Nationalrat Conseil national Consiglio nazionale Cussegl naziunal 99.0427 n Anrufinstanz bei Abstimmungskampagnen Bericht der Staatspolitischen Kommission vom 3. Dezember 1999 Die Kommission hat an ihrer Sitzung vom 11. November 1999 die von Nationalrätin Stamm Judith (CVP/LU) am 16. Juni 1999 eingereichte Parlamentarische Initiative gemäss Artikel 21ter des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG) vorgeprüft. Die Initiative verlangt die Schaffung eines Gremiums, welches während Abstimmungskampagnen zur Beurteilung zweifelhafter Aussagen in Werbetexten angerufen werden kann. Die Kommission hat am 11. November 1999 die Initiantin angehört. Antrag der Kommission 1. Die Kommission beantragt mit 11 zu 6 Stimmen, der Initiative sei Folge zu geben. 2. Die Kommissionsminderheit (Beck, Antille, Dettling, Fehr Hans, Fischer­Hägglingen, Fritschi) beantragt, der Initiative sei keine Folge zu geben. Im Namen der Kommission Der Präsident: Leu Inhalt: 1 Wortlaut der Initiative 2 Begründung der Initiantin 3 Erwägungen der Kommission 3.1 Beurteilung des Regelungsbedarfes 3.2 Weiteres Vorgehen 1 Wortlaut der Initiative Gestützt auf Artikel 93 Absatz 1 der Bundesverfassung und Artikel 21bis des Geschäftsverkehrsgesetzes reiche ich folgende Parlamentarische Initiative in der Form der allgemeinen Anregung ein: Das Gesetz über die politischen Rechte sei insofern zu ergänzen, als ein Gremium unter dem Vorsitz der beiden Präsidenten von National­ und Ständerat zu schaffen sei, das während Abstimmungskampagnen zur Beurteilung zweifelhafter Aussagen in Inseraten und anderen Werbetexten angerufen werden kann. Dieses Gremium wird also gleichsam mit einer Art Qualitätskontrolle der öffentlichen Auseinandersetzung betraut. Es hat aber keine Sanktionsgewalt strafrechtlicher oder anderer Art, sondern nimmt Stellung zur Plausibilität und zum Wahrheitsgehalt von Argumenten und Thesen. Es vertritt diese Stellungnahme rechtzeitig vor der Öffentlichkeit als spezifischen Diskussionsbeitrag zur Sache. 2 Begründung der Initianten Immer wieder sind, vor allem in den letzten Wochen von Abstimmungskampagnen, in Veröffentlichungen Zuspitzungen und Simplifikationen wahrzunehmen, die der Sache nicht mehr gerecht werden und die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger recht eigentlich irreführen. Dies ist vor allem dann stossend, wenn dies in Inseraten mit Massenauflagen geschieht, ohne dass darauf entsprechend prominent und sichtbar entgegnet werden kann. Das hier vorgeschlagene Gremium soll von interessierten Bürgerinnen und Bürgern in solchen Fällen angerufen und um Stellungnahme ersucht werden können. Die Existenz dieses Gremiums hätte sicher auch eine präventive Wirkung. Alle, die sich öffentlich vernehmen lassen, müssten inskünftig mit Kritik und Anmahnung rechnen. Damit könnte das Gremium zur Erarbeitung und Verbreitung eines Qualitätsstandards für die öffentliche Diskussion und Auseinandersetzung beitragen. Das ist für die Zukunft der direkten Demokratie lebenswichtig. 3 Erwägungen der Kommission 3.1 Beurteilung des Regelungsbedarfes Die Mehrheit der Kommission geht mit der Initiantin einig, dass Handlungsbedarf besteht angesichts der zunehmenden Tendenz zur willentlichen Irreführung der Bürgerinnen und Bürger durch immer aufwendiger geführte Abstimmungskampagnen. Die Kommission ist sich bewusst, dass objektiv nicht auf ihre Richtigkeit überprüfbare Meinungen und Emotionen in der politischen Auseinandersetzung eine zentrale Rolle spielen; sie geht aber doch davon aus, dass es so etwas wie eine untere Grenze der Wahrheit und des Anstandes gibt, die, ungeachtet der eigenen politischen Meinung, festgestellt werden kann. Die Kommission betrachtet die vorgeschlagene Anrufinstanz als geeignetes Mittel zur Förderung der korrekten demokratischen Auseinandersetzung, ähnlich wie der Presserat durch die öffentliche Feststellung von Verstössen gegen die journalistische Ethik die Qualität der Printmedien fördert. Die Kommission legt grossen Wert darauf, dass damit die Freiheit der Meinungsäusserung und ­bildung nicht etwa beschränkt, sondern vielmehr unterstützt werden soll. Es geht nicht um eine Sanktionierung politisch missliebiger Äusserungen. Vielmehr sollen durch einen grösseren Wahrheitsgehalt der Abstimmungskampagnen die Bürgerinnen und Bürger unterstützt werden, die an sachlichen Diskussionen und Lösungen interessiert sind, aber nicht die Mittel haben, selbst aktiv an der Kampagne teilzunehmen. Damit kann auch ein Beitrag gegen die zunehmende Politikverdrossenheit geleistet werden. Viele Bürgerinnen und Bürger wenden sich gerade deswegen angewidert von der Politik ab, weil sie aufgrund von Abstimmungskampagnen den Eindruck gewinnen, in diesem schmutzigen Geschäft werde nur gelogen. Die Kommissionsminderheit ist demgegenüber überzeugt, dass dieses Problem durch eine staatliche Reglementierung nicht gelöst werden kann. Die Grenzziehung zwischen Wahrheit und Unwahrheit in der politischen Auseinandersetzung sei äusserst schwierig und könne nicht einem staatlichen Organ übertragen werden. Die Frage der Zusammensetzung des vorgeschlagenen Gremiums werde durch die Initiative weitgehend offen gelassen. Jedenfalls werde keine staatliche Behörde eine genügende Legitimität und Glaubwürdigkeit besitzen können, um als unbestrittener Garant einer politisch wertfreien Objektivität auftreten zu können. Die Bürgerinnen und Bürger liessen sich durch Abstimmungskampagnen nicht so leicht in die Irre führen und sollten in ihrer Fähigkeit zur selbstständigen Meinungsbildung nicht unterschätzt werden. 3.2 Weiteres Vorgehen 2 Gemäss Artikel 21ter GVG hat die Kommission insbesondere über allfällige bisherige Arbeiten von Parlament und Verwaltung zum aufgeworfenen Thema, über Zeitplan und Aufwand der parlamentarischen Arbeit und über die Möglichkeit, das angestrebte Ziel mit einem an den Bundesrat gerichteten Vorstoss zu erreichen, zu berichten. Der Vorschlag der Initiantin ist neu. Zum jetzigen Zeitpunkt sind zum aufgeworfenen Thema keine anderen Verfahren hängig. Der Aufwand für die Ausarbeitung einer Vorlage dürfte mit den einer Kommission zur Verfügung stehenden Mitteln zu bewältigen sein. Die Weiterbearbeitung des Vorschlages auf dem Wege der Parlamentarischen Initiative hat gegenüber einer Motion den Vorteil, dass die Kommission das Verfahren selbst leitet, indem sie Aufträge erteilen und Fristen setzen kann. 3