Beobachtung der Entstehung der massereichsten Galaxien im

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Jahrbuch 2016/2017 | Beifiori, Alessandra; Mendel, J. Trevor | Beobachtung der Entstehung der
massereichsten Galaxien im Universum
Beobachtung der Entstehung der massereichsten Galaxien im
Universum
Witnessing the birth of the most massive galaxies in the Universe
Beifiori, Alessandra; Mendel, J. Trevor
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Garching
Korrespondierender Autor
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Die vielfältigen Formen von Galaxien ergeben sich aus komplexen physikalischen Prozessen, die die
Sternentstehung und das zeitliche Anw achsen der stellaren Massen steuern. Neue Nahinfrarot-Messungen
ermöglichten es die Verteilung der Sterntypen und die chemischen Eigenschaften von fernen massereichen
Galaxien zu untersuchen. Die gemessenen Absorptionsmerkmale in den Galaxienspektren erlaubten es ihre
Entstehungszeiten einzuschränken, eine verbesserte Verteilung ihrer Sternmassen zu erzeugen und ihren
dynamischen Zustand zu bestimmen, als das Universum w eniger als 4 Milliarden Jahre alt w ar.
Summary
The rich diversity of galaxy morphologies grow s out of complex physical processes that govern the formation of
new stars and the assembly of stellar mass over time. The advent of new near-infrared facilities allow ed us to
extensively study the distribution of stellar types and chemical properties of distant massive galaxies by
measuring the absorption features in their spectra. This constrained their formation times and provided a more
detailed picture of their stellar mass distribution, and their dynamical state at the time w hen the Universe w as
less than 4 billion years old.
Reiche Vielfalt bei nahe gelegenen Galaxien
Bis Anfang des 20. Jahrhunderts w ar unser Verständnis des Universums von unserer eigenen Galaxie, der
Milchstraße, dominiert. Die Entdeckung, dass die Milchstraße nur ein kleiner Teil eines viel größeren Universums
ist, führte dazu, dass sich hunderte schw ache, unscharfe „Nebel“, die von Astronomen w ie Charles Messier
und Edw in Hubble untersucht w urden, plötzlich zu riesigen, viele Millionen Lichtjahre w eit entfernten
Sterninseln w andelten.
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A bb. 1: Be ispie l de r Hubble -Se que nz, die a lle m ögliche n,
be oba chte te n Ga la x ie nm orphologie n ze igt: Ellipse n,
linse nförm ige , Spira l- und Irre gulä re Ga la x ie n.
© R . She lton (Unive rsity of Ge orgia )
Ursprünglich w urde die Mehrheit der Galaxien aufgrund ihrer visuellen Erscheinung in eine von zw ei Klassen
eingeteilt: Spiralgalaxien oder elliptische Galaxien [1, 2]. W ährend Spiralgalaxien typischerw eise eine
dominierende,
abgeflachte
Scheibe
und
deutliche
Spiralarme
aufw eisen,
zeigen
elliptische
Galaxien
stattdessen eine eher diffuse und runde Form mit nur geringen Variationen in ihrer Helligkeit. Im Laufe der Zeit
w urde diese „Hubble-Sequenz“ erw eitert, um die gesamte Vielfalt der beobachteten Galaxienformen zu
beschreiben (Abb. 1). Diese reichen von massereichen elliptischen Galaxien, über „linsenförmige“ Galaxien, die
als Spiralgalaxien sow ohl runde als auch Scheibenkomponenten enthalten, bis hin zu Galaxien, die sich
jeglicher Klassifizierung entziehen, den sogenannten „Irregulären Galaxien“.
A bb. 2: Die se s Bild ze igt da s „k osm ische Ne tz“, e ine n Schnitt
m it e ine r Dick e von 15 Mpc/h durch da s Dichte fe ld de r
Mille nnium -Sim ula tion [3]. Sichtba r ist die großflä chige
Ve rte ilung de r Ma te rie , die sich in Fila m e nte n und R e gione n
m it hohe r Dichte sa m m e lt.
© V. Springe l & the Virgo C onsortium
Diese reiche Vielfalt von Galaxienmorphologien entsteht durch die komplexen physikalischen Prozesse, die die
Entstehung von neuen Sternen bedingen und das Wachstum der stellaren Massen im Laufe der Zeit
beeinflussen. Im frühen Universum w erden Galaxien durch Gasfilamente und -strömungen aus dem Kosmos
gespeist (Abb. 2). Im Laufe der Zeit kühlt dieses Gas ab und es entstehen Sterne. W ährend sich das
Universum w eiter ausdehnt, w erden die Galaxien immer massereicher bis ihre Gasversorgung schließlich
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versiegt und die Sternentstehung zum Erliegen kommt. Die neuesten Himmelsdurchmusterungen vom Boden
und aus dem All zeigen, dass diese passiven Galaxien bereits 2–3 Milliarden Jahre nach dem Urknall
auftauchen. Die massereichsten Galaxien, die Vorläufer der heutigen Ellipsen, sind dabei diejenigen, in denen
die Sternentstehung zuerst versiegte.
Aktuelle Modelle der Galaxienentstehung sagen voraus, dass Galaxien in Ansammlungen Dunkler Materie, den
sogenannten „Dunkle-Materie-Halos“, eingebettet sind. Die Entw icklung jeder einzelnen Galaxie w ird sow ohl
durch ihre innere Struktur als auch durch die Eigenschaften dieses Halos aus Dunkler Materie beeinflusst. Man
erw artet, dass die massereichsten Halos aus Dunkler Materie zuerst Galaxien bilden, w ährend in w eniger
massereichen Halos die Galaxienentstehung später einsetzt. Diese Modelle können zw ar noch nicht die
genauen
Eigenschaften
von
massereichen
Galaxien
vorhersagen,
w enn
deren
Sternentstehung
abgeschlossen ist, dennoch legen sie nahe, dass sich das Erscheinungsbild dieser Galaxien im Laufe der Zeit
w esentlich verändern sollte, da sie mit benachbarten Galaxien in Wechselw irkung treten und mit diesen
verschmelzen können. Diese Entw icklung sollte umso schneller ablaufen, je mehr Nachbargalaxien vorhanden
sind. Ein vollständiges Modell des Galaxienw achstums erfordert daher die sorgfältige Betrachtung mehrerer
Evolutionsw ege; diese w iederum sollten idealerw eise durch Daten aus verschiedenen evolutionären Phasen
der Galaxien eingeschränkt w erden.
Sternpopulationen in massereichen Galaxien
Um die Details der Entstehung massereicher Galaxien verstehen zu können, müssen die urzeitlichen
Informationen, die in ihren Sternen gespeichert sind, entschlüsselt w erden. Sterne sind langlebig und
enthalten somit die vollständige Entw icklungsgeschichte der Galaxie. Die Eigenschaften des von einer Galaxie
emittierten Lichts (Helligkeit, Farbe), aufgespalten in das elektromagnetische Spektrum, stehen in direktem
Zusammenhang mit den Eigenschaften der zugrunde liegenden Sternpopulation. Wenn w ir diese Daten mit
verschiedenen Spektralmodellen vergleichen, so können ihr Alter, ihr Staubgehalt und die Häufigkeit
verschiedener chemischer Elemente abgeschätzt w erden. Mit diesem Ansatz w urden bereits die Eigenschaften
von nahen elliptischen Galaxien untersucht und es zeigte sich, dass diese typischerw eise sehr alt sind.
Allerdings ist es unmöglich, die Entstehungsgeschichte der Galaxien allein mit Daten aus dem nahen
Universum zu rekonstruieren.
Die endliche Lichtlaufzeit kommt uns hier zu Hilfe: Die größten Teleskope der Welt können genutzt w erden, um
„in die Vergangenheit zu blicken“ und die Entstehung der massereichen Galaxien zu frühen kosmischen Zeiten
„vor Ort“ zu beobachten. Wenn w ir nun aber Objekte betrachten, die immer w eiter entfernt liegen, so w ird die
von ihnen emittierte Strahlung aufgrund der Ausdehnung des Universums „gestreckt“, d. h. die Strahlung w ird
zu niedrigeren Energien und längeren Wellenlängen verschoben, ähnlich dem bekannten Dopplereffekt. So
sind solche Untersuchungen erst mit der Entw icklung effizienter Nahinfrarot-Instrumente möglich gew orden,
die an die w eltw eit größten Teleskope gekoppelt sind, w ie zum Beispiel der K-Band Multi-Objekt-Spektrograph
(KMOS) [4, 5] am „Very Large Telescope“ (VLT) der Europäischen Südsternw arte (ESO), der im nahinfraroten
Band messen kann.
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A bb. 3: Da s Bild ze igt e in vie l be oba chte te s Him m e lsge bie t,
da s soge na nnte „Hubble Ultra De e p Fie ld“. Da s Ge bie t e nthä lt
vie le Ga la x ie n unte rschie dliche n Alte rs, unte rschie dliche r
Größe n, Form e n und Fa rbe n. Die k le inste n und röte ste n
Ga la x ie n sind wa hrsche inlich be i de n e ntfe rnte ste n, die de rze it
be k a nnt sind. Eine e lliptische Ga la x ie , vom Typ wie wir sie m it
KMO S unte rsuchte n, ist m a rk ie rt. De m Bild übe rla ge rt ist – in
ora nge – da s Mode llspe k trum e ine s m ögliche n Vorlä ufe rs für
die se Ga la x ie be i hohe r R otve rschie bung (MILES libra ry [7]).
© NASA; ESA; N. P irzk a l (ESA/STScI); HUDF Te a m (STScI)
Spektroskopische Daten sind unbedingt notw endig, um die Eigenschaften der Sterne in einer Galaxie zu
bestimmen. Die relativen Stärken der unterschiedlichen Absorptionsmerkmale zeigen sow ohl die Verteilung der
Sterntypen als auch ihre chemischen Eigenschaften. Mit KMOS haben w ir die einzigartige Möglichkeit, das Licht
von 24 unterschiedlichen Galaxien gleichzeitig zu untersuchen. Wenn diese Daten mit Bildern des HubbleWeltraumteleskops (HST) kombiniert w erden, die bei verschiedenen Wellenlängen aufgenommen w urden,
können w ir eine Vielzahl von Galaxieneigenschaften einschränken. Aus der Breite der Absorptionslinien kann
die Relativbew egung der Sterne bestimmt w erden und daraus, in Kombination mit den HST-Daten, das
Gravitationspotenzial einer Galaxie
insgesamt. Aus den Linienstärken können die
Eigenschaften der
Sternpopulation abgeleitet w erden, w ie Alter oder die Häufigkeit von chemischen Elementen (mit Ausnahme
von W asserstoff und Helium) [6].
Abbildung 3
zeigt
eine
Vergrößerung
des
sogenannten
„Hubble
Ultra
Deep
Field“. Dieser
kleine
Himmelsausschnitt (etw a 1/10 vom Durchmesser des Vollmonds) w urde mit mehreren Instrumenten an Bord
des HST abgebildet. W ir konnten eine ferne massereiche elliptische Galaxie identifizieren (im gelben Quadrat in
Abb. 3) und zeigen das Modell für die spektrale Energieverteilung einer derartigen Galaxie im frühen
Universum. Beachten Sie die roten Farben der Galaxie.
Wann hörte die Sternentstehung in fernen massereichen Galaxien auf?
Die Nahinfrarotspektroskopie von KMOS ermöglichte es in den letzten Jahren nicht nur, die Anzahl der
Messungen von Linienbreiten in fernen, massereichen Galaxien zu verdoppeln, sondern zudem die
Entstehungsgeschichte von passiven Galaxien über mehr als 10 Milliarden Jahre hinw eg einzuschränken.
Indem w ir die Spektren selektierter, isolierter massereicher Galaxien zusammen genommen und die Stärke
ihrer Absorptionslinien gemessen haben, konnten w ir das Alter dieser Galaxien abschätzen [6]. Die
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Kombination der KMOS-Daten mit Daten aus der Literatur zeigte, dass die Entstehung passiver Galaxien in
zw ei Phasen eingeteilt w erden kann. Eine frühe, aktive Phase, in der die Galaxien immer noch w achsen, indem
sie Gas aus dem Kosmos schnell ansammeln, sow ie nach einem raschen Abschalten der Sternentstehung die
späte Phase, in der Galaxien sich durch die w eitere Entw icklung ihrer Sternpopulationen verändern und somit
die Eigenschaften erhalten, die w ir heute beobachten.
Elliptische Galaxien im lokalen Universum sind bekannt dafür, dass sie strengen, grundlegenden Regeln folgen.
So können Eigenschaften w ie die Größe der Galaxie, die Lichtverteilung, die Geschw indigkeitsdispersion der
Sterne, die Masse, die Farbe und die Eigenschaften der Sternpopulation miteinander in Beziehung gesetzt
w erden. Diese Korrelationen dienen als Werkzeuge, um die Modelle zur Galaxienentstehung einzuschränken.
So bietet insbesondere die „Fundamentalebene“ die Möglichkeit, die Sternpopulationen von massereichen
Galaxien in unterschiedlichen Epochen zueinander in Beziehung zu setzen und damit ihre Entstehungszeiten
einzuschränken. Mit spektroskopischen Daten von KMOS konnten w ir die Fundamentalebene dazu einsetzen,
die Entstehung von Galaxiengruppen und -haufen – einige der massereichsten Strukturen im Universum – zu
untersuchen. W ir konnten zeigen, dass die Daten mit theoretischen Modellen konsistent sind, nach denen sich
Galaxien zuerst in den massereichsten Strukturen bilden.
Ein genaueres Bild der Sternmasse in entfernten Galaxien
A bb. 4: Von tie fe n Bilde rn de s Hubble -W e ltra um te le sk ops
(link s) k a nn die Ma sse nve rte ilung inne rha lb von Ga la x ie n
a bge le ite t we rde n (re chts) [8, 9].
© Ma x -P la nck -Institut für e x tra te rre strische P hysik / A. Be ifiori
W ir verw endeten außerdem sehr tiefe HST-Photometrie um die Größe und Morphologie von w eit entfernten
Galaxien in Haufen zu messen. Zusammen mit Modellen für die Sternpopulationen der Galaxien konnten w ir
daraus Karten ihrer Sternmasse erstellen (Abb. 4) [8, 9]. Die Massenverteilung in fernen Galaxien scheint viel
kompakter zu sein als ihr Licht, ein Effekt der von älteren Sternpopulationen im Zentrum im Vergleich zu den
Außenbezirken erzeugt w ird. Im Vergleich zu nahen Galaxien zeigen die fernen Objekte viel größere
Unterschiede zw ischen ihrer Massen- und ihrer Lichtgröße – ein Hinw eis darauf, dass sich über die
Lebensdauer massereicher Galaxien hinw eg etw as verändert. Die Änderung der Farben innerhalb der Galaxien
lassen sich mit der Annahme erklären, dass es Unterschiede gibt im Alter der Sterne und der Menge der
chemischen Elemente zw ischen ihrem Zentrum und ihrem Außenbereich. Dies ist das Ergebnis eines
Entw icklungsprozesses, in dem allmählich Satellitengalaxien in den Außenbereichen akkretiert w erden. Diese
Unterschiede in Alter und Häufigkeit sollten im Laufe der Milliarden Jahre andauernden Galaxienentw icklung
abnehmen bis sie die W erte erreichen, die im lokalen Universum zu sehen sind.
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In welchem dynamische Zustand befinden sich massereiche Galaxien?
In den letzten Jahren hat sich die Zahl von fernen massereichen Galaxien mehr als verdoppelt, bei denen
sow ohl Linienbreitenmessungen mittels Spektroskopie als auch tiefe Bilder in mehreren Wellenlängenbändern
vorliegen. Damit können ihre Eigenschaften w eit besser charakterisiert w erden – zu einer Zeit, w enn die
Vielfalt der Hubble-Sequenz ausgebaut w ird. Die Kopplung der neuen Daten mit dynamischen Modellen
erlaubte es, die gesamte dynamische Masse dieser Objekte einzuschränken und zu zeigen, dass in ihren
Kernen nur ein relativ geringer Anteil Dunkler Materie vorhanden ist, verglichen zu den Galaxien in unserer
kosmischen Nachbarschaft. Die Änderung scheint mit der Veränderung der äußeren Form der Galaxien
einherzugehen, die die Galaxien aufgrund der Wechselw irkungen mit anderen Galaxien über ihre Lebensdauer
hinw eg erfahren. Außerdem zeigen ferne Galaxien eine größere Rotationsgeschw indigkeit im Vergleich zu nahe
gelegenen Galaxien; dies passt zu einem Szenario, bei dem frühe Galaxien eher Scheiben ähneln und noch
nicht die heutige elliptische Struktur aufw eisen.
Literaturhinweise
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