10/26/2015 Gerontorheumatologie Rheuma und Alter Dr. med. Hans Ulrich Wilhelm Befasst sich mit den Besonderheiten entzündlichrheumatischer Systemerkrankungen, die sich erstmals im höheren Lebensalter, das heisst im Alter über 60 Jahren, manifestieren. Davon zu unterscheiden sind die weit häufigeren degenerativen Erkrankungen des Bewegungsapparates (Arthrose). Facharzt FMH Rheumatologie und Allgemeine Innere Medizin Medizinisches Zentrum, Bad Ragaz Besonderheiten des geriatrischen Patienten Unspezifische Symptome entzündlich-rheumatischer Erkrankungen älterer Menschen Fieber Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Schwächegefühl Respiratorische Symptome Physiologische Altersveränderungen Häufig Polymorbidität Verminderte Adaptionsfähigkeit Plötzlich einsetzende, infektionsähnliche Systemerkrankung Ungewollter Gewichtsverlust CRP-Anstieg Zytopenie, Anämie Arthralgien Erhöhte Instabilität (somatisch, kognitiv und affektiv) Myalgien Muskelschwäche Depression Ergebnis: Begrenzte Kompensationsfähigkeit Bedrohung der Alltagskompetenz Haut- und Schleimhautveränderungen Sicca-Symptomatik Lymphknotenschwellungen Glomerulonephritis Sehstörungen bis hin zum Sehverlust Periphere Neuropathien Therapieziele Klassische RA Alters-RA (elderly onset rheumatoid arthritis) Erkrankungsbeginn 30-50 Jahre > 60 Jahre Beginn schleichend abrupt, infektionsähnlich Anzahl betroffener Gelenke polyartikulär oft mono-/oligoartikulär Betroffene Gelenke kleine Gelenke auch grössere Gelenke (Schultergelenk) Rheumafaktoren positiv oft negativ Begleitmanifestationen Tenosynovitiden Myalgien Schmerzlinderung bzw. -freiheit Verbesserung der Mobilität Lebensqualität Unabhängigkeit 1 10/26/2015 ACR/EULAR-Kriterien 2010 A Gelenkbeteiligung Punkte Faktoren, die eine persistierende Arthritis bzw. eine schlechte Prognose der Alters-RA anzeigen 1 grosses Gelenk 0 2-10 grosse Gelenke 1 1-3 kleine Gelenke (mit oder ohne Beteiligung grosser Gelenke) 2 Rascher, polyartikulärer Beginn 4-10 kleine Gelenke (mit oder ohne Beteiligung grosser Gelenke) 3 Persistenz der Arthritis > 12 Wochen > 10 Gelenke (mindestens ein kleines beteiligt) 5 Befall der MCP-, PIP-, MTP- und Handgelenke B Serologie Morgensteifigkeit > 1 Stunde RF und Anti-CCP negativ 0 RF oder Anti-CCP positiv 2 RF oder Anti-CCP hochpositiv 3 Hohes Alter Rheumaknoten RF positiv C Akutphaseproteine CRP und BSG normal 0 Anti-CCP-Antikörper positiv CRP oder BSG abnormal 1 CRP > 20 mg/l HLA-DR1 oder DR4 positiv D Symptomdauer < 6 Wochen 0 > 6 Wochen 1 HAQ >11 Zytokin-Ungleichgewicht bei der RA Feldmann M. et al. Cell, 1996; 85:307-10. 2 10/26/2015 3 10/26/2015 Medikamentöse Therapie Herkömmliche NSAR Selektive COX-2-Inhibitoren Analgetika Glukokortikoide DMARDS Biologika DMARDS und Biologika Ziele der medikamentösen Therapie Methotrexat Leflunomid Tofacitinib TNF-α-Inhibitoren Rituximab Abatacept Tocilizumab Schmerzlinderung Funktionserhaltung/-verbesserung Progressionshemmung Verbesserung der Prognose! IL1-RA RS3PE-Syndrom (remitting seronegative symmetrical synovitis with pitting edema, McCarty 1985) Plötzlicher Beginn mit ödematösen Handrückenschwellungen, Handgelenkssynovitis, Tendinitis der Fingerflexoren, eventuell auch gleiche Symptomatik und/oder an den Füssen Sonderform der Alters-RA? Paraneoplasie? Therapie: Glukokortikoide 4 10/26/2015 Polymyalgia rheumatica Klassifikationskriterien ACR/EULAR 2012 Obligate Kriterien (ohne Punkte): Mindestalter 50 Jahre Bilaterale Schulterschmerzen BSG- und CRP-Erhöhung Erhöhte BSG und/oder CRP-Werte Myalgien im Schultergürtel- und Oberarm- sowie Gesäss- und Oberschenkelbereich Weitere Kriterien: Teilweise auch Muskelschwäche Morgensteifigkeit > 45 Minuten (2 Punkte) Synovitis (Schulter- und Handgelenk) Hüftschmerz/eingeschränkter Bewegungsumfang (1 Punkt) Eventuell Gewichtsabnahme Kein Nachweis von Rheumafaktoren und/oder CCP-Antikörpern (2 Punkte) Eventuell Depression Keine peripheren Gelenkschmerzen Mindest-Score > 4 Punkte (Sensitivität 68%, Spezifität 78%) Therapie Corticosteroide über 1 bis 2 Jahre Initialdosis ½ mg Prednison pro kg Körpergewicht, wöchentliche Reduktion in 5 mg-Schritten, bei Erreichen von 15 mg zweiwöchentlich in 1 mg-Schritten oder Arteriitis temporalis – Riesenzellartriitis (GCA) ACR-Kriterien: Alter > 50 Jahre Neuer Kopfschmerztyp Druckdolente A. temporalis Prednison initial 15 mg/Tag - 12.5 mg/Tag - 10 mg/Tag - 9 mg/Tag 8 mg/Tag - 7 mg/Tag - 6 mg/Tag für jeweils 3 Wochen, danach Erhaltungstherapie mit 5 mg/Tag (British Society Of Rheumatology) BSG > 50 mm/h Zusätzlich MTX oder Azathioprin? Mindestens 3 Kriterien müssen erfüllt sein! Positive Histologie durch Biopsie Dermatomyositis und Polymyositis Meist schleichender Beginn Leitsymptom proximal betonte Muskelschwäche Muskelkaterartiger Schmerz und Muskelatrophie (beides in 50%) Häufig Gelenkschmerzen und Arthritiden (40%) Raynaud-Phänomen (30%) Lungenfibrose und Alveolitis (10%) Im EMG Myositis-Zeichen Labor: CRP-Erhöhung, CK-Erhöhung, Anti-Jo-1-Antikörper, Anti-Mi2-Antikörper Bei Dermatomyositis polymorphe Hautbeteiligung Paraneoplasie (20%) Therapie: Corticosteroide, MTX, Azathioprin und Cyclophosphamid 5 10/26/2015 Chondrokalzinose (=PyrophosphatArthropathie=Pseudogicht=CPDD) Metabolische Gelenkerkrankung durch Ablagerungen von CPPD im Gelenkknorpel Prävalenz bei über 80-Jährigen 30% Oft asymptomatisch Manchmal akute Arthritis (häufig Kniegelenk) Therapie: NSAR, Corticosteroide (auch intraartikulär) Inzidenzrate für die wichtigsten NSAR (Rate Ratio im Vergleich zu Placebo Lancet 2013; 382:769-779) Substanz CV-Event CV – Tod Herzinsuff. ob. GI-Event Coxibe 1.37 1.58 2.28 1.81 Diclofenac 1.41 1.65 1.85 1.89 Ibuprofen 1.44 1.90 2.49 3.97 Naproxen 0.93 1.08 1.87 4.22 Cave: Paracetamol In einer kürzlich publizierten Studie bei Gonarthrose war das Risiko für GI-Nebenwirkungen unter 3000 mg Paracetamol täglich genau so hoch wie unter 1200 mg Ibuprofen, bei Kombination beider Substanzen addierten sich die unerwünschten Wirkungen. Bei Dosen > 3000 mg Paracetamol täglich droht auch renale Toxizität! 6 10/26/2015 Medical Tribune (28. August 2015): Sechs Medikamente am Tag bei betagten multimorbiden Patienten sind genug! 7