge Wir haben keinen unmittelbaren Zugang zu ihnen. Sie sind eine Art Werkzeug – ein theoretischer Begriff wie „Neutrino“ in der Physik – welcher dazu dient, präzise Aussagen über den Phänomenbereich zu machen, mit dem sich eine Bedeutungstheorie befasst. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 124 Die Propositionentheorie Das Paradigma: Indirekte Rede Direkte Rede J Jones sagte t „Snow S i white.“ is hit “ Indirekte Rede Jones sagte, dass Schnee weiß ist Jones sagte, dass Schnee eine weiße Farbe besitzt. Jones sagte, dass kristallines Wasser eine weiße Färbung besitzt. ... usw. Der Satz „Snow is white“ kann in der indirekten Rede auf verschiedene Weise wiedergegeben werden. Die Propositionstheorie erklärt dies so, dass der ursprüngliche Satz „Snow is white“ und die verschiedenen dass-Sätze der indirekten Rede dieselbe Proposition zum Ausdruck bringen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 125 Die Propositionentheorie Eigenschaften von Propositionen Propositionen sind (im Unterschied zu Ideen oder Vorstellungen) objektiv und spachunabhängig. Sie sind weder räumlich noch zeitlich lokalisiert. Sie k können weder d entstehen h noch h vergehen. h Propositionen werden nicht nur als die Bedeutungen von Sätzen angesehen, sondern d auch h als l die di Inhalte I h lt mentaler t l Z tä d (Jones Zustände. (J glaubt, l bt dass d S h Schnee weiß ist. >> Jones steht in der Beziehung des Glaubens zu der Proposition, dass Schnee weiß ist.) Propositionen sind die fundamentalen Träger von Wahrheit und Falschheit. Sie besitzen permanente Wahrheitswerte (sind bleibend entweder wahr oder falsch). ) Ein Satz ist wahr/falsch,, weil die Proposition, p , die er zum Ausdruck bringt, g, wahr/falsch ist. Die Äußerung eines Satzes zu einer bestimmten Gelegenheit kann relativ zum Äußerungskontext verschiedene Propositionen zum Ausdruck bringen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 126 Die Propositionentheorie Eigenschaften von Propositionen Propositionen besitzen eine interne Struktur; sie sind zusammengesetzt aus abstrakten begrifflichen Teilen. Nur vollständige Sätze drücken Propositionen aus; einzelne l Worte hingegen h d drücken k etwas aus, das d Teill vieler l verschiedener h d Propositionen ist: einen Begriff (concept). Propositionen P iti sind i d primär i ä gegenüber üb B Begriffen iff – ein i Begriff B iff kann k aus Propositionen abgeleitet werden, durch die Rolle, die er in den Propositionen spielt, in denen er vorkommt. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 127 Die Propositionentheorie Orientierung an den Bedeutungstatsachen Eine Laut-/Zeichenfolge besitzt eine Bedeutung, weil sie in einer spezifischen Beziehung zu einem abstrakten Inhalt steht: weil sie eine Proposition zum Ausdruck bringt. Zwei Sätze (derselben Sprache oder zweier verschiedener Sprachen) sind synonym, wenn sie dieselbe Proposition ausdrücken. Ein Satz ist ambig (mehrdeutig), wenn er zwei oder mehr verschiedene Propositionen ausdrücken kann. Ein Wort ist synonym mit einem anderen Wort, wenn beide dieselbe Rolle in allen Propositionen spielen, in denen sie vorkommen. Ein Wort ist ambig (mehrdeutig), wenn es verschiedene Rollen in den Propositionen spielt, in denen es vorkommt. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 128 Die Propositionentheorie Das Erfassen einer Proposition: Wenn eine Person x einen Satz S versteht, dann steht x in einer gewissen Relation zu einer Proposition p, die S zum Ausdruck bringt. Diese Relation besteht im Erfassen einer Proposition: Einen Satz S zu verstehen, heißt eine Proposition p zu erfassen und zu wissen, dass S die Proposition p ausdrückt: ... when we understand the meaning of a sentence, something else does happen in our mindes besides the mere hearing of the words of which the sentence is composed. You can easily satisfy yourself of this by contrasting what happens when you hear a sentence, which you do understand, from what happens when you do not understand ... in the first case, there occurs ... another act of consciousness – an apprehension of their meaning, which is plain that the apprehension pp of the absent in the second case. And it is no less p meaning of one sentence with one meaning, differs in some respect from the apprehension of another sentence with a different meaning ... There certainly are such things as the two different meanings apprehended. And each of these g is what I call a p proposition. p ((G.E.Moore,, Some Main Problems of two meanings Philosophy) Die Propositionentheorie kann uns nicht sagen, worin das Erfassen einer Proposition besteht. besteht SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 129 Die Propositionentheorie Das Ausdrücken einer Proposition: Die Propositionen Theorie ist nicht explanatorisch. l i h Die i Annahme, h d dass ein i Satz S eine i Proposition ii ausdrückt, d ü k scheint h i nur eine umständlichere Sprechweise dafür zu sein, dass der Satz bedeutungsvoll ist bzw. eine Bedeutung besitzt. Eine Bedeutungstheorie muss ein gewisses Maß an Voraussagekraft besitzen. Die Annahme von Propositionen kann gewinnbringend sein, bedarf aber weiterer Verfeinerung und Ausarbeitung. Sprache p und Reaktionen auf etwas aufgrund sich in einem eingehen. eingehen SS 2010 Verhalten: Unsere sprachliche p Aktivitäten sind meistens sprachliche Aktivitäten anderer Menschen. Wir tun manchmal der Überzeugungen, die wir besitzen. Das Sprachlernen vollzieht intersubjektiven Rahmen, in dem wir handelnd aufeinander Einführung in die Theoretische Philosophie 130 Ludwig Wittgensteins Gebrauchstheorie der Bedeutung Ludwig Wittgenstein (1889 – 1951) Wittgenstein gilt als einer der bedeutendsten Philosophen des 20. J h h d t In Jahrhunderts. I seinem i F üh Frühwerk k (TLP) orientiert er sich an Frege und Russell und konzipiert eine ideale Sprache. In seinem Spätwerk p ((PU)) revidiert Wittgenstein die meisten seiner Ansichten und legte den Grundstein für eine Gebrauchstheorie der Bedeutung. Wichtigste Werke: Tractatus Logico-Philosophicus (1921) Philosophische Untersuchungen (1953) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 131 Ludwig Wittgensteins Gebrauchstheorie der Bedeutung Denke nun an die Verwendung der Sprache: Ich schicke jemanden einkaufen. Ich gebe ihm einen Zettel, auf diesem stehen die Zeichen: „fünf rote Äpfel“. Er trägt den Zettel zum Kaufmann; der öffnet die Lade, auf welcher das Zeichen „Äpfel“ steht; dann sucht er in der Tabelle b ll das d Wort „rot““ auff und d findet f d ihm h gegenüber b ein Farbmuster; b nun sagt er die Reihe der Grundzahlwörter – ich nehme an, er weiß sie auswendig – bis zum Worte „fünf“ und bei jedem Zahlwort nimmt er einen i A f l aus der Apfel d L d Lade, d der di Farbe die F b des d M t Musters h t – So hat. S und d ähnlich operiert man mit Worten. – „Wie weiß er aber, wo und wie er das Wort ‚rot’ nachschlagen soll und was er mit dem Wort ‚fünf’ anzufangen hat? hat?“ – Nun, Nun ich nehme an, an er handelt, handelt wie ich es beschrieben habe. Die Erklärungen haben irgendwo ein Ende. – Was ist aber die Bedeutung des Wortes „fünf“? – Von einer solchen war hier gar nicht die Rede; nur davon, davon wie das Wort „fünf fünf“ gebraucht wird. wird (Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, §1) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 132 Ludwig Wittgensteins Gebrauchstheorie der Bedeutung Der Aspekt des Sprachlernens Was wir lernen, ist eine komplexe Form sozialen Verhaltens. Wir lernen, uns auf eine bestimmte Weise zu verhalten, wenn Menschen Geräusche machen, und lernen welche Geräusche wir machen sollen, lernen, sollen wenn wir uns in gewissen Situationen befinden. Die sprachliche Praxis wird geleitet durch eine hochkomplexe Menge von Regeln, auch wenn diese nicht explizit artikuliert werden. Sprachlernen besteht im Ei üb Einüben di dieser i impliziten li it R Regeln. l D Durch h ständiges tä di Üb Üben l lernen wir i diesen di zu folgen. Der Grundgedanke der Gebrauchstheorie Die Bedeutung eines Ausdrucks zu kennen, heißt zu wissen, wie dieser Ausdruck in verschiedenen kommunikativen Situationen verwendet wird. Das Wesentliche der Sprache sind keine Bedeutungsentitäten (Ideen, Propositionen), sondern konkrete Sprachspiele, in denen wir Ausdrücke verwenden, um mit ihnen gewissen Handlungen (Spielzüge) in einem konventionell geordneten sozialen Raum auszuführen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 133 Ludwig Wittgensteins Gebrauchstheorie der Bedeutung • Wittgensteins Bild von der Sprache als einem Baustein in einer hochk konventionalisierten, i li i sozialen i l Praxis i hat h zum Paradigma di solche l h Ausrufe f wie i „Hallo.“, „Entschuldigung.“, „Danke.“, „Hör auf damit!“, „Hol den Stein dort!“ usw., welche fest eingebunden in solche sozialen Praktiken sind. Weite Bereiche unserer Sprache funktionieren jedoch nicht nach diesem Muster. Die meisten Sätze, die wir hören und verstehen, sind uns neu. Viele Sätze sind lang und kompliziert und lassen sich keiner bestimmten Praxis zuordnen – und trotzdem verstehen wir sie. • Unsere Fähigkeit, neue, komplizierte Sätze auch außerhalb jedes spezifischen Sprachspiels zu verstehen, kann kein Produkt unserer Kenntnis der Konventionen sein deren sein, de en Bestandteil diese Sätze Sät e sind, sind denn für fü diese sind nie irgendwelche i gend elche Konventionen aufgestellt worden. • Viele andere Praktiken wie gewisse Sportspiele (Fußball, (Fußball Schach, Schach Tennis) sind ebenso durch explizite und implizite Regeln geleitet. Wodurch aber unterscheiden sich Sprachspiele von anderen konventionalisierten Praktiken? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 134 Das reduktive Programm von H.P. Grice Herbert Paul Grice (1913-1988) Paul Grice ist bekannt geworden durch seine Arbeiten zur Sprachphilosophie. Er führte den Begriff der Sprecherbedeutung ein, „erfand“ die konversationalen Implikaturen (Pragmatik) und entwickelte eine intentionale Semantik. Als Resultat dieser Ideen wechselte das Interesse in der philosophischen Debatte zum Begriff der Bedeutung in den 70ern und 80ern von der linguistischen zur mentalen Repräsentation. Wichtigste Werke: „Logic and Conversation“ (1975) „Further Notes on Logic and Coversation“ (1978) Studies in the Way of Words (1989) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 135 Das reduktive Programm von H.P. Grice Worin liegt die Bedeutung eines konkreten Satzes, den wir zu einer bestimmten G l Gelegenheit h i äußern? ä ß ? Locke: In den privaten Ideen, die wir anderen mit unseren Worten übermitteln. Frege u.a.: In einer abstrakten Proposition, die durch den Satz zum Ausdruck gebracht wird. Wittgenstein: In den impliziten Regeln unseres Sprachgebrauchs. Grice: In den kommunikativen Absichten und Überzeugungen Ü des Sprechers. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 136 Das reduktive Programm von H.P. Grice Eine Explikation der Satzbedeutung durch psychische Zustände Erster Schritt Rückführung der Satz Satz-Bedeutung Bedeutung auf die Sprecher Sprecher-Bedeutung Bedeutung Zweiter Schritt Rückführung Zustände SS 2010 der Sprecher-Bedeutung auf einen Einführung in die Theoretische Philosophie Komplex psychischer 137 Das reduktive Programm von H.P. Grice Sprecher-Bedeutung vs. Satz-Bedeutung Nicht immer stimmt das, was ein Sprecher mit einem Satz bei einer bestimmten Gelegenheit zu sagen beabsichtigt, mit dem überein, was der Satz literal ( (wörtlich) l h) bedeutet: b d Was für eine brillante Idee! Da hast du dir ja wieder mal etwas ausgesprochen Dummes einfallen lassen! Es zieht! Mach die Tür zu! Der ist aber schön rot. Dieser Apfel hat eine schöne rote Färbung. Der Himmel lacht. Heute ist schönes, wolkenloses Wetter. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 138 Das reduktive Programm von H.P. Grice Explikation der Satz-Bedeutung durch die Sprecher-Bedeutung „S bedeutet, dass p, gdw. S normalerweise die Sprecher-Bedeutung besitzt, dass p.“ • Die Satz-Bedeutung beschränkt das, was ein Sprecher mit einem Satz meinen kann. Wir können nicht einen beliebigen Satz benutzen, um damit etwas Bestimmtes zu meinen. Sätze scheinen daher schon vorgängig eine bestimmte B d Bedeutung zu besitzen. b i • Die meisten bedeutungsvollen Sätze einer Sprache sind noch nie geäußert worden Nie geäußerte Sätze besitzen aber keine Sprecherbedeutung. worden. Sprecherbedeutung • Sätze können nur einmal und in einem nichtliteralen Sinne geäußert werden. Wie kann dann die Sprecher-Bedeutung die Satz-Bedeutung determinieren? • Viele Sätze werden immer in einem nichtliteralen Sinne geäußert. Wie kommen diese zu ihrer abweichenden Satz-Bedeutung? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 139 Das reduktive Programm von H.P. Grice Rückführung der Sprecher-Bedeutung auf psychische Zustände Mit dem Äußern von S meint A, dass p. =def Mit dem Äußern von S (1) beabsichtigt A, dass H die Überzeugung erwirbt, dass p. ((2)) beabsichtigt g A,, dass H A´s Absicht ((1)) erkennt. (3) beabsichtigt A, dass H die Überzeugung, dass p, teilweise aufgrund von A´s Absicht in (1) erwirbt. ¾ Reduktion der Sprecher-Bedeutung auf einen Komplex aus Intentionen (Absichten), Überzeugungen und anderen psychischen Zuständen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 140 Das reduktive Programm von H.P. Grice Rückführung der Sprecher-Bedeutung auf psychische Zustände S bedeutet, dass p in A´s Idiolekt, gdw.: A steht die folgende Prozedur zur Verfügung: A beabsichtigt in Bezug auf einen Hörer H, dass H die Überzeugung erwirbt, dass p, und A beabsichtigt, dass H A´s Absicht erkennt und beabsichtigt, dass H die Überzeugung aufgrund der entsprechenden Absicht von A erwirbt. S bedeutet, dass p für eine Gruppe von Sprechern G, gdw.: (a) Den meisten Mitgliedern von G steht die folgende Prozedur zur Verfügung: G beabsichtigt in Bezug auf einen Hörer H, H dass H die Überzeugung erwirbt, erwirbt dass p, p und beabsichtigt, dass H G´s Absicht erkennt und beabsichtigt, dass H die Überzeugung aufgrund der Absichten von G erwirbt. (b) Die Annahme, dass viele Mitglieder von G dieser Prozedur in diesem Falle anwenden, ist eine Bedingung für die Anwendung der Prozedur eines der Mitglieder von G. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 141 Das reduktive Programm von H.P. Grice Keine Audienz: Was ich einfach so vor mich hinsage (ohne die Absicht, jemanden von etwas zu überzeugen) hat auch eine Bedeutung. Bedeutung ¾ Ein Sprecher muss mindestens beabsichtigen, dass – falls jemand zuhörte – dieser d ese d die e e entsprechende tsp ec e de Übe Überzeugung eugu g e erwirbt, bt, auc auch wenn e im Moment o e t niemand e a d aktuell da ist, der mir zuhört. (modale Abschwächung) Prüfungen: Manchmal (bei Prüfungen) meinen wir (als Studenten) etwas, wovon andere d b bereits it überzeugt üb t sind i d (Professoren). (P f ) ¾ H muss die Überzeugung (Abschwächung von G1) erwerben, dass S überzeugt ist, dass p. Beweise: Wenn man etwas beweist, dann soll H von der Konklusion des Beweises nicht aufgrund der Sprecherintentionen, sondern aufgrund der P ä i Prämissen d Beweises des B i üb überzeugt t sein. i ¾? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 142 Die Verifikationstheorie Rudolf Carnap (1891-1970) Otto Neurath (1882-1945) Alfred Jules Ayer (1910-1989) Logischer Empirismus: Einflussreiche wissenschaftstheoretische Position, die ausgehend vom Wiener Kreis (Schlick, Neurath, Carnap, Reichenbach, Feigl u.a.) etwa zwischen 1930 und 1950 entwickelt wurde. Ziel war eine wissenschaftliche (moderne) Philosophie, Philosophie die sich kritisch mit der traditionellen Philosophie auseinandersetzte, sich der Methoden der Logik bedient und wie der klassischen Empirismus die Bedeutung der Erfahrung bei der Erkenntnisgewinnung hervorhob. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 143 Die Verifikationstheorie Verifikationsprinzip Die Bedeutung eines Satzes liegt in den Bedingungen seiner Verifikation. Die Verifikationsbedingungen (die Bedeutung) eines Satzes zu kennen, heißt zu wissen, welche Erfahrungen man haben müsste, wenn der Satz wahr ist. Die Verifikationsbedingungen sind also diejenigen (möglichen) Erfahrungen, die man machen würde, wenn der betreffende Satz wahr sein würde. Das Verifikationsprinzip lokalisiert die Bedeutung in unserer Weise, wie wir etwas erkennen oder herausfinden. Die Menge der sinnlichen Evidenzen, die für einen i S t sprechen, Satz h machen h seine i B d t Bedeutung aus. Das D P i i beinhaltet Prinzip b i h lt t daher eine epistemische Theorie der Bedeutung. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 144 Die Verifikationstheorie Empiristisches Sinnkriterium Falls ein Satz keine Verifikations-/Falsifikationsbedingungen besitzt, falls es also keine Erfahrungen gibt, die seine Wahrheit bzw. Falschheit entscheiden könnten, d dann ist dieser d Satz sinnlos l (bedeutungslos). (b d l ) Naturwissenschaft spekulative Metaphysik Sätze mit empirischem Sätze ohne empirischen Gehalt /Bedeutung Gehalt / Bedeutung SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 145 Die Verifikationstheorie Analytische Sätze Es gibt eine ganze Reihe von Sätzen, die keinen empirischen Inhalt besitzen und dennoch bedeutungsvoll sind. Kein Junggeselle ist verheiratet. Eine Geiß ist eine weibliche Ziege. g Wenn es schneit, dann schneit es. Fünf Stifte sind mehr als zwei Stifte. Die Energie g eines Körpers p ist g gleich dem Produkt aus seiner Masse und dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit. Solche Sätze machen keine empirischen Voraussagen. Sie sind aber dennoch bedeutungsvoll. Wie kann das sein? Die logischen Empiristen behaupten, dass sie wahr qua Konvention sind. Ihre Wahrheit wird garantiert durch die Bedeutungen der Worte, die sie enthalten. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 146 Die beiden „Dogmen“ des Logischen Empirismus Verifikationstheorie der Bedeutung d Unterscheidung zwischen analytischen l i h und d synthetischen h i h Sätzen Nur solche Sätze sind sinnvoll (besitzen eine Bedeutung), die sich an der Erfahrung verifizieren lassen. Es gibt Sätze, die nur Sprachwissen und kein Tatsachenwissen enthalten. Naturwissenschaft spekulative Metaphysik wiss. Philosophie synthetische Sätze mit synthetische Sätze ohne analytische Sätze empirischem Gehalt empirischen Gehalt SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 147 Die Verifikationstheorie • Das Verifikationsprinzip kann nur auf deskriptive, tatsachenbehauptende Sätze angewandt d werden. d Fragen, Behauptungen, h Poetik, ik Witze i oder d Zeremonien i besitzen keine Verifikationsbedingungen und sind dennoch bedeutungsvoll. • Wie Wi können kö wir i wissen, i ob b ein i Satz S t verifizierbar ifi i b ist, i t bevor b wir i wissen, i was er bedeutet. Wenn wir wissen, was ein Satz bedeutet, dann ist er bedeutungsvoll, ob er sich nun verifizieren lässt oder nicht. • Viele Sätze, gerade der Naturwissenschaften, sind Sätze über Entitäten, die sich nicht direkt beobachten lassen (Elektronen, psychische Zustände, Röntgenstrahlen g usw.). ) Die empirischen p Evidenzen,, die wir für solche Sätze haben können, erstrecken sich auf gewisse Ausschläge von Messgeräten, auf beobachtbares Verhalten von Personen, auf Spuren in Nebelkammern, auf Muster in einer Kathodenstrahlröhre usw. Die Verifikationstheorie impliziert, dass wir mit solchen Sätzen nicht über Elektronen oder psychische Zustände, Zustände sondern über Nebelkammern und das Verhalten von Personen sprechen. Das aber ist kontraintuitiv. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 148 W.V. Quines Bedeutungsskeptizismus Willard Van Orman Quine (1908-2000) Quine gilt als einer der einflussreichsten 20 Jahrhunderts. Jahrhunderts Er ist als Philosophen des 20. einer der Hauptvertreter der analytischen Philosophie und war als Schüler von Carnap einer der wichtigsten Kritiker des Logischen Empirismus Empirismus. Sein riesiges Lebenswerk umfasst die Gebiete der Logik, Wissenschaftstheorie, Sprachphilosophie und Erkenntnistheorie. Wichtigste Werke: „On What There Is“ (1948) „Two Two Dogmas of Empirism Empirism“ (1951) Word and Object (1960) „Ontological Relativity“ (1968) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 149 W.V. Quines Bedeutungsskeptizismus Die Kritik an der Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Sätzen Synthetische y Sätze: Die Bedeutung g dieser Sätze liegt g allein in ihrem empirischen Inhalt, d.h. in ihren Verifikationsbedingungen, in den empirischen Evidenzen, die sich für sie vorbringen lassen. Analytische Sätze: Die Bedeutung dieser Sätze ist rein konventionell. Sie besitzen keinen empirischen Inhalt. Sie sind wahr oder falsch aufgrund sprachlicher Konventionen. Quine stellt sich zwei Fragen: 1) Ist I t das d Konzept K t eines i analytischen l ti h S t Satzes üb h überhaupt t haltbar? h ltb ? 2) Gibt es eine absolute Unterscheidung zwischen Sätzen, die konventionell sind und solchen, die empirisch sind? (wiss. Philosophie/Naturwissenschaft) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 150 W.V. Quines Bedeutungsskeptizismus Eine Geiß ist eine weibliche Ziege. These: Dieser Satz ist analytisch, weil die Ausdrücke „Geiß“ und „weibliche Ziege“ synonym sind. Die zwei Ausdrücke „Geiß“ und „weibliche Ziege“ sind synonym, wenn folgendes gilt: Für jedes Individuum gilt notwendig: Wenn es eine Geiß ist, dann ist es eine weibliche Ziege und umgekehrt. umgekehrt Problem: Welche Gründe gibt es dafür, dass die Aussage, dass jedes Individuum dass eine Geiß ist auch eine weibliche Ziege ist notwendig wahr ist? Individuum, Der einzige Grund dafür scheint zu sein, dass „Jede Geiß ist eine weibliche Ziege“ analytisch ist. Der Umweg über die Synonymie hat uns zu einem Zirkel geführt! Fazit: Um entscheiden zu können, ob ein Satz analytisch ist, müssen wir einen starken Begriff der Bedeutung/ Synonymie schon voraussetzen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 151 W.V. Quines Bedeutungsskeptizismus Die Verifikationstheorie setzt voraus, dass jeder Satz einzeln durch die Erfahrung bestätigt oder widerlegt werden kann – denn ihr zufolge besteht ja die Bedeutung eines Satzes in der Methode seiner Bestätigung. Die Duhem-Quine Duhem Quine These (Holistische Verifikationstheorie) • Es gibt keine Aussagen, deren Bedeutung sich einzeln in Bezug auf die Erfahrung bestimmen lässt. • An der Erfahrung getestet wird nicht ein einzelner Satz, sondern eine Theorie als ganze. • Kein Satz einer Theorie ist sakrosankt (analytisch). Bei einem empirischen Test steht (im Prinzip) jeder Satz einer Theorie zur Disposition. Disposition • Jeder einzelne Satz kann, wie immer der Test auch ausfällt, beibehalten werden, wenn an anderen Stellen der Theorie (ausgleichende) Veränderungen vorgenommen werden. • An welcher Stelle wir Veränderungen an einer Theorie vornehmen, falls wir mit gegenläufigen Erfahrungen konfrontiert sind, wird durch pragmatische Maximen (Einfachheit, Anschlussfähigkeit usw.) entschieden. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 152 W.V. Quines Bedeutungsskeptizismus Die Unbestimmtheit der Übersetzung „gavagai“ bedeutet ... a) Hase b) unabgetrenntes Hasenteil c)) zeitliches itli h Stadium St di eines i H Hasen d) Exemplar der Hasenheit Welche der Hypothesen der Sprachforscher wählt, wählt hängt davon ab ab, wie er sein Übersetzungshandbuch aufbaut, d.h. wie er die anderen Sätze und Ausdrücke der zu untersuchenden Sprache übersetzt. Für den Forscher, ganz egal wie viele empirische Daten er auch sammelt, gibt es immer mehrere verschiedene Handbücher, die gleich gut mit der Gesamtheit aller Daten zusammenpassen, aber einen Satz der Fremdsprache mit g Sprache p übersetzt. verschiedenen Sätzen der eigenen Bedeutungsskeptizismus: Der Begriff der wissenschaftliches Konzept aufgegeben werden! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie Bedeutung muss als 153 W.V. Quines Bedeutungsskeptizismus Die Verifikationstheorie des Logischen Empirismus ist falsch, da: • ... nur ganze Theorien empirisch verifiziert werden können. (Duhem-QuineThese) • ... es keine sinnvolle Unterscheidung zwischen (empirischem) Tatsachenwissen und (analytischem) Sprachwissen gibt. (Quine: „Zwei Dogmen des Empirismus“) Quine Q i vertritt t itt eine i h li ti h Verifikationstheorie, holistische V ifik ti th i d der zufolge f l nur ganze Theorien empirischen Gehalt (Bedeutung) besitzen. Er vertritt E e t itt außerdem a ße dem eine skeptische Position hinsichtlich der de Vorstellung, Vo stell ng dass einzelne Sätze oder einzelne Ausdrücke eine eindeutig spezifizierbare Bedeutung besitzen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 154 Modelltheoretische Semantik R. Carnap (1891-1970) D. Lewis (1941-2001) Meaning and Necessity „General Semantics“ (1956) (1970) D. Davidson (1917- 2003) R. Montague (1930-1971) „„English g as a Formal SS 2010 „Truth and Meaning“ Language“ (1970) (1967) „The Proper Treatment „Semantics for Natural of Quantification in Languages“ (1968) Ordinary Englisch“ (1973) Einführung in die Theoretische Philosophie 155 Modelltheoretische Semantik Verifikationsbedingungen: diejenigen Evidenzen, die für einen Satz sprechen. ¾ Problem der Verwechslung von Evidenz und Bedeutung Wahrheitsbedingungen: diejenigen Tatsachen, unter denen ein Satz wahr ist. ¾ Bedeutungsbegriff, der unabhängig von aktuellen oder möglichen Evidenzen bzw. Beobachtungen ist ¾ Vermeidung von epistemischen Verkürzungen in der Semantik Leitmotiv der wahrheitskonditionalen Semantik Die Bedeutung eines Satzes zu kennen, heißt, zu wissen, wie die Welt beschaffen sein müsste, damit der Satz wahr (oder falsch) ist. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 156 Modelltheoretische Semantik Das Kompositionalitätsprinzip Da es keine klare Beschränkung der Anzahl sinnvoller Ausdrücke zu geben scheint, muss eine funktionsfähige Theorie die Bedeutung jedes Ausdrucks auf der Grundlage ... einer endlichen Zahl von Merkmalen erklären. erklären ... eine befriedigende Semantik [muss] erklären, erklären welchen Beitrag wiederholbare Merkmale zur Bedeutung der Sätze leisten, in denen sie vorkommen. (Donald Davidson, „Die Semantik natürlicher Sprachen“) ¾ Eine Bedeutungstheorie muss sich erstens auf eine relativ kleine Anzahl bedeutungsvoller Ausdrücke (Worte) stützen, die als „Bedeutungsatome“ dienen und die Basis der Theorie bilden. ¾ Eine Bedeutungstheorie muss zweitens Regeln enthalten, wie wir ausgehend von diesen basalen Ausdrücken die Bedeutung komplexer und im Prinzip unendlich vieler Ausdrücke generieren können. Die Bedeutung eines (beliebig komplexen) Satzes ist eine Funktion der Bedeutungen der den Satz konstituierenden Worte und der Beziehungen, in denen sie zueinander stehen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 157 Modelltheoretische Semantik Eine Modellsprache Interpretation der basalen Ausdrücke der Sprache „F“ steht für alle faulen Individuen „G“ steht für alle genügsamen Individuen „a“ denotiert Albert „„b“ denotiert Berta Projektionsregeln für atomare Sätze Ein Subjekt-Prädikat-Satz ubj äd a a „„P(s)“ ( ) ist wahr, a , gd gdw. da das,, was a sd denotiert, o , ein Element der Menge der Klasse der Dinge ist, für die „P“ steht. Projektionsregeln j g für komplexe p Sätze Ein Satz der Form „Nicht p“ ist wahr, gdw. der Satz p nicht wahr ist. Ein Satz der Form „p und q“ ist wahr, gdw. sowohl p als auch q wahr sind. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 158 Modelltheoretische Semantik Eine Modellsprache Die Regeln dieser (trivialen) Sprache erlauben es uns, die Wahrheitsbedingungen von unendlich langen und unendlich vielen Sätzen anzugeben, indem wir einfach die Regeln auf jede mögliche Kombination anwenden. anwenden • „F(a)“ ist wahr, gdw. Albert faul ist. G(b)“ ist wahr, gdw. Albert faul ist und Berta genügsam ist. • „F(a) und G(b) • „F(a) und nicht G(a) und F(b) und nicht G(b)“ ist wahr, gdw. Albert faul und nicht genügsam ist und Berta faul und nicht genügsam ist. • „nicht F(a) und G(b) und F(b) und nicht G(b)“ ist wahr, gdw. Albert nicht f l und faul d genügsam ü und d Berta B t faul f l und d nicht i ht genügsam ü i t ist. • ... Wir haben eine kompositionale Bedeutungstheorie für eine sehr einfache Sprache entwickelt, die fähig ist, die Bedeutung von Ausdrücken beliebiger Komplexität und beliebiger Anzahl anzugeben! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 159 Modelltheoretische Semantik Eine Semantik für die natürliche Sprache Wie sieht eine wahrheitskonditionale (modelltheoretische) Deutschen, Englischen, Russischen usw. aus? Semantik des ¾ Wir brauchen zunächst ein Lexikon, welches jedem basalen Ausdruck der Sprache eine Denotation zuweist. (Welche Ausdrücke gibt es und was denotieren sie?) ¾ Wir brauchen darüber hinaus eine Syntax, die uns sagt, welche Ausdruckssequenzen wohlgebildete Sätze der entsprechenden Sprache sind und welche nicht. nicht (Wie sind komplexe Ausdrücke zusammengesetzt?) ¾ Schließlich brauchen wir Projektionsregeln, die uns für jede Regel der Syntax – welche aus wohlgebildeten basalen Ausdrücken wohlgebildete komplexe Ausdrücke formt – sagen, wie wir aus der Bedeutung der beteiligten basalen Ausdrücke, die wir aus dem Lexikon kennen, die Bedeutung des neuen, komplexen Ausdrucks „berechnen“ können. (Wie lässt sich die Bedeutung p Ausdrücke „berechnen“?)) komplexer SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 160 Modelltheoretische Semantik natürliche Sprache ⇑ Annäherung an ⇑ idealisierte formalisierte Sprache idealisierte, mit einem Lexikon und einer eindeutigen Syntax ⇓ Semantik a) Regeln der Denotation atomarer Ausdrücke b) Regeln der Berechnung der Denotation zusammengesetzter Ausdrücke ⇑ Modell Ausschnitt der Welt in einer mengentheoretischen Formulierung ⇓ Annäherung an ⇓ Welt SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 161 Modelltheoretische Semantik S Sprache h ⇓ Interpretation Sprachliche Ausdrücke werden in Modellen interpretiert ⇓ Modell ⇓ Repräsentation Modelle repräsentieren Ausschnitte der Welt ⇓ Welt SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 162 Modelltheoretische Semantik: Interpretation p via Übersetzung g Natürliche ü li h S Sprache h ⇓ Übersetzung Ausdrücke der natürlichen Sprache werden in Ausdrücke der formalen Sprache übersetzt ⇓ Formale Sprache ⇓ Interpretation Ausdrücke der formalen Sprache werden in Modellen interpretiert ⇓ Modell SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 163 Modelltheoretische Semantik: Interpretation via Übersetzung Wozu formale Sprachen? • Formale Sprachen sind besonders übersichtlich. (Struktur ist durchsichtig) • Formale Sprachen sind syntaktisch eindeutig. • In formalen Sprachen wird von Phänomenen abstrahiert, die für die Gültigkeit von Schlussfolgerungen keine Rolle spielen. spielen • Durch die Verwendung einer formalen Sprache, können wir die natürliche Sprache als Metasprache verwenden, um über die formale Sprache als Objektsprache zu sprechen. sprechen • Die formalen Sprachen spielen eine wichtige Rolle in den symbolischen Wissenschaften (Mathematik, Informatik, formale Linguistik KI, Linguistik, KI formale Philosophie) • Es existiert kein Beweissystem für natürliche Sprachen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 164 Modelltheoretische Semantik: Sprachökonomie p Natürliche ü li h S Sprache h Übersetzung in eine formale Sprache Lexikon Lexikon Formale Sprache 1 Formale Sprache 2 Syntax Semantik Syntax Interpretation in einem Modell Formale Sprache 1 Modell Ökonomie in Grammatik und Vokabukar: Einfache Syntax/Lexikon, wenige semantische Regeln Aber: lange Ausdrücke, keine eindeutige Beziehung zur nat. Sprache SS 2010 Semantik Formale Sprache 2 Ökonomie im praktischen Ausdruck: kurze Ausdrücke, eindeutige Beziehung zur nat. Sprache Aber: komplexe Syntax/Lexikon, viele semantische Regeln Einführung in die Theoretische Philosophie 165 Modelltheoretische Semantik Eine Semantik für die natürliche Sprache (Phrasen-Struktur-Grammatik) NP → Hans,, Berta N → Hund, Ball, Junge, Mädchen Adj → rot Det → der, die, ein(e), jede(r) Vint → bellt, läuft, kommt Vtran → schießt, liebt NP → Det + N / Det + Adj + N VP → Vint / Vtran + NP S → NP + VP S NP Det N der Hund V NP V bellt Hans kommt S NP VP NP Det jeder SS 2010 S N V Det Adj N Junge liebt einen roten Ball Einführung in die Theoretische Philosophie 166 Modelltheoretische Semantik 1. Beispiel Lexikon S1: Bill = NP; schlafen = Vint T1: [[Bill]] = b; [[schlafen]] = λx[Schlafen (x)] Subjekt-Prädikat Regel S4: NP + Vint i t = S T4: [[S]] = [[Vi]] ([[NP]]) Bill schläft,, S,, S4 Schlafen (b), T4 Bill, NP, S1 b, T1 SS 2010 schläft, Vi, S1 λx[Schlafen (x)], T1 Einführung in die Theoretische Philosophie 167 Modelltheoretische Semantik 2. Beispiel Lexikon S1: Mary = NP, mögen = Vtrans T1: [[Mary]] = m; [[mögen]] = λyλx[Mögen (x, (x y)] Transitives Verb - direktes Objekt Regel S5: Vtrans + NP = Vint T5: [[Vi]] = [[Vt]] ([[NP]]) Bill mag Mary, S, S4 Mögen (b, m), T4 Bill, NP, S1 b, T1 mag Mary, VPi, S5 λx[Mögen (x, m)], T5 mag, VPt, S1 λyλx[Mögen (x, y)], T1 SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie Mary, NP, S1 m, T1 168 Modelltheoretische Semantik 3. Beispiel ∀x (Hund(x) → ∃y (y ist rot ∧ Ball(y) ∧ x liebt y)) Jeder Hund liebt einen roten Ball, S λQ[∀x(Hund(x) → Q(x))] jeder Hund, NP λx[∃y(y ist rot ∧ Ball(y) ∧ x liebt y)] liebt einen roten Ball, VP λxλy [x liebt y] liebt, Vtrans λQ[∃y(y ist rot ∧ Ball(y) ∧ Q(y))] einen roten Ball, NP λz [z ist rot ∧ Ball (z)] roter Ball, N λPλQ[∀x(P(x) λPλQ[∀ (P( ) → Q(x))] Q( ))] jeder, Det SS 2010 λx [Hund λ [H d (x)] ( )] Hund, N λPλQ[∃y(P(y) λPλQ[∃ (P( ) ∧ Q( Q(y))] ))] λz λ [z [ ist i t rot] t] λz λ [Ball [B ll (z)] ( )] einen, Det roten, Adj Ball, N Einführung in die Theoretische Philosophie 169 Modelltheoretische Semantik Deiktische Ausdrücke Viele Sätze der Sprache enthalten Ausdrücke, deren Interpretation abhängig ist von der d konkreten k k t Ä ß Äußerungssituation. it ti „Ich bin jetzt hier.“ ist wahr, gdw. ??? Der Wahrheitswert dieses Satzes hängt vom Sprecher, von der Zeit und dem Ort der Äußerung ab. ¾ Die Wahrheitsbedingungen müssen auf sog. Parameter (Zeit, Ort, Sprecher, Auditorium usw.) relativiert werden. „Ich bin jetzt krank“ ist wahr (für Sprecher s, Ort o und Zeit t), gdw. s an o zu t ∈ {x | krank(x)} SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 170 Modelltheoretische Semantik Intersektive und nicht-intersektive Adjektive Adjektive bilden mit Nomen komplexere Nomen, deren Bedeutung normalerweise als die Schnittmenge der Individuen, die unter das Nomen fallen, und der Individuen, die unter das Adjektiv fallen, fallen angesehen werden kann: [[grauerAdj ElefantN]] = {x | grau (x)} ∩ {x | Elefant (x)} Diese Regel trifft leider nicht immer zu. Ein kleiner Elefant ist immer noch ein großes Tier. [[kleinerAdj ElefantN]] = {x | klein (x)} ∩ {x | Elefant (x)} ???? ¾ Die Bedeutung mancher Adjektive wie „groß“, „klein“, „schwer“, „hoch“ usw. ist kontextabhängig. Wir müssen sie in Bezug auf ein weiteres Parameter interpretieren. [[kleinerAdj ElefantN]] = ({x | klein (x)} ∩ {x | K (x)}) ∩ {x | Elefant (x)} SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 171 Modelltheoretische Semantik Koextensionalität Wenn wir die Bedeutung von Prädikaten einfach als die Menge derjenigen Individuen auffassen, die unter das Prädikat fallen, dann haben zwei Prädikate, die dieselbe Menge von Individuen denotieren, dieselbe Bedeutung. Das ist intuitiv nicht korrekt: {x | Lebewesen-mit-Nieren (x)} = {x | Lebewesen-mit-Herz (x)} g Nennen wir diese Menge Wahrheitsbedingungen: N,, dann haben die folgenden g beiden Sätze dieselben „Fido ist ein Lebewesen mit Nieren.“ ist wahr, gdw. f ∈ N. „Fido Fido ist ein Lebewesen mit Herz. Herz “ ist wahr wahr, gdw. gdw f ∈ N. N „Lebewesen mit Nieren“ und „Lebewesen mit Herz“ sind nicht synonym. Die beiden Sätze sagen dementsprechend etwas verschiedenes über Fido aus. ¾ Wir brauchen für Prädikate „feinkörnigere“ Bedeutungen als deren Extensionen (Menge der Individuen, auf die das Prädikat in unserer Welt zutrifft). SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 172 Modelltheoretische Semantik Nicht-wahrheitskonditionale Konnektive und Operatoren Wir können komplexe Sätze aus atomaren Sätzen bilden, indem wir sie mit verschiedenen Konnektiven verbinden. Eine Gruppe dieser Konnektive (wie „und und“, „oder oder“, „falls falls“)) heißen wahrheitskonditional, wahrheitskonditional weil die Bedeutung des komplexen Satzes abhängig ist von den Wahrheitswerten der atomaren Sätze: „Bill schläft und Maria ist wach“ ist wahr, g gdw. „Bill schläft“ wahr ist und „Maria ist wach“ wahr ist. Andere Konnektive und Operatoren verhalten sich anders: „Es ist möglich, dass Bill schläft.“ ist wahr, gdw. ??? Die Wahrheit des komplexen Satzes hängt nicht nur von der Wahrheit (oder Falschheit) des atomaren Satzes „Bill schläft“ ab. Es stellt sich somit die Frage, wie man eine Projektionsregel für Sätze mit „möglich“ formulieren sollte. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 173 Modelltheoretische Semantik Glaubenssätze Wir können keine Projektionsregel für Glaubenssätze niederschreiben, wenn wir als Denotationen von Sätzen nur Wahrheitswerte zur Verfügung haben, denn alle wahren bzw. alle falschen Sätze haben dieselbe Denotation (nämlich „wahr“ oder „falsch“): „John glaubt, dass Elefanten groß sind“ ist wahr, gdw. ??? Das Problem der Koextensionalität stellt sich im Kontext von Glaubenssätzen in einer i verschärften hä ft F Form: „John glaubt, dass Fido Nieren besitzt.“ „John h glaubt, l b d dass Fido d ein Herz besitzt.“ b “ ¾ Wir benötigen feinkörnigere Bedeutungen für Sätze als Wahrheitswerte. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 174 Mögliche Welten Semantik Mögliche Welten Eine einfache (extensionale) wahrheitskonditionale Semantik versteht Bedeutung als eine Korrespondenz zwischen Ausdrücken und den tatsächlich vorliegenden Tatsachen. Es gibt nun eine ganze Reihe von Möglichkeiten, wie unsere Welt aussehen könnte. Diese Möglichkeiten nennen wir mögliche Welten. Jede dieser möglichen Welten repräsentiert eine nichtaktuale, globale Möglichkeit, wie die Welt (das gesamte Universum) sein könnte. Die Wahrheit eines Satzes hängt davon ab, welche Welt wir in Betracht ziehen. Der Satz „Schröder ist Bundeskanzler. Bundeskanzler.“ ist wahr in unserer Welt, aber in einer anderen möglichen Welt, in der die Wahlen anders ausgegangen wären, ist dieser Satz falsch. Dies bringt uns zu einem neuen Verständnis von Wahrheitsbedingungen. Ein Satz ist wahr in manchen möglichen Welten (Situationen) und falsch in anderen. Wir können daher die Bedeutung eines Satzes einfach als die Menge derjenigen möglichen Welten auffassen, in denen er wahr ist (wäre). SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 175 Mögliche Welten Semantik Mögliche Welten Rudolf Carnap und Richard Montague haben der wahrheitskonditionalen Semantik eine Interpretation in Bezug auf mögliche Welten gegeben und damit gleichzeitig die Konzeption Freges, nämlich die Unterscheidung zwischen Sinn (Intension) und Bedeutung (Extension), weiterentwickelt. Der Trick ist, die Intension eines Ausdrucks als eine Funktion von möglichen Welten in Extensionen darzustellen. darzustellen Ausdruck Intension Extension Kategorie Singulärer Term Individuenbegriffe (Funktion von mögl. Welten in Individuen) Individuen Kategorie Genereller Term Eigenschaften (Funktion von mögl. Welten in Mengen von Individuen) Mengen von I di id Individuen Kategorie Satz Propositionen (Funktion von mögl. Welten in Wahrheitswerte) Wahrheitswerte SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 176 Mögliche Welten Semantik (1) „Die Bundeskanzlerin ist dickköpfig.“ Die Mögliche-Welten-Semantik ist eine kompositionale Bedeutungstheorie. „Die Bundeskanzlerin“ denotiert in einer möglichen Welt jeweils dasjenige Individuum, welches l h i dieser in di W lt das Welt d A t des Amt d K Kanzlers l i innehat. h t (Die (Di Extension E t i mag sich i h von Welt zu Welt unterscheiden, schließlich könnte jemand anderes als Merkel Bundeskanzler sein.) (1) ist wahr in einer möglichen Welt, wenn das jeweilige Individuum, das dort Bundeskanzler ist, zur lokalen Extension von „dickköpfig“ gehört. ¾ Wenn wir die Intension von „der Bundeskanzler“ und die Intension von „dickköpfig“ kennen, wissen wir, in welchen möglichen Welten (1) wahr (bzw. falsch) ist. Damit haben wir die entsprechende Funktion von Welten in Wahrheitswerte, d.h. wir kennen die Proposition von „Die Bundeskanzlerin ist dickköpfig.“ SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 177 Mögliche Welten Semantik Die Denotation von „Die Bundeskanzlerin ist dickköpfig.“ Welt1 W lt2 Welt wahr h Welt3 Welt4 Welt5 falsch Welt6 ... [[Die Bundeskanzlerin ist dickköpfig]] = {w2, w5, ...} SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 178 Mögliche Welten Semantik Koextensionalität Das Problem der Koextensionalität stellt sich für eine Mögliche-Welten-Semantik nicht mehr, denn die Intensionen z.B. von „Lebewesen mit Nieren“ und „Lebewesen Lebewesen mit Herz Herz“ sind verschieden, verschieden auch wenn ihre Extension – die Menge der Lebewesen mit Nieren bzw. mit Herz – (zufällig) identisch ist. Die Eigenschaft Nieren zu besitzen und die Eigenschaft ein Herz zu besitzen unterscheiden sich, da die Extensionen dieser Prädikate in verschiedenen möglichen Welten unterschiedlich sind. sind Daher sind auch die Wahrheitsbedingungen der folgenden beiden Sätze verschieden: „Fido ist ein Lebewesen mit Nieren.“ ist wahr in w, gdw. f ∈ w → {x | LmN (x)}. „Fido ist ein Lebewesen mit Herz.“ ist wahr in w, gdw. f ∈ w → {x | LmH (x)}. „Lebewesen mit Nieren“ und „Lebewesen mit Herz“ sind nicht synonym. Die beiden Sätze sagen dementsprechend etwas verschiedenes über Fido aus. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 179 Mögliche Welten Semantik Intersektive und nicht-intersektive Adjektive Die Bedeutung von nicht-intersektiven Adjektiven lässt sich jetzt als eine Funktion von Intensionen in Intensionen angeben: [[kleinerAdj ElefantN]]: w → (w → {x | Elefant (x)}) Diese Funktion nimmt die Intension von „„Elefant“ und transformiert diese in eine modifizierte Intension, die nur die kleinen Elefanten herausgreift. Nicht-wahrheitskonditionale Konnektive und Operatoren Die Wahrheitsbedingungen für Sätze mit nicht wahrheitsfunktionalen Operatoren lassen sich nun relativ einfach angeben: „Es ist möglich, dass Bill schläft.“ ist wahr in w, gdw. es eine Welt w gibt, so dass b ∈ {x | schläft (x)} SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 180 Mögliche Welten Semantik Glaubenssätze Die Mögliche-Welten-Semantik kann auch mit Glaubenssätzen umgehen. Die Intension eines Satzes ist eine Proposition (d.h. eine Menge möglicher Welten). Eine Projektionsregel für einen Glaubenssatz kann dann so formuliert werden, werden dass man sagt, sagt er sei wahr, wahr wenn das entsprechende Individuum in der Relation des Glaubens zu der entsprechenden Proposition steht, welche der Inhaltssatz zum Ausdruck bringt: „John J h glaubt, l bt dass d Bill schläft“ hläft“ ist i t wahr, h gdw. d Gl b Glauben (j {w (j, { | Bill schläft hläft (w)}) ( )}) Auch das Problem der Koextensionalität in Glaubenssätzen stellt sich nicht mehr: „John glaubt, dass Fido Nieren besitzt.“ „John glaubt, dass Fido ein Herz besitzt.“ Diese beiden Sätze haben nicht dieselbe Bedeutung, da „Fido besitzt Nieren“ und „Fido besitzt ein Herz“ eine verschiedene Intension haben. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 181 Mögliche Welten Semantik Das Problem der (logischen) Allwissenheit Wenn wir unterstellen, dass eine Proposition eine Menge möglicher Welten ist, so sind Sätze, die notwendig wahr sind (wie mathematische Aussagen, analytische Sätze etc.), etc ) in allen möglichen Welten wahr. wahr Die Bedeutung solcher Sätze ist daher identisch, was kontraintuitiv ist, insbesondere in Bezug auf Sätze des Glaubens: John glaubt, dass zwei plus zwei vier ist. John glaubt, dass die Quadratwurzel aus 81 gleich neun ist. John glaubt, dass Junggesellen unverheiratete Männer sind. .... Da notwendig wahre Inhaltssätze nach der Mögliche-Welten-Semantik identische Propositionen zum Ausdruck bringen, würde die Tatsache, dass John eine simple mathematische Wahrheit glaubt, implizieren, dass er von allen notwendigen Wahrheiten überzeugt – d.h. dass er omnipotent – ist. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 182 Sprachphilosophie Ja. Kannst du mir sagen, wie spät es ist? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 183 Sprachphilosophie Pragmatik SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 184 Verstehen vs. Verstehen Ein Hörer H versteht einen Satz S genau dann, wenn … a) … b) … c) … d) … e) … H H H H H die Gedanken rekonstruieren kann, die der Sprecher von S kodiert hat. die Proposition erfasst, die durch S ausgedrückt wird. weiß, wie auf eine Äußerung von S reagiert werden muss. weiß, unter welchen Umständen S verifiziert werden kann. weiß, unter welchen Umständen S wahr wäre. ABER: Hast du verstanden, was er da gesagt hat? Ja klar,, aber mir ist noch unklar … wie er es g gemeint hat! Ja klar, aber mir ist noch unklar … was er damit andeuten wollte! Ja klar, aber mir ist noch unklar … was er eigentlich von mir wollte! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 185 Was ist Pragmatik? Eine klassische Ansicht If in an investigation explicit reference is made to the speaker, or to put in in more g general terms, the user of language, g g then we assign g it to the field of pragmatics. If we abstract from the user of language and analyze only the expression and their designata, we are in the field of semantics. And, finally, if we abstract from the designata also and analyze only the relations between the expressions, we are in syntax. (Rudolf Carnap, Foundations of Logic and Mathematics) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 186 Was ist Pragmatik? Neuere Ansichten Pragmatik = Studium der kontextabhängigen Bedeutung. Bedeutung (Jerry Katz: Propositional Structure and Illocutionary Force, 1977) Pragmatik = Studium der nicht-wahrheitskonditionalen Bedeutung. (Gerald Gazdar: Pragmatics. Implicature, Presupposition and Logical Form, 1979) Pragmatik = Umfassende Theorie des Sprachgebrauchs. (Herbert Clark: Using Language, Language 1996) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 187 Gegenstandsbereiche der Pragmatik Als am 10. Juli 1997 der damals amtierende Bundespräsident Roman Herzog von Jugendlichen in Kronach gefragt wurde, wurde ob die Rechtschreibreform zurückgenommen werden sollte, antwortete er: Ich habe mich nie mit der Rechtschreibreform befasst. Ich befasse mich nur mit wichtigen Dingen. (Schwäbisches Tageblatt, 11.7.1997) Deixis: Um zu wissen, dass sich „ich“ auf Roman Herzog bezieht, muss man wissen, i d dass di Ä die Äußerung ß von ihm ih stammt. t t Implikatur: Herzog deutet an, dass er die Rechtschreibreform für unwichtig hält. Präsupposition: Herzog unterstellt, dass es eine Rechtschreibreform gegeben hat. Sprechakt: Herzog stellt eine Behauptung auf. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 188 Gegenstandsbereiche der Pragmatik Theorien zur natürlichen Sprache Syntax ... Theorien der Deixis SS 2010 Semantik ... Pragmatik Sprechakttheorie Implikaturentheorie Präsuppositionstheorie Einführung in die Theoretische Philosophie 189 Probleme der Deixis Kontextabhängige Ausdrücke Es gibt Sätze, die als solche einen Wahrheitswert erhalten können, ohne dass man weiß, wer sie wann wo usw. geäußert hat. Um jedoch die meisten unserer Sätze zu interpretieren, benötigen wir zusätzliche, kontextuelle Informationen. Diese Informationen bestehen aus einer klar begrenzten Menge von Werten. Hier ist es jetzt warm. ⇓ + Kontext K t t (Sprecher, (S h O t Zeit, Ort, Z it ...)) Hier [SCH A 251] ist es jetzt [12.5.2010, 11:40] warm. ¾ Wie können wir diese zusätzlichen kontextuellen Informationen in unsere semantische Theorie einbauen? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 190 Typen der Deixis Personaldeixis: involvierte Partizipanten Ich hoffe, hoffe du hast den Herd ausgeschalten! Temporaldeixis: Zeitpunke oder Zeitspannen Wir Wir Wir Wir Wir SS 2010 treffen treffen treffen treffen treffen uns uns uns uns uns in 10 Minuten. j jetzt. um 11:10 am Montag. nächsten Dienstag. übermorgen übermorgen. Einführung in die Theoretische Philosophie 191 Typen der Deixis Tempus: Zeitverhältnisse Es schneite, als wir ankamen. Maria ist gekommen und Hans wird noch kommen. Lokaldeixis: Ortsangaben Der Bahnhof ist 1 km von hier entfernt. Das Buch liegt dort. Ich bin jetzt hier. hier Textdeixis: anaphorische Pronomen Ein Hund kam um die Ecke. Er fing an zu bellen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 192 Deixis in der intensionalen Semantik Die Parametertheorie Kontextuelle Informationen lassen sich in eine semantische Theorie einbauen, wenn man annimmt, dass ein Satz nicht ohne weiteres wahr oder falsch ist, sondern wahr oder falsch in Bezug zu einem sog. Index. Ein Index ist eine Folge von kontextuellen Variablen (den sog. Parametern). Als l Standard d d gilt l ein Index d mit acht h Elementen l : 1. eine mögliche l h Welt, l 2. eine Zeit, 3. ein Ort, 4. ein Sprecher, 5. ein (oder mehrere) Hörer, 6. eine Sequenz demonstrierter Objekte, 7. ein Diskurssegment sowie eine 8. Folge von Bewertungen für freie Variablen. In diesem System sehen die Wahrheitsbedingungen folgendermaßen aus: „Ich bin jetzt wach“ ist wahr bei <t, l, s, h, i, d, f>, gdw. s zu t wach ist. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 193 Deixis in der intensionalen Semantik Problem: Viele Sätze sind auf eine „unvorhersehbare“ Weise kontextabhängig. „Es ist Herbst.“ Dieser Satz ist jetzt wahr in der nördlichen Hemisphäre und falsch in der südlichen. Wir müssen den Satz also auf Hemisphären relativieren! „Es ist 12:30 Uhr.“ Die Wahrheit dieses Satz hängt von einer Zeitzone ab. John kam zur Mensa. / John ging zur Mensa. Diese beiden Sätze enthalten einen „Gesichtspunkt“. Sie sind zwar unter denselben Bedingungen wahr, aber im ersten befindet sich der Sprecher in der Mensa, im zweiten außerhalb dieser. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 194 David Kaplans Charakter-Theorie David Kaplan (*1930) Kaplan ist ein einflussreicher amerikanischer Philosoph, der derzeit in Los Angeles lehrt. Seine wichtigsten Beiträge zur Philosophie liegen auf dem Gebiet der Semantik, insbesondere der Semantik von Glaubenssätzen sowie der Semantik von deiktischen Ausdrücken. Wichtige Werke: „Quantifying In“ (1968) „Bob and Carol and Ted and Alice“ (1973) „Dthat“ (1978) „Opacity“ O it “ (1986) „Demonstratives“ (1989) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 195 David Kaplans Charakter-Theorie Wir können für das Problem mit deiktischen Ausdrücken die folgende allgemeine Beschreibung h ib geben: b Wenn wir einen kontextabhängigen Ausdruck x haben, dann müssen wir, um ihn interpretieren zu können, eine Regel α kennen, die diesem Ausdruck je nach Kontext C einen entsprechenden Bezugsgegenstand zuordnet: α (x, C) „Ich bin jetzt wach“ ist wahr, gdw. α(ich, C) α(jetzt, C) wach ist. David Kaplan konzipiert solche Regeln als Funktionen, welche (mögliche) Kontexte als Argumente und Bedeutungen als Werte besitzen. Solche Funktionen nennt Kaplan den Charakter eines Ausdrucks. ¾ Der Charakter eines Ausdrucks legt mit Bezug auf die relevanten kontextuellen Merkmale der Äußerungssituation die Bedeutung des Ausdrucks fest. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 196 David Kaplans Charakter-Theorie Doppelte Bewertung Kontext C1 Kontext C2 Welt w1 Welt w2 Fred äußert „Ich bin ein Philosoph.“ Hans äußert „Ich bin ein Philosoph.“ Fred ist Philosoph. Hans ist Philosoph. Charakter Ich bin ein Philosoph. Philosoph +C1 Intension (Bedeutung) Extension SS 2010 +C2 Fred ist ein Philosoph. Hans ist ein Philosoph. +w1 +w2 +w1 +w2 wahr falsch falsch wahr Einführung in die Theoretische Philosophie 197 David Kaplans Charakter-Theorie Zur „Logik“ deiktischer Ausdrücke Kaplans Theorie enthält eine Logik deiktischer Ausdrücke mit entsprechenden philosophischen Konsequenzen. Der Sprecher eines Satzes existiert in jeder Welt, in der der Satz geäußert wird, daher sind die Sätze: „Ich existiere.“ „Ich bin jetzt hier.“ wahr in jeder Welt, d.h. sie sind notwendig wahr. Andererseits ist der Bedeutung dieser Sätze verschieden von Kontext zu K t t Die Kontext. Di Bedeutung B d t d Satzes des S t i t demnach ist d h kontingent. k ti t ¾ Es gibt notwendig wahre Sätze, deren Bedeutung kontingent ist! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 198 Die Implikaturentheorie von Herbert Paul Grice [Herbert] Paul Grice (1913-1988) Grice ist bekannt geworden durch seine Arbeiten zur Sprachphilosophie. E Er füh t führte d den B Begriff iff d der Sprecherbedeutung ein, „erfand“ die konversationalen Implikaturen ((Pragmatik) g ) und entwickelte eine intentionale Semantik. Wichtigste g Werke: „Logic and Conversation“ (1975) „„Further Notes on Logic g and Coversation“ (1978) Studies in the Way of Words (1989) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 199 Die Implikaturentheorie von Herbert Paul Grice Was (literal) gesagt wird. Was mitgemeint (implikiert) ist. Einige Sportler rauchen. Nicht alle Sportler rauchen. Hans ist eine Intelligenzbestie. Hans ist ein Idiot. (Ironie) (A: Kommst du zur Party?) B: Ich muss arbeiten. (A: Kommst du zur Party?) B: Nein, ich komme nicht zur Party. Sie gab ihm den Schlüssel und er öffnete die Tür. Sie gab ihm den Schlüssel und danach öffnete er die Tür mit diesem Schlüssel. (A: Ich möchte nächste Woche das Matterhorn besteigen.) B: Ihr Knie braucht Zeit zur Heilung. A: Ich möchte nächste Woche das Matterhorn besteigen. B: Sie sollten damit noch warten. Ich sah John um Mitternacht mit einer Frau. Frau Ich sah John um Mitternacht mit einer Frau, Frau die mir nicht bekannt ist. (A: Hat Hans eine Freundin?) B: Er ist oft in Berlin gewesen die letzten Tage. (A: Hat Hans eine Freundin?) B: Er hat (möglicherweise) eine Freundin in Berlin. Berlin Er war nicht gerade ein Held. Er war feige. (Litotes) Hannah beleidigte John und John verzweifelte. Hannahs Beleidigung Verzweiflung Verzweiflung. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie brachte John zur 200 Die Implikaturentheorie von Herbert Paul Grice Implikaturtypen Implikaturen konventionell konversational Konventionelle Implikaturen sind Bestandteile der konventionellen Bedeutung von bestimmten Ausdrücken. Konversationale Implikaturen entstehen, weil die Konversationsteilnehmer bestimmten Konversationsmaximen folgen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 201 Die Implikaturentheorie von Herbert Paul Grice Konventionelle Implikaturen • werden hervorgerufen durch die Bedeutungen bestimmter Worte • sind unabhängig vom Kontext der Äußerung Bill ist ein Engländer, d.h. er ist mutig. Bill ist ein Engländer aber mutig. Bill ist ein Engländer .... ... und er ist mutig. literal gesagt Bill ist ein Engländer ... ... aufgrund dessen ist er mutig. implikiert SS 2010 Bill ist ein Engländer ... ... trotz dessen ist er mutig. implikiert Einführung in die Theoretische Philosophie 202 Die Implikaturentheorie von Herbert Paul Grice Konversationale Implikaturen [Beispiel: Ironie] [Es regnet in Stömen] A: Schönes Wetter heute! Der Hörer weiß, dass das Wetter scheußlich ist und dass A das bemerkt haben muss. Es ist also offensichtlich, dass A etwas gesagt hat, was A für falsch hält. (Ironie) Der Hörer nimmt an, dass sich A kooperativ verhält, d.h. etwas informatives sagen will. Der Hörer versucht demnach, die Aussage von A anders zu deuten. Der Hörer schließt (implikiert), dass A ihm nahe legen wollte, dass heute Mistwetter herrscht. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 203 Die Implikaturentheorie von Herbert Paul Grice Kooperationsprinzip: „Mache deinen Gesprächsbeitrag jeweils so, wie es von dem akzeptierten Zweck oder der akzeptierten Richtung des Gesprächs, Gesprächs an dem du teilnimmst teilnimmst, gerade verlangt wird.“ (Paul Grice, „Logik und Konversation“) Maximen a e de der Qua Quantität ä Maximen a e de der Qua Qualität ä Sei so informativ wie nötig! Sei nicht informativer als nötig! Sage nichts, was du für falsch hältst! Sage nichts, wofür dir angemessene Gründe f hl ! fehlen! Maximen der Modalität Maxime der Relevanz Vermeide Dunkelheit des Ausdrucks! Vermeide Mehrdeutigkeit! Fasse dich kurz! Der Reihe nach! SS 2010 Sei relevant! Einführung in die Theoretische Philosophie 204 Die Implikaturentheorie von Herbert Paul Grice Konversationale Implikaturen • sind nicht an Worte oder besondere sprachliche Konstruktionen gebunden; • ergeben sich aus dem Zusammenspiel a) des Inhaltes des geäußerten Satzes, b) dem Kontext der Äußerung sowie c) aus den Prinzipien der rationalen kooperativen Konversation; • beruhen darauf, dass die Kommunikation eine regelgeleitete Aktivität ist, bei der bestimmte Prinzipien (Maximen) beachtet werden. Wie erhält man Implikaturen unter Ausnutzung der Konversationsmaximen? Verletzung der Maximen Ein Sprecher A verstößt offen gegen eine der Maximen, aber B bezweifelt nicht, dass A dem allgemeinen Kooperationsprinzip Folge leistet. leistet In diesem Fall hat B die Möglichkeit, die Maximen so auszubeuten, dass er einen Grund für das Verhalten von A findet (konstruiert). SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 205 Die Implikaturentheorie von Herbert Paul Grice Gutachten: Sehr geehrte Damen und Herren, der Student X beherrscht die deutsche Sprache ausgezeichnet und nimmt an allen Veranstaltungen regelmäßig teil. Der e Leser ese be bemerkt, e t, dass das Gutac Gutachten te nicht c t informativ o at ist. st ((Verletzung e et u g de der Maxime der Quantität) Der Leser nimmt an, dass sich der Gutachter kooperativ verhält. (Unterstellung, dass das Kooperationsprinzip in Geltung bleibt) Der D L Leser versucht, ht die di Aussage A d des G t ht Gutachters anders d zu deuten. d t (D h er (D.h. nimmt an, dass der Gutachter etwas anderes mitteilen wollte, und zwar so, dass auch die Maxime der Quantität in Geltung bleibt!) plausibler Grund dafür,, dass der Gutachter nicht informativ war,, bestünde Ein p darin, dass (a) alles, was man sonst über den Kandidaten sagen könnte, etwas Schlechtes wäre und (b) der Gutachter nichts Schlechtes über den Kandidaten sagen wollte. Der Leser kann demnach schließen (implikieren), dass ihm der Gutachter nahe legen wollte, dass der Student für den Job ungeeignet ist. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 206 Die Implikaturentheorie von Herbert Paul Grice Partikulare vs. generalisierte konversationale Implikaturen Für bestimmte Implikaturen muss man die Eigenschaften der Äußerungssituation kennen, für andere nicht. Grice unterscheidet danach zwischen zwei Typen von konversationalen Implikaturen: Partikulare Implikaturen entstehen, weil der Kontext ein bestimmtes Merkmal besitzt. „Schönes Wetter heute!“, Gutachten Generalisierte G li i t I Implikaturen lik t Kontextmerkmalen. b beruhen h nicht i ht auff spezifischen ifi h „Maria Maria hat drei Katzen. Katzen “ (nämlich genau drei und nicht vier oder fünfzehn) „Hans trifft sich heute Abend mit einer Frau.“ (nicht mit seiner Frau, seiner Mutter oder Schwester) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 207 Die Implikaturentheorie von Herbert Paul Grice Eigenschaften von konversationalen Implikaturen Ablösbarkeit: Konversationale Implikaturen sind nicht an bestimmte Worte gebunden. Sie hängen vom Kontext und den Konversationsmaximen ab, nicht aber vom Gebrauch eines bestimmten Wortes. Wortes (Wenn eine Äußerung in einem gewissen Kontext einen konversationale Implikatur besitzt, dann besitzen in diesem Kontext alle anderen Ausdrücke mit derselben Bedeutung dieselbe Implikatur.) Hans ist eine Intelligenzbestie! / Hans ist ein Genie! / Hans ist die Intelligenz in Person! / Hans ist ein großer Kopf! Aufhebbarkeit: Konversationale Implikaturen lassen sich „umgehen“ (löschen). Wenn eine Äußerung eine konversationale Implikatur besitzt, dann ergibt die Hinzufügung der Negation der Implikatur keinen Widerspruch. Er war nicht gerade ein Held! Er war feige. (Litotes) Er war nicht gerade ein Held! Aber feige war er auch nicht. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie Er war feige. 208 Präsuppositionen Frege über nicht-denotierende singuläre Terme „Wenn man also behauptet, so ist immer die Voraussetzung selbstverständlich, dass die gebrauchten einfachen oder zusammengesetzten Eigennamen eine Bedeutung haben. Wenn man also behauptet, ‚Kepler starb im Elend‘, so ist dabei vorausgesetzt, dass der Name ‚Kepler‘ K l ‘ etwas t b bezeichne; i h aber b darum d i t doch ist d h im i Sinne Si d des S t Satzes ‚Kepler K l starb t b im i Elend‘ El d‘ der Gedanke, dass ‚Kepler‘ etwas bezeichne nicht enthalten.“ (Gottlob Frege: „Über Sinn und Bedeutung“) Satz: Negierter Satz: Kepler starb im Elend. Kepler starb nicht im Elend. Präsupposition: Der Name „Kepler“ bezeichnet etwas. Negation der Präsupposition: # Kepler gibt es nicht, und dieser starb im Elend. ¾ Präsuppositionen werden nicht mitbehauptet und können daher nicht negiert werden; sie sind statt dessen: Bedingungen für die erfolgreiche Äußerung eines Satzes. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 209 Präsuppositionen Präsuppositionen und Russells Kennzeichnungstheorie Der gegenwärtige König von Frankreich ist reich. Es gibt einen und nur einen König von Frankreich und dieser ist reich. • Die Russell-Paraphrase enthält keine singulären Terme, weshalb die Probleme mit nichtdenotierenden Ausdrücken nicht mehr auftauchen. • Das, was bei Frege eine Präsupposition genannt wird, erscheint bei Russell als eine logische g Folgerung g g des Satzes. Der p präsuppositionale pp Gehalt wird mitbehauptet. p • Die Beobachtung Freges, dass die Negation eines Satzes seine Präsuppositionen teilt, ersetzt Russell durch eine Ambiguität, die aus der unterschiedlichen „Reichweite“ (=Skopus) der Partikel „nicht“ resultiert. Der gegenwärtige König von Frankreich ist nicht reich. Fall 1: Es ist nicht der Fall, dass es einen und nur einen gegenwärtigen König von Frankreich gibt, gibt der reich ist. ist (Präsupposition wird getilgt) Fall 2: Es gibt einen und nur einen gegenwärtigen König von Frankreich und dieser ist nicht reich. (Präsupposition bleibt erhalten) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 210 Präsuppositionen – Strawsons Wiederentdeckung g Peter F. Strawson (*1919) Strawson ist ein britischer Philosoph, der die Methoden der analytischen osop e au auf klassische ass sc e p philosooso Philosophie phische Probleme anwendet. Er kritisierte Russells Kennzeichnungstheorie, entwickelte ein Konzept der deskriptiven Metaphysik und gilt als ein einflussreicher Kantinterpret. Wichtigste Werke: „On Referring“ (1950) Introduction to Logical Theory (1952) Th Bounds The B d off Sense S (1966) Scepticism and Naturalism (1985) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 211 Präsuppositionen – Strawsons Wiederentdeckung g Peter F. Strawsons Sicht ähnelt der von Frege. Er nimmt an, dass die Wahrheit d der Präsuppositionen ä ii eines i S Satzes Bedingungen di fü die für di Möglichkeit ö li hk i seien, i eine i Behauptung mithilfe dieses Satzes zu vollziehen. Seine Hauptkritik an Russell war, dass man mit seiner Theorie die folgende Unterscheidung nicht mehr vornehmen kann: • dem Gebrauch eines Ausdrucks, mit dem man auf einen Gegenstand Bezug nimmt • die Aussage, dass es ein Individuum gibt, welches gewisse Eigenschaften besitzt Wenn eine Präsupposition nicht erfüllt ist, dann kann man mit dem Satz keine Behauptung machen. Strawson entwickelte die klassische Definition einer Präsupposition: Eine Aussage A präsupponiert eine Aussage B, wenn die Wahrheit von B eine notwendige Bedingung für die Wahrheit oder Falschheit von A ist. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 212 Präsuppositionen Was sind eigentlich Präsuppositionen? Die Beantwortung dieser Frage hat insbesondere in den 60ern bis zum Ende der 70er Jahre zu einer umfangreichen g Debatte g geführt, in der hauptsächlich zwei Positionen vertreten wurden: Die semantische Konzeption: Präsuppositionen sind wie die logischen Folgerungen ein Spezialfall der semantischen Implikationen eines Satzes. Die pragmatischen Konzeption: Präsuppositionen sind Unterstellungen, die ein Sprecher mit einer Äußerung in einem speziellen Kontext macht. Beide Konzeptionen haben eine sehr differenzierte Ausgestaltung erfahren und lassen viele verschiedene Unterpositionen zu. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 213 Präsuppositionen Die semantische Konzeption Vertreter der semantischen Konzeption sehen Präsuppositionen als unabhängig von den Überzeugungen von Sprecher und Hörer, vom Hintergrundwissen der Diskursteilnehmer oder von anderen kontextuellen Faktoren an. an Präsuppositionen sind semantische Beziehungen zwischen Sätzen: Die einfachste Definition lautet: A >> B (A präsupponiert B), gdw. A ╞ B (in jeder Interpretation, in der A wahr ist, ist B wahr) und ¬A A ╞ B (in jeder Interpretation, Interpretation in der A falsch ist, ist ist B wahr) Wenn wir uns an die orthodoxe Auffassung halten, dass es nur zwei Wahrheitswerte gibt, dann impliziert das die Ansicht von Frege und Strawson, dass ein Satz keinen Wahrheitswert besitzt, wenn seine Präsuppositionen nicht erfüllt sind. Mit dieser Definition lässt sich die klassische zweiwertige Logik nicht halten! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 214 Präsuppositionen Die pragmatischen Konzeptionen Unter diese Rubrik fallen eine ganze Reihe diverser Ansätze, welche versuchen, den Begriff der Präsupposition anhand von kontextuellen Faktoren zu erklären. Im Unterschied zu den semantischen Konzepten stützen diese sich auf einen anderen Aspekt: Präsuppositionen werden angesehen als Bedingungen für die Möglichkeit einer gelingenden Äußerung. Sprechakttheoretische Ansätze: Präsuppositionen werden als Bedingungen für den akzeptablen k t bl G b Gebrauch h eines i S t Satzes th thematisiert. ti i t (Fillmore, (Fill L Langendoen d & Savin) S i ) Sprecherbasierte Ansätze: Präsuppositionen werden als diejenigen Annahmen gekennzeichnet,, die ein Sprecher g p in einem Diskurs als g geteilte Hintergrundannahmen g voraussetzen kann. (Stalnaker, Soames) Konversationale Ansätze: Präsuppositionen werden als eine spezifische Form konventioneller oder konversationaler Implikaturen (im Sinne von Grice) angesehen. angesehen (Sadock, Karttunen & Peters, Kempson) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 215 Präsuppositionen – Träger Eigennamen Kepler starb (nicht) im Elend. >> Es gibt jemanden namens „Kepler“. Quantoren (nicht) Jedes der Kindes von John schläft. >> John hat Kinder. Aspektverben John hat (nicht) aufgehört seine Großmutter zu schlagen. >> John hat seine Großmutter geschlagen. Betonung g Der FLEISCHER tötete die Gans ((nicht). ) >> Jemand tötete die Gans. Spaltsätze p Es war ((nicht)) Barney, y, der den Honig g stahl. >> Jemand stahl den Honig. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 216 Präsuppositionen – Tests Negationstest Modalitätstest Peter bedauert, dass Hans gegangen ist. ⇒ Jemand bedauert, bedauert dass Hans gegangen ist. >> Hans ist gegangen. Peter bedauert, dass Hans gegangen ist. ⇒ Jemand bedauert, bedauert dass Hans gegangen ist. >> Hans ist gegangen. Peter bedauert nicht, dass gegangen ist. =/⇒ Jemand bedauert, dass gegangen ist. ist >> Hans ist gegangen. Vielleicht bedauert es Peter, dass Hans gegangen ist. =/⇒ Jemand bedauert, dass Hans gegangen ist. ist >> Hans ist gegangen. Hans Hans ¾ Präsuppositionen sind diejenigen Folgerungen von Sätzen, welche unter Negation erhalten bleiben. SS 2010 ¾ Bei der Einbettung unter einen Modalitätsoperator bleibt die Präsupposition erhalten, die Folgerung nicht. Einführung in die Theoretische Philosophie 217 Präsuppositionen Das Projektionsproblem j p Das Projektionsproblem für Präsuppositionen – erstmals von Langendoen und S i (1972) Savin ( 9 2) formuliert f li – besteht b h in i der d ganz allgemeinen ll i Frage, was mit i den d Präsuppositionen eines Satzes passiert, wenn dieser in einem komplexeren Satz eingebettet ist. A1, A2, ..., An seien elementare Sätze P(A1), P(A2), ..., P(An) seien die die Präsuppositionen von A1, A2, ..., An (A1, A2, ..., An) sei ein komplexer Satz, Satz der aus der Kombination von A1, A2, ..., An gebildet worden ist. Was sind die Präsuppositionen von (A1, A2, ..., An)? Die kumulative Hypothese (A1, A2, ..., An) >> P(A1) & P(A2) & … & P(An) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 218 Präsuppositionen Das Projektionsproblem j p Direkte Rede Hans sagte: „Paul hat aufgehört f seine Großmutter ß zu schlagen“. >/> Paul hat seine Großmutter geschlagen. Propositionale Einstellungen Hans glaubt sogar, dass Paul aufgehört hat, seine Großmutter zu schlagen. >/> Paul hat seine Großmutter geschlagen. Aufhebung mittels direkter Verneinung der Präsupposition eines negierten Satzes Paul hat nicht aufgehört seine Großmutter zu schlagen, weil er sie nie geschlagen hat. >/> Paul hat seine Großmutter geschlagen. geschlagen Disjunktion geschlagen, g , oder er hat aufgehört, g , sie zu Entweder hat Hans seine Großmutter nie g schlagen. >/> Paul hat seine Großmutter geschlagen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 219 Sprechakttheorie: J.L. Austin John Langshaw Austin ( 9 (1911-1960) 960) Austin gilt als einer der Begründer der sog „Ordinary sog. Ordinary Language Philosophy Philosophy“. Er beschäftigte sich intensiv mit dem Handlungsaspekt der Sprache (Sprechakte), sowie mit der Struktur von Äußerungen über Sinneseindrücke. Sinneseindrücke Seine beiden Hauptwerke basieren auf Skripten und Vorlesungen, die von seinen Schülern posthum veröffentlicht wurden. wurden Wichtigste Werke: How To Do Things With Words (1962) Sense and Sensibilia (1962) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 220 Sprechakttheorie: J.L. Austin Der Handlungsaspekt der Sprache [Beim Pokern] Ich verdopple. [Im Standesamt] Hiermit ernenne ich sie zu Mann und Frau. [Bei einer Taufe] Hiermit nenne ich dieses Schiff Queen Victoria. Diese Sätze Handlungen, einer Heirat Anschluss an liefert keine Beschreibung meines Tuns, sondern sind die in einem Verdoppeln des Einsatzes beim Pokern, in oder einer Schiffstaufe bestehen. Niemand könnte im die jeweiligen Äußerungen Ä „Das ist falsch!“ sagen. Austin nannte derartige Sätze performative Sätze, im Unterschied zu deskriptiven Sätzen, in denen wir eine beschreibende Aussage machen, die wahr oder falsch sein kann. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 221 Sprechakttheorie: J.L. Austin Geglücktheitsbedingungen/ Gelingensbedingungen Sprechakte können können zwar nicht literal wahr oder falsch sein, aber sie können erfolgreich sein oder nicht erfolgreich. Die Voraussetzungen für erfolgreiche Sprechakte nennt Austin Geglücktheitsbedingungen (felicity conditions). conditions) • Es muss eine konventionelle Regel geben, nach der der Sprechakt vollzogen wird. • Die Umstände und Personen müssen angemessen sein. • Die Regel muss korrekt und vollständig ausgeführt werden. • Oft müssen die beteiligten Personen entsprechende Gedanken, Gefühle oder Absichten besitzen, und falls ein Anschlussverhalten gefordert wird, dann müssen die relevanten Personen dies ausführen. Die Regeln, die unsere Sprechakte leiten, sind in den meisten Fällen nur implizit in unserer sozialen Praxis verankert. Nur selten gibt es explizite Niederschriften oder Anweisungen zum V ll Vollzug b ti bestimmter t Sprechakte S h kt (etwa ( t i institutionellen in i tit ti ll P ktik Praktiken wie i einer i H i t oder Heirat d einer i Taufe oder in den Regelwerken von Kartenspielen etc.). SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 222 Sprechakttheorie: J.L. Austin Der Aufbau eines Sprechaktes p Austin unterscheidet unterschiedliche Aspekte eines Sprechaktes: Lokutionärer Akt: die Bedeutung oder der Inhalt einer Äußerung (Lokution entspricht in etwa dem Begriff der Proposition) Illokutionärer Akt: der Handlungsaspekt oder –typ eines Sprechaktes (Befehl, Angebot, Bitte, Versprechen etc.) Perlokutionärer Akt: die Folgen eines Sprechaktes (die Tatsachen, die dadurch, dass ein Sprechakt eine Handlung ist, geschaffen oder verändert werden) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 223 Sprechakttheorie: J.L. Austin Illokutionäre Indikatoren Die meisten Sprechakte können so vollzogen werden, dass sie nicht nur einen Sprechakt zum Ausdruck bringen, sondern diesen auch explizit beschreiben: Ich werde hier sein. Du musst dich setzen! Ich war dumm. Ich verspreche, dass ich hier sein werde. Ich befehle dir hiermit,, dich zu setzen. Ich gebe zu, dass ich dumm war. Explizite p performative Äußerungen p g enthalten ein handlungsanzeigendes g g Verb wie versprechen oder zugeben (jeweils in der ersten Person Indikativ Präsens) sowie manchmal auch weitere Indikatoren wie das Adverb hiermit. Im Gegensatz dazu stehen Äußerungen, die indirekt oder implizit performativ sind. ¾ Sprachliche Ausdrücke, die die illokutionäre Indikatoren genannt. SS 2010 Illokution explizit Einführung in die Theoretische Philosophie anzeigen, werden 224 Sprechakttheorie: J.R. Searle John R. Searle (*1932) John Searle wurde bekannt durch seine Arbeiten zur Sprechakttheorie, zur Philosophie des Geistes sowie zur Sozialphilosophie. Er arbeitet auf vielfältigen Gebieten und gilt heute als einer der wichtigsten philosophischen Autoren. Wichtigste Werke: Speech p Acts ((1969)) Expression and Meaning (1979) „Minds, Brains, and Programs“ (1980) Intentionality (1983) The Rediscovery of Mind (1992) The Construction of Social Reality (1997) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 225 Sprechakttheorie: J.R. Searle Zur Klassifikation der Sprechakte p Searle entwickelte Austins Ansätze zur Sprechakttheorie wesentlich weiter wobei er besonders die illokutionären Akte analysiert. weiter, analysiert Searle teilt die Sprechakte nach den folgenden Kriterien ein: • Zweck oder Funktion des Sprechaktes • Anpassungsrichtung zwischen Wort und Welt • psychische Einstellung, die mit einem Sprechakt einhergeht Anhand A h d dieser di K it i Kriterien l lassen sich i h die di f l folgenden d T Typen von Sprechakten unterscheiden: Deklarative, Repräsentative, Direktive, Kommissive und Expressive. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 226 Sprechakttheorie: J.R. Searle S Sprechakt h kt Z Zweck k A Anpassungsrichtung i ht psychischer hi h Zustand Deklarative institutionelle Routinen Welt-an-Wort ? Repräsentative Festlegung Wahrheit Wort-an-Welt Glaube/Wissen Direktive Hörer soll etwas tun Welt-an-Wort Wunsch Kommissive Festlegung auf eine Handlung Welt-an-Wort Absicht Expressive Ausdrücken Einstellung ? variabel SS 2010 auf die einer Einführung in die Theoretische Philosophie 227 Sprechakttheorie: J.R. Searle Deklarative (taufen, heiraten, kündigen, ...) Deklarative D kl ti S Sprechakte h kt sind i d sprachliche hli h Routineformeln, R ti f l die di in i der d Regel R l an die di Existenz E i t von Institutionen gebunden sind. Hiermit kündige ich zum 31.07.2005. Der Angeklagte ist schuldig. Repräsentative (behaupten, feststellen, berichten, ...) Repräsentative Sprechakte legen den Sprecher darauf fest, fest dass der ausgedrückte propositionale Inhalt der Äußerung wahr ist. Die Erde ist flach. Ein neuer Bürgermeister wurde gewählt. gewählt Direktive (befehlen, auffordern, bitten, ...) Direktive Sprechakte p haben den Zweck,, dass der Sprecher p versucht,, den Hörer dazu zu bringen etwas zu tun. Einen Kaffe, schwarz mit etwas Zucker bitte! Nicht betreten! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 228 Sprechakttheorie: J.R. Searle Kommissive (versprechen, ankündigen, drohen, ...) Kommissive Sprechakte haben die Funktion, den Sprecher auf eine zukünftige Handlung festzulegen. Ich bin gleich zurück. Ich verspreche, das nicht wieder zu tun. Expressive (danken, gratulieren, sich entschuldigen, ...) Expressive Sprechakte haben die Funktion, Einstellung zum Ausdruck zu bringen. zu einem Sachverhalt eine Es tut mir sehr leid. Danke für das Kompliment. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 229 Sprechakttheorie: J.R. Searle Gelingensbedingungen nach Searle Für jede Sprechhandlung sollten nach Searle folgende Gelingensbedingungen unterschieden werden (illustriert am Beispiel einer Bitte): Bitte tue A! Einleitungsbedingung: Der Sprecher glaubt, dass der Hörer A tun kann. Es ist nicht offensichtlich, dass der Hörer A tun würde, ohne darum gebeten zu werden. Bedingung des propositionalen Gehalts: Der Hörer wird A tun. Aufrichtigkeitsbedingung. Der Sprecher hat tatsächlich den Wunsch, dass der Hörer A tut. Wesentliche Bedingung: Die Äußerung der Bitte ist ein Versuch, den Hörer dazu zu bringen, A zu tun. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 230 Sprechakttheorie: J.R. Searle Das geglückte Versprechen „Hiermit verspreche ich, A zu tun.“ Wenn ein Sprecher S einen Satz T im Beisein eines Hörers H äußert, dann verspricht er H, dass er A tun wird, gdw. die folgenden Bedingungen erfüllt sind: Einleitungsbedingungen generell: S und H sprechen die gleiche Sprache, sind nicht taub oder betrunken und es handelt sich um Erwachsene. spezifisch: Die Ausführung von A durch S ist für H positiver als die Unterlassung. # Ich verspreche dir, morgen Pilzsuppe zu kochen, obgleich ich weiß, dass du Pilze hasst. spezifisch: Es ist nicht offensichtlich, dass S sowieso A ausführen würde. # Ich gehe jeden Tag zur Arbeit und verspreche, es morgen auch zu tun. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 231 Sprechakttheorie: J.R. Searle Das geglückte Versprechen „Hiermit verspreche ich, A zu tun.“ Wenn ein Sprecher S einen Satz T im Beisein eines Hörers H äußert, dann verspricht er H, dass er A tun wird, gdw. die folgenden Bedingungen erfüllt sind: Bedingungen des propositionalen Gehalts Mit der Äußerung von T drückt S die Proposition, Proposition dass p, p aus. aus # Ich verspreche dir einen Klurks. Indem S ausdrückt, dass p, sagt S eine zukünftige Handlung A von S voraus. # Ich verspreche, dass ich gestern in Theater war. Aufrichtigkeitsbedingung S beabsichtigt tatsächlich, A zu tun. # Ich verspreche zu kommen, werde es aber nicht tun. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 232 Sprechakttheorie: J.R. Searle Das geglückte Versprechen „Hiermit verspreche ich, A zu tun.“ Wenn ein Sprecher S einen Satz T im Beisein eines Hörers H äußert, dann verspricht er H, dass er A tun wird, gdw. die folgenden Bedingungen erfüllt sind: Wesentliche Bedingung Es liegt in der Absicht von S, sich mit der Äußerung von T zur Ausführung von A zu verpflichten. fli ht # Ich verspreche, den Kuchen zu backen, habe aber nicht die Absicht es zu tun. Sonstiges S beabsichtigt, dass H erkennt, dass S mit der Äußerung von T die Verpflichtung zur Ausführung von A übernimmt. (Ein Versprechen funktioniert nur, wenn der Sprecher denkt, dass der Hörer seine Äußerung überhaupt als ein Versprechen auffasst.) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 233 Sprechakttheorie: J.R. Searle Indirekte Sprechakte Ein indirekter Sprechakt liegt dann vor, wenn in einem nicht-neutralen Kontext auf das Vorliegen einer Illokution geschlossen wird, die von der im neutralen Kontext zu erwartenden Illokution abweicht. Äußerung ausgedrückter SA gemeinter SA Der Kleine hat in die Windeln geschissen. Deklarativ Aufforderung Hier zieht es. Deklarativ Aufforderung Kannst du mir das Salz reichen? Frage Bitte Ist das denn realistisch? Frage Entgegnung V Verschwinde h i d jetzt j t t bitte bitt aus dem d Zi Zimmer. Bitt Bitte W Warnung Ich verspreche dir, Nachtisch bekommst. Versprechen Drohung SS 2010 dass du keinen Einführung in die Theoretische Philosophie 234 Philosophische Fakultät Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Dr. Holm Bräuer 3. Erkenntnistheorie SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 236 Wissen Wissen praktisches Wissen (knowing how) propositionales Wissen (knowing that) Wissen, wie etwas ist (knowing how it is) Fähigkeiten, Fertigkeiten theoretisch, Erkenntnisse Sinnesqualitäten, Eindrücke Erkenntnistheorie SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie Philosophie des Geistes 237 Wissen Praktisches Wissen ( (Wissen,, wie) ) Albert weiß, wie man Posaune spielt. Hans und nd Maria Ma ia wissen, issen wie ie man Fahrrad Fah ad fährt. fäh t Helena weiß, wie man Rührei macht. • Praktisches Wissen besteht in einer praktischen Fertigkeit oder einem Können. • Es besitzt keinen „Inhalt „Inhalt“,, d.h. es ist kein Wissen, dass sich etwas so sound-so verhält. • Wer weiß, wie man Fahrrad fährt, kann dieses Wissen nicht sprachlich ausdrücken, sondern nur dadurch zeigen, dass er Fahrrad fährt. • Dieser Typ von Wissen ist nicht Thema der Erkenntnistheorie. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 238 Wissen Propositionales Wissen (Wissen, dass) Der Detektiv weiß, dass der Gärtner der Mörder ist. Maria wusste gestern nicht, dass heute schönes Wetter ist. Jetzt weiß sie es. Ich weiß, dass ich zwei Hände habe. Zuschreibungen des Wissens haben die folgende Form: S weiß, dass p. wobei „S S“ für eine bestimmte Person (oder irgendeinem Subjekt des Wissens) steht und „p“ für einen propositionalen Gehalt (den Inhalt des Satzes „Der Mörder ist der Gärtner.“ oder „Ich habe zwei Hände.“ usw.) • Theoretisches Wissen ist immer ein Wissen, das einen Inhalt hat. Man weiß, dass sich etwas so-und-so verhält. • Der Gegenstand der Erkenntnistheorie ist das propositionale Wissen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 239 Wissen Wissen, wie etwas ist Albert weiß, wie eine Kiwi schmeckt. Johanna weiß, wie es ist, wenn man einen Sonnenbrand hat. Gegen die Gleichsetzung des „Wissens, wie etwas ist“ mit dem propositionalen Wissen sprechen zwei Argumente. (1) Auf die Frage „Wie Wie ist es denn, denn eine Kiwi zu essen? essen?“ gibt es keine befriedigende Antwort, die es Albert erübrigen würde, eine Kiwi zu kosten, um das zu wissen. (2) Auch wenn man propositional von Kiwis alles weiß, weiß man dennoch nicht, wie i eine i Ki i schmeckt, Kiwi h kt wenn man nie i eine i probiert bi t hat. h t • Bei dieser Art von Wissen handelt es sich weder um praktisches noch um propositionales Wissen. • Das Wissen, wie etwas ist, ist Gegenstand der Philosophie des Geistes (Qualiadebatte). SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 240 Erkenntnistheorie Skeptizismus Was ist Wissen? Was ist Wahrheit? W i besteht Worin b t ht Rechtfertigung? R htf ti ? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 241 Erkenntnistheorie Skeptizismus SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 242 Skeptizismus Philosophische Skepsis vs. Alltagsskepsis Philosophische Skeptiker bestreiten oder bezweifeln, dass wir Wissen über die Welt haben oder haben können, aber: • Sie haben Gründe für den Zweifel. • Sie argumentieren Voraussetzungen. dafür und machen dabei bewusst bestimmte • Sie erheben einen Allgemeinheitsanspruch. Der philosophische Skeptiker stellt die Möglichkeit des Wissens über die Welt grundsätzlich in Frage. Er argumentiert für diesen Zweifel, begründet diesen und ist sich der Voraussetzungen, die er dabei eingeht, durchaus bewusst. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 243 Skeptizismus Irrtum und Zweifel Irren ist menschlich! Folgt aber daraus, dass ich mich manchmal irre, die Möglichkeit, dass ich mich immer irre, d.h. vielleicht gar kein Wissen über die Welt um mich habe? • Bei der Feststellung, dass wir uns manchmal irren, wird vorausgesetzt, dass man Irrtümer feststellen kann. Das aber setzt voraus, dass man sich nicht in jeder Hinsicht täuschen kann. • Die Feststellung eines Irrtums kann selber kein Irrtum sein, sonst wäre sie gerade nicht die Feststellung eines Irrtums. • Wenn ich feststelle, feststelle mich geirrt zu haben, haben dann habe ich einen besonderen Grund, der gegen meine frühere Überzeugung spricht. Gegen meine jetzige Überzeugung habe ich keinen spezifischen Grund. Ich habe keinen Grund, sie aufzugeben. Die Tatsache, dass wir uns hin und wieder irren, sollte uns nicht beunruhigen und erst recht nicht zum Skeptiker werden lassen! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 244 Skeptizismus Sekundäre Qualitäten Haben Gegenstände Farben? John Locke Wenn wir von den Farben sprechen, dann geht es nur um die Wirkungen, die die Oberflächenstruktur eines Körpers unter bestimmten Umständen (Lichtverhältnisse) für den menschlichen Betrachter hat. Primäre Qualitäten: Eigenschaften, die den Gegenständen als solchen zukommen. Sekundäre Qualitäten: Eigenschaften, die von unseren kognitiven und Wahrnehmungsf h k fähigkeiten abhängig bh sind. d Skeptische Schlussfolgerung Wir nehmen die Welt nicht so wahr, wahr wie sie an sich beschaffen ist! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 245 Skeptizismus Das Traumargument Rene Descartes Prämisse: Wenn ich weiß, dass ich jetzt eine Vorlesung halte, dann weiß ich auch, dass ich jetzt nicht im Bett liege und bloß träume, dass ich eine Vorlesung halte. P ä i Prämisse: I h weiß Ich iß jetzt j t t nicht, i ht ob b ich i h jetzt j t t träume t ä oder d nicht. i ht modus tollens Konklusion: Also weiß ich nicht, dass ich jetzt eine Vorlesung halte. Argument für die zweite Prämisse: Prämisse: Um zu wissen, ob ich jetzt träume, müsste ich ein Kriterium besitzen, das es mir erlaubt, Traum von Wachheit zu unterscheiden. Prämisse: Ich kann kein solches Kriterium besitzen, denn immer wenn ich meine, ein brauchbares Kriterium anzuwenden, könnte es sein, dass ich bloß träume, dass ich ein brauchbares Kriterium anwende! modus tollens Konklusion: Ich weiß jetzt nicht, ob ich träume oder wach bin! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 246 Skeptizismus Gibt es eine Außenwelt? Rene Descartes Halluzinationen: Wir alle wissen, dass Menschen unter bestimmten Umständen halluzinieren. Nach langer Arbeit an dieser Vorlesung sehe ich aus dem Fenster und erblicke einen rosa Elefanten auf der Strasse. Strasse In Wirklichkeit ist kein Elefant in der Nähe. Auf der Strasse ist gar nichts los. In Fällen wie dem der Halluzination besteht die Täuschung g darin, dass ich meine, dass meiner Vorstellung ein Gegenstand in der Welt (der rosa Elefant) entspricht. Ich täusche mich aber nicht darin, dass ich meine, einen Elefanten zu sehen. Skeptische Fragen • Wie kann ich wissen, dass sich meine Vorstellungen auf etwas beziehen? g , dass ich nur meine Vorstellungen g besitze,, denen „„in • Ist es möglich, Wirklichkeit“ nichts entspricht? • Kann ich wirklich wissen, dass es überhaupt eine Welt jenseits oder außerhalb meiner Vorstellungen – eine Außenwelt – gibt? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 247 Skeptizismus Gibt es eine Außenwelt? I am plagued by doubts. What if everything is an illusion and nothing exists? In that case, I definitely overpaid for my carpet. Prämisse: Wenn ich etwas über irgendeinen Gegenstand der Außenwelt weiß, dann weiß ich auch, dass es eine Außenwelt gibt. Prämisse: Ich kann nicht wissen,, dass es eine Außenwelt g gibt. modus tollens Konklusion: Ich kann über keinen Gegenstand der Außenwelt etwas wissen. • Wie das Traum-Argument endet auch das Außenwelt-Argument mit der Konklusion, dass ich kein empirisches Wissen über die Welt haben kann. • Das Außenwelt-Argument bestreitet eine der Voraussetzungen, welche beim Traum-Argument gemacht werden muss; dass es nämlich eine Außenwelt gibt. • Das Traum-Argument kann auch unter der Prämisse geführt werden, dass es eine Außenwelt gibt. Es handelt sich um zwei verschiedene Argumente. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 248 Skeptizismus Hilary Putnam Gehirne im Tank Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Jemandem ist von einem übelwollenden Neurowissenschaftler das Gehirn entnommen worden. Um es am Leben zu erhalten hat dieser es in eine Nährlösung gegeben. erhalten, gegeben Die Nervenenden sind mit einem leistungsfähigen Computer verbunden worden, der dem Gehirn den Eindruck erzeugt, dass alles wie immer und ganz normal sei. Das Gehirn hat also den Eindruck, dass es von den vertrauten Gegenständen umgeben ist, während in Wirklichkeit dieser Eindruck nur von elektronischen Impulsen ausgeht, ausgeht die der Computer dem Gehirn sendet. Es gibt kein Erlebnis, das der Computer dem Gehirn nicht „vorspielen“ kann. Prämisse: Wenn ich irgendetwas über die Welt weiß, dann weiß ich auch, dass ich kein Gehirn im Tank bin. Prämisse: Ich kann nicht wissen, ob ich ein Gehirn im Tank bin. modus tollens Konklusion: Ich kann nichts über die Welt wissen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 249 Skeptizismus Unsere epistemische Situation Epistemische Situation: kognitive und sinnliche Fähigkeiten im Verhältnis zu unserer Umgebung Die skeptischen Fragen sind Ausdruck des Versuchs herauszufinden, ob wir uns überhaupt in einer epistemischen Situation befinden, die Wissen möglich macht. Der Skeptiker zeigt uns, dass durchaus die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen ist, dass uns einige oder die meisten Aspekte unserer epistemischen Umgebung intransparent sind: • Ein Träumer hat, während er träumt, nicht die Möglichkeit festzustellen, ob er träumt oder wach ist. • Wir haben keine (direkte) Möglichkeit festzustellen, ob unseren Vorstellungen tatsächlich Gegenstände entsprechen oder nicht, d.h. wir können die Existenz der Außenwelt nur annehmen, nicht beweisen. • Wir haben keinen Grund zu der Annahme, Annahme dass die Welt um uns herum so beschaffen ist, ist wie wir sie wahrnehmen, denn viele der Eigenschaften, die wir erkennen können, sind keine Eigenschaften der Dinge, sondern Eigenschaften, die von unserer sinnlichen und kognitiven Ausstattung abhängig sind. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 250 Erkenntnistheorie Was ist Wissen? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 251 Was ist Wissen? Gestern wusste ich nicht, wie heute das Wetter sein wird. Heute weiß ich es. • Wir sind in der Lage, Fälle des Wissens von Fällen des Nicht-Wissens zu unterscheiden. • Wir können den Begriff des Wissens korrekt verwenden. • Wozu also diese Frage? • Was ist das eigentlich für eine Frage? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 252 Begriffsanalyse Die Frage nach notwendigen und hinreichenden Bedingungen x ist ein Junggeselle, gdw. (1) x unverheiratet ist (2) x männlich ist und (3) x die meisten Abende allein verbringt. eine Bedingung ist nicht notwendig Notwendige Bedingungen sind solche Merkmale, die für den fraglichen Begriff immer erfüllt sind. Die dritte Bedingung ist nicht notwendig, da es Junggesellen gibt, die die meisten Abende nicht allein verbringen (Partylöwen, die Single sind). x ist ein Junggeselle, gdw. (1) x unverheiratet ist und (2) x männlich ist. Bedingungen sind zusammen noch nicht hinreichend Hinreichend ist eine Menge von Bedingungen dann, dann wenn die Merkmale immer Fälle des fraglichen Begriffs sind. Die beiden angeführten Merkmale sind zusammen nicht hinreichend, da es unverheiratete, männliche Wesen gibt, die keine Junggesellen sind (Knaben). x ist ein Junggeselle, gdw. SS 2010 (1) x unverheiratet ist (2) x männlich ist und (3) x im heiratsfähigem Alter ist. Einführung in die Theoretische Philosophie Bedingungen sind notwendig und hinreichend? 253 Die traditionelle Konzeption Die für viele Jahrhunderte unbestrittene Definition des Wissens stammt aus der Antike, nämlich von Platon, und lautet: Wissen = wahre, gerechtfertigte Meinung Ignoranz S weiß, dass p, gdw. SS 2010 Irrtum Zufall (1) S glaubt, dass p; (2) p ist wahr; (3) S ist gerechtfertigt zu glauben, dass p. Einführung in die Theoretische Philosophie 254 Die traditionelle Konzeption Überzeugungen Eine erste notwendige Überzeugung: Bedingung für Wissen besteht im Haben einer Wenn S weiß, dass p, dann hat S die Überzeugung, dass p. Dass Wissen Überzeugungen voraussetzt, voraussetzt wird plausibel, plausibel wenn man versucht sich vorzustellen, dass dem nicht so ist. Hans weiß, dass Dresden südlich von Berlin liegt, aber er glaubt es nicht. Eine solche Beschreibung ist verwirrend und zwar deshalb, weil beides offenbar nicht miteinander vereinbar ist. Also: Das Haben einer Überzeugung entsprechenden Inhalts ist eine notwendige Bedingung für Wissen! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 255 Die traditionelle Konzeption Wahrheit Überzeugungen sind nicht hinreichend für Wissen, denn Überzeugungen können wahr oder falsch sein. Und falsche Überzeugungen sind keine Fälle von Wissen. Wenn S weiß, dass p, dann ist es wahr, dass p. Dass Wissen Wahrheit voraussetzt, voraussetzt wird wieder klar, klar wenn wir versuchen, versuchen dies in Abrede zu stellen: Hans weiß, dass Berlin südlich von Dresden liegt. Auch diese Beschreibung ist verwirrend und zwar ebenfalls deshalb, weil beides – Falschheit und Wissen – nicht miteinander vereinbar ist. Wenn etwas falsch ist, dann liegt kein Wissen vor. vor Also: Auch die Wahrheit des Gewussten ist eine notwendige Bedingung für Wissen! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 256 Die traditionelle Konzeption Rechtfertigung Wahre Überzeugungen sind noch immer keine hinreichende Bedingung von Wissen! Hans bekommt ein Säckchen mit Murmeln vorgesetzt. Er soll nun raten, wie viele Murmeln sich in dem Säckchen befinden. Er denkt eine Weile nach und sagt dann geöffnet, wobei sich herausstellt, dass es zufällig g „16“. Jetzt wird das Säckchen g wirklich 16 Murmeln sind! Hans hatte also eine wahre Überzeugung Ü über die Anzahl der Murmeln im Säckchen. Aber: Wusste Hans vorher, wie viele Murmeln im Säckchen sind? Wer (zufällig) richtig liegt, weiß z.B. wie viele Murmeln sich im Säckchen befinden. ??? Zufällig wahre Vermutungen stellen kein Wissen dar. Überzeugungen und Wahrheit sind nicht hinreichend, um Wissen zu definieren. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 257 Die traditionelle Konzeption Rechtfertigung Wenn S weiß, dass p, dann ist S‘s Überzeugung, dass p, gerechtfertigt. „Sokrates: ... die richtigen Vorstellungen sind eine schöne Sache, solange sie bleiben, und bewirken alles Gute; lange Zeit aber pflegen sie nicht zu bleiben, sondern gehen davon aus der Seele des Menschen, so dass sie doch nicht viel wert sind, bis man sie bindet durch Aufweisen ihrer Begründung. ... Nachdem sie aber gebunden werden, werden sie zuerst Erkenntnisse und dann auch bleibend. Und deshalb nun ist Erkenntnis höher zu schätzen als die richtige Vorstellung, und es unterscheidet sich eben durch das Gebundensein die Erkenntnis von der richtigen Vorstellung.“ [Platon: Menon 97e-98a] SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 258 Die traditionelle Konzeption Rechtfertigung Wenn S weiß, dass p, dann ist S‘s Überzeugung, dass p, gerechtfertigt. Was auch immer im Einzelnen unter „Rechtfertigung“ zu verstehen ist, lässt sich nicht leicht beantworten. Dennoch: Die traditionelle Konzeption des Wissens als wahrer, gerechtfertigter Meinung lässt sich an vielen Beispielen belegen: • Maria weiß nur dann, dass die Bibliothek sonntags geöffnet ist, wenn sie Gründe hat, das anzunehmen. • Eine Frau weiß, dass sie schwanger ist nicht schon, wenn sie es ahnt (und es zufällig fälli stimmt), ti t) sondern d erstt dann, d wenn sie i eindeutige i d ti E id Evidenzen d fü hat. dafür h t • Ein Mathematiker weiß erst dann, dass ein gewisser Satz wahr ist, wenn er ihn beweisen kann und nicht schon, wenn er das nur vermutet oder glaubt. • Hans weiß nicht, wie viele Murmeln im Säckchen sind, wenn er es nur rät. Er weiß es erst dann, wenn er seine Vermutung stützen und begründen kann; wenn er entsprechende Anhaltspunkte hat. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 259 Edmund Gettiers Problem Schmidt und Müller bewerben sich auf dieselbe Stelle. Schmidt hat aus glaubhafter f Quelle erfahren, f dass sich die Firma für f Müller entscheiden wird. Außerdem hat er zufällig gesehen, dass Müller zehn Münzen in seiner Hosentasche hat. Diese Daten rechtfertigen seine Annahme: Müller wird die Stelle bekommen. & Müller hat zehn Münzen in seiner Hosentasche. Derjenige, der die Stelle bekommen wird, hat zehn Münzen in der Hosentasche. Nun ereignen sich für Schmidt zwei unerwartete Zufälle. Auch Schmidt hat genau zehn Münzen in seiner Hosentasche und bekommt trotz gegenteiliger Vorinformation selbst die Stelle. • Schmidt hat eine wahre Überzeugung. Überzeugung • Seine Überzeugung ist gerechtfertigt. • Schmidt hat eine wahre und gerechtfertigte Meinung. Wusste Schmidt wirklich, wirklich was er glaubte? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 260 Edmund Gettiers Problem Zusatzbedingungen? Gibt es eine Lösung für das Gettierproblem durch die Angabe zusätzlicher Bedingungen? Schmidts Rechtfertigung beruhte auf der falschen Prämisse, dass Müller die Stelle bekommt. Vielleicht sollten wir einfach falsche Überzeugungen als Rechtfertigungsgründe ausschließen? S weiß, dass p, gdw. (1), (2), (3) und ((4)) die rechtfertigenden g Überzeugungen g g wahr sind. Angenommen Schmidt erfährt aus seiner Quelle (nämlich von Schulz, einem Mitglied des Auswahlkomitees), dass er selbst die Stelle bekommt und er bemerkt auch die zehn Münzen in seiner Tasche. Damit sind seine rechtfertigenden Überzeugungen beide wahr. Zufälligerweise ist es aber so, dass in der Sitzung des Komitees beschlossen wurde, dass Müller angenommen und Schmidt abgelehnt wird. Erst zu einem späteren Zeitpunkt wird von übergeordneter Stelle angeordnet, doch Schmidt und nicht Müller zu nehmen. Schulz hatte also etwas durcheinandergebracht und nur zufällig eine wahre Information weitergegeben. • Würden wir Schmidts Überzeugung nach der Sitzung und vor der Weisung durch die übergeordnete Stelle als Wissen bezeichnen? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 261 Edmund Gettiers Problem Zusatzbedingungen? Der eben konstruierte Fall beruht darauf, dass die rechtfertigenden Gründe zwar wahr, aber nur zufällig wahr sind. Dies weist darauf hin, dass die vierte Bedingung noch zu schwach war. Ein nichtzufälliger wahrer Grund für eine Überzeugung liegt offensichtlich dann vor, wenn dieser selbst gerechtfertigt ist: S weiß, dass p, gdw. (1), (2), (3) und (4) die Rechtfertiger wahr und gerechtfertigt sind. Das führt leider in einen infiniten Regress, denn das Definiens (insbesondere die vierte Bedingung) hat dieselbe Struktur wie das Definiendum. Wir könnten nun fragen, wie es um die rechtfertigenden Überzeugungen der rechtfertigenden Überzeugungen steht usw. usw Das Problem verschiebt sich statt gelöst zu werden! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 262 Internalismus vs. Externalismus internalistische Konzepte externalistische Konzepte S weiß, dass p, gdw. (1) S glaubt, dass p; (2) p ist wahr; und (3) S ist gerechtfertigt, p zu glauben. (4) ??? S weiß, dass p, gdw. (1) S glaubt, dass p; (2) p ist wahr; und (3) ??? Externalistische Konzepte halten Rechtfertigung nicht für eine notwendige Bedingung des Wissens. Sie suchen diese durch eine andere zu ersetzen. Sie versuchen also die Voraussetzung des „nicht zufällig Wahr-seins“ anders zu bestimmen. Wir sehen uns jetzt die folgenden drei Varianten externalistischer Wissenskonzepte an: ¾ kausale Konzeptionen ¾ reliabilistische Konzeptionen ¾ kontextualistische Konzeptionen SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 263 Die kausale Konzeption Eine besonders nahe liegende Form einer externalistischen Konzeption ist die kausale Konzeption. S weiß, dass p, gdw. Alvin I. Goldman ld (1), (2) und (3) S´s Überzeugung durch die Tatsache, dass p, verursacht wurde. Diese Variante eignet sich besonders für Wahrnehmungswissen: Nehmen wir wieder Schmidt. Im ersten Fall hatte er die wahre Überzeugung, dass derjenige, d die der di Stelle St ll bekommt, b k t zehn h Münzen Mü i seiner in i H Hosentasche t h hat. h t Diese Di j d h wurde jedoch d nicht i ht von seinen Evidenzen verursacht, sondern beruhte auf einem logischen Schluss, den Schmidt aus seinen Evidenzen zog. Die dritte Bedingung der kausalen Konzeption ist demnach nicht erfüllt gewesen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 264 Die kausale Konzeption Zukunft: Man kann Wissen über zukünftige Tatsachen haben (z.B. weiß ich, dass das Wasser im Teekessel kochen wird, wird wenn ich diesen auf eine heiße Herdplatte stelle). Zukünftige Tatsachen können aber keine Ursachen für gegenwärtige Überzeugungen sein. Devianz: Die Verursachung der Überzeugung muss von der „richtigen Art“ sein. Nehmen wir an, dass Luise an Masern erkrankt ist und dass die Masern zu einer zusätzlichen allergischen Reaktion geführt haben, haben welche Ursache für die kleinen roten Flecken ist, ist welche dann in Luise die Überzeugung verursachen, dass sie Masern hat. In diesem Fall ist zwar die Tatsache, dass Luise Masern hat, die Ursache für Luises Überzeugung, dass sie Masern hat, doch auch hier würden wir nicht von Wissen sprechen, denn die allergische Reaktion und ihre Masernerkrankung g sind zwei unterschiedliche Phänomene. Abschwächung der kausalen Konzeption S weiß, dass p, gdw. (1), (2) und (3) S´s S´ Überzeugung Üb mit i der d Tatsache, h dass d p, in i angemessener Weise kausal verbunden ist. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 265 Die kausale Konzeption Angemessenheit: Was genau besagt die Bedingung, dass es sich um eine angemessen kausale k l Verbindung bi d h d l ? (selbst-erfüllende handelt? ( lb füll d Prophezeiung; h i Wissen über die Zukunft; deviante Kausalketten usw.) Negative N ti T t Tatsachen: h I h weiß, Ich iß dass d es in i der d Sahara S h k i keine Ei b Eisberge gibt. ibt Gibt es nun auch „negative Tatsachen“, die Ursache für meine Überzeugung sein können, dass es keine Eisberge in der Sahara gibt? Mathematisches Wissen: Ich weiß, dass 7+5=12 ist. Welche Tatsachen könnten Ursache für dieses Wissen sein? Modales Wissen: Welche Tatsache könnte Ursache meines Wissens sein, dass der Wahlverlierer die Wahl akzeptiert hätte, wenn er sie gewonnen hätte? Es gibt keine solche Tatsache, denn er hat die Wahl ja verloren! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 266 Die reliabilistische Konzeption Frank P. Ramsey 1903-1930 S weiß, dass p, gdw. (1), (2) und (3) S ist auf eine verlässliche Art und Weise zu seiner Überzeugung p gelangt. • Schmidt ging im ersten Fall von der falschen Information aus, dass Müller die Stelle bekommt. Falschinformationen stellen keine verlässliche Weise des Erwerbs für eine Überzeugung dar. • Im modifizierten Fall schloss Schmidt aus zufällig wahren Informationen auf seine Überzeugung. Übe e g ng Auch A ch dies ist kein verlässlicher e lässliche Fall des Meinungserwerbs. Mein ngse e bs • Ein anderer Fall: Wenn mir eine Wahrsagerin prophezeien würde, dass ich den Hauptgewinn bei einer Tombola ziehe und dies tatsächlich geschieht, dann kann man nicht sagen, sagen ich wusste, wusste dass ich gewinnen werde, werde weil Wahrsagerei kein verlässlicher Prozess des Überzeugungserwerbs ist. • usw. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 267 Die reliabilistische Konzeption Präzisierte Bedingung der Verlässlichkeit Die dritte Bedingung verlangt, dass die Überzeugung durch eine verlässliche Methode zustande gekommen ist. Doch welche Methode ist verlässlich? Eine verlässliche Methode des Meinungserwerbs zeichnet sich dadurch aus, dass die Wahrscheinlichkeit, mit dieser Methode zu einer wahren Überzeugung zu kommen, hoch (nahe 1) ist. 0< Anzahl der mit einer Methode erworbenen b wahren h M Meinungen i Anzahl der Anwendungen der Methode <1 Verlässlichkeit ist graduell und die Grenze zwischen verlässlichen Methoden und unverlässlichen Methoden ist vage. Es wird immer Fälle geben, bei denen nicht klar ist, ob man sie verlässlich nennen sollte oder nicht. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 268 Die reliabilistische Konzeption Die Verlässlichkeit einer Methode des Meinungserwerbs ist relativ zu einem i gegebenen b Z Zweck: k Wahrnehmung ohne technische Hilfsmittel: ist eine verlässliche M th d wenn man an Informationen Methode, I f ti üb mittelgroße über itt l ß Gegenstände G tä d in i der näheren Umgebung interessiert ist (z.B. ob jetzt ein ein Stück Kreide vor mir liegt). Sie ist keine verlässliche Methode, wenn wir etwas zur Mikrostruktur eines Metalls oder über die Oberfläche eines entfernten Planeten wissen möchten. Wahrnehmung unter Zuhilfenahme komplizierter Instrumente: ist eine verlässliche Methode, wenn der Meinungserwerb durch Gebrauch des entsprechenden Instruments (Mikroskop, Teleskop) zustande gekommen ist. Der Gebrauch eines Teleskops oder eines Mik Mikroskops k i t unverlässlich, ist lä li h wenn wir i etwas t von den d mittelgroßen itt l ß Gegenständen in unserer Umgebung wissen wollen (das Stück Kreide z.B.) oder wenn das Instrument selbst unzuverlässig arbeitet. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 269 Die reliabilistische Konzeption Methoden des Wissenserwerbs Wahrnehmung: reliabel in Bezug auf Wissen von mittelgroßen Gegenständen. Gegenständen Wahrsagerei: nicht reliabel. Schlussfolgern aus wahren Prämissen: reliabel Schlussfolgern aus falschen Prämissen: nicht reliabel Raten/Münze werfen: nicht reliabel Expertenwissen: reliabel in Bezug auf das entsprechende Fachgebiet Alltagserfahrung: reliabel in Bezug auf die entsprechenden Alltagsthemen Träumen: nicht reliabel Zeugenbefragung: Reliabilität abhängig von verschiedenen Umständen (Glaubwürdigkeit etc.) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 270 Die reliabilistische Konzeption Unbestimmtheit der Methode Anna sieht ein Flugzeug in weiter Ferne vorbei fliegen. Weiß sie, dass ein Flugzeug vorbei fliegt? Visuelle Wahrnehmung allein ist dafür nicht zuverlässig genug, da das fragliche Objekt j zu weit entfernt ist. In diesem Fall aber bestanden besondere Umstände: die Sicht war außergewöhnlich klar; Anna hatte gerade Augentropfen genommen, die die Fernsicht verstärken; Anna war besonders aufmerksam usw. Alles in allem hat dies zu einem zuverlässigen Wissenserwerb geführt. Wie sollen wir die hier angewandte Methode korrekt beschreiben? Maximal: Bei der Spezifikation der Methode werden alle besonderen Umstände mit einbezogen. einbezogen Das führt im Extremfall zu detaillierten Beschreibungen von Einzelfällen. Einzelfälle aber haben keine probabilistischen Eigenschaften. Minimal: Bei der Spezifikation p der verwendeten Methode werden nur die allgemeinsten Merkmale einbezogen, z.B. dass es sich in einem gegebenen Fall um visuelle Wahrnehmung ohne Hilfsmittel handelt. Das führt allerdings zu einem unbrauchbaren Verhältnis zwischen Reliabilität und Wissen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 271 Die kontextualistische Konzeption Die Standards des Wissens hängen vom Kontext ab! Bert ist Laien-Meteorologe. Am Freitag Nachmittag schließt er aus der Art der Wolken, dem Westwind und noch einigem Anderen mehr darauf, dass es am Samstag regnen wird. Und Bert hat Recht: Am Samstag fällt der erwartete Regen. Regen Als Laien-Meteorologe hat Bert eine reliable Methode entwickelt. Er weiß am Freitag, dass es am Samstag regnen wird. Erna ist professionelle Meteorologin. Auch sie stellt dieselben Überlegungen wie Bert an. Sie hat aber noch nicht die aktuellen Wetterdaten durchgesehen und antwortet am Freitag Nachmittag auf die Frage, ob sie schon wüsste, ob es am Samstag regnen wird, korrekt, dass sie das noch nicht sagen kann, da sie die entsprechenden Informationen noch nicht hat. Dasselbe Verfahren liefert in Bezug auf Berts und Ernas Kontext unterschiedliche Ergebnisse hinsichtlich der Feststellung darüber, ob Bert und Erna am Freitag wissen, dass es am Samstag regnen wird. Die Standards einer professionellen W tt Wettervorhersage h sind i d anspruchsvoller h ll als l die di einer i L i Laien-vorhersage. h SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 272 Die kontextualistische Konzeption Die kontextualistische Konzeption des Wissens liefert den folgenden Definitionsvorschlag: S weiß, dass p, gdw. (1), (2) und (3) S die im gegebenen Kontext einschlägigen Standards erfüllt. Wodurch wird bestimmt, was die einschlägigen Standards sind? Konventionen: Es gibt keine von uns unabhängige Tatsache, die den Standard für Wissen festlegt. Vielmehr legen wir ihn konventionell fest. Es gibt zum einen Konventionen, die die professionellen Meteorologen untereinander teilen, zum anderen Konventionen, die die meteorologischen Laien im Alltag miteinander teilen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 273 Die kontextualistische Konzeption Was legt den Kontext fest? Erna sitzt am Freitag über ihren meteorologischen Daten und schaut aus dem Fenster. Sie kommt aufgrund ihrer Beobachtungen wie Bert zu der (wahren) Überzeugung, dass es am Samstag regnen wird. wird Diese Überzeugung stellt Wissen dar, dar wenn wir Erna als LaienLaien Meteorologin betrachten; sie stellt kein Wissen dar, wenn wir Erna als professionelle Meteorologin betrachten. In welchem Kontext befindet sie sich? Was der entsprechende Kontext ist, hängt ebenfalls nicht von objektiven Merkmalen der Welt ab, sondern ist betrachterrelativ bzw. perspektivengebunden. Wissen ist relativ zu einem Zuschreiber, d.h. derjenigen Person, die beurteilen muss, in welchem Kontext sich jemand befindet, wenn er eine Überzeugung erwirbt. erwirbt SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 274 Die Relativität des Wissensbegriffs Die Grundfrage für alle Konzeptionen der reduktiven Definition des Wissensbegriffs lautete: Unter welchen Bedingungen gilt eine wahre Überzeugung als Wissen? Verlässlichkeit: Die Beurteilung der Verlässlichkeit des Meinungserwerbs hängt davon ab, ab wie detailliert wir die verwendeten Methoden beschreiben. Standards: Die Zuschreibung von Wissen ist zudem abhängig von den zugrundegelegten S Standards. d d Welchen W l h S Standard d d wir i wählen, ähl hä hängt d davon ab, b in i welchem l h K Kontext wir i den d Wissenserwerb betrachten. Kontext: Die Wahl des Kontexts ist nicht objektiv, j , sondern p perspektivengebunden. p g Vielleicht sollten wir den Versuch einer reduktiven Definition des Wissensbegriffs ganz aufgeben? Zumindest ist das Wissen oder Nicht-Wissen einer Person keine Tatsache, die unabhängig vom Kontext und insbesondere von der Perspektive des Betrachters ist. ist SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 275 Erkenntnistheorie Was ist Wahrheit? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 276 SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 277 Was ist denn das: Philosophie? ϕιλοσοϕια ϕ ς = Freund / Liebhaber / Begehrender ϕιλος g σοϕια = Weisheit / Wissen / Sachkunde Jemand, der „philosophiert“ (ein Philosoph) ist also dem Worte nach … … … … jemand, jemand, jemand, jemand, der der der der das Wissen liebt sich um Weisheit bemüht Gefallen an sachkundigen Urteilen hat auf der Suche nach der Wahrheit ist Sind wir alle schon Philosophen? Können wir nach Hause gehen? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 278 Was ist denn das: Philosophie? ϕιλοσοϕια ϕ ς = Freund / Liebhaber / Begehrender ϕιλος g σοϕια = Weisheit / Wissen / Sachkunde Jemand, der „philosophiert“ (ein Philosoph) ist also dem Worte nach … jemand, der das Wissen liebt … jemand, der sich um Weisheit bemüht … jemand, der Gefallen an sachkundigen Urteilen hat … jemand, jemand der auf der Suche nach der Wahrheit ist Sind wir alle schon Philosophen? Können wir nach Hause gehen? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 279 Was ist denn das: Philosophie? ϕιλοσοϕια ϕιλος = Freund / Liebhaber / Begehrender σοϕια = Weisheit / Wissen / Sachkunde Jemand,, der „p „philosophiert“ p ((ein Philosoph) p ) ist also dem Worte nach … jemand, der das Wissen liebt … jemand, jemand der sich um Weisheit bemüht … jemand, der Gefallen an sachkundigen Urteilen hat … jemand, der auf der Suche nach der Wahrheit ist Sind wir alle schon Philosophen? Können wir nach Hause gehen? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 280 Eigenschaften der Wahrheit (a) unstrittig Objektivität: „Wahr-Sein“ vs. „Für-Wahr-Halten“ Zeitlosigkeit: Wahrheit hat keine Geschichte, Glauben und Wissen hingegen schon. Wahrheit ist sprachunabhängig und sprachübergreifend: Übersetzung. Übersetzung (b) strittig Transzendenz (Realismus): Wahrheit ist unabhängig von Erkennbarkeit. Definition der Wahrheit ≠ Kriterium der Wahrheit Immanenz (Anti-Realismus): (Anti Realismus): Wahrheit und Erkenntnis sind untrennbar miteinander verbunden. Definition der Wahrheit = Kriterium der Wahrheit *********************************************************************** Eine Definition der Wahrheit gibt an, was es heißt, „wahr“ zu sein, was Wahrheit ist. Ein Kriterium der Wahrheit dient dazu zu entscheiden, ob etwas wahr ist oder nicht, d.h. dazu, herauszufinden, was wahr ist und was nicht. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 281 Wahrheitsträger Was kann überhaupt wahr oder falsch sein? (a) Sprachliche Wahrheitsträger Sätze (abstrakte sprachliche Formen) Äußerungen (konkrete sprachliche Handlungen) Problem: Wahrheit ist sprachübergreifend (b) Psychische Wahrheitsträger Urteile (konkrete psychische Ereignisse) Überzeugungen (konkrete psychische Zustände) Problem: Wahrheit ist objektiv und zeitlos. (c) Abstrakte Wahrheitsträger Propositionen (abstrakte semantische Objekte) Problem: Zugang zu abstrakten Entitäten SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 282 Die Korrespondenztheorie Etwas ist wahr, wenn es mit der Welt im Einklang steht. Eine Satz ist wahr, gdw. es eine Tatsache gibt, mit der er übereinstimmt. Was heißt „Übereinstimmung“ mit einer Tatsache? Lässt sich diese Redeweise noch weiter präzisieren? Bildtheorie (Wittgenstein) SS 2010 semantische Theorie (Tarski) Einführung in die Theoretische Philosophie 283 Korrespondenztheorie Wittgensteins Bild-Theorie These: Der Satz ist ein „Bild“ der Tatsache. Semantische Bedingung: Die Teilelemente eines Satzes stehen für entsprechende Teilelemente der Tatsachen. Bedingung der Strukturgleichheit: Die Teilelemente eines Satzes sind untereinander genauso angeordnet wie die Teilelemente der Tatsache. „Die Katze sitzt auf der Matte.“ die Katze sitzt auf der Matte SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 284 Korrespondenztheorie Wittgensteins Bild-Theorie Universalienproblem: Es ist umstritten, dass es neben Einzelgegenständen wie Katzen und d Matten auch h Universalien i li wie i Eigenschaften i h f oder d Relationen l i ( i der (wie d des Auf-etwas-Sitzens) gibt. Das Problem fehlender korrespondierender Tatsachen: N Negative, ti wahre h Sät Sätze: „Bello B ll sitzt it t nicht i ht auff der d Matte.“ M tt “ Existenzsätze: „Es gibt eine Katze, die auf der Matte sitzt.“ Kontrafaktische Sätze: „Bello könnte auf der Matte sitzen.“ Probabilistische Sätze: „Höchstwahrscheinlich sitzt die Katze auf der Matte.“ Mathematische Sätze: „2+2=4.“ SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 285 Korrespondenztheorie Wittgensteins Bild-Theorie Das Slingshot-Argument Alonzo Church (1903-1995) Korrespondenztheorie: Sätze korrespondieren mit Tatsachen. Bildtheorie: Die Teilausdrücke eines Satzes stehen für etwas in der Welt. E t Extensionalitätsbedingung: i lität b di W Wenn man einen i T il Teilausdruck d k eines i S t Satzes durch d h einen i anderen ersetzt, der für dasselbe steht, dann korrespondiert der Satz, der sich daraus ergibt, mit derselben Tatsache wie der ursprüngliche Satz. Scott ist der Autor von Waverly. Substitution Scott ist der, der 29 Waverly-Novellen geschrieben hat. S Synonymie i Die Anzahl von Scotts Waverly-Novellen ist 29. Substitution Die Anzahl der Verwaltungsbezirke in Utah ist 29. Synonymie Jeder dieser Sät e Sätze bringt dieselbe Tatsache zum Ausdruck Utah hat 29 Verwaltungsbezirke. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 286 Tarskis semantische Theorie der Wahrheit Alfred Tarski (1901-1983) Tarski ist ein polnisch-amerikanischer Logiker, der ab 1942 in Berkeley lehrte Er gilt als der Begründer der lehrte. formalen Semantik („Modelltheorie“). Seine Arbeiten zum Problem der Definition der Wahrheit waren bahnbrechend und hatten einen großen Einfluss auf die Philosophie. Wichtigste g Werke: „Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen“ (1936) „The Th Semantic S i Conception C i off Truth T h and d the Foundations of Semantics“ (1944) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 287 Korrespondenztheorie Tarskis semantische Theorie Etwas ist wahr, wenn es mit der Welt im Einklang steht. Ein Satz ist (genau) dann wahr, wenn es sich so verhält, wie der Satz sagt. „x“ ist wahr in L, gdw. p Tarski ist der Auffassung, dass eine Theorie der Wahrheit so beschaffen sein muss, dass sich aus dieser Sätze der obigen Form ableiten lassen müsse. T-Sätze • „Grass is green“ ist wahr im Englischen, gdw. Gras grün ist. Rom“ ist wahr im Deutschen, gdw. Neapel südlich von • „Neapel liegt südlich von Rom Rom liegt. • usw. ... SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 288 Tarskis semantische Theorie der Wahrheit Paradoxien in natürlichen Sprachen Ist Wahrheit für eine natürliche Sprache überhaupt definierbar? (W) Der Satz W ist nicht wahr. Wenn W wahr ist, dann verhält es sich so, wie W sagt, d.h. W ist nicht wahr. Demzufolge ist W genau dann wahr, wahr wenn W nicht wahr ist, ist was zu einem Widerspruch in unserer Wahrheitsdefinition führt!! Natürliche Sprachen wie das Deutsche oder Englische enthalten die Möglichkeit solcher Widersprüche. d h Tarski zieht die Konsequenz, dass der Wahrheitsbegriff für eine natürliche Sprache nicht c t de definiert e t werden e de kann, a , so sondern de nur u für ü sog sog. formale o a e Sprachen. Sp ac e SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 289 Tarskis semantische Theorie der Wahrheit Objekt- und Metasprache (1) „Grass is green“ ist wahr im Englischen gdw. Gras grün ist. Objektsprache Metasprache Objektsprache: Sprache, zu der der Satz gehört, über dessen Wahrheit wir reden (in unserem Beispiel das Englische) Metasprache p bzw. Theoriesprache: p Sprache, p , in der wir die Wahrheitsdefinition geben (in unserem Beispiel das Deutsche) Dies impliziert nicht, dass (1) ein Satz ist, der zwei Sprachen enthält! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 290 Korrespondenztheorie Tarskis semantische Theorie Die Gefahr korrekter, aber inadäquater T-Sätze (T) „x“ ist wahr in LO Ù p ((T-1)) „Gras „G as ist s g grün“ ü ist s wahr a im Deutschen us ÙS Schnee weiß ist. s (T-1) ist zwar wahr, weil beide Seiten des Konditionals wahr sind, aber nicht adäquat! Konvention T (Adäquatheitskriterium) Eine Wahrheitsdefinition für eine Sprache p LO impliziert p alle korrekten Sätze des Schemas (T) „x“ ist wahr in LO Ù p so dass x ein Satz der Objektsprache LO und p eine Übersetzung von x in die Theoriesprache (Metasprache) ist. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 291 Korrespondenztheorie Tarskis semantische Theorie Wie sieht denn nun eine Wahrheitsdefinition aus? (T-2) „Gras ist grün“ ist wahr im Deutschen, gdw. Gras grün ist. Dieser T-Satz stellt zwar eine adäquate Definition der Wahrheit für den deutschen Satz „Gras ist grün“ dar, das ist aber noch nicht das, was wir eigentlich haben wollen: eine allgemeine Definition des Wahrheitsbegriffs für alle Sätze der untersuchten Sprache. „Wir können nur sagen, daß jede Äquivalenz der Form (T), die wir nach E Ersetzung t von ‚p‘‘ durch d h eine i partikuläre tik lä Aussage A und d von ‚x‘‘ durch d h den d N Namen dieser Aussage erhalten, als eine partielle Definition der Wahrheit betrachtet werden kann, die erklärt, worin die Wahrheit dieser einen individuellen Aussage besteht. Die allgemeine Definition muß in einem gewissen Sinne die logische Konjunktion all dieser partiellen Definitionen sein.“ [Alfred Tarski, Die semantische Definition der Wahrheit und die Grundlagen der Semantik] SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 292 Korrespondenztheorie Tarskis semantische Theorie Wie sieht denn nun eine Wahrheitsdefinition aus? Rekursive Definitionen [Angabe von Wahrheitsbedingungen] atomare Sätze (Rekusionsanfang) • Falls S ein Satz der Form „F(a)“ in L ist, dann ist S in L wahr, gdw. das Individuum, welches a denotiert, Element der Klasse von Individuen ist, welche F denotieren. komplexe k l Sät Sätze (R k (Rekursionsschritt) i h itt) • Falls S ein Satz der Form „G und H“ in L ist, dann ist S in L wahr, gdw. G wahr ist und H wahr ist. • Falls S ein Satz der Form „G oder H“ in L ist, dann ist S in L wahr, gdw. G wahr ist oder H wahr ist. ist • Falls S ein Satz der Form „Für alle x, Fx“ in L ist, dann ist S in L wahr, gdw. F(i) für alle Belegungen i für die Variable x wahr ist. • ... Abschluss (Rekursionsabschluss) • Nichts sonst ist wahr in L. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 293 Korrespondenztheorie Tarskis semantische Theorie Zusammenfassung g (1) Welche Form muss eine Theorie der Wahrheit haben? Sie muss Sätze der Form T liefern. (2) Unter welchen Bedingungen ist eine Definition von „ist wahr in L“ adäquat? Sobald die Konvention T erfüllt ist. (3) Wie kann man praktisch eine allgemeine Definition dieser Art liefern? Durch eine induktive Definition, in der zuerst die Wahrheitsbedingungen für die Basissätze einer Sprache und danach aufbauend für alle anderen, komplexen Sätze dieser Sprache formuliert werden. d SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 294 Die Redundanztheorie p ist wahr p Die Redundanztheorie der Wahrheit behauptet, dass d das Wort „wahr“ h “ bzw. b d der Begriff iff der d Wahrheit h h i überflüssig, weil redundant ist: G i t grün“ ü “ ist i t wahr h Ù Gras G i t grün. ü „Gras ist ist F.P. Ramsey W.V.O. Quine g uns das T-Schema dazu,, jjeden Satz der Form „p Berechtigt „p“ ist wahr durch einen Satz der Form p zu ersetzen? Und heißt das nicht, dass wir jederzeit, statt zu sagen, ein Satz sei wahr, das Wörtchen wahr streichen und den Satz einfach behaupten können? Probleme Verallgemeinerungen: Alles, was der Papst sagt, ist wahr. Negationen: Es ist nicht wahr, dass Gras rot ist. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 295 Epistemische Wahrheitstheorien Charles Sanders Peirce (1839 1914) (1839-1914) (1) Rationale Akzeptierbarkeit Der Antirealist behauptet gegen die realistische Auffassung der Wahrheit, dass Wahrheit untrennbar mir Erkenntnis verbunden ist. Diese Grundidee hat vielfältige Ausformulierungen gefunden. Eine lautet: Eine Proposition ist wahr, gdw. sie unter idealen oder optimalen Bedingungen von einer vollständig rationalen Person akzeptiert werden würde. • Wahr W h ist i t demzufolge d f l d das, was vollständig ll tä di ausreichender Nachforschung für wahr halten. vernünftige ü fti M Menschen h nach h • Wahrheit übersteigt die Perspektive rationaler Personen grundsätzlich nicht. nicht • Wahrheit ist eine immanente Eigenschaft unserer sprachlichen Praxis. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 296 Epistemische Wahrheitstheorien Idealisierungen: Da wir keine vollständig rationalen Personen sind und die Bedingungen auch niemals ideal sind, sind ist es fraglich, fraglich ob wir je herausfinden können, was eine vollständig rationale Person unter idealen Bedingungen akzeptieren würde. Da wir dies aber herausfinden müssten, um den epistemisch verstandenen Wahrheitsbegriff überhaupt anwenden zu können, ist auch mehr als l fraglich, f li h ob b wir i den d W h h it b Wahrheitsbegriff iff überhaupt üb h t anwenden d kö können. N Nun können wir ihn aber anwenden. Akzeptanz: Wann kann man eine Überzeugung akzeptieren? Wenn sie authentisch geäußert wurde … überzeugend ist … von einer Person mit fachlicher Autorität vorgebracht worden ist? Offensichtlich kann man etwas aus unterschiedlichen Gründen akzeptieren. Der relevante Begriff der Akzeptanz hier muss lauten: Etwas (also: eine Proposition, Proposition einen Satz usw.) usw ) als wahr akzeptieren. Damit wird aber die gegebene Definition zirkulär. Rationalität: Wann nennt man eine Person rational? Wenn sie in ihrem Denken und Handeln Prinzipien folgt, die Wahrheit erhalten bzw. zur Wahrheit führen. Man kann den Begriff der Rationalität nicht explizieren, ohne dabei den Begriff der Wahrheit zu verwenden. Wieder droht ein Zirkel. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 297 Epistemische Wahrheitstheorien (2) Konsenstheorie Jürgen Habermas Karl Otto Apel Der Konsenstheorie zufolge ist wahr genau das, worauf sich alle einigen können: Eine Proposition ist wahr, gdw. sie unter idealen und optimalen Bedingungen für alle Mitglieder einer Sprechergemeinschaft rational i l akzeptierbar k i b i ist. Die Probleme mit den Idealisierungen sowie der Bestimmung von Ak Akzeptanz t und d Rationalität R ti lität stellen t ll sich i h hier hi erneut. t Zusätzlich fragt sich, warum Wahrheit eine soziale Angelegenheit sein soll. ll Bestätigt B täti t Konsens K nicht i ht bestenfalls b t f ll manchmal h l (und ( d bestimmt b ti t nicht i ht immer) eine Wahrheit, anstatt sie allererst zu begründen? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 298 Epistemische Wahrheitstheorien (3) Holismus/ Kohärenztheorien B. Blanshard O. Neurath D. Davidson Wenn wir uns fragen, ob ein Satz oder eine Überzeugung wahr ist, haben wir dann nicht immer nur andere Sätze oder Überzeugungen, auf die wir uns dabei stützen können? Der holistischen Position zufolge ist Wahrheit ein Merkmal, Merkmal dass nicht einem einzelnen Satz, sondern einem ganzen System von Sätzen oder Überzeugungen zukommt. Aber unter welchen Umständen? Eine Überzeugung Ü ist wahr, gdw. sie ein Element in einem kohärenten System von Überzeugungen ist. Wir müssen noch klären, klären was unter Kohärenz zu verstehen ist. ist (1) Die Überzeugungen müssen logisch konsistent und dürfen nicht p sein. widersprüchlich (2) Die Überzeugungen müssen untereinander in einem Schlussfolgerungs-, Rechtfertigungs- und Erklärungszusammenhang stehen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 299 Epistemische Wahrheitstheorien Probleme für die Kohärenztheorie Alternativsysteme 1: Zu jedem kohärenten System von Überzeugungen gibt es mindestens ein anderes, ebenfalls kohärentes System von Überzeugungen derart dass beide Systeme sich gegenseitig logisch ausschließen. derart, ausschließen Alternativsysteme 2: Man kann kohärente Märchen erzählen. Man kann g beliebiges g kohärentes System von Überzeugungen g g überhaupt irgendein konstruieren, das nichts mit unserer Wirklichkeit gemein haben muss. Holismus: Eine Überzeugung allein kann gemäß der Kohärenztheorie weder wahr noch falsch sein; sie muss immer in Bezug auf ein System von Überzeugungen auf ihre Wahrheit/Falschheit beurteilt werden. Das ist eine starke, kontraintuitive These. Definitionszirkel: Wie kann man erklären, was mit logischer Konsistenz, Schlussfolgerung oder Erklärung gemeint ist, ohne dabei schon den Begriff der Wahrheit in Anspruch zu nehmen? Das ist zirkulär. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 300 Epistemische Wahrheitstheorien (1) Theorie der rationalen Akzeptierbarkeit Eine Proposition ist wahr, gdw. sie unter idealen oder optimalen Bedingungen von einer vollständig rationalen Person akzeptiert werden würde. (2) Konsenstheorie Eine Proposition ist wahr, gdw. sie unter idealen oder optimalen Bedingungen für alle Mitglieder einer Sprechergemeinschaft rational akzeptierbar ist. (3) Holismus/ Kohärenztheorie Eine Überzeugung ist wahr, wahr gdw. gdw sie ein Element in einem kohärenten System von Überzeugungen ist. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 301 Erkenntnistheorie Worin besteht Rechtfertigung? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 302 Worin besteht Rechtfertigung? Die fallibilistische Auffassung g der epistemischen p Rechtfertigung Die (epistemische) Rechtfertigung ist ein Mittel, Mittel um wahre Überzeugungen zu erzielen. Die epistemische Rechtfertigung ist damit (definiert als): … ein gutes (geeignetes) Mittel zur Erzielung wahrer Überzeugungen Gute oder geeignete Mittel müssen nicht erfolgsgarantierend sein. Es genügt, wenn sie den Erfolg wahrscheinlich machen. Die Definition der Rechtfertigung schließt daher deren Fehlbarkeit und Anfechtbarkeit nicht aus! Es gibt Überzeugungen, die gerechtfertigt und trotzdem falsch sind! Es gibt Überzeugungen, die ungerechtfertigt und trotzdem wahr sind! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 303 Worin besteht Rechtfertigung? Eigenschaften der (epistemischen) Rechtfertigung Zeitrelativität: Jede Rechtfertigung für eine Überzeugung kann durch den Erwerb zusätzlicher Informationen zu einem späteren p Zeitpunkt p aufgehoben werden. Personenrelativität: Zwei Personen können zwar eine Überzeugung teilen, es ist aber nicht (noch nicht einmal meistens) so, dass beider Überzeugung gleichermaßen gerechtfertigt ist! Rechtfertigung ist evaluativ: Gerechtfertigt ist jemand, wenn er gute Gründe für seine Überzeugungen besitzt. Rechtfertigung ist graduell: Jemand kann für seine Meinung schwache oder starke Gründe haben, er kann diese durch zusätzliche Belege verstärken oder abschwächen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 304 Die Definition der Rechtfertigung Eine Person S ist gerechtfertigt zu glauben, dass p, gdw. (1) S Gründe für seine Meinung hat; (2) die Gründe seine Meinung stützen; (3) die Gründe adäquat sind. William P. Alston (1) Die Rechtfertigung einer Überzeugung setzt voraus, dass es „Rechtfertiger“ für diese Überzeugung, d. h. Gründe für sie gibt. (2) Die Gründe müssen S´s Gründe für die zu rechtfertigende Überzeugung sein. Überzeugungen und Gründe dürfen in keinem beliebigen Verhältnis zueinander stehen, d.h. die Gründe müssen die Überzeugung tatsächlich stützen. (3) Gründe können eine Überzeugung nur dann rechtfertigen, wenn es nicht bloß irgendwelche Gründe für die Meinung, sondern nur wenn es gute Gründe sind. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 305 Probleme der Rechtfertigung Eine Person S ist gerechtfertigt zu glauben, dass p, gdw. (1) S Gründe für seine Meinung hat; (2) die Gründe seine Meinung stützen; (3) die Gründe adäquat (gut) sind. Unter welchen Umständen stützen bestimmte Gründe eine bestimmte Meinung? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 306 Probleme der Stützungsbeziehung Irene glaubt, dass es draußen regnet. Sie hört den Regen auf das Vordach ihrer Veranda tropfen. Sie hätte damit einen exzellenten (adäquaten) Grund für ihre Meinung. Allerdings ist Irene unaufmerksam. Sie ist abgelenkt. Sie glaubt, dass es regnet, weil sie es in der lokalen Wettervorhersage gehört hat. Die Wettervorhersage aber ist in ihren Breiten normalerweise sehr unzuverlässig und kommt daher nicht als adäquater Grund für ihre Meinung infrage. Ist Irenes Meinung gerechtfertigt? Wettervorhersage Regen auf Vordach Es regnet! Irene hat eine Überzeugung und einen adäquaten Grund für diese: ihre Wahrnehmung der Regentropfen auf dem Verandadach. Der Grund stützt auch ihre Meinung. Das Hören von Regengeräuschen ist ein guter Indikator für die betreffende Überzeugung. Irene hat jedoch ihre Überzeugung nicht, weil sie diesen guten Grund hat, sondern weil sie die Wettervorhersage gehört hat, die ein schlechter Grund für ihre Überzeugung ist. Damit eine Meinung gerechtfertigt ist, muss man für diese Meinung nicht nur gute und stützende Gründe haben. Man muss selbst Grund zu der Annahme haben, dass diese Gründe die Meinung stützen. Man muss beides (richtig) miteinander in Verbindung bringen! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 307 Probleme der Stützungsbeziehung Die Bedingungen sind nicht hinreichend. Was ist zu tun? Müssen wir die zweite Bedingung weiter einschränken, um Fälle wie den von Irene auszuschließen? Eine Person S ist gerechtfertigt zu glauben, dass p, gdw. (1), (2), (3) und (4) S gerechtfertigt ist zu glauben, dass die Stützungsbeziehung besteht. Diese Definition ist entweder zirkulär („gerechtfertigt“ im Definiens) oder führt in einen infiniten Regress von sich aufstufenden Rechtfertigungen (wann ist S gerechtfertigt, zu glauben, dass p? usw.). SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 308 Probleme der Stützungsbeziehung Die kausale Analyse der Stützungsbeziehung A.I.Goldman W.P. Alston Wir bemerken, dass Ernies Auto nicht vor dem Haus steht; dass das Licht in seiner Wohnung aus ist usw. Wir schließen daraus, dass Ernie nicht zuhause ist, ohne überhaupt daran zu denken welche Überzeugungen wir haben und ob die eine die andere stützt. denken, stützt Dennoch können wir in unserer Auffassung gerechtfertigt sein. Das Haben gerechtfertigter Überzeugungen setzt keine Metaüberzeugungen sowie deren Beziehungen untereinander voraus. Da aber dennoch eine „Verbindung“ zwischen Rechtfertiger und Gerechtfertigtem bestehen muss, liegt folgende alternative Erklärung nahe: S ist zum Zeitpunkt t gerechtfertigt zu glauben, dass p, gdw. (1), (2), (3) und (4) die Gründe die Überzeugung verursachen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 309 Probleme der Stützungsbeziehung Externalismus Die Rechtfertigung muss einer Person selbst nicht kognitiv zugänglich sein. Eine Überzeugung kann gerechtfertigt sein, ohne dass die Person die Überzeugung rechtfertigen bzw. begründen kann. Epistemische Rechte ohne epistemische Pflichten sind möglich. SS 2010 Internalismus Rechtfertigung setzt kognitive Zugänglichkeit voraus voraus. Eine Überzeugung ist nur dann gerechtfertigt, wenn man sie tatsächlich rechtfertigen bzw. begründen kann. Keine epistemischen Rechte ohne epistemische Pflichten. Einführung in die Theoretische Philosophie 310 Probleme der Rechtfertigung Eine Person S ist gerechtfertigt zu glauben, dass p, gdw. (1) S Gründe für seine Meinung hat; (2) die Gründe seine Meinung stützen; (3) die Gründe adäquat (gut) sind. Welche Gründe sind adäquat (angemessen, gut)? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 311 Welche Gründe sind adäquat? Ein Kommissar ist mit der Untersuchung eines Mordfalls beschäftigt. Er glaubt, d dass d der Koch h den d G f Grafen umgebracht b h hat. h Die i Begründung ü d di dieser Annahme h liegt für ihn darin, dass es nur drei weitere mögliche Täter gibt, nämlich den Fahrer, den Butler und den Gärtner, dass alle drei, anders als der Koch, handfeste Alibis haben und dass kein Zweifel daran bestehen kann, dass der Graf tatsächlich umgebracht worden ist und nicht Selbstmord beging oder eines natürlichen Todes starb. • Sind diese Gründe gute Gründe für die Überzeugung, dass der Koch den Grafen umgebracht hat? • Ist die Annahme, dass es nur drei weitere mögliche Täter gibt, gerechtfertigt? • Ist die Annahme, dass die Alibis der anderen wasserdicht sind, selbst wasserdicht? • Sind die Annahmen, dass der Koch kein gutes Alibi hat und der Graf tatsächlich umgebracht b ht worden d i t gutt begründet? ist, b ü d t? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 312 Das Rechtfertigungstrilemma Allgemein kann man sich die Situation folgendermaßen klar machen: Eine gerechtfertigte hf i Üb Überzeugung setzt voraus, dass d es für fü diese di Überzeugung einen Üb i Grund G1 gibt: Üb Überzeugung G Grund d1 Ob dieser Grund auch adäquat ist, hängt davon ab, ob er sich selbst wieder rechtfertigen lässt: Grund1 Grund2 Entscheidend ist, dass Ü ⇒ G1 nur dann gilt, wenn G1 ⇒ G2 Üb Überzeugung G Grund d1 G Grund d2 Welche Implikationen hat das? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 313 Welche Gründe sind adäquat? Das Rechtfertigungstrilemma g g Infiniter Regress: Ü G1 G2 G3 ... Ein infiniter Regress von Gründen ist inakzeptabel, weil Menschen endliche Wesen sind und keine unendliche Anzahl von Überzeugungen h b kö haben können. Dogmatischer Abbruch: Ü G1 G2 G3 Ein letzter Grund (ein Regress-Stopper) kann nur wieder eine Überzeugung sein und es ist dogmatisch, an einer bestimmten Stelle mit Begründen aufzuhören. it dem d B ü d f hö Circulus Vitiosus: Ü G1 G2 G3 Ü Der Begründungszirkel führt zu einer sich selbst begründenden Meinung und macht das Rechtfertigen überflüssig. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 314 Welche Gründe sind adäquat? Positionen zur Rechtfertigung g g Fundamentalismus Es gibt ausgezeichnete Typen von Überzeugungen (Regress-Stopper), die keiner weiteren Begründung bedürfen. („Dogmen sind nicht immer schlecht.“) Kohärentismus Ein Rechtfertigungszirkel kann vermieden werden, wenn wir unsere Überzeugungen und ihre Gründe vor dem Hintergrund eines ganzen Systems von Überzeugungen – vor dem Hintergrund einer Theorie – betrachten. („Ein Rechtfertigungszirkel ist nicht immer schlecht.“) K Kontextualismus li Es gibt keinen wirklichen infiniten Regress des Rechtfertigens. In der Praxis hängt es vom Kontext und unseren Konventionen ab, welche Gründe wir für adäquat halten. halten („Es ( Es gibt zwar theoretisch einen infiniten Regress, Regress aber nicht faktisch.“) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 315 Fundamentalismus Argumente für den Fundamentalismus Gewissheitsargument: Wissen und Rechtfertigung erfordern Unfehlbarkeit. Unfehlbarkeit ist nur möglich, wenn es basale Meinungen gibt. • Für Wissen ist keine starke Infallibilität erforderlich; Rechtfertigung erfordert nur Wahrscheinlichkeit der Wahrheit Regressargument: Da es Rechtfertigung wirklich gibt und diese weder durch einen Zirkel, noch durch einen infiniten Regress möglich wäre, muss es basale Meinungen geben. • Es könnte sein, dass wir im Alltag die Rechtfertigung an irgendeiner Stelle tatsächlich abbrechen und nicht weiterfragen. weiterfragen Wir müssen dabei zu keinen basalen Meinungen gelangen. Isolationsargument: g Wir besitzen empirisches p Wissen. Nur wenn es unmittelbar durch die Erfahrung gerechtfertigte, basale Meinungen gibt, kann man dieses überhaupt erlangen. • Meinungen über empirische Tatsachen sind zwar basal, aber nicht unrevidierbar oder infallibel. infallibel SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 316 Fundamentalismus Intuitionistischer Fundamentalismus: Die Basis der Rechtfertigung bilden selbstevidente Meinungen, Meinungen die unmittelbar einleuchtend und nicht sinnvoll anzweifelbar sind. • Die Wissenschaftsgeschichte liefert jede Menge Beispielmaterial dafür, dass auch scheinbar selbstevidente Meinungen widerlegt worden sind. (Beispiel: Bewegung der Sonne um die Erde) Doxastischer Fundamentalismus: Die Basis g über die eigenen g mentalen Zustände. Meinungen der Rechtfertigung bilden • Lernen wir nicht zuerst, über die Welt zu urteilen, und dann erst über unser Erleben der Welt? Überzeugungen über die eigenen mentalen Zustände allein können keine Überzeugungen über etwas anderes (die Welt) rechtfertigen. Es entsteht ein „AußenweltProblem“. Empiristischer Fundamentalimus: Die Rechtfertigung hat ihr Fundament im „Gegebenen“, d.h. den unmittelbaren Erfahrungen, die wir machen. • Das „Gegebene Gegebene“ ist keine Überzeugung, Überzeugung sondern eine Art unmittelbares Erlebnis. Erlebnis Ein Erlebnis als solches kann nichts rechtfertigen, denn nur die Überzeugungen, die ich mir aufgrund dieses Erlebnisses bilde, können Gründe für Meinungen sein. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 317 Kohärentismus Wie Schiffer sind wir, die ihr Schiff auf offener See umbauen müssen, ohne es jemals in einem Dock zerlegen und aus besten Bestandteilen neu errichten zu können. (Otto Neurath, 1932/33) Die wichtigste Alternative zum Fundamentalismus besteht darin, Rechtfertigungsbeziehungen zwischen allen Überzeugungen eines Überzeugungssystems anzunehmen und die Möglichkeit eines Fundaments der Rechtfertigung zurückzuweisen. Eigenschaften der Kohärenz • logische l i h Konsistenz K i t (Wid (Widerspruchsfreiheit) h f ih it) • inferentielle Beziehungen (Prämissen – Konklusionen) • explanatorische Beziehungen (Annahme – Begründung) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 318 Kohärentismus Der Relativismuseinwand Wer es ernst meint mit der Kohärenz als alleiniges Kriterium der Wahrheit, muss beliebig erdichtete Märchen für ebenso wahr halten wie einen historischen Bericht oder Sätze in einem Lehrbuch der Chemie, wenn nur die Märchen so gut erfunden sind, dass nirgends ein Widerspruch auftritt. (Moritz Schlick, 1934) Der Isolationseinwand Die anderen können ... nicht etwa einwenden, dass dieses Verfahren den Beobachtungen widerstreite, denn nach der Kohärenzlehre kommt es auf irgendwelche ‚Beobachtungen‘ gar nicht an, sondern allein auf die Verträglichkeit der Aussagen. (Moritz Schlick, 1934) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 319 Kohärentismus Konsistenz und Komplexität Konsistenz ist eine zu starke Eigenschaft, da bereits durch eine einzige Inkonsistenz im Meinungssystem die Kohärenz des Gesamtsystems gestört werden kann. In der Regel sind die meisten realen und reichhaltigen Wissenssysteme oder Datenbanken irgendwo inkonsistent. Die Kohärenz eines umfangreichen Meinungssystems ist eine so komplexe Eigenschaft, dass wir sie in der Regel gar nicht erfassen, geschweige denn beweisen können. „negativer“ Kohärentismus: Zwar ist Kohärenz keine Quelle der Rechtfertigung; Inkohärenz aber ist ein Grund zur Revision oder Korrektur von ehemals gerechtfertigten Meinungen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 320 Kontextualismus Keith DeRose Ob ein Grund eine Überzeugung rechtfertigt und wie stark diese Rechtfertigung ist, hängt Kontextualisten zufolge vom Kontext ab und variiert mit dem Kontext. Was ein Grund ist und wie gut ein Grund ist, variiert mit dem Kontext. Wer von einem Kontext in einen anderen wechselt, kann plötzlich Rechtfertigung erwerben oder verlieren. verlieren Gründe sind nicht absolut gut oder schlecht. Wo die Kette der Begründungen aufhören kann, hängt im Wesentlichen vom Kontext ab. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 321 Kontextualismus Was ein Grund ist und wie gut ein Grund ist, variiert mit dem Kontext. • Kurt K t ist i t Hobby-Archäologe H bb A hä l und d findet fi d t einen i alten lt K Krug. M h Mehrere A Anzeichen i h sprechen h d fü dafür, dass es sich um einen spätmittelalterlichen Krug handelt und Kurts Handbuch bestätigt diesen Eindruck. Kurt hat gute Gründe für die Annahme, dass es sich um einen spätmittelalterlichen Krug handelt. In seiner Situation gibt es keine besseren Gründe. • Maria ist professionelle Archäologin. Archäologin Für sie sind Kurts Gründe allenfalls Indizien, Indizien aber um zu einer begründeten Meinung gelangen, muss sie einige raffinierte Methoden anwenden. Kurts Indizien zählen für sie nicht. Sie sind inadäquat. Ihre Standards der Begründung sind in dieser Situation viel höher. Wer von einem Kontext in einen anderen wechselt, kann plötzlich Rechtfertigung erwerben oder verlieren. • Auch für Maria sind Kurts Indizien, wenn sie im Urlaub ist und den Krug findet, sehr gute Gründe für die Annahme, Annahme dass er spätmittelalterlich ist. ist Sobald sie wieder auf Arbeit ist, ist verliert sie diese Rechtfertigung. Gründe sind nicht absolut gut oder schlecht. • Ein Argument gegen die Kugelform der Erde war, dass die Antipoden auf der jeweils anderen Seite des Globus mit dem Kopf nach unten hängen würden. Dies ist nur solange ein gutes Argument, wie es die von uns heute akzeptierte Gravitationstheorie und Astronomie nicht gibt. Die Güte eines Grundes bemisst sich daher auch nach den jeweils zur Verfügung stehenden Hintergrundwissen. Hintergrundwissen SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 322 Philosophische Fakultät Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Dr. Holm Bräuer 4. Wissenschaftstheorie SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 324 Erkenntnistheorie und Wissenschaftstheorie Die Wissenschaftstheorie nähert sich dem komplexen Phänomen Wissenschaft auf eine besondere Weise. Weise Sie fragt nach der Wissenschaft als Erkenntnis Die Wissenschaftstheorie muss sich wie die Erkenntnistheorie mit dem Problem auseinandersetzen, worin der Wahrheitsnachweis oder eine Begründung (wissenschaftlichen) Erkenntnis besteht. Insofern ist die Wissenschaftstheorie ein spezieller Zweig der Erkenntnistheorie Was als Erkenntnis E kenntnis und nd Wissen gilt, gilt wird i d heute he te hauptsächlich ha ptsächlich in den Wissenschaften entschieden. Die Auseinandersetzung mit diesen Grundbegriffen kommt daher nicht ohne eine detaillierte Analyse der Begründungspraxis der Wissenschaften aus. So ist die Wissenschaftstheorie auch eine Erbin der Erkenntnistheorie SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 325 Erkenntnistheorie und Wissenschaftstheorie Erkenntnistheorie Wissenschaftstheorie spezielle allgemeine Naturphilosophie Biologie Physik y Geschichte Mathematik Psychologie y g ... Begriffe Theorien Erklärungen Evidenzen Prognosen g ... Freiheit Determinismus Raum & Zeit Geist/Körper Materie .... SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 326 Wissenschaftstheorie Aspekte und Probleme wissenschaftlicher Erklärungen g Aspekte p und Probleme der Bestätigung g g wissenschaftlicher Theorien Was sind wissenschaftliche Theorien? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 327 Wissenschaftstheorie Aspekte und Probleme wissenschaftlicher Erklärungen SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 328 Wissenschaftliche Erklärungen Das charakteristische Ziel der Wissenschaft ist die Angabe systematischer und zuverlässig untermauerter Erklärungen. (Ernest Nagel) Die Frage nach dem Charakter, der Struktur und den Adäquatheitsbedingungen von wissenschaftlichen Erklärungen ist eine der zentralsten Fragen der Wissenschaftstheorie. Was ist überhaupt eine wissenschaftliche Erklärung? Welche Struktur hat sie? Wann gilt eine Erklärung als „zuverlässig untermauert“? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 329 Erklärungen als Antworten auf Warum-Fragen Frage / Explanandum Warum Warum erscheint das Licht entfernter Galaxien in einer Rotverschiebung? --- erklärt (unterstützt, beweist, legt nahe ...) ---- Antwort / Explanans Weil Weil sich das Universum ausdehnt und die entfernten Galaxien sich von uns wegbewegen. In welchem Verhältnis muss das Explanans zum Explanandum stehen, damit das Explanans als eine Erklärung des Explanandums gilt? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 330 Formen von Argumenten Beweis Prämissen Rechtfertigung q r s Gründe q r s -------------beweisen---------------- ----------stützen/rechtfertigen----------- Konklusion Überzeugung p p q, r, s enthalten (logisch) p q, r, s sind Gründe für p Erklärung Bestätigung Explanans l q r s Evidenzen d q r s -------------erklären----------------- ----------stützen/bestätigen------------ Explanandum Gesetz/ Theorie q, r, s erklären p SS 2010 p p q, r, s bestätigen p Einführung in die Theoretische Philosophie 331 C.G. Hempel: Zur Logik wissenschaftlicher Erklärungen g Carl Gustav Hempel (1905-1997) Hempel war einer der führenden Vertreter des Logischen Empirismus. Zu seinen Lehrern gehörte u.a. Rudolf Carnap; er war mit it Hans H R i hb h und Reichbach d Paul P l Oppenheim O h i befreudet – alles führende Wissenschaftstheoretiker seiner Zeit. Er lehrte in Chicago, New York, an der Yale University und in Princeton. Seine wichtigsten Beiträge stammen aus den Gebieten der wissenschaftlichen Erklärungen und der Theorie der Bestätigung. „A Purely Syntactical Definition of Confirmation“ (1943) „Studies in the Logic of Confirmation“ (1945) „Studies in the Logic of Explanation Explanation“ (1948) Aspects of Scientific Explanation (1965) Philosophy of Natural Science (1966) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 332 Das D-N-Modell Warum dreht sich ein Eiskunstläufer schneller, wenn er die Arme anlegt? 1. 2. 3 3. 4. Der Drehimpuls eines Körpers bleibt ohne Einwirkungen einer äußeren Kraft konstant. Der Eiskunstläufer erfährt keine Einwirkung einer externen Kraft. Der Eiskunstläufer dreht sich um die eigene Achse. Achse Der Eiskunstläufer legt seine Arme eng an seinen Köper an und reduziert damit seine träge Masse. ----------------------------erklären----------------------------------------------------------------Die Drehung des Eiskunstläufers vergrößert sich. • Das Explanandum ist die Konklusion eines Arguments. • Die Explanans bildet die Prämissen dieses Arguments. • Die erste Prämisse besteht aus der Anführung eines Naturgesetzes (Impulserhaltungssatz). • Die weiteren Prämissen bilden die Randbedingungen. • Das Argument ist logisch valide, d.h. die Konklusion folgt aus den Prämissen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 333 Das D-N-Modell Zur Struktur einer wissenschaftlichen Erklärung (1) Allgemeines Gesetz Falls Ereignisse Typs A, des Typs B, ... und des Typs N eintreten, dann wird ein Ereignis des Typs X eintreten. eintreten (2) Initial-/Randbedingungen Es treten die Ereignisse a des Typs A, b des Typs B, ... und n des Typs N ein. (3) Erklärtes Ereignis Ereignis x des Typs X tritt ein. Wenn (1) gilt und (2) zutrifft, dann ist (3) erklärt. L1, ..., Ln C1, ..., Cn E Im D-N-Modell einer Erklärung wird das Explanandum E als logisch valide Konklusion eines Arguments dargestellt, deren Prämissen (a) eine oder mehrere korrekte Verallgemeinerungen (Naturgesetze L1 ... Ln) und (b) die entsprechenden Rand- oder Initialbedingungen (C1 ... Cn) enthalten. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 334 Das D-N-Modell Adäquatheitsbedingungen (1) Das Explanandum muss eine logische Konsequenz des Explanans sein, d.h. die Erklärung muss die Form eines logisch gültigen, deduktiven Arguments besitzen. besitzen (2) Das Explanans muss mindestens ein allgemeines Gesetz enthalten, das eine wesentliche Rolle in der Erklärung spielt, d.h. das Argument darf nach Weglassen des allgemeinen Gesetzes nicht mehr logisch gültig sein. ( ) Das Explanans (3) p muss empirischen p Gehalt besitzen,, d.h. es muss sich im Prinzip empirisch testen lassen. (4) Die Explanans-Sätze müssen wahr sein. Wahre Erklärungen: erfüllen alle vier Bedingungen Potentielle Erklärungen: g erfüllen nur die ersten drei Bedingungen g g SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 335 Was ist ein Naturgesetz? 1. In jedem geschlossenen System 2. Keine Signale können schneller als bleibt die Summe der Energie Lichtgeschwindigkeit übertragen erhalten. werden. 3. Jeder Apfel in meinem Kühlschrank 4. Keine Maus wiegt mehr als eine ist rot. Tonne. Handelt es sich um ein Gesetz? Ja oder Nein? 1. 2 2. 3. 4. SS 2010 Ja/Nein Ja/Nein Ja/Nein Ja/Nein Einführung in die Theoretische Philosophie 336 Was ist ein Naturgesetz? 1) bis 4) sind wahre Verallgemeinerungen. Sie besitzen die Form „Alle A sind B B“ bzw. „Kein A ist B“. Trotzdem unterscheiden sich 1) und 2) wesentlich von 3) und 4). Gesetze unterstützen kontrafaktische Schlüsse. Sie „gelten“ auch für Fälle, d momentan nicht die h vorliegen: l • „Wenn sich dieser Apfel, den ich jetzt in meiner Hand halte, in meinem Kühlschrank befände dann wäre er rot. befände, rot “ • „Wenn dieser Elefant da drüben eine Maus wäre, dann würde er nicht mehr als eine Tonne wiegen.“ Gesetze unterstützen modale Sätze über physikalische Notwendigkeiten und Möglichkeiten: • „Es ist (physikalisch) notwendig, dass alle Äpfel in meinem Kühlschrank rot sind.“ • „„Es ist (p (physikalisch) y ) unmöglich, g , dass eine Maus mehr als eine Tonne wiegt.“ g SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 337 Was ist ein Naturgesetz? Kontrafaktisches Kriterium Frage: Warum könnte ein Apfel in meinem Kühlschrank grün sein? Antwort: Weil es gegen keine physikalischen Gesetzmäßigkeiten verstößt. Modales Kriterium Frage: Warum ist es physikalisch möglich, dass nicht alle Äpfel in meinem Kühlschrank rot sind? Antwort: Weil es gegen keine physikalische Gesetzmäßigkeit verstößt. Die Frage, welche modalen Sätze als möglich und notwendig erachtet werden und welche kontrafaktischen Schlüsse zulässig sind, hängt davon ab, welche R Regelmäßigkeiten l äßi k it als l physikalische h ik li h Gesetze G t angesehen h werden d und d umgekehrt. k h t Die Unterscheidungskriterien sind zirkulär! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 338 Probleme des D-N-Modells Der Fahnenmast und sein Schatten Auf einem ebenen Boden steht ein Fahnenmast von 4 m Höhe. Die Sonne scheint aus einem Winkel von 60° sehr hell. Der Mast wirft einen Schatten von 4,4 m. Wenn wir fragen, warum der Schatten diese Länge hat, dann lässt sich das ganz einfach mit ein wenig Trigonometrie (deduktiv) herleiten. Das Ergebnis ist eine DN-Erklärung der Schattenlänge. Wir könnten durch Ausnutzung desselben Schemas und genau derselben Gesetze erklären: 1) warum der Schatten 4,4 m lang ist (Trigonometrie, Höhe des Mastes, Sonnenwinkel); 2) warum der Mast 4 m hoch ist (Trigonometrie, Länge des Schattens, Sonnenwinkel); 3) warum die Sonne in einem Winkel von 60° zur Erde steht (Trigonometrie, Schattenlänge, Höhe des Mastes). Während (1) eine angemessene Erklärung der Schattenlänge ist, sind die Erklärungen in (2) und (3) keine adäquaten Antworten auf die Fragen: „Warum ist der Mast so und so hoch?“ bzw. „Warum steht die Sonne in dem und dem Winkel zur Erde“! Erklärungen sind asymmetrisch: Wenn A B erklärt, dann kann B nicht A erklären. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 339 Probleme des D-N-Modells Das Barometer und der Sturm Wenn das Barometer schnell fällt, dann können wir einen Sturm vorhersagen. Dennoch erklärt das Fallen des Barometers das Auftreten des Sturmes nicht. Das Fallen des atmosphärischen Druckes ist demgegenüber sowohl verantwortlich für das Fallen des Barometers wie des Aufkommens eines Sturmes. Wenn zwei Wirkungen eine gemeinsame Ursache besitzen (Sturm und Barometer), können wir nicht die eine Wirkung durch die andere erklären. Sonnenfinsternis Vom jetzigen Stand der Sonne sowie einer Anzahl von Gesetzen über die Planetenbewegungen können Astronomen eine zukünftige Sonnenfinsternis vorhersagen. Aufgrund eben derselben Daten und Gesetze lassen sich aber auch vorangehende Sonnenfinsternisse „voraussagen“. Während wir die zukünftige Sonnenfinsternis aufgrund gegenwärtiger Daten wirklich als eine Voraussage / Erklärung behandeln, würden wir es als eine verfehlte Erklärung ansehen, wenn wir eine vergangene Sonnenfinsternis auf den jetzigen Stand der Sonne zurückführten. Wir führen keine gegenwärtigen oder zukünftigen Bedingungen an, wenn wir vergangene Ereignisse erklären. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 340 Probleme des D-N-Modells Antibabypille für den Mann? Ein Mann erklärt die Tatsache, dass er nicht schwanger wurde, indem er behauptet, dass er regelmäßig die Antibabypille seiner Frau genommen habe und dass Männer, die Antibabypillen nehmen, nicht schwanger werden. Das Erklärmuster hat die Form einer D-N-Erklärung, zitiert aber irrelevante Sachverhalte. Es ist irrelevant, ob Männer eine Antibabypille nehmen oder nicht. Sie werden nicht schwanger. Die Adäquatheitsbedingungen für D-N-Erklärungen sind zu schwach. Derartige Erklärungen gelten nicht als erfolgreiche g g Erklärungen! g Der Tintenfleck Auf einem Teppich in der Nähe des Schreibtisches befindet sich ein schwarzer Fleck. Wie kann das erklärt werden? Nun, gestern stand auf dem Rand des Schreibtisches ein offenes Tintenfass, der Professor hat sich versehentlich am Schreibtisch gestoßen, worauf das Fass herunterfiel. Obwohl diese Erklärung keine allgemeinen Gesetzmäßigkeiten enthält, gilt sie dennoch als erfolgreiche Erklärung. Jeder Versuch, diese Tatsache exakt unter Verwendung von Naturgesetzen vorauszusagen, vorauszusagen würde misslingen. misslingen (Wir wären nicht dazu in der Lage.) Die Adäquatheitsbedingungen sind nicht nur zu schwach, sondern auch zu stark! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 341 Das I-S-Modell In Induktiv-Statistischen-Erklärungen wird das Explanandum nur mit einer gewissen i Wahrscheinlichkeit h h i li hk i durch d h die di Prämissen ä i gestützt: ü Fast jede Streptokokken-Infektion kann durch Penicillin geheilt werden. Jane Jones hatte eine Streptokokken-Infektion. Jane Jones erhielt Penicillin. -----------------------erklären------------------------------- [r] Konklusion: Jane Jones wurde geheilt. In D-N-Erklärungen besteht zwischen den Prämissen und der Konklusion der Erklärung eine logische Folgebeziehung. In I-S-Erklärungen wird die Konklusion durch die Prämissen nur als wahrscheinlich dargestellt. Diese Beziehung des Stützens kann verschieden stark sein ([r] ist ein Parameter dieser Stärke). SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 342 Das I-S-Modell Die Bedingung der maximalen Spezifität Fast keine penicillin-resistente Streptokokken-Infektion kann durch Penicillin geheilt werden. Jane Jones hatte eine penicillin-resistente Streptokokken-Infektion. Jane Jones erhielt Penicillin. --------------------------erklären-----------------------------------------------[r] [ ] Konklusion: Jane Jones wurde nicht geheilt. I-S-Erklärungen erfordern eine zusätzliche Adäquatheitsbedingung: Die Erklärung der Heilung von Jane Jones wäre keine gültige I-S-Erklärung, wenn wir gewusst hätten, dass Jane Jones an penicillin-resistenten Streptokokken litt. Daher h müssen I-S-Erklärungen kl immer alles ll j jeweils il zur Verfügung fü stehende h d Wissen beinhalten. (Bedingung der maximalen Spezifität) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 343 Probleme des I-S-Modells Psychotherapie für Bruce Brown Bruce Brown hat ein neurotisches Symptom. Er geht zu einer Psychotherapie und das Symptom verschwindet. Können wir dies erklären, indem wir darauf hinweisen, dass die meisten Menschen mit diesem Symptom nach einer Psychotherapie gesunden? Falls viele Menschen mit diesem Symptom spontan, d.h. unabhängig von einer Behandlung gesunden, dann ist die Erklärung nicht legitim. Eine hohe Wahrscheinlichkeit ist nicht hinreichend für eine gelungene Erklärung. Selbst wenn die Rate der Menschen, die nach einer Behandlung gesunden, sehr gering ist, wäre die Erklärung korrekt, falls die Rate mit Behandlung trotzdem größer ist als ohne. Eine hohe Wahrscheinlichkeit ist nicht notwendig für eine gelungene Erklärung. Wir müssen herausfinden, ob die Behandlung irgendeinen nachweisbaren Einfluss auf die Genesung von einem bestimmten Symptom hat, d.h. wir müssen die relevanten von den irrelevanten Einflüssen unterscheiden. Erst dieses Wissen macht die Erklärung erfolgreich! Nicht alle verfügbaren Informationen machen I-S-Erklärungsschemata zu guten Erklärungen, sondern nur die relevanten Informationen! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 344 Probleme des I-S-Modells Syphilis und Paresis Paresis ist eine höhere Form von Syphilis, die mit einer Wahrscheinlichkeit von 25% auftritt, wenn die Syphilis unbehandelt bleibt. Nehmen wir an, Schmidt hat Paresis und wir fragen, warum. Eine korrekte Antwort wäre: weil er an einer unbehandelten Syphilis litt. (1) a) Unbehandelte Syphilis führt zu Paresis. b) Schmidt hatte eine unbehandelte Syphilis. ----------------erklären-----------------------------[.25] Konklusion: Schmidt hat Paresis. ((2)) a) Unbehandelte Syphilis führt zu Paresis. b) Schmidt hatte eine unbehandelte Syphilis. ------------------erklären----------------------------[.75] Konklusion: Schmidt hat keine Paresis. Paresis Während die induktive Stützung für die Konklusion in (2) viel höher als für die in (1) ist, scheint (2) keine akzeptable Erklärung zu sein. (1) dagegen scheint erfolgreich zu sein. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 345 Probleme des I-S-Modells a) 25 % der Opfer unbehandelter Syphilis bekommen Paresis. b) Schmidt hatte eine unbehandelte Syphilis. ---------------erklären--------------------------------------------[.25] Konklusion: Schmidt bekommt Paresis. a) 95 % der Opfer unbehandelter Syphilis, die ein P-Merkmal besitzen, bekommen Paresis. b) Schmidt hatte eine unbehandelte Syphilis. c) Schmidt hatte das P-Merkmal. ---------------erklären--------------------------------------------[.95] Konklusion: Schmidt bekommt Paresis. a)) Alle All Opfer O f unbehandelter b h d lt S hili Syphilis, di ein die i P-Merkmal P M k l und d ein i Q-Merkmal Q M k l besitzen, b it bekommen Paresis. b) Schmidt hatte eine unbehandelte Syphilis. c)) Schmidt hatte das P-Merkmal. d) Schmidt hatte das Q-Merkmal. Konklusion: SS 2010 Schmidt bekommt Paresis. Einführung in die Theoretische Philosophie 346 Probleme des I-S-Modells Determinismus ... ist die Doktrin, dass alles, was in unserem Universum passiert, vollständig durch vorangehende Bedingungen (allgemeine Gesetze und Randbedingungen) determiniert ist. Falls diese Doktrin wahr wäre, dann wäre jedes Ereignis im Prinzip deduktiv erklärbar und jede I-S-Erklärung wäre eine unvollständige D-N-Erklärung. I-SErklärungen ließen sich dann auf D-N-Erklärungen reduzieren und wären kein eigenständiger Erklärtypus (was nicht heißt, dass sie in der Praxis nutzlos wären). wären) • Ist der Determinismus wahr? • Gibt es Erklärungen die irreduzibel statistisch sind? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 347 Das S-R-Modell Statistische Relevanz Das Hauptproblem des I-S-Modells besteht darin, dass nicht eine hohe Wahrscheinlichkeit sondern die statistische Relevanz der ausschlaggebende Faktor bei nichtdeduktiven Erklärungen zu sein scheint. (Psychotherapie von Bruce Brown und Syphilis-Paresis-Beispiel) Betrachten wir Bruce Brown. Er ist ein Mitglied der Gruppe von Menschen, die an einem neurotischen Syndrom leiden. Innerhalb dieser Gruppe gibt es eine gewisse Wahrscheinlichkeit W, von diesem Syndrom spontan zu genesen: Anzahl der Genesenden (G)/Anzahl der Gesamtgruppe (X); W = G/X. Für die Anzahl der Genesenden,, die mit Psychotherapie y p ((P)) behandelt wurden,, können wir eine andere Wahrscheinlichkeit annehmen: W = G+P/X. Die Psychotherapie ist positiv relevant für die Genesung, falls: W(G/X) < W(G+P/X) Die Psychotherapie ist negativ relevant für die Genesung, falls: W(G/X) > W(G+P/X) Die Psychotherapie ist irrelevant für die Genesung, falls: W(G/X) = W(G+P/X) Es gibt keine Aussage über die Höhe der relevanten Wahrscheinlichkeiten. Sie müssen sich nur von anderen Wahrscheinlichkeiten in relevanten Hinsichten unterscheiden. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 348 Das K-R-Modell Kausale Relevanz • Kausale Beziehungen sind asymmetrisch (Fahnenmastbeispiel). • Die Ursache ist relevant in Bezug auf die Wirkung (Antibabypille). • Wir können Vermutungen g zu den Ursachen eines bestimmten Ereignisses g haben, ohne ein genaues Gesetz zu kennen, das beide miteinander verbindet (Tintenfleck). • Die Psychotherapie erklärt die Genesung von einem psychischen Symptom dann, wenn sie diese (zumindest zum Teil) verursacht hat. (Bruce Brown) • Syphilis ist die Ursache von Paresis, auch wenn nicht jeder mit Syphilis an Paresis erkrankt. (Schmidt) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 349 Humes Kritik am Begriff der Kausalität David Hume (1711-1776) Hume gilt als einer der wichtigsten Vertreter des klassischen, Britischen Empirismus. Er vertrat eine Philosophie des gesunden M Menschenverstandes h t d und d wendete d t sich i h gegen die traditionelle Metaphysik, die er als Quelle des Irrtums ablehnte. In der Wissenschaftstheorie haben vor allem seine kritischen Ausführungen zur Kausalität und Induktion eine durchschlagende Wirkung gehabt. A Treatise of Human Nature (1739/40) An Enquiry Concerning Human Understanding (1748) An Enquiry Concerning the Principles of Moral (1751) Dialogues Concerning Natural Religion (1779) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 350 Humes Kritik am Begriff der Kausalität Wie können wir Erkenntnis von Kausal-Beziehungen erlangen? Stellen wir uns vor, wir beobachten zwei Billardkugeln. Die eine ist blau und stößt die andere, welche rot ist, an. Danach bleibt die blaue Kugel stehen und die rote bewegt b sich h in einer bestimmten b Richtung h f fort. Wir könnten k d dies so erklären, dass wir sagen, der Anstoß der blauen Kugel in einem bestimmten Winkel war die Ursache der Bewegung der roten Kugel. Was können wir tatsächlich beobachten? Eine temporale Asymmetrie zwischen Ursache und Wirkung. Eine raum-zeitliche Nähe zwischen Ursache und Wirkung. Eine konstante (wiederholbare) Verbindung zwischen beiden. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 351 Das K-R-Modell Falls Kausalität nur schwach, nämlich als eine wiederholbare Folge von Ereignissen aufgefasst wird, dann bilden die kausalen Erklärungen eine Teilklasse der D-N-Erklärungen: Für alle E1, E2: Falls E1 eintritt, dann tritt auch E2 ein. (gesetzmäßige Verallgemeinerung/ beobachtete Regelmäßigkeit) E1 ist eingetreten. (Randbedingung) E2 ist eingetreten (Konklusion) Einer der Gründe, warum die gängigen Modelle wissenschaftlicher Erklärung sich nicht auf Kausalität berufen, hat mit diesem skeptischen Problem zu tun, für das es noch keine adäquate Losung zu geben scheint. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 352 Wissenschaftliche Erklärungen Das deduktiv-nomologische Modell Das induktiv-statistische Modell Ein Ereignis/ Phänomen wird erklärt, indem es als Konklusion eines gültigen Arguments dargestellt wird. Das Ereignis folgt logisch aus einem oder mehreren allgemeingültigen Naturgesetzen und den dazugehörigen Anfangsbedingungen. Ein Ereignis/ Phänomen wird erklärt, indem es als Konklusion eines Arguments dargestellt wird. Das Ereignis wird mit W h h i li hk it r aus einem Wahrscheinlichkeit i statistischen t ti ti h Zusammenhang und den dazugehörigen Anfangsbedingungen induktiv abgeleitet. Es gilt universal: P ⊃ Q P Q Mit W Wahrscheinlichkeit h h i li hk it r gilt: ilt P ⊃ Q P [r] Q Zeitliche/ kausale Asymmetrie Kausal irrelevante Faktoren Maximale Spezifität Statistisch irrelevante Faktoren Unvollständiges Wissen? Determinismus? Kausale Relevanz? SS 2010 Statistische Relevanz? Einführung in die Theoretische Philosophie 353 Zur Pragmatik von Erklärungen Emphase a) Warum aß Adam den Apfel? b) Warum aß Adam den Apfel? p c)) Warum aß Adam den Apfel? Obwohl es immer dieselben Worte sind, handelt es sich um drei verschiedene Fragen, die verschiedene Erklärungen verlangen. Das kann gezeigt werden, indem wir uns die Kontrastklassen ansehen, die für die jeweilige Frage entscheidend sind: a) Warum hat Adam einen Apfel und nicht eine Banane, einen Joghurt usw. gegessen? Kontrastklasse: {Apfel, Banane, Joghurt, Bratwurst, ...} b) Warum hat Adam und nicht Eva, eine Ziege oder der Hirte den Apfel gegessen? Kontrastklasse: {Adam, Eva, Ziege, Hirte, ...} c) Warum hat Adam den Apfel gegessen und nicht weggeworfen oder irgendwo versteckt? Kontrastklasse: {essen, wegwerfen, verstecken, ...} ¾ Wenn wir nicht wissen, wonach gefragt wird, werden wir nicht wissen, was eine erfolgreiche Erklärung ist. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 354 Zur Pragmatik von Erklärungen Vorwissen Eine Erklärung ist nicht erfolgreich, wenn sie Tatsachen enthält, die der entsprechenden Hörerschaft schon hinreichend bekannt sind. Das Drehmoment eines Körpers bleibt ohne Einwirkungen einer äußeren Kraft konstant. Der Eiskunstläufer erfahrt keine Einwirkung einer externen Kraft. g Achse. Der Eiskunstläufer dreht sich um die eigene Der Eiskunstläufer reduziert seine träge Masse, indem er die Arme eng an seinen Köper anlegt K kl i Konklusion: Di Drehung Die D h d Eiskunstläufers des Ei k tlä f vergrößert öß t sich. i h Im Eiskunstläuferbeispiel bspw. wird ein zweiter Zuschauer nicht wissen wollen, ob der Eiskunstläufer seine Arme angezogen g g hat oder nicht ((denn das sieht er). ) Hier ist es wesentlich auf die Gesetze der Rotationskraft hinzuweisen. Ein anderer mag diese Gesetze kennen und nicht bemerkt haben, dass er seine Arme zum Körper bewegte, dann ist die Anführung dieser Tatsache relevant für die Erklärung usw. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 355 Zur Pragmatik von Erklärungen Idealer explanatorischer Text vs. explanative Informationen Wir müssen zwischen dem idealen explanatorischen Text und der explanativen Information unterscheiden! Der ideale Text einer Erklärung enthält alle Tatsachen und alle Gesetze, die für das jeweilige Explanandum relevant sind. In den meisten Fällen wird ein solcher idealer Text unheimlich komplex und lang sein (... die physikalischen Gesetze und Randbedingungen beim Herunterfallen eines Tintenfasses ...). Dieser ideale Text wird in aktualen Erklärungen kaum oder nie vollständig erwähnt. erwähnt Entscheidend ist vielmehr, dass (je nach Kontext) die entsprechenden Portionen dieses idealen Textes erwähnt werden, die für die entsprechende Absicht und das Frageinteresse benötigt werden. Wenn wir Wissen vermitteln und damit einen Aspekt des idealen Textes einer Erklärung liefern, dann unterbreiten wir die explanativen Informationen. ¾ Die Bitte nach einer Erklärungen ist nie eine Bitte um den idealen Text, sondern eine Bitte um explanatorische Informationen. Worin diese Informationen bestehen, das variiert mit unserem Vorwissen, unseren Frageinteressen und dem Kontext, in welchem nach der entsprechenden Information gesucht wird. ¾ In der Pragmatik der Erklärung geht es darum, welche Aspekte eines idealen explanatorischen Textes in einem spezifischen Kontext angemessene Erklärungen liefern und welche nicht. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 356 SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 357 Wissenschaftstheorie Aspekte und Probleme der Bestätigung wissenschaftlicher Theorien Das charakteristische Ziel der Wissenschaft ist die Angabe systematischer und zuverlässig untermauerter Erklärungen. (Ernest Nagel) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 358 Empirische Evidenzen (a) ??? Welt Explanans In welchem Verhältnis müssen das Explanans und die Welt stehen, damit das Explanans empirisch signifikant und wahr ist? (b) Allgemeine Gesetzmäßigkeiten (im Idealfall: Theorie) Randbedingungen/ Hilfshypothesen Wie müssen Explanans und Explanandum aufeinander bezogen sein, damit man von einer Erklärung sprechen kann? Explanandum Das, was die Theorie erklären bzw. voraussagen soll. Das Explanans einer Erklärung enthält sowohl allgemeine Gesetze als auch Sätze über das Gegebensein spezifischer Sachverhalte (Randbedingungen). Wie lassen sich allgemeine Gesetze (Theorien) bestätigen (verifizieren)? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 359 Das H-D-Modell Wie lassen sich Sätze bestätigen, wenn wir deren Wahrheit nicht direkt durch Beobachtung g feststellen können? ((Die Wissenschaft enthält fast ausschließlich Sätze dieses Typs!) Die klassische Antwort besteht in der H[ypothetisch]-D[eduktiven]-Methode: Eine Hypothese wird durch ihre beobachtbaren Konsequenzen bestätigt bzw. widerlegt. Wenn die beobachtbaren Konsequenzen eintreffen, dann gilt sie als (teilweise) bestätigt; sonst als widerlegt. Boyles Gasgesetz P x V = const. (bei T = const.) Das Anfangsvolumen des beobachteten Gases ist 1 cbm. Der Anfangsdruck ist 1 atm. atm Der Druck wird auf 2 atm erhöht. Die Temperatur bleibt konstant. Der Druck eines Gases ist bei konstanter Temperatur umgekehrt proportional zu seinem Volumen. (Hypothese) Das Volumen verringert sich auf 0,5 cbm. (beobachtbare Konsequenz) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 360 Das H-D-Modell Testschema A (beobachtbare (b b htb A f Anfangsbedingungen) b di ) H (Hypothese) q ) K ((beobachtbare Konsequenz) Genau genommen benötigt jeder Test in einem D-N-Modell weitere Hilfshypothesen, die sich auf die „Beobachtbarkeit“ von Anfangsbedingungen und Konsequenz beziehen. Im Beispiel: Temperaturen und Drücke lassen sich nicht direkt beobachten. Wir brauchen Thermometer, Druckmesser, eine zuverlässige Gaskammer usw. Dies ist in fast allen Testsituationen der Fall. Das Schema muss also folgendermaßen erweitert werden: Erweitertes Testschema A (beobachtbare Anfangsbedingungen) HH (Hilfshypothesen) H (Hypothese) K (beobachtbare Konsequenz) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 361 Probleme des H-D-Modells Das Problem der alternativen Hypothesen Immer wenn ein beobachtbares Resultat eines H-D-Tests eine gegebene Hypothese bestätigt, bestätigt dieser Test ebenso unendlich viele andere Hypothesen, die mit der gegebenen Hypothese inkompatibel sind. sind Jede beliebige (aber endliche) Anzahl von Tests lässt viele weitere Kurven zu, die durch die Testpunkte p bestätigt g werden würden. Wie können wir sicher sein, dass ein Test als Bestätigung für eine bestimmte Hypothese gilt, wenn dieser Test viele weitere, inkompatible Hypothesen bestätigen würde? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 362 Probleme des H-D-Modells Das Problem der statistischen Hypothesen Ausnahmen bestätigen die Regel! Statistische Gesetzmäßigkeiten lassen sich in einem H-D-Modell nicht testen! Angenommen, wir möchten testen, ob der Gang zur Psychotherapie die Wahrscheinlichkeit der Genesung von einem bestimmten neurotischen Syndrom erhöht. Wie könnten wir das anstellen? Wir könnten ein Experiment mit zwei Gruppen von Personen mit dem entsprechenden neurotischen Syndrom durchführen; eine von beiden erhält eine Therapie, Therapie die andere nicht. Problem: Wir können aus dieser Hypothese nicht ableiten, dass die Mitglieder der Therapiegruppe tatsächlich genesen. Wir können lediglich ableiten, dass es wahrscheinlich ist, dass Anzahl der Genesenden in der Therapiegruppe größer ist als die Anzahl der Genesenden in der Gruppe ohne Therapie. Wahrscheinlichkeiten können in der Regel nicht gestestet werden. D.h., wir können in einem Einzelfall nicht entscheiden, ob es sich um einen bestätigenden oder um einen widerlegenden Test handelt! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 363 Hempels Rabenparadoxon Hypothesen werden durch positive Instanzen bestätigt. (H-D-Modell) Wenn wir jedes Mal, wenn wir Raben sehen, feststellen, dass sie schwarz sind, neigen wir dazu, die Hypothese "Alle Raben sind schwarz" als bestätigt anzusehen. Werden nur wenige Raben beobachtet, ist dies eine schwache Bestätigung; werden dagegen Tausende oder Milli Millionen schwarzer h R b Raben gesehen, h i t dies ist di eine i starke t k Bestätigung. B täti Beobachtungen, die eine logisch äquivalente Aussage bestätigen, bestätigen auch die ursprüngliche Aussage. (Äquivalenzbedingung) Hypothesen können auf verschiedene Arten formuliert werden. Zwei logisch äquivalente Formulierungen einer Hypothese werden durch exakt dieselben Objekte bestätigt bzw. widerlegt Die Bestätigung hängt nicht von der Formulierung einer Hypothese ab. widerlegt. ab (P ⊃ Q) ↔ (¬Q ⊃ ¬P) (Gesetz der Kontraposition) Eine Aussage der Form P ⊃ Q ist logisch äquivalent mit einer Aussage der Form (¬Q ⊃ ¬P). Beide Aussagen sind unter genau denselben Umständen wahr (bzw. falsch). SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 364 Hempels Rabenparadoxon Hypothesen werden durch ihre positiven Beobachtungen bestätigt. Beobachtungen, die eine logisch äquivalente bestätigen auch die ursprüngliche Aussage. Aussage bestätigen, Alle Raben sind schwarz ↔ Alle nichtschwarzen Dinge sind keine Raben Aus den beiden plausiblen Prämissen (H (H-D-Modell D Modell und Äquivalenzbedingung) folgt: Alle Beobachtungen von nicht-schwarzen Objekten, die keine Raben sind, bestätigen die Hypothese "Alle Raben sind schwarz". Das heißt, die Beobachtung von bunten Kühen oder roten Autos bestätigt die Hypothese, dass alle Raben schwarz sind! Intuitiv empfindet man dies als paradox. („Wir müssen nicht in den Regen hinaus, um Vogelkunde zu betreiben.“) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 365 Hempels Rabenparadoxon Carl G. Hempel nahm an, dass hier kein Paradox, sondern eine psychologische Fehleinschätzung vorliegt und die Beobachtung von runden Bällen oder hohen Türmen tatsächlich die Hypothese "Alle Raben sind schwarz" (schwach) bestätigt. bestätigt Die Wahrscheinlichkeit dafür, dafür dass Raben schwarz sind wird durch die Beobachtung von nicht-schwarzen Nicht-Raben leicht erhöht. Ganz allgemein: jede Beobachtung, die einer Allaussage nicht widerspricht, bestätigt sie. Karl Popper pp vertrat die Ansicht,, dass es für Hypothesen yp keine Bestätigung gibt. Popper ließ nur die Falsifikation von Hypothesen zu. All unser Bestreben muss es sein, Hypothesen durch negative Beispiele zu Fall zu bringen, zu falsifizieren. Allerdings kam Popper nicht umhin, durch die Hintertüre doch die Idee der Bestätigung zuzulassen. zuzulassen Er nannte sie den Bewährungsgrad einer Theorie. Je häufiger Falsifikationsversuche scheiterten, desto mehr hat sich eine Theorie bewährt (schwach bestätigt). SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 366 Hempels Rabenparadoxon J. L. Mackie versuchte das Raben-Paradox mit wahrscheinlichkeitstheoretischen Überlegungen aufzuweichen. Die Wahrscheinlichkeit für ein b li bi beliebiges Obj kt ein Objekt i schwarzer h R b zu sein Rabe i ist i t bei b i weitem it geringer i als l ein i nicht-schwarzer Nicht-Rabe zu sein. Deshalb bestätigt die Beobachtung eines schwarzen Raben die Hypothse ungleich schwerwiegender als die Beobachtung von nicht-schwarzen Nicht-Raben. W. V. O. Quine versucht Hempels Paradox aufzulösen, indem er die Bestätigung einschränkt. Er schlägt vor, nur die Beobachtungen als Bestätigung anzusehen, wo die Objekte natürliche Arten (natural kinds) sind. Natürliche Arten kommen in wissenschaftlichen, z.B. biologischen Gesetzen vor. Ausdrücke wie i "Nicht-Raben" "Ni ht R b " jedoch j d h handeln h d l nicht i ht von natürlichen tü li h A t Arten und d daher d h sind i d Hypothesen, in denen von Dingen wie „Nicht-Raben“ die Rede ist, gar keine Naturgesetze, für die es eine Bestätigung geben könnte. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 367 Nelson Goodmans neues Rätsel der Induktion Nelson Goodman (1906-1998) Goodman ist ein führender Vertreter der analytischen Philosophie in den V Vereinigten i i t St t Staaten. E arbeitete Er b it t zu erkenntnistheoretischen, wissenschaftstheoretischen, sprachphilosophischen p p p und ästhetischen Themenstellungen. The Structure of Appearance (1951) Fact, Fiction, and Forecast (1955) Languages g g of Art ((1968)) Ways of Worldmaking (1976) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 368 Nelson Goodmans neues Rätsel der Induktion Wir definieren das Prädikat grot, welches eine Eigenschaft bezeichnen soll, die ein Ding besitzt, besitzt wenn es vor Juli 20010 grün ist und danach rot: Juli 2010 Juli 2010 grün Alle Smaragde sind grün. grot Alle Smaragde sind grot. Beide Hypothesen werden bis Juli 2010 durch genau dieselben Evidenzen gestützt: Das Auffinden grüner Smaragde bis Juli 2010 bestätigt beide Hypothesen gleichermaßen; das Auffinden andersfarbiger Smaragde würde beide widerlegen! Alle bisher gefundenen Smaragde waren grün bzw. bzw grot. grot Beide Hypothesen gelten als exakt gleich gut bestätigt, ganz egal wie viele Testfälle wir heranziehen! Dennoch sind „grün“ und „grot“ zwei inkompatible Prädikate: Ein Ding kann nicht zugleich sowohl grün als auch grot sein! Denn nach Juli 2010 ist ein grünes Ding grün und ein grotes rot. Beiden Hypothesen liefern unterschiedliche Voraussagen: g Es können nicht beide zugleich g wahr sein! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 369 Nelson Goodmans neues Rätsel der Induktion Lässt sich Goodmans Paradox lösen, indem man darauf hinweist, dass das Prädikat ädik „grot““ im i Unterschied hi d zum Prädikat ädik „grün“ ü “ komplex k l i ? (Dürfen ist? ( ü f wir i in i unseren Hypothesen nur einfache und keine komplexen, zusammengesetzten Prädikate verwenden?) Welches Prädikat komplex und welches einfach ist, hängt davon ab, wo wir beginnen! Wir können den Fall auch so konstruieren, dass „grün“ komplex p und „g „grot“ einfach ist. Beweis: Wir können grün unter Zuhilfenahme eines weiteren Prädikates, nämlich rün definieren. Ein Gegenstand g sei rün,, wenn er vor Juli 2010 rot und danach grün ist. Damit lässt sich „grün“ definieren als eine Eigenschaft, die ein Gegenstand dann besitzt, wenn er vor Juli 2010 grot und danach rün ist. g grot rün grün (vor Juli 2010 grot, danach rün) Juli 2010 SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 370 Nelson Goodmans neues Rätsel der Induktion Lässt ä sich i h Goodmans G d Paradox d lö lösen, i d indem man darauf d f hinweist, hi i d dass sich i h das d Prädikat „grot“ im Unterschied zum Prädikat „grün“ auf einen ganz bestimmten Zeitpunkt bezieht? Dürfen wir in unseren Hypothesen nur einfache und nicht zeitrelative Prädikate verwenden? Die Wissenschaft enthält sehr viele Hypothesen (Gesetze, Verallgemeinerungen), in denen unverzichtbare Begriffe vorkommen, die auf bestimmte Zeitpunkte oder Zeitspannen Bezug nehmen! • • • • • im Mittelalter während der Pupertät p von Picassos Malerei in der Frühphase innerhalb der ersten drei Sekunden nach dem Urknall … SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 371 Nelson Goodmans neues Rätsel der Induktion Goodmans pragmatische Lösung: entrenchment (Verankerung) Wir benutzen das Prädikat grün und nicht das Prädikat grot in unseren wissenschaftlichen Hypothesen, weil grün in unsere wissenschaftliche Praxis tiefer eingebettet/ verankert ist als grot. Aber prinzipiell hätten wir es auch anders machen können. Entrenchment: Ein Begriff P ist zu einem Zeitpunkt t tiefer eingebettet/ verankert als ein Begriff Q, wenn P in der Zeit vor t häufiger verwendet wurde als Q. Das rein syntaktische H-D-Modell der Bestätigung wissenschaftlicher Hypothesen ist unzureichend,, um die Bestätigungs-Beziehung g g g angemessen g zu charakterisieren! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 372 Poppers Falsifikationismus Karl [Raimund] Popper ( 902 99 ) (1902-1994) Popper gilt als einer der einflussreichsten Autoren auf den Gebieten der Wissenschaftstheorie sowie der politischen Philosophie. Er kritisierte den Logischen Empirismus und dessen Sichtweise der wissenschaftlichen Methode. In die politische Theorie ist er als wichtiger Kritiker des Marxismus eingegangen. Popper wurde 1965 von der Queen Elizabeth II geadelt. Wichtigste Werke: Logik der Forschung (1934) The Open Society and Its Enemies (1945) Conjectures and Refutations (1965) Objective Knowledge (1972) The Self and Its Brain (1977) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 373 Poppers Falsifikationismus Deduktion vs. Induktion Deduktion (deduktive Argumente) Induktion (induktive Argumente) Alle Menschen sind sterblich. Sokrates ist ein Mensch. Prämissen Dieser beobachtete Rabe ist schwarz. Jener beobachtete Rabe ist schwarz. Konklusion Also: Alle Raben sind schwarz. Also: Sokrates ist sterblich. Deduktive Argument sind: Induktive Argumente sind: • nicht erkenntniserweiternd: Der Inhalt der Konklusion ist schon implizit in den Prämissen enthalten. (Wir lernen nichts dazu wenn wir eine Konklusion ziehen.) dazu, ziehen ) • notwendig wahrheitserhaltend: Wenn die Prämissen wahr sind, dann muss die Konklusion ebenfalls wahr sein. • erosionsbeständig: Die Hinzufügung neuer Prämissen verändern nicht die Gültigkeit eines deduktiven Arguments. • absolut: Die Gültigkeit eines deduktiven Arguments g kennt keine Grade. • erkenntniserweiternd: Der Inhalt der Konklusion geht über den Inhalt der Prämissen hinaus. (Sie ist stärker, allgemeiner. Wir lernen etwas neues hinzu.) • nicht notwendig wahrheitserhaltend: Ein induktives Argument kann trotz wahrer Prämissen eine falsche Konklusion besitzen. • nicht erosionsbeständig: Neue Prämissen unterminieren die Gültigkeit eines induktiven Arguments. • graduell: Die Prämissen können die Konklusion in unterschiedlicher Stärke stützen. tüt SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 374 Poppers Falsifikationismus - Das klassische Bild Wissenschaftliche Hypothesenbildung (Entdeckungszusammenhang) Bestätigung wiss. Hypothesen (Rechtfertigungszusammenhang) ( g g g) Dieser beobachtete Rabe ist schwarz. (Beobacht.) Jener beobachtete Rabe ist schwarz. (Beobacht.) Also: Alle Raben sind schwarz. schwarz (Hypothese) Alle Raben sind schwarz. (Hypothese) Dies ist ein Rabe. (Randbedingung) Also: Er ist schwarz. schwarz (beobachtbare Konsequenz) Das Aufstellen allgemeiner Hypothesen geschieht über induktive Verallgemeinerungen, die unsere Beobachtungen „zusammenfassen“. Hypothesenbildung beruht auf akkumulativer Beobachtung. Hypothesen werden anhand ihrer beobachtbaren Konsequenzen (graduell) bestätigt Bestätigung lässt sich über viele bestätigt. Instanzen (induktiv) akkumulieren. Humes Induktionsskepsis: keinerlei Rechtfertigung für Schlüsse. Goodmans neues Rätsel der Induktion: Es gibt Jede Bestätigung einer Hypothese gilt immer induktive zugleich als eine Bestätigung vieler anderer inkompatibler Hypothesen. Das Problem der alternativen Hempels Rabenparadox: Hypothesen Hypothesen: Ein und dieselben scheinen sich auch durch irrelevante Beobachtungen rechtfertigen eine Vielzahl Beobachtungen stützen zu lassen. inkompatibler Hypothesen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 375 Poppers Falsifikationismus Vermutungen und Widerlegungen Wissenschaftliche Hypothesenbildung (Entdeckungszusammenhang) Bestätigung wiss. Hypothesen (Rechtfertigungszusammenhang) Wissenschaft beginnt nie mit Beobachtungen können zwar nie die Wahrheit Hypothesen begründen Beobachtungen (induktiv), sondern wissenschaftlicher (Verifikation) wohl aber ihre Falschheit (Verifikation), immer mit Vermutungen (deduktiv). (Falsifikation). Die Beobachtung eines schwarzen Schwans falsifiziert die Hypothese The work of the scientist consists in ein für alle mal, dass alle Schwäne weiß sind. putting forward and testing theories. The initial stage, the act of conceiving or inventing a theory, seems to me neither to Poppers Bild: Der Wissenschaftler stellt call for logical analysis nor to be Vermutungen auf und versucht diese durch susceptible of it. The question how it Experimente und Beobachtungen zu happens that a new idea occurs to a man widerlegen. Wenn eine Vermutung eine Reihe ... may be of great interest to empirical von Tests erfolgreich überstanden hat, dann psychology; but it is irrelevant to the kann sie vorläufig akzeptiert werden. Eine Theorie, ein Gesetz oder eine logical analysis of scientific knowledge. wissenschaftliche h fl h Hypothese h sind d nie mit (Popper, Logic of Inquiry) Gewissheit wahr. Sie können sich bei der nächsten Testgelegenheit als falsch herausstellen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 376 Poppers Falsifikationismus Keplers Entdeckung der elliptischen Bahn der Planeten, ein Beispiel Kepler entdeckte, dass sich der Mars in einer elliptischen Bahn um die Sonne bewegt. Wie lässt sich das erklären? Kepler ging davon aus, dass der Orbit der Planeten die Sonne statt die Erde ist. Außerdem vermutete er, dass die Bewegung der Planeten entweder zirkulär oder zusammengesetzt aus wenigen g g ist. Um die elliptische p Bahn zu erklären bildete er drei Hypothesen: yp zirkulären Bewegungen 1. Der Orbit des Mars ist ein Kreis um ein Zentrum C, welches sich ein wenig von der Sonne entfernt befindet. 2 Der Orbit des Mars setzt sich aus zwei Kreisen zusammen, 2. zusammen deren zusammengesetzte Form eiförmig ist, wobei das spitze Ende den sonnennächsten Punkt des Mars bildet. 3. Der Orbit des Mars ist eine Ellipse mit der Sonne in einem der Zentren. Jede dieser Hypothesen, Hypothesen die Kepler nacheinander aufgestellt hat, hat hat er sorgfältig mit den empirischen Daten verglichen. Die ersten beiden Vermutungen musste er aufgrund ihrer Nichtübereinstimmung mit den verfügbaren Daten verwerfen; nur die dritte Hypothese widerstand allen ihm verfügbaren Kenntnissen über die Bewegung des Mars. Diese ist als das Keplersche Gesetz in die Wissenschaftsgeschichte eingegangen. Kepler hat (1) zunächst einfache Vermutungen angestellt. Er hat dann (2) die daraus folgenden Konsequenzen mit dem beobachteten Daten verglichen und schließlich (3) diejenigen Hypothesen verworfen, deren Konsequenzen nicht mit den beobachteten Daten im Einklang standen. Hypothesenbildung ist kreativ; Hypothesentesten ist falsifikatorisch! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 377 Poppers Falsifikationismus Gut und schlecht bestätigte Vermutungen? Stellen wir uns vor, eine Theorie T sei zu einem Zeitpunkt t1 von einem Wissenschaftler (Dr. E) aufgestellt worden. Zu t1 gibt es noch keine Evidenzen für T, so dass es sich um eine reine Vermutung handelt. Zwischen t1 und t2 jedoch haben Dr. E und seine Kollegen gezeigt, dass sich mit T eine ganze Reihe von g erklären lassen. Außerdem haben sie T einer g ganzen Reihe experimenteller p Tests Beobachtungen unterzogen, von denen sich jeder einzelne als Erfolg herausgestellt hat. Intuition: Für T hat es zu t1 keine Rechtfertigung durch Evidenzen gegeben, aber zu t2 liegen starke empirische Evidenzen für T vor, die uns rechtfertigen, T als eine gute Theorie i der in d Wissenschaftspraxis Wi h ft i weiter it zu verwenden. d Aus Poppers These, dass es nur Widerlegungen, aber keine Bestätigung für eine wissenschaftliche Theorie geben kann, folgt, dass T zu t1 eine ebenso unbestätigte V Vermutung t d darstellt t llt wie i zu t2. Das D aber b ist i t kontraintuitiv. k t i t iti Wir müssen zeigen können, wie wissenschaftliche Vermutungen durch Evidenzen, die sie bestätigen, gerechtfertigt werden können. Popper führte daher den Bewährungsgrad einer Th Theorie i ein: i Je J häufiger hä fi eine i Th Theorie i dem d V Versuch h der d Widerlegung Wid l widerstanden id t d h t desto hat, d t höher ist ihr Bewährungsgrad. Der Begriff des Bewährungsgrades entspricht genau unserem alten Begriff der (graduellen) Bestätigung einer Theorie (Hypothese), wodurch wir uns genau die Probleme wieder einhandeln, die Popper vermeiden wollte! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 378 Poppers Falsifikationismus Die Asymmetrie zwischen All- und Existenzaussagen Alle Raben sind schwarz. Es gibt weiße Raben. Diese Allaussage lässt sich durch die Beobachtung von schwarzen Raben graduell (induktiv) bestätigen. Diese Existenzaussage lässt sich durch die Beobachtung von schwarzen Raben graduell (induktiv) falsifizieren. Diese Allaussage lässt sich durch die Beobachtung b h eines einzigen nichtschwarzen h h Raben absolut (deduktiv) falsifizieren. Diese Existenzaussage lässt sich durch die Beobachtung b h eines einzigen weißen ß Rabens b absolut (deduktiv) verifizieren. Dies ist ein weißer Rabe. Nicht alle Raben sind schwarz. Dies ist ein weißer Rabe. Es gibt weiße Raben. Es gibt E ibt keinen k i i t i i h intrinsischen Z Zusammenhang h zwischen i h V ifik ti /B täti Verifikation/Bestätigung und d induktiven (graduellen) Argumenten bzw. Falsifikation/Widerlegung und deduktiven (absoluten) Argumenten. Ob sich eine Hypothese absolut oder nur graduell bestätigen/falsifizieren lässt, hängt von ihrer logischen Form und nicht von der angewandten dt M th d ab. Methode b Verifikation V ifik ti und d Falsifikation F l ifik ti sitzen it i selben im lb B t! Boot! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 379 Poincarés Konventionalismus [Jules] Henry Poincaré (1854-1912) Poincaré ist ein bedeutender Mathematiker, Ph ik d Wi h ft th tik Physiker und Wissenschaftstheoretiker, welcher in Paris lehrte. Er interessierte sich für nicht-Euklidische Geometrie, entdeckte einen Vorläufer der speziellen R l ti ität th Relativitätstheorie i und d formulierte f li t wichtige i hti Gesetze in der Chaostheorie. In wissenschaftstheoretischer Perspektive gilt er als Begründer des Konventionalismus. Wichtigste Werke Science and Hypothesis (1902) The Value of Science (1905) Science and Method (1908) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 380 Poincarés Konventionalismus Welchen Status haben die Axiome der Geometrie? Historischer Hintergrund y Urteile a p priori Kant betrachtete die Axiome der Euklidischen Geometrie als synthetische (d.h. als Urteile, die vor aller Erfahrung liegen und gleichzeitig als die Bedingung der Möglichkeit der räumlichen Erfahrung gelten). Die Weiterentwicklung der Geometrie durch Hilbert und Lobachevsky zeigte, dass sich alternative Geometrien entwickeln lassen, die dieselbe logische und mathematische Legitimität wie die Euklidische Geometrie besitzen. Poincaré arbeitete mit der Geometrie von Lobachevsky und fand verschiedene Anwendungen, die zeigten, dass diese sich auf einigen Gebieten besser eignet als die Euklidische Geometrie. Die geometrischen Axiome sind ... weder synthetische Urteile a priori noch experimentelle Tatsachen. Es sind auf Übereinkommen Ü beruhende Festsetzungen; unter allen möglichen Festsetzungen wird unsere Wahl von experimentellen Tatsachen geleitet; aber sie bleibt frei und ist nur durch die Notwendigkeit begrenzt, jeden Widerspruch zu vermeiden ... Mit anderen Worten: die geometrischen Axiome ... sind nur verkleidete Definitionen. (P i (Poincaré, é Science S i and d Hypothesis) H th i ) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 381 Poincarés Konventionalismus Welchen Status haben die Axiome der Geometrie? Alle geometrischen Systeme sind auf dieselbe Realität bezogen. Sie behandeln denselben Raum, obgleich sie sich in der sprachlichen Formulierung unterscheiden und von verschiedenen/ inkompatiblen Axiomen ausgehen. Die Wahl einer Theorie ist letztlich rein konventionell und basiert auf Prinzipien der theoretischen Ökonomie Ö und Einfachheit. Der Grund, warum wir gewöhnlich die Euklidische Geometrie favorisieren, liegt d i dass darin, d sie i für fü die di meisten i t A Anwendungen d di einfachste die i f h t Theorie Th i ist. i t In Bezug auf spezifische Anwendungen kann es aber sein, dass eine andere, alternative Theorie bequemer als die Euklidische ist. ist Beispielsweise nutzte Einstein im Jahre 1915 eine nicht-Euklidische Geometrie um die Relativitätstheorie zu formulieren, da dies zu den einfachsten Resultaten führte. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 382 Poincarés Konventionalismus Welchen Status haben wissenschaftliche Hypothesen im allgemeinen? Obwohl wissenschaftliche Theorien auf Erfahrung beruhen, so sind sie doch weder verifizier- noch falsifizierbar durch die Erfahrung allein! Wenn wir beispielsweise ein mathematisches Gesetz finden möchten, das eine gegebene Serie von Beobachtungen beschreiben soll, dann wird üblicherweise die einfachste Linie eines gegeben Graphen von Punkten interpoliert. Die tatsächliche Kurve, die wir in unserer Theorie mit mathematischen Mitteln konstruieren, hängt sowohl von der Erfahrung als auch von der Einfachheit der Kurve ab – je einfacher die Kurve, desto mehr Punkte werden außerhalb dieser liegen. Ei f h aber Einfach b ungenau oder d k kompliziert li i t und d genau? ? Wie Wi entscheiden t h id wir i uns? ? Die interpolierte Kurve – das angenommene Gesetz – ist keine direkte Generalisierung aus der Erfahrung, denn sie korrigiert die Erfahrung! Welche Linie wir wählen (welche Theorie wir favorisieren), hängt von unseren Entscheidungen ab! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 383 Duhems Holismus Pierre [Maurice M.] Duhem ( 86 (1861-1916) 9 6) Duhem war ein bedeutender Physiker und Mathematiker,, der an der Universität von Bordeaux theoretische Physik lehrte. Auf dem Gebiet der Wissenschaftstheorie lieferte es sich einen heftigen Disput mit Poincaré. Seine bedeutendste Entdeckung, nämlich dass bei der empirischen Bestätigung einer Hypothese stets ein Gefüge weiterer Annahmen vorausgesetzt werden muss, ist als Duhem-Quine These in die Geschichte eingegangen. Wichtigste Werke The Aim and Structure of Physical Theory (1904/05) The Value of Science (1904/05) Physics of a Believer (1905) T Save To S the h Phaenomena Ph (1908) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 384 Duhems Holismus H ... sei eine Hypothese, Hypothese die überprüft werden soll A1, A2, A2 ... seien die entsprechenden Zusatzannahmen O ... sei der Beobachtungssatz, der sich aus H und A1, A2, A2 ableiten lässt. (H & A1 & A2 & A2) → O H-D-Testmodell Nun nehmen wir an, dass O nicht eintritt. Können wir daraus schließen, dass H falsifiziert wird? Offensichtlich nicht,, denn nicht-O impliziert p lediglich: g nicht (H & A1 & A2 & A2) Was äquivalent ist mit: (nicht H) oder (nicht A1) oder (nicht A2) oder (nicht A3) Wir können aus dem Fehlschlagen eines empirischen Tests nur schließen, dass entweder unsere Hypothese oder eine oder mehrere Zusatzannahmen falsch sind. Weder die Beobachtung, noch die Logik kann uns zeigen, welche der verschiedenen Annahmen wir verwerfen sollen! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 385 Duhems Holismus Entscheidungsexperimente: Nehmen wir an, wir hätten zwei sich ausschließende Hypothesen H1 und H2, und nehmen wir weiter an, an alle Zusatzannahmen, Zusatzannahmen die wir machen müssen, um diese Hypothesen zu testen, lassen sich durch ein einziges Symbol A darstellen, dann haben wir die folgenden Annahmen: H1 oder H2 (H1 und A) → O1 (H2 und A) → O2 N Nun machen h wir i einen i T Test und d finden fi d O1 und d nicht i h O2. Daraus D kö können wir i schließen, hli ß d dass: nicht (H2 und A) ⇔ (nicht H2) oder (nicht A) Holismus: Wir wissen nicht, ob H2 oder die Zusatzannahmen zur falschen Vorhersage führten. Aber: Wir waren in der Lage, eine korrekte Voraussage mit A zu machen! Unbestimmtheit: Das Argument gelingt nur, wenn wir wir wissen, dass nur eine der beiden Hypothesen korrekt ist. Wir können aber nie die Möglichkeit ausschließen, dass es weitere Hypothesen H3, ..., Hn gibt, die inkompatibel mit H1 und H2 sind. Ein Entscheidungsexperiment ist nur möglich, wenn wir alle möglichen Hypothesen erschöpfend in Betracht gezogen haben. Dazu aber sind wir nie in der Lage. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 386 Die Duhem-Quine Thesen Kein K i Experiment E i i in ist i der d Lage, L eine i einzelne i l H Hypothese h zu falsifizieren. Was auf dem Prüfstand der Erfahrung steht, ist immer eine ganze Theorie, bzw. eine Theorie zusammen mit einem ganzen Netz von Zusatzannahmen. Wenn sich aus der Theorie zusammen mit den Zusatzannahmen empirische Konsequenzen ableiten lassen, die unseren Beobachtungen oder unseren experimentellen T t widersprechen, Tests id h d dann steht t ht es uns frei, f i an einer i beliebigen Hypothese festzuhalten und die Theorie an einer anderen Stelle so zu verändern, dass sie wieder mit den empirischen Daten im Einklang steht. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 387 Kuhns Paradigmen und Revolutionen Thomas [Samuel] Kuhn (1922-1996) Kuhn gilt als einer der wichtigsten amerikanischen ik i h Wi Wissenschaftstheoretiker. h ft th tik E Er lehrte in Berkeley und später am MIT Philosophie und Wissenschaftsgeschichte. Sein wichtigstes Werk „Die Struktur wissenschaftlicher i h ftli h R Revolutionen“ l ti “ schrieb h i b er schon als Student in Havard. Er gilt als einer der wichtigsten Kritiker des Falsifikationismus. Wichtigstes Werk The Structure (1962) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie of Scientific Revolutions 388 Kuhns Paradigmen und Revolutionen Der Grundzug von Kuhns Theorie ist die Betonung des revolutionären Charakters wissenschaftlichen Fortschritts, Fortschritts wobei eine Revolution in der Wissenschaft zur endgültigen Aufgabe einer theoretischen Struktur (eines Paradigmas) führt, die durch eine andere, mit ihr unvereinbare (inkommensurable) Struktur ersetzt wird. Kuhns Vorstellung von wissenschaftlichem Wandel V Wi Vor-Wissenschaft h ft (k (keine i Prinzipien, P i i i keine k i Methoden) M th d ) Normale Wissenschaft (Prinzipien, Methoden, Schwierigkeiten) Krise (Schwierigkeiten nehmen überhand) Revolution (neue Prinzipien, neue Methoden) Normalwissenschaft (neue Prinzipien, neue Methoden, neue Schwierigkeiten) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 389 Kuhns Paradigmen und Revolutionen Paradigmen und Normalwissenschaft Normalwissenschaft ist ein Problemlösen, das sich nach den Regeln eines Paradigmas richtet. richtet Eine voll entwickelte Wissenschaft wird durch ein Paradigma geleitet: • Die Probleme und Rätsel eines Paradigmas sind entweder theoretischer oder instrumenteller Natur (Berechnung der Planetenbewegungen vs. Präzisierung teleskopischer Betrachtungen). • Das Scheitern bei der Lösung paradigmatischer Probleme wird als Scheitern des Wissenschaftlers und nicht als Scheitern des Paradigmas gewertet. • Ein Normalwissenschaftler muss dem Paradigma, in welchem er arbeitet, unkritisch gegenüberstehen. • Die Ausbildung eines Wissenschaftlers innerhalb eines wissenschaftlichen Paradigmas besteht im Lösen von Standardproblemen, der Anwendung der Theorie auf Standardsituationen sowie dem Ausführen von Standardexperimenten, die ihn mit den Methoden und Techniken des Paradigmas vertraut machen. • Probleme, die sich einer Lösung widersetzen, werden eher als Anomalien im Paradigma statt als Falsifikationen des Paradigmas betrachtet. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 390 Kuhns Paradigmen und Revolutionen Krise und Revolution Zu einer Krise kommt es, wenn: • • • • eine Anomalie die entscheidenden Grundlagen eines Paradigmas bedroht; eine Anomalie in Bezug auf soziale Erfordernisse dringlich ist; es zu viele Anomalien gibt oder die Zeitspanne ihrer Resistenz zu groß wird; sich i h ein i ein i rivalisierendes i li i d Paradigma P di einstellt. i ll Die Paradigmen lösen sich nicht so voneinander ab, dass das eine die Anomalien des anderen löst,, sondern dieser Prozess ist so zu beschreiben,, dass ein neues Paradigma g ganz g andere Fragestellungen mit sich bringt, und damit die Problemstellungen des alten Paradigmas als obsolet oder müßig betrachtet. Rivalisierende Paradigmen erachten unterschiedliche Fragen als legitim oder bedeutsam! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 391 Kuhns Paradigmen und Revolutionen Die Inkommensurabilität von Paradigmen Anhänger rivalisierender Paradigmen leben „in verschiedenen Welten“. Weil die Fragen, Problemstellungen und überhaupt die Ansicht, was eigentlich die Phänomene sind, die die Theorie zu erklären hat, für zwei rivalisierende Paradigmen so extrem unterschiedlich sind, kann es nach Kuhn kein logisches oder empirisches Argument geben, dass die Überlegenheit des einen über das andere Paradigma beweist und das darüber hinaus einen vernunftgeleiteten Wissenschaftler zwingen könnte, den Wandel zu vollziehen. ¾ Wenn zwei Paradigmen keine wissenschaftlichen Standards miteinander teilen, dann gibt es keine gemeinsamen Voraussetzungen, vor welchen sich stringente Argumentationen für und wider eine Theorie überhaupt entwickeln lassen. Rivalisierende Paradigmen sind einander inkommensurabel! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 392 Feyerabend: Anything goes Paul [Karl] Feyerabend (1924-1994) Der österreichische Philosoph Paul F Feyerabend b d beschäftigte b häfti t sich i h vorwiegend i d mit it der Wissenschaftstheorie, Erkenntnistheorie und den sozialen Folgen der Wissenschaft. In seinem wichtigsten Werk (Wider den M th d Methodenzwang) ) behauptete b h t t er, dass d d der Wissenschaftsfortschritt hauptsächlich durch Irrtümer, Irrationalitäten und abgelehnte Theorien zustande gekommen ist. Wichtigste Werke Wider den Methodenzwang (1974) Science in Free Society (1978) Wissenschaft als Kunst (1984) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 393 Feyerabend: Anything goes Wenn die wissenschaftlichen Methodologien (Verifikationismus, Falsifikationismus, l ifik i i Holismus, li Konventionalismus i li etc.)) als l Regeln l aufgefasst f f werden, die vorschreiben, wie sich ein Wissenschaftler in einer realistischen Situation entscheiden soll, dann sind diese nach Ansicht Feyerabends nicht nur wirklichkeitsfern, sondern schädlich: Der Gedanke, die Wissenschaft könne und sollte nach festen und allgemeinen Regeln g betrieben werden,, ist sowohl wirklichkeitsfern als auch schädlich. Er ist wirklichkeitsfern, weil er sich die Fähigkeiten des Menschen und die Bedingungen ihrer Entwicklung zu einfach vorstellt. Und er ist schädlich, weil der Versuch, die Regeln durchzusetzen, zur Erhöhung der fachlichen Fähigkeiten auf Kosten unserer nse e Menschlichkeit führen füh en muss. m ss Außerdem A ße dem ist der de Gedanke für fü die Wissenschaft selbst von Nachteil, denn er vernachlässigt die komplizierten physikalischen und historischen Bedingungen des Fortschritts. ... Alle Methodologien g haben ihre Grenzen,, und die einzige g ‚‚Regel‘, g , die übrigbleibt, g , lautet ‚Anything goes‘. (Paul Feyerabend, in: Wider den Methodenzwang) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 394 Feyerabend: Anything goes Wissenschaft vs. Wissenschaftsmethodologie Scharlatan: Relativ ungebundene Einführung eines neuen, noch unentwickelten Standpunktes, ohne diesen anschließend auf die Probe zu stellen. Wissenschaftler: Relativ ungebundene Einführung eines neuen, neuen noch unentwickelten Standpunktes, der anschließend der härtesten Prüfung unterzogen wird. Ein Wissenschaftler unterscheidet sich von einem Scharlatan weder darin, wie er zu seinen Thesen gekommen ist, noch in den Inhalten der vertretenen Theorie. Der Unterschied besteht darin, wie der Wissenschaftler mit seinen Hypothesen umgeht. Er ist bereit, sie in allen möglichen Fällen auf die Probe zu stellen; er arbeitet ihre Konsequenzen und internen Schwierigkeiten heraus; er berücksichtigt die Einwände gegen seine Ansicht und wird sie aufgeben, wenn sie der Kritik nicht standhält. In der Wissenschaft reicht es nicht aus, seinen Launen und Neigungen nachzugehen! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 395 Feyerabend: Anything goes Inkommensurabilität der beobachtbaren Konsequenzen einer Theorie Feyerabends Sichtweise der Inkommensurabilität von wissenschaftlichen Theorien deckt sich nur zum Teil mit der Ansicht Kuhns. Seine Sichtweise leitet sich von der Vorstellung der Theorieabhängigkeit der Beobachtung ab. In einigen Fällen können sich die Prinzipien zweier i rivalisierender i li i d Th Theorien i so radikal dik l voneinander i d unterscheiden, t h id d dass b id Theorien beide Th i keine einzige Beobachtungsaussage gemeinsam haben! In solchen Fällen ist es nicht möglich, die beiden Theorien sinnvoll miteinander zu vergleichen. Sie sind daher inkommensurabel (nicht miteinander vergleichbar). Klassische Mechanik: Physikalische Objekte besitzen eine Form, eine Masse und ein Volumen und diese Eigenschaften können nur durch physikalische Wechselwirkungen verändert werden. Relativitätstheorie: Eigenschaften wie Form, Form Masse oder Volumen existieren nicht als solche. Sie werden zu Relationen zwischen physikalischen Objekten und einem Bezugsrahmen und können daher ohne eine physikalische Wechselwirkung verändert werden, indem man von einem Bezugsrahmen zum anderen wechselt. ¾ Jeder Beobachtungsaussage über Gegenstände in der klassischen Mechanik kommt eine grundsätzlich andere Bedeutung zu als einer ähnlichen Beobachtungsaussage innerhalb der Relativitätstheorie! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 396 Wissenschaftstheorie Was ist eigentlich eine wissenschaftliche Theorie? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 397 Was eigentlich ist eine wissenschaftliche Theorie Das Problem theoretischer Terme Das Problem der Bestätigung einer Hypothese kommt dadurch zustande, dass wissenschaftliche Hypothesen über ihre stützenden Belege hinausgehen. Eine Hypothese h wie „Alle ll Raben b sind d schwarz“ h “ kann k f l h sein, obwohl falsch b hl jeder d bisher beobachtete Rabe schwarz war. Auch A h Theorien Th i gehen h üb über ih ihre B l Belege hi hinaus, und d zwar noch h viel i l weitgehender. Sie berufen sich zumeist auf ungewöhnliche und in vielerlei Hinsicht unbeobachtbare Entitäten, wie Neutrinos, Kräfte, Felder, Triebe oder Motive. o Hier stellen sich nicht nur u Probleme ob der Realität d a ä d der eingeführten g ü Entitäten, sondern auch Fragen hinsichtlich der empirischen Signifikanz der von einer Theorie postulierten Gegenstände. Wie verhalten sich theoretische Gegenstände hinsichtlich der experimentellen Daten, die eine Theorie stützen bzw. widerlegen? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 398 Der klassische (syntaktische) Ansatz Eine wissenschaftliche Theorie ist eine Menge von Sätzen, die in einer Sprache mit spezifischem Vokabular und klar angegebener Struktur formuliert sind. Theoretische Prinzipien mathematisch formulierte Axiome der Theorie Beispiel: P x V = const. Korrespondenzregeln Verfahren der Messung der einzelnen Symbole Beispiel: p sei der Druck an einem Druckmessgerät SS 2010 Rudolf Carnap (1891-1970) Theoretische Terme Grundbegriffe der Theorie, die sich nicht auf Beobachtbares beziehen Beispiel: kinetische Energie, Positron Beobachtungsterme Ausdrücke, die einen empirischen Gehalt besitzen Beispiel: ist rot, wiegt 3 Tonnen Einführung in die Theoretische Philosophie 399 Der klassische (syntaktische) Ansatz Uninterpretierte Formelsysteme und Korrespondenzregeln Theorien als solche sind dem syntaktischen Ansatz zufolge uninterpretierte Mengen von Sätzen, die in bestimmten mathematischen oder logischen Beziehungen zueinander stehen. Korrespondenzregeln dienen als ein Mittel, durch das den theoretischen Termen in den Prinzipien der Theorie eine beobachtungsbezogene (oder messbare) Bedeutung verliehen wird. Erst dadurch wird den Theorien empirischer Gehalt verliehen. Operationalismus: Ein theoretischer Term ist synonym mit der „Menge von Operationen“, durch die er bestimmt oder gemessen wird. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 400 Der klassische (syntaktische) Ansatz Verdienste der klassischen Position Klärung des Unterschieds zwischen einer Theorie als solcher (als uninterpretierte Menge von Prinzipien) und dem Bereich, der zur Anwendung einer Theorie gehört (Interpretation der theoretischen Terme mittels Korrespondenzregeln) Wenn man eine Menge von Erklärungsprinzipien als „Theorie Theorie“ bezeichnet bezeichnet, so ist das unabhängig davon, in welchem Grade diese Prinzipien untermauert sind. Manche Theorien sind gut bestätigt, andere nicht. Erläuterung, g, wie Theorien,, welche theoretische Terme wie „„Kraft“,, „„Feld“,, „„das Unbewusste“ usw. verwenden, empirische Signifikanz erlangen können Eine Theorie hat nach der klassischen Auffassung nur dann empirische Signifikanz, wenn sie prüfbare Konsequenzen besitzt. Korrespondenzregeln bauen eine Brücke zwischen theoretischen Prinzipien und Fakten der Beobachtung. Anwendung des hypothetisch-deduktiven Theoriemodells Die Hypothesen (Prinzipien) einer Theorie sollen einerseits die beobachtungsbezogenen Konsequenzen erklären und werden umgekehrt durch diese bestätigt. Unterscheidung zwischen Entdeckungs- und Bestätigungsdimension: Die philosophische Analyse wissenschaftlicher Theorien muss sich ausschließlich um die Funktion der Hypothesen kümmern. Die Umstände, unter denen eine Theorie entdeckt und aufgestellt worden ist, gelten als belanglos. Worauf es ankommt, ist die begriffliche Struktur der Theorie und die Verfahren, Verfahren mit deren Hilfe man sie auf die Probe stellen kann. kann SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 401 Der klassische (syntaktische) Ansatz Probleme der Unterscheidung zwischen Theorie und Beobachtung Was als die Daten einer Theorie gilt, das hängt von den Theorien im Hintergrund ab. gibt es in der Wissenschaft g gar keine Beobachtungsdaten. g Ohne Theorien g Beobachtungsaussagen können nur so genau sein, wie das begriffliche Gerüst der Sprache (Theorie), das sie verwenden. In der Physik beispielsweise ist der Begriff „Kraft“ ein präziser Ausdruck, weil er eine zentrale Rolle in der Newtonschen Mechanik spielt; in der Alltagssprache ist der Begriff „Kraft“ nur ungenau, weil unsere Alltagstheorien mannigfaltig und ungenau sind. Präzise formulierte Theorien sind Voraussetzung für präzise Voraussagen. Jede Beobachtungsaussage ist fehlbar. Um die Wahrheit einer Beobachtungsaussage (wie „Dies ist ein Stück Kreide.“) nachzuweisen, muss man sich auf eine oder mehrere Theorien stützen; und je zuverlässiger die Gültigkeit nachgewiesen werden soll, desto umfassender muss das herangezogene theoretische Wissen sein. Beobachtungsaussagen sind ebenso fehlbar wie die Theorien, derer sie bedürfen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 402 Der semantische Ansatz Modelle statt uninterpretierte Formelsysteme Bas van Fraassen *1941 Ein theoretisches Modell postuliert eine Menge von Gegenständen, deren Eigenschaften und Verhalten durch spezifische Gesetze wiedergegeben wird. Ein Newtonsches Teilchensystem ist ein Modell mit Teilchen Massepunkten, das die drei Newtonschen Bewegungsgesetze erfüllt. als Das Molekularmodell des Gases ist ein Modell, in dem die Moleküle durch elastische Kugeln wiedergegeben werden, die in einem abgeschlossenen Raum M Masse und d Bewegung B h b haben und d den d G Grundgesetzen d t d statistischen der t ti ti h M h ik Mechanik unterliegen. ¾ Ein Modell ist eine idealisierte Wiedergabe eines realen, realen physikalischen Systems. ¾ Für ein Modell kann es verschiedene sprachliche Formulierungen geben. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 403 Der semantische Ansatz Isomorphie (Strukturgleichheit) Nach der semantischen Auffassung bestehen Theorien aus Modellen sowie aus der empirischen Hypothese, dass die Modelle die Welt in bestimmten Hinsichten annähernd wiedergeben. Insofern diese Wiedergabe gelingt – insoweit das Modell den Daten angemessen ist – besitzt die Theorie erstens ein Erklärvermögen und kann zweitens durch die Daten gestützt werden. Modell M Isomorphie • Idealisierte Id li i t Gegenstände G tä d • Beziehungen zwischen Erklärung diesen Gegenständen • Gesetze, Gesetze die das Verhalten B täti Bestätigung dieser Gegenstände bestimmen SS 2010 Physikalische Struktur P • Reale R l Gegenstände G tä d • beobachtete Beziehungen zwischen diesen Gegenständen • beobachtetes Verhalten dieser Gegenstände Einführung in die Theoretische Philosophie 404 Was eigentlich ist eine wissenschaftliche Theorie? Der syntaktische Ansatz Der semantische Ansatz Fundamental sind die uninterpretierten Fundamental sind die Modelle, die Sätze der Theorie. durch die Sätze der Theorie spezifiziert f werden. d Eine Theorie gilt als bestätigt, wenn sich aus deren Prinzipien (ihre H Hypothesen, th N t Naturgesetze) t ) mittels itt l der d Korrespondenzregeln empirische Konsequenzen ableiten lassen. Eine Theorie gilt als bestätigt, wenn das durch Sätze der Theorie b beschriebene h i b M d ll (weitgehend) Modell ( it h d) isomorph zu einem realen, physikalischen System ist. Wissenschaftler „konstruieren“ eine abstrakte Wissenschaftssprache, aus der sich mittels weiterer Regeln beobachtbare Konsequenzen ableiten lassen. Wissenschaftler „konstruieren“ ideale, abstrakte Modelle für reale Zusammenhänge in der Welt (empirische Systeme). SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 405 Philosophische Fakultät Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Dr. Holm Bräuer 5. Metaphysik SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 407 Wie die Metaphysik zu ihrem Namen kam ... Aristoteles (384-322 v. Chr.) Aristoteles gehört zu den berühmtesten und einflussreichsten Philosophen der griechischen Antike. Er studierte 20 Jahre an Platons Akademie zuerst als Student, Akademie, Student später auch als Lehrer. Später ging er nach Makedonien, wo er Lehrer von Alexander des Großen war. Als Alexander König wurde, kehrte Aristoteles nach Athen zurück und g gründete seine eigene g Philosophenschule, das Lykeion. Organon Physik Metaphysik Nikomachische Ethik Politik τα μετα τα ϕυσικα dasjenige, was nach der Physik kommt Metaphysik SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 408 Die Metaphysik des Aristoteles Die vierzehn Bücher der Metaphysik des Aristoteles stellen kein einheitliches Werk dar: Erstes Buch: Metaphysik p y als eine Wissenschaft der ersten und obersten Ursachen oder Prinzipien Zweites Buch: Metaphysik als die Erforschung der Wahrheit Sechstes Buch: Metaphysik als die Wissenschaft des Seienden als Seiendem Sechstes und zwölftes Buches: Metaphysik als philosophische Gotteslehre („Theologie“) Substanzbücher (Bücher 7 bis 9): Metaphysik als Lehre von den ersten Prinzipien der wahrnehmbaren und veränderlichen Substanzen SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 409 Die Metaphysik des Aristoteles Wissenschaft vom Seienden als Seiendem Seiendes in seinen Attributen Seiendes als solches Akzidenzien Substanzen (existiert als „Hinzukommendes“) (existiert unabgeleitet als solches) veränderliche, wahrnehmbare Substanz unveränderliche, göttliche Substanz Ontologie Theologie erste Ursachen und Prinzipien der veränderlichen Welt SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie erste Ursachen und Prinzipien der unveränderlichen Substanz 410 Metaphysik und Ontologie bei Micraelius und Wolff metaphysica generalis allgemeine Ontologie Johann Micraelius (1597-1658) metaphysica specialis theologia rationalis (Philosophische Theologie) Christian Wolff (1679 1754) (1679-1754) cosmologia rationalis (Philosophische Kosmologie) psychologia rationalis (Philosophische Psychologie) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 411 Die Grundfrage der Ontologie Was gibt es? Was ist Bedeutung? W ist Was i t Wissen? Wi ? Was ist eine Erklärung? usw. Erfassen eines Begriffs durch eine reduktive Definition. (philosophische Analyse) a yse) W.V.O. Quine, 1908-2000 Lässt sich die Frage nach dem, dem was es gibt, durch eine philosophische Analyse beantworten??? • Was bedeutet es, dass etwas existiert? as bedeutet es, dass et etwas as existiert? e st e t • Was SS 2010 Interessant am Problem der Ontologie ist seine Einfachheit. Es kann mit drei deutschen W t Worten beschrieben b h i b werden: d „Was W gibt ibt es?“ ?“ Mehr noch, es kann mit einem einzigen Wort beantwortet werden: „alles“ – und jeder würde diese Antwort als wahr akzeptieren. Doch damit ist noch nicht mehr gesagt als dass es gibt, was es gibt. Die Möglichkeit verschiedener Auffassungen über einzelne Fälle bleibt bestehen und damit hat dann das Problem auch Jahrhunderte überlebt. (W.V.O. Quine, Was es gibt) Einführung in die Theoretische Philosophie 412 Ontologie und Metaphysik Grundbegriffe der allgemeinen Ontologie Existenz Modalität Identität Was bedeutet es, dass etwas existiert? Grundlagen der kategorialen Ontologie Dinge Eigenschaften Sachverhalte Ereignisse SS 2010 Was bedeutet es, dass etwas existiert? Einführung in die Theoretische Philosophie 413 Ontologie und Metaphysik Grundbegriffe der allgemeinen Ontologie Existenz Modalität Identität SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 414 Sein als Grundbegriff der Ontologie „Was Was bedeutet es, dass etwas existiert?“ „Sokrates S k t i t“ ist.“ existentielle Verwendung {x | x = Sokrates} ≠ ∅ „Sokrates ist ein Mensch.“ prädikative Verwendung Sokrates ∈ {x | x ist ein Mensch} sein „Cicero ist Tullius.“ Identität Cicero = Tullius „Ein Ein Mensch ist ein Säugetier. Säugetier “ inklusive Verwendung {x | x ist ein Mensch} ⊆ {y | y ist ein Säugetier} SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 415 Sein als Grundbegriff der Ontologie „Was Was bedeutet es, dass etwas existiert?“ „Sokrates ist.“ existenzielle Verwendung In der Menge aller, die es gibt, existiert einer, der mit Sokrates identisch ist. „Sokrates ist ein Mensch.“ prädikative Verwendung S k t iistt ein Sokrates i Element El t der d Menge M der d Menschen. M h sein „Cicero ist Tullius.“ Id Identität i ä Cicero ist identisch mit Tullius. „Ein Ei Mensch M h ist i t ein i Säugetier.“ Sä ti “ inklusive Verwendung Die Menge der Menschen ist Teilmenge der Menge der Säugetiere Säugetiere. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 416 Parmenides´ Existenzparadoxie Parmenides (* 510 v. Chr.) Parmenides gehört zu den Vorsokratikern, also den griechischen Philosophen die bevor Sokrates und Philosophen, besonders dessen Schüler Platon wirkten. Diese Philosophie hat in den ersten Jahrzehnten des 6. Jhds. v. Chr. mit Thales und Anaximander in Ionien und Unteritalien begonnen. (In der Zeit der Vorsokratiker hat Athen noch nicht die Monopolstellung in der Philosophie wie zu Zeiten Platons oder Aristoteles.) Aristoteles ) Parmenides gilt als der Hauptvertreter der Eleatischen Philosophie und als Vater der Ontologie. Vom Wesen des Seienden SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 417 Parmenides Existenzparadoxie Nur das, was gedacht werden kann, kann existieren. Nichtseiendes kann nicht gedacht werden. Nichtseiendes kann nicht existieren. Rekonstruktion Wenn man sinnvoll über Dinge sprechen/denken möchte, dann muss man sich auf diese beziehen können: Nur das, was gedacht werden kann (über das man etwas sagen kann), kann existieren. Diejenigen Dinge, auf die man sich sprachlich beziehen kann, müssen existieren: Nichtseiendes kann nicht gedacht werden./ Über Nichtseiendes lässt sich nichts aussagen („Platons aussagen. ( Platons Bart Bart“)) Also kann es kein Nichtseiendes geben, da es nicht möglich ist, von etwas auszusagen dass es nicht existiert. auszusagen, existiert SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 418 Parmenides Existenzparadoxie Entweder trifft A oder B zu: A Das Seiende existiert und es ist nicht möglich, nicht zu existieren. B Das Seiende existiert nicht und es ist notwendig, nicht zu existieren. Nichtseiendes kann nicht existieren. Nur das Seiende existiert und es ist nicht möglich, nicht zu existieren. Parmenides´ Existenzparadoxie Nur das,, was ist,, existiert;; und es existiert notwendigerweise. g Es ist unmöglich, dass das, was existiert, auch hätte nicht nicht existieren können. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 419 Lösungen der Existenzparadoxie Immanuel Kant (1724-1804) 1. Existenz ist keine Eigenschaft Wenn ich also ein Ding, durch welche und wie viel Prädikate ich will, (selbst in der durchgängigen Bestimmung) denke, so kommt dadurch, dass ich noch hinzusetze, hinzusetze dieses Ding ist, ist nicht das mindeste zu dem Dinge hinzu. Denn sonst würde nicht eben dasselbe, sondern mehr existieren, als ich im Begriffe gedacht hatte, und ich könnte nicht sagen dass gerade der Gegenstand meines Begriffs existiere. sagen, existiere Denke ich mir sogar in einem Ding alle Realität außer einer, so kommt dadurch, dass ich sage, ein solches mangelhaftes Ding existiert, die fehlende Realität nicht hinzu, hinzu sondern es existiert gerade mit demselben Mangel behaftet, als ich es gedacht habe, sonst würde etwas anderes, als ich dachte, existieren. (Kant, Kritik der reinen Vernunft) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 420 Lösungen der Existenzparadoxie 2. Existenz ist ein Eigenschaft höherer Ordnung Existenz ist eine Eigenschaft 2. Ordnung, also eine Eigenschaft von Eigenschaften (bzw. Mengen oder Klassen). Gottlob Frege Bertrand Russell Dieser Stuhl ist rot. „Rot“ ist eine Eigenschaft 1. Ordnung (Eigenschaft von einem Ding.) Rot ist eine Farbe. Farbe „Farbe Farbe“ ist eine Eigenschaft 2. 2 Ordnung (Eigenschaft einer Klasse.) Klasse ) Eine Eigenschaft 2. Ordnung kann nicht auf Gegenstände angewendet werden! # Dieser Stuhl ist eine Farbe. Rot ist eine Farbe. Elefanten existieren. existieren Die Menge der Farben enthält das Element ROT. Die Menge der Elefanten besitzt mindestens ein Element. Element Problem der negativen Existenzaussagen: Pegasus existiert nicht. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 421 Lösungen der Existenzparadoxie 3. Existenzquantor und Bezugsrahmen ⇒ Elefanten existieren. Es g gibt mindestens ein x,, so dass x Elefant ist. ⇒ ∃x (Elefant (x)) W V Quine R dolf Carnap Rudolf Ca nap W.V. ... wobei ∃ der sog. sog Existenzquantor, Existenzquantor x die von diesem Quantor gebundene Variable und (...) der sog. Skopus des Existenzquantors ist. Der Quantifikationsbereich [d.h. [d h die Domäne von Gegenständen, Gegenständen die die Variable als Wert annehmen darf] ist abhängig von einer Sprache oder Theorie. Die Antwort auf die Frage nach dem, dem was es gibt, gibt kann nur relativ zu einem Bezugsrahmen oder einem Sprachsystem beantwortet werden. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 422 Lösungen der Existenzparadoxie Anthony Kenny 4 Existenz 4. E i t als l Aktualität Akt lität Dinosaurier existieren nicht mehr, obwohl es früher welche gab. Es gibt zwar Tote, aber die Menschen, die sie mal waren, existieren nicht mehr. Aktualität kann einzelnen Dingen wie ein Prädikat unterster Stufe sowohl zuals auch abgesprochen werden. In diesem Sinne kann man von etwas sagen, es beginne zu existieren, existiere noch immer oder existiere nicht mehr. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 423 Die alethischen Modalitäten A Das Seiende existiert und es ist nicht möglich, nicht zu existieren. B Das Seiende existiert nicht und es ist notwendig, nicht zu existieren. g in denen die Ausdrücke „möglich“, g „notwendig“ g usw. vorkommen, Aussagen, nennt man Modalaussagen. Die Ausdrücke „möglich“, „notwendig“ usw. heißen Modaloperatoren. notwendig Das, was ist, muss der Fall sein. kontingent Das, was ist, könnte nicht der Fall sein. möglich g Das,, was nicht ist,, könnte der Fall sein. unmöglich Das, was nicht ist, kann nicht der Fall sein. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 424 Die alethischen Modalitäten Die epistemische Interpretation der Modalitäten ontologisch epistemisch notwendig a priori möglich a posteriori Beispiel: 2+2=4 Alle Schwäne sind weiß. Kripke über notwendige Sätze a posteriori und das kontingente Apriori Goldbachs Vermutung Goldbachs Vermutung besagt, dass jede gerade Zahl, die größer als zwei ist, die Summe von zwei Primzahlen sein muss. Wenn diese Vermutung wahr ist, dann handelt es sich um eine notwendige Wahrheit; wenn sie falsch ist, dann ist sie notwendig falsch. Das Urmeter in Paris g ein Stab,, dessen Länge g als Standard für das Meter dient. Ist es eine In Paris liegt notwendige Wahrheit, dass dieser Stab einen Meter lang ist? Wenn apriorische Sätze notwendig wahr sind, müssen wir dies bejahen, denn dieser Stab in Paris ist ja per Definition (a priori) einen Meter lang. Das brauchen und können wir nicht empirisch überprüfen, denn das Urmeter ist ja der Standard für jede Längenmessung. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 425 Modalitäten und mögliche Welten Mögliche Welten Es ist notwendig, dass S. Es ist möglich, dass S. w1 w1 w2 wahr h w2 wahr h w3 w3 w4 falsch w4 falsch w5 w5 ... ... Es ist unmöglich, dass S. w1 w2 wahr h w3 w4 falsch w5 ... Existieren alternative mögliche Welten tatsächlich? Realismus: Auch die anderen möglichen Welten mit ihren Einwohnern, auch wenn sie in unserer Welt nicht aktuell existieren, existieren tatsächlich und sind real. l Aktualismus: Nur diejenigen Entitäten existieren, die auch in unserer Welt existieren. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 426 Lewis´ realistische Deutung David Lewis (1941-2001) Lewis gilt als einer der wichtigsten amerikanischen Philosophen, der auf fast allen Gebieten der theoretischen Philosophie arbeitete und wichtige Beiträge lieferte. Am einflussreichsten waren vielleicht seine Arbeiten zum Begriff der möglichen Welten. Welten SS 2010 Convention. A Philosophical Study (1969) „General Semantics“ (1970) Counterfactuals (1973) „Adverbs of Quantification“ (1975) ( ) „How to Define Theoretical Terms“ (1978) „Scorekeeping in a Language Game“ (1979) „Attitudes De Dicto and De Se“ (1979) Einführung in die Theoretische Philosophie 427 On the Plurality of Worlds (1986) Lewis´ realistische Interpretation Die realistische Interpretation möglicher Welten setzt eine Pluralität von Universen voraus die genau so real sind, voraus, sind wie der Kosmos, Kosmos in dem wir leben. leben Unsere Welt ist lediglich Teil der umfassenden Realität aller Kosmen. Die anderen Welten können wir wegen der raum-zeitlichen und der kausalen Trennung von unserer Welt nicht erreichen. erreichen Es ist sinnlos nach räumlichen, räumlichen zeitlichen oder kausalen Verbindungen zwischen den Individuen der verschiedenen Welten zu fragen. In Bezug auf die Identität von Individuen in verschiedenen Welten kann der Realist aufgrund der unterstellten Realität der anderen Welten nicht behaupten, behaupten dass diese mit den Gegenstücken (counterfactuals), die in den anderen Welten existieren, identisch sind. Dass Merkel in einer anderen Welt Philosophin statt Bundeskanzlerin ist, muss demnach so analysiert werden, dass ein ihm ähnliches Gegenstück in einer anderen Welt Philosoph ist. Es gibt keine Transwelt-Identität, sondern nur Welt-gebundene Individuen, die ähnliche Gegenstücke in anderen Welten besitzen. Die anderen möglichen Welten sind nicht weniger real als unsere aktuale Welt. Der Ausdruck „aktual“ dient lediglich als indexikalischer Ausdruck, der sich auf diejenige Welt bezieht, in der er geäußert wird. Er impliziert keinen ontologischen Vorrang unserer Welt gegenüber allen anderen. Die aktuale Welt ist daher nicht diejenige Welt, die allein existiert, sondern eben diejenige Welt, in der dieser Ausdruck jeweils geäußert wird. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 428 Modalitäten und mögliche Welten Eigenschaft: Eine Eigenschaft P ist eine Funktion, die jeder möglichen Welt die Menge von Individuen zuordnet, zuordnet auf die der entsprechende Allgemeinbegriff P zutrifft. zutrifft Essentielle Eigenschaft: Ein Individuum x hat eine Eigenschaft P notwendig, wenn in jeder möglichen Welt, in der es ein Gegenstück y zu x gibt, y P besitzt. Proposition: Die Proposition, die ein Satz S ausdrückt, ist die Menge der möglichen Welten, in denen S wahr ist. Notwendigkeit: Ein Satz S ist notwendig, wenn er in allen möglichen Welten wahr ist. Eine notwendige wahre Proposition muss als die Menge aller möglichen Welten dargestellt werden. Davon gibt es aber nur eine, so dass alle notwendigen Wahrheiten miteinander identisch sind. Notwendig falsche Propositionen sind in keiner möglichen Welt wahr sind und müssen damit als die leere Menge von Welten dargestellt werden, die es ebenfalls nur einmal gibt. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 429 Plantingas aktualistische Deutung Alvin Plantinga Die aktualistische Sicht auf mögliche Welten wird u.a. von Alvin Plantinga vertreten Er lehrt an der Universität von vertreten. Notre Dame (Indiana) und ist vor allem durch seine religionsphilosophischen wie auch seine ontologischen Arbeiten bekannt geworden. geworden „Transworld Identity or Worldbound ( ) Individuals“ (1973) The Nature of Necessity (1974) „Actualism and Possible Worlds“ (1976) „How to be an Anti-Realist“ (1982) „Two Concepts of Modality. Modal Realism and Modal Reductionism“ (1987) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 430 Plantingas aktualistische Interpretation Nichtreduktivität Mögliche Welten sind maximale, kohärente, mögliche Tatsachen, d.h. abstrakte Entitäten, die realisiert sein können oder nicht. Nur eine einzige dieser möglichen maximalen Tatsachen besteht: unsere aktuale Welt. Ein Gegenstand x existiert in einer möglichen Welt w, wenn es unmöglich ist, dass w aktual ist, ohne dass x existiert. Existenz ist keine echte Präsenz in einer Welt, sondern sondern sie wird kontrafaktisch behauptet: Würde die Welt w aktual sein, dann würde x existieren. Ein Aktualist nimmt an, dass die Rede von ein und demselben Individuum in verschiedenen Welten sinnvoll ist. Wenn wir also behaupten, dass Merkel auch Philosophin sein könnte, dann sagen wir etwas über die aktuale Merkel aus und nicht über irgendein ähnliches Gegenstück von Merkel in einer anderen Welt (Transwelt-Identität). SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 431 Identität Identität und Existenz In der Logik wird der Begriff der Existenz oft über den Begriff der Identität eingeführt: a existiert i i =def Es E gibt ib mindestens i d ein i x, so dass d gilt: il x = a. Formen der Identität • numerische vs. qualitative Identität (Selbigkeit vs. Gleichheit) • notwendige vs. kontingente Identität • absolute vs. relative Identität • synchrone vs. diachrone Identität SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 432 Eigenschaften der Identität Reflexivität Symmetrie Transitivität x=x x=y→y=x x=y&y=z→x=z Leibniz´ Gesetz x = y ↔ ∀F [F(x) ↔ F(y)] Ununterscheidbarkeit des Identischen x = y → ∀F [F(x) ↔ F(y)] Falls x mit y identisch ist, dann stimmt x mit allen Eigenschaften von y überein. Identität des Ununterscheidbaren ∀F [F(x) ↔ F(y)] → x = y Falls x in allen Eigenschaften mit y übereinstimmt, dann ist x identisch mit y. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 433 Identitätsbedingungen als methodisches Mittel zur Klärung ontologischer Fragestellungen g g „No entity without identity.“ W.V. Quine Bündeltheorien Identität des Ununterscheidbaren ∀F [F(a) ↔ F(b)] → a = b Essentialismus (Substanzentheorie) Substanz-Kriterium ∀Fe [Fe(a) ↔ Fe(b)] → a = b Haecceitas Haecceitas-Kriterium ∀Fhaec [Fhaec(a) ↔ Fhaec(b)] → a = b B Bare P tik l Partikulars (S b t tth (Substrattheorie) i ) Substrat-Kriterium ∃z [S(z, a) & S(z, b)] → a = b Raum-Zeit-Regionen Lemmon Kriterium SS 2010 (xa, ya, za, ta) = (xb, yb, zb, tb) → a = b Einführung in die Theoretische Philosophie 434 Diachrone Identität Theseus´ Schiff Fall 1: Stellen wir uns ein Schiff aus Holz vor und nennen es S zu t1. Nun werden d di Teile die il von S im i Laufe f der d Zeit i alle ll durch d h neue Teile il ersetzt bis bi zu einem Zeitpunkt t2, zu dem das Schiff vollständig aus ersetzten Teilen besteht. Nennen wir dieses Schiff zum Zeitpunkt t2 entsprechend Sneu. Frage: Ist S identisch mit Sneu? Fall 2: Stellen wir uns nun vor, vor die alten Teile des Schiffes S werden jedes Mal in irgendein Lagerhaus gebracht, so dass, nachdem das ganze Schiff erneuert wurde, das alte Schiff aus den alten Teilen zum Zeitpunkt t2 woanders wieder aufgebaut g werden kann. Nennen wir nun das wiederaufgebaute g Schiff Salt. Frage: Ist S identisch mit Salt? Problem: Das restaurierte Schiff Sneu und das wieder aufgebaute Schiff Salt sind zwei (numerisch) verschiedene Schiffe. Mit welchem der beiden ist S identisch? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 435 Diachrone Identität Perdurantismus vs. Endurantismus Salt Endurantismus S t0 S t1 Sneu t2 Perdurantismus t zeitliche Teile von Salt S ist zeitlicher Teil von Salt und zeitlicher Teil von Sneu zeitliche Teile von Sneu t0 SS 2010 t1 Einführung in die Theoretische Philosophie t2 t 436 SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 437 Ontologie und Metaphysik Kategoriale Ontologie Dinge Eigenschaften Sachverhalte Ereignisse SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 438 Dinge und ihre Eigenschaften Dinge sind konkret (räumlich und zeitlich lokalisierbar) Dinge sind den Sinnen zugänglich Dinge sind partikulär Dinge verändern sich Dinge existieren nur kontingenterweise Dinge und ihre Eigenschaften (Universalienstreit): Dinge sind irreduzibel und ontologisch basal (Nominalismus) Dinge sind komplex und ontologisch abgeleitet (Realismus) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 439 Das Universalienproblem Der Tisch ist rot. Sokrates ist weise. Die Blume ist schön. Gibt es so etwas wie die Röte, die Weisheit oder die Schönheit – also abstrakte (vs. konkrete) bzw. universale (vs. partikuläre) Entitäten? Realismus Nominalismus Tropentheorie Ja, es gibt universale Gegenstände. Nein, es gibt keine universalen Gegenstände. Wir h b haben es nur mit i konkreten Einzeldingen zu tun, von on denen gewisse ge i e Eigenschaften „ausgesagt“ werden. Eigenschaften sind konkret und gegenüber den Ei Einzelgegenständen l ä d basal. ante rem SS 2010 in re Einführung in die Theoretische Philosophie 440 Universalienrealismus Bündeltheorie Zwei Eigenschaften sind kopräsent, wenn sie an derselben Raumzeitstelle auftreten. Konkrete Einzelgegenstände sind Mengen (Bündel) von Eigenschaften, die in der Relation der Kopräsenz zueinander stehen. Zwei Dinge nur dann voneinander unterscheiden, wenn sie sich mindestens in einer Eigenschaft unterscheiden. Völlige Übereinstimmung kopräsenter Eigenschaften impliziert daher Identität der entsprechenden Gegenstände: Die Identität des Ununterscheidbaren ∀F [ [F(x) ( ) ↔ F(y)] (y)] → x = y Einschränkung: Zwei Einzeldinge lassen sich nur dann voneinander unterscheiden, wenn sie sich in mindestens einer intrinsischen Eigenschaft g unterscheiden. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 441 Universalienrealismus Bare Particulars Theorie Konkrete Einzeldinge sind Komplexe aus zwei Konstituenten, einem eigenschaftslosen Substrat (bare particular) und einem Bündel von Eigenschaften, die diesem Substrat jeweils zukommen. Ein bare particular ist das, das was übrig bleibt, bleibt wenn man von allen Eigenschaften eines partikulären Dinges abstrahiert. Ein bare Ei b particular ti l i t der ist d T ä Träger d der Ei Eigenschaften h ft eines i k k t konkreten Einzelgegenstandes. Ein bare particular ist der letzte Grund der Individualität eines Dinges und damit der Garant für die numerische Verschiedenheit. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 442 Universalienrealismus Tropentheorie Konkrete Einzelgegenstände sind Mengen (Bündel) kopräsenter Tropen. Tropen sind konkret: sie existieren an ganz bestimmten Stellen im Raum und in der Zeit. Keine zwei konkreten Eigenschaften können zur selben Zeit an mehreren verschiedenen Orten vorkommen. vorkommen Ein konkreter Diamant ist z.B. eine Menge besonderer, konkreter Fälle von Härte, Hä t D Durchsichtigkeit, h i hti k it Glanz, Gl K i t ll t kt Kristallstruktur, M Masse, S lidität Solidität, Temperatur usw. Begriffe: Tropen, abstract particulars, cases, Eigenschaftsinstanzen SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 443 Probleme der Bündeltheorie Max Blacks identische Kugeln Die Bündeltheorie leidet unter der Schwierigkeit, dass nicht alle Autoren anerkennen, anerkennen dass es nicht zwei numerisch verschiedene Einzelgegenstände geben kann, die in allen intrinsischen Eigenschaften genau übereinstimmen. Black Max: „The Black, The Identity of Indiscernibles“ Indiscernibles (1952) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 444 Probleme: bare particulars und Tropentheorie Bare Partikulars Theorie Widersprüchlichkeit Einem eigenschaftslosen Substrat dürfte die Eigenschaft „Träger von Eigenschaften zu sein“ nicht zukommen, doch diese Eigenschaft kommt ihm wesentlich zu. Infiniter Regress Unter welchen Umständen handelt es sich um zwei und nicht um ein und denselben Träger? Braucht es nicht wiederum etwas, das die numerische Verschiedenheit der bare particulars begründet? Tropentheorie Ähnlichkeit Worauf ist die Ähnlichkeit zweier Gegenstände zurückzuführen, wenn es keine Eigenschaften gibt, die diese begründen könnten? Lokalisierung Tropen sind als konkrete Entitäten nicht exklusiv. Die Farbe, das Gewicht und die Form einer einzelnen Erbse kommen alle an derselben Raumzeitstelle vor. Es ist nicht leicht dieser Idee einen präzisen Sinn abzugewinnen leicht, abzugewinnen, der nicht kontraintuitiv ist ist. Ultraessentialismus vs. Antiessentialismus Unseren Alltagsintuitionen zufolge kommen einem Ding mache Eigenschaften wesentlich (essentiell) zu, während ihm andere nur zufällig g ((akzidentiell)) zukommen. Ein ding g verändert sich,, wenn es akzidentelle Eigenschaften g annimmt bzw. verliert. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 445 Nominalismus Warum gibt es keine Universalien? Multiple Exemplifizierung Kann ein und dieselbe Entität an verschiedenen Orten und Zeiten gleichzeitig präsent sein? Ist die Aussage „Die Röte ist 10 Meter von sich selbst entfernt.“ sinnvoll? Identitätsbedingungen Die Frage, wann zwei Eigenschaften E1 und E2 identisch sind, lässt sich nicht klar beantworten. (no entity without identity) Ockhamsches Rasiermesser Wenn zwei Theorien dieselbe explanative Stärke besitzen, dann ist diejenige zu vorzuziehen, i h welche l h mit it weniger i i d ibl irreduziblen A Annahmen h auskommt. k t SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 446 Nominalismus Spielarten des Nominalismus Strikter Nominalismus Idee: Es ist eine basale,, irreduzible Tatsache der Welt,, dass verschiedene Gegenstände in ihren Eigenschaften übereinstimmen. Es muss keine besonderen universalen Entitäten geben, um diese Tatsache zu erklären! „Sokrates ist weise“ ist wahr, genau dann wenn: (i) „Sokrates“ ein Individuum benennt, und (ii) das von „Sokrates“ benannte Individuum eines der Individuen ist, auf welches den Ausdruck „ist weise“ zutrifft. Man muss nicht behaupten, Sokrates sei weise, wenn Sokrates die Eigenschaft d Weisheit der h b i besitzt. Statt dessen d k können wir behaupten, b h d dass Sokrates k weise ist, wenn der Ausdruck „ist weise“ auf Sokrates zutrifft. Das Zutreffen eines Ausdrucks auf einen konkreten Einzelgegenstand ist eine irreduzible Tatsache. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 447 Nominalismus Spielarten des Nominalismus Metalinguistischer Nominalismus Aussagen g über abstrakte oder universale Gegenstände g sind implizit p metalingustisch: sie sind versteckte Weisen, um über sprachliche Ausdrücke zu sprechen. (Roscelin, Abelard William von Ockham, Rudolf Carnap, Wilfrid Sellars) Sätze, die scheinbar Aussagen über universale Gegenstände beinhalten, werden als Sätze analysiert, in denen über allgemeine Ausdrücke (über nomina) gesprochen wird. Der Charakter der Allgemeinheit oder Universalität kommt nicht besonderen Entitäten wie Eigenschaften zu; sie hat – so die Ansicht der metalinguistischen Nominalisten - ihre Wurzeln in der Sprache. Sprache Ausdrücke, Ausdrücke nicht Entitäten, Entitäten können universal sein, indem sie auf mehrere konkrete Dinge zutreffen können. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 448 Nominalismus Spielarten des Nominalismus Konstruktiver Nominalismus Idee: Prädikate wie „Röte“, „Tapferkeit“, „Schönheit“ usw. stehen nicht für Eigenschaften, sondern für Mengen konkreter Einzelgegenstände. “schwarz“ denotiert die Menge A = {1, 5, 8, 9, 10, 12, 13} “schön“ denotiert die Menge D = {4, 7, 8, 9, 11, 12, 13} Wenn wir nun sagen, dass der Tisch schwarz ist, dann können wir das so rekonstruieren, dass wir damit sagen, dass ein spezieller Einzelgegenstand, beispielsweise hier die Nummer 8, ein Element der Menge der roten G Gegenstände, tä d also l hier hi der d Menge M A ist. i t Wir haben damit Eigenschaften auf Dinge und Mengen zurückgeführt. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 449 Nominalismus Bezugnahme auf abstrakte Entitäten Tapferkeit ist eine Tugend. Rot ist eine Farbe. Problem: Während „Tapferkeit ist eine Tugend“ein wahrer Satz ist, ist die Aussage „Tapfere Menschen sind tugendhaft.“ falsch! Strikter Nominalismus Tapfere Menschen sind tugendhaft. Metalinguistischer Nominalismus „Tapferkeit“ ist ein Tugend-Prädikat. Konstruktiver Nominalismus Rote Dinge sind farbig. Problem: Ersatz nichtlinguistischer Universalien durch linguistische Universalien „Rot“ ist ein Farb-Prädikat. Problem: Koextensionalität, Mengenzugehörigkeit Die Menge g der Farben enthält als Element die Menge g der roten Gegenstände. g Die Menge der Tugenden enthält als Element die Menge der Tapferen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 450 Konstruktiver Nominalismus Koextensionalität Lebewesen mit Nieren Lebewesen mit Herz w1 w2 w3 w4 w5 ... w1 w2 w3 w4 w5 ... {a, b, c, d} {a, b, c} {c, d} {a d} {a, {∅} {a, b, c, d} {a, b, c} {a, b} {b c, {b, c d} {∅} Mengenzugehörigkeit Ein Gegenstand x gehört genau dann zur Menge M, M wenn er dem Gegenstand a ähnlich ist und a ein paradigmatischer Gegenstand für M ist, d.h. wenn er zu der von a konstituierten Ähnlichkeitsklasse gehört. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 451 Dinge und ihre Eigenschaften Realismus Bündeltheorie Bare Particulars Tropentheorie Eigenschaften sind basal und abstrakt basal und abstrakt basal und konkret Dinge sind Bündel kopräsenter Eigenschaften g Komplexe aus Bündeln von Eigenschaften g und einem Substrat als dem Träger derselben Bündel kopräsenter Eigenschaften g Probleme Leibniz-Prinzip Widersprüchlichkeit Infiniter Regress Ähnlichkeit Lokalisierung Essenzen? Ultraessentialismus Antiessentialismus Ultraessentialismus Nominalismus Strikter Nominalismus Metalinguistischer Nominalismus Konstruktiver Nominalismus Eigenschaften beruhen auf irreduziblen Tatsachen der Welt haben einen metalinguistischen Charakter a) sind Mengen b) sind Funktionen Di e sind Dinge i d b basal l und d konkret k k t b basal l und d konkret k k t b basal l und d konkret k k t Probleme Bezugnahme auf abstrakte Entitäten Linguistische Universalien Koextensionalität Ähnlichkeit SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 452 Was spricht für Sachverhalte? 1. Die Erfolglosigkeit von Nominalismus und Realismus Weder die (realistische) Reduktion von Dingen auf Bündel von Eigenschaften, noch die (nominalistische) Elimination der Eigenschaften scheinen erfolgreich zu sein. i 2. Der unauflösbare Zusammenhang von Dingen und Eigenschaften „... wir nehmen Dinge, Eigenschaften und Beziehungen nie abgesondert und für sich wahr ..., sondern immer nur im Zusammenhang von Sachverhalten.“ (Erwin Tegtmeier) 3. Das Wahrmacher-Prinzip (truth-maker principle) Wenn der Satz „Dieser Tisch ist rot.“ wahr ist, dann muss der Sachverhalt des Rot-seins des Tisches existieren. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 453 Sachverhaltskonzeptionen Sachverhalte sind konkrete, partikulare Entitäten, deren Konstituenten i k k konkrete Entitäten iä ( i (Dinge, k k konkrete Eigenschaften) i h f ) sind. (David Armstrong) Sachverhalte S h h lt sind i d abstrakte b t kt E tität Entitäten, d deren K Konstituenten tit t konkrete und abstrakte Entitäten (Dinge, abstrakte Eigenschaften) sind. (Betrand Russell) Sachverhalte sind abstrakte Entitäten, deren Konstituenten nur abstrakte Entitäten sind. (Gottlob Frege) Sachverhalte sind ontologisch basal und nicht aus anderen Entitäten zusammengesetzt. g Dinge g oder Eigenschaften g sind Abstraktionen aus und nicht Konstituenten von Sachverhalten. (Francis Bradley) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 454 Sachverhalte Identitätsbedingungen für Sachverhalte? Über jeden Gegenstand lassen sich endlos viele wahre Aussagen treffen: Dieser Tisch ist rot. Dieser Tisch ist einen Meter hoch. Dieser Tisch hat vier Beine. ... Diese Sätze haben alle unterschiedliche Wahrmacher! Die Schwierigkeit anzugeben, in wie viele Tatsachen der Tisch tatsächlich involviert ist, lässt zu dem Schluss kommen, dass wir über keine zuverlässigen Identitätskriterien für Tatsachen verfügen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 455 Donald Davidson: Gibt es Ereignisse? Donald Davidson (1917 – 2003) Davidson gilt als einer der prominentesten Vertreter der analytischen Philosophie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine A f ät auff den Aufsätze d G bi t Gebieten d Semantik, der S tik der d Erkenntnistheorie, der Philosophie des Geistes sowie der Ontologie waren sehr einflussreich. Davidsons großes Vorbild war W.V. Quine, an dessen Position er kritisch und konstruktiv angeschlossen hat. „The Logical Form of Action Sentences“ (1967) „Truth and Meaning“ (1967) „On Saying That“ (1968) „Events as Particulars“ (1970) „Mentall Events““ (1970) ( 9 0) „Radical Interpretation“ (1973) „A Coherence Theory of Truth and Knowledge“ (1983) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 456 Donald Davidson: Gibt es Ereignisse? Doris singt. Doris singt. Doris exemplifiziert die Eigenschaft des Singens. Es gibt ein Ereignis, welches ein Singen und von Doris ist. ∃e (e ist ein Singen & e ist von Doris) Singen (d) Doris singt bei Nacht laut in ihrem Wohnzimmer. „Doris“, „bei Nacht“, „laut“ und „in Doris´ Wohnzimmer“ stehen in der vierstelligen Relation des Singens. Singen (d, nachts, laut, im WZ) SS 2010 g bei Nacht laut in ihrem Doris singt Wohnzimmer. Es gibt ein Ereignis, welches ein Singen ist von ist, on Doris Do is ist, ist bei Nacht stattfindet, stattfindet laut ist und in Doris` Wohnzimmer stattfindet. ∃e (e ist ein Singen & e ist von Doris & e ist bei Nacht & e ist laut & e ist im Wohnzimmer) Einführung in die Theoretische Philosophie 457 Was sind Ereignisse? Ereignisse als Elemente von Kausalbeziehungen Ereignisse sind genau dann miteinander identisch, wenn sie dieselbe kausale Rolle besitzen. (D. Davidson) Ereignisse als Raum-Zeit-Zonen Ereignisse sind genau dann miteinander identisch, wenn sie dieselbe Raumzeitstelle ausfüllen. ausfüllen (W.V.O. (W V O Quine) Ereignisse als Exemplifikationen von Eigenschaften Ereignisse sind genau dann miteinander identisch, wenn sie denselben Träger besitzen, dieselbe Eigenschaft exemplifizieren und zur selben Zeit vorkommen. (J. Kim) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 458 Ereignisse als Elemente von Kausalbeziehungen Identitätskriterium: Elemente von Kausalbeziehungen „Ereignisse sind dann und nur dann identisch, wenn sie genau dieselben Ursachen und Wirkungen haben“ (Donald Davidson) ∀ u, w ((u verursachte e1) ↔ (u verursachte e2) & (e1 verursachte w) ↔ (e2 verursachte w)) → e1 = e2 Probleme Ereignisse vs vs. Zustände: Akzeptiert man die kausale Rolle als Identitätsbedingung für Ereignisse, so stellt sich die Frage, ob diese nicht auch in genauer Entsprechung für Zustände gelten muss. Zirkularität: Im Explans kommen die Variablen u und w vor, welche für Entitäten stehen, die als Ursachen und Wirkungen von Ereignissen in Frage kommen. Als Ursachen und Wirkungen jedoch gelten wiederum Ereignisse. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 459 Ereignisse als Raum-Zeit-Zonen Identitätskriterium für Ereignisse (Lemmon-Kriterium) „we may ... identify events with space-time-zones“ (E.J. Lemmon) „... physical objects are well individuated, being identitical if and only if spatiotemporally identical. (W.V. Quine) ∀ x,y,z,t (x,y,z (e1) = x,y,z (e2) & t (e1) = t (e2) → e1 = e2 Probleme Drehung und Erwärmung: Stellen wir uns eine Metallkugel vor, die sich während einer bestimmten Zeitspanne erwärmt und gleichzeitig eine Drehung durchmacht. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 460 Kim: Ereignisse als Eigenschaftsexemplifikationen g p Jaegwon Kim Kim ist ein koreanisch-amerikanischer Philosoph, der derzeit an der Brown University lehrt. lehrt Er beschäftigt sich vor allem mit der Philosophie des Geistes, der Ontologie sowie der Wissenschaftstheorie. „Events E t and d Their Th i Descriptions“ D i ti “ (1969) „Events as Property Exemplifications“ (1976) „Psychophysical Supervenience“ (1982) „Mental Causation in a Physical World World“ (1993) Supervenience and Mind (1993) Philosophy of Mind (1996) Mind in a Physical World (1998) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 461 Kim: Ereignisse als Eigenschaftsexemplifikationen g p Identitätsbedingung für Ereignisse x = y & P = Q & t1 = t2 → [x, P, t1] = [y, Q, t2] K Kanonische i h Notation: N t ti [ P, [x, P t] x ... der d Träger T ä von e P ... die konstitutive Eigenschaft von e t ... die Zeit des Vorkommens von e Probleme Feinkörnigkeit: Sebastian spaziert gemütlich durch Bologna. Wie viele Ereignisse finden statt? Ereignis 1: Sebastians Spaziergang. Ereignis 2: Sebastians gemütlicher Spaziergang Ereignis 3: Sebastians Spaziergang durch Bologna Nicht jeder Spaziergang ist ein gemütlicher Spaziergang und nicht jeder gemütliche Spaziergang ist ein Spaziergang durch Bologna usw. Es handelt sich um verschiedene Eigenschaften und damit um numerisch verschiedene partikuläre Ereignisse! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 462 Philosophische Fakultät Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Dr. Holm Bräuer 6. Philosophie des Geistes SS 2010 Tod und Narr aus dem Großbaseler Totentanz Einführung in die Theoretische Philosophie (Kupferstichkopie von Matthäus Merian 1621) 464 Problembereiche Ontologie Körper-Geist-Problem Erkenntnistheorie Priorität der ersten Person Problem des Fremdpsychischen Wissenschaftstheorie Problem der Methodologie Status psychophysischer Gesetze Sprachphilosophie Problem der Bedeutung mentaler Begriffe SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 465 Das Leib-Seele-Problem Gibt es neben den physischen Dingen auch noch immaterielle, geistige Entitäten, di die die di Träger ä mentaler l Eigenschaften i h f sind? i d? Dualisten Ja, es gibt immaterielle, geistige Substanzen Der Geist (die Seele) ist der Träger psychischer Eigenschaften. Problem: In welchen Verhältnis stehen die beiden verschiedenen Entitäten? Physikalisten Nein, es gibt nur physische Gegenstände. Psychische Eigenschaften treffen auf physische Gegenstände zu. Problem: Wie lässt sich dann das Bewusstsein physikalisch erklären? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 466 Geist und Welt Die charakteristischen M k Merkmale l des d Mentalen M t l und die Probleme der N t Naturalisierung li i d des G Geistes i t Empfindungen Qualitativer Erlebnischarakter Empfindungen sind in erster Linie durch ihren phänomenalen Erlebnischarakter definiert, durch das, was man erlebt oder fühlt wenn man eine Empfindung hat, fühlt, hat oder die Art, wie es ist, eine solche Empfindung zu haben. Gehirnzustände hat man, aber man erlebt sie nicht. Wie soll es überhaupt möglich sein, dass es sich irgendwie anfühlt ein bestimmtes Wahrnehmungserlebnis (z.B. (z B einer grünen Wiese) zu besitzen, wenn man dabei in einem bestimmten Gehirnzustand ist? Ei t ll Einstellungen Intentionalität Einstellungen wie Überzeugungen, Wünsche, Erwartungen, Befürchtungen usw. zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf etwas gerichtet sind, dass sie einen Inhalt besitzen. SS 2010 Manche mentalen Zustände haben einen repräsentationalen Inhalt bzw. sind auf ein bestimmtes Objekt gerichtet. Wie aber ist es möglich, dass physische Zustände dieses Merkmal aufweisen? Einführung in die Theoretische Philosophie 467 Philosophie des Geistes Substanz-Dualismus Spielarten des Physikalismus Semantischer Physikalismus Logischer Behaviorismus Identitätstheorie Funktionalismus Anomaler Monismus Supervenience-Theorie Repräsentationale Theorie des Geistes Theorie intentionaler Systeme Eliminativer Materialismus Die Naturalisierung des Geistes SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 468 Substanz-Dualismus Typische Annahmen (insbesondere der christlichabendländischen Kultur) Der Mensch besteht aus einem materiellen Körper und einer immateriellen Seele. Die Seele macht das eigentliche Selbst des Menschen aus. aus Körper und Seele sind nur während des Lebens eines Menschen miteinander verbunden Nach dem Tode löst sich die Seele vom Körper ab verbunden. ab. Die Seele benötigt für ihre Existenz keinen Körper. Sie kann auch ohne diesen, für sich selbst existieren. Während der Körper vergänglich ist, ist die Seele unsterblich. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 469 Platon über die Unsterblichkeit der Seele Platon (427 v. Chr. – 348 v. Chr.) Platon stammte aus vornehmer Familie. Unter dem Einfluss seines Lehrers Sokrates begann er sich, sich der Philosophie zuzuwenden. zuzuwenden Er gründete um 386 v.Chr. in Athen seine eigene Schule, die Akademie. Alle von Platon veröffentlichten Schriften sind überliefert. überliefert Seine Schriften sind mit Ausnahme der Apologie (Die Verteidigung des Sokrates) und einer Anzahl Briefen als Dialoge abgefasst. In seinem Werk "Der Staat" entwickelt er seine Theorie des Staat idealen Staates. Später entwickelte er seine Staatstheorie in den "Nomoi" (Gesetze) weiter. In fortgeschrittenem Alter reiste er noch zweimal nach Syrakus auf Sizilien (366 und 361), wo er den jungen Tyrannen Dionysios II unterrichtete. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 470 Platon über die Unsterblichkeit der Seele Platons Argumente für den Substanz-Dualismus (Phaidon) Der Zyklus des Entstehens und Vergehens Zu jedem Prozess, der von A nach B führt, muss es einen Prozess geben, der umgekehrt von B nach A führt. Insbesondere muss es zum Prozess des Sterbens den entsprechenden Prozess des Wiederauflebens geben. Di Seelen Die S l müssen ü sich i h nach h dem d T d und Tod d vor dem d Wi d Wiederaufleben fl b i irgendwo d aufhalten. fh lt Erinnerung Wir verfügen g über Wissen,, das wir nur vor der Geburt erworben haben können. Zu diesem Wissen g gelangen g wir dadurch, dass sich die Seele wieder daran erinnert. Also muss die Seele schon vor der Geburt existiert haben. Verwandtschaft von Seele und Ideen Während die Seele nach der Erkenntnis ewiger Ideen strebt, richtet sich der Körper auf die Welt der vergänglichen Dinge. Es gibt also eine Verwandtschaft zwischen Körper und vergänglicher Welt und Seele und der Welt der unvergänglichen Ideen. Seele als Lebensprinzip Die Seele verleiht allem, wovon sie Besitz ergreift, Leben. Wenn die Seele allem, dem sie innewohnt, Teilhabe am Leben verleiht und Teilhabe am Tod verhindert, dann kann sie nicht selbst etwas sein, dass vergänglich ist. Also ist die Seele unsterblich. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 471 Descartes res cogitans und res extensa René Descartes (1596 – 1650) Descartes war Mathematiker und gilt als Gründer des neuzeitlichen Rationalismus. Da er in einer Zeit lebte als traditionelle Ideen hinterfragt wurden, suchte er nach einer Methode, mit der man zu wahrer und gesicherter Erkenntnis kommen konnte. Sein Problem und seine Methode des systematischen Zweifels hatten einen enormen Einfluss auf die nachfolgende Entwicklung der Philosophie, was ihn zu dem „Vater der Philosophie der Neuzeit Neuzeit“ machte. Diskurs über die Methode (1637) p Meditationen über die erste Philosophie (1641) Prinzipien der Philosophie (1644) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 472 Descartes: res cogitans und res extensa Das metaphysische Argument „Zuerst: da ich weiß, dass alles, was ich klar und deutlich begreife, von Gott in der Weise gemacht werden kann, wie ich es begreife, so reicht es aus, daß ich eine Sache ohne eine andere klar und deutlich begreifen kann, damit ich sicher bin, daß die eine von der anderen verschieden ist, ... Und deshalb: gerade daraus, daß ich weiß, ich existiere, und daß ich bisher nichts anderes zu meiner Natur oder meinem Wesen gehörig bemerke, bemerke außer daß ich ein denkendes Ding bin, eben daraus schließe ich mit Recht, daß mein Wesen allein darin besteht, daß ich ein denkendes Ding bin. ... da ich auf der anderen Seite eine klare und deutliche Idee von mir selbst habe, insofern ich ein denkendes, nicht ausgedehntes Ding bin, und auf der anderen Seite eine deutliche Idee vom Körper, insofern dieser nur ein ausgedehntes nicht denkendes Ding ist, so ist, sage ich, gewiß, daß ich von meinem Körper wirklich verschieden bin und ohne ihn existieren kann. kann “ (René Descartes, Descartes Meditationen über die erste Philosophie) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 473 Descartes: res cogitans und res extensa Das metaphysische Argument Alles, was man klar und deutlich einsehen kann, ist möglich. Man kann klar und deutlich begreifen, dass man allein mit der Eigenschaft zu denken existieren kann. Man kann klar und deutlich einsehen, dass Körper ohne zu denken existieren können. Es ist möglich, dass körperliche Substanzen (res extensa) und geistige Substanzen (res cogitans) nicht identisch sind. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 474 Descartes: res cogitans und res extensa Das metaphysische Argument (1) Wenn a = b, dann ist a = b notwendig. (Identitätsprinzip) (2) Wenn a = b nicht notwendig ist, ist dann ist a ≠ b. b (Kontraposition) (3) Wenn a ≠ b möglich ist, dann ist es nicht notwendig, dass a = b. (Bedeutung des Wortes notwendig) Es ist möglich, dass körperliche Substanzen (res extensa) und geistige Substanzen (res cogitans) nicht identisch sind. Körperliche Substanzen (res extensa) und geistige Substanzen (res cogitans) sind nicht identisch. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 475 Descartes: res cogitans und res extensa Das naturphilosophische Argument „... gäbe es .... Maschinen, die unseren Körpern ähnlich wären und unsere Handlungen insoweit nachahmten, wie dies für Maschinen wahrscheinlich möglich ist so hätten wir immer zwei ganz sichere Mittel, ist, Mittel um zu erkennen, erkennen daß sie keineswegs wahre Menschen sind. Erstens könnten sie nämlich niemals Worte oder andere Zeichen dadurch gebrauchen, daß sie sie zusammenstellen, wie wir es tun, um anderen unsere Gedanken mitzuteilen. ... [Und zweitens:] Sollten diese Maschinen auch manches ebenso gut oder sogar besser verrichten als irgendeiner von uns, so würden sie doch zweifellos bei vielem anderen versagen, wodurch offen zutage tritt, daß sie nicht aus Einsicht handeln, sondern nur aufgrund der Einrichtung ihrer Organe. Organe Denn die Vernunft ist ein Universalinstrument, das bei allen Gelegenheiten zu Diensten steht, während diese Organe für jede besondere Handlung einer besonderen Einrichtung bedürfen.“ (René Descartes, Diskurs über die Methode) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 476 Positionen des Dualismus Interaktionistischer Dualismus Körper p und Geist stehen in einer kausalen Wechselwirkung. g ((Descartes,, Eccles) Parallelismus Körper und Geist sind kausal voneinander unabhängig. unabhängig Es besteht aber eine ‚prästabilisierte Harmonie‘ zwischen beiden. (Leibniz) Okkasionalismus Körper und Geist sind kausal voneinander unabhängig. Gott bringt jeweils anlässlich bestimmter Zustände im Körper bestimmte Zustände im Geist hervor und umgekehrt. (Geulincx, Malebranche) Epiphänomenalismus Zwar werden Zustände im Geist von Zuständen im Körper verursacht, aber nicht umgekehrt. (Huxley, Jackson) Eigenschaftsdualismus Zwar sind physische Dinge (biologische Organismen) Träger mentaler Eigenschaften, aber mentale Eigenschaften können nicht auf physikalische Eigenschaften zurückgeführt werden. werden (Chalmers) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 477 Interaktionistischer Dualismus Wenn Körper und Geist kausal interagieren, dann muss es einen Ort der Interaktion zwischen Geist und Gehirn geben! Wo findet sie statt? Und wie? Descartes: In der Zirbeldrüse! Die Nerven bestehen aus kleinen, biegsamen Röhrchen, durch die sich die spiritus animales bewegen. Der Geist kann dann die Zirbeldrüse so drehen, dass sich die aus ihr austretenden spiritus animales in die Nerven bewegen, die zu den entsprechenden Muskeln und damit zu Körperbewegungen führen. Eccles: Im Liaisonhirn! Der Geist kann kleine funktionelle Einheiten des Liaisonhirns abtasten und damit die Aktivität des Liaisonhirns modifizieren, od e e , was as zu u spe spezifischen sc e Erregungsmustern egu gs uste und u d da damitt u u.a. a zu u spezifischen Körperbewegungen führt. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 478 Interaktionistischer Dualismus Neurobiologische Untersuchungen haben bisher nirgends einen Anhaltspunkt für d Wirken das Wi k nicht-physiologischer i ht h i l i h Ursachen U h i unserem Gehirn in G hi ergeben. b Das kausale Eingreifen des Geistes in ein physikalisches System würde auf jeden Fall eine Änderung des Energiezustandes dieses Systems implizieren und damit in Konflikt zum Energieerhaltungssatz stehen. Frage: Wie ist es zu erklären, erklären dass der Geist eines komplexen Gehirns bedarf? Entweder ist ein Großteil unseres Gehirns überflüssig, da in ihm Probleme gelöst werden, die eigentlich in die Kompetenz des Geistes fallen, oder der Geist hat wenig oder gar nichts zu tun, da das meiste schon vom Gehirn erledigt wird. Frage: Wie kommt es, dass mein Geist auf mein Gehirn und auf kein anderes einwirken kann? Welche Relation könnte zwischen meinem Geist und meinem Gehirn bestehen, damit mein Geist auf mein Gehirn und nicht auf das Gehirn irgendeiner anderen Person einwirkt? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 479 Epiphänomenalismus Es gibt kaum Zweifel, dass alle bewussten Erlebnisse kausal abhängig von Aktivitäten bestimmter Gehirnareale sind. Wie steht es aber mit der Umkehrung? Können mentale Zustände physische Zustände verursachen? Der Epiphänomenalist sagt: Nein! „Es scheint so, daß sich das Bewußtsein der Tiere zum Mechanismus ihrer Körper nur wie eine Begleiterscheinung seiner Arbeitsweise verhält und daß es genauso wenig eine Kraft hat, hat diese Arbeitsweise zu verändern, wie die Dampfpfeife, die das Funktionieren der Antriebsmaschine einer Dampflokomotive begleitet, einen Einfluss auf deren de e Arbeitsweise be ts e se bes besitzt. t t Ihre e Willensakte e sa te ... s sind d nichts c ts weiter e te a als s eine Emotion, die physische Veränderungen anzeigt, diese Veränderungen aber nicht verursacht.“ (T.H. Huxley, 1874) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 480 Epiphänomenalismus Bewusstsein ist für Huxley nichts anderes als eine Begleiterscheinung – ein Epiphänomen – der Vorgänge im Gehirn, die für unser Verhalten verantwortlich sind, nicht deren Ursache. These: Der Geist ist kausal unwirksam! Problem: Wie können physikalische Vorgänge im Gehirn Bewusstsein verursachen? Mögliche Antwort: Mentale Eigenschaften sind emergente Eigenschaften des Gehirns. Gehirns Zombie-Problem: Unser gesamtes Leben könnte genau so ablaufen, wie i es jetzt j abläuft, blä f ohne h d dass wir i j je b bewusste E l b i Erlebnisse, Überzeugungen oder Wünsche hätten. Vielleicht sind gerade SIE ein Zombie! Oder ICH? SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 481 Philosophie des Geistes Spielarten des Physikalismus Semantischer Physikalismus Logischer Behaviorismus Identitätstheorie Funktionalismus Anomaler Monismus und Supervenience Repräsentationale Theorie des Geistes Instrumentalismus I t t li Eliminativer Materialismus SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 482 SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 483 Semantischer Physikalismus Verifikationstheorie und semantischer Physikalismus Verifikationsthese: Der Gehalt (die Bedeutung) einer Aussage ergibt sich aus den Beobachtungssätzen, die aus ihr ableitbar sind. Beobachtungssätze beschreiben unsere unmittelbaren Beobachtungen. Beobachtbar sind letzten physikalische Eigenschaften. Endes nur physikalische Gegenstände bzw. Also gibt es zu jedem bedeutungsvollen Satz einen inhaltsgleichen Satz in physikalischer Sprache, nämlich den Satz, der sozusagen die Zusammenfassung aller Beobachtungssätze besteht, die aus ihm abgeleitet werden können. Daher lassen sich alle Sätze über mentale Phänomene in Sätzen über physikalische Phänomene formulieren. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 484 Semantischer Physikalismus Rudolf Carnap Paul hat Zahnschmerzen. Carl G. Hempel „Im besonderen haben zwei verschieden formulierte Aussagen dann und nur dann dieselbe Bedeutung oder denselben faktischen Inhalt, wenn sie unter denselben Bedingungen beide wahr bzw. beide falsch sind.“ sind “ (C.G. (C G Hempel: „The The Logical Analysis of Psychology“) Paul jammert und hält sich die Wange. Auf die Frage „Was hast du denn?“ antwortet Paul „Ich habe Zahnschmerzen.“ Bei genauerer Untersuchung zeigt sich, dass einer von Pauls Zähnen kariös und der Nerv angegriffen ist. Pauls Blutdruck und Reaktionsfähigkeit sind in bestimmter Weise verändert. I Pauls In P l Zentralnervensystem Z t l t spielen i l sich i h bestimmte b ti t charakteristische h kt i ti h Prozesse P ab. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 485 Semantischer Physikalismus „Angela möchte einen Schnaps trinken“ genau dann, wenn gilt: Wenn Angela zuhause ist und sich ein Schnaps im Kühlschrank befindet, holt sich Angela den Schnaps aus dem Kühlschrank. & Wenn Angela im Restaurant ist, d dann b t llt sich bestellt i h Angela A l einen i S h Schnaps. & Wenn W man Angela A l einen i S h Schnaps anbietet, nimmt sie ihn sofort an. … Problem: Angela holt sich einen Schnaps aus dem Kühlschrank, Kühlschrank nur falls Angela auch glaubt, dass sich im Kühlschrank Schnaps befindet!!! „Angela Angela glaubt, glaubt dass im Kühlschrank Schnaps steht steht“ genau dann, dann wenn: Wenn Angela zuhause ist und ein Schnaps im Kühlschrank ist, holt Angela sich den Schnaps aus dem Kühlschrank. Kühlschrank Problem: Angela holt sich den Schnaps aus dem Kühlschrank, nur falls Angela einen Schnaps trinken möchte!!! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 486 Semantischer Physikalismus Probleme Mentale Prädikate sind in der Regel Cluster-Begriffe, die sich nicht so einfach durch die Angabe physikalischer Erfüllungs-Bedingungen definieren lassen. Es ist schwierig, die Bedingungen so zu formulieren, dass sie nicht mit Gegenbeispielen b i i l k f konfrontiert i werden d kö können. Mentale Ausdrücke lassen sich physikalischer h ik li h S Sprache h definieren. d fi i in der Regel nicht zirkelfrei in Zwar besteht zwischen Sätzen über mentale Phänomene und Sätzen über beobachtbares Verhalten ein enger Zusammenhang. Zusammenhang Aber es ist trotzdem nicht möglich, für Sätze über mentale Phänomene bedeutungsgleiche Sätze zu finden, in denen nur auf beobachtbares Verhalten Bezug genommen wird! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 487 Wittgensteins Privatsprachenargument E SS 2010 „Stellen Stellen wir uns diesen Fall vor. vor Ich will über das Wiederkehren einer gewissen Empfindung ein Tagebuch führen. Dazu assoziiere ich sie mit dem Zeichen ‚E‘ und schreibe in einen Kalender zu jedem Tag, an dem ich die Empfindung habe, dieses Zeichen. – Ich will zuerst bemerken, dass sich eine Definition des Zeichens nicht aussprechen läßt. – Aber ich kann sie doch mir selbst als eine Art hinweisende Definition geben. ... ich spreche, oder schreibe das Zeichen, und dabei konzentriere ich meine Aufmerksamkeit auf die Empfindung ... Eine Definition dient ... dazu, die Bedeutung eines Zeichens festzulegen. – Nun, das geschieht eben durch das Konzentrieren der Aufmerksamkeit; denn dadurch präge ich mir die Verbindung des Zeichens mit der Empfindung ein. – ‚Ich präge sie mir ein‘ kann doch nur heißen: dieser Vorgang bewirkt, daß ich mich in Zukunft richtig an diese Verbindung erinnere. Aber in unserem Falle habe ich ja kein Kriterium für die Richtigkeit. Man möchte hier sagen: richtig ist, ist was immer mir als richtig erscheinen wird. Und das heißt nur, daß hier von ‚richtig‘ nicht geredet werden kann.“ (Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 258) Einführung in die Theoretische Philosophie 488 Wittgensteins Privatsprachenargument Die normative Sicht auf Bedeutung Ein Ausdruck kann nur dann eine Bedeutung besitzen, wenn es für seine Anwendung Korrektheitsstandards gibt, die uns sagen, wann wir den Ausdruck richtig verwenden und wann nicht. Den Ausdruck „rot“ auf rote Dinge anzuwenden ist beispielsweise korrekt; ihn auf grüne oder blaue Dinge anzuwenden, anzuwenden, dagegen inkorrekt. Das Privatsprachenargument E Annahme 1: Für die Anwendung eines Ausdrucks muss es öffentlich zugängliche Kriterien geben, da wir ansonsten keine Korrektheitsstandards bilden können, die uns sagen, wann der entsprechende Ausdruck richtig bzw. falsch angewendet wird. wird (Die normative Sicht auf Bedeutung) Annahme 2: Wenn sich mentale Ausdrücke auf private, innere Phänomene beziehen, von denen nur die jeweilige Person selbst wissen kann, ob sie vorliegen oder nicht, dann gäbe es für diese Ausdrücke keine Korrektheitsstandards und auch keine richtigen oder falschen Anwendungen. Konklusion: Mentale Ausdrücke können sich nicht auf private, innere Phänomene beziehen, von denen nur die jeweilige Person selbst wissen kann, ob sie vorliegen oder nicht. (These von der Unmöglichkeit einer Privatsprache) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 489 Logischer Behaviorismus Gilbert Ryle (1900-1976) Ryle gilt als einer der Hauptvertreter des logischen Behaviorismus. Ryle ist ein britischer Philosoph, Philosoph der in Oxford lehrte. lehrte Er hatte einen enormen Einfluss auf die Entwicklung der analytischen Philosophie. Innerhalb der Sprachphilosophie gilt er neben Austin und dem späten Wittgenstein als ein Vertreter der Ordinary-LanguagePhilosophy. Auf dem Gebiet der Philosophie des Geistes gilt er als einer der wichtigsten Kritiker des Dualismus. „Systematically Misleading (1932) „Categories“ (1938) The Concept of Mind (1949) Dilemmas (1954) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie Expressions“ 490 Logischer Behaviorismus Methodischer Behaviorismus (Psychologie) In der Psychologie war der Behaviorismus als Reaktion auf die methodischen Probleme der Introspektion entstanden. Wenn jemand aufgrund von Introspektion über sein geistiges Innenleben berichtet, so ist keine Überprüfung seiner Aussagen möglich. Ohne Überprüfung i t – so die ist di Behavioristen B h i i t – auch h keine k i Wi Wissenschaft h ft möglich. ö li h Der D methodische th di h Ausweg A fü für die Psychologie: Sie solle auf introspektive Berichte verzichten und statt dessen das Verhalten mithilfe von Reiz-Reaktions-Mustern beschreiben. Logischer Behaviorismus (Philosophie) Parallel zu diesen methodischen Überlegungen entstand der philosophische Behaviorismus. Behaviorismus Dieser ist durch die Philosophie des Logischen Empirismus geprägt, der ganz generell unüberprüfbare Aussagen für sinnlos hält, und speziell natürlich auch solche über das mentale Innenleben qua Introspektion. Doch was sollen Berichte über mentale Zustände dann sein,, wenn diese einerseits sinnvoll zu sein scheinen,, aber als Berichte über das p private Innenleben einer Person nicht überprüfbar und daher sinnlos zu sein scheinen? Antwort: Die Beschreibungen mentaler Zustände sind nichts anderes als Verhaltensbeschreibungen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 491 Logischer Behaviorismus „Ich hoffe zu zeigen, dass [die offizielle Lehre] ganz und gar falsch ist, nicht nur in Einzelheiten, sondern grundsätzlich. ... Sie besteht aus einem einzigen großen Irrtum, einem Irrtum ganz besonderer Art, nämlich einer Kategorienverwechslung. Sie stellt gehörten sie zu die Tatsachen des Geisteslebens so dar,, als g einem bestimmten logischen Typ oder einer Kategorie ..., während sie in Wirklichkeit zu einer anderen gehören. Das Dogma ist daher ein philosophischer Mythos.“ (Gilbert Ryle, 1949) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 492 Logischer Behaviorismus Kategorienfehler Zwei Ausdrücke α und β gehören zu derselben Kategorie, wenn man den Ausdruck α in allen Kontexten, in denen die Verwendung von α sinnvoll ist, durch den Ausdruck β ersetzen kann und umgekehrt, ohne dass Unsinn entsteht. Ein Kategorienfehler liegt dann vor, wenn man einen Ausdruck α so behandelt, als gehöre er zu der Kategorie A, während er zu der Kategorie B gehört. Dualismus: Mentale Ausdrücke beziehen sich auf verborgene Ereignisse im Inneren oder im Geist eines Menschen. Es sind diese „inneren“, „privaten“ Ereignisse die sein Verhalten verursachen. Ereignisse, verursachen Logischer Behaviorismus: Mentale Ausdrücke werden verwendet, um öffentlich beobachtbare Handlungen auf eine spezifische Weise zu charakterisieren und zu beschreiben. Geistiges verursacht also kein beobachtbares Verhalten. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 493 Logischer Behaviorismus Wann ist eine Handlung intelligent? Dualist: Eine Handlung ist intelligent, wenn sie durch eine Überlegung verursacht wurde. Behaviorist: Eine Handlung wird „intelligent“ genannt, wenn sie richtig und erfolgreich ausgeführt wird, und wenn der Handelnde fähig ist, in seinem Vorgehen Fehler zu entdecken und auszumerzen, Erfolge zu wiederholen und zu vergrößern etc. etc Wann ist eine Handlung willentlich? Dualist: Eine Handlung ist willentlich, wenn sie durch einen Willensakt verursacht wurde. Behaviorist: Eine Handlung wird „willentlich“ willentlich“ genannt, genannt wenn der Handelnde die Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt, die Handlung richtig auszuführen und wenn er nicht durch äußere Umstände von der richtigen Ausführung der Handlung abgehalten g wurde. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 494 Identitätstheorie J.J.C. Smart Mentale l Zustände ä d sind i d mit i Gehirnzuständen G hi ä d a posteriori, i i aber b nicht i h begrifflich/ b iffli h/ logisch identisch. Semantischer Physikalismus: Die Ausdrücke „M M“ und „N N“ sind synonym, synonym d.h. sie treffen mit begrifflicher Notwendigkeit auf dieselben Gegenstände zu. Identitätstheorie: Die Ausdrücke „M“ und „N N“ sind nomologisch koextensional, d.h. sie treffen mit naturgesetzlicher Notwendigkeit auf dieselben Gegenstände zu. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 495 Identitätstheorie: Einwände Identisch, aber nicht begrifflich identisch? Die Identität mentaler Zustände mit physikalischen Zuständen ist nicht eine Sache unserer Sprache (semantischer Physikalismus, Wittgenstein, Ryle). Identitäten, die nomologisch und a posteriori sind, müssen wir erst entdecken. (Wasser ist mit H2O identisch; die Temperatur ist mit der mittleren kinetischen Energie der Moleküle eines Gases identisch; Blitze sind elektrische Entladungen) Vorteile Die Identitätstheorie setzt nicht voraus, dass jeder mentale Ausdruck in physikalischer Sprache definiert werden kann. kann Die Identitätstheorie bietet eine einfache Lösung für das Problem der kausalen Verursachung. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 496 Identitätstheorie: Einwände Scheineinwände „Jeder, so ungebildet er auch sein mag, kann völlig problemlos über seine Nachbilder oder Schmerzen reden ...; trotzdem weiß er vielleicht nicht das geringste i t über üb N Neurophysiologie. h i l i ... Also Al kö können di Dinge, die Di üb über di wir die i sprechen, wenn wir unsere Empfindungen beschreiben, keine Gehirnprozesse sein.“ (Smart 1959) „Man kann sinnvollerweise von einer molekularen Bewegung im Gehirn sagen, sie sei langsam oder schnell, gerade oder kreisförmig, aber es ist nicht sinnvoll, dies von der Erfahrung, g, etwas Gelbes zu sehen,, zu sagen.“ g ((Smart 1959)) „Empfindungen sind privat, Gehirnprozesse sind öffentlich. Wenn ich aufrichtig sage ‚Ich sehe ein gelb-oranges Nachbild‘ und keinen sprachlichen Fehler mache, dann kann ich mich nicht irren. Aber ich kann mich in Bezug auf einen Gehirnprozess irren.“ (Smart 1959) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 497 Identitätstheorie: Einwände Die Multirealisierbarkeit mentaler Zustände Ein bestimmter mentaler Zustand kann bei verschiedenen Personen mit unterschiedlichen neuronalen Zuständen korreliert sein. Die Korrelation zwischen mentalen und Gehirnzuständen kann sich im Laufe des Lebens dramatisch verändern. Die Neurophysiologie der meisten Tiere unterscheidet sich von der unsrigen stark. Im Prinzip spricht nichts dagegen, sich Gehirne vorzustellen, die nicht aus Nervenzellen sondern z.B. z B aus Silizium-Chips bestehen. bestehen Es ist mehr als unwahrscheinlich, dass jedem Typ eines mentalen Zustands genau ein Typ eines neurophysiologischen Zustands entspricht. Fazit: Die Identitätstheorie setzt voraus, dass es eindeutige naturgesetzliche Korrelationen zwischen mentalen Zuständen und Gehirnzuständen gibt. Aber diese scheint es nicht zu geben! SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 498 Funktionalismus Mentale Zustände sind funktionale Zustände. Hilary Putnam Jerry Fodor Funktionale Zustände sind Zustände eines Systems, die durch ihre kausale Rolle (also durch ihre Inputs und Outputs) charakterisiert e de können. ö e werden Z1 Z2 Z1 Z2 Z1 Z1 Ned Block SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 499 Funktionalismus SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 500 Funktionalismus - Einwände Einwand der seltsamen Realisierungen Es könnte Systeme geben, die die gleiche funktionale Architektur wie bewusste Menschen aufweisen, von denen wir aber nicht sagen würden, dass sie ein e usstse hätten. ätte Bewusstsein Qualia Der Funktionalismus kann die Qualia bzw. Erlebnisgehalte der mentalen Zustände nicht erklären. E te nalism s Externalismus „Gedanken sind nicht im Kopf“ (Putnam): Die interne funktionale Architektur der Gedanken „Die Ulme ist ein Baum Baum“ und „Die Buche ist ein Baum Baum“ kann die gleiche sein. Dennoch sind diese zwei Gedanken unterschiedliche Gedanken, weil sie sich auf Verschiedenes beziehen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 501 Anomaler Monismus Donald Davidson Identitätstheorie Jeder mentale Zustand (jedes mentale Ereignis) des Typs M ist mit einem i neuronalen l Z Zustand t d (E (Ereignis) i i ) des Typs N a posteriori identisch. Anomaler Monimsus Jeder mentale Zustand Jede Z stand (jedes mentale Ereignis) ist mit einem physikalischen Zustand (Ereignis) – irgendeines g Typs yp - a p posteriori identisch. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 502 Anomaler Monismus Interaktion 1. Mentale Ereignisse interagieren kausal mit physischen Ereignissen, sie können einander verursachen. Strikte Gesetze 2. Ereignisse, die einander verursachen, fallen unter ein striktes Naturgesetz. Die Anomalität des Mentalen 3. Es gibt keine strikten Naturgesetze über mentale Ereignisse. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 503 Anomaler Monismus Das Prinzip p der Leib-Seele-Interaktion Mentale Ereignisse interagieren kausal mit physischen Ereignissen, sie können einander verursachen. Diese Annahme hat eine hohe intuitive Plausibilität. Sie entspricht den Vorstellungen unseres Alltags. Es scheint selbstverständlich zu sein, dass z.B. Angst (ein mentales Ereignis) eine Fluchtreaktion (ein physisches Ereignis) verursachen kann. Umgekehrt verursacht beispielsweise ein Tritt gegen das Schienbein (ein physikalisches Ereignis) eine Schmerzempfindung (ein mentales Ereignis). SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 504 Anomaler Monismus Der Gesetzescharakter von Kausalität Ereignisse, die Naturgesetz. einander verursachen, fallen unter ein striktes Seit der berühmten Kritik des Kausalbegriffs g durch David Hume, wird von den meisten Autoren anerkannt, dass die Rede von einer kausalen Beziehung nur dann (teilweise) gerechtfertigt werden kann, wenn wir naturgesetzmäßige Verallgemeinerungen finden, die zwischen Ursache und Wirkung bestehen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 505 Anomaler Monismus Die Anomalität des Mentalen Es gibt keine strikten Naturgesetze über mentale Ereignisse. Davidsons These ist nicht, dass es grundsätzlich keine psychischen oder psychophyischen Gesetzmäßigkeiten gibt. Wir alle kennen solche Gesetzmäßigkeiten wie etwa: „Wenn jemand Hunger verspürt, dann isst er etwas.“ „Wenn jemandem ins Schienbein getreten wurde, dann verspürt er Schmerz.“ Davidson behauptet vielmehr, dass solche Gesetzmäßigkeiten immer nur einen eingeschränkten Charakter hätten (d.h. vielerlei Ausnahmen zulassen) und damit nie strikte Naturgesetze wie etwa das Newtonsche Fallgesetz sein können. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 506 Anomaler Monismus Interaktion 1. Mentale Ereignisse interagieren kausal mit physischen Ereignissen, sie können einander verursachen. 1* Einzelne mentale Ereignisse interagieren als physische Ereignisse kausal mit einzelnen physischen Ereignissen, sie können einander verursachen. Strikte Gesetze 2. Ereignisse, die einander verursachen, fallen unter ein striktes Naturgesetz. Die Anomalität des Mentalen 3. Es gibt keine strikten Naturgesetze über mentale Ereignisse. 3* Es gibt keine strikten Naturgesetze über mentale Ereignistypen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 507 Problem: Anomaler Monismus Ist eine Tokenidentität ohne eine Typenidentität verständlich? Falls ein einzelnes physikalisches Ereignis n1 (Feuern von Neuronen im Bereich xyz) identisch mit einem einzelnen mentalen Ereignis m (spezifische Bl Blauwahrnehmung) h h ) ist, i t dann d fällt dieses di einzelne i l physikalische h ik li h Ereignis E i i als l solches auch unter einem mentalen Ereignistyp M (Blauwahrnehmungen). Anomalie: Es ist möglich, möglich dass ein anderes physikalisches Ereignis n2, welches unter demselben physikalischen Typ N wie n1 fällt (Feuern von Neuronen im Bereich xyz), kein mentales Ereignis desselben Typus M (Blauwahrnehmung) realisiert. Daraus folgt: All diejenigen physikalischen Ereignisse n1 bis nn, die M realisieren, dürfen keine physikalische Eigenschaft gemeinsam haben, denn sonst würden sie auch unter denselben physikalischen Typ N fallen, was wieder zur Typenidentität führt! (Unterschied zur Identitätstheorie und zum Funktionalismus) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 508 Anomaler Monismus und Supervenience Supervenienz (lat. von super „über“, „zusätzlich“ und venire „kommen“): Eine Klasse von Eigenschaften M superveniert genau dann über einer Klasse von Eigenschaften P, P wenn es nicht möglich ist, M zu ändern, ohne P zu ändern. Slogan: Keine psychischen Unterschiede ohne physische Unterschiede. El Grecos „Blick auf Toledo“ SS 2010 ... und eine perfekte Fälschung ... die von mir beschriebene Position ... lässt sich mit der Auffassung vereinbaren, dass geistige i ti M k Merkmale l i in gewissem i Sinne von physischen Merkmalen abhängig sind oder über diesen supervenieren. Eine derartige Supervenience ließe sich in dem Sinne auffassen, dass es keine zwei Ereignisse geben kann, die in allen Hinsichten physisch gleich, aber in einer geistigen Hinsicht verschieden sind ... Supervenience dieser Art enthält nicht Reduzierbarbeit durch ein Gesetz oder eine Definition. (Davidson „Mental (Davidson, Mental Events“, Events“ 1970) Einführung in die Theoretische Philosophie 509 Fodor: Die repräsentationale Theorie des Geistes Jerry [Alan] Fodor (*1959) Jerry Fodor, einer der einflussreichsten Autoren in der Philosophie des Geistes, hat ab etwa Mitte der 70er Jahre eine recht komplexe Theorie entwickelt, die sehr viel avancierter als der Funktionalismus oder der anomale Monismus ist und behauptet, deren Hauptprobleme lösen zu können. Seine Hauptthese besagt, dass das Denken ein Prozess ist, der viele Ähnlichkeiten mit der Ausführung eines Computerprogramms hat. The Language of Thought (1975) The Modularity of Mind (1983) P Psychosemantics. h ti Th Problem The P bl off Meaning M i in the Philosophy of Mind (1987) A Theory of Content and other Essays (1990) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 510 Fodor: Die repräsentationale Theorie des Geistes Die zentralen Thesen der RTG (RT) Repräsentationsthese Sich in einem intentionalen psychischen Zustand des Typs A mit dem Inhalt p zu befinden, heißt, sich in einer funktionalen Relation RA zu einer mentalen Repräsentation r zu befinden, die die Bedeutung p hat. (LOT) These von der Sprache des Geistes Mentale Repräsentationen p haben eine syntaktische y Struktur und eine Semantik. (CT) Computationsthese Die Kausalbeziehungen zwischen intentionalen Zuständen Symbolverarbeitungsprozessen über mentale Repräsentationen. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie beruhen auf 511 RTG: Repräsentationsthese (RT) Jemand befindet sich genau dann in einem intentionalen psychischen Zustand des Typs A mit dem Inhalt p, wenn er sich in einer funktionalen Relation RA zu einer mentalen Repräsentation r befindet, die die Bedeutung p hat. Überzeugungsspeicher Wünschespeicher r1 r2 r3 r4 r5 RÜ r11 r12 r13 r14 r15 r6 r7 r8 r9 r10 RW Absichtenspeicher RA Jerry glaubt, dass Raben schwarz sind. (i) r3 hat die Bedeutung [[Raben sind schwarz]]. (ii) Jerry befindet sich in der Relation RÜ zu r3 ( 3 befindet (r b fi d t sich i h in i Jerrys J Üb Überzeugungsspeicher) i h ) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 512 RTG: Language of Thought und Computationsthese (LOT) Mentale Repräsentationen haben eine syntaktische Struktur und eine kompositionale Semantik. (CT) Die Kausalbeziehungen zwischen intentionalen Zuständen beruhen auf struktursensitiven (syntaktischen) Symbolverarbeitungsprozessen über mentale Repräsentationen. Rep äsentationen Wer F(a) glaubt, glaubt auch ∃x F(x). (i) Suche im Überzeugungsspeicher eine Repräsentation der Form F(a). (ii) Überprüfe, ob sich eine Repräsentation der Form ∃x F(x) im Überzeugungsspeicher befindet. (iii) Falls ja, gehe zu (i). (iv) Falls nein, schreibe die Repräsentation ∃ F(x) ∃x F( ) in i den d Üb Überzeugungsspeicher i h und d gehe dann zu (i). SS 2010 Wenn jemand p und <wenn p, dann q> glaubt, dann glaubt er auch q. (i) Suche im Überzeugungsspeicher eine Repräsentation der Form p. (ii) Überprüfe, Überprüfe ob sich eine Repräsentation der Form <wenn p, dann q> im Überzeugungsspeicher befindet. (iii) Falls nein, gehe zu (i). (i ) Falls (iv) F ll ja, j schreibe h ib die di Repräsentation R ä t ti q in i den Überzeugungsspeicher und gehe dann zu (i). Einführung in die Theoretische Philosophie 513 RTG: Language of Thought und Computationsthese Wenn jemand p erreichen will und glaubt, dass die Ausführung von h ein geeignetes Mittel zu Erreichung von p ist, ist und nicht glaubt, glaubt dass die Ausführung von h Folgen hat, die er nicht will, dann wird er normalerweise daran gehen, h auszuführen. (i) Wähle eine Repräsentation r aus dem Wunschspeicher aus und streiche sie aus dem Speicher. (ii) Bilde eine Liste aller in einer gegebenen Situation möglichen Handlungen und wähle aus dieser eine Handlung h aus und streiche sie aus der Liste. Liste (iii) Prüfe, ob sich die mentale Repräsentation h → r im Überzeugungsspeicher befindet. ((iv)) Falls nein,, g gehe zu ((ii)) zurück. (v) Falls ja, prüfe ob sich eine Repräsentation h → r´ im Überzeugungsspeicher befindet. (vi) Falls ja, prüfe ob sich eine mentale Repräsentation ¬ r´ im Wunschspeicher befindet. befindet (vi) Falls ja, gehe zu (ii) zurück. (vii) Falls nein, führe h aus. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 514 Das chinesische Zimmer J h R. John R Searle S l SS 2010 „Stellen Sie sich vor, Sie wären in ein Zimmer eingesperrt, in dem mehrer Körbe mit Chinesischen Symbolen stehen. Und stellen Sie sich vor, dass Sie (wie ich) kein Wort Chinesisch verstehen, dass Ihnen allerdings ein auf Deutsch verfasstes Regelwerk für die Handhabung dieser Chinesischen Symbole gegeben worden wäre. Die Regeln geben rein formal ... an, was mit den Symbolen gemacht werden soll. Eine solche Regel mag lauten: ‚Nimm ein Kritzel-Kratzel-Zeichen aus Korb 1 und lege es neben ein Schnörkel-Schnarkel-Zeichen aus Korb 2.‘ Nehmen wir nun an, dass irgendwelche anderen Chinesischen Symbole in das Zimmer gereicht werden, und dass Ihnen noch zusätzliche Regeln dafür gegeben werden, welche Chinesischen Symbole jeweils aus dem Zimmer herauszureichen sind. Die hereingereichten Symbole werden von den Leuten draußen ‚Fragen‘ genannt, und die Symbole, die Sie dann aus dem Zimmer herausreichen, ‚Antworten‘ – aber dies geschieht ohne ihr Wissen. Nehmen wir außerdem an, dass die Programme so trefflich und ihre Ausführung so brav ist, dass Ihre Antworten sich schon bald nicht mehr von denen eines chinesischen Muttersprachlers unterscheiden lassen.“ (John R. Searle, Geist, Gehirn und Wissenschaft, 1984) Einführung in die Theoretische Philosophie 515 Explizite Repräsentationen? „Der These [(CT)] zufolge sind mentale Prozesse kausale Abfolgen von Transformationen mentaler Repräsentationen. Repräsentationen Daher müssen Vorkommnissen propositionaler Einstellungen Vorkommnisse mentaler Repräsentationen entsprechen ... [sonst] ist die RTG schlicht falsch“ (Jerry Fodor, Psychosemantics, 1987) Daniel C. Dennett SS 2010 „In einem Gespräch mit dem Entwickler von Schachprogrammen hörte ö te ich c kürzlich ü c die d e folgende o ge de Kritik t an a einem e e Konkurrenzprogramm: ‚Es glaubt, dass es seine Dame früh ins Spiel bringen muss‘. Damit wird dem Programm auf sehr nützliche und Vorhersagen ermöglichende Weise eine propositionale Einstellung g zugeschrieben g ... Aber auf keiner der vielen Ebenen,, auf denen in diesem Programm etwas explizit repräsentiert wird, gibt es ein explizites Vorkommnis einer Repräsentation, die auch nur annähernd die gleiche Bedeutung hätte wie der Satz ‚Ich sollte meine Dame früh ins Spiel p bringen‘.“ g ((Daniel C. Dennett,, „„A Cure for the Common Code“, 1978) Einführung in die Theoretische Philosophie 516 Dennetts Instrumentalismus Daniel Dennett (*1942) Dennett ist ein amerikanischer Philosoph und Direktor des Zentrums für Kognitionswissenschaften an der Tufts University Als Schüler von Gilbert Ryle University. beschäftigt sich Dennett hauptsächlich mit der Philosophie des Geistes und gilt heute als einer der führenden Vertreter dieser Disziplin. Content and Consciousness (1969) Brainstorms. Philosophical Essays on Mind and Psychology (1978) Elbow Room (1984) The Intentional Stance (1987) Consciousness Explained (1991) Ki d off Minds Kinds Mi d (1996) Brainchildren – Essays On Designing Minds (1998) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 517 Dennetts Instrumentalismus Komplexe Systeme lassen sich verschieden beschreiben, und zwar durch die: Physikalische Einstellung (physical stance) Funktionale Einstellung (design stance) Intentionale Einstellung (intentional stance) „Man sagt in einem solchen Fall Verhalten voraus, indem man dem System den Besitz gewisser Informationen zuschreibt, von ihm annimmt, dass es von gewissen Zielen geleitet wird, und sich dann auf der Grundlage dieser Zuschreibungen und Annahmen die vernünftigste und angemessenste Handlung überlegt.“ (Dennett, Intentional Systems, 1971) Dennetts Instrumentalismus: Ein Wesen hat dann intentionale Zustände, wenn sein Verhalten in einer intentionalen Einstellung vorhergesagt und erklärt werden kann. „Tatsächliche Überzeugungen zu haben (to be a true believer) heißt nicht anderes als ein intentionales System zu sein, ein System dessen Verhalten verlässlich und weitestgehend mit Hilfe der intentionalen Strategie vorausgesagt werden kann.“ (Dennett, „True Believers. The Intentional Strategy and Why it Works“, 1981) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 518 Dennetts Instrumentalismus Der Spagat zwischen eliminativen Materialismus und intentionalen Realismus (A) Es ist theoretisch möglich und empirisch wahrscheinlich, dass es weder in der neuronalen noch in der funktionalen Architektur des Gehirns Strukturen gibt, die den intentionalen Zuständen entsprechen, mit deren Hilfe wir auf der intentionalen Ebene unser Verhalten voraussagen und erklären. (B) Es ist sinnvoll und sogar unvermeidlich, an der intentionalen Strategie festzuhalten und intentionale Zustände in einem gewissen Sinne für real zu halten. halten Instrumentalismus Wir verwenden die intentionale Strategie aus pragmatischen Gründen, wenn uns Verhaltenserklärungen und –voraussagen auf der funktionalen oder der physikalischen Ebene nicht zugänglich sind. Wir sind uns aber bewusst, dass die Annahme, dass das Verhalten eines Menschen durch seine intentionalen Zustände hervorgerufen g wird,, nichts weiter als eine nützliche Fiktion ist, denn wir wissen ja, dass die wirklichen Ursachen dieses Verhaltens auf der funktionalen und der physikalischen Ebene zu suchen sind. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 519 Eliminativer Materialismus Paul Churchland Patricia Churchland Steven Stich Scientific and S i ifi Realism R li d the h Plasticity of Mind (1979) A Neurocomputational Perspective (1989) The Engine of Reason, the Seat of the Soul (1995) Neurophilosophy. N hil h Toward T da Unified Science of the MindBrain (1986) Brain-Wise. Studies in Neurophilosophy (MIT Press, 2002) From Folk Psychology to Cognitive Science: The Case Against Belief (1983) g of The Fragmentation Reason (1990) Deconstructing the Mind (1996) SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 520 Eliminativer Materialismus Das Theorieargument (1) Die Alltagspsychologie hat den Status einer Theorie und ist damit grundsätzlich falsifizierbar. (2) Falls diese Theorie falsifiziert wäre, könnte es sich herausstellen, dass sich die Begriffe der Alltagspsychologie auf nichts beziehen. (3) Die Alltagspsychologie ist eine schlechte und eine seit 2500 Jahren stagnierende Theorie. (4) Die sich rasant Neurowissenschaften können kognitive Fähigkeiten erklären, Alltagspsychologie g p y g keinen Zugang g g entwickelnden schon jetzt zu denen die hat. (5) Die Alltagspsychologie gehört abgeschafft SS 2010 Unser Glauben an mentale Zustände ist genauso eine falsche Theorie, wie das geozentrische Weltbild und wird genauso in der Wissenschaftsentwicklung abgeschafft werden. Einführung in die Theoretische Philosophie 521 Argumente gegen den eliminativen Materialismus Intuitive Vorbehalte Die These des eliminativen Materialismus scheint so offensichtlich falsch zu sein, dass sich jede weitere Argumentation erübrige. Zudem ist die Existenz von mentalen Zuständen zentral für unser Weltbild, weshalb es enorm starker Argumente bedürfe, um deren Existenz erfolgreich f l i h zu bestreiten. b t it „if if commonsense psychology h l were to t collapse, ll th t would that ld be, b beyond comparison, the greatest intellectual catastrophe in the history of our species ...„ (Fodor 1987) I k hä Inkohärenzeinwand i d Da der Eliminativist seinen Thesen Bedeutung zuspricht und sie für wahr und begründet hält, setzt er implizit das voraus, was er eigentlich bestreiten will – mentale Zustände. Qualia Da Qualia allgemein als Eigenschaften von mentalen Zuständen angesehen werden, werden ist ihre Existenz nicht mit dem Eliminativismus verträglich. Eliminative Materialisten lehnen daher auch Qualia ab. Dies ist problematisch, da die Existenz von Qualia vollkommen offensichtlich scheint. SS 2010 Einführung in die Theoretische Philosophie 522 Das Leib-Seele-Problem Physikalismus Dualismus Problem: Wie kann der Geist, trotz seiner materiellen Natur, nichtmaterielle Eigenschaften haben (Qualia, Intentionalität)? Interaktionistischer Dualismus Behaviorismus Mentale Zustände sind lediglich Verhaltensbeschreibungen bzw. – di dispositionen. iti Problem: Mentale Zustände lassen sich nicht auf Verhaltensbeschreibungen reduzieren. Identitätstheorie Mentale Zustände sind a p posteriori identisch mit neuronalen Zuständen. Problem: Mentaler Zustände können verschieden realisiert sein. Funktionalismus Mentale Zustände sind funktionale Zustände des „Gehirnautomaten“ und können unterschiedlich realisiert sein. sein Problem: Wie können die „funktionslosen“ Eigenschaften mentaler Zustände (Qualia) erklärt werden? Supervenience-Theorie Mentale Zustände basieren auf physikalischen Zuständen, lassen sich aber b nicht i ht aus diesen di ableiten. bl it Problem: unbefriedigend Instrumentalismus/ Materialismus Mentale Zustände gibt es nicht. Problem: Die Leugnung des Phänomens löst unser Problem nicht und ist seinerseits nicht begründet. SS 2010 Problem: Wie ist es möglich, dass Geist und Materie interagieren? Geist und Materie interagieren kausal miteinander. Problem: Wie und wo können die beiden Substanzen interagieren? Psychophysischer Parallelismus Geist und Materie interagieren nicht miteinander, sondern laufen in einer von Gott geschaffenen Synchronizität ab. Problem: Gott als perfekter, anfänglicher Synchronisierer notwendig. Okkasionalismus Geist und Materie interagieren nicht miteinander, sondern werden von Gott von Fall zu Fall aufeinander abgestimmt. Problem: Gott als perfekter, unablässiger Synchronisierer notwendig. Epiphänomenalismus Zwar verursachen physische Phänomene mentale Phänomene, aber nicht umgekehrt. Problem: Wie und wo wirkt Materie auf den Geist ein? Widerspricht den Erhaltungsgesetzen der Physik. Idealismus Es gibt nur geistige Phänomene. Solipsismus Alles was existiert, Alles, existiert existiert nur in MEINEM Geist. Geist Einführung in die Theoretische Philosophie 523