Kapitel 3 Dynamik Wenn die Beschleunigung eines Teilchens bekannt ist, haben wir gelernt, wie wir seine momentane Geschwindigkeit und seine Lage als Funktion der Zeit (mit Differentialrechnung oder mit numerischer Rechnung) bestimmen können. Bislang haben wir gefragt, wie wird sich ein Teilchen bewegen. Aber in vielen realistischen Fällen kennen wir die Beschleunigung des Teilchens nicht. Wir kennen die Kräfte, die auf das Teilchen wirken, oder die Energie des Teilchens, und wir wollen diese Information benutzen, um die Bewegung vorherzusagen. Wir wollen wissen, weshalb ein Teilchen sich bewegt. In diesem Kapitel werden wir von Kräften sprechen. 81 Diese Methoden bilden das Gebiet der Dynamik. Eine zentrale Rolle in der Dynamik spielt die Masse. Physik 82 Dynamik Wir werden dazu physikalische Grössen einführen, die für die gesamte Physik von fundamentaler Bedeutung sind: der (lineare) Impuls (oder die Bewegungsgrösse) und die Kraft. Auf den Begriffen Masse, Impuls und Kraft basiert die gesamte klassische Mechanik. 3.1 Die Masse 3.1.1 Die Definition der Masse In unserer Alltagssprache benutzen wir austauchbar die Wörter “Masse” und “Gewicht”. Im Rahmen der Physik werden diese Wörter mit verschiedener Bedeutung benutzt. Wir sagen: a) Das Gewicht ist eine Kraft1, die ein Körper z.B. auf den Boden ausübt. Das Gewicht ist eine Grösse, die mit einer Waage gemessen wird. b) Die Masse ist eine Eigenschaft eines Körpers. Die Masse ist ein Mass dafür, wieviel “Stoff” im Körper enthalten ist. Das Gewicht eines Körpers kann in verschiedenen Situationen verschieden sein. Das Gewicht eines Astronauts sei z.B. auf der Erdoberfläche “90 kg”. Wenn er in seiner Umlaufbahn um die Erde ist, ist sein Gewicht gleich null. Im Gegensatz dazu ist die Masse des Astronauts auf der Erde und in der Umlaufbahn immer dieselbe. Der Astonaut ist nicht masselos geworden, sondern nur gewichtslos. 1. Wir werden eine genaue Definition der Kraft im Kap. 3.5.1 einführen. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Die Masse Demonstrationsexperiment: Wagen auf einer Luftkissenbahn. Rückstossversuch. Um die Masse genau zu definieren, werden wir einen Rückstossversuch verwenden. Wir betrachten zwei Wagen, A und B, die sich reibungsfrei über eine Luftkissenbahn bewegen können. Siehe Abb. 1 und 2. Figur 1. Am Anfang werden die beiden Wagen mit einem Faden zusammengebunden. Eine Feder ist zwischen den beiden Wagen eingeklemmt. In diesem Versuch wird der Faden zerschnitten und die Geschwindigkeiten der Wagen vA und vB gemessen. 83 Wenn der Faden zerschnitten ist, entfernen sich beide Wagen mit engegengesetzen Geschwindigkeiten voneinander. Wir bemerken, Physik 84 Dynamik A Faden A Feder (a) B B reibungsfreie Luftkissenbahn (b) VB Ein Rückstossversuch. a) Anfangszustand b) Faden zerschnitten. VA dass die Geschwindigkeiten der Wagen nicht immer denselben Betrag besitzen. Figur 2. Aus Experimenten mit verschiedenen Wagen schliessen wir, dass das Verhältnis der Geschwindigkeiten der beiden Wagen gegeben ist durch m A vB = mB v A wobei mA und mB die “Massen” der Wagen sind. Zwei wichtige Bemerkungen: 1. Das Rückstossexperiment hat nichts mit den Gewichten der Wagen zu tun. Man könnte ebenso das Experiment im Weltraum (wo die Wagen gewichtslos wären) durchführen. Das Ergebnis wäre dasselbe ! Auf der Erde haben wir eine Luftkissenbahn verwendet, so dass die Wagen sich frei (z.B. mit vernachlässigbarer Reibung) bewegen. Die nach unten gerichtete Erdbeschleunigung wird von der Luftkissenbahn kompensiert (die Wagen fallen nicht nach unten). Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Die Masse 2. Obwohl die Wagen auf die Luftkissenbahn drücken, ist der Effekt dank dem Luftfluss vernachlässigbar. Das Ergebnis ist auch unabhängig von der Feder. Wäre die Feder stärker, würden beide Wagen sich schneller voneinander entfernen. Das Verhältnis der Geschwindigkeiten würde sich aber nicht ändern. D.h., dass die Masse eines Wagens nur von den Eigenschaften der Wagen abhängt. Bis jetzt haben wir nur von einem Verhältnis gesprochen. Wie sollen wir die Masse definieren? Wir wählen eine der Massen, z.B. mB, so, dass sie eine genormte Masse besitzt. Von einer solchen genormten Masse haben wir schon im Kap. 1.2 gesprochen, als die Definition der Einheit der Masse (das Kilogramm) betrachtet wurde. Wir haben dort gesagt: Das Kilogramm ist die Masse eines Prototyps des Kilogramms. Es ist ein Platin-Iridium-Zylinder, der im Bureau International des Poids et Mesures in Sèvres bei Paris aufbewahrt wird. vB mB vA Dann werden alle Massen relativ zur gewählten Masse mB gemessen, als mA = v BIPM − Prototyp mA = (1 Kilogramm) × vA 85 Alle anderen Massen werden dann durch einen Rückstossversuch als Physik 86 Dynamik definiert, wobei vBIPM-Prototyp die gemessene Geschwindigkeit des Prototyps ist. 3.1.2 Träge und schwere Masse Die vorher gegebene Definition der Masse entspricht einer genauen, aber komplizierten Art von Messung der Masse! Stab Drehpunkt genormte Masse Eine Messung mit einer Waage ist eine einfachere Methode, um die Masse zu messen. Siehe Abb. 3. Gegenstand Waage. Wenn die zwei Massen gleich sind, wird der Stab stillstehen. Der Stab ist im Gleichgewicht. Figur 3. Die Waage vergleicht die Gewichte der Massen, d.h. die nach unten gerichteten Gravitationskräfte, die die zwei Massen auf den Teller ausüben. Wenn die Gravitationskräfte einander gleich sind, bleibt der Stab im Gleichgewicht. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Die Masse Dynamik ⇒ Wir schreiben die Gleichung als m A vB = m B vA (nachdem der Faden zerschnitten ist) Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) mA v A + mB v B = 0 Diese Gleichung wird geschrieben als wobei wir die Geschwindigkeitsvektoren statt der Beträge der Geschwindigkeiten benutzt haben. m A vA = − m B vB Jetzt bemerken wir, dass vA und vB die Beträge der Geschwindigkeitsvektoren der Wagen sind. Da die Wagen sich in entgegengesetzen Richtungen voneinander entfernen, gilt m A vA = m B vB Jetzt wollen wir eine Grösse definieren, die sich nicht ändern wird, wenn der Faden zwischen den Wagen zerschnitten wird. In der Definition der Masse haben wir gesehen, dass in Rückstossversuchen das Verhältnis der Geschwindigkeiten der Wagen eine konstante Zahl war, unabhängig von der Feder. 3.2.1 Die Definition des Impulses Ein “Erhaltungs”-Gesetz im Gebiet der Physik drückt aus, dass eine Grösse sich nicht ändert. Sie wird erhalten, d.h. sie wird vor und nach verschiedenen Vorgängen dieselbe sein. 3.2 Der Impuls Nun werden wir das Gesetz der Impulserhaltung einführen. 88 Mit einer solchen Waage können wir die Gravitationskräfte von Massen mit der Gravitationskraft, die die genormte Masse auf den Teller ausübt, vergleichen. Wenn wir die Messungen mit einer Waage mit denjenigen des Rückstossversuches vergleichen, bemerken wir, dass gleiche Massen die gleichen Gravitationskräfte ausüben. Wir nehmen zwei Wagen, die sich mit derselben Geschwindigkeit im Rückstossversuch bewegen. D.h., dass sie die gleiche Masse besitzen. Wenn wir diese Wagen auf den Teller der Waage stellen, wird der Stab im Gleichgewicht stehen. Dieses experimentelle Ergebnis ist keine offensichtliche Sache! Der Physiker Etvös hat 1922 mit sehr genauen Versuchen bewiesen, dass Körper mit gleicher Masse gleiche Gravitationskräfte ausüben. Er hat dieses Ergebnis mit einer Genauigkeit von 1 Teil in 109 geprüft. Wir sagen gewöhnlich a) die träge Masse ist die Grösse, die wir mit einem Rückstossexperiment messen, und b) die schwere Masse ist die Grösse, die wir mit einer Waage messen. Dank R.H. Dicke, der das Etvösche Experiment noch verbessert hat, wissen wir heutzutage, dass beide Definitionen mit einer Genauigkeit von 1 Teil in 1011 gleich sind. 87 Im Bereich der Mechanik wird nicht gesagt, warum diese zwei Massen gleich sind. Nur in der Allgemeinen Relativitätstheorie von Einstein kann man mit Hilfe des Äquivalenzprinzips verstehen, warum beide gleich sein müssen. Physik Der Impuls Mit einem solchen Ausdruck haben wir die folgende Grösse den Wagen A und B zugeordnet: mAvA ist nur eine Eigenschaft des Wagens A, und mBvB nur eine Eigenschaft des Wagens B. Eine neue Grösse wird deshalb definiert: Der lineare Impuls eines Teilchens ist gleich dem Produkt aus seiner Masse und seiner Geschwindigkeit: p = mv Der Impuls ist eine vektorielle Grösse, weil er das Produkt einer skalaren Grösse (die Masse) und einer vektoriellen Grösse (die Geschwindigkeit) ist. Wir bemerken, dass gilt: m A vA + m B vB = p A + p B = 0 Dynamik Ptot = pA + pB = mA vA + mB vB Die Summe der linearen Impulse der Wagen nennen wir den Gesamtimpuls Die Gleichung Ptot (vorher ) = Ptot (nachher ) drückt die Erhaltung des Gesamtimpulses aus. 3.3 Die Impulserhaltung 3.3.1 Das allgemeine Gesetz Auf den vorherigen Seiten haben wir einen Rückstossversuch betrachtet. Wir haben gefunden, dass in einem solchen Versuch eine vektorielle Grösse — der Gesamtimpuls — erhalten ist. v =0 Die Gleichung drückt aus, dass die Summe der Impulse nach dem Rückstoss gleich null ist. v =0 B Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Ein “isoliertes” System ist ein System, das keine Wechselwirkungen mit anderen Körpern spürt. Das System kann sehr weit von anderen Körpern entfernt sein, oder die Wechselwirkungen mit anderen Körpern kompensieren einander, so dass der Effekt verschwindet. Es kann so formuliert werden: Das Gesetz der Impulserhaltung ist aber ganz allgemein gültig. Bisher haben wir nur das Ergebnis des Rückstossversuches auf eine andere Art neu dargelegt. 90 Bevor der Faden zerschnitten wurde, waren beide Wagen in Ruhe. Vor dem Rückstoss, gilt daher A (bevor der Faden zerschnitten ist) 89 Die Summe der linearen Impulse bevor der Faden zerschnitten wurde, ist dann mA v A + mB v B = 0 Wir schliessen daraus, dass die Summe der linearen Impulse der Wagen sich wegen des Rückstosses nicht geändert hat. Physik Das erste Newtonsche Gesetz: Trägheit In einem solchen isolierten System ist der Gesamtimpuls erhalten. Das Gesetz der Erhaltung des Impulses ist eines der grundlegenden und allgemein gültigen Gesetze der Physik. Wir kennen keine Ausnahmen von diesem Prinzip. Wir zeigen nun, dass die drei berühmten Newtonschen Gesetzen aus dem Impulserhaltungsgesetz folgen. 3.4 Das erste Newtonsche Gesetz: Trägheit Eine erste Folgerung aus dem Impulserhaltungsgesetz ist das Trägheitsprinzip. Wir sehen, dass für ein isoliertes System gelten muss: ptot = Konst ⇒ dptot =0 dt Wenn ein System nur einen Körper enthält, ist der Gesamtimpuls gleich dem Impuls des Körpers, und wir erhalten dp d ( mv ) dv =0= =m dt dt dt dv = 0 ⇒ v = Konst . dt ⇒ a (t ) ≡ 0 91 wobei wir angenommen haben, dass sich die Masse des Körpers mit der Zeit nicht ändert. Es folgt, Wir sagen, Physik 92 Dynamik Trägheitsprinzip: Ein Körper bleibt in Ruhe oder bewegt sich mit konstanter Geschwindigkeit, wenn er isoliert (oder frei) ist. 3.5 Das zweite Newtonsche Gesetz: Aktionsprinzip 3.5.1 Die Definition der Kraft Wir betrachten eine gleichförmige Kreisbewegung, die wir im Kap. 2.7 studiert haben. Wir haben gesehen, dass ] eine nach dem Zentrum des Kreises gerichtete Beschleunigung auf das Teilchen wirken muss, damit das Teilchen sich auf einer Kreisbahn bewegt. Wir können den Impuls des Balles berechnen. Es gilt: dr = rω (− sin ωt)ex + rω (cosωt)ey dt r ( t) = r(cosωt)ex + r(sin ωt)ey v ( t) = und damit ist der Impuls gleich: [ p( t) = mv ( t) = mrω (− sin ωt)ex + (cosωt)ey wobei m die Masse des Körpers ist. Der Impulsvektor zeigt in die Richtung des Geschwindigkeitsvektors und ist deshalb tangential. Er ändert sich mit der Zeit, so dass der Ball sich auf dem Kreis bewegt. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Das zweite Newtonsche Gesetz: Aktionsprinzip ] Wir können die zeitliche Ableitung des Impulses betrachten: [ ] dp = mrω ω (− cosωt)ex + ω (− sin ωt)ey dt [ = − mω 2 r(cosωt)ex + r(sin ωt)ey = − mω 2 r en d Fa a Ball Der resultierende Vektor zeigt zum Zentrum des Kreises. Dies ist die Richtung des Fadens. Siehe Abb. 4. r Figur 4. Die Beschleunigung des Balles ist zum Zentrum des Kreises gerichtet. Was ist für die zeitliche Änderung des Impulses verantwortlich? dp dt 93 Wir sagen, dass der Faden eine Kraft auf den Körper ausübt. Diese Kraft ist für die zeitliche Änderung des Impulses verantwortlich. Zusammenfassend: F≡ Die resultierende Kraft, die auf einen Körper wirkt, wird als die zeitliche Änderung des Impulses des Körpers definiert: Physik 94 Dynamik Wir sagen, dass wenn sich der Impuls eines Körper mit der Zeit ändert, wirkt auf den Körper eine nicht verschwindende Kraft. Weil der Impuls eine vektorielle Grösse ist, der eine Richtung und einen Betrag besitzt, ist die Kraft auch ein Vektor. Im folgenden Kapitel werden wir verschiedene Arten von Kräften definieren. Wenn wir die Wirkung mehrerer Kräfte auf einen Körper betrachten, wird die resultierende Kraft als die Vektorsumme der einzelnen Kräfte geschrieben: i F = ∑ Fi Es folgt daraus, dass sich der Impuls eines Körpers nur dann mit der Zeit ändern wird, wenn sich die Wirkungen aller Kräfte nicht gegenseitig kompensieren. 3.5.2 Beziehung zwischen Kraft und Beschleunigung Welche Rolle spielt dann die Masse? dv ( t) dp( t) d = ( mv ( t)) = m = ma( t) dt dt dt Wir können die Definition des Impulses als Funktion der Masse und der Geschwindigkeit des Körpers verwenden, um eine Beziehung zwischen der resultierenden Kraft und der Beschleunigung herzuleiten, die nur gilt, wenn die Masse des Körpers konstant ist: F≡ Es folgt damit, Aktionsprinzip: Die Beschleunigung eines Körpers, dessen Masse sich mit der Zeit nicht ändert, ist umgekehrt proportio- Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Das dritte Newtonsche Gesetz: Aktion = Reaktion 1 F ( t) m nal zu seiner Masse und direkt proportional zur resultierenden Kraft, die auf ihn wirkt: a ( t) = Weil die Masse eine skalare Grösse ist, zeigen die Beschleunigung und die resultierende Kraft immer in dieselbe Richtung. SI-Einheit: Die Einheit der Kraft ist 1 Newton (N) und entspricht jener Kraft, die benötigt wird, um einen Körper der Masse 1 kg mit 1 m/s2 zu beschleunigen. 3.6 Das dritte Newtonsche Gesetz: Aktion = Reaktion Wir betrachten die Wechselwirkung zwischen zwei Körpern. Jeder Körper übt eine Kraft auf den anderen aus. Jede Einzelkraft ist nur ein Aspekt einer gegenseitigen Wechselwirkung zwischen den zwei Körpern. Übt ein Körper auf einen zweiten eine Kraft aus, so wirkt dieser auch auf den ersten mit einer Kraft. Es gibt keine einzelne isolierte Kraft. Wenn die erste Kraft als Aktionskraft bezeichnet wird, wird die zweite Reaktionskraft genannt (jede der beiden Kräfte kann natürlich als Aktion betrachtet werden, dann ist die andere die Reaktion). 95 Newton hat in seinem dritten Gesetz die Situation zusammengefasst und hat die Richtungen und die Beträge der Kräfte postuliert: Physik 96 Dynamik Aktions-Reaktions-Prinzip: Zu jeder Aktion gehört eine gleich grosse Reaktion, die denselben Betrag besitzt aber in die entgegengesetzte Richtung zeigt. Dieses Gesetz ist eine direkte Folgerung der Impulserhaltung. Wir betrachten ein isoliertes System mit zwei Körpern A und B. Wenn das System isoliert ist, wird der gesamte Impuls erhalten: ptot = pA + pB = Konst. Wir berechnen die zeitliche Ableitung des gesamten Impulses: dp dp dp tot = A + B =0 dt dt dt Aus der Definition der Kraft folgt: FA + FB = 0 Aktion = Reaktion wobei FA die Kraft ist, die auf den Körper A wirkt, und FB ist die Kraft, die auf den Körper B wirkt. Weil das System isoliert ist, ist FA die Kraft, die der Körper B auf A ausübt und FB ist die Kraft, die der Körper A auf B ausübt. Damit: FA = − FB : Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Anwendungen: Impuls und Impulserhaltung 3.7 Anwendungen: Impuls und Impulserhaltung 3.7.1 Ein freier Körper im Weltraum Was ist ein freier Körper? Das ist sicher eine Idealisierung! Wir können trotzdem annehmen, dass für einen Körper im Weltraum, der sehr weit entfernt von anderen Sternen und Planeten ist, die Wechselwirkung mit dem Rest des Universums als vernachlässigbar betrachtet werden kann und der Körper deshalb “frei” ist. Ein Körper ist auch frei, wenn sich die Wechselwirkungen mit anderen Körpern gegenseitig kompensieren, was zu einer verschwindenden Gesamtwechselwirkung führt. p = mv = Konst. In diesem Fall ist der Impuls des Körpers erhalten: Der Körper bewegt sich geradlinig mit konstanter Geschwindigkeit. 3.7.2 Der Rückstoss von Eiskunstläufern Ein Mann mit einer Masse von 70 kg und ein Junge mit einer Masse von 35 kg stehen zusammen auf einer glatten Eisfläche, für die die Reibung vernachlässigbar sei. 97 Wie weit sind die beiden nach 5 Sekunden voneinander entfernt, wenn sie sich voneinander abstossen und der Mann sich mit 0,3m/s relativ zum Eis bewegt? Physik 98 Dynamik Siehe Abb. 5. vB vA Figur 5. Rückstoss der Eiskunstläufer. Das Gesamtimpuls wird erhalten. Da die Masse des Mannes doppelt so gross ist wie die des Jungen, beträgt seine Geschwindigkeit nur die Hälfte derjenigen des Jungen. Der Mann und der Junge werden als ein System betrachtet. Kann ein solches System als isoliert betrachtet werden? Die Gravitationskraft, die beide erfahren, wird durch die Kraft ausgeglichen, die vom Eis ausgeübt wird. Die Reibung mit dem Eis ist als vernachlässigbar angenommen. Das System kann deshalb als isoliert betrachtet werden, und der Gesamtimpuls wird erhalten. ⇒ mA v A + mB v B = 0 Da sich der Mann und der Junge ursprünglich in Ruhe befinden, ist der Gesamtimpuls gleich null. pA + pB = 0 Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) mA 70 kg v = (0, 3m / s) = 0, 6m / s mB A 35 kg Anwendungen: Impuls und Impulserhaltung vB = Der Mann hat die doppelte Masse des Jungen und der Junge bewegt sich mit der doppelten Geschwindigkeit des Mannes. Nach 5 Sekunden hat sich der Mann 1,5 Meter, der Junge 3 Meter weit vom Ausgangspunkt weg bewegt, so dass sie nun 4,5 Meter voneinander entfernt sind. 3.7.3 Raketenantrieb Der Raketenantrieb folgt aus der Impulserhaltung. Eine Rakete erzeugt ihren Schub, indem Treibstoff verbrannt und das dadurch erzeugte Gas nach hinten ausgestossen wird. Die Rakete wird durch den Rückstoss nach vorne getrieben. ausgestossenes Gas Treibstoff + Rakete Wenn man Raketen in den Weltraum schiesst, drückt die Rakete gegen das Gas, das von ihr ausgestossen wird. Das Medium (d.h. Luft in der Nähe der Erdoberfläche) hat in diesem Fall nichts mit dem Antrieb zu tun! Demonstrationsexperiment: Rückstoss mit Wagen und CO2-Flasche 99 Das CO2 Gas wird nach hinten ausgestossen. Durch den Rückstoss wird der Wagen (und der Mensch) nach vorne getrieben. Siehe Abb. 6. Physik 100 Dynamik CO2-Flashe Figur 6. Rückstossexperiment: Durch den Rückstoss wird der Wagen und der Mensch nach vorne getrieben. Nun berechnen wir die sogenannte Raketengleichung. Wir brauchen nur das Impulserhaltungsgesetz. v = Geschwindigkeit der Rakete u = Ausstossgeschwindigkeit des Gases relativ zur Rakete M(t) = Masse der Rakete zur Zeit t. Wir definieren die folgenden Grössen: 1. 2. 3. Wir berechnen die Impulsänderung des gesamten Systems während eines Zeitintervalls ∆t. Aus der Impulserhaltung muss die Impulsänderung gleich null sein (wir nehmen an, dass keine äussere Kraft auf die Rakete wirkt). Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Anwendungen: Impuls und Impulserhaltung p = M ( t )v Zur Zeit t bewegt sich die Rakete mit der Anfangsgeschwindigkeit v. Der Gesamtimpuls ist gleich Nach dem Zeitintervall ∆t hat die Rakete eine Masse M–dm (wobei dm positiv ist und der Masse des ausgestossenen Gases entspricht) und bewegt sich mit einer Geschwindigkeit v+dv. Wenn das Gas mit einer Geschwindigkeit u relativ zur Rakete ausgestossen wird, bewegt es sich mit einer Geschwindigkeit v–u. p( t′ ) = ( M − dm)(v + dv ) + dm(v − u) Der Gesamtimpuls ist deshalb gleich d.h., p( t′ ) = Mv + Mdv − vdm − dmdv + vdm − udm ≈ Mv + Mdv − udm 101 wobei wir den Term dmdv weggelassen haben, weil er ein Produkt aus zwei sehr kleinen Grössen ist und daher im Vergleich zu den anderen Grössen vernachlässigbar ist. p( t′ ) − p( t) = Mv + Mdv − vdm − dmdv + vdm − udm − Mv ≈ Mdv − udm ≡0 Die Impulsänderung während des Zeitintervalls ∆t ist Physik 102 Dynamik ⇒ M dm dv =u dt dt wobei wir die Impulserhaltung benutzt haben. Es gilt daher Mdv = udm dm dt Aus M(dv/dt)=F folgt, dass auf die Rakete eine Schubkraft F wirkt, mit dem Betrag F=u und daher die Rakete beschleunigt wird. dm dv =u ⇒ dt dt dv u dm = dt M dt Wir integrieren nun die Raketengleichung und erhalten M t t u dm dv 1 dM dt = − u ∫ dt dt = ∫ t 0 M ( t) dt t 0 M ( t) dt dt oder (mit dm=–dM) t t0 ∫ dM = − u{ln( M 0 − m) − ln( M 0 )} M ( t) wobei wir angenommen haben, dass die Ausstossgeschwindigkeit des Gases relativ zur Rakete konstant ist, und dass die Masse des Gases aus der Abnahme der Masse der Rakete kommt. Damit, M (t ) M ( t0 ) v ( t) − v 0 = − u ∫ wobei M0 die Anfangsmasse der Rakete, und m die Gesamtmasse des ausgestossenen Gases ist. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Anwendungen: Kontaktkräfte Deshalb ist die Geschwindigkeit der Rakete als Funktion der ausgestossenen Masse gleich (v0=0) ⇒ ⇒ v>u M0 ln >1 M0 − m M0 v = u(ln( M0 ) − ln( M0 − m)) = u ln M0 − m Für den Fall M0/(M0–m)>e gilt M0 >e M −m 0 Dann bewegt sich für einen Beobachter das ausgestossene Gas in der gleichen Richtung wie die Rakete. 3.8 Anwendungen: Kontaktkräfte In der Natur beobachten wir verschiedene Arten von Kräften. Wir werden uns nun mit den Kräften, die auf makroskopische Gegenstände wirken, beschäftigen. Diese Kräfte, sogenannte Kontaktkräfte, werden z.B. von Federn, Fäden oder Oberflächen ausgeübt, wenn diese in direktem Kontakt mit den Gegenständen sind. 103 Das Konzept der Kraft und die Newtonschen Gesetze spielen ihre wichtigste Rolle in Anwendungen. Wenn wir sie nicht anzuwenden wissen, dann sind sie nicht nützlich. Wir diskutieren im Folgenden einige Anordnungen. Physik 104 Dynamik 3.8.1 Körper, die sich aufeinander befinden Wir betrachten ein System mit zwei Blöcken: der erste Block sitzt auf dem zweiten, der sich auf dem Boden befindet. Block A Block B Man muss komplizierte Systeme in kleine Teile unterteilen, so dass jeder Teil als ein Massenpunkt (Siehe Kap. 2.1.1) betrachtet werden kann. Jeder Körper wird durch einen Punkt dargestellt. Man zeichnet die Kräfte für jeden Massenpunkt. Nur die Kräfte, die auf den Massenpunkt wirken, werden dargestellt. Jede Kraft muss eine Richtung und einen Betrag besitzen. Im Allgemeinen können wir einige “Regeln” formulieren, um die Anwendung von Kräften zu vereinfachen: 1. 2. 3. 4. Verschiedene Körper können z.B. durch Feder- oder Fadensysteme miteinander verbunden werden oder können aneinander stossen oder ziehen. Alle Wechselwirkungen zwischen Körpern werden durch Kräfte dargestellt. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Anwendungen: Kontaktkräfte MB MA In unserem Beispiel sind wir an den zwei Blöcken A und B interessiert. Die Massen werden als MA und MB bezeichnet. Der Boden wird nicht betrachtet, und deshalb werden wir die Kräfte, die auf den Boden wirken, nicht zeichnen. FAB NB MA FB=MBg MB FA=MAg NA Das entsprechende Kräftediagramm wird das folgende sein: y Block B: 105 Block A: a) FA ist die Gravitationskraft (d.h. das Gewicht) des Blocks A der Masse MA. Diese Kraft beschreibt die Wechselwirkung zwischen der Erde und dem Block A. b) NA ist die Normalkraft, die der Block B auf den Block A ausübt. Wir finden 5 Kräfte: 1. 2. Physik 106 Dynamik a) FB ist die Gravitationskraft (d.h. das Gewicht) des Blocks B der Masse MB. Diese Kraft beschreibt die Wechselwirkung zwischen der Erde und dem Block B. b) NB ist die Normalkraft, die der Boden auf den Block B ausübt. c) FAB ist die Kraft, die der Block A auf den Block B ausübt. Diese Kräfte sind vektorielle Grössen, die eine Richtung und einen Betrag besitzen. Block B: Block A: FB + N B + FAB = 0 FA + N A = 0 Wir diskutieren die Gleichgewichtssituation, d.h. wenn die Körper in Ruhe bleiben. In diesem Fall müssen die wirkenden Kräfte einander kompensieren. Wir finden eine Bedingung für jeden Körper: oder FA + N A = M A g + N A = 0 FB + N B + FAB = M B g + N B + FAB = 0 Wir verwenden nun das Aktions-Reaktions-Prinzip. Wir bemerken, dass weil (1) FAB die Kraft ist, die der Block A auf den Block B ausübt und weil (2) NA die Kraft ist, die der Block B auf den Block A ausübt, müssen sie einander kompensieren. Die Kraft NA kann als die Reaktion der Kraft FAB betrachtet werden oder umgekehrt. Die Kräfte entsprechen der gegenseitigen Wechselwirkung zwischen den zwei Blöcken. Damit: FAB = − N A Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Anwendungen: Kontaktkräfte und es folgt Schliesslich N A = − M A g M B g + N B − N A = 0 ⇒ N B = −( M A + M B )g ( MA + MB )g + N B = 0 MB g + N B + MA g = 0 ⇒ Wie erwartet, sagt diese Gleichung voraus, dass die Kraft NB, die der Boden auf den Block B ausübt, das gesamte Gewicht der Blöcke kompensieren muss. N A = − MA g 107 In ähnlicher Weise muss die Kraft NA, die der Block B auf den Block A ausübt, das Gewicht des Blocks A kompensieren: Physik 108 Dynamik 3.8.2 Ein hängendes Gewicht Knoten 45° Ein Gewicht hängt an drei Fäden von einer Zimmerdecke, wie in der Abb. gezeigt ist: Decke 30° M Es wird beobachtet, dass das Gewicht der Masse M in Ruhe bleibt. Was sind die Beträge der Kräfte in den Fäden ? FA 30° FC 45° FB Der Knoten verbindet die drei Fäden: er wird als “Körper” betrachtet und die Kräfte, die auf ihn wirken, sind die folgenden: y x Wenn das Gewicht in Ruhe bleibt, so gilt FA + FB + FC = FA + FB + Mg = 0 Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Anwendungen: Kontaktkräfte Wir wählen das Koordinatensystem, wie gezeigt, und erhalten zwei Gleichungen: FA ,x + FB ,x = 0 FA ,y + FB ,y − Mg = 0 und FB = 3 2 F + F =0 − 2 A 2 B 1 F + 2 F − Mg = 0 2 B 2 A 2 Mg (1 + 3) 3 F 2 A − FA cos 30° + FB cos 45° = 0 FA sin 30° + FB sin 45° − Mg = 0 Mit Hilfe der Winkel: oder Damit FA = 109 Wie erwartet, ist wegen des grösseren Winkels die Kraft FB grösser als FA. Physik 110 Dynamik 3.8.3 Die schiefe Ebene: statischer Fall θ F Wir betrachten einen Block mit der Masse M, der auf einer reibungsfreien schiefen Ebene mit dem Neigungswinkel θ ruht, weil er durch einen Faden mit einer vertikalen Wand verbunden ist. M N θ Das Kräftediagramm sieht so aus: y x Mg Die vektorielle Gleichung, die dem Gleichgewicht entspricht, ist: F + N + Mg = 0 die Normalkraft zeigt in die y-Richtung; die Kraft entlang des Fadens zeigt in die x-Richtung; In diesem Fall können wir das Koordinatensystem so wählen, dass die y-Achse senkrecht zur schiefen Ebene zeigt, und die x-Achse parallel zur Ebene ist. In diesem Fall gilt: 1. 2. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) die Gravitationskraft muss zerlegt werden. Anwendungen: Kontaktkräfte 3. (Man könnte natürlich auch die y-Achse entlang der vertikalen Richtung wählen, und dann die beiden anderen Kräfte zerlegen.) F = Mg sin θ und N = Mg cosθ F − Mg sin θ = 0 N − Mg cosθ = 0 Mit Hilfe der Zerlegung in die Komponenten sieht die Gleichung des Gleichgewichts so aus: d.h. Wie erwartet, entsprechen den beiden extremen Fällen die Werte: θ = 0°: F = 0 und N = Mg θ = 90°: F = Mg und N = 0 3.8.4 Eine Rückstellkraft: Die Federkraft Die Federkraft entspricht der Kraft, die eine Feder ausübt. Um diese von einer Feder ausgeübte Kraft einfach zu studieren, können wir Massen an einer Feder aufhängen. Demonstrationsexperiment: An einer Feder aufgehängte Massen 111 Mit Hilfe von verschiedenen aufgehängten Massen überprüfen wir, dass die Verlängerung im ausgezogenen Zustand der Feder zur aufgehängten Masse proportional ist. Wenn die aufgehängten Massen in Ruhe sind, ist die Vektorsumme der Kräfte, die auf die Massen wirken, gleich null. Physik 112 Dynamik die nach unten gerichtete Gravitationskraft und die nach oben gerichtete Federkraft. Wir müssen zwei Kräfte betrachten: 1. 2. Wenn sich die Massen in Ruhe befinden, müssen die Gravitationskraft und die Federkraft einander kompensieren. Die vektorielle Gleichung ist: F + Mg = 0 An einer Feder aufgehängte Masse. wobei M die gesamte aufgehängte Masse ist. Figur 7. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Anwendungen: Kontaktkräfte Es folgt damit, dass der Betrag der Gravitationskraft, den wir durch die Menge von aufgehängten Massen kontrollieren können, die Federkraft bestimmt. An einer Feder aufgehängte Massen. Mg M=gesamte aufgehängte Masse F Kräftediagramm: Die Federkraft ist das Ergebnis der Verlängerung der Feder. Die Feder will ihren ursprünglichen Zustand wieder herstellen. Figur 8. 113 Jetzt bemerken wir, dass sich die Feder verlängert, wenn wir mehr Masse anhängen. Hookesches Gesetz: Experimentell beobachtet man, dass bei kleiner Längenänderung die Längenänderung der Feder zur wirkenden Kraft proportional ist. Physik 114 Dynamik Diese Beobachtung gilt für beide, positive und negative Längenänderungen (d.h. bei ausgezogenem und zusammengedrücktem Zustand der Feder). Das Hooksche Gesetz kann geschrieben werden als F = − k ( x − x0 ) = − k∆x wobei k die Federkonstante, x0 die Länge der Feder, wenn keine Kraft auf sie wirkt, und ∆x die Verschiebung aus der Ruhelage ist. Die SI-Einheit der Federkonstante ist N/m. Rückstellkraft: Die Federkraft versucht, die Feder in ihren ursprünglichen Zustand zurückzuführen. x x x x<x0 und F>0 0 x>x und F<0 Für ∆x positiv (d.h. im ausgezogenen Zustand) zeigt die Federkraft in die negative Richtung. Für ∆x negativ (d.h. bei zusammengedrückter Feder) zeigt die Federkraft in die positive Richtung. Die Gleichung enthält deshalb ein negatives Vorzeichen: 1. 2. Siehe Abb. 9. x0 x x0 Figur 9. Federkraft-Diagramm.Weil die Federkraft versucht, die Feder in ihren ursprünglichen Zustand zurückzuführen, spricht man von Rückstellkraft. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Anwendungen: Kontaktkräfte 3.8.5 Die Spannung: Fadenkräfte Man beobachtet experimentell: Wenn wir an einem Faden ziehen, dann spannt sich der Faden und zieht mit einer gleich grossen, aber entgegengesetzten Kraft zurück. Wir können uns einen Faden als eine Feder vorstellen, die eine solch grosse Federkonstante besitzt, dass ihre Verlängerung während der Kraftwirkung vernachlässigbar ist. Wir werden oft idealisierte masselose Fäden betrachten. D.h., die Masse der Fäden ist viel kleiner als die Massen der Gegenstände, die an die Fäden gebunden werden. Der Effekt der Massen der Fäden kann in diesem Fall vernachlässigt werden. Ein Faden ist eine sehr bequeme Vorrichtung, um eine Kraft zu übertragen. F1 F1 (1) (1) S1 S1 = S2 = S S2 (2) (2) F2 F2 Fadenkraft. Zwei Menschen ziehen am Faden. 115 Wir betrachten die Situation der Abb 10. Zwei Menschen ziehen an einem Faden. Figur 10. Physik 116 Dynamik Wir analysieren die Anordnung der Kräfte. 1. Der Mensch (2) zieht nach rechts mit einer Kraft F 2 . Der Mensch (1) zieht nach links mit einer Kraft F 1 ; Die Kräfte müssen entlang des Fadens wirken, weil der Faden nicht seitlich ziehen kann. 2. Die Kräfte sind entgegengesetzt, deshalb ist der Faden gespannt. Die Beschleunigung des Fadens ist (Gravitationskraft wird vernachlässigt) mFaden aFaden = ( F1 + F2 ) ⇒ F1 = − F2 Wenn wir den Faden als wirklich masselos betrachten, gilt ( F1 + F2 ) = 0 (Wenn die auf den Faden wirkende resultierende Kraft nicht gleich null ist, wäre die Beschleunigung des Fadens wegen der verschwindenden Masse unendlich!) Jetzt führen wir die Spannung des Fadens ein. Wir können uns vorstellen, dass die Spannung sich im Faden befindet. Sie ist für eine Übertragung der Kräfte durch den Faden verantwortlich. Sie wirkt entlang des Fadens, so dass ein Faden, der zwei Punkte verbindet, überall dieselbe Spannung besitzt. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Anwendung: Berechnung der Bewegungen und F2 + S2 = 0 Im Punkt, wo der Mensch (1) den Faden zieht, wird die Kraft F 1 kompensiert. Dieselbe Situation findet im Punkt (2) statt. D.h., F1 + S1 = 0 Da die Beträge von F 1 und F 2 gleich sind, gilt S1 = S2 d.h., die Spannung entlang des ganzen Fadens besitzt überall denselben Betrag. 3.9 Anwendung: Berechnung der Bewegungen Die Newtonschen Gesetze sorgen für eine Verbindung zwischen (1) den dynamischen Grössen Masse und Kraft einerseits, und (2) den kinematischen Grössen Beschleunigung, Geschwindigkeit und Verschiebung andererseits. 117 Wir können die Bewegungsgleichung eines Körpers, dessen Masse sich mit der Zeit nicht ändert, direkt mit diesem Gesetz finden. Es gilt dv d 2r ∑ Fi = ma = m dt = m dt 2 i D.h., wenn alle Kräfte (oder die resultierende Kraft) bekannt sind, die auf ein Teilchen wirken, können wir die Beschleunigung des Teilchens berechnen. Physik 118 Dynamik Oder umgekehrt, wenn wir die Beschleunigung eines Teilchens, oder die zeitliche Ableitung seiner Geschwindigkeit, oder die zweite zeitliche Ableitung seiner Ortsvektorfunktion kennen, können wir die resultierende Kraft, die auf das Teilchen wirkt, bestimmen. i dv d ( mv ) dp = dt dt Diese Gleichung kann auch mit Hilfe des Impulses ausgedrückt werden: i ∑ F = ma = m dt = wobei p der Impuls des Teilchens ist. Wenn keine Kraft auf das Teilchen wirkt, ist sein Impuls erhalten, d.h., er ändert sich nicht mit der Zeit. 3.9.1 Die reibungsfreie schiefe Ebene: dynamischer Fall Wir haben in Kap. 3.8.3 eine Anordnung betrachtet, bei der ein Block mit der Masse M auf einer schiefen Ebene mit dem Neigungswinkel θ ruhte, weil er durch einen Faden mit einer vertikalen Wand verbunden war. Wird nun der Faden zerschnitten, so verschwindet die Kraft F. Die resultierende Kraft ist nun nicht mehr gleich null, und der Block wird sich beschleunigt bewegen. Wie gross ist seine Beschleunigung bei vernachlässigbarer Reibung ? Die vektorielle Gleichung ist: N + Mg = Fresultierende = Ma wobei der Vektor a die Beschleunigung der Masse M ist. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) N θ Anwendung: Berechnung der Bewegungen y x Mg Die Gleichungen mit den Komponenten sehen so aus: 0 − Mg sin θ = Max N − Mg cosθ = May 1 a = (− Mg sin θ ) x M a = 1 ( N − Mg cosθ ) = 0 y M 119 Die Normalkraft wirkt so, dass die Beschleunigung in die y-Richtung verschwindet. Der Block erfährt nur eine Beschleunigung in die xRichtung: Schliesslich, ax = − g sin θ θ = 0°: ax = 0 θ = 90°: ax = − g Wie erwartet, entsprechen den beiden extremen Fällen die Werte: Physik 120 Dynamik 3.9.2 Bewegung mit Rollen Auf einer horizontalen Fläche befinde sich ein Wagen mit der Masse M. Durch einen über eine Rolle geführten Faden ist er mit einer aufgehängten Masse verbunden. Die aufgehängte Masse m kann sich in die vertikale Richtung bewegen. Wir betrachten den Faden als masselos und die Rolle als reibungsfrei. Die Funktion der Rolle ist die Spannung im Faden umzulenken. Demonstrationsexperiment: Messung der Beschleunigung mit Wagen Messung der Beschleunigung mit Wagen. Siehe Abb. 11. Figur 11. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Anwendung: Berechnung der Bewegungen S1 mg S2 Das Kräftediagramm kann so dargestellt werden: positive Richtung Wagen M Reibungsfreie Rolle: S1 = S2 ≡ S m g M ⇒ S = Ma mg − S = ma a≅ Wenn M>>m, gilt 1. 2. Physik ⇒ a∝m a∝ m a= g M+m und Rolle m 121 wegen der schweren Masse m das System beschleunigt wird; wegen der trägen Masse M das System “gebremst” wird. Die träge Masse M des Wagens wirkt seiner Beschleunigung entgegen. Die Beschleunigung ist zum Verhältnis der Massen proportional. Wir können sagen, dass 1 M Die Bewegungsgleichung kann so ausgedrückt werden Wir bemerken, dass die Spannung die einzige nicht verschwindende Kraft ist, die auf den Wagen wirkt, weil die Gewichtskraft des Wagens von der nach oben gerichteten (Normal-) Kraft, die der Tisch ausübt, kompensiert wird. positive Richtung 122 Dynamik 3.9.3 Die Atwoodsche Maschine Wir betrachten die Anordnung in Abb. 12. Zwei Massen m1 und m2 hängen an einem Faden. Wir nehmen an, dass der Faden masselos ist und reibungsfrei über die Rolle gleiten kann. Eine solche Anordnung wird eine Atwoodsche Maschine genannt. Wenn der Faden immer gespannt ist, müssen die Beträge der Beschleunigungen der Massen gleich sein und entgegengesetztes Vorzeichen besitzen. Man kann dieses Ergebnis so beweisen: weil wir annehmen, dass der Faden nicht dehnbar ist, bleibt seine Länge unverändert. Es gilt (Siehe Abb. 12) l = h1 + h2 ⇒ a1 = − a2 dl d d = h1 + h2 = v1 + v2 dt dt dt d d v1 + v2 = a1 + a2 dt dt 0= wobei l die Länge des Fadens ist. Mit der zeitlichen Ableitung dieser Gleichung, finden wir und 0= Weil der Faden masselos ist, ist die Spannung entlang des Fadens immer dieselbe. Wir betrachten deshalb nur einen Spannungsvektor, der nach oben zeigt. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Anwendung: Berechnung der Bewegungen Masse A: S + m2 g = m2 a2 S + m1g = m1a1 Wir betrachten nun die Kräfte, die auf die Masse A und die Masse B wirken: Masse B: wobei S die Spannung des Fadens ist. Wir verwenden nun die Komponenten: wir brauchen nur die vertikale Richtung. Die positive Richtung wird nach oben gewählt. h1 S m 2g m2 S S − m1g = m1a1 S − m2 g = m2 a2 m1 m 1g h2 Damit schreiben wir das System der Bewegungsgleichungen: Physik 123 Figur 12. Eine Atwoodsche Maschine mit einem masselosen Faden und einer reibungsfreien Rolle. positive Richtung 124 Dynamik Mit der Bedingung für die Beschleunigung lautet die Bewegungsgleichung für a1=–a2 so: S − m1g = m1a1 S − m2 g = − m2 a1 und S= 2 m1m2 g m1 + m2 1 ((m1 − m2 )a1 + (m2 + m1 )g) 2 m2 − m1 g m2 + m1 m1a1 + m2 a1 = − m1g + m2 g m1a1 − m2 a1 = 2 S − m1g − m2 g Die Lösung ist (wir berechnen die Differenz und die Summe der Gleichungen): d.h. a1 = S= m2 − m1 g m2 + m1 Mit Algebra findet man schliesslich a1 = − a2 = m2 − m1 g≤g m2 + m1 Die Beträge der Beschleunigungen sind einander gleich. Sie sind gleich a1 = a2 = Die Beschleunigung der Masse ist kleiner oder gleich der Erdbeschleunigung g. Die Spannung wirkt immer entgegen der Gravitationskraft und bremst die Massen. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Eine fundamentale Kraft: Das Newtonsche Gravitationsgesetz ⇒ ⇒ a1 = g und a2 = − g a1 = − g und a2 = g Wir verstehen dieses Ergebnis auch in den Grenzfällen: m =0 2 m1 = 0 In diesen letzten Fällen ist die Spannung gleich null, und die Massen fallen frei mit einer Beschleunigung gleich g. 3.10 Eine fundamentale Kraft: Das Newtonsche Gravitationsgesetz Die Beziehung zwischen Erdbeschleunigung und Gravitationskraft hat die Existenz einer allgemeinen, zwischen allen Körpern wirkenden, Kraft bewiesen. Kepler (1571-1630) analysierte die astronomischen Beobachtungen von Brahe (1546-1601). Dabei fand er empirisch drei Gesetze über die Bewegung der Planeten. Das erste Keplersche Gesetz sagt, dass alle Planeten sich auf elliptischen Bahnen bewegen, in deren einem Brennpunkt die Sonne ist. Newton behauptete 1665 (als er 23 Jahre alt war), dass dieselbe Kraft für den Fall von Körpern (z.B. ein Apfel) auf der Erde und für die Bewegung der Planeten verantwortlich ist. Er behauptete, dass diese Kraft zwischen allen Objekten im Universum wirkt. 125 Nach dem allgemeinen Newtonschen Gravitationsgesetz ist diese Kraft immer anziehend, proportional zu den Massen der beiden Körper und umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstandes zwischen ihnen. Sie liegt in der Verbindungslinie zwischen ihnen. Physik 126 Dynamik r12 x F12 r2 m2 Erstmals hat Newton 1686 mit einer mathematischen Berechnung bewiesen, dass eine solche Gravitationskraft die elliptischen Bahnen der Planeten um die Sonne erklären kann. m1 r1 ex Die Definition des Vektors r12. y ey Figur 13. Gm1m2 r12 r12 2 r12 In der mathematische Sprache wird die Gravitationskraft geschrieben als (siehe Abb. 13): F12 = − wobei m1 und m2 zwei Punktmassen sind, und r 12 ⁄ r 12 ein Einheitsvektor, der von m1 nach m2 zeigt, und G ist die universelle Gravitationskonstante, die den Wert G = 6,67 × 10–11 Nm2/kg2 Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Dynamik (6,67 × 10 r2 Gm1m 2 Eine fundamentale Kraft: Das Newtonsche Gravitationsgesetz F = = ≈ 4 × 10 −7 N (1 m) 2 Nm2 / kg 2 )(80 kg)(80 kg) Abstand von 1 Meter befinden und je eine Masse von 80kg haben, ungefähr 21 F = F 12 Sie bindet z.B. Sterne in Galaxien (siehe Abb. 15), Galaxien in sogenannten “Superclusters”, und sie ist auch verantwortlich für die Bewegung der Planeten um die Sonne, der Satelliten um die Planeten und für den Fall der Körper auf der Erde. Die Gravitationskraftwirkung ist messbar, wenn wir grosse Massen betrachten. Dabei haben wir die Studenten als Punktmassen betrachtet. Ein solcher Betrag ist praktisch unmessbar. –11 hat. 21 F = −F 12 Aus der Definition der Gravitationskraft kann man sehen, dass beide Körper dieselbe Anziehungskraft, aber mit entgegengesetztem Vorzeichen (siehe Abb. 14) spüren: m1 F21 F12 m2 Wir spüren die Erdbeschleunigung deshalb, weil die Masse der Erde sehr gross ist: mE ≈ 6.0 × 10 24 kg Figur 14. Die Gravitationskraft ist immer anziehend, und beide Körper spüren dieselbe Anziehungskraft, aber mit entgegengesetztem Vorzeichen. Die Gravitationskraft wird von der Gegenwart anderer Massen nicht gestört: Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Nun verstehen wir den Betrag der Erdbeschleunigung und warum er unabhängig von der Masse eines Körpers ist. 128 Im Fall, dass es viele Massen in der Nähe eines Körpers gibt, ist die Gesamtgravitationskraft auf den Körper gleich der Vektorsumme aller Gravitationskräfte, die die anderen Körper auf ihn ausüben. 3.10.1 Die Erdbeschleunigung 127 Wir sagen, dass die Gravitationskraft eine schwache Kraft ist. Zum Beispiel ist die Kraft zwischen zwei Studenten, die sich in einem Physik Eine fundamentale Kraft: Das Newtonsche Gravitationsgesetz Figur 15. Eine Galaxie. Die Sterne werden durch die Gravitationskraft zusammengehalten. Die Erde übt auf den Körper eine Kraft aus, die dieselbe ist, wie wenn ihre ganze Masse im Zentrum der Erde konzentriert wäre (siehe Abb. 16). GmE m rE2 129 Wir berechnen die Gravitationskraft, die die Erde auf eine auf der Erdöberfläche liegende Masse m ausübt, als FG = wobei mE die Masse der Erde ist und rE der Radius der Erde. Physik 130 Dynamik Figur 16. Fg Erde Die Gravitationskraft der Erde. ⇒ GmE m = mg rE2 Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) = ⇒ g= Fg mE GmE rE2 d.h., g ist unabhängig von m. Alle Körper, unabhängig von ihren Massen, werden gleich beschleunigt. FG = mg Um die Erdbeschleunigung zu bestimmen, benutzen wir das zweite Newtonsche Gesetz: rErde Drehimpuls 3.11 Drehimpuls 3.11.1 Der Drehimpuls eines Teilchens Bei der Behandlung der Bewegung eines Teilchens haben wir den Impuls eines Teilchens definiert (Siehe Kap. 3.2). Diese Grösse war sehr hilfreich, wegen der Erhaltung des Gesamtimpulses (Siehe Kap. 3.3). Der Erhaltungssatz kann im Fall einer Drehbewegung (oder Rotation) umformuliert werden. Man spricht von der Erhaltung des gesamten Drehimpulses. Wir führen den Drehimpuls ein: Der Drehimpuls bezüglich einem bestimmten Punkt O wird durch das Vektorprodukt des Ortsvektors r und des (linearen) Impulses p, d.h. L ≡ r × p ≡ m( r × v ) kg.m kg.m 2 = s s definiert, wobei m die Masse des Teilchens ist. Der Ortsvektor r wird bezüglich O definiert. Siehe Abb. 17. Beachte, dass der Drehimpuls vom gewählten Ursprung O abhängt. SI-Einheit: im MKS-System: [ L] = m. 131 Die Richtung des Drehimpulses kann mit Hilfe der Rechte-HandRegel des Vektorprodukts gefunden werden. Siehe Kap. 1.5.3 und Abb. 18. Physik 132 Dynamik p p r L O (Ursprung) r θ Ebene der Bewegung r p Die Rechte-Hand-Regel für das Vektorprodukt. p p Bahn r Figur 17. Definition des Drehimpulses. Der Drehimpulsvektor ist senkrecht zur Ebene, die durch den Ortsvektor und den Impulsvektor definiert ist. r Figur 18. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) p p=(px,0) ) r ( x y O ) r x ( ) ) p ⇒ Lz = xpy > 0 L = rx py ez L = rx py − ry px ez p Wir unterscheiden zwei Fälle: 1. p=(0,py) r ⊥ 2. y y O ( L = − ry px ez ⇒ Lz = − ypx < 0 Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) r⊥ x Wir können die folgenden Spezialfälle diskutieren: wir nehmen an, dass die xy-Ebene durch den Impuls und den Ortsvektor definiert wird (d.h. pz=0 und rz=0). In diesem Fall zeigt der Drehimpuls in die z-Richtung: L = r × p = ry pz − rz py ex + ( rz px − rx pz )ey + rx py − ry px ez ( Dynamik p ⊥ r x ) Drehimpuls y O ( Der Drehimpuls kann auch als Funktion der kartesischen Komponenten ausgedrückt werden: p x 134 Wir bemerken: 1) Der Drehimpuls ist senkrecht zur Ebene, die durch den Ortsvektor und den Impuls definiert ist. Er ist senkrecht zur Bewegungsrichtung der Masse. 2) Der Betrag des Drehimpulses ist gleich L = r p sin θ wobei θ der von r und p eingeschlossene Winkel ist. L = ( r sin θ ) p = r⊥ p L = r( p sin θ ) = rp⊥ Der Betrag kann auch in den folgenden Formen ausgedrückt werden r ⊥ r wobei rsinθ die Komponente von r senkrecht zur Wirkungslinie des Impulses p ist, und psinθ ist die Impulskomponente senkrecht zu r. y O 133 Wenn der vom Ortsvektor und dem Impuls eingeschlossene Winkel θ gleich 0° oder 180° ist, ergibt sich keine zu r senkrechte Impulskomponente, und auch keine zur Wirkungslinie des Impulses senkrechte Komponente von r. Der Drehimpuls verschwindet in diesem Fall. Physik Drehimpuls 3.11.2 Das Drehmoment Wir führen eine neue Grösse, das Drehmoment, ein: Das Drehmoment bezüglich einem bestimmten Punkt O wird durch das Vektorprodukt des Ortsvektors r und der Kraft F, d.h. M≡r×F kgm 2 s2 definiert. Beachte, dass das Drehmoment, wie der Drehimpuls, vom gewählten Ursprung O abhängt. SI-Einheit: im MKS-System [ M ] = [r][F ] = Nm = F O F O M tot = RF R O M tot = 0 Ftot = F F M tot = 2 RF Ftot = 2 F R Ftot = 0 R 135 F Wir bemerken, dass Kraft und Drehmoment unterschiedliche Grössen sind: die resultierende Kraft, die auf ein System wirkt, kann z.B. verschwinden, ohne dass das Drehmoment verschwindet. Oder umgekehrt. A) B) C) −F Physik 136 Dynamik 3.11.3 Erhaltung des Drehimpulses Das Drehmoment ist eine wichtige Grösse, wegen seiner engen Beziehung mit dem Drehimpuls. Wir betrachten die zeitliche Ableitung des Drehimpulses =0 weil v // v dp dp dr dL = ( r × p) = × p + r × = (v × mv ) + r × dt dt dt dt Es folgt: Die zeitliche Änderung des Drehimpulses ist gleich dem Vektorprodukt des Ortsvektors und der zeitlichen Änderung des (linearen) Impulses p: dp dL =r× dt dt Aus dem zweiten Newtonschen Gesetz kennen wir die Beziehung zwischen der Kraft und dem Impuls, nämlich dv dp d ( mv ) = = m = ma = F dt dt m = Konst . dt wobei wir angenommen haben, dass die Masse des Teilchens konstant ist. Damit gilt: dp dL =r× =r×F dt dt Aus der Definition des Drehmoments folgt der Drehimpulssatz (für m=Konst.): Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Zentrale Kräfte Die zeitliche Änderung des Drehimpulses eines Teilchens ist gleich dem angreifenden Drehmoment, d.h. dp dL =r× =r×F= M dt dt Diese Gleichung kann als das Analogon des zweiten Newtonschen Gesetztes betrachtet werden: dp linearer Impuls: =F dt dL d = ( r × p) = r × F ≡ M dt dt Drehimpuls: Wir bemerken nun, dass die Beziehung für die Drehbewegung keinen grundsätzlich neuen Satz der Physik darstellt, sie ist nur eine Umformulierung der Newtonschen Gesetze für die Drehbewegung. Beachte, dass beide, Drehmoment und Drehimpuls, bezüglich desselben Punktes definiert werden müssen, um diese Gleichung zu verwenden (Die Gleichung gilt aber natürlich unabhängig vom gewählten Ursprung). 3.12 Zentrale Kräfte r r Die Gravitationskraft ist z.B. eine zentrale Kraft, weil sie die folgende Form besitzt F (r ) = f ( r ) 137 d.h., sie wirkt immer längs der Verbingunslinie zwischen den zwei Körpern. Physik 138 Dynamik Wenn wir z.B. die Bewegung eines Planeten um die Sonne betrachten, ist das auf den Planet ausgeübte Drehmoment bezüglich der Sonne gleich (wir stellen die Sonne in den Ursprung des Koordinatensystems) r f (r ) M = r × F = r × f (r ) = (r × r ) = 0 r r Bezüglich O übt die Gravitationskraft kein Drehmoment auf den Planet aus. Es folgt, dass der Drehimpuls des Planeten bezüglich der Sonne konstant ist dL = M = 0 ⇒ L = Konst. dt 3.12.1 Anwendung: das Flächengesetz Eines der grundlegendsten Probleme, das die Menschheit seit langem beschäftigt hat, ist die Bewegung der Himmelskörper, d.h. die Planetenbewegung. Kopernikus (1473-1543) schlug vor, die Bewegung aller Planeten (einschliesslich der Erde), relativ zur Sonne als Mittelpunkt zu beschreiben. Was Kopernikus vorschlug, war ein Koordinatensystem, dessen Ursprung mit der Sonne zusammenfällt und in welchem die Planetenbewegungen sich einfacher beschreiben liessen2. 2. Wegen der Relativitätstheorie (Siehe Kap. 9) können wir nicht sagen, ob sich die Planeten um die Sonne bewegen, oder umgekehrt, ob die Sonne sich um die Planeten bewegt. Die einfachste Beschreibung findet man, wenn die Sonne im Ursprung des Koordinatensystems ist. Der Grund dafür ist, dass die Sonne, der grösste Körper in unserem Planetensystem, praktisch mit dem Schwerpunkt des Systems zusammenfällt. Wir können, deshalb annehmen, dass die Sonne sich nicht bewegt, und die anderen Planeten sich um sie drehen. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Zentrale Kräfte Der Vorschlag von Kopernikus half Kepler (1571-1630) die Gesetze der Planetenbewegung zu entdecken. Kepler verwendete die astronomischen Messungen von de Brahe (1546-1601). Die Gesetze, die als Keplersche Gesetze bezeichnet werden, sind kinematische Beschreibungen der Planetenbewegung. Sie sagen voraus: 1. 2. 3. Die Planeten beschreiben elliptische Bahnen, mit der Sonne im Brennpunkt. Das Flächengesetz: Der Ortsvektor jedes Planeten relativ zur Sonne überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen der Ellipse. Die Quadrate der Umlaufszeiten sind der dritten Potenz des mittleren Abstands der Planeten von der Sonne proportional. Newton verwendete diese Ergebnisse, als er die Existenz der allgemeinen Gravitationskraft postulierte. Das Flächengesetz sagte voraus, dass die Gravitationskraft eine Zentralkraft sein muss. Wir zeigen nun diese Beziehung. t + dt:( r + dr,φ + dφ ) Wir betrachten die Position eines Planets bezüglich der Sonne, die sich im Ursprung des Koordinatensystems befindet. Wir verwenden die Kugelkoordinaten und diskutieren die Lage des Planets zu den Zeiten t und t+dt: t: ( r,φ ) dA ≈ 1 1 (r + dr)(rdφ ) = (r 2 dφ + rdφdr) 2 2 139 Die vom Ortsvektor überstrichene Fläche während des Zeitintervalls dt ist ungefähr die Fläche des Dreiecks mit Höhe rdφ und Grundlinie r+dr: Physik 140 Dynamik O r+dr dφ r ≈rdφ wenn dt → 0 Die pro Zeiteinheit überstrichene Fläche kann damit so geschrieben werden: dA 1 2 dφ 1 dφdr 1 2 dφ = r + r = r 2 dt dt 2 dt 2 dt Der zweite Term in der Summe entspricht der Fläche des kleinen Dreiecks mit Seiten rdφ und dr und sein Beitrag ist vernachlässigbar, wenn das Zeitintervall nach null geht. und v ( t) = dφ dr e + r eφ dt dt r In Kugelkoordinaten sind der Ortsvektor und die Geschwindigkeit gleich (Siehe Kap. 2.5): r ( t) = rer Der Drehimpuls ist damit gleich: dφ dr L = r × mv = rer × m er + r eφ dt dt dφ dr = mrer × er + r eφ dt dt Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Zentrale Kräfte dφ dr = mr er × er + mr 2 er × eφ dt dt dφ = mr 2 er × eφ dt Wir vergleichen dieses Ergebnis mit dA/dt und erhalten: L dA 1 2 dφ = r = dt 2 dt 2 m dA = Konst. dt Experimentell beobachtete Brahe, dass die Flächenrate dA/dt eine Konstante der Planetenbewegung ist: Es folgt daraus: 1) Der Drehimpuls eines Planets wird während seiner Umlaufbewegung erhalten. 2) Die Gravitationskraft bewirkt kein Drehmoment auf den Planet. 141 3) Die Gravitationskraft ist eine zentrale Kraft. Sie wirkt entlang der Verbindungslinie zwischen der Sonne und dem Planet. Physik 142 Dynamik 3.13 Harmonische Schwingungen Schwingungen sind Vorgänge, bei denen sich eine physikalische Grösse in Abhängigkeit von der Zeit periodisch ändert. Eine Schwingung kann als eindimensionale Bewegung betrachtet werden. Bei einer Schwingung bewegt sich z.B. ein Teilchen in einer periodischen Bewegung immer nur auf demselben Weg hin und her. 3.13.1 Eine sinusförmige Bewegung Eine Masse wird an einem Faden aufgehängt. Wenn wir die Masse aus seiner Gleichgewichtslage auslenken und sie loslassen, schwingt sie um die Gleichgewichtslage. Wie soll eine solche Bewegung beschrieben werden? Schwingwagen: der Wagen ist mit zwei Federn verbunden. Demonstrationsexperiment: Schwingwagen Ein Wagen ist mit zwei Federn verbunden. Siehe Abb. 19. Der Wagen wird ausgelenkt und losgelassen. Die Auslenkung wird als Funktion der Zeit geplottet. Sie sieht sinusförmig aus. Figur 19. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Harmonische Schwingungen Demonstrationsexperiment: Pendel bewegt sich sinusförmig Pendel Die Kreisbewegung einer Kugel wird auf die Wand projiziert. Wir vergleichen die Bewegung des Pendels mit der Projektion der Kugel auf die Wand. Siehe Abb. 20. Kreisbewegung Figur 20. Pendel bewegt sich sinusförmig: Die Bewegung der aufgehängten Masse (Pendel) und die Projektion der Kugel auf die Wand werden verglichen. Experimentell beobachten wir: 143 für kleine Auslenkungen ist die Pendelbewegung gleich der Projektion einer Kreisbewegung. Physik 144 Dynamik Wir können die Kreisbewegung als eine zweidimensionale Bewegung betrachten. Wir wählen dafür ein Koordinatensystem. Siehe Abb. 21. Die Kreisbewegung der Kugel wird durch den Winkel θ parametrisiert und die Koordinaten der Kugel sind gleich: x ( t) = R cosθ ( t) = R cosωt y ( t) = R sin θ ( t) = R sin ωt θ ( t ) = ωt wobei R der Radius des Kreises ist. Weil die Kugel mit konstanter Geschwindigkeit auf dem Kreis umläuft, ist die Winkelgeschwindigkeit konstant als Funktion der Zeit, so dass der Winkel linear mit der Zeit zunimmt (Siehe Kap. 2.7): Um die Bewegung des Pendels zu beschreiben, müssen wir die Projektion der Kreisbewegung betrachten. Wir werden z.B. die Projektion der umlaufenden Kugel auf die y-Achse betrachten: y ( t) = R sin θ ( t) = R sin ωt Figur 21. Die Pendelbewegung ist gleich der Projektion einer Kreisbewegung. Ein Punkt bewegt sich mit konstanter Geschwindigkeit auf dem Kreis. Der Radius ist gleich 1. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Harmonische Schwingungen Dynamik Obwohl wir die harmonische Bewegung durch eine Sinusfunktion definiert haben, kann sie ebenso gut durch eine Kosinusfunktion ausgedrückt werden, wobei der einzige Unterscheid ein Phasenunterschied von π/2 ist: Wir schliessen daraus: Die Masse des Pendels bewegt sich sinusförmig um ihre Gleichgewichtslage. d.h. sin(α + β ) = sin α cos β + cosα sin β x ( t) = A sin(ωt + φ ) = A sin ωt cosφ + A cosωt sin φ = ( A cosφ ) sin ωt + ( A sin φ ) cosωt = B sin ωt + C cosωt Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Normalerweise werden wir nur den Ausdruck mit der Sinusfunktion und die ursprüngliche Phase verwenden. wobei B=Asinφ and C=Acosφ neue Konstanten (d.h. Amplituden) sind, die die ursprüngliche Phase enthalten. folgt Wir bemerken schliesslich, dass harmonische Bewegungen auch als Summe von Kosinus- und Sinusfunktionen ausgedrückt werden können. Aus der Gleichung π cos(θ ) = sinθ + 2 π x ( t) = A cos(ωt + φ ) = A sin(ωt + φ + ) = A sin(ωt + φ ′ ) 2 146 Eine solche Bewegung ist durch den folgenden allgemeinen Ausdruck gegeben: x ( t) = A sin(ωt + φ ) wobei A die Amplitude, ω die Kreisfrequenz, und φ die Phasenkonstante ist. Solche Bewegungen werden harmonische Schwingungen genannt. θ ( t ) = ωt + φ 145 Oft wird der Winkel der Sinusfunktion auch als die Phase der Schwingung bezeichnet. Hier haben wir diese Phase so ausgedrückt: Die Graphische Darstellung der ursprünglichen Phase. Phase φ wobei φ die ursprüngliche Phase zur Zeit t=0 ist. Siehe Abb. 22. Figur 22. Physik Harmonische Schwingungen 3.13.2 Die Periode der Schwingung − A ≤ x ( t) ≤ A Dynamik Die Amplitude entspricht der maximalen Entfernung vom Ursprung. ⇒ − Aω ≤ v ( t) ≤ Aω − Aω 2 ≤ a( t) ≤ Aω 2 dv ( t) d = ( Aω cos(ωt + φ )) = − Aω 2 sin(ωt + φ ) dt dt ⇒ Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Um die Diskussion zu vereinfachen, nehmen wir an, dass die Anfangsbedingungen so sind, dass die Phase φ verschwindet. Die Beziehung zwischen Sinus- und Kosinus-Funktionen sind in Abb. 23 gezeigt. Mit diesen kann die Beziehung zwischen Auslenkung, Geschwindigkeit und Beschleunigung graphisch verstanden werden. x ( t) = A sin(ωt + φ ) v ( t) = Aω cos(ωt + φ ) 2 a( t) = − Aω sin(ωt + φ ) Zusammenfassend haben wir gefunden: a( t) = − Aω 2 sin(ωt + φ ) Wir bemerken, a( t) = In ähnlicher Weise ist die Beschleunigung gleich: v ( t) = ( Aω ) cos(ωt + φ ) dx ( t) = Aω cos(ωt + φ ) dt Die erste zeitliche Ableitung, die die Geschwindigkeit liefert, ist gleich ⇒ v ( t) = Die Periode T der Schwingung ist definiert als die Zeit, die benötigt wird, um eine vollständige Schwingung durchzuführen. ⇒ 2π T= ω θ ( t + T ) = θ ( t) + 2π ⇒ ω ( t + T ) + φ = ωt + φ + 2π ⇒ ωt + ωT = ωt + 2π und wir erhalten: 148 Die Sinusfunktion wiederholt sich wenn der Winkel θ(t) um 2π zunimmt. D.h., bei einem vollständigen Zyklus erhöht sich die Phase der Sinusfunktion um 2π. Zur Zeit t+T unterscheidet sich die Phase um 2π von der Phase zur Zeit t: oder ωT = 2π 1 ω = T 2π Die Frequenz ν ist die Anzahl der Schwingungen pro Sekunde ν= Die SI-Einheit der Frequenz: Hertz (Hz) = 1/Sekunde 3.13.3 Auslenkung, Geschwindigkeit und Beschleunigung x ( t) = A sin(ωt + φ ) 147 Weil die Sinusfunktion nur Werte zwischen –1 und 1 annehmen kann, ist die grösste Auslenkung aus der Gleichgewichtslage gleich der Amplitude A, d.h. die Amplitude ist der Betrag der maximalen Auslenkung: Physik Maximale Geschwindigkeit: ωt = π 3π , ,... 2 2 ωt = 0,π , 2π ,... Das System bewegt sich periodisch zwischen den maximalen Auslenkungen –A und +A. Die Geschwindigkeit verhält sich kosinusförmig, d.h. sie kann als sinusförmig mit einer ursprünglichen Phase gleich π/2 dargestellt werden (Siehe Abb. 23). Die Geschwindigkeit verhält sich periodisch zwischen den maximalen Geschwindigkeiten (–Aω und +Aω). Wegen des Phasenunterschieds ist die Geschwindigkeit maximal, wenn die Auslenkung verschwindet, und umgekehrt ist die Geschwindigkeit minimal, wenn die Auslenkung maximal ist: Maximale Auslenkung: Die Auslenkung verhält sich sinusförmig. Zur Zeit t=0 ist die Auslenkung gleich null und ihr Betrag ist maximal, wenn Harmonische Schwingungen 1. 2. 3. 149 Man kann das so verstehen: beim Nulldurchgang ist die Geschwindigkeit maximal. Die Auslenkung nimmt zu und die Bewegung wird gebremst bis die Geschwindigkeit verschwindet. Dieser Punkt entspricht der maximalen Auslenkung. Die Richtung der Bewegung ändert sich und die Bewegung läuft nachher zurück: die Auslenkung nimmt ab und die Geschwindigkeit nimmt zu, bis der Nulldurchgangspunkt wieder erreicht ist. In diesem Punkt ist die Geschwindigkeit maximal. Und die Bewegung wiederholt sich weiter. Die Beschleunigung verhält sich sinusförmig, wie die Auslenkung, aber mit entgegengesetztem Vorzeichen, d.h. sie kann als sinusförmig mit einer ursprünglichen Phase gleich π dargestellt werden (Siehe Abb. 23). Die Beschleunigung verhält sich periodisch zwischen den maximalen Beschleunigungen (–Aω2 und +Aω2). Sie ist maximal bei maximaler Auslenkung und verschwindet beim Nulldurchgang. Sie ist aber der Auslenkung immer entgegengesetzt. Die Beschleugigung wirkt der Bewegung entgegen. Wenn die Bewegung in eine Richtung läuft, versucht die Beschleunigung die Physik 150 Dynamik Bewegung in die entgegengesetzte Richtung zu bringen: wenn die Auslenkung z.B. nach rechts ist, zeigt die Beschleunigung nach links, und umgekehrt, wenn die Auslenkung nach links ist, zeigt die Beschleunigung nach rechts. Die Geschwindigkeit verschwindet und die Beschleunigung wird maximal. Beim Nulldurchgang (sin(ωt+φ)=0): x = ± A v = 0 2 a = ∓ Aω Bei maximaler Auslenkung (sin(ωt+φ)=±1): In mathematischer Form können wir die zwei Grenzfälle so zusammenfassen: 1. 2. x = 0 v = ± Aω a = 0 Die Geschwindigkeit wird maximal und die Beschleunigung verschwindet. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Harmonische Schwingungen 151 Figur 23. Beziehung zwischen Sinus- und Kosinus-Funktionen. Die angegebene Phase φ entspricht der Phasenkonstante, die eine ωt+φ φ) haben muss, um die entsprechende Funktion zu Sinusfunktion sin(ω liefern. Physik 152 Dynamik 3.13.4 Anfangsbedingung Die Amplitude A und die Phasenkonstante φ sind durch die Anfangsbedingungen festgelegt. Die Kreisfrequenz ω wird durch die Lösung der Bewegungsgleichung bestimmt (Siehe Kap. 3.13.6). Zur Zeit t=0 ist z.B. die Auslenkung x(t=0) gleich x ( t = 0) = A sin(φ ) ≡ x 0 wobei x0 der Anfangswert der Auslenkung ist. Zur Zeit t=0 ist die Geschwindigkeit v ( t = 0) = Aω cos(φ ) = v 0 wobei v0 die Anfangsgeschwindigkeit ist. Mit Hilfe der Anfangsauslenkung und der Anfangsgeschwindigkeit werden die Konstanten A und φ festgelegt. x (0) = A sin(φ ) = x 0 v (0) = Aω cos(φ ) = 0 π 2 ⇒ φ= v (0) = Aω cos(φ ) = 0 ⇒ A = x0 z.B. für v0=0, Damit und π x (0) = A sin(φ ) = A sin = x 0 2 Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Harmonische Schwingungen Schliesslich, π x ( t) = x 0 sin(ωt + ) = x 0 cos(ωt) 2 3.13.5 Die Kraft bei der harmonischen Bewegung 2 = (−ω ) x ( t) dv d 2 x d 2 = = a( t) = ( A sin(ωt + φ )) dt dt 2 dt 2 = − Aω 2 sin(ωt + φ ) = (−ω 2 ) A sin(ωt + φ ) In der harmonischen Bewegung besitzt die Beschleunigung eine einfache Beziehung zur Auslenkung: d.h. bei der harmonischen Bewegung ist die Beschleunigung proportional und entgegengesetzt zur Auslenkung. Wir betrachten nun eine Masse, die eine harmonische Schwingungsbewegung durchführt. Wie muss die Kraft, die auf die Masse wirkt, sein, damit die Masse eine solche Bewegungskurve beschreibt? Die Kraft, die auf die Masse wirken muss, damit die Masse in harmonischer Bewegung schwingt, ist gleich: F ( t) = ma( t) = m(−ω 2 ) x ( t) = (− mω 2 ) x ( t) F ( t) = − kx ( t) wobei k = mω 2 153 Wir bemerken, dass die Kraft sich mit der Zeit ändern muss, und im Allgemeinen kann sie so ausgedrückt werden: Physik 154 Dynamik Bei der harmonischen Bewegung ist die Kraft proportional und entgegengesetzt der Auslenkung. D.h., wenn die Auslenkung nach rechts ist, zeigt die Kraft nach links, und wenn die Auslenkung nach links ist, zeigt die Kraft nach rechts. Die Kraft zeigt daher immer in die Richtung des Ursprungs. Eine solche Kraft haben wir als Rückstellkraft bezeichnet, und wir haben sie z.B. im Fall der Feder angetroffen (Siehe Kap. 3.8.4). 3.13.6 Differentialgleichung der harmonischen Bewegung Mit Hilfe der Lösung einer Differentialgleichung werden wir die Kreisfrequenz der Schwingung als Funktion der physikalischen Grössen der schwingenden Anordnung bestimmen. Wir benutzen Newtons zweites Gesetz für den Fall, dass die Kraft proportional zur Verschiebung x ist, wobei der Ursprung der x-Achse (x=0) die Gleichgewichtslage der Masse ist: F = − kx = ma dv d 2 x = dt dt 2 wobei im Allgemeinen die Rückstellkraftkonstante k dem Proportionalitätsfaktor zwischen Verschiebung und Rückstellkraft entspricht. Sie kann z.B. die Federkonstante sein, wenn wir eine Masse betrachten, die mit einer Feder verbunden ist. Die Beschleunigung ist a= Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Harmonische Schwingungen d.h. − kx = m d2x dt 2 ⇒ d2x k + x=0 dt 2 m Diese Bewegungsgleichung wird eine Differentialgleichung genannt. Sie stellt eine Beziehung zwischen der Funktion x(t) und ihrer zweiten Ableitung dar. Gesucht wird die Funktion x(t), die die Gleichung erfüllt. Diese Funktion x(t) ist bis auf den Faktor –(m/k) gleich ihrer zweiten Ableitung: 2 m d x ( t) x ( t) = − k dt 2 Eine solche Bedingung erfüllen die Sinus- und Kosinusfunktionen. Wir schreiben den Ansatz x ( t) = A sin(ωt + φ ) wobei A die Amplitude, ω die Kreisfrequenz, und φ die Phasenkonstante ist. Dieser Ansatz entspricht der Schwingung, die wir in Kap. 3.13 diskutiert haben. Die physikalische Interpretation der Amplitude, der Kreisfrequenz und der Phasenkonstante wurden dort schon erklärt. 155 Wir haben in Kap. 3.13.4 gesehen, dass die Amplitude und die Phasenkonstante durch die Anfangsbedingungen bestimmt werden. Wir wollen nun die Kreisfrequenz der Schwingung berechnen. dx ( t) = Aω cos(ωt + φ ) dt Durch die Ableitung nach der Zeit erhalten wir Physik 156 Dynamik und d 2 x ( t) = − Aω 2 sin(ωt + φ ) = −ω 2 x ( t) dt 2 k A sin(ωt + φ ) = 0 m d2x k + x=0 dt 2 m Wir setzen die Lösung x(t) in die Differentialgleichung ein und finden − Aω 2 sin(ωt + φ ) + k =0 m ⇒ ω= k m Wir beobachten, dass die Zeitabhängigkeit verschwindet, wenn wir die Sinusfunktionen weglassen, und dass die Amplitude auch weggelassen werden kann. Es bleibt −ω 2 + D.h. die Kreisfrequenz ω ist durch die Rückstellkraftkonstante k und die Masse m festgelegt. Wir bemerken, dass 1. 2. 3. die Kreisfrequenz von der Rückstellkraftkonstante und der inversen Masse abhängt; die Kreisfrequenz unabhängig ist von der Amplitude A der Schwingung; sobald die Masse erst einmal harmonisch schwingt, führt sie diese Schwingung mit gleicher Amplitude, Kreisfrequenz und Phasenkonstante weiter. Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Harmonische Schwingungen T= 2π m = 2π k ω Die entsprechende Periode der Schwingung ist: Physik 157 158 Dynamik Physik, SS2005, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich)