Das Maitland-Konzept Befundaufnahme und Behandlung mit Passiven Mobilisationen Von Martha Hauser Im Maitland-Konzept bewegen sich die Überlegungen des Therapeuten zur Indikation und Dosierung der Behandlung auf zwei Ebenen. Auf der einen, eher theoretischen Ebene, werden Hypothesen aufgestellt über die Ursachen der Störung und über die Lokalisation der betroffenen Strukturen. Auf der anderen, eher klinischen Ebene, wird das Verhalten der Beschwerden im Alltag und während der Bewegungstests analysiert. Die klinische Ebene ist für die Behandlung im Maitland-Konzept die leitende. Dieses Konzept rechnet die < Passiven Mobilisationen> zu den wichtigsten Behandlungsarten innerhalb der gesamten Möglichkeiten physikalischer Therapiemassnahmen. Sie finden sowohl bei akuten als auch bei chronischen muskuloskelettären Beschwerden Anwendung. Zur Unterstützung werden bei Bedarf physikalische Passivmassnahmen, wie Thermo-, Kryound Elektrotherapie, eingesetzt. Je nach klinischem Bild können früher oder später Automobilisationen, Muskeldehnungen und -kräftigungen sowie allgemeine Haltungsschulung und Ratschläge für die Gestaltung des Arbeitsplatzes dazukommen. Der Patient wird über die Belastbarkeit und den Schutz seiner Gelenke informiert. Das Maitland-Konzept beinhaltet eine spezifische Art des Denkens und Handelns bei Befunderhebung und Behandlung von Funktionsstörungen an peripheren Gelenken und der Wirbelsäule. Charakteristisch sind hierbei: oo eine präzise Anamneseerhebung, einerseits zum Zweck einer möglichst genauen Identifizierung und Einschätzung des Problems, andererseits, um später sich ergebende - auch feinste - Veränderungen im Charakter der Beschwerden sofort zu erfassen, o ein dosiertes Reproduzieren der Beschwerden (ausser radikulären Symptomen) o o o durch die Bewegungstests, wobei sowohl die problematische Bewegungsrichtung als auch die Qualität des Schmerzes grösstmögliche Übereinstimmung mit den vom Patienten beschriebenen Beschwerden aufweisen sollen; schonende Mobilisationstechniken mit passiven Bewegungen kleinerer oder grösserer Amplitude, die an verschiedenen Stellen der Bewegungsmöglichkeit ausgeführt werden können und sowohl der Befundaufnahme als auch der Behandlung dienen; eine am spezifischen Problem des Patienten orientierte Behandlung, die sich ihre Effektivität durch ständiges Evaluieren zu bestätigen sucht und eine rasche Anpassungsfähigkeit an sich verändernde Befunde aufweist; der Denkprozess des Physiotherapeuten, der sich fortwährend auf zwei Ebenen bewegt: einer eher theoretischen und einer eher klinischen, dieses Charakteristikum ist das Zentrale am Maitland-Konzept. Die Behandlung durch den Physiotherapeuten ergänzt die ärztlichen Bemühungen Die Diagnose des Arztes wird durch eine physiotherapiebezogene Beurteilung der Art und des Ausmasses der vorliegenden Funktionsstörung ergänzt. Im Maitland-Konzept (wie bei anderen Konzepten mit <Passiven Mobilisationen> bezieht sich die Behandlung auf Funktionsstörungen des Stütz- und Bewegungsapparates ohne gefährliche Pathologie. Bei der subjektiven Befunderhebung werden Symptome, wie Schmerz, Steifigkeit oder Parästhesien, entsprechend der jeweiligen Lokalisation auf einem Körperschema eingetragen. Für jeden Symptomenbereich wird die Entwicklung dieser Beschwerden seit ihrem ersten Auftreten während 24 Stunden erfasst und dokumentiert. Diese detaillierten Angaben dienen dazu, den Zustand und den Grad der Stabilität oder Progression der Kondition zu erfassen sowie eventuelle Kontraindikationen oder Anhaltspunkte zu besonderer Vorsicht bezüglich <Passiver Mobilisationen> zu erfahren. Die Kunst, aufmerksam zuzuhören Um möglichst präzise Informationen zu erhalten, sollte der Therapeut zunächst einmal aufmerksam zuhören und der spontanen Syrnptombeschreibung durch den Patienten viel Raum einräumen. Vorschnelle Interpretationen müssen unter allen Umständen vermieden werden. Der Therapeut erarbeitet sich während des Gespräches Hypothesen über die für die Beschwerden verantwortlichen Strukturen, über die Art der Störung, über die Irritierbarkeit der Kondition und über die hintergründige Ursache des gesamten Problems. Im Rahmen der objektiven Untersuchung wird versucht, mittels geeigneter Bewegungstests in den Strukturen, die als Quelle in Frage kommen, Symptome zu provozieren, oder genau die vom Patienten beschriebenen Symptome zu reproduzieren. Alle passiven Testbewegungen werden einzeln analysiert nach der auftretenden Schmerzreaktion, einer Einschränkung der freien Beweglichkeit sowie eventueller reflektorischer Schutzaktivität der Muskulatur wahrend der Bewegung. Besondere Aufmerksamkeit wird der Beziehung dieser Faktoren zueinander gewidmet. Das Erkennen, welche der vielen Faktoren eines Beschwerdebildes zusammenpassen und welche nicht, ist eines der Ziele im Maitland-Konzept. Die passiven Bewegungen werden sowohl in der Untersuchung als auch in der Behandlung in kleinen und grösseren Amplituden rhythmisch und in verschiedenen Geschwindigkeiten durchgeführt. Im gesamten Bewegungsweg werden vier Grade unterschieden: Grad I ist eine sehr kleine und Grad II eine grosse Amplitude, beide nahe am Beginn der Bewegung, sie sind definiert als Bewegungen, die keine Weichteilstrukturen unter Zug setzen. Sie sind also vor dem Ende der völlig freien Beweglichkeit lokalisiert. Grad III ist eine grosse und Grad IV eine kleine Amplitude, beide nahe dem Ende des Bewegungsweges. Diese Bewegungen beinhalten Zug oder Druck im bewegten Gelenk selber oder im gelenknahen Gewebe und gehen in den Teil des Bewegungsweges ohne völlig freie Beweglichkeit hinein. Permanente Anpassung der Behandlungstechnik Ist der Schmerz im Gelenk der dominierende und bewegungslimitierende Faktor, besteht die Behandlung aus feinen, langsamen Zusatzbewegungen mit kleiner Amplitude, die absolut ohne Schmerz, sehr sanft und ohne jegliche Dehnung von Weichteilen am Beginn des Bewegungsweges ausgeführt werden (Grad I). Stehen Steifigkeit- und Bewegungseinschränkung im Vordergrund, wird das Gelenk sowohl mit Zusatz- als auch mit physiologischen Bewegungen, die die Gelenkstrukturen unter Zug/ Druck setzen (Grad III, IV), behandelt. Die Schmerzreaktionen des Patienten werden bei der Dosierung berücksichtigt. Um sicher zu sein, dass eine gewählte Technik den gewünschten Effekt auf das Verhalten von Schmerz, Steifigkeit und gegebenenfalls die reflektorisch gesteuerten Schutzanspannungen hat, folgt nach jeder Applikation eine Wiederholung der wichtigsten Testbewegungen. Dieses Vorgehen ermöglicht eine permanente Anpassung der Behandlungstechniken an Veränderungen hinsichtlich des Gelenkproblems. Geoffey D. Maitland wurde 1924 in Adelaide, Australien, geboren. Er bildete sich zum Physiotherapeuten aus und war Schüler und Mitarbeiter von Dr. James Cyriax. Auf der Suche nach verfeinerten Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten entwickelte er das hier beschriebene Konzept. Maitland versteht sein Konzept als ein Instrument, das sich durch neue Erkenntnisse und Erfahrungen bei der Arbeit mit Patienten fortwährend weiterentwickelt und verändert.