LANDSCHAFT CHIAVENNA

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UEBERSICIIT
DER
GEOLOGISOHEN VERHÄLrrNISSE
DER
LANDSCHAFT CHIAVENNA
IN OBERlTALlEN
VON
DR. FRIEDR. ROLL.E.
WIESBADEN.
J. F. BERGMANN.
1878.
~".
VORREDE.
Die Zusammenstellung meiner geologischen Beobachtungen
in den Umgebungen von Chiavenna, welche ich hier der Oeffentlichkeit übergebe, sind ein Theil der Ergebnisse der geologischen
Aufnahme inden drei Sommern 1875, 1876, 1877 während welcher
ich im Auftrage der Schweizerischen geologischen Commission
die Gegend von Chiavenna, einen Theil von Graubünden und einen
Theil von Tessin bereiste.
Von Vorarbeiten konnte ich nur die Werke der Herrn
Sfttdet', Escher und Theobald benutzen.
Zu voller Klarheit bringen auch meine Arbeiten den Gegenstand nicht. Gebirge- und Lagerungsverhältnisse bieten hier zu
oft Schwierigkeiten. Bald legen sich unersteigbar schroffe Felsabstürze dem geologischen Forscher in den Weg, bald unterbricht
ungünstige Witterung die an sich schon mühsame Reise im Hochgebirg. Endlich geht viele Arbeit in Folge ungenügender kartographischer Grundlage frühe wieder verloren. Erst nach allem
dem kommt die geologische Projection und Construction, die Deutung problematischer Lagerungen und die Entzifferung räthselhaftel' oder in der Zusammensetzung schwankender Gesteine.
Es ist darnach kein Wunder, wenn man unter so schwierigen Verhältnissen nach mehrjähriger Arbeit noch an der Pforte
zu stehen vermeint und fast mehr Neigung fühlt, von vorn wieder
anzufangen als die Ergebnisse der Forschung der Oeffentlichkeit
anzuvertrauen.
Wenn dies gleichwohl hiermit schon für einen kleinen TheiI
des mir zugewiesenen Arbeitsfelds geschieht, so lag einerseits
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die Gefahr vor, dass mir nach längerem Zögern der frische Eindruck der besonderen Beobachtungen allmählig verjähren und entschwinden würde, andererseits das Bedürfniss, meine allgemeinen
Ansichten der Kritik anderer Geologen zu unterbreiten, um bei
späterer Veröffentlichung Einwänden begegnen oder nachgeben
zu können.
Ho m bur g vor der Höhe, Februar 1878.
Dr. Friedr. Rolle.
INHALT.
Einleitung
Gebirgsfaltung, Massive und streichende Zonen
Das Liro,Massiv
.
.
Das Tessiner Massiv
.
.
.
Seite
"
.
1
3
9
19
21
Das Massiv des Monte della Disgrazia und des Bernina
Das Seegebirge
. . . . .
24
Reihenfolge und Lagerung der Formationen
25
Jüngere Gebilde
Gebirgs- und Thalbildung
Die See-Bildung
"
"
39
40
61.
Uebersicht
der
geographischen Verhältnisse der Landschaft Chiavenna
in Oberitalien.
Die Landschaft Cläven oder das Mandamento di Chiavenna,
[Provincia di Sondrio], begreift 13 Gemeinden. Von diesen folgen sich
im Liro-Thale von Nord gegen Süd 1) Isola (oder Isolato), 2) Campodolcino, 3) Sant Giacomo, 4) Chiavenna. Oestlich von da im unteren
Bergell liegen 5) Piuro oder Plürs, 6) Villa di Chiavenna. Westlich
von Chiavenna liegt 7) Mese. Dann folgen sich der Maira entlang
weiter in Süd 8) Prata, 9) Gordona, 10) Menarola, 11) Samolaco,
12) Novate und 13) Verceja.
In Nord, West und Ost grenzt die Clävener Landschaft an
Schweizer Gebiet, in Süd an das Veltlin oder Addathal und an die
Provinz Como.
Uebrigens greifen hier Italienisches und Schweizerisches Gebiet
in langen Schleifen so weit in einander über, dass die geologische Betrachtung sich nicht eng an die politischen Grenzen binden lässt und
die auf dem einen Gebiet gewonnenen Ergebnisse die Verhältnisse des
andern erläutern helfen müssen, was um so mehr gilt, als grosse
Strecken des Gebiets aus schwer zugänglichem Hochgebirg bestehen.
Ich habe im Sommer 1875 und 1876 das Clävenerland und
überhaupt das Gebiet von Splügen und Ferrem (Cant on Graubünden)
in Süd hinab über Chiavenna bis an den Corner-See (Colico und Gravedona) im Auftrag der Schweizerischen Commission geologisch untersucht. Als Grundlage der Aufnahme diente die vom österreichischen
Generalstab herausgegebene Lombardische Karte (1 : 86,400), die beste,
die über diesen Theil des italienischen Gebiets vorliegt. Leider entRolle, Chia venna.
1
2
hält sie gar keine Höhenangaben und auch die kartographische Ausführung ist vielfach und namentlich im Hochgebirge für gen aue geologische Aufnahme ganz ungenügend.
Das Blatt XIX des Schweizerischen Dufour-Atlases (Bellinzona,
Chiavenna, 1: 100,000) ist zwar für italienisches Gebiet noch dürftiger
ausgestattet, von der Schweizer-Grenze an aber genauer ausgeführt
und mit zahlreichen Höhenangaben versehen, so dass auch die geologische Aufnahme von der Schweizer-Grenze an wesentlich günstiger
gestellt erscheint. Auf Schweizer-Gebiet und für das italienische Val
di Lei konnte ich auch die topographischen Blätter (1: 50,000)
benutzen.
Die Gebirge von Chiavenna werden im Allgemeinen den Rhätischen
Alpen zugezählt. Doch ist die Abgrenzung derselben gegen die in
Westen gelegenen Lepontinischen Alpen unsicher und wiIlkührlich.
So wird die Grenze bald am Splügen bald am Bernhardin angenommen.
Indessen ist die Unterscheidung von Rhätischen und Lepontinischen
Alpen auf die alte schier unentwirrbare Ethnographie gegründet Völkerwohnsitze schieden sich aber eher an hohen Gebirgskämmen und
könnte darnach vielleicht noch mehr das Rheinwaldhorn mit dem
Kamme des Adnla-Stocks darauf Anspruch machen als Grenzpunlrt angenommen zu werden.*)
Uns liegt die Aufgabe näher, die Abgliederung der einzelnen
Gruppen de!' Alpen auf Grund des geologischen Baus durchzuführen.
In letzterer Hinsicht steht der Aufbau der die Alpen durchziehenden liI ass i v e oder g e 0 log i s c h e n S t ö c keim Vordergrund und
muss vor allen Dingen in Betracht gezogen werden. Aber auch die Abgliederung des Gebirgs naeh Massiven hat ihre schwachen Seiten, indem
die Massive nicht alle gleich stark ausgeprägt erscheinen und nicht
überall sich scharf abgrenzen, ausserdem auch grosse Strecken des
alpinen Gebiets nur streichende Zonen ohne augenfällige Massivbildung darstellen und nur ergänzungsweise den Massiven zugerechnet
werden. Die Eintheilung der Alpen nach dem geologischen Bau wird
daher auch nie zu ganz scharfen Grenzen führen, um so weniger also die aus
älterer Zeit überkommenen Gruppen-Bezeichnungen - Rhätische Alpen,
*) A. Escher und B. Studel·. Geologische Beschreibung von MittelBünden. 1839. Seite 13 u. 14. B. Studer. Geologie der Schweiz. B. 1. 1851.
S. 242.
3
Lepontinische, Peninische u. s. w. - ganz beseitigen I,önnen. Aber auch
orographische Configuration und geologische Construction stimmen vielfach
nicht mit einander überein. Man muss darnach immer zwei oder mehr ungleichwerthige Verfahren der Eintheilung zugleich im Auge behalten und
darf nicht darauf rechnen, das eine auf das andre genau zurückführen
zu können.
Gebirgsfaltung, 11lassive und streichende Zonen.
Prof. Studer hat, so viel mir bekannt ist, zum ersten Male in
seiner Geologie der westlichen Schweizer-Alpen, 1834, Seite 26 und 27,
den Begriff der Ge b ir g sm as s e entwickelt und dieselbe als eine
Gebirgsgruppe bezeichnet, in welcher sich Ein h e i t der A n 0 I' d nun g
und S tr u c t u I' geltend macht. Die Untersuchung dieser Gebirgsmassen
erkannte er damals SChOll als die nächste und dringendste Aufgabe der
Geologie der Alpen und sie steht auch heute noch im Vordergrund.
Die Bestimmung der Gebirgsmassen .oder Massive in der Gegend
von Chiavenna und dem Comer-See folgte einige Jahre später und dieselbe muss ihren Grundzügen nach auch beibehalten wel'den.
Im Jahre 1839 stellten die Herren A, Escher und B. Studer
in ihrer geologischen Beschreibung von Mittel-Bünden, Seite 12 - 16
für diesen Theil des Alpengebiets folgende zwei Centralmassen auf.
1. Das System der Adula-Gebirge, in welchem das Streichen
(SO. nach NW.) fast senkrecht auf das herrschende Streichen der Alpen
geschieht, gewöhnlich verbunden mit östlichem oder nordöstlichem Fallen.
In diesem Gebiet wechseln vorherrschend Meridian-Ketten mit MeridianThälern.
2. Die Centralmasse des Bernina. Sie verläuft südlich von
Oberengadin und streicht in West gegen den Piano di Chiavenna.
B. Studer. Geologie der Schweiz B. 1. 1851 unterscheidet in
demselben Gebiet, Seite 110, S. 226, S. 242, S. 248, S. 254,
1) Das Adula-Gebirge,
2) östlich von demselben das Sureta-Gebirge. Zwischen diese
beiden Hauptgruppen fallen die beq uernem Alpenpässe des Bernardin
und des Splügen.
1*
4
3. Die Central1nasse des Bernina.
4. Die Tessiner-Alpen, in West vom Adula-Gebirg. Die Grenze
dieser beiden Systeme setzt Studer beiläufig in Val Calanca oder
Val Blegno. Wie das Sureta-Gebirge, mit dem Adula-Gebirg, so ist
auch dieses mit den Tessiner-Alpen eng verbunden.
5. Das Seegebirge oder das westöstlich streichende Gebiet in
Süden vom Bernina, dem Adula-Gebirge und den Tessiner-Alpen.
Hierzu kommt noch
6. Das von G. TheobaZd (die südöstlichen Gebirge von Graubünden 1866) unterschiedene Massiv des Monte delta Disgrazia,
das derselbe vom Bernina-Massiv getrennt wissen will. Theobald
S. 10 umgrenzt das Albigna-Disgrazia-Gebirg in Ost mit dem MuretoPass, dem Ordlegna-Thal und dem oberen Malero- oder Malenco-Thal,
im West mit dem uutern Lauf der Maira zwischen Chiavenna und dem
Mezzola-See, im Nord mit demBergeller-Thal, im Süd mit dem AddaThaI von Sondrio bis zum Comer-See. Das Streichen ist SW. in NO.
und folgt also dem Hauptstreichen der Alpen.
Dieses Massiv verbindet das des Bernina mit dem der Tessiner
Alpen.
Nach den Ergebnissen meiner geologischen Aufnahme im Sommer
1875, 1876, 1877, komme ich im Wesentlichen mit den von den
Herrn Studer, Escher und Theobald entwickelten Grundzügen der
Massiv-Abgliederung überein, weiche aber in mehreren Stücken ab.
Das Suretta-Gebirg fasse ich ganz anders auf. Das Adula-System und
die Tessiner Alpen betrachte ich als ein und dasselbe, nur durch eine geringe
Einkerbung bei Olivone halbwegs abgegliederte Massiv. Deber die
Scheidung des Bernina-Massivs in zwei besondere Gruppen habe ich
keinen Grund mich auszusprechen, da die kritische Stelle ausserhalb
meines Aufnahmegebiets liegt, ich folge aber vorläufig Theobald' s
Annahme.
In dem ganzen von mir untersuchten Gebiet von der HinterrheinQuelle bis Madris und von Bellinzona bis ins untere Veltlin ist der
Gneis vorwaltend und jedenfalls das älteste Gestein, welches zu Tag
tritt. Das jüngste secundäre Gestein dieses Gebiets sind die grauen
und grünen Bündner-Schiefer, welche ich mit TheobaZd beiläufig für
Lias nehme, ohne übrigens grosses Gewicht auf diese ungefähre Altersbestimmung zu legen.
5
Nächst dem Vorwalten des Gneises fällt ein langer meridianer
Zug von jüngeren Gesteinen auf, welche dem Lias angehören mögen,
Es sind die grauen Bündner-Schiefer - mit grauem phyllitischen Schiefer,
grünem chlorithaltigem Schiefer, grauem oft plattenförmigem Kalkstein,
so wie auch mit Lagern von Glimmerschiefer und grünglimmerigem
Gneis - welche aus Nord von Vals und Savien her das HinterrheinThai überqueren, im Osten vom Bernardin vorbeiziehen und erst in
S. O. von Mesocco enden.
Sie entsprechen entweder einer tiefgehenden Einmuldung oder
einer einflügligen Einschaltung im krystallinischen Schiefergebirg, welche
dieses in besondre Massive scheidet.
In S. O. von Mesocco setzt sich diese Einmuldung weiter fort
bis zum Forcola-Pass, auf welcher Strecke sie aber nur noch Glimmerschiefer eingelagert enthält. Von da zieht sie sich auf italienischer
Seite fort bis Gordona am Rande des Maira-Thales (Piano di Chiavenna).
Sie knüpft hier an die Glimmerschiefer-Zone von Chiavenna und die
Vorkommen von Triaskalk bei Soglio und Bondo im Bergell an (Theobald, 1866, Blatt 20). Weiter in Ost schliessen sich noch ausgebreitete Vorkommen von Bündner-Schiefer an, die den Zusammenhang mit
dem Oberhalbsteiner-Schiefergebiet vermitteln.
Im Ganzen genommen haben wir hier also einen Muldenzug oder
eine anderweitige Einschaltung von jüngern Gesteinen, welcher bald
Bündner-Schiefer, bald Triaskalk beherbergt, bald auch in den Glimmerschiefer oder wie in einem Theile des Bergell sogar in den Gneis
hinabreicht, aber auch hier noch in Gedanken sich wohl ergänzen und
fortleiten lässt.
Dieser Zug von jüngeren Gesteinen und muldenförmigen oder
anderweitige Einlagerungen verschiedenaltriger Gesteine umschliesst ein
fast kreisrundes Gebiet, welches das Tambo-Horn, das Suretta-Gebirg
und die nördliche Bergeller Bergkette vom Pizzo Stella über den Gallegione begreift und einen westöstlich gestreckten Kern von Gneis mit
Auflagerung von Glimmerschiefer, Triaskalk und Bündner - Schiefer
erkennen lässt.
Ein orographischer Mittelpunkt fehlt und am Splügenpass tritt
sogar noch von Norden eine lange meridiane Einmuldung von Triaskalk herein, die bis Pianazzo (Splügenstrasse) hinabreicht und dem LiroThale den Ursprung vorzeichnet.
6
Es wird daher auch schwer, für das oben umschriebene Massiv
eine zutreffende Benennung zu finden. Vielleicht ist es, bei dem
Mangel eines orographischen Mittelpunkts und der meridianen Einschaltung eines Thales mit streckenweiser Schichtenmuldung - angemessen, das betreffende Gebiet älterer Gesteine als Liro-Massiv zu
bezeichnen.
Einen Theil desselben bildet das früher sogenannte Suretta-Massiv,
welches aber, wie ich zu finden glaube, nicht mehr wohl als Massiv
gelten kann, sondern nur noch secundäre Bedeutung behauptet.
Das Suretta-Gebirg beherrscht zwar orographisch ein bedeutendes Berg- und Thalgebiet, besteht aber vorwiegend aus jüngerem Gneis
den ü:h nach seiner Lagerung für' ein Aequivalent des Verruccano
nehme. Das in West gegenüber liegende Tambo-Horn ist orographisch
von geringerer Bedeutung und besteht auch nicht aus älterem Gneis
sondern aus Glimmerschiefer mit einer untergeordneten eigenthümlich
gearteten Gneismasse.
Den eigentlichen Kern der betreffenden Gruppe bildet der ältere
Gneis der hohen Gebirge beiderseits des Liro-Thales oder des Val San
Giacomo. Ich werde daher für das durch das Suretta-Horn, TamboHorn und den Pizzo-Stella bezeichnete Gebiet mich der Bezeichnung
Liro-Massiv bedienen. Dieselbe wird daran erinnern, dass dieses Massiv als Einheit nur geologisch, aber nicht orographisch ausgeprägt ist,
ja von einer Mulde im obern Liro nahezu in zwei besondre Systeme
eine Tambo- Gruppe und eine Suretta-Gruppe abgetheilt wird.
Die aus Gneis bestehende Längsaxe des Massivs geht von West
in Ost und wird vom Liro-Thale mit einer tiefen steilwandigen Schlucht
durchbrochen, deren Bildung einer weit spätern Zeit angehört.
Nach der Unterscheidung 1) der Zone jüngerer eingemuldeter
Gesteine von Vals, Savien, Hinten'hein, San Bernardino und Mesocco
und 2) des von jüngeren Zonen theils in Zusammenhang theils lückenhaft umschriebenen Liro-Massivs bleibt uns noch die Betrachtung von
3) Dem ausgedehnten Gneisgebiet in West und Süd vom LiroMassiv. Es begreift die von Prof. Studer unterschiedene Adula-Gruppe
und die Tessiner-Alpen, dann im Süd vom Liro-Massiv die Centralmasse des Bernina oder vielmehr die durch Prof. Theobald von dieser
abgegliederte Oentralmasse des Albigna-Disgrazia-Gebirgs; endlich
weiter in Süd das von Prof. Studer unterschiedene Seegebirge.
7
Das Adula-Gebirge und die Tessiner-Alpen fasse ich nach den
Ergebnissen meiner Aufnahme vom Jahr 1877 als ein zusammengehöriges Ganzes auf. Doch gebe ich zu, dass die von Nord hereinreichende
Einmuldung jüngerer Schichten bei Ghirone und Olivone, die ich noch
nicht aus eigner Anschauung kenne, halbwegs die Unterscheidung einer
Adula-Gruppe in Ost und einer Tessiner-Gntppe in West rechtfertigen könnte.
Soweit meine Aufnahme reicht, liegt hier ein zusammengesetztes
Faltungsgebiet ohne deutlich erkennbaren oder wenigstens ohne bestimmt
sich aufdrängenden Centralkern vor. Der Gneis ist durchaus vorherrschend, meist steil oder mässig steil aufgerichtet, seltener flach liegend.
Ich kann mich der Vermuthung nicht erwehren, dass hier eine Reihe
theils parallel gehender, theils querüber laufender l!'altungen vorliegt,
die Medianen meist schief, die Sattel wölbungen aber abgetragen sind
und daraus schliesslich der Anschein einer weit mächtigeren über einander
folgenden Schichtenreihe hervorgegangen ist.
Es dürfte sich empfehlen, das Gebiet der Adulagruppe und der
Tessiner-Alpen als Tessiner· Faltungsgebiet zusammenzufassen. Vielleicht, wenn man von der sehr unvollkommenen Abgrenzung absieht,
darf man es auch Tessiner-Massiv nennen.
Die Hauptrichtung des Streichens oder nach meiner Meinung der
Faltung geht in Mesocco, Calanca und Blegno von Nord in Süd oder
von NNW. in SSO.
Weiter südlich streichen die Schichten westöstlich oder vielmehr
nach meiner Meinung liegt eine westöstlich verlaufende Faltung mit
Mulden- und Sattelbildung vor.
Gleichviel, wie auch die schwel' zu erweisende Construction des
Gebirgs hier in Wirklichkeit geartet sein möge, etwas Thatsächliches
liegt sicher zu Grunde. Namentlich darf ich auf eine Angabe der
Herrn Escher und Studer (Mittelbünden 1839, Seite 13) zurückgreifen. Nach dieser endet das meridiane Streichen und östliche Fallen
des Adula-Systems am Lago di Mezzola und bei Grono sowie am Ausgang von Mesocco.
Dies ist ganz richtig und zwischen Grono und BeIIinzona liegt
eine westöstlich streichende Mulde im Gneis. Der nördliche Flügel
hat südliches, der südliche Flügel nördliches Einfallen und auf jedem
Flügel erscheint ein Lager von körnigem Kalk eingeschaltet, einerseits
8
das Lager von Castione bei Lumino und das der Traversegna, anderseits das Lager von Pedemonte bei Bellinzona und diese bei den Flügel
hängen allem Anschein nach in der Tiefe zusammen.
Ich nehme darnach auch für das meridian streichende Gneisgebiet
von Mesocco, Calanca und Blegno eine Faltung und nachmalige Degradation der Sattelwölbungell an, nur dass hier die Faltung quer zum
Hauptstreichen der Alpen verläuft.
In der Faltung erblieke ich eine Wirkung von mächtigem Seitendruck, der hauptsächlich von NW. oder SO. ausging und das herrschen·de
Streichen SW. in NO. zur Folge hatte, aber auch durch Stauung abweichende Falten emporwarf, die vorzüglich senIrrecht zum herrschenden
System verlaufen.
Es verbleibt nun noch die Aufgabe einen Blick auf das von
Prof. Studer als Massiv aufgeführte Seegebirge zu werfen.
Eine westöstlich streichende Zone verschiedener Schichten verläuft aus dem Veltlin in West über den Comer-See, den Jorio-Pass
und die Val Morobbia bis nahe gegen die Flussebene des Tessin. Den
Gneis unterteuft hier Hornblendegneis, diesen aber Glimmerschiefer.
Die Schichtenfolge ist offenbar umgekehrt.
Da im Glimmerschiefer dieser streichenden Zone im unteren Veltlin bei Gravedona und im Westen vom Jorio-Pass eingemuldete streichende Partien von Triaskalk auftreten, kann man diese jüngeren Schichten
als Andeutung gelten lassen, dass hier die Massive sich abgrenzen,
an der Nordseite das Tessiner Massiv und weiter östlich das Disgrazia- und Bernina-Massiv, in Süd das Seegebirg. Auf das letztere näher
einzugehen, habe ich keinen Grund, da nur ein kleiner Theil seines
~ordrandes in mein Aufnahmsgebiet fällt.
Die Massive oder geotektonischen Einheiten, wie ich sie in der
Landschaft Chiavenna und ihrer nächsten Umgebung annehme, sind
darnach folgende:
1. Das Liro-Massiv,
a) östliche Hälfte, Saretta-Gruppe,
b) westliche Hälfte, Tambo-Gruppe.
H. Das Tessiner-Massiv,
a) östliche Hälfte, Adula-Gruppe,
b) westliche Hälfte, Tessiner-Gruppe.
9
III. Das Bernina-Massiv,
a) östliche Hälfte, Bernina-Gruppe,
b) westliche Hälfte, Disgrazia-Gruppe.
IV. Das Seegebirge.
Die M ass i v e überhaupt sind nach meiner Deutung nur Fa 1tun g ser s eh ein u n gen, aher von grösserer Unregelmässigkeit als dies bei gewöhnlichen Schichtenfaltungen der Fall zu sein pflegt, also vel'muthlieh unter heftigerem mehrseitigem Druck entstanden, der an 8tellen
der Stauung eine Bildung von verschiedentlich streichenden und fallenden Falten zur Folge hatte. FächersteIlung kommt zwar in dem erörterten Gebiet vor, ist aber kein wesentlicher Charakter und nur ein
Anzeichen von örtlich gesteigerter Heftigkeit des Vorgangs der Faltung
und Hebung. Eruptive Gesteine finde ich nicht bei der Gebirgsbildung
betheiligt.
Die jüngeren Gesteine, welche die Massive umgrenzen, zeigen
theils mnldenföl'mige Einlagerung mit meistens schiefer Mediane, theils
sind es einflüglige Gebirgsumkippungen von räthselhafter Gestaltung.
Theils auch blfibt man hier ganz rathlos vor der Aufgabe einer erläuternden Construction - wie namentlich im Tessiner Val Morobbia.
Die Abgrenzung der Massive beruht darnach nur auf Zügen tieferer
Einmuldung oder anderweiter Einschaltung jüngerer Lager. Abgrenzung
von Massiven nach quer übersetzenden Thalebnen erscheint nicht stichhaltig, kann aber zum Behuf besserer Uebersicht zugelassen werden.
Das Liro - Massiv. *)
Das Liro-Massiv hat nach seinem weitsten Umfang - den
grünen Suretta-Gneis mit dem Triaskalk einbegriffen - rundlichen
Umriss. Im Innern herrscht theils das normale Streichen der Alpen,
theils die meridiane Aufwerfung.
,
Den Kern bildet eine westöstlich ziehende Gneis· Zone, die vom
Pas so della Forcola, dem Passo di Lendine und dem Gebirge des Lago
*) E. Des01', Gebirgsbau der Alpen. Wiesbaden 1865. Cel1tralmasse
des Sureta. Seite 27. lJ. Studel'. Geologie der Schweiz. B. I.. 1861. S. 248.
Das Sm·eta-Gebirge.
10
di Truzzo in Ost geht, zwischen Cimaganda und San Giacomo vom
tief und steilwandig eingeengten Liro-Thal durchsetzt wird und dann
die nördliche Bergeller-Bergkette mit dem Pizzo Stella und dem Gallegione bildet.
Das Fallen in dieser Centralaxe ist nördlich. Beiderseits liegt
Glimmerschiefer, an der Nordseite als wahres Hangendes, an der
Südseite als scheinbares Liegendes.
Gegen Nord folgen auf den Glimmerschiefer die Tria:sbildungen
von Ferrera und Avers, dann der Bündner-Schiefer.
Gegen Süd im Bergell zwischen Chiavenna und Castasegna wird
der Glimmers,chiefer von der nördlich einfallendenLavez-Zone unterteuft
und diese begreift Hornblendeschiefer mit Lavez, Serpentin, Schriftgranit
u. s. w. Diese Lavez-Zone ruht auf einer westöstlich streichenden sehr
breiten Gneis-Zone, welche dem Bernina- oder Disgrazia-Massivangehört.
Die Lagerungsfolge Gneis, Lavez-Zone, Glimmerschiefer und nochmals Gneis deutet zunächst auf einen Muldenzug zwischen zwei GneisMassiven mit schiefer Mediane. Aber als einfache Mulde lässt sich
gleichwohl der Durchschnitt nicht construiren. Eher möchte man an
eine grossartige Ueberkippung von Gneis über Glimmerschiefer denken.
Der Glimmerschiefer selbst enthält kleinere Einmuldungen von Triaskalk (bei Soglio und BOlldo nach Theobald's Aufnahme.)
Dieses Lagerungsverhältniss ist und bleibt vor der Hand noch
räthselhaft. Es ist nicht einmal zu sagen, ob der das Hangende der
Lavez-Zone bildende Glimmerschiefer ein wahres Hangendes derselben ist.
An der Westseite des Liro-Massivs verläuft der meridiane (NNW.
in SSO. streichende) Zug der Bündner-Schiefer von Hinterrhein, San
Bernardino und Mesocco. Er fällt in Ost und bildet das scheinbare
Liegende des weit ausgedehnten Glimmerschiefer-Gebiets des Tambo-Horns
und des Splügen-Passes. Das Liegende des Zugs der Bündner-Schiefer
ist der in West vorliegende grau und weiss glimmerige Gneis (GlimmerGneis) des Bernardino und des die Rheinquelle umgebenden Gebirgs.
Ueber den Durchschnitt ist schwer Rechenschaft zu geben. Der BündnerSchiefer liegt wie eingemuldet, aber die Construction einer Mulde stösst
auf Schwierigkeiten, und es fragt sich, ob nicht hier wie im Bergell
eine UeberkipPuIjg der Seite des einen Massivs über die des andern
stattgefunden hat.
11
Die grösstentheils auf Graubündner Gebiet fallende Nordseite des
Liro-Massivs zeigt noch verwickeltere Verhältnisse, namentlich folgt hier
auf den Glimmerschiefer über ein ansehnliches Gebiet nochmals ein
Gneis in grosseI' Mächtigkeit, aber mit ganz andern Charakteren, als
die, welche dem unteren Gneis desselben Gebiets zukommen. Darüber
folgen dann hier Kalksteine und Dolomite der Trias in ansehnlicher
Mächtigkeit, endlich über diesen der Bündner-Schiefer als hangendste
Schicht.
Wir müssen hier zunächst den Suretta-Stock mit seinen beiden
3025 und 3039 Meter Meereshöhe erreichenden Gipfeln ins Auge fassen.
Er fällt nur zum kleinsten Theile in den Nordosten der Clävener
Landschaft, die Hauptmasse desselben ist GraubÜndner-Gebiet und auch
davon fällt nur ein Theil in mein Aufnalimsfeld. Sein Bau ist mir
auch nur nach wiederholtem Besuche klar geworden. Erst im S~mmer
1877 war ich im Stand mir eine bestimmte Meinung darüber zu
bilden.
Der Suretta-Stock ist grossentheils ein Gneis mit grünem Glimmer, der bald massig und granitartig (sogenannter RoHa-Porphyr) bald
deutlich geschichtet (sogen. RoHa-Gneis) bald auch durch feinschuppige
Entwicklung des Glimmers etwas phyllitisch erscheint (sogenannter Chloritgneis oder Talkgneis).
Dieser Gneis des Suretta-Stocks ist ein ganz andres Gestein als
der im Liro-Thal, im BergelI, in Mesocco und in Tessin herrschende
braunglimmerige Gneis.
Ich hatte Gelegenheit, Prof. Kenngott's Urtheil über dasselbe zu
hören. Er erklärte das gl'üne Mineral für grünen Glimmer (grünen
Magnesia-Glimmer mit Eisengehalt) und findet im grünen Gneis keine
Spur von Chlorit oder von Talk. Die Bezeichnungen Chloritgneis und
Talkgneis sind darnach aufzulassen. Wahrscheinlich ist aber auch die
ganze Masse des grünen Gneises des Suretta und der Rofla nichts
anderes als der gneisartige Verrucano des Vorderrheins, Simmler's
Hel vetan-.Gneis*).
Im Jahre 1851 beschrieb Prof. Studer das Suretta-Gebirge als
selbständige Centralmasse zwischen Adula und Bernina. Nachdem
*) Jahresbericht der Naturforschenden GeseIlschaftGraubündens. Band XIII.
Chur 1868. Seite 3.
12
aber meine Aufnahme in den Jahren 1876 und 1877 zu dem Ergebniss
geführt hat, dass der Suretta-Gneis nicht das Gestein der benachbarten
Centralmassen ist, dass er zwischen Glimmerschiefer und Triaskalk liegt
und mit gutem Grund als Aequivalent des Verrucano betrachtet werden
kann, erscheint auch das früher sogenannte Suretta-Massiv nur als ein
Flügel des Liro-Massivs. Es bildet keine eigne Centralaxe und hat
nur durch die bis zur Gneis-Stufe vorgerückte Metamorphose des Verrucano den äusseren Anschein eines Massivs erhalten.
Den Westrand der Gneismassen des Suretta-Stocks unterteuft vom
Splügenpass bis gegen die Alp Tecchio im Val Madesimo ein feinschuppiger phyllitischer Glimmerschiefer (Casanna Zone) der am Splügen kleine
Einlagerungen von körnigem Kalk führt. Die Schichten streichen meridian und fallen in Ost. Die Auflagerung des grünen Gneises auf grauem
Glimmerschiefer ist unzweifelhaft. «Der Splügenpass benutzt die Sohle
eines isoklinalen Thales» sagt Prof. Studer. 6eo1. der Schweiz B. 1.
1851, Seite 249. Die Schichten fallen von derTambo-Gruppe ab und
unter die Suretta-Gruppe ein.
An der Ostseite von der Alp Tecchio an in NNO. über Alp Emet
bis zum Averser Rheinthai 1 1/2 Kilometer oberhalb Canicul sind die
Lagerungsverhältnisse etwas anders. Der grüne Suretta·Gneis fällt hier
theils unter feinschuppigen Glimmerschiefer theils unter gewöhnlichen
Glimmerschiefer von gröberem Korn in Ost und OSO. ein. Diese Unterteufung kann nur eine scheinbare sein. Wenn die Lagerung an SpIügen
rechtsinnig ist, kann sie in Emet nur widersinnig sein.
Der Querschnitt durch den südlichen Theil des Suretta-Gebirgs vom Splügenjoch bis Alp Emet ergibt jedenfalls ein meridian
streichendes Sattelgewölbe mit schief gestellter in Ost fallenden Mediane
und abgetragenem stark degradirtem Scheitel, es liegt also hier eine
meridiane Gebirgsfaltung Vor.
Von Canicul geht dann der grüne Gneis als schmalerer Ausbiss
in OSO. über Bleis und Starlera, fällt hier in NO. unter die gewaltigen
Triaskalk-Massen des Fianell oder Piz Grisch ein und verschwindet
damit von der Oberfläche.
Nördlich unterhalb Canicul bis Ausser-Ferrera und weiter thalabzu ist die Gneis-Masse des Suretta-Stocks westöstlich geschichtet und
fällt in Nord. Eingelagert sind Züge von körnigem Kalk, welche aber
nur eingemuldete und zusammengeklappte Lager von metamorphosirtem
13
Triaskalk sein können. Dieselben Gesteine bilden in NO. von Canicul
den gewaltigen Kalkstein-Stock des Fianell (3048 Met.), an den sich
dann in Ost als Hangendes eine mächtige Lagermasse von grauem
und grünem Bündner-Schiefer anlegt, um in's Oberhalbstein fortzusetzen.
Dies alles erweist, dass der grüne Suretta-Gneis die Stelle des
Verrucano einnimmt. Er ist aber auch in petrographischer Beschaffenheit und nach seinen Einlagerungen durchaus verschieden vom braunglimmerigem Gneise der Clävener- und Tessiner-Alpen. Er führt eingemuldete Lager von Triaskalk und Eisenglanz-Lager, niemals Einlagerungen von Hornblendeschiefer, wie sie im braunglimmerigen Gneis auftreten, dem dagegen seinerseits Eisenglanzlager abgehen.
Die Lagerungsverhältnisse des Suretta-Gneises ergeben eine zusammengesetzte Sattelaufwölbung, die im südlichen Theile eine meridian
streichende, östlich fallende, im nördlichen Theil eine westöstlich streichende
nördlich fallende Faltung erlitten hat. Die Sattelfirsten sind längst
abgetragen, die Decke von Triaskalk ist stellenweise noch vorhanden,
meist aber ist sie ebenfalls abgetragen und hier sind von ihr nur noch
die tiefer eingehenden Einmuldungen übrig, die dann den täuschenden
Anschein von Lagern gewähren, die dem grünen Gneis untergeordnet sind.
Das Alles sind verwirrende Verhältnisse, ich glaube aber mit
gutem Grund zu dem Schlusse gelangt zu sein, dass der Suretta-Gneis ein
Verrucano-Aequivalent ist, auf Glimmerschiefer lagert und Triaskalk zum
wahren Hangenden kat. Er stellt kein eignes Massiv ~r, sondern ist
nur ein Flügel des Liro-Massivs. In seiner Lagerung wechselt Faltung
im Alpenstreichen (Longitudinalfaltung) mit meridianer Faltung (AdulaStreichen, Transversalfaltung). DenselbenWechsel von longitudinaler AlpenFaltung mit transversaler Faltung erkenne ich auch in den Tessiner-Alpen.
Was hier an objectiver Beobachtung zu Grunde liegt, findet man schon in
der Abhandlung der Herrn Escher undStuder 1839 mehrfach auseinander
gesetzt. Ich habe nur die Deutung beizufügen, dass eine Faltung in
zwei zu einander beiläufig rechtwinkligen Richtungen vorliegt und seither eine grossartige Degradation der Gewölbfirsten vorgegangen ist,
in Folge deren die Faltung nicht mehr deutlich ins Auge fällt.
In der Linie von Splügen über den Splügenpass bis über
Campodolcino im Liro-Thal herrscht meridianes Streichen mit östlichem
Fallen. Das herrschende Gestein ist Glimmerschiefer und zwar meist
in Form eines grauen dünnplattigen Schiefers mit phyllitisch verwebtem
14
Glimmer. Theobald unterschied diese Gesteine als Casanna-Schiefer,
hat sie aber nicht durchgreifend vom granatenführenden älteren
Glimmerschiefer abgeschieden und mir ist diese Scheidung auch nicht
möglich gewesen. Ein Theil des Glimmerschiefers mag sogar bereits
ein Aequivalent des Verrucano sein. Dies geht namentlich daraus hervor, dass der Triaskalk, der am Fianell auf grünglimmerigem Gneis
liegt, in seiner südlichen Fortsetzung in Val di Lei und in Madris
auf Glimmerschiefer und Casanna-Schiefer ruht. Ein Theil davon mag
ein Verrucano-Aequivalent sein, aber ich bin ausser Stand gewesen,
diesen kartographisch auch nur annähernd vom älteren Glimmerschiefer
abzuscheiden. Escher und Studer 1839 bezeichneten diese problematischen Lager als Glimmerflysch, auch als unteren Flysch. (Mittelbünden. Seite 97.)
In Westen von der Splügenlinie hält der Glimmerschiefer mit meridianem Streichen und östlichem Fallen bis zum Bernardino und dem
Mesocco oder Moesa-Thal an, wo er - nach kurzer Unterbrechung
durch den Zug der Bündner-Schiefer .- an den gleichfalls meridian
streichenden und östlich fallenden Gneis der Adula-Gruppe und der
Tessiner Alpen stösst.
In dieses Gebiet fällt der hohe Gebirgsstock des Tambo-Horns
Pizzo-Tambo, 3276 Met. Er besteht aus grauem quarz reichem , bald
mehr phyllitischem, bald mehr gneisartigem Glimmerschiefer, der sowohl
vom grünen Gueis des Suretta-Stocks als vom braunglimmerigen Gneis
der Tessiner-Alpen durchaus abweicht.
Von ihm fallen in Osten meridiane Schichtenzüge vom feinschuppigem phyllitisehern Glimmerschiefer ab, die am Splügenpasse dicht an
der Grenze gegen den im Hangenden folgenden Suretta-Gneis untergeordnete Lager von körnigem Kalk führen. Es sind die Casannaschiefer
Theobald' s, und nichts steht dessen Meinung entgegen, dass man hier
ein metamorphosirtes Aequivalent der Steinkohlenformation vor sich
hat. Es dürfte aber schwer zu beweisen sein, da die Gesteine krystallinisch geworden und von organischen Resten nichts mehr wahrzunehmen ist.
Das einzige, was sich zur Stütze von Theobald's Hypothese beibringen Hesse, ist ein Vorkommen von Graphit am Pizzo Truzzo auf
der W €stseite des Liro-ThaIs. Ich traf ein mindestens drei Centimeter
mächtiges Flötzchen von Graphitschiefer zwischen dem PizZü Truzzo
15
und dem in N. von da gelegnen kleinen Lago Nero. Er mag beiläufig an der Grenze von granatführendem Glimmerschiefer und phyllitischen
Casanna-Schiefer liegen.
Das die umher liegenden Gipfel um ein Namhaftes überragende
steile Tambo-Horn an der Grenze von Italien und Graubünden besteht
aus einem besondern Phyllit-Gneis. Es ist grobkörnig und bricht in
groben granitähnlichen Blöcken. Es besteht auf feinschuppig verwebten grauen Glimmer, grösseren Feldspath-Ausscheidungen in Gestalt von
Körnern und Krystallen, ferner aus Quarz der oft gegen den Feldspath
zurücktritt. Prof. Escher beschreibt dieses Gestein aus dem in Süd
vom Tambo-Horn verlaufenden Val Loga in ähnlicher, aber etwas andrer
Weise in Studer's Geologie der Schweiz B. 1. Seite 248. Jedenfalls
ist dieses gneis artige oder fast granitische Gestein dem grauen Glimmerschiefer untergeordnet und gehört sogar zu dessen oberen Lagern,
so dass man classelbe in geologischer Hinsicht in den Horizont der
Casanna-Schiefer Theobald's verlegen müsste. Aber seine petrographische
Beschaffenheit ist ganz abweichend. Im Streichen dürfte es nicht weit
anhalten. Ich habe es nur am Areue-Pass überquert. In den meridianen Schichtenzug des Splügen fallen zwei Mulden jüngerer Gesteine
die vor Degradation des Gebirgs in Verbindung gestanden haben mögen
und zusammen eine die Tambo-Gruppe von der Suretta-Gruppe scheidenden Muldenzug darstellen. Der Splügenpass selbst fällt zwischen
beide Mulden und stellt eine Aufwölbung der Basis des Muldenzugs dar, an der das jüngre Gestein der Abtragung verfallen ist.
Auf der Nordseite des Splügen schiebt sich zwischen die Tambound die Suretta-Gruppe eine meridiane Mulde mit meridianem Streichen
und östlichem Fällen ein (Bäusernbachthal). Ihre Grundlage bildet der
Glimmerschiefer oder Casanna-Schiefer. Eingelagert ist weisser körniger
Kalk (Triaskalk). Auf ihm besteht die öfter genannte Splügner Marmorgewinnung. Das oberste Glied der Mulde ist grauer Kalkschiefer
(Bündner-Schiefer, Lias) mit einem untergeordneten Gneis-Lager, welches
gegen den Binterrhein zu sich anlegt. Das Fallen geht hier in Süd.
Leider bietet die kritische Strecke -- zwischen östlich fallendem Triaskalk und südlich fallendem Bündner - Kalkschiefer - keinen befriedidigenden Aufschluss. Ich vel'muthe eine westöstlich streichende Kluft,
an deren Südseite gehobene meridian streichende Lager vorliegen.
16
Im Hinterrheinthale bei Medels und Splügen fallen die jüngeren
Formationen in Süd sowohl unter die krystallinischen Schiefer der TamboGruppe als auch in die der Suretta-Gruppe. Hier ist offenbar dem
Rande des Massivs entlang eine widersinnige Lagerung herrschend.
Südlich vom Splügenpass liegt im grauen Glimmerschiefer der
auf 6 Kilometer Länge meridian gestreckte Kalkstock der Andossi
und der grossen Splügen-Gallerie. Es sind theils schwarzgraue theils
weisse körnige Kalksteine, die mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit als
Triaskalk bezeichnet werden können. Ich -erkenne darin eine meridiane Mulde mit schiefer in Ost fallender Mediane. Sie liegt in der
Linie der Splügener Mulde. Aber beide trennt die höhere Erhebung
der Wasserscheidkette des Splügenpasses. Die Basale des Zugs steigt
und fällt also. Das meridiane Streichen im Glimmerschiefer oder CasannaSchiefer setz\; noch von Pianazzo in Süd bis Prestone fort. Weiter in
Süd legen sich aber bald westöstlich streichende nördlich fallende
Schichten vor und setzen der meridianen Muldenbildung ein Ziel. Hier
streicht die Centralaxe des Liro-Massivs über.
Gyps ist in der Andossi-Mulde stellenweise vertreten. Er geht
nördlich von Madesimo zu Tage aus und ist von Bittersalz-Quellen begleitet. Ich erkenne darin keine besondre Schichte der Trias, sondern
nur eine örtliche Umwandlung eines Theils des Triaskalks und bin
der Meinung, dass die Bittersalzquellen von Madesimo die Fortdauer
des Umwandlungs-Vorgangs bezeugen.
Die Südwestseite des Liro-Massivs bildet weithin ein von NW. in SO.
streichender in NO. fallender Zug, der von Mesocco in Graubünden über den
an der Landesgrenze gelegenen Passo della Forcola sich bis Gordona unweit
Chiavenna verfolgen lässt. Am Forcola-Pass wird der die Grenze bildende
Schichtenzug des Glimmerschiefers sehr schmal, die Gneismassen des TessinerMassivs und die des Liro-Massivs treten dicht an einander heran, erstere
unterteufen die letztren, nordöstliches Fallen ist herrschend. Der Gneis
des Tessiner-Massivs fällt unter eine schmale Zone jüngerer krystallinischer
SChiefer, die im Allgemeinen als Glimmerschiefer bezeichnet werden
können, aber bald einen phyllitischen Casannaschiefer, bald einen glimmerigen Quarzfels darstellen, bald in Gneis überspielen. Dieser Schichtenzug, den ich als F 0 r c 0 I a - Z 0 ne unterscheide, lässt sich beiläufig
von der Alp Guarnei (oder Corneja) über den Pass in SO. bis Gordona
verfolgen, wo er am breiten Maira-Thale abschneidet. Am Passo deUa
17
Fm'cola in 2217 Meter Meereshöhe führt er auch noch schwarzgrauen
Kalkstein, ferner auch Hornblendeschiefer. . Diese seltsame Formation
ist nicht sicher zu deuten, am meisten Wahrscheinlichkeit dürfte ihre
Beziehung zum Casannaschiefer haben. (Möglicher Weise ist der Kalkstein auch nur der Basaltheil einer grösstentheils schon abgetragenen
Einlagerung der viel jüngren Bündner Kalksteine und Schiefer.)
Noch räthselhafter ist das Lagerungsverhältniss der Forcola-Zone.
Die schmale an der Forcola höchstens 300 oder 400 Meter breite
Zone des jüngren Gesteins fällt alsbald unter den Gneis des Liro-Massivs. Eine Mulde lässt sich hier so wenig wie im ganzen Schichtenzug von Mesocco bis Gordona construiren.
Es scheint also, es liegt eine weithin gehende grossartige Gcbirgsumkippung vor. Aber in ihren Einzelheiten lässt sich auch diese nicht
erklären.
Ich dachte einmal an Faltung mit schiefer Mediane, Kluftbildung
und Verwerfung in derselben Mediane und Abtragung des einen der
beiden Muldenflügel dnrch Degradation. Aber eine so zusammengesetzte Erklärung lässt sich nicht wohl auf eine so lange Streichungslinie durchführen.
Man niüsste im Bergell von Chiavenmt bis über
Castasegna hinaus dasselbe annehmen. Eher ist eine grossartige Umkippung zu vermuthen.
Während die Forcola-Zone in SO. bis Gordona anhält und erst
an der breiten Maira-Ebne oder dem Piano di Chiayenna abschneidet,
legt sich in Ost vom Pass zwischen dieselbe und den Gnris des LiroMassivs der Granat-Glimmerschiefer in zunehmender Breite an, westöstlich streichend und in Nord - scheinbar unter den Gneis - einfallend.
Er wird hier bis vier Kilometer breit und zieht dann über das LiroThaI in Ost ins BergeIl fort, wo er gegen ein Kilometer breit über
Castasegna hinaus anhält.
Hier tritt das noch weiter verwirrende Verhältniss ein, dass an
der Stelle der in Westen den Glimmerschiefer untet·teufenden ForcolaZone die breite und mächtige Lavez-Zone von Chiavenna eintritt, genau
ihre Stelle vertretend und im Streichen durch die breite Maira-Ebne
von ihr getrennt.
Hier möchte man die Forcola-Zone und die Zone des Lavez und
Hornblendeschiefers von Chiavenna einander gleichstellen.
Abrr kein
weitrer Grund spricht dafür und ich zögre mich zu entscheiuen. VielRolle, C'hiavf'una.
2
18
leicht lösen sich Lager von sehr ungleichem Alter in derselben Streichungslinie ab.
Wie dem nun auch sei, jedenfalls sind hier die Lagerungsverhältnisse verwirrend und die Schichtenfolgen nur annähernd zu entwickeln.
Diese räthselhaften Umkippungen umziehen das Liro-Massiv auf
eine weite Strecke. VO!l Splügen in West bis zum Bernardin fallen
jüngre Schichten unter ältre, von da in Süd bis Mesocco ist dasselbe
der Fall, dann von da in Südost über den Forcola-Pass bis Gordona
und von da wieder in Ost über Chiavenna und Castasegna hinaus sind
auch, wie schon erörtert wurde, die Lagerungsverhältnisse räthselhaft.
Hege1mässige Schichtenfolge mit rechtsinniger Lagerung herrscht
nur in Nord und Nordost vom Liro-Massiv beiläufig von Emet und
Canicul an durch Val di Lei und Madris, wo auf eine grössere Strecke
Glimmerschiefer unter Triaskalk und dieser unter Bündner Schiefer einfällt und die Schichtenfolge auf grosse Strecken hin ganz klar ist.
Es bleibt uns nun noch übrig, einen Blick auf die aus Gneis
bestehende Ce n t I' a 1- A x e des Liro-Massivs zu werfen. Sie streicht
vom Forcolapass und dem Truzzo-See mit einer Breite von 4-5-6
Kilometer in Ost, wird zwischen Cimaganda und San Giacomo von der
tiefen Erosions-Schlucht des Liro meridian durchschnitten und bildet von
da das nördliche Bergeller Gebirg bis über Castasegna hinaus. Das Fallen
geht in Nord Im BergeIl wird der Gneis von Glimmerschiefer mit
Granat und Staurolith (scheinbar) unterteuft und in Nord von der Gneisaxe
legt sich im Lirothal, in Val di Lei und Madris der Glimmerschiefer
wieder mit nördlichem Fallen an, meines Erachtens an dieser Seite als
wahres Hangendes.
Das Gestein ist theils braunglimmeriger, theils weissgli)1lmeriger
Gneis. Zwischen San Giacomo und Cimaganda entblösst das Liro-Thal
mächtige Schichtenfolgen von granitischem fast massigem Gneis mit
grossen Feldspatheinschlüssen.
Untergeordnete Lager sind mir nicht
aufgefallen.
19
Das rressiner Massiv*).
Der Gneiszug der Tessiner Alpen und der Adula-Gruppe verläuft
als geschlossene in keiner Weise durchgreifend zu scheidende Masse
zwischen dem Passo della Forcola und dem Passo di San Jorio mit
einer Breite von 18 oder 20 Kilometer über die Wasserscheidkette in
Ost auf italienisches Gebiet bis zum breiten Piano di Chiavenna, dem
Mezzola-See und dem Oberende des Comer-Sees. In Ost von diesel'
breiten und tiefen mit Alluvionen erfüllten Einthalung setzen die Gneismassen des Tessiner Massivs mit streichenden Zügen in das Massiv des
Monte della Disgrazia und des Bernina fort, von dem sie sich überhaupt nur durch eben diesen Thalverlauf künstlich abscheiden lassen.
Strenger genommen müsste man nur ein einziges Massiv hier annehmen.
Die Scheidung ist nur mit Rücksicht auf bequemere Orientirung zu
rechtfertigen.
Der Gneis des Tessiner Massivs ist vorwiegend ein braunglimmeriger plattenförmiger Gneis, doch sind auch Lager von geschlossenem in massige Blöcke zerklüftendem Granitgneis häufig. Untergeordnete Lager von Hornblendeschiefer und Serpentin erscheinen nur
spärlich. Das Streichen ist - in dem von mir untersuchten Gebiet von
Mesocco, Grono und Bellinzona an bis zur Maira - vorwiegend westöstlich, das Fallen geht, wie schon beim Liro-Massiv erörtert wurde,
vom Forcolapass bis Gordona in Nordost und der Gneis unterteuft hier
- widersinnig - die offenbar viel jüngere Forcola-Zone - und scheinbar auch den Gneis des Liro-Massivs.
Meridian ist die Aufwerfung des Gneises von Mesocco an in Nord
bis zum Bernardino, in Ost über Val Calanca bis Val Blegno. Zwischen
Mesocco und der Forcola herrscht eine vermittelnde Richtung mit nordöstlichem Fallen.
In Süden vom breiten Gneiszug des Tessiner Massivs verläuft eine
weithin anhaltende westöstlich streichende durchschnittlich ein bis zwei
Kilometer breite Zone von Hornblendegneis. Sie fällt steil in Norden
unter den Gneis, wie ieh annehme in widersinniger Lagerung und wird
*) E. Deso1'. Gebirgsbau 1865. Centralmasse des Tessin. Seite 25. Cen-
tralmasse des Adula.
Seite 26.
2*
20
ihrerseits von Glimmerschiefer unterteuft. Diese Zone von Hornblendegneis lässt sich an der Nordseite von Val Morobbia (Velano und Carenal fiber die Wasserscheidkette (gleich in Nord fiber dem Jorio-Pass)
anhaltend in Ost fiber Liro bis zum Passo d'~dda (Unterende des Mezzola-Sees) verfolgen.
Hier schneidet sie vor der breiten Thalebne ab, legt sich aber
im Osten alsbald wieder an und setzt nun an der Nordseite das VeltUn weiter in Ost fort, wo sie in das von Prof. Theobald aufgenommene Gebiet (Blatt 20 des Dufour-Atlases) übertritt.
Der Hornblendegneis (Syenitgneis) ist bald mehr geschichtet, bald
mehr granitartig massig. Er besteht aus Quarz, Feldspath und braunem Glimmer, wozu oft noch Epidot und Titanit kommen. (Ich hatte
Gelegenheit, Herrn Prof. Dr. Streng in Gi e s sen fiber dieses Gestein
zu Rath zu ziehen).
Glimmerschiefer, bald mehr phyllitisch und sogenannten CasannaSchiefer darstellend, bald ächter Granatglimmerschiefer, bald auch in
Gneis überspielend, streicht in Süd von der Zone des Hornblendegneises
von Carena (Val Morobbia) in Ost über den Jorio-Pass und ins Veltlin
und fällt auf dieser ganzen Strecke in Nord, den Hornblendegneis
scheinbar unterteufend, meines Erachtens aber das wahre Hangende
desselben bildend.
Eingemuldet im Glimmerschiefer und zwar nahe in Süd von
der Zone des Hornblendegneises erscheinen Partien von hellgrauem
Kalk und Dolomit der Trias. Auf Tessiner Gebiet liegt eine solche
Kalkmulde zwischen Carena und dem Jorio-Pass. Die Wasserscheidkette entspricht einer Luftbasale des Muldenzugs. (Sit venia verbo.
Am Splügen bemerkten wir schon dasselbe Verhältniss.)
Ein bedeutenderer Zug von Triaskalk bildet den Sass Pell nördlich über Gravedona und streicht von da in Ost bis Cinque case am
Ufer des Comer Sees, wo er in den See eintaucht. Auffallend ist, dass
er bei Livo und Caino so dicht an den Hornblendegneis rückt, dass
auf eine ansehnliche Strecke es mir nicht möglich war, dazwischen
eine Zone Glimmerschiefer aufzufinden. Letztere scheint hier, wie man
sagt, verdrückt zu sein.
In Ost vom Comer See taucht diesel' Kalkzug in der Höhe des
nördlichen Gebirgs wieder hervor, hier mit einem mächtigen Liegenden
von grünem Schiefer (Verrucano-Aequi valent) und setzt in Ost über
21
Dubino fort. Der östliche Muldenzug liegt in ,namhafter Höhe übel'
dem Spiegel desselben Sees, in welchem das westliebe Stück des Zuges
untertaucht. Die Basale steigt und fällt also wiederholt. Ich nehme
diese triasischen Kalkeinmuldungen im Glimmerschiefergebiet von Carena
bis über Dubino hinaus als Zeichen, dass hier das Massiv der Tessiner
Alpen und des Disgrazia in Süd an das von Prof. Studer unterscbieDiese Grenze ist aber nur
dene Massiv des Seegebirgs angrenzt.
lückenhaft ausgeprägt und nur beiläufig zu verfolgen, je nachdem der
Kalkmuldenzug sich unter den Boden senkt oder so zu sagen sich in
die Luft hebt.
Das Massiv des Monte della Disgrazia und des Bernina*).
Vom Tessiner Massiv scheidet nur die breite Einthalung der
Maira und des Mezzola-Sees die beiden östlich fortstreichenden Massive
ab. Im innern Gebirgsbau ist kein Grund zu einer Abgliederung gegeben, die streichenden Züge legen sich in Osten in wesentlich gleichen
Cbarakteren wieder an und nur die Erleichterung der Orientirung veranlasst mich, bier dem Beispiel meines Vorgängers zu folgen und beide
Massive zu scheiden.
Von Chiavenna bis Dubino im unteren Veltlin streichen die Züge
des Tessiner Massivs mit vorherrschendem nördlichen Fallen über das
Mairathai und die Seen in Ost über in einer Breite von beiläufig
18 Kilometer.
Auch hier ist der Gneis bei weitem vorherrschend und noch ganz
dem der Tessiner Alpen und des Mesocco gleich.
Granitische Gneise kommen auch hier gelegentlich vor. Hierzu
kommt noch das Auftreten eines bedeutenden von SW. in NO. streichenden etwa 3 Kilometer breiten Granitzugs, der bei Riva, Novate
und Campo zur Ebene der Maira nnd des Mezzola-Sees ausstreicht.
Er zeigt Merkmale eruptiver Entstehung und soll weiter unten Erörterung finden,
In Süden von der Gneiszone des Disgrazia-Massivs legt sich die
*) E. Deso1'. Gebirgsbau. 1865. Centralmasse des Bernina. Seite 29.
22
westöstlich streichende Zone des Hornblendegneises wieder an und zwar
in bedeutender Verbreiterung, am Ostrande des Mezzola-Sees beiläufig
anderthalb Kilometer breit, gegen Osten noch mehr verbreitert. Sio
bildet hier das hohe steile Gebirge der Nordseite des unteren Veltlin,
welches die Adda vom Val dei Ratti trennt. Ein gangbarer Pfad
führt über die Bassetta nördlich VOll Cino.
Südlich von der breiten Zone des Hornblendegneises legt sich
der Glimmerschiefer wieder an und fällt wie in Val Morobbia und am
Jorio-Pass in Norden unter dieselbe ein, meines Erachtens widersinnig.
Die wahre Altersfolge scheint Gneis, Hornblendegneis, Glimmerschiefer zu sein. Sie lässt sich aber nicht erweisen, wie dies auch in
Val llIorobbia der Fall ist. Der Hornblendegneis müsste weiter in
Süd wieder zu Tage treten, aber ich weiss nicht, ob der 15 bis 16
Kilometer weiter südlich hervortretende Syenit - Zug an der Pioverna
(Stoppani, Blatt XXIV) sich auf den Hornblendegneis des Veltlins
beziehen lässt.
Der in Glimmerschiefer eingezwängte Zug des Triaskalks von Carena und G'ravedona taucht in Ost vom Comer See unter ähnlichen
Verhältnissen wieder hervor und erscheint zuerst am steilen Hang des
Gebirgs östlich von der Addamündung in ansehnlicher Höhe über der Thalebene und den Seen. Er hat hier ein mächtiges Liegende von grünem
Schiefer, den ich mit Theobald als Verrucano-Aequivalent betrachte,
und ist unzweifelhaft eingemuldet.
Die Mediane fällt in Nord und
. der Kalk selbst erreicht die Thalebene nicht, so dass man hier die
Basis des Muldenzugs - im Vergleich mit ihrem Eintauchen in den
Comer See bei Cinque Case deutlich emporgehen sieht. Dies ist
bereits schon ein lehrreicher Aufschluss in Bezug auf das Verständniss
der in Glimmerschiefer eingemuldeten Triaskalk~Züge, aber es bleibt
immer noch der räthselhafte Umstand, dass dieser Kalkzug so nahe
am Rande der Zone des Hornblendegneises auftritt, wie er denn auch
bei Livo westlich vom Comer See an derselben unmittelbar anstreicht.
Es bleiben also selbst in diesem klarsten und günstigsten Falle
von muldenförmiger Einlagernng von Triaskalk und Verrucano in Glimmerschiefer noch einzelne räthselhafte Umstände. Die Basallinie des
Muldenzugs hebt sich und senkt sich. Das Liegende der Mulde ist
stellenweise noch einigermassen gleichflügelig, stellenweise aber auch
seltsam ungleich-Hügelig. Die Verrucano-Zone aber ist bei Dubino
23
mächtig entwickelt, wogegen ich bei Livo von ihr nur nach längerem
Suchen unansehnliche Geschiebe auffand und bei Carena auch nicht
eine Spur nachzuweisen vermochte. Oestlich von Dubino bei Cercino
ist der Kalkzug wieder der Abtragung verfallen, die Mulde zeigt nur
noch den grünen Verrucano-Schiefer. Weiter in Ost legt sich der
Kalkzug wieder an (Theobald, 1866, Seite 347, Nachträge).
Dies
fällt schon auf Karte XX.
Theobald, Südöstl. Graubünden 1866, Seite 262 und 347
erörtert den Zug des Triaskalks der Nordseite des unteren Veltlins
und gibt unter NI'. 12 ein Profil der Kalk-Mulde von Dubino. Ich
bin im Allgemeinen damit einverstanden, nur kann ich der Abgliederung derselben in eine ganze Reihe besonderer Stufen der Trias nicht
beipflichten. Ich kann nur die Reihenfolge Gneis, Hornblendegneis,
Glimmerschiefer, grüner Schiefer des Verrucano, Kalk und Dolomit der
Trias hier erkennen. Der Verrucano-Schiefer besteht stellenweise aus
Quarz, einem grünen, dem Agalmatolith ähnlichen Mineral (das jedenfalls kein Talk ist) und ein wenig weissen Glimmer. Vielleicht ist
dieses Gestein als Agalmatolith-Schiefer zu bezeichnen. Von organischen
Resten ist auch im Triaskalk keine Spur mehr zu bemerken, geschweige
denn im grünen Schiefer.
Es bleibt nun noch übrig, den Granit zu berühren, der im Val
Codera und zu beiden Seiten des Lago di Mezzola in Gneis aufsetzt.
Er bildet einen im Streichen (SW. in NO.) verlaufenden gangartigen
Zug, von dem sich zunächst mit Bestimmtheit sagen lässt, dass in
seinem Auftreten nichts ist, was an eine Massivbildung auch nur entfernt
erinnern könnte.
Die Anzeichen eruptiver Entstehung beschränken sich auf das
Vorkommen zahlreicher Schollen älterer Gesteine, die stellenweise dicht
gedrängt im Granit liegen. Sie bestehen bei der Capelle San Fedele
an der Westseite des Sees aus schwarzem Hornblendefels.
Zwischen
Riva und Novate zeigen sich dafür Einschlüsse eines Gesteins von grüner
Hornblende (Strahlstein) und hellgrauem Feldspath, welches ich anstehend nicht kenne. Zwischen Novate und San Giorgio erscheinen
Schollen von Gneis in demselben Granit.
Die östlichere Gegend an der Codera hat ein so furchtbar steiles
und wüates Felsengebirge, dass sowohl Theobald' s als meine eigene
'geologische Aufn~hme hier unbefriedigend geblieben sind. Theobald's
24
Profile durch die Codel'a (NI'. 4 und 14) genügen mir noch nicht.
Ich vermag nichts daraus zu lernen. Aber ich möchte die Entwerfung
anderer Profile noch weniger hier verantworten. Weiter gegen Osten
scheint der eruptive Granit unmerklich in undeutlich geschichteten
Granit-Gneis zu verlaufen. Die Einschlüsse älterer Gesteine fehlen
schon vom Dorfe Codera an. Hier bedürfte es noch besserer Kartengrundlage und ausführlicherer Aufnahme. Aber auch diese würde kaum
zu einer scharfen Scheidung von Granit und granitischem Gneis führen.
Was die eruptive Entstehung des Granits von San Fedele, Riva,
Novate u. s. w. betrifft, so beschränken sich die Merkmale, wie schon
erwähnt wurde, lediglich auf die Einschlüsse fremder Gesteine.
Es
liegt also eine Gangbildung vor, dies ist mindestens sicher. Die eruptiye Entstehung ist also zwar nicht erwiesen, aber doch wahrscheinlich.
Das Seegebh·ge*).
Prof. Stlldc'l' unterschied 1851 als eigene Gebirgsmasse das
Seegebirge oder das westöstlich streichende Gebiet krystallinischer
Schiefer im Süden von Bernina, dem Adula-Gebirg und den Tessiner
Alpen. In mein Arbeitsfeld fällt davon nur ein kleiner Thei! und ich
kann mich daher darüber kurz fassen.
Ich nehme als Grenzlinie den mehrfach unterbrochenen Zug der
Triaskalkmulden von Carena, Gravedona und dem unteren Veltlin. Was
südlich davon liegt, kann ein eigenes Massiv sein.
Das Gebil'g in Süden vom unteren Veltlin pflegt man hin und
wieder als Orobisches Gebirg (le prealpi Orobie) zu bezeichnen. Von
Traona und Cosio an über Delebio bis Colico traf ich nur Glimmerschiefer und zwar theils ächten Glimmerschiefer mit Granat
und Staurolith (Rio Perlino bei Colico) theils phyllitischen Schiefer
(Casannaschiefer) theils gneisartige Lager. Bei Fuentes traf ich Rutil.
Das Streichen ist vorwiegend westöstlich. Aber die Lager fallen auf
der Nordseite der Adda in Nord unter die Triasmulde von Dubino,
an del' Südseite des Thales in Süd. Das breite Addathal scheint also
*) E. De WJ 1'. Gebirgsbau 1865, Centralmasse der vier Seen. Seite 28.
25
im unteren VeltliIi einer alJgetragenen Sattelwölbung des Glimmerschiefers zu folgen. Die südlichere Gegend kenne ich nur aus der wenig
specificirten Stoppani'schen Karte (Blatt 24).
Auf der Westseite des Comer Sees ist im Val di Gravedona und
im Val di Dongo das Verhältniss dasselbe bis zum Jorio-Pass.
Die
anticlinale Linie des unteren Veltlin glaubte ich auch im Val di Dongo
bei Garzeno wiederzufinden.
Damit in Einklal!g steht das Auftreten
eines westöstlich streichenden Kalklagers im Glimmerschiefer von Dongo.
So
Die Stoppani'sche Karte bezeichnet es als weissen lVIarmor.
viel ich davon gesehen, glaube ich einen dem Triaskalk von Gravedona parallel laufenden zweiten lVIuldenzug der Trias annehmen
zu dürfen.
Bemerkenswerth ist noch ein anf acht Kilometer Länge von Domaso bis Garzeno zu verfolgender Zug VOll schwarzem Hornblendeschiefer, der im Glimmerschiefer SW. in NO. verläuft und in NW. fällt.
Während er bei Domaso kaum ein Kilometer von der Grenze des Hornblendegneises abliegt, erscheint er bei Garzeno etwa vier Kilometer
davon entfernt. Es zeigt dies, welche unerwartete Unregelmässigkeiten
in einem scheinbar in regelmässiger Folge gelagerten krystallinischen
Schiefergebirg das glückliche Verfolgen eines einzelnen Lagers herausstellt. Ich kann dies nur aus zahlreichen gedrängten lVIuldell- und
Sattelbiegullgen in Glimmerschiefer zwischen Garzeno und der Grenze
des Hornblendegneises erklären, sie entgehen für sich der Aufnahme.
Reihenfolge und Lagerung (leI' Formationen.
Eine getreue Darstellung der Formationen und Lagerullgsverhältnisse des Gebiets der Clävener Alpen und des umliegenden Gebirgs
lässt sich bei der Schwierigkeit des Gegenstandes und der Unvollständigkeit einer auch noch so gewissenhaften Aufnahme kaum geben, ohne
auch den subjectiven Standpunkt zusammenhängend darzulegen.
Vor allem betrachte ich Gneis und Glimmerschiefer als sedimentäre, nachfolgend stark umgewandelte Ablagerungen. Ihre Schieferung
ist concordant mit dem Streichen ulld Fallen untergeordneter Lager
26
-wie z. B. denen des Hornblendeschiefers. Die Umwandlung ist nicht
allenthalben in gleichem Grade erfolgt. Manche Gneislager sind granitartig geworden. Der Glimmerschiefer bleibt sich ebenso wenig gleich.
Manche Lager sind ächter Glimmerschiefer mit Granat und Staurolith.
Andere Lager sind phyllitisch geblieben (Glimmerfiysch, Casanna-Schiefer,
Thonglimmerschiefer) ohne dass man sie immer als einen jüngeren
Glimmerschiefer abzutrennen vermöchte.
Andere Lager schwanken
zwischen Gneis und Glimmerschiefer. Am Pizzo Tambo erscheint sogar ein zwischen Gneis und Glimmer-Phyllit schwankendes in granitartige Blöcke zerklüftendes Gestein und zwar, wie es mir scheint, in
Andere und zwar meist phyllider Oberregion des Glimmerschiefers.
tische Glimmerschiefer erscheinen so enge mit der Basis des Triaskalks
verbunden, dass man vermuthen muss, ein Verrucano-Aequivalent vor
sich zu haben, ohne im Stande zu sein, es nach petrographischen Characteren von seinen Liegenden abzugliedern.
Die Metamorphose sedimentärer Gesteine ist überhaupt so ungleich
vorgeschritten, dass man selbst in Bündner Schiefer (Lias) noch wohlcharacterisirte Lager von ächtem Glimmerschiefer und ächtem Gneis
antrifft.
Das ganze Gebiet betrachte ich als ein vielfach zusammengesetztes Faltungsgebirge unter mannigfacher Abwechslung einer Faltung
in der Alpenrichtung oder Longitudinalfaltung (West in Ost oder WSW.
in ONO.) mit einer Faltung in einer zum Streichen der Alpen fast senkrechten Richtung (Transversalfaltung oder Adula-Stl'eichen.) Das Letztere macht sich an vielen Stellen und mitunter auf grosse Ausdehnung
geltend, ist aber gleichwohl nur eine örtliche Erscheinung im Verhältniss zum grossen Ganzen der Alpen und scheint nur eine gewaltsam
bewirkte Compensation örtlicher Stauungen zu sein, die der Longitudinalfaltung des Systems in den Weg traten. Man könnte hier statt
von einer Faltung fast eher von einer Zerknitterung der Gebirgslager reden.
Seit der Gebirgsfaltung hat eine mächtige Degradation der Gebirgsoberfiäche stattgefunden, die Sattelungsscheitel sind abgetragen
und wo die Faltung, wie dies meist der Fall war, mit schiefer Mediane erfolgte, folgen die zurückgebliebenen Züge des gefalteten Gebirgs einander in scheinbar gleichartiger Aufiagerung, in der nur hin
27
und wieder die Einschaltung eines specificirten Lagerungsglieds einen
Anhalt zur Erfassung der wahren Lagerungsfolge gewährt.
Dass überhaupt im krystallinischen Schiefergebirge grossartige,
wenngleich fast unkennbar gewordene Abwechslungen von Mulden und
Sätteln vorliegen, erweisen mir in der longitudinal gefalteten Gegend
von Grono (Val Mesocco) die beiden Kalksteinzüge, der von Val Traversegna und Lumina und der von Pedemonte. Sie fallen nach einem
Abstand von drei Kilometer einander entgegen. In dem Gebiet des
meridianen Streichens oder der Transversalfaltung zeigt das Val Calanca
ein ähnliches Verhalten. Oestlich von Augio und Rossa streicht ein
Kalklager im Gneis von SO. in NW. und ihm correspondirt auf der
Westseite von Calanca ein anderes Kalklager im Gebirg hoch über
Landarenca, welches ich, da es noch im Schnee lag, nicht zu erreichen
vermochte. Ich wage sogar die Vermuthung, dass alle diese vier Kalklager nur die durch Faltung und Degradation von einander getrennten
Stücke eines und desselben ursprünglich zusammenhängenden Kalklagers
sind.
Den vollen Erweis könnte nur eine weit specificirtere Aufnahme bringen, als sie mir in der Kürze des alpinen Sommers
möglich war.
Einen anderen Beweis für die Faltung des krystallinischen Schie=
fergebirgs liefern die darin eingemnldeten Kalklager der Trias. Die
Mulde VOll Dubino hat Theobald dargestellt und von der Thalebene
der Adda-Mündung aus ist deutlich zu seheu, dass der Kalk in der
Höhe des Gebirgs eine Mulde bildet, die nicht zur Thalebene herabreicht, an deren Rand aber der grüne Verrucano-Schiefer ansteht und
beiderseits von steil fallenden Schichten von Glimmerschiefer (CasanllaSchiefer) eingefasst wird. So klaren Aufschluss erhält man freilich
selten und die Kalkmulde von Dubino wird in West so ungleichfiügelig
von den älteren Gesteinen eingefasst, dass man den Muldenbau eben
nur noch errathen kann. Die Basallinie der Mulde hebt und senkt
sich auch so sehr im Fortstreichen, dass die Mulde selbst bald abgetragen ist, bald wieder sich anlegt, wo die Gebirgsdegradation etwas
von ihr übrig gelassen hat.
Aber die Muldenconstruction ist immerhin für einen Theil des
Zuges völlig sicher und es ist auch offenbar, dass das krystallinische
Schiefergebirg von derselben Faltung mit betroffen wurde und die Faltung auch hier maneller Unregelmässigkeit verfallen sein mag.
28
Die Massive oder Einheiten des Gebirgsbaues betrachte ich als
mehl' oder minder zusammengesetzte Aufwölbungen mit degradirter
Oberfläche, die bald parallele Faltungen enthalten, bald in zwei nahezu
senkrecht gegen einander verlaufenden Richtungen aufgefaltet sind.
Ihre Begrenzung bilden Schichtenzüge jüngerer Gesteine, die bald
das Massiv im Zusammenhang umziehen, bald in Folge von steigendem
oder sinkendem Zug der Basallinie nur noch lückenhaft zu erkennen
sind und dann in den nächst älteren Gesteinen z. R im Glimmerschiefer
ihren Verb'eter finden oder wenn auch dieser abgetragen ist, im tieferen
Gesteine des Massives selbst. Die Massive sind darnach von sehr ungleich ausgeprägter Abgrenzung, die Grenzen lassen sich oft nur in
Gedanken fortziehen. Oder es erscheinen auch stellenweise statt einer
sogar zwei parallele Begrenzungs-Falten, wie dies z. B. bei den bei den
parallelen Kalkzügen von Gravedona und Dongo der Fall ist. Die abgrenzendE'n Zonen jüngerer Gesteine sind stellenweise deutliche Mulden,
wie dies namentlich für den Kalkzug von Dubino und Gravedona gilt.
Aber häufig ist die Einmuldung zufolge örtlicher Unregelmässigkeit
oder bei mangelhaftem Aufschluss nur auf Grund analoger Vorkommen
zu errathen. So ist es im BergelI, wo ich nur nach Theobald' s
Vorgang Triaskalkmulden annehme, ohne sie genauer erweisen zu
können. So ist es am Passo della FOl'cola, wo ein Lager Kalkstein
im Casannaschiefer auftritt, bei welchem ich sehr im Zweifel bin, ob
ich ein dem Glimmerschiefer wirldich eillgelagertes Kalklager oder den
in denselben hereinreichenden Basaltheil eines Zuges von Bündner Kalkstein annehmen soll.
Weit häufiger als aus Mulden scheinen aber die um die Massive'
herum ziehenden Zonen jüngerer Gesteine nur auf Ueberschiebungen zu
beruhen. So ist auf der ganzen Strecke von Splügen über den Bernardin und den Forcola-Pass bis über Chiavenna und vielleicht Castasegna hinaus das Liro-Massiv über jüngere Schichten hinausgeschoben
oder gleichsam übergequollen, ohne dass es möglich wird, in Querschnitten einen Muldenbau nachzuweisen.
Dies ist eine sehr hervortretende Erscheinung und von Splügen
um das Liro-Massiv bis Chiavenna auf nicht weniger als vierzig Kilometer Länge zu verfolgen. .
Nur zwischen dem nördlichen Bergeller Gebirg (Pizzo Stella und
Pizzo Gallegione) und dem Avers dacht das Liro-Massiv mit rechtsinnig
29
auf einander folgender Schichtenreihe - Gneis, Glimmerschiefer, Vorrucano-Aequivalent, Triaskalk und Bündner Schiefer - von Süd in Nord
ab. Regelmässige Lagerung erscheint hier als unerwartete örtliche
Ausnahme.
Die Einschaltungen jüngerer Gesteine zwischen die Massive erscheinen
auch in Form von Buchtenausfüllungen. So reichen bei Olivone, Ct. Tessin,
jüngere Gesteine zwischen die Adula-Gruppe und die Tessiner Gruppe.
Ich kenne dies Vorkommen aber noch nicht aus eigener Anschauung.
Eine ähnliche Muldenausfültung mit Triaskalk legt sich bei
Splügen zwischen die Suretta - Gruppe und die Tambo - Gruppe des
Liro-Massivs mit meridianstreichenden und in Ost fallenden Schichten.
Diese Mulde setzt nach Unterbrechung durch den Splügenpass oder wenn ich so sagen darf mit einer Luftbasale zu einer
südlicheren meridianen Mulde von Triaskalk fort, welche auf italienischem Gebiet das Kalkplateau der Andossi bildet und bis gegen Pianazzo anhält.
Aber weiter in Süd ist keine Andeutung von einer Fortsetzung
der Mulde, denn jenseits Pianazzo endet die meridiane Gebirgsfaltung
und von Prestone hinab bis Chiavenna u. s. w. herrscht wieder longitudinale Faltung und westöstliches Streichen.
Die Halbirung des Liro-Massivs durch die Mulde der SplügenStrasse ist also nicht vollständig und man kann höchstens dieses Massiv
als in zwei Gruppen zerfallend betrachten.
Das herrschende Gestein der Massive in der Landschaft Chiavenna
und der umliegenden Gegend ist Gneis und zwar vorwiegend braunglimmeriger plattenförmiger Gneis, der wenige untergeordnete Lager
von körnigem Kalk (Urkalk) Hornblendeschiefer und Serpentin führt.
In der Codera und am Mezzola-See erscheint darin das oben erörterte Granit-Lager, das durch reichliche Einschlüsse von anderen Gesteinen den Anschein eruptiver Entstehung bietet.
Sonst fehlt jede Spur von eruptiven Gesteinen und es liegt mir
auch kein Grund vor, deren hier als Ursache und Moment der Massivbildung in der Tiefe vorhanden anzunehmen.
Auf den Gneis folgt in der Linie von Carena und Livo in Ost
bis zum unteren Veltlin der Hornblendegneis als mächtiges Lager in
Nord oder widersinnig unter den Gneis einfallend. Ich nehme ihn als
nächst jüngeres Glied, er muss weiter in Süd aus dem Glimmerschiefer
30
wieder hervorsteigen. Ich bin aber ausseI' Stand, dies zu erweisen,
da ich die südlichere Gegend nur aus der Stoppani'schen Karte
(NI'. 24) kenne.
Auf den Hornblendegneis, aber wieder als scheinbares Liegendes
folgend - erscheint in Süd Glimmerschiefer und setzt weit in Süd
auf das Gebiet der Karte 24 (Stoppani) fort.
Glimmerschiefer umzieht auch als schmale Zone den Gneis des
Liro-Massivs gegen Süden im Bergell, dann als breitere Zone in West
breit und ausgedehnt auf der Nordseite - und zwar auf der Südseite
in Nord unter dem Gneis, dagegen auf der Nordseite vom Gneise abfallend, jedenfalls aber als dessen wahres Hangendes.Viele Lager dieses Glimmerschiefers sind Phyllite mit grauem
feinfilzig verwebtem Glimmer oder Casanna-Schiefer (Thonglimmerschiefer).
Ich bin aber ausseI' Stand, eine durchgreifende Casanna-Zone festzuhalten. Ein Theil dieser Gesteine mag ein Aequivalent der Steinkohlenformation sein. Ein anderer Theil, der Kalksteinlager führt und an
der Grenze gegen Triaskalk auftritt, dürfte eher auf Verrucano zu beziehen sein, wiewohl auch hierüber wenig mehr als blose Muthmassungen beigebracht werden können.
Problematischen Alters sind die Forcola-Zone zwischen ForcolaPass und Gordona und die Lavez-Zone von Chiavenna und Castasegna.
Sie lagern im Rohprofil, wie schon erörtert wurde, auf Gneis und fallen
unter Glimmerschiefer, der wieder unter einen dem Liegenden identischen
Gneis einfällt. Sie sind also jünger als der Gneis. Aber mehr lässt
sich auch zur Zeit kaum noch sagen. Die Forcola-Zone nehme ich als
jünger wie Glimmerschiefer.
Die Lavez-Zone von Chiavenna setzt
Theobald (1866 Seite 26 und 27. Malenco-Schiefer und Lavezstein)
vermuthungsweise ins paläozoische System. Ich getraue mir nicht, ein
näheres Urtheil darüber auszusprechen.
Vielleicht fällt diese Zone
zwischen Hornblendegneis und Glimmerschiefer. Die Entscheidung muss
noch ganz dahingestellt bleiben.
Verrucano-Aequivalente erkenne ich in zwei Gegenden. Erstlich
gehört dahin der grüne Schiefer (Agalmatolith-Schiefer?) des unteren
Veltlin (von Cercino über Dubino bis zur Kirche San Quirico an der
Adda-Mündung. Er liegt auf Glimmerschiefer oder Casanna-Schiefer
und trägt eine eingemuldete Masse von Triaskalk.
31
Weiter zähle ich zum Verrucano als hochkrystallinisch umgewan.deltes Aequivalent den grünen Gneis (Rofla-Gneis, Rofla-Porphyr, Chloritgneis u. s. w.) von Splügen, der Suretta und dem Averser Rheinthai bei Ferrera. Er nimmt dieselbe Stelle im Schichtensystem ein
wie der grüne Schiefer im unteren Veltlin. Ich vermuthe seine Identität mit dem sogenannten Talkgneis und Talkquarzit des Vorderrheins
und des Calanda bei Chur. (Helvetan-Gneis Simmler's).
Dann folgen eine Reihe mehr oder minder krystallinischer körniger Kalksteine und Dolomit vom stattlichsten Carrara-Marmor an
bis zum schwarzgrauen dichten Kalk, in dem man auf jedem Schritt
Petrefacten finden zu müssen vermeint.
Ich nehme diese Kalksteine und Dolomite nach Theobald' s
Vorgang als Aequivalente von Muschelkalk und Keuper, oder auch
wohl noch vom unteren Lias. Dahin zähle ich sowohl die grossen
Kalkstöcke des Avers und der Schams, wie namentlich den Fianell,
sondern auch fast alle im krystallinischen Schiefergebirge strichweise
und muldenförmig eingelagerten körnigen Kalke und Dolomite, z. B.
den Zug von Gravedona und Dubino.
Wenn ich mit Theobald in diesen krystallinisch umgewandelten
Kalksedimenten metamorphosirten Triaskalk erkenne, so möchte ich
doch gleichwohl nicht die weitere Abgliederung derselben in eine Anzahl besonderer Horizonte, wie sie Theobald vielfach versucht hat,
meinerseits verantworten. Dies um so weniger als jede Spur von Petrefacten verschwunden ist, mindestens soweit ich diese Lager kennen
gelernt habe. Hie und da lassen sich wohl petrographisch verschiedene
Lager erkennen, aber ich möchte doch nicht versuchen, daraufhin eine
Reihe von Formationsgliedern zu unterscheiden.
Auf die mächtigen Massen des Triaskalks folgen die grauen und
grünen Bündner Schiefer, die nach Prof. Studer's Untersuchungen mit
den .Belemnitenschiefern des Lukmanier und der Nufenen identisch, nach
Prof. Theobald' s Vorgang beiläufig als Lias zu veranschlagen sind.
Auf Mitteljura deutet Theobald (1860) die Kalk- und Dolomitmassen nördlich von Splügen bis zum Piz Beverin (Blatt XIV). Ich
habe dieses Gebiet nicht betreten und nehme daher vorläufig Theobald' s Ansicht als wahrscheinlich an.
Die Zwischenbildungen, welche. die Massive des krystallinischen
Schiefergebirges scheiden, sind Gesteine verschiedenen Alters.
32
Vom Splügen und vom BergeIl in Süd bis zum unteren Veltlin
und zur oberen Val Morobbia sind Triaskalke und Dolomite das jüngste
Formationsglied. Der Bündner Schiefer ist hier offenbar abgetragen.
Er erscheint aber im Hangenden des Triaskalks im Avers, im Hangenden
von Glimmerschiefer in Val Mesocco.
Die zwischen den Massiven in Mulden und Ueberkippungen eingeklemmten Reste triasischer oder liasischer Sedimente nehme ich als
letzte bis dahin noch der Erosion entgangene Spuren einer ehedem
weit allgemeiner verbreiteten Sediment-Decke.
Ich nehme also namentlich an, dass das Kalklager, das bei Dubino im unteren Veltlin durch grünen Schiefer (Verrucano-Zone) von
grauem phyllitischem Glimmerschiefer (Casanlla-Zone) getrennt wird und
das westlichere Stück desselben' Zuges, welches an der' Westseite des
Corner Sees von Cinque Case bis zum Sass Pell bei Pellio verläuft,
dessgleichen das weiter in West auf Tessiner Gebiet vereinzelt auftretende Kalklager von Carena, nichts anderes ist als ein durch Faltung
des Gebirgs und lang dauernde Degradation der Gebirgsoberfläche abgetrenntes Stück dersei ben Kalkformation, die weiter in Süd den Corner
See (Blatt XXIV. Stoppani) überquert und weiter in Nord bei Splügen
und im A. vers wieder mächtig hervortritt.
Vor Faltung der Alpen überdeckte der Triaskalk nebst jüngeren
Formationen die ganze Breite des Gebirgs vom Corner See zum Hinterrhein-Thale. Eine lang anhaltende Meeresbedeckung der krystallinischen
Schiefer ist jedenfalls anzunehmen. Aber ob sie über die Liasepoche
hinausging, ist kaum noch zu enträthseln. Nimmt man mit Theobald
das hohe Kalk- und Dolomit-Gebirge nördlich über Splügen als Mitteljura (oder Hochgebirgskalk), so wäre die ehemalige Meeresbedeckung
noch um eine Stufe weiter hinaus zu rücken. Sie kann aber auch
noch länger gedauert haben.
Die Faltung der Alpen, die jedenfalls nach Ablagerung der grauen
Bündner Schiefer oder Belemnitenschiefer (Nufenen-Schiefer) und vielleicht später vielleicht erst nach der Jura-Epoche stattgefunden
haben mag, trennte den Zusammenhang der jüngeren Lager. Seitdem
haben langdauernde grossartigeA.bnagungen das Gebirg erniedrigt
und von der ehemaligen Decke von Triaskalk u. s. w. nur· hie und
da - wie im Veltlin und im Bergell - noch im Schoosse der Mulden
oder der Gebirgsumkippungen kleinere eingefaltete Stücke übrig gelassen.
33
Diese haben inzwischen unter Einfluss des in der Tiefe der Gebirge vor sich gehenden Stoffwechsels weitgehende Umwandlungen erlitten und stellen nunmehr meist krystallinisch-körnige Kalksteine oder
Dolomite dar, in denen, so weit mir bekannt ist, keine Spur von organischen Resten mehr aufgefunden wird. Auch hat schon Prof. Studer*)
für die Graubündner Alpen eine ehedem zusammenhängende Meeresbedeckung angenommen und sich dahin geäussert, dass die Kalk- und
Dolomit-Partien derselben die nördliche und die südliche Nebenzone des
Alpensystems mit einander in Verbindung bringen und für diese und
die östlichere Gegend eine ehemalige über die Mittelzone der Alpen
hinausgehende Decke von Kalksteinen wahrscheinlich machen. Ich gehe
einen Schritt weiter, ich bin der Meinung, dasselbe könne nach d"n zerstreuten kleineren Resten sedimentärer Kalk-Einlagerungen auch wohl
für die westlichere Gegend angenommen werden.
Aber noch bleibt ein gewichtiger, wenn auch schwer darzulegender
Umstand zu erwägen. Bis zur Triaskalkmulde an der Südseite des
SplÜgen (Alp Andossi) und der auf der Graubündner Nordseite (Häusernbach-Thal) ist eine Triasdecke strichweise zu verfolgen und auch
den Kalk von Carena ziehe ich noch zur Trias. Aber westlich von
SplÜgen, am Bernardino und im Mesocco-Thal erkenne ich keine Triasablagerungen mehr. BÜndner Schiefer mit untergeordneten Kalklagern
ruht hier unmittelbar auf Glimmerschiefer.
Ich gelange damit zur Annahme einer der Alpenfaltung vorausgegangenen Fes t I an d heb u n g westlich von der Linie Splügen Bernardino - Mesocco - vor Ablagerung der Triassedimente und zu
einer nachmaligen Senkung dieses westlicheren Gebietes vor Ablagerung
der Bündner Schiefer (Lias.) Aber mehr als diese Meinung anzudeuten,
würde zur Zeit noch voreilig sein.
Ich beschliesse diesen Gegenstand mit einer Hinweisung auf P.
Ohoffat. Die Paläontologie. Basel 1878. (Seite 26) und F. von
Hauer. Geologischer Durchschnitt der Alpen von Passau bis Duino
Wien 1857 (Seite 96, 346.) Noch ist zu vergleichen E. Deso1·. Gebirgsbau der Alpen. Wiesbaden 1865, S. 89. Das Problem ist jedenfalls noch weit davon entfernt, spruchreif zu werden;
Wenn ich, wie schon erörtert, im Bündner Schiefer (Lias) oder
*) B. Stude1·. Geologie der Schweiz.
Rolle, Chiavenna.
B. 11. 1853. Seite 24.
3
34
auch wohl in dem nach Theobald darüber folgenden Hochgebirgskalk
und Dolomit (Mitteljura) das jüngste in dem mir zugefallenen Arbeitsfeld von der Alpenfaltung betroffene Gebirgsglied erkenne - und von
jüngeren Formationen absehe so kann ich auch noch nachträglich
andeuten, dass ich das in demselben Gebiet zu Tage getretene älteste
Gestein in Prof. Studer's «Tessiner Gneis», der durch die Verwendung
zu Weingärten-Pfeilern ausgezeichnet ist, zu erkennen glaube. Ich
kenne ihn bis jetzt nur von der Linie Biasca-Claro in der Tessiner
Riviera und gehe daher nicht näher auf diesen Gegenstand ein.
Noch bleibt mir die Erörterung eines sehr misslichen Umstandes.
Meine Darstellung der Massive in den Clävener Alpen und den umliegenden
Gebirgen weicht in tief eingreifender Weise von der Darstellung der Massive ab, welche mein Vorgänger Prof. Theobald 1866 auf Blatt XX
und zwar namentlich in der oberen Codera, in Val Masino und im
unteren Veltlin gegeben hat. Entweder ist Theobald's Auffassung verfehlt oder mich wird derselbe Vorwurf treffen.
Obschon ich die Ostgrenze des Gebiets von Dnfour-Atlas Blatt
XIX nur wenig überschritten und an manchen Stellen die West grenze
des Blatts XX gar nicht erreicht habe, kann ich doch nicht umhin,
wenigstens die wesentlichen Züge der Differenz darzulegen, da sie die
Frage nach dem Wesen des Massivs innig berührt.
Die Nordseite des unteren Veltlin mit dem Monte deZ Fen in .
Nord von Cercino und dem Monte Bassetta bildet einen streichenden Zug,
der sich in West vom Corner See weiter fortzieht, in Nord vom JorioPass nach Graubünden (Val Traversegna) übersetzt und bei Carena und
Velano noch die Nordseite von Val Morobbia bildet. Ich habe Anlass,
hier auf diesen streichenden Zug, den ich oben schon wiederholt berührte, noch näher einzugehen.
Wenn das ungenügende Karten-Material, das meiner geologischen
Aufnahme zu Grunde liegt, es gestattet und die Kürze der Zeit, welche
in einem hohen, schroffen und sehr ungastlichen Gebirge der geologischen
Special-Arbeit eine frühe Grenze steckt, mich nicht abgehalten hätte, ..
wäre zwischen dem uuteren Veltlin (Traona, Cercino) und dem nördlich
vorliegenden Val dei Ratti eine gute Gelegenheit gewesen, über eine
aus Theobald's Darstellung erwachsende wichtige Aufgabe, nämlich das
Verhalten eines Massivs zu einer streichenden Zone, ins Klare zu
lwmmen. Ich bin leider nur :m einem grellen Gegensatz meiner Auf-
35
nahme gegenüber der meines Vorgängers, des verstorbenen Professors
G. Theohald gelangt, ohne die daraus erwachsende Aufgabe endgiltig
lösim zu können.
Auf dem geologisch colorirten Blatt XX des Dufour-Atlases (Sondrio, Bormio) gibt Theohald das Bild eines vom granit ischen Massiv
des Monte della Disgrazia in WSW. schmaler ausstreichenden granitischen
Ausläufers. Eine Granitzone, die man sich offenbar als eruptive Masse:;:)
vorstellen muss, geht nach Theobald' s Kartirung vom Monte Spluga
(~850 Meter Meereshöhe) in WSW. übel' den Monte Bassetta und endet
als schmaler Streifen am Abfall gegen das tiefe ThaI des Mezzola-Sees
und des Comer Sees (190 Met.)
Diese langgezogene Granit-Eintreibung wird nach Theobald' s
. Darstellung von symmetrischen Zonen von Hornblendegneis und Glimmerschiefer seitlich eingefasst. Man muss also ein symmetrisch gebautcs
langgestrecktes Massiv hier annehmen.
Auf Granit, der aus der Tiefe hervol'getrieben ist und als eruptive Bildung gedacht werden muss, folgt beiderseits Hornblendegneis
und auf diesen beiderseits Glimmerschiefer. Der Granit müsste darnach
im Aufsteigen ein Dach von geschichteten Gesteinen mit sich cmporgeschoben haben.
So ist man veranlasst, Theobald' s Kartenzeichnung sich auszulegen, während er selbst in seiner geologischen Beschreibung des Gebiets von Blatt XX**) kurz darüber hinweggeht, ohne die Folgerungen,
die man aus seiner Karte zu ziehen Grund hat, hier zu berühren.
Indessen ist nach meiner Aufnahme der westlicheren Gegend
(Blatt XIX) Theobald' s Aufnahme in petrographischer Hinsicht zu einem
guten Theile verfehlt und dessen Construction des granitischen MassivAusläufers am Monte Bassetta vollständig falsch. Theobald hat auch
vermieden, diesen Theil seiner Arbeit in ein Profil zu fassen. Das
einzige hierher gehörige Profil No. 14 (Val dei Ratti) spricht eine für
*) Für eruptive Natur der Granite und anderer massiger Gesteine des
Bernina-Gebirgs spricht sich T7~eobald aus, (die südöstlichen Gebirge von Graubünden 1866, Seite 166) und setzt ihre Erhebung jedenfalls jünger als die
Liasformation (Ebenda, Seite 228). Derselben Ansicht ist Tlicobald für das
Disgrazia-Gebirg. (Ebenda, Seite 275.)
**) G. Theobald loc. cit. 1866. Vergl. Monte Splugil_ S. 254. Westseite S. 262.
3*
36
mich ganz unverständliche Sprache. Es lässt sich daraus über den
Bau des Gebirgs überhaupt nichts näheres entnehmen, und der darin
angegebene Glimmerschiefer, S. von Val dei Ratti, ist gar nicht vorhanden. Hier ist in der Wirklichkeit nur Gneis entwickelt und damit
fällt die Idealconstruction schon in sich selbst zusammen. Die Höhe
und Steilheit und die unwirthliche Beschaffenheit der Gebirge in Nord
vom unteren Veltlin erklären zur Genüge die Dürftigkeit der geologischen Aufnahme. Doch wäre im Texte eJne Unterscheidung von sicher
construirter Lagerung und unsicher idealisirtem Gebiet am Platze gewesen.
Ich habe im Sommer 1876 zweimal den Bergkamm zwischen
dem unteren Veltlin und dem Val dei Ratti erstiegen. Erst beging
ich denselben von Cino aus bis zur Alp aHa Piazza, das andere Mal
überquerte ich ihn aus Val dei Ratti (Alp della Nave) über die Bassetta..
Ich traf den Bau ganz anders, als man ihn nach Theobald' s Aufnahme
sich vorstellen müsste. Im oberen Val dei Ratti zeichnet Theobald
auf mehr als 2 1j2 Kilometer Breite eine Zone von Glimmerschiefer,
die, wenn sie vorhanden wäre, dem Glimmerschiefer-Zug des unteren
Veltlins, der wirklich vorhanden ist, entsprechen würde.
Eine Zone von Glimmerschiefer ist aber im Val dei Ratti gar
nicht vorzufinden. Das Gestein ist ächter Gneis mit Einlagerung von
granitischen Bänken (Lager-Granit) und ohne irgend eine Spur von
Glimmerschiefer. Der Querschnitt durch die Schichtenfolge am Mezzola-See westlich von da - Theobald's Profil No. 14 lässt auch
darüber gar keinen Zweifel. Das Profil' ist theils unklar gegeben,
theils unrichtig, namentlich steht in Süd von der Mündung des Val
dei Ratti kein Glimmerschiefer am Mezzola-See an, sondern ächter Gneis
mit granitischen Lagern.
Ebenso wenig ist auf der Bassetta im Hornblendegneis ein granitischer Centralzug vorhanden. Ich habe hier nur Hornblendegneis
überquert, der stellenweise etwas massig ist, aber lwineswegs eine eruptive (!entral-Axe ergibt. Das hohe Felsengebirg in Süd von der Alp
della Nave mit dem Monte deI Fen (am westlichen Rand von Blatt
XX) habe ich leider nicht Zeit gehabt, überqueren zu können, vermuthe aber, dass es von der Bassetta nicht wesentlich abweicht.
Ein symmetrisch gebautes langgestrecktes Granit-Massiv mit correspondirenden Flügeln von Bornblendegneis, auf die noch beiderseits
der Glimmerschiefer folgen wurde - ist also an der Bassetta gar nicht
37
vorhanden. Die Bassetta besteht vielmehr aus einem einfachen streichenden Schichtenzug. Glimmerschiefer, dem bei Dubino eine zusammengeklappte Mulde von Triaskalk mit schief gestellter Mediane eingelagert ist, fällt vom Adda-Thale aus steil in Nord ein und unterteuft
einen ebenfalls steil aufgerichteten und stellenweise einen steil stehenden
Fächer bildenden Schichtenzug von Hornblendegneis. Dieser bildet den
Gebirgskamm zwischen Veltlin und Val .dei Ratti, über welchen nördlich von Cino der unter dem Namen Bassetta bekannte Wegübergang
führt. In Nord folgt dann eine mächtige Schichtenreihe . von Gneis,
welche viele Bänke von Lagergranit einschliesst und im Val dei Ratti
meist steil in Süd oder S. S. O. einfällt. Dieser Gneis ist offenbar
das eigentliche Grundgebirge, welchem ursprünglich Hornblendegneis,
dann Glimmerschiefer, dann Triaskalk aufgelagert waren, bevor die ganze
Schichtenfolge der Faltung verfiel.
Das Profil ist darnach so einfach und klar, wie es im krystallinischen Schiefergebirg überhaupt erwartet werden kann. Nur mag die
fächerförmige Stellung des Hornblendegneises an der Bassetta der Deutung Schwierigkeiten machen und könnte in Ermangelung anderweiter
Erklärung auf Rechnung eines in Osten vorliegenden granitischen Massivs gesetzt werden, was noch weiterer Feststellung bedarf.
Ich sehe
im Hornblendegneis der Bassetta nur den nördlichen widersinnig einfallenden Flügel einer grösseren Mulde, deren südlicher Flügel weiter
in Süd in der Lombardei unter jüngeren Gebilden verdeckt liegen wird,
vielleicht auch an der Pioverna zu Tag tritt. Was die FächersteIlung
der Schichten an der Bassetta betrifft, so bin ich der Ansicht, dass sie
auf partieller Faltung oder Zickzackbiegung beruht und vielleicht durch
eine Construction erklärt werden kann.
Denselben Zug westöstlich streichender und steil aufgerichteter
Lager, wie er am Monte Bassetta sich darstellt und ihn der Querschnitt,
der V'on Splügen und Chiavenna nach Lecco und Corno ziehenden Landstrasse am Mezzola-See biossiegt, habe ich in West vom Corner See
über den Passo di San J orio - unter steilem nördlichem Einfallen bis auf Graubündner und Tessiner Gebiet verfolgt. Ich fand Gesteine
und Lagerung auf dieser vom Pas so d'Adda in Ost bis über Carena
hinaus mehr als 25 Kilometer betragenden Strecke fast genau so, wie
sie zwischen dem unteren VeltÜn und dem Val dei Ratti sich herausstellen, nur dass in der westlichen Gegend keine Spur von fächerartigem
38
Ban mehr vorliegt. Es ist hier eine einfache streichende Zone, und
der Hornblendegneis erscheint durchweg zwischen Gneis und Glimmerschiefer eingelagert. Die ganze Schichtenfolge aber ist vom Comer See
(Passo d'Adda und Domaso) an bis über den Jorio-Pass hinaus zufolge
von Faltung mit schiefer Medianebene in scheinbar überstürzter Lagerung. Die Schichten fallen hier durchweg widersinnig unter die nördlichet·e Hauptmasse der Alpen ein, der Glimmerschiefer unter den Hornblendegneis und dieser unter Gneis mit eingelagerten Granitbänken.
Dieses Ergebniss meiner geologischen Aufnahme vom Monte Bassetta in West bis zum Passo di Jorio hätte mich einladen müssen, die
in Osten vorliegende brennende Frage zu lösen, wie sich der streichende
Zug von Gne~s, Hornblendegneis und Glimmerschiefer zu dem von
Theobald projectit·ten seiner Kartenzeichnung nach als eruptiv zu deutenden Granit-Massiv des Monte Spluga verhält.
Indessen genügte
dazu weder die kurz zugemessene Zeit, noch war die dürftige KartenGrundlage geeignet, auf einer hohen felsig zerissenen und ganz unwirthsamen Gebil'gsfirste von beiläufig 2000 Meter Thalhöhe zu lohnenden
Ergebnissen zu führen. Ich bin daher nur dahin gelangt, aussprechen
zu können, dass Theobald's Aufnahme hier zum Thei! mangelhaft ist
und sich auf dieselbe keine sicheren theoretischen Folgerungen bauen
lassen. Meine eigene geologische Aufnahme im ungastlichen Hochgebirge wird an anderen Orten meinem Nachfolger andere oder vielleicht
ähnliche Lücken und Blösen ergeben.
Ich habe also trotz der Wichtigkeit der hier vorliegenden Aufgabe meine Arbeit auf das in Osten vorliegende von meinem Vorgänger
Theobald geologisch colorirte Gebiet nicht ausgedehnt, vermuthe aber
nach Theobald' s fehlerhafter Bearbeitung des Gebirgsrückens zwischen
dem unteren Veltlin und dem Val dei Ratti, dass auch seine Darstellung
des Massivs des Monte Spluga und der östlicheren Gegend nicht stichhaltig ist und sich auf seine Annahme eines granitischen Centralkernes
mit symmetrischem Mantel von Hornblendegneis nicht bauen lässt. Um
so weniger erachte ich seine Construction der Massive zur Zeit für
geeignet, eine Grundlage für allgemeinere Erfassung des Baues dieses
Theils der Alpen abgeben zu können. Hier ist entweder Theobald's
Darstellung des Massiv-Baues verfehlt oder derselbe Vorwurf wird meine
Aufnahme treffen.
39
Jüngere Gebilde.
Vom Bündner Schiefer (Splügen und Avers) an stöst man auf
eine bedeutende Lücke in der Formationsreihe. Von jüngren Gebilden
kenne ich im Clävener Gebirg nur einen vorglacialen Kalkschutt-Sandstein (an der Cantoniera di Teggiate auf der Südseite des Splügen),
dann hie und da mächtige Moränen aus der diluvialen oder pleistocänen
Gletscher-Epoche (namentlich am Piano della casa und auf der Alp
Andossi an der Südseite des Splügen), dann einen nachglacialen Kalktuff zu Isola im Liro-ThaI, endlich eine Menge grossartiger theils ältrer
theils jüngrer Schuttkegel an der Ausmündung der seitlichen Gebirgsthäler,
Gletscherschutt und Felsblock-Moränen erscheinen besonders im
oberen Liro-Thal, im Val Loga und im Val Madesimo in grosser Ausdehnung und scheinen vom Rückzug des Suretta-Gletschers und der
seitlich ihm zutretenden Gletscherzüge herzurühren. Auf der breiten
Fläche des Kalkgebirgs der Alp Andossi in Ost von den Cantonieren
Stuetta und Teggiate ist dieses Gebilde sehr ausgezeichnet entwickelt.
Gewaltige Massen grosser Blöcke von Suretta-Gneis liegen hic!' über
Glimmerschiefer und Kalkstein ausgebreitet. Das Kalkplateau der Andossi
ist bald mit vereinzelten Blöcken, bald mit ganzen Blockfeldern bedeckt,
so dass man auf grössren Strecken auf Gneisgebiet zu sein glauben
würde, wenn nicht einzelne Marmor-Ausbisse und Dolinen den wahren
Untergrund anzeigten. Eine ausgezeichnete Quermoräne aus grossen
Gneisblöcken bestehend legt sich im Süden vor das breite Thalbecken
der Dogana oder des Piano della casa (1904 M.) und bildet einen
10-12 M. hohen und höheren Blockwall, der vermuthlich eine längerc
Pause im Rückzug des Suretta-Gletschers andeutet, während welcher
derselbe noch den Piano erfüllte.'
Vom Gletschergang abgefegte FeIsfiächen trifft man von mindestens 2400 M. Meereshöhe an bis zum Liro- und Mairathai hinab.
Namentlich zeigen die Lavez-Massen bei Chiavenna noch ausgezeichnet
schöne Abfegungen. Mehrere hochgelegene Sättel sind offenbar vom Gletschergans überschritten worden. So der Passo di Lei, 2400 M. zwischen
Liro-Thal und Val di Lei. Die Alp Motala, in Ost von diesem wenig
tiefer gelegen, ist eine breite Gehängestufe mit abgefegten FeIsfiächen
von Glimmerschiefer. Hervorragende ab geglättete Quarzknöpfchea bezeichnen auch noch an bereits angewitterten Felsoberfiächen die Ab-
40
schleifung durch den ehemaligen Gletschergallg. -- Passa di Madesima, 2280 M. zwischen Madesimo-Thal und Emet-Thal, ist eine breite
Platte voll flachwölbiger Felsbuckel (Roches moutonnees), die an manchen Stellen wirklich das Bild einer Heerde lagernder Hämmel gewähren.
Dazwischen liegen hie und da kleine seeartige Felsbecken.
Gebirgs- uud ThalbUdung.
Was den rein orographischen Bau der Gebirge von Cläven betrifft, so tritt, wie ein Blick auf die Landkarte zeigt, der Gegensatz
von nordsüdlichen und westöstlichen Kämmen in den Vordergrund.
Indessen stehen vorzugsweise nur die westöstlich oder WSW in
ONO verlaufenden Kämme einigermassen mit der geologischen Zusammensetzung des Bodens und der Lagerung der Schichten in Zusammenhang, wie dies namentlich im Bergell und im Veltlin der Fall ist, wo
die Maira und die Adda Längenthäler durchfliessen. Die meridianen
Kämme dagegen überqueren meist die geologischen Zonen und nur in
Nordosten (oberes Liro-Thal, Val di Lei, Madris) ist auch das Streichen
der Schichten stellenweise, aber nicht durchgehend, meridian mit östlichem Einfallen.
Gesteine und Lagerungsverhältnisse sind offenbar zu einem gewissen Grade massgebend für die Gestaltung der Haupt-Bergkämme
gewesen, erscheinen aber keineswegs als das alleinige Moment der Ausbildung der heutigen Gebirgsconfiguration. Weit mehr hat die spätere
Eintiefung der Wasserabflüsse auf diese eingewirkt.
Während die Entwicklung von Massiven in einem Theile des Gebiets als Grundlage des geologischen Baus und weiterhin auch von
Einfluss auf die spätere Gestaltung von Gebirgskämmen und Thälern
erscheint, in einem andern Theile mehr der Zusammenhang von Gebirgskämmen mit streichenden Zonen in den Vordergrund tritt, ergibt
die Betrachtung der Thalbildung durch das ganze Gebiet tiefer eingreifende Momente der Landesconfiguration. Sie ist offenbar vom Verlauf der viel älteren Massive und streichenden Schichtenziige zunächst
abhängig, bricht sich aber auch quer durch diese ihre eigene Bahn und
erscheint iiberhaupt als das letzte und ausgeprägteste Moment in der
Ausbildung der heutigen Oberflächengestaltung.
41
Ich brauche kaum zu erwähnen, dass Prof. Rütimeyer' s *) treffliche Untersuchungen über Thal- und Seebildung mich bei dieser Auffassung wesentlich geleitet haben. Ich gehe, so viel mir bewusst ist,
auch nur bei Beurtheilung der kleinen Hochgebirgs-See'n von Riitimeyer's Schema wesentlich ab.
Gehen wir von der Thalbildung aus, so treten uns vor allem
grossartige nordsüdliche Thalzüge in Verbindung mit einmündenden zum
Theil ebenso lang und breit entwickelten westöstlich oder WSW. und
ONO. verlaufenden Thalbildungen in die Augen.
Vor allem macht sich der lange meridiane Thalzug des Lira,
der Maira und des Corner See's bemerkbar. Ihm fallen von Ost die
Maira im BergeIl und die Adda im Veltlin zu, aber auch in West
münden aus höherem Niveau namhafte Thäler ein, wie namentlich das
Val Bodengo.
Beherrscht werden diese Thalzüge minder von der Massiv-Bildung,
mehr schon vom Verlauf streichender Schichtenzonen und im Ganzen
genommen erweisen sie sich als ein zwar jüngeres aber viel grossartiger
eingreifendes Moment in der Bildung der heutigen Oberflächengestaltung
als die entlegneren Vorgänge der Massivbildung und Schichtenfaltung
des Bodens.
Wir haben hier vor Allem ins Auge zu fassen:
A. In Norden das Hinterrheinthai auf Schweizer Gebiet.
E. In NO. die Meridianthäler der Madriser und Averser Gegend
auf Schweizer Gebiet mit dem italienischen Val di Lei.
C. Vom Splügenpass an in Süd hinab das Lira-ThaI, dessen meridiane Richtung von Chiavenna an das Mairathai mit dem lHezzola-See
und dem Corner See fortsetzt.
D. Das aus O:NO. zutretende obere Maira-Thal oder das BergelI,
das bei Castasegna auf italienisches Gebiet tritt.
E. Das am Corner See aus O. und ONO. zutretende italienische
Veltlin (la Valtellina) oder obre Adda-ThaI.
Alle diese Thäler nebst vielen kleineren Seitenthälern haben im
obren Ursprung terassenförmig übel' einander aufsteigende Hoc h b öde n
oder Ci r k e n und im tieferen Verlauf mehr oder minder deutlich
ausgebildete Parallelterassen oder Gehängestufen, die von
*) L. Riltimeyer.
Ueber Thal- und See bildung.
Basel 1869.
42
der allmähligen Ausbildung der heutigen Oberflächenconfiguration Zeugniss ablegen.
A. Das Hinterrheinthai oder Rheinwaldthal. - Vom
Fusse des Rheinwaldhorns an (Thalboden unter der Zapport-Alp 1850 M.
Meereshöhe) über Splügen und Suvers in ONO. verlaufend ist dasselbe
in Bezug auf den Gesammtbau der Alpen allerdings ein Längenthai,
dnrchsetzt aber bei Hinterrhein auch streichende Züge und stösst dann
an die Gneis-Massen des Suretta-Stocks. Es wird von diesem nur wenig
abgelenkt, vertieft sich vielmehr rasch und mit starkem Gefälle in
Gneis zu einer engen steilwandig eingefassten Schlucht und wendet sich
bald in Nord zum meridianen Thalboden von Andeer (979 M.) oder
dem Schamser ThaI.
Oestlich uud südöstlich von der Suretta-Masse verlaufen eine Anzahl von bedeutenden Thälern in mehr oder weniger ausgesprochenem
meridianem Verlauf, die alle in Nord hinab dem meridianen Hinterrhein zufallen. Sie durchsetzen die ganze Schichtenfolge vom Gneis
bis zum Ründner Schiefer (Lias) und gehen eins nach dem andern im
Averser Rheinthal zusammen. Dieses zieht dann als tief ausgenagte
Felsschlucht durch den Gneis der Suretta-Masse und erreicht in der
Rofla den meridianen Unterlauf des Hinterrheins, der von da an eigentlich
mehr als Fortsetzung der Averser Thäler erscheint.
Diese Gruppe von Meridianthälern stellt streckenweise Längsthäler dar, die meridian streichenden Schichtenzügen folgen. In andern
Strecken aber überqueren sie ohne sonderliche Aenderung ihres Laufes
auch westöstlich streichende Lagerfolgen, wie das Aversthal namentlich
von Canicul an bis Ausser-Fel'l'era in meridianem Lauf Gneislager
durchsetzt, die westöstlich streichen und in Nord fallen. Ein und dasselbe Meridianthai ist hier im obren Verlaufe Längsthai, im untren
Verlauf Querthal, ohne in seiner Richtung sich zu verändern.
Von den Ursprüngen des Averser Rheins fällt nur das westlichste
oder das Val di Lei, das Seen-ThaI, der einzige italienische Theil des
Flussgebietes des Rheins, in das Bereich des uns vorgezeichneten engeren
Rahmens. Es hat an 15 Kilometer Länge. Es ist im topographischen
Atlas der Schweiz (1: 50000) auf Blatt 506 und 510 dargestellt. Val
di Lei durchsetzt nur Glimmerschiefer und zwar in ausgezeichnet meridianem Verlauf. Die Schichten streichen im obren Theile westöstlich
und fallen in Nord. In der untern Thaistrecke streicht aber der Glim-
43
merschiefer meridian und fällt in Ost. Val di Lei ist also im obren
Verlauf ein Querthai, im untren ein LängsthaI.
Breit und durch Schutt und Gerölle ausgeebnet ist Val di Lei
von Corbia di sopra an über Santa Anna bis unterhalb Alp deI Palü,
von 1860 bis 1800 Meter Meereshöhe. Diese Strecke hat eine Länge
von 6 1/2 Kilometer, also nur 9 Meter Gefälle auf 1000 Meter. Von
der Alp deI Palü an tieft sich der Lei-Bach rasch in eine enge steilwandig gefasste und weiter thalabzu vollkommen unwegsame Felsschlucht ein und erreicht 4 1/2 Kilometer nördlich von da das fast ebenso
steilwandig gefasste und nur mit grosser Mühe in wegsamem Zustande
zu erhaltende ThaI des Averser Rheins in etwa 1560 M. Meereshöhe. Es
hat also in der untern tief ausgenagten Strecke 53,3 Meter pro mille
Gefälle. Die obre Thaistrecke VOll 9 pro mille Gefälle ist darnach
offenbar eine viel ältere Bodenaustiefung als der untere rasch fallende
und tiefer ausgenagte Theil desselben ThaIs.
Es fehlt in Val di Lei nicht an hochgelegnen Stufen einer noch
ältren Bodenconfiguration. Der Passo di Lei führt von Campodolcino
über Alp Angeluga in 2400 M. Meereshöhe in Ost über in das obre Val
di Lei. Der breite Gebirgsübergang ist bedeckt von rauhen klippig
vortretenden Felsen von festem Glimmerschiefer mit vielen Spuren von
Gletscherabfegung. Dazwischen liegen eine grosse Anzahl von kleinen
felsig eingefassten Seen.
An der Ostseite weniges unterhalb des Passo di Lei verläuft die
breite ebene Stufe der. Alp Motala mit ebenfalls ab gefegten Felsflächen.
Dies ist in etwa 2325 M. Meereshöhe und in steiler Höhe über dem
Thalboden der Corbia di sopra (1860 M.). Weiter in Nord sah ich
von Alp Crot aus in West über mir am Fusse des Pizzo di Crot beiläufig in der Höhe der Alp Motala den Rand einer ebenen Gehängstufe, welche derselben älteren ThalfIäche wie Alp Motala angehören
dürfte. Im Gedränge der geologischen Arbeit fehlte es mir an Zeit,
diese alte Thalstufe genauer zu verfolgen. Es ist aber sicher, dass
demselben alten Thalweg wie Alp Motala und der Fuss des Pizzo di
Grot noch eine Hochterasse im Avers entspricht, die ich am Plan dil
Bov (2128 M. nordwestlich von Ganicul) in ausgezeichneter Weise entwickelt fand. Von Alp Motala bis Plan dil Bov ist dem Thalverlauf
nach ein Abstand von etwa 15 Kilometer mit 197 M. oder 13 pro
mille Gefälle. Diese alte Thalsohle fällt also nur um weniges rascher
44
als die heute noch den Thalweg bildende flaehe Thaistrecke des Val
di Lei von Corbia di sopra bis Alp deI Palü.
Eine tiefere Gehängeterasse verläuft an der Westseite des Val
di Lei bei der Alp Crot in 1959 M. Meereshöhe. Sie ist auf grosse
Strecken noch gut erhalten. Der obere Pfad von Alp deI Palü nach
Canicul folgt ihr und an der Ostseite des ThaIs ist sie auch noch
stellenweise zu erkennen. Diese tiefere Terasse ist auch im Avers entwickelt und bei Hg Plan (1884), Bleis (1761), Sex (1620), St. Martin
(1541) u. a. o. bei Canicul deutlich. Auch gehört der lang gezogene
breite Thalboden des Emet-Thales (Alp Emet 1888) demselben Horizont an.
Darnach würde Val di Lei vier ungleich alte Thalbildungen bieten,
zuoberst die Stufe von Alp Motala, etwa 350 M. tiefer die von Alp
Crot, etwa 100 1\f. tiefer die heutige breite Thalfläche von Santa Anna
und viertens die thalabwärts gelegne tief ausgenagte Schlucht des LeiBachs, deren Bildung der jüngsten Zeit angehört. Für eine noch genauerc Ermittelung uer Terassenfolgen ist übrigens selbst die hypsometrische Schweizer Karte (1: 50000) nicht ganz genügend, was namentlich im italienischen Val di Lei gilt.
B. Das Li I' 0 - T hai oder Val Sant Giacomo. Es verläuft
vom Splügenpass (2117 M. = 6510 Par. Fuss) in Süd bis Chiavenna
(317 odel· 332 M.) - erst als breiter Hochboden (Piano deBa casa),
weiterhin als tiefe unwegsame Felsschlucht (Cardinel), dann als breitere
durch Gebirgsschutt und abgestürzte Blöcke vielfach eingeengte Thalebene. Zur BeUl·theilung der älteren Configuration fehlt es leider an
den erforderlichen Höhenangaben. Man ist fast nur der Splügenstrasse
und der Schweizer Grenze entlang einigermassen im Stande, die zerstreuten
Hochböden und Gehängeterassen in zusammenhängende Horizonte zu ordnen.
Uebersieht man den auf der Dufour-Karte Blatt XIX reichlich
mit Höhenangaben ausgestatteten Zug der Berggipfel und Pässe der
beiden Meridianketten, welche das obere Lirothal einfassen, so weit sie
auf die Landesgrenze fallen, so drängt sich uns die Ueberzeugung auf,
dass sie nur die Reste eines alten, gegen Süd flach abdachenden Hochplateaus sind, in welchem im Verlaufe zahlreicher Jahrtausende das
fiiessende Wasser, unterstützt von der Annagung der Felsmassen durch
die Atmosphärilien, tiefe Thäler ausgefurcht hat. Es ist hier von einem
hohen Plateau in Folge der Erosion nur noch ein scelettartiger Rest
übrig geblieben. Die der Annagung noch kräftig trotzenden Kämme
45
und Gipfel spannen über dem ausgefurchten Gebiet gleichsam einen
Rahmen in den Lüften aus, der die ehemalige Höhe der Gebirgsoberfläche noch beiläufig andeutet und man ahnt, dass auch sie in
ferner Zukunft dem nagenden Zahn der Atmosphärilien und des fliesenden Wassers noch verfallen werden.
In die Augen fallend ist die nahezu gleiche Meereshöhe der
Bergspitzen in beiden Meridianketten, welche in Ost und West das
Lirothal einfassen. So erheben sich
in West:
in Ost:
Pizzo Tambo 3276 m
Suretta - Horn 3025 m
CimadeBaidisci03038 "
PizzodiVaiSterla3025 "
Pizzo deI Quadro 3025 "
Pizzo SteUa 3406 u. 3129" u. s. w.
Noch eine Menge von Gipfeln halten sich vom Splügenpass an
bis zur Breite von Chiavenna in beiläufig demselben Rahmen. Drei
dieser Gipfel, Pizzo Suretta, Pizzo deI Quadro und Pizzo di Val
Sterla reichen sogar in dieselbe Höhe von 3025 Meter. Man lmnn
dieser Erscheinung nur die Erklärung unterlegen, dass jene Gipfel,
die vermöge festerer Gesteinsbeschaffenheit der.A btragung entgangenen
Reste einer ehemaligen Hochfläche sind, die vielleicht nur wenig gegewellt war. Eine andere Erklärung ist kaum zu versuchen.
Auch die Pässe beider Meridianketten liegen in auffallend gleichen
Meereshöhen. So trifft man
in West:
in Ost:
Passo di Baldiscio 2358 m
Passo di Madesimo 2280 m
Passo Bardan
2588"
Passo die Lei
2400"
Passo dellaForcola2217 "
u. s. w.
Die Einnagung der Pässe hält also in beiden Meridianketten in
West und in Ost fast gleichen Schritt mit den Gipfelhöhen. Die Pässe
liegen meist 500-600 Meter unter den nächsten Hochgipfeln. Nur
das Splügen-Joch (2117) ist nach der lockeren Beschaffenheit seines
Gesteins (feinschuppiger Glimmerschiefer, Casanna - Zone) beträchtlich
tiefer eingenagt, als die rechts und links hervorstehenden Gipfel SurettaHorn und Tambo-Horn.
Südlich von Chiavenna stehen für die Ostseite des ThaIs bis zum
Monte Legnone in Osten über dem Comer See (2612 Meter) keine
Höhenallgaben zur Verfügung. An der Westseite erheben sich an der
Graubündner Grenze die Gipfel hier noch etwas über 2600 Meter und
46
sinken weiter in Süd bis in die Gegend des Jorio-Passes allmählig auf
2500 und 2300 Meter (Gardinello am Jorio-Pass 2317 Meter).
Vom Splügenpass bis zum Comer See und dem Jorio ist eine
Länge von etwa 40 Kilometer *) und die Gipfelhöhen senken sich mit
dieser Strecke nur um durchschnittlich 600 bis 900 Meter oder 15
bis 22 pro Mille.
Die Abdachung des daraus zu erschliessenden ehemaligen Gebirgsplateaus mag also ein mässiges Gefälle gegen Süden gehabt haben
und dann rascher zur Lombardischen Niederung abgestürzt sein.
Jedenfalls erweisen zahlreiche und zum Theil in deutlichen
Treppen über einander folgende Hochböden oder Cirken des Liro-Thals
und ausgezeichnete Gehängeterassen, dass die jetzige Configuration von
Gebh'g und ThaI hauptsächlich die Folge allmählig fortschreitender
Abtragung durch Atmosphärilien und thalabzu fliessendes Wasser ist
und dass die ältesten Thäler, von denen jetzt nur die hintersten Bruchstücke noch übrig sind, in grosseI' Meereshöhe die Erosion eröffneten.
Der Hauptursprung des Liro-Thals**) ist das aus West herabkommende breite und fast ebensöhlige Val Loga, welches in den breiten
Hochboden des italienischen Zollhauses, . Dogana deI Monte Spluga,
einmündet.
Diese breite grasige Ebene, der Piano della casa genannt, liegt
in 1904 Meter Meereshöhe und ist durch Gerölle ausgeebnet. Der
Liro fliesst hier ruhig in einem flachen Bett und führt hier noch den
Namen Vo, der vermuthlich den Romanischen aua, das Wasser, entspricht. An der Colmanetta-Brücke stürzt er sich in eine enge, in
Glimmerschiefer eingenagte Felsschlucht, die sich weiterhin immer tiefer
und steiler einnagt, im Thalweg ungangbar ist und das Cardinel
heisst (il Cardinello). Durch diese führte bis zum Jahre 1822 der
alte mühsame und gefährliche Saumpfad von Piano della casa nach
Isola (1277 Met.) hinab. Jetzt ist er stellenweise verschüttet und vom
Verkehr verlassen.
In SO. vom breiten ebenen Becken des Piano della Casa legt
sich ein mächtiger Damm von Gneisblöcken in den Weg. Es ist eine
*) Der Poststrasse nach vom Spliigenjoch bis Chiavenna 30 und von
da bis Colico 27; zusammen 57 Kilometer.
**) A. Eschm' und B. Studer, Geologische Beschreibung von Mittelbünden. R. 25.
47
alte Quermoräne des ehedem von der Suretta aus N. und NO. und des
vom Val Loga aus West herabkommenden Gletschers, die ehedem im
Becken zusammen stiessen und unterhalb desselben längere Zeit stillstanden, bevor sie wegschmolzen. In der hohen Thalfiäche zwischen
dem Piano della casa und der Cantoniera della Stuetta hat der Damm
etwa 10-12 Meter Höhe. Aber in Ost darüber auf dem breiten Kalkplateau der Alp Andossi breiten sich noch andere ausgedehntere Blockfelder desselben ehemaligen Gletschers aus.
Das breite seeähnliche Becken des Piano della casa mit seiner
Ausebnung durch jüngere Geröllelagen, zeigt keine erratischen Gneisblöcke und war also wohl während des langen Stillstandes des SurettaGletschers, dem die Aufhäufung der Quermoräne an der Stuetta angehört, von Eis erfüllt und nach dem weiteren Rückzug des Gletschers
vielleicht vorübergehend ein breiter seichter See, den bald nachher die
Gerölle des Liro ausebneten. Wo der Felsboden des Beckens noch
hervorschaut, erscheint er durch den Gletschergang glatt abgefegt.
Nach der oberflächlichen Unterbrechung durch die alte SurettaGletscher-Moräne setzt sich der hohe Thalboden des Val Loga und des
Piano della casa weiter in SO. gegen die Cantoniera della Stuetta
(1870 Met.) fort, dann weiter in S.W. über die Alp Buffalora. Darunter in West durchbraust der Liro die Thalenge des Cardinel, bis
er das breite von Gerölle ausgeebnete Becken von Isola (1277) erreicht.
Die Gehängeterasse der Stuetta und der Alp Buffalora in beiläufig 500-600 Meter Höhe über dem heutigen Thalweg des Liro oder dem Cardinel - ist mehrere hundert Schritt breit und beherbergt
noch ein breites flaches Thälchen, das Palü oder Val deI Palude, welches sich in W.S.W. sanft abdacht und dann unterhalb von Alp Buffalora jäh ins Cardinel abstürzt. Das Val deI Palude mag noch ein
ziemlich getreues Abbild des oberen Liro - ThaIs in einer sehr entlegenen Epoche sein. In N.W. begrenzt es eine etwas höhere und sanft
ansteigende Firste, die dann jäh zum Cardinel abstürzt. Ob dieses
letztere aber seinen Verlauf durch ein Parallel-Thälchen des Palü vorgezeichnet erhielt und also durch einfache Erosion entstand, oder ob
es das Ergebniss einer Aufspaltung ist, scheint auf den ersten Anblick schwer zu beurtheilen. Wahrscheinlich liegt auch hier eine einfache, aber sehr schroffe Erosion vor. Wenigstens erscheint im Ausgang des Cardinel noch eine eigene Terasse, auf der das Dörfchen ai
48
Torni gegen 30 Meter hoch über der breiten Niederung von Isola
liegt. Diese Terasse stellt einen älteren Thalboden des Cardinel dar,
der Liro unterteuft diesen jetzt mit raschem Gefälle in einer tieferen
Felsgasse. Das Cardinel ist darnach also auch wohl ein Erosions-ThaI,
wenn auch von ungewöhnlich schroffem Bau.
Mit dem alten Thalzug von Val Loga, dem Piano della casa
und dem Val deI Palude vielleicht gleich alte Hochthäler sind das·
Madesimo-Thal in Ost und das Val Febbrara in West. Ich schätze
sie zu etwa 1600 bis 1700 bis 1800 Meter Meereshöhe.
Ersteres von der Stuetta und dem Val deI Palude durch das
breite Kalkstein-Plateau der Alp Andossi getrennt, ist ein auf 2 1/ 2 Kilo. meter Länge breit ausgeebnetes Meridianthai, das in Süd bis zum Dorf
und der Kirche von Madesimo (beiläufig 1600 oder 1700 Meter
J\L-H.) reicht und sich dann in die tiefe rasch abstürzende und also
viel jüngere Felsschlucht Scalcoggia umsetzt.
Val Febbrara auf der Westseite des Beckens von Isola kommt
aus SW. herab und ist ebenfalls in seinem mittleren Lauf ein breites
ausgeebnetes Hochthai ganz ähnlich wie Val Madesimo. Es stürzt dann
bei Stabio Sotto in Ost gegen das tiefe Liro-Thal rasch ab und erreicht
dasselbe als enge Schlucht.
In Süd vom Hochthai der Dogana und der Stuetta legt sich an
der Ostseite des Liro wieder eine ausgezeichnete Gehängeterasse an,
welche das Dorf Pianazzo (1400 Met.) trägt. Sie gehört offenbar
einer jüngeren Epoche als obiges Hochthai an und mag einem etwa
400 Meter tieferen Niveau entsprecheu. Hier mündet der MadesimoBach aus der engen Felsschlucht Scalcoggia und stürzt sich nach einem
ebenen Lauf von ein paar Dutzend Schritten über eine fast senkrechte
Glimmerschiefer-Wand in das tiefe Liro-Thal hinab. Dies ist der stattliche mit Recht berühmt gewordene Madesimo-Fall dicht neben der
Splügen-Strasse, den eine am Rande des Felsgehängs vorgebaute gemauerte Kanzel trefflich übersehen lässt. Der ganze Madesimo-Sturz
vom Plateau von Pianazzo herab zum Thalweg des Liro mag beilänfig
170 Meter oder 523 Par. Fuss betragen.
Unterhalb von Isola zwängt sich der Liro wieder durch eine
enge Felsschlucht und erreicht dann das breit ausgeebnete Thalbecken
VOll CamlJodo!cino (1183 Met.) welches seine Ausebnullg durch Schutt
und Gerölle einer Stauung des Liro durch die weiter unten aus den
Seiten gräben vorgeschobenen mächtigen Schuttkegel verdankt.
Auf der Strecke von Campodolcino bis Chiavenna (317 oder
332 Met. Meeresh.) münden noch eine Anzahl von Seitenthälern mit
tiefen felsigen Schluchten, welche weiter aufzu breite flach abfallende
Hochthäler in beträchtlicher Höhe über dem heutigen Liro darstellen.
Der vollständige Mangel an Höhenangaben macht es leider unmöglich,
diese seitlichen Hochthäler in sichre Relation zu den entsprechendel;l
Gehängeterassen andrer Gebiete desselben Thalsystems zu bringen.
Ausgezeichnet ist unter ihnen namentlich das breite von Gerölle
und Schutt ausgeebnete Val dei Drogo in N.W. von Sant Giacomo.
Zu diesem stürzt an der N.W. Seite das ThaI der Truzzo-Seüll mit
einer mindestens 200 Meter hohen jähen Gneis-Wand ab. Das TruzzoThaI ist ein breites von Nord herab kommendes Hochthai, fast ohne
Schuttausfüllung, mit einem felsigen und vom Gletschergang abgefegten
Thalgrund. Leider fehlen auch hier die Höhenangaben. Das TruzzoThai mag aber nach beiläufiger Abschätzung sehr wohl in den Horizont
des Piano della casa (1904) und der Stuetta (1870) fallen. Dann
müsste das Drogo-Thal etwa der Terasse von Pianazzo (1400) entsprechen.
Aber noch höhere Thalböden liegen hier vor. An der Ostseite
des Pizzo Truzzo überschritt ich von der ausgezeichneten Gehängeterasse der Alp Servizio di sopra an (die etwa dem Horizont der Stuetta
angehören mag) noch drei treppenförmig über einander aufsteigende
Hochböden oder Cirken. Aber auch die beste über diese Gegend vorliegende Karte die Lombardische in 1/86400 gibt keine Andeutung von dieser Gebirgsconfiguration und hat mich überhaupt fast
überall im Hochgebirge auf trostlose Art im Stiche gelassen.
C. Das untere Bergell. - Bei Chiavenna mündet zum LiroThai aus O. und O.N.O. das breite Mairathai oder Bergell, Val
Bregaglia. Die Italiener erklären seinen Namen von Praegallia (V ordergallien). Wahrscheinlich bedeutet er aber Bruchthai oder Sturzthai
(frangere, brechen, fracasso, Zertrümmerung).
Hier unterstützen uns wieder Schweizerische Höhenbestimmungen.
Castasegna, der westlichste Ort im Schweizerischen Bergell, hat
720 Meter Meereshöhe.
Rolle, Chia venllfl.
In N.O. darüber liegt SO.Qlio, 1088 Meter
4
50
(3350 Par. Fuss *) auf einer breiten gegen das MairathaI schroff abstürzenden Gehängeterasse. Diese setzt jenseits von dem die Landesgrenze bildenden tief eingerissenen Val Lovero auf italienischem Gebiet weiter in W.S.W. fort und bildet hier die Sommasassa nördlich
über Villa, die den Horizont der Soglio - Terasse unter schwachem
Gefällo fortführt.
Diesem Horizont scheint auch auf der Nordseite der Maira das
breite ebene HochthaI von Alp Cantone oberhalb von Savogno anzugehören.
Auf der Südseite des Bergell verlaufen auf italienischem Gebiet
ähnliche Hochterassen, auf welche aber bei der dürftigen Ausführung
der Lombardischen Karte und dem Mangel der Höhenangaben sich
nicht einzugehen verlohnt. In Süd darüber folgen auch hier hochgelegene treppenförmig über einander aufsteigende Cirken. - 1875
den 3. August mit gebrochenem Schlüsselbein und gelähmtem
Arm vom Fusse des Monte Droso mühsam hinabsteigend überschritt ich mindestens drei übereinander folgende durch steile Abstürze
von einander getrennte halbkesselförmig ausgeebnete Thalböden, die
denen zwischen der obren Alp Servizio und dem Pizzo Truzzo (Westseite des Liro-Thals) ganz gleichkommen. Sie mögen gegen 2500 Met.
Meereshöhe aufsteigen.
Eine ausgezeichnete Hochterasse - tieferen Rangs. - erscheint
ferner auf der Nordseite des Bergell in NO. über Santa Croce. Sie
trägt einen ausgedehnten Castanienwald und heisst Prigalun. Ich
schätze ihre Höhe über der Maira auf etwa 70 Meter, was einer
Meereshöhe von etwa 590 Meter entsprechen mag. Sie verläuft also
in beträchtlich tieferem Niveau als die Soglio-Terasse.
Der merkwürdige Ursprung des Bergell vor der dem Oberengadin angehörenden Fläche der Maloja fällt auf das östliche Blatt XX
(Theobald) Sudöstl. Graubünden 1866, Seite 210, in 1811 Met.
Meereshöhe).
Ich kann aber nicht umhin, darauf aufmerksam zu machen, dass
schon die Herrn A. Escher und B. Studer (Mittelbünden 1839,
Seite 24) das den heutigen obersten Ursprung der Maira bildende
*) Soglio nach B. Stude1' 3360 Par. Fnss
3109 oder 3027 Wr. Fuss, etwa 970 Met.
=
1091,4. Meter. Savogno,
51
Marozzo - Thai «eine unvollkommene Fortsetzung der Maloja - Fläche»
nennen. Allem Anschein nach hat das obere Marozzo in ältrer Zeit
den Ursprung des Engadin gebildet und ist erst im Verlaufe der thaleinzu vorrückenden Erosion des obren Bergell in dessen Gebiet hereingezogen werden. Der Inn entsprang damals am Pizzo della Dualla,
der jetzt dem Flussgebiet der Maira angehört. Wahrscheinlkh hat
die rascher vorgehende Erosion der Ordleglla diesem Stande der Dinge
ein Ende gemacht.
Welche gewaltige Abtragungen der Gehänge im Bergell noch nach
Ausbildung der heutigen Thalsohle statt gehabt haben, erweist namentlich
die mächtige Block-Terasse von Aurogo oder Dre- Voeug südlich der Maira
bei Santa Croce) com. di Piuro. Sie bildet eine verhältnissmässigo breite
Ebene, welche ein stattlicher Castanienwald bedeckt. In Ost 6 bis 10 Meter
die Maira überragend erhält sie gegen West im Verlauf des rasch wachsenden Flussgefälles eine Thalhöhe von etwa 30 Meter und wird auf dieser
untren Strecke von der Maira mit einer schmal eingeengten heftig brausenden Stromschnelle durchbrochen. Sie besteht nur aus grossen Blöcken
von festem meist granitartigem Gneis, wie er die obersten Kämme der
Gebirge zu beiden Thalseiten hier bildet.
Ich habe lange mein Urtheil über die Entstehung dieser aus
groben Gneisblöcken aufgehäuften Thalterasse zurückgehalten. Ihre erste
Grundlage kann vielleicht eine Quermoräne des alten Maira-Gletschers
gegeben haben. Einen groRsen Antheil an ihrer Bildnng nahmen aber
jedenfalls die im Laufe der Jahrtausende von den im Hintergrund
hoch hervorsteigenden Gneisbergen herabgebrochenen Blöcke. An der
Nordseite des ThaIs ist die Anhäufung der herabgebrochenen Gneisblöcke noch bedeutender und an dem mässig steilen Hang in Nord
über der Kirche VOll Santa Croce liegt noch eine Reihe von 2 bis
5 Meter gros sen Gneisblöcken hinter einander, wie im Lanf aus N.
in S. eingehalten. Hier ist der Sturz vom nördlichen Gehänge offenbar. Schwieriger ist die Entscheidung über die ausgeebnete BlockTerasse an der Südseite des ThaIs. Ich habe dieses Vorkommen ausführlicher erörtert, um die Aufmerksamkeit andrer Geologen auf dieselbe zu lenken, namentlich in Bezug auf die Frage, ob hier eine alte
Quermoräne vorliegt, seither von herabgestürzten Felsblöcken überdeckt, oder ob die ganze Blockmasse von tausendjährigen Felsstürzen herzuleiten ist. Unter den Gesteinen der Aurogo-Terasse ist
4~
52
mir nichts zu Gesicht gekommen, was auf Transport aus grössrer
Ferne deuten würde.
Ein anderes Zeugniss für die bedeutende Abtragung der Gehänge
des Bergell in geschichtlicher Zeit liefert der vielgenannte aber vielfach unrichtig beschriebene BeI' g s t u I' i von Plürs oder Piut·o.
Die heutige Gemeinde PittrO mit dem Hauptort Santa Groce
hegreift mehrere Ortschaften beiderseits der Maira. In diesem Gebiete
auf der Südseite der Maira unter einem schroffen Berggehänge von
Hornblendeschiefer lag einst der schöne und reiche handeltreibende Flecken
Plürs, wahrscheinlich so benannt nach den zahlreichen vom Steilhang
herabstürzenden Bächen und Flössern (plorare, weinen, piovere, regnen,
piorno, regnerisch.)
Ein Bergsturz begrub Plürs den 4. September 1618. Der Berg
Conto soll über das Ort hereingebrochen sein. Eine Gedächtniss-Capelle
steht zwischen San MicheIe und Borgo Nuovo am Pfad von der Landstrasse zur Mairabrücke, welche nach dem Dörfchen Scilano überführt.
Sie trägt die Aufschriften «coelo tonante, ruente monte Plurium decessit»
und «Precate pei defunti di Piuro sommers il' anno 1618». Ein
Bild stellt zugleich den Untergang des Fleckens Piuro mit zwei Kirchen
dar, Felsblöcke stürzen vom Berg herab und eine Wasserfluth €rgiesst
sich durch eine Schlucht ins ThaI. Letzteres bezieht sich auf die Sage
vom Ausbruch eines Bergsees, der bei der Verschüttung von Plürs sich
betheiligt haben soll.
Ich habe die Stelle der Verschüttung von Plürs etwa drei
Kilometer östlich von Chiavenna so gut es die Bepflanzung mit
Weinreben gestattet und ebenso das hohe in Süd darüber gelegene
Berggehänge von Monte Moscone näher untersucht, auch die gleichzeitigen Aufzeichnungen von Sprecher zu Rathe gezogen und komme
gegenüber den Angaben von Zschokke, Theobald, Nöggerath und
Andern zu folgenden Ergebnissen.
1. Der Bergsturz von Plürs war nur eine Sc hut t ver r u ts c h u n g.
Ein Niedergang von anstehendem festem Fels ist wenig oder gar nicht
anzunehmen.
2. Die Angabe, der Bergsturz sei durch langjährige TopfsteinGewinnung veranlasst, scheint mir unbegründet. Diese Erklärung gibt
übrigens schon Sp1'echer.
3. Der oftgenannte Monte Conto, der Plürs überschüttet haben
53
soll. wal' vermuthlich !{ein höherer f81sigcr Berggipfel, soudern nur
eine flache, aus Schutt und losen mücken bestehende Gehänge-Terasse
mit einem Maiensäss oder Mont.
4. Der Ausbruch eines Bergsees als Anlass der Verschüttung
von Plürs gehört nur der Volkssage an. Diese Angabe findet sich noch
nicht in Sprecher' s Bericht, wohl aber hat sie Theoba,ld wiederholt.
5. Die Angabe, der Schutt von Plürs erreiche an 30 Meter
Mächtigkeit, trifft bei df'm Orte Scilano, der heute in den Weingärten
des überschütteten Gebiets zerstreut liegt, nicht zu, sondern bezieht
sich auf den viel bedeutenderen und viel älteren Felsblock-Damm, der
bei Am'ogo 1/2 Kilometer in Ost von Scilano. die Thalebene der Maira
unterbricht und verengt.
6. Die Hauptschuttmassen von Scilano (Piuro) überragen etwa
6 - 8-10 Meter die breite Fläche der Weingärten, liegen etwa 200
Schritt vom Fusse der südlichen Bergschroffe entfernt und müssen von
einem freien Schuss der von der Höhe herabbrechenden und zu ungeheurer Geschwindigkeit gelangten Schuttmassen el'idärt werden.
Doch ist mir auch in diesen Stücken nicht alles gleich klar geworden, um so mehl' als die Kartirung des Schauplatzes äusserst dürftig
ist und die Uebersicht nur wenig fördert.
Die Stätte der Verschüttung \'on Plürs ist eine theils ebene,
theils mit Schutthügeln bedeckte Fläche, die ein paar Meter übel' dem
Mairaspiegel liegt und grösstentheils mit Weingärten bepflanzt ist. Die
Schutthügel überragen die Fläche um höchstens 8-10 oder 12 Meter.
Bei weitem der meiste Schutt ist ein Gemisch von Geröllen und Geschieben, hie und da liegen gros se Blöcke von Gneis, Glimmerschiefer
und Lavez. Sie sind meist stark abgerundet, waren längst abgerundet
als der Bergschlüpf von 1618 vor sich ging und rühren nicht \'on
einem Felsbruch her, sondern mögen als uralte Rollblöc]{e oder erratische Blöcke auf dem Gehängeschutt bei Monte Moscone gelegen haben,
mit welchem sie zusammen ins ThaI niedergingen. Einzelne dieser gerundeten Blöcke haben 4 bis 7 Meter Länge und manche auf der
Firste der hervorragenden Schutthügel sind nahezu kuglig gerundet.
Aehnliche Massen von Schutt, Gerölle und grossen Gneisblöcken
liegen noch jetzt auf den steilen Hängen in Süd, 100 bis 200 Meter
hoch über der Verschüttung und neue Ladungen von Schutt und Blöcken
54
könnten bei anhaltend nasser Wittcl'llllg noch jetzt in jähem Schuss
über dieselbe Stelle herab brechen.
Sprecher wal' Zeitgenosse der Verschüttung von Plürs und hielt
sich damals zu Chiavenna auf. Er berichtet namentlich, den 25. August
1618 begann der Regen und hielt 5 Tage lang an. Ein paar Tage
darnach begannen südlich der Maira vom Berg Conti, wo Lavez-Steine
gebrochen wurden und schon seit Jahren Risse und Spalten sich zeig-;
ten, Rüfen und Schlüpfe herunterzubrechen. Diese verschütteten einige
Weinberge. Man blieb aber in Plürs noch sicher, da solche Abrutschungen auch früher schon vorgekommen waren. In der Abenddämmel'ung den 4. September stürzte dann der Berg Conti in einem einzigen Augenblick herunter. Ip. Cläven tönte es wie ein Donner. Das
Dorf Schilano mit 78 Häusern und der Flecken Plürs mit 125 Häusern und 930 Personen wurden verschüttet. Ein Theil des Schutts
wurde auf die andre oder nördliche Seite des Flusses geworfen. Zwei
Stunden lang blieb in Cläven die Maira aus. Sie bildete einen See
von einer Viertelstunde Länge, der aber dann ohne weiteres Unglück
anzurit- hten, seine Verdämmung durchbrach. Der Bergsturz war eine
halbe Stunde lang, an Breite unbedeutend, die Höhe des Schutts abm'
ungewiss. c~us dem Sturze rettete sich niemand, doch wurden mehrerc
Leichen ausgegraben, auch Lebende noch aus der Verschüttung befreit.
- Dies ist der wesentlichste Inhalt von Sprecher's Bericht. *)
Nöggerath' s Erzählungen**) von der Verschüttnng von Plürs verdienen verglichen zu werden, bestehen aber aus einer hie und da verworrenen Compilation. Die Stelle, wo früher die Stadt Plürs stand,
soll ein schöner Castanienwald bezeichnen, der auf den vom Conto
herabgekommenen Felsbrocken aufgewachsen sei. Hier scheint einc
Verwechslung mit der Gneisblock-Terasse von Aurogo vorzuliegen, die
eibell Castanienwald trägt. Die Stätte von Plürs ist Wingert. Auch
nimmt Nöggerath den Einsturz einer zerklüfteten Felsmasse an, was
unbegründet ist. Er scheint nicht an Ort und Stelle gewesen zu sein.
* Sprecher, Geschichte der Bündnerischen Kriege und Unruhen. Herausgegeben von C. v. Mohr. Chur 1856.
**) ,T. Nöggerath. Der Topfstein. In Westermann's Jahrbuch der illustrirten
deutschen Mouatshefte. Band 3. 1858. Seite 508. Die Stadt Plurs bei Chiavellna.
Band 7. 1860. Seite 79.
55
Theobald*) hat die Stätte von PlUrs besucht, gibt aber von der Verschüttung nur dürftige Nachricht und mengt die Volkssage vom Ausbruch eines Bergsees ein.
D. Das untere Maira-Thal und der Corner See. Von Chiavenna an zieht das ThaI der Maira in der meridianen Richtung des Liro-Thals breit und eben in S. und SSO. hinab, hält von
da an bis zum Mezzola-See eine Breite von 1 1 / 2 bis 3 Kilometer ein
und geht mit dieser Breite in den Corner See über.
Dies ist der Piano di Chiavenna oder die Clävener Ebene, die
vielleicht eine Zeitlang den Anfang des Corner Sees bildete, bevor sie
durch die Schuttführung der Maira und des Liro aufgefüllt wurde.
Beiderseits ist sie von steil ansteigenden Bergwänden eingefasst, aus
denen zahlreiche gegen vorn tief einreissende Nebenthäler hervortreten
und starke zeitweise gewaltig anschwellende Gebirgsbäche ausmünden.
Frisch ins ThaI vorgeschobene Schuttkegel verkünden hier wie im obren
Liro-ThaI den raschen Fortgang der Degradation des Gebirgs. Namentlich bilden an der Ostseite die Gehänge auf grössre Strecke hin
eine schroffe fast kahle Felsmauer, die von Strecke zu Strecke nur von
schmalen steil wandig ein genagten Thalausgängen unterbrochen wird.
Das Gebil'g in Ost darüber - vom BergeB in Süd bis zur Codera und von dieser zum Val dei Ratti und zum untren Veltlin - ist
äusserst felsig und zerrissen, auch auf grosse Strecken fast unbewohnt
undpfadlos. Es besteht fast ganz aus festem Gneis mit braunem Glimmer, an d~r Codera setzt darin ein bedeutender Granitzug auf. Sonst
ist wenig von dieser abschreckenden Gebirgseinöde bekannt. Die Herren
Escher und Studer haben dieselbe zwischen Sommaggia und Codera
überquert. Theobald und ich haben wenig mehr als Val Codera gesehen und die Kenntniss dieses schwel' zu begehenden, auf den Karten
mangelhaft behandelten und an geologischer Ausbeute sehr unergiebigen
Gebirgsstrichs ist daher noch immer sehr ärmlich geblieben. Am
schlimmsten erging es mir an der Nordseite dieses Gebirgs, wo mir
1875 den 3. August, als ich in der furchtbar wüsten Felsregion unter
dem Monte Droso aus dem Ursprung von Val Brosina in den des Val
Verdüra überstieg, ein von einer Geis herabgeworfener Stein das linke
Schlüsselbein zerschlug und der Bereisung des Hochgebirgs für mehrere
Wochen ein Ende machte.
*) G. Theobald.
Südöstl. Graubünden. 1866. Seite 267.
56
Gewaltige hoch ansteigende Schuttkegel, die am Rande der schroffen
Thalwände steil abfallen und deren vorderster Fuss von der lVfaira abgetragen zu sein scheint, dürften der Zeit nach dem Rücl{zug der grossen
Gletscher und vor der Auffüllung der Maira-Ebel1e angehören, als diese
vielleicht noch dem Corner See angehörte.
Die bedeutendsten Schuttkegel sind der von Stova bei Prata an
der Ostseite und der von Coloredo, Menarola und Gordona an der
Westseite der Maira. Der letztere erreicht die l\/feereshöhe von Menarola
(3188 Wiener Fuss, 1006 Meter). Er mag also um etwa 600-700
Meter die heutige Maira-Ebene überragen. Er besteht aus Gerölle, das
zum Thei! zu einem Conglomerat erhärtet ist und mag viellpicht zum
Theil auf Rechnung von altem Gletscherschutt kommen - -- worüber ich
nicht. ganz ins Klare gekommen bin, da ich bei meinem einzigen Besuche des Passo della Forcola durch Nebel behindert war und keine
Zeit .'lU wiederholtem Besuche hatte. Im Maira-Thal zwischen Chiavenna
und dem Mezzola-See fehlt es zu beiden Seiten nicht an hochgelegnen
alten Thalböden, namentlich gehört dahin an der Ostseite das lange in
seinem obren Verlaufe breit ausgeschnittene und ausgeebnete Val Bodengo, an der Westseite das ähnlich gebaute Val Codera. Aber leider
fehlen hier wieder die Höhenbestimmungen.
Val Bodengo kommt von WSW. herab und hat auf etwa 5 Kilometer Länge einen breit ausgeebneten Thalboden, in welchem das Dorf
Bodengo steht. Die Meereshöhe desselben schätze ich beiläufig gleich
der von Soglio im BergeIl (1088 Meter) oder der vom nahen Menal;ola
(1006 Meter). Unterhalb vom Dorfe Bodengo tieft sich der BodengoBach oder Boggia-Torrente bald tiefer in den Gneis ein, während noch
alte Gehänge-Terassell den älteren und höheren Thalverlauf andeuten
und stürzt dann in einer jähen unwegsamen Felsschlucht rasch und mit
hohen Wasserfällen zur Maira-Ebne herab.
Die breite hochgelegne Strecke von Val Codera zieht aus ONO.
(Dufoul'-Atlas Blatt 20, geologisch colorirt von G. Theobald) in WSW.
und SW. gegen Dorf Codera. Weiter unten folgt wieder eine rasch
abstürzende steilwandig gefasste Felsschlucht, die bei Novate die neUCl'e
Thalbildung der lVfaira erreicht und hier auf Rechnung des MezzolaSees die breit vorgeschobene Schuttebene von Novate vor sich
her abgelagert hat. Meereshöhen sind keine bekannt. Die von Dorf
Codera mag etwas unter die von Bodengo und Soglio fallen.
57
Zehn Kilometer in Süd von Chiavenlla geht der Piano di Chiavenna aus einer sumpfigen Grasebene unmerklich in den Mezzola-See
über, welcher ein kleiner durch flachen Alluvialbodell abgeschnürter
obrer Theil des Comer Sees ist und drei Meter über dem Spiegel des
letzteren liegt.
Am Mezzola-See (193 Meter) bleiben die einfassenden Bergabhänge
noch steil und felsig, wie sie es von Chiavenna bis dahin sind. Dabei
verengt sich bei Novate das SeethaI auf ein Kilometer Breite, um sich
bei Verceja auf zwei Kilometer wieder auszubreiten. Ueberhaupt setzt
sich die Configuration des Maira-ThaIs ununterbrochen über den MezzolaSee fort, der offenbar gleich wie der Comer See nur ein zum See
aufgestauter Theil des Maira-Thals ist.
Auch liegen noch beiderseits Gehänge-Terassen übel' dem MezzolaSee genau wie die im obren Mail'a- und im Liro-Thal, nur in tiefrem
Niveau. Namentlich ist im Westen eine ausgezeichnete Tel'asse. Die
ganze Westseite hat jäh ansteigende Felswände von Gneis, die meist
unmittelbar aus dem See steil hervortauchen. Etwas höher oben verläuft ein flacher Gehänge-Absatz, der das Dorf Albonico trägt und in
SSW. von da ein breites HochthaI darstellt. Es mag das etwa in
100 Meter Höhe übel' dem See sein.
Nur die Ostseite des Mezzola-Sees gehört noch zum Mandamento
di ChiavennR, welches hier in Süd an das VeltIin grenzt, der Westen
gehört zur Provinz Como. Es ist aber für unsern Zweck erforderlich,
auch noch das untere Veltlin und die Oberregion des Comer Sees in
das Bereich der geologischen Betrachtung zu ziehen
In SO. unterhalb vom Mezzola-See mündet die breite Ebene des
Veltlin oder des Adda-ThaIs ins Maira-ThaI ein und die Fortsetzung
derselben in Nordwest scheidet auf 3-4 Kilometer Abstand den MezzolaSee vom obren Ende des Comer Sees, der drei Meter tiefer liegen soll.
Diese niedere Flussebene - Piano di Spagna und nach ihren yerderblichen Fieber-Miasmen auch Pianura ilJfama genannt - hat lockren
feinen Sandboden und beherbergt ausgedehnte Sümpfe, die von Anschwellungen der Adda und der Maira jährlich wieder neue Nahrungerhalten. Die Gradlegung des untren Adda-Lanfs der Nordseite des
Felshügels der Ruine Fuentes entlang (um das Jahr 1857) hat dessen
Gefälle etwas yermehrt und dem Missstand einigermaasscn abgeholfen,
58
die Sümpfe und das Fieber-Miasma sind übrigens immer noch llicht
ganz geschwunden.
In ältrer Zeit hing offenbar der Lago di Mezzola mit dem Lago
di Como unmittelbar zusammen und dieser See mag eine Zeit lang
auch in Ost in das untl'e Veltlin und weit g~gen Chiavenna thaleinzu
gereicht haben. Erst die Schuttablagerung, welche die Adda im Laufe
der Jahrtausende an ihrer Einmündung in das ThaI der Seen vor sich
aufhäufte, füllte nach und nach diesen Theil des Sees aus und trennte
den Mezzola-See auf vier Kilometer Abstand vom Corner See ab, so
dass nur an der NW.-Seite für den Ablauf der Maira in den Comer
See ein schmaler Canal frei blieb.
Uebrigens ist auch dieser in geologischer Hinsicht sehr jugendliche
Vorgang doch nach dem geschichtlichen Maasse bereits sehr alt und
Jahrtausende hindurch haben hier zuletzt noch Bodenerhöhungen *) von
feinem lockrem thonigem Sand stattgefunden, wie er auch im Veltlin
bis oberhalb von Delebio und an der Maira oberhalb vom Mezzola-See
bis gegen Sommaggia und Samolaco die Thalfiäche noch zusammensetzt.
In einer grössren Tiefe mögen wohl Schuttkegel von gröbrem Material
verdeckt liegen.
E. Das u n t r e Ve 1 t I i n. - Das Veltlin, la Valtellina oder
das Adda-Thal mündet mit weit geöffneter Thalfiäche 2, dann bis 3
Kilometer breit oberhalb Colico in die Ebne des Mezzola-Sees und des
Comel' Sees. Der Boden der Thalfläche ist lockrer grauer thonigel'
Sand wie der des ::'Iiaira-Thals oberhalb vom Mezzola-See. Der Felsgrund im ThaI mag aber mehrere hundert Meter hoch mit Schutt und
Geröllen aufgefüllt sein.
Das untre Veltlin ist weit breiter als das untre Bergell, das
ihm gleichläuft, aber die Gehänge sind ähnlich gebaut.
An der Nordseite des untren Veltlin traf ich an der Alp aBa
Piazza nördlich übel' Monastero eine Plateau-Bildung. Die Alp liegt in
einem breiten flachen von O. in W. ziehenden HochthaI, das in Süd
jäh gegen das heutige tiefe Adda-Thal abfällt. Es ist anscheinend ein
uralter Thalboden der Adda. Ich schätze die Höhe der Alp alla Piazza
*) In ein Meter Tiefe unter deI' heutigen Bodenfläche soll man auf das
Pflaster einer römischen Militärstrasse stossen. Guida aHa Valtellina. Milano
1873. p. 91.
59
auf 650 Meter übel' dem Corner See (190) oder zu beiläufig 840 M.
Meereshöhe.
Eine andere ausgezeichnete Hochterasse verläuft in tieferem Niveau
an der Nordseite des untren Veltlin und trägt die Dörfer Cercino und
Cino (Grenze von Weingärten gegen Castanienwälder). Sie setzt breit
vor dem hohen schroffen Gebirgskamm der Bassetta auf und fällt ihrerseits schroff gegen die heutige Thalebene der Adda ab. Die Meereshöhe ist nicht bekannt. Ich schätze die Terasse von Cercino und Cino
zu etwa 105 Meter über dem Adda ThaI oder zu ungefähr 355 Meter
Meereshöhe. Sie dürfte der ebenfalls an der Grenze der Weingärten
und der Castanienwälder verlaufenden Terasse von Prigalun bei Santa
Croce im Bergell entsprechen, deren Meereshöhe ich auf etwa 590 M.
abschätzte. Ebendahin mag die Terasse von Albonico an der Westseite
des Mezzola-Sees gehören.
Es würden darnach im untren BergeU und im untren Veltlill
je zwei parallele Terassen verlaufen, eine etwa 500 Meter unter der
andern und die untre etwa 70-100 Meter übel' dem heutigen Thalboden.
Unterhalb von der Ausmündung des Veltlin setzt sich das MairaThai in SW. ununterbrochen mit 2 1 / 2 bis 3 Kilometer Breite in den
Corner See fort. Die Configuration des Gehängs bleibt dabei unverändert, besonders an der NW.-Seite des Sees, wo das Gebirge steil
und fast in ununterbrochener Linie zum See abdacht und nur bei Domaso und Gravedona vorgeschobene Schuttmassen der Gebirgsbäche
gegen den See als Neubildung vortreten und gegen den letztren im
Vorrücken sind.
Auch da.s heutige langgezogene Thalbecken des Corner Sees ist
offenbar nur eine alte Erosion durch den Wasserabfiuss aus dem Mairaund dem Adda-Thal, welche über sich noch ältere höhere Thalböden
erkennen lässt, die der Seebildung weit vorausgegangen sind. Bedeutende H ochterassen und zurückliegende alte Hochthäler erscheinen besonders an der NW.-Seite des Sees. Ausgezeichnet ist die breite Hochebene bei Pellio und Livo in NW. über Gravedona. Ich schätze sie
au!ß40_Meter Meereshöhe (oder 650 Meter Höhe über dem Corner See)
wie 'die von der Alp aUa Piazza im untren Veltlin.
Ich komme nach allem diesem zum Schluss, dass die Terasse von
Soglio im Bergell (1088 Meter oder 3350 Par, Fuss) dasselbe alte
60
Thalniveall ist, dem in Wüst vom Mail'a-Thal das Val Bodengo, in Ost
das Val Codera angehören und beziehe auf denselben Thalverlauf weiter
in Süd das Plateau der Alp aUa Piazz'a im untren Veltlin (etwa 840 M.)
und das breite Plateau von Pellio und Livo an der Westseite des Comer Sees.
Es ist schwierig dasselbe alte Thalniveau in das ob re Liro-Thal
hinauf zu projectiren. Vielleicht ist es auf das Plateau von Pianazzo
an der Splügenstrasse (1400 Metel' Meereshöhe) zurückzuführen. Ist
dies richtig getroffen, so würde sich für den alten Thalvel'lauf von
Pianazzo bis aUa Piazza und Pellio auf 30 Kilometer Entfernung ein
GefäiIe von etwa 18 1 / 2 pro mille ergeben.
Noch misslicher ist es, die Pl'ojection des Anfangs der tieferen Te1'asse des Bergell (Prigalun), des Mezzola-Seebeckens (Albonico) und
des unteren Veltlin (Cercino, Cino) ins obere Lirothal zurückzuleiten.
Vielleicht ist sie bei Lirone an der Splügenstrasse (857 Met. Meereshöhe) zu suchen.
Die Erörterung der Berg- und Thal- Configuration im Liro·,
Maira- und Adda-Gebiet legt zunächst Zeugniss ab von dem grossen
Gegensatz der geologischen Arbeit auf Schweizer Gebiet, wo zahlreiche
Höhenmessungen und hypsometrische Projectionen zu Hülfe kommen und
der trostlosen Lage, in die man sich in dieser Hinsicht versetzt sieht,
sobald man auf das italienische vormals österreichische Gebiet gelangt,
in welchem man fast ganz auf annähernde Höhenabschätzung allgewiesen
ist und nUl' wenige Höhenmessungen vorliegen. Da indessen auf lange
Zeit hin für das italienische Gebiet keine Besserung zu erwarten steht,
so mögen die nur locker zusammenllängenden Bruchstücke, zu denen
man zn gelangen im Stande ist, wenigstens die Aufgabe· vorzeichnen,
die noch für günstiger gestellte Geologen zu lösen bleibt.
Diese Aufgabe ist vielumfasselld. Allein schon die Ermittelung
der obersten Cirken, in denen die ältesten nachweisbaren Hochthälel'
anheben und ihre hypsometrische Kartirung wäre eine schwierige aber
gewiss zu wertln'ollen Ergebnissen führende Arbeit, die namentlich über
die Gestaltung der Gebirgsmasse in damaliger Zeit und die Meereshöhe,
in der die ältesten noch nachweisbaren Thäler die Erosion eröffneten,
noch manches Licht verbreiten könnte.
Eine andere mit besseren Hülfsmitteln - namentlich mit besser
;msgestattetem l{artenmaterial und einer genügenden Menge zuverlässiger
61
Höhenbestimmungen - zu lösende Aufgabe müsste es sein, zu ermitteln,
ob die durch Hochflächen und Gebängeterassen vom Splügen bis zum
Comer-See zu verfolgenden älteren Thalzüge noch in ungestörtem Verlaufe geblieben sind - und die successive' Hebung der Südalpen nur
am Abfall zur lombardischen Ebene unter Bruchbildung vor sich ging
- oder ob die alten Thalzüge hin und wieder ebenfalls durch quel'
übergehende Hebungen gebrochen wurden. Diese Aufgabe ist auf italienischem Gebiet zur Zeit noch ganz unlösbar.
Die Seebildung.
In mehl' oder minder engem Anschluss an die Thalbildung erscheinen in dem hier erörterten nebiet ausseI' dem Comer See und dem
Mezzola-See noch eine grosse Anzahl von kleineren Gebirgs-Seen, meist
in den oberen Thalursprüngen und auf den Gebirgssätteln. Von ihnen
sind der Lago di Acqua Fraggia im BergeIl nördlich über Savogno in
einer Meereshöhe von vielleicht 2000 Meter und der Lago die Truzzo
auf der Westseite des Liro-Thals NW. von Chiavenna in etwa derselben
Meereshöhe die bedeutendsten und an sie reiht sich noch eine Menge
von kleineren Bergseen, die an Grösse bis zu geringen nur zeitweise
mit Wasser erfüllten flachen Felsbecken abnehmen. Die Dufour-Karte
Blatt XIX giebt deren auf italienischem Gebiet über 20 an, die Lombardische Karte auf demselben Gebiet gegen 30. Bemerkenswerth ist,
dass die grosse Mehrzahl derselben in der nördlichen Hälfte der Clävener Landschaft liegen, beiderseits des Liro-Thals und nördlich vom
Bergen, was auf Beziehung der Seebildung zur alten Gletscher-Bildung
gedeutet werden kann, jedenfalls aber eine bestimmte Ursache haben muss.
Die meisten der kleinen Gebirgsseen zeigen reichliehe GletscherAbfegungen an den hervorstehenden Felsflächen und namentlich an der
Abflusseite flach vortretende Riegel von festem Fels, welche an ihrer
Stossseite abgefegt erscheinen. Sie entleeren sich oft durch schmale
Eintiefungen, welche den sperrenden Querriegel durchsetzen. Die Erklärung dieser Beckenbildung ist sehr misslich, ich neige aber nach
aufmerksamer Untersuchung mehrerer solcher Hochgebirgsseen zur Ansicht, dass sie der ungleichen Ausschleifung des Thalgrundes durch die
darüber hingleitenden Massen der alten Gletscher ihre Entstehung ver·
danken. Es scheint, dass diese gerade in den obersten Thalursprüngen
62
am reichlichsten Blöcke und Felsschutt eingestreut enthIelten und hier
am mächtigsten auf den Thalboden ausnagend wirkten*).
Ueber dem See sind oft tiefere Felsschluchten vorhanden, die der
letzten Erosion vor der Gletscher-Epoche zuzuschreiben sind.
Die Querriegel an der abwärtigen Seite der Gebirgsseen sind durchweg Felsmassen von grösserer Festigl,eit, die sowohl der Erosion als
der Ausschleifung kräftigen Widerstand leisteten, oft auch das Vorderende von Hochtbälern bilden und von diesem aus jäh gegen die tiefere
jüngere Thalerosion abstürzen.
Der bedeutendste der Clävener Gebirgsseen ist der Lago di
Truzzo in einem hochgelegenen breiten Seitenthai des Val deI Drogo
in NW. von Chiavenna. Er hat über ein Kilometer Länge NW. in
SO. Die Meereshöhe ist nicht bekannt, mag aber wie die des Lago
di Acqua Fraggia im Bergell gegen 2000 Meter betragen.
Val deI Drogo ist bei San Antonio auf etwa ein Kilometer Länge
f!in breites aus WNW. in OSO. flach abdachendes Hochthai mit fast
ebener Scbuttausfüllung. Am oberen Ende dieser breiten Thaistrecke
stürzt aus NW. über eine hohe felsige Bergwand yon mindestens 200
Meter Höhe in zahlreichen Stufen und Wasserfällen der Truzzo-Bach
herab. Mühsam erklettert man diese steile Höhe. In treppen weisem
Ansteigen wechseln ebene Stufen, die glattabgefegte Felsflächen zeigen,
mit schroffen Abstürzen. Darüber erreicht man den Ausgang des breit
ausgeschnittenen von hohen schroffen Berggehängen eingefassten Truzzo,ThaIs, das yon NNW. herabkommt, also ein zweites Hochthai, viel
höher und viel älter als das tiefere Hochtbal Val dei Drogo.
Am Ausgang dicht über dem jähen Abfall zum Drogo-Thal liegt
der grosse Truzzo-See von NW. in SO. und Süd über ein Kilometer
lang ausgezogen, allem Anscheine nach ein seichtes Becken. Er ist
zum grössten Theile eine alte ThaI-Erosion in dem etwa 20 Meter
höheren noch älteren Tbalboden des Truzzo-Thals. Dieses hat also hier
zwei Thalsohlen neben und über einander, eine breite höhere und ältere
Feisterasse und eine jüngere tiefere Erosionsschlucht, die den ersten
Anlass zur Seebildung gab.
Die höhere Terasse bildet eine unebene
Felsfläche bedeckt VOll gedrängten flachwölbigen Höckern (Roches mou*) Man vergleiche über die Wirkung (leI' Gletsehrr auf Thalbettl'Jl. Lyell.
Alter des Mensehengeschlrchts. lRß-l. Srite 240 -- 2M;. lk~())". Gebirgshau
H\65. SE'He lHi.
63
tonnees) und höheren klüftigen Felspartien. Diese höhere und ältere
Stufe des Truzzo-Thals stürzt steil auf 15-20 Meter Höhe zum Seespiegel ab. Der grösste Theil des Seerands ist unter den Felsabfällen
ungangbar, das Südost-Ende aber flacher begrenzt und gut zugänglich.
Hier legt sich zwischen das Seebecken und den jähen Bergabsturz, über
den der Bach in's Drogothal ein paar hundert Meter hoch herabstürzt,
ein flacher Querriegel von festem Gneis vor. Es ist eine streichende
Gneisfirste, die an der NW. Seite oder der Stossseite flachwölbig abgefegt ist, in SO. jäh und zerrissen zum Drogo-Thal abfällt. Der SeeAbfluss durchbricht den Querriegel an einer flacheren Stelle, die noch
von der Gletscherabfegung berührt wird und hat diese seither nur weniges tiefer ausgenagt.
Im Ganzen bin ich zum Ergebnisse gelangt, dass 'das TruzzoThaI am See noch einen 20 Meter höheren felsigen Thalboden zeigt,
der der eigentliche alte Thalverlauf ist und der Seebildung weit \'01'-,,"usgeht. Der See selbst in der grösseren hinteren Strecke ist eine
ThaI-Erosion, welche einer jüngeren Epoche angehört. Die unterste
Strecke aber wurde während der Gletscher-Abfegung ausgehobelt und
der Seeriegel zwischen diesem Becken und dem Absturz gegen das tiefere Drogo-Thal ist vermöge der grösseren Festigkeit eines streichenden
Gneislagers bei der Ausschleifung des Felsbeckens zurückgeblieben.
Auch ragt mitten in diesem von Rundhöckern abgedämmten SO.
TheHe des Sees eine nackte Gneis-Insel an 20 Schritt lang gegen ein
Meter hoch über dem Seespiegel hervor. Auch diese kleine Felsinsel
im See ist ein deutlich .abgefegter Roche moutonnee, noch ganz wie
frisch erst abgehobelt. Wahrscheilllich ist also der Grund des ganzen
vorderen Seebeckens vom Truzzo-Gletscher aus geglättet.
Ich gelange in Bezug auf die Aufeinanderfolge der Vorgänge zu
folgenden Schlüssen.
1. Das Hochthai, an dessen Vorderrand der See liegt, ist viel
älter als das heutige Val deI Drogo, welches das erstel'e um etwa 200
Meter unterteuft und dessen weiteren Thalverlauf abgetragen hat. Die
Ausbildung des Truzzo-Thales mag etwa gleichzeitig sein mit der des
Val Loga, welches über den Piano deHa casa an der Splügenstrasse
hinausgeht. Val deI Drogo ist viel jünger,
2. Nach Unterteufung des Truzzo-Thales durch das viel tiefere,
jüngere Val deI Drogo fand in ersterem noch eine Erosion statt, welche
64
demselben einen zweiten tieferen Thalboden ertheilt~.
Dieser untere
Thalbodell bildet jetzt den hinteren Theil des Sees.
3. Beim Beginn der Gletscher-Epoche hatte das Truzzo-Thal
bereits eine an 20 Meter höhere Feisterasse, welche eine Erosiollsschlucht
durchzog. Der Bach stürzte aus dieser, ähnlich wie noch jetzt, über
den' steilen Felshang hinab ins Val deI Drogo. Während der GletscherEpoche wurde der vordere Theil des Erosionsbettes tiefer ausgeschliffen,
als die bisherige Sohle der Erosion niederging, der Rand des steilen
Felshangs vor dem ausgeschlifl:'enen Becken aber nur flach abgeglättet.
Er blieb als Querriegel zurück. Der Boden der oberen Erosionsschlucht
mag vom Gletschergang etwas mehr ausgetieft worden sein.
4. Nach dem Abschmelzen des Truzzo-Gletschers füllte sich die
vordere Beckenausschleifung zum See und dieser trat auch in die dahinter gelegene ältere Erosionsschlucht ein.
Der See besteht also aus einem vorderen seichten der Glacialepoche angehörenden Ausschleifungsbecken und einer dahinter gelegenen
etwas älteren Erosions-Schlucht. Vor dem Ausschleifungsbecken blieb
als wasserstauender Damm der Querriegel von fester Gneismasse, der
die stützende Vorderwand des Truzzo-Hochthals gegen das tiefere Val
deI Drogo bildet und erst durch diese Gletscher-Annagullg die Gestalt
eines Querriegels erhielt.
Ich gehe in dieser Auffassung der Seebildung im Hochgebirge
wesentlich von Prof. Rütimeyer's Ansichten über Seebildung ab. Gletscher können, indem sie Jahrtausende hindurch über eine Thalsohle
hinausgleiten, an Stellen wo Felslager von ungleicher Härte quer über
das ThaI streichen, seichte Seebecken ausschleifen. Eine Beckenbildung in einer Thalsohle durch einen Wasserfall und grosse in Drehung
gesetzte Gerölle ist zwar theoretisch auch zulässig, dürfte aber in Wirklichkeit nur selten vorgekommen sein.
Von den vielen kleinen Gebirgsseen des Clävener Gebiets ist nur
ein einziger, der Zeichen einer anderen Entstehungsweise trägt. Dies
ist der kleine Lago di Ani in Ost von der Cantoniera della Stuetta
(2 a Cantoniera der Dufour-Karte, 1870 Met.) auf dem breiten gegen
100 Meter höheren Kalkstein-Plateau der Alp Andossi, das zwischen
Val deI Palude und Val Madesimo verläuft. Der Abfluss, den die
Karten ihm in Nord zuweisen, ist in der Wirklichkeit nicht vorhanden.
Der Lago di Ani ist ein flacher von niederen grasigen Anhöhen eillge-
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fasster D 0 li n e n - See etwa 170 Schritte lang, der in der· heissen Jahreszeit ohne Abfluss ist. Gegen Süd steht er durch eine felsige Rinne
mit einer zweiten trocken liegenden Doline, welche sich in Kalkstein
rinsenkt, in Verbindung. Der Lago di Ani ist also durch Unterwaschung und Einsturz entstanden. Trockene Dolinen sind auf demselben
Kalksteingebiet zahlreich vorhanden.
Anderer Entstehung als die kleinen Seen des Hochgebirgs ist das
langgezogene Thalbecken des Corner Sees mit Einschluss des Mez-
zola-Sees.
Es setzt vollständig die Configuration des Mairathals von Chiavenna an in Süd und Südwest fort und ist sicher eine alte ThaI-Erosion, die im Verhältniss zu der vom Loga-Thal, vom Truzzo-Thd und
anderen ähnlichen hoch gelegenen Gebirgsthälrrn zwar sehr jung ist,
aber doch immer noch vor die Glacial-Epoche fällt.
Weiter in Süd
muss eine Bodenerhebung die ehemalige Thalausmündung gesperrt und
den unteren Flusslauf zum See aufgestaut haben. Diese südlichere Gegend liegt aussel'halb meines Aufnahmsgebiets (auf Dufour-AtIas Blatt
XXIV, bearbeitet von Prof. Stoppani.)
Die Aufdämmung des Corner Sees mag wohl beiläufig zur Zeit
der Erhebung und Trockenlegung des pliocänen Meerbusens der lombardischen Ebene stattgefunden haben, jedenfalls fällt Rie vor Eintritt
der Glacial~Epoche.
Vielleicht liegt entlang dem Südrande der Alpen vor den grossen
Seen eine Bruchlinie , an welcher nach Ablagerung der marinen
Subapeninen - Schichten gleichzeitig eine Hebung der Lombal'llischell
Niederung und eine Senkung des alpinen Gebiets statt hatte, in Folge
deren die Thalausmündungen verdämmmt und die untern Flussläufe
zu Seen aufgestaut wurden.
Die Ausnagung der untren Thaistrecken, die jetzt zum Theil
8een, zum Theil bereits durch Schutt aufgefüllte Flächen sind, würde
dann während der gewiss einen langen Zeitraum einnehmenden PliocänPeriode anzunehmen sein.
Während der Glacialepoche aber waren die Seebecken von Eis
erfüllt und der Gletschergang mit seinem Moränenschutt verlief über
sie hinweg, ohne viel an ihrer Configuration zu ändern.
Der über den Corner See hinausgehende Adda- und l\fairaGletscher endigte gegen Süd bei Pravolta am Monte San Primo
Roltt!, ChiUYClllUl.
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oberhalb Bellagio, 700 i\f et. überm See, wie aus einem hier auftretenden Lager von erratischem Schutt und Blöcken hervorgeht (Th.
Zollikojer, Geologie der Lombardei, 1856).
Ein durch tiefe Gebirgsaufspaltung eröffnetes Seebecken ist weder
am Lago di Mezzola noch am obren Lago di Corno zu erkennen. Die
Schichten des krystallinischen Schiefergebirgs setzen in wesentlich ungestörtem Zug quer über, wie in jedem andern erodirten QuerthaI, und
hochgelegne Seitenterassen sprechen füt' eine während einer ganzen Reihe
von Epochen vor sich gegangene stufenweise tiefer einschneidende Erosion.
Am obren Ende des Corner Sees zeigt zwar der Zug der TriaskalkMulde, der von Dubino quer über den See gegen Domaso verläuft,
Verwerfungen, namentlich bei Caino in N. von Domaso. Aber diese
Schichtenstörung steht ausseI' Verhältniss zur breiten und tiefen Thalaushöhlung der Seen und dürfte höchstens beiläufig bei deren Bildung
mitgewirkt haben.
Der Spiegel des Corner Sees hat 190 Meter Meereshöhe (DufourAtlas Blatt XIX) oder nach einer andern Angabe 213 Meter (DufourAtlas matt XXIV). Die Tiefe soll 604 Meter betragen, der Seeboden
also beiläufig 400 Meter unter den Spiegel des Adriatischen Meeres
hinabgehen.
Diese grosse Tiefe des Corner Sees muss zwar auf den ersten
Eindruck befremden, steht aber gleichwohl im Verhältniss zu den Gipfelhöhen der westlich vorliegenden Meridiankette.
Westlich von Chiavenna am Passo della FOt'cola halten die Gipfel
eine Meereshöhe von durchschnittlich 2590 Meter ein, westlich von
Gravedona am Passo di Jorio beträgt sie nur noch im Mittel 2280
Meter, ist also um 300 Meter gesunken. Von Chiavenna (317 oder 332
Meter) zum tiefsten Punkte des Corner Sees ist ein Höhenabstand von etwa
730 ME'ter, der für das Gefälle eines alten jetzt verschütteten Erosionsthais von mindestE'ns 25 Kilometer Länge nichts auffallendes sein dürfte
und etwa den ues Liro-Thals zwischen Isola (1277) und Lirone (857)
gleichkommt. Die Stelle, wo heute Chiavenna liegt, mag also zur Zeit
der Erosion des Comer-Seethals etwa 730 Meter Meereshöhe gehabt
haben. Seither aber erlitt sie eine Senkung um etwa 400 Meter, während welcher die Lombardische Ebene gehoben wurde, vor dem Corner
Sec um etwa 200 Meter,
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Ueber die Meereshöhe, bis zu welcher die marinen Pliocän-Schichten
südlich vom Corner See erhoben wurden, gehen mir genauere Nachrichten ab. Nach den Einzeichnungen auf der Stoppani'schen Karte
Blatt XXIV möchte ich sie auf 200 bis 250 Meter veranschlagen.
Jedenfalls dürfte hier ihre Erhebung über den heutigen Corner Seespiegel
hinausgegangen sein. Und dieser Spiegel mag eine Zeit lang überm
heutigen Niveau gestanden haben, dann durch Erosion der Ausmündung
gesunken sein. Nehmen wir von dem Betrag der Hebung des südlich
von Como gelegnen Theils der Lombardischen Niederung etwa 200 M.
als zur Aufdämmung bis zum heutigen Spiegel des Comer Sees erforderlich an, so bleiben immer noch 400 Meter Unterschied zwischen dem
Boden des Corner Sees und dem Meeresspiegel. Man lmnn diese noch
zur Erklärung der ganzen Tiefe des Corner Sees erforderlichen 400 M.
dann auf Rechnung einer gleichzeitigen Senkung des in Nord angrenzenden Alpengebiets setzen.
Nach dieser Annahme lag die Stelle, wo heute der Corner See
bei Corno ausmündet, während der Pliocän-Zeit beiläufig im Spiegel des
pliocänen Meeres, das den Lombardischen Busen ausfüllte, und hier mündete
das ThaI des Liro, der Maira und der Adda zu demselben. Mit Abschluss der pliocänen Meeresbedeckung wurde sie zu etwas mehr als
200 Meter Meereshöhe emporgehoben, und gleichzeitig fand entlang der
Bruchlinie eine Senkung des nördlich angrenzenden Alpengebiets um
400 Meter statt, aus welchen beiden Beträgen die heutige Tiefe des
Corner Sees mit 600 oder 604 Meter hervorging.
Unsere Rechnungselemente sind nur annähernd. Der Spiegel des
Comer Sees wird zu 190 und zu 213 Meter Meereshöhe angegeben.
Die Tiefe· des Comer Sees setzt wohl noch eine grössere Tiefe des
festen Felsgrunds im alten Thalweg der Adda und Maira voraus. Auch
liegen keine genügenden Höhenangaben über die Erhebung pliocäner
Meereschichten südlich von Corno mir vor. Obige Berechnung kann
daher auch nur eine ganz beiläufige sein.
Nimmt man die Elemente der Rechnung für den Comer See
im Uebrigen als richtig und überträgt dieselbe -- mit Umgehung der
ldeineren Seen,. deren Boden stärker aufgefüllt sein mag - noch auf
den Lago Maggiore in West, den Lago di Garda in Ost, so gelangt
man zu einer Abstufung des Betrags, um weIchen der Seeboden unterm
Meeresspiegel liegt um welchen also das nürdlichpre Alpellgpbipt
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gesenkt sein dül'fte - und zwar geht diese abnehmend von West in
Ost, (Lago Maggiore 657 Lago di Corno 391 oder 414, im
Mittel 400 - Lago di Garda 219). Darllach müsste man die Senkung
des nördlicheren Alpengebiets bei Hebung des lombardischen Meeresbodens in Westen grösser, in Osten geringer als bei Corno annehmen,
was nichts widersinniges an sich hat.
Fiu' bessere Belehrung wei'de ich selbst dankbar sein,
Horn bur g vor der Höhe, im März 1878.
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