III. Verletzungsmechanismus der Halswirbelsäule Die Bewegungsabläufe an der Wirbelsäule werden in einem dreidimensionalen Koordinatensystem mit den Achsen X, Y und Z beschrieben (54). Auf den Wirbelkörper können Kräfte und Momente einwirken. Die Kräfte verursachen eine Translation, die Verschiebung entlang einer Achse und die Momente einer Rotation des Wirbelkörpers um eine Achse. Insgesamt können also zwölf gerichtete Kräfte bzw. Momente auf den Wirbelkörper einwirken (54). Eine in der Longitudinalachse wirkende Kraft führt zu Kompression oder Zug, ein Moment zu Links- oder Rechtsrotation. In der Transversalachse verursacht eine Kraft einen seitlichen Schub und ein Moment eine Flexion oder Extension. Kräfte in der sagittalen Achse bewirken eine Scherwirkung in a.p. Richtung bzw. Seitwärtsneigung. In Abhängigkeit von der Massenverteilung des betroffenen Körpers zum Zeitpunkt des Unfalls löst eine Kraft unterschiedliche Kräfte und Momente in den Teilmassen aus. Die Antwort auf die Krafteinwirkung setzt sich aus den Einzelreaktionen der verschiedenen Bewegungssegmente der Wirbelsäule in Zuordnung zu den Teilmassen des Körpers zusammen. ALLEN et al. (6), HOLDSWORTH (39) und GEHWEILER (32) haben die bei den Halswirbelsäulenverletzungen auftretenden Kräfte wie folgt aufgeteilt: Distraktion/Flexion 37%, Kompression/Flexion 22% und Kompression/Extension 24%. Diese Verletzungsmechanismen können allerdings nicht allein für die traumatische Läsion der Wirbelsäule verantwortlich gemacht werden (3). An der beweglichen Halswirbelsäule spielen die Rotationsbewegungen eine wichtige Rolle (10, 57). Nach der Untersuchung von GOSCH (34) und ROAF (54) führen Kräfte an der Wirbelsäule, insbesondere Kompressionskräfte, zu Frakturen und die Momente im Zusammenhang mit den dadurch bedingten Rotationsbewegungen zu Bandrupturen, Luxationen und/oder Luxationsfrakturen. GOSCH (34) hat in einer experimentellen Studie nachgewiesen, daß auch extreme Bewegungen im Sinne der Flexion und Extension in der Sagittalebene zu Kompressionsfrakturen, aber nicht zu Rupturen der Bänder führen. Erst die Kombination mit einer Rotationsbewegung führt zur Bandruptur bzw. Luxation. Der aktuelle Muskeltonus spielt bei der Frakturentstehung im Bereich der Wirbelsäule eine große Rolle. Die Bewegungssegmente in Abhängigkeit von der Körperhaltung stehen durch den Muskeltonus unter einer bestimmten Vorspannung. Durch die Anspannung der Muskulatur werden die Bewegungsmöglichkeiten der Teilmassen gegeneinander vermindert oder ausgeschlossen und ein Teil der Kraft durch die Muskulatur abgepuffert. Die unterschiedlichen anatomischen Gegebenheiten im Verlauf der Wirbelsäule stellen unterschiedliche Frakturtypen dar. Dabei sind neben den besonderen anatomischen Details 7 eines einzelnen Wirbelkörpers die Lordose und Kyphose sowie Form und Stellung der Gelenkfacetten der Wirbelbogengelenke von besonderer Bedeutung. In der oberen Halswirbelsäule ist wegen der Stellung der Gelenkflächen der Torsionswiderstand gering. Es liegt eine günstige Konstellation für die Rotation vor. Die abrupte Änderung des Torsionswiderstandes führt zur Verletzungshäufigkeit in diesem Bereich. IV. Diagnostik der Halswirbelsäulenverletzungen 4.1. Klinische Untersuchungen der Halswirbelsäule Durch klinische Untersuchungen erhält man für die Röntgendiagnostik wichtige Lokalisationshinweise. Die Untersuchung des Patienten erfolgt im Liegen. Bei der Inspektion ist auf schmerzbedingte Schonhaltung - eine ”krampfhaftige” Schräghaltung des Kopfes zu achten. Bei der Palpation werden die Konsistenz der Haut, tastbare Haematome und muskuläre Verspannung geprüft. Bei dieser Palpation ist darauf zu achten, daß keine Manipulation der Halswirbelsäule erfolgt, da dies eine Befundverschlechterung zur Folge haben könnte. Liegt eine massive muskuläre Verspannung vor, so wird von weiteren klinischen Untersuchungen Abstand genommen. Die weitere Diagnose wird durch Röntgenaufnahmen gestellt. Wenn es sich um keine osteoligamentären Verletzungen handelt, wird die Beweglichkeit der Halswirbelsäule geprüft. 4.2. Neurologische Untersuchungen Die neurologische Untersuchung ist Bestandteil der Erstuntersuchung, spielt aber auch bei der Verlaufskontrolle eine entscheidende Rolle. (Siehe Indikation für ventrale Spondylodese). Hierbei wird der Patient, sofern er bei Bewußtsein ist, aufgefordert, Arme und Beine zu bewegen (aktive Beweglichkeit der Extremitäten) und nach der Wahrnehmung von Schmerzund Berührungsreizen an den Beinen, am Rumpf und an den Armen befragt. Die klinische Untersuchung ist bei bewußtseingetrübten Patienten schwierig. Folgende Punkte geben Hinweise auf eine Querschnittlähmung bei Bewußtlosen: • schlaffer Muskeltonus • fehlende oder abgeschwächte Abwehrreaktion auf Schmerzreize • reine Bauchatmung • Priapismus 8