K APITEL VI Quantenmechanische Probleme in drei Raumdimensionen VI.1 Dreidimensionaler Kastenpotential Der Vollständigkeit halber. . . VI.2 Teilchen in einem Zentralpotential In diesem Abschnitt werden die gebundenen Energie-Eigenzustände eines Teilchens mit Masse µ in einem dreidimensionalen Zentralpotential V (|~r|) untersucht, entsprechend dem Hamilton-Operator Ĥ = ~pˆ 2 ˆ mit V (~r) = V (|~r|). + V (~r) 2µ (VI.1) In Abschn. VI.2.1... In Abschn. VI.2.2... VI.2.1 Allgemeine Ergebnisse Dank der Kugelsymmetrie des Problems kommutieren der quadrierte Bahndrehimpulsoperator ˆ2 ~L und dessen z-Komponente L̂z mit dem Hamilton-Operator des Systems (§ VI.2.1 a). Demzufolge lassen sich die Bindungszustände als Produkt einer Kugelflächenfunktion mit einer Funktion der Radialkoordinate r ⌘ |~r| schreiben, wobei die letztere einer Differentialgleichung genügt, die die Eigenenergie des Systems bestimmt (§ VI.2.1 b,VI.2.1 c). VI.2.1 a Kommutierende Observablen :::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Die Vertauschungsrelationen (V.40a) und (V.40b) führen jeweils zu den Kommutatoren ⇥ ⇤ ⇥ ⇤ L̂i , x̂2j = 0̂ und L̂i , p̂2j = 0̂ 8i, j 2 {1, 2, 3}. (VI.2) Daraus folgert man zuerst ⇥ ⇤ ⇥ ⇤ L̂i , ~rˆ 2 = 0̂ und L̂i , ~pˆ 2 = 0̂ 8i 2 {1, 2, 3}, und in einem zweiten Schritt ⇥ ˆ 2 2⇤ ⇥ ˆ 2 2⇤ ~L , ~rˆ = 0̂ und ~L , ~pˆ = 0̂. (VI.3a) (VI.3b) ˆ Aus diesen Gleichungen folgt, dass die Observablen ~L2 und L̂z mit jeder Funktion der Operatoren ~rˆ 2 und ~pˆ 2 kommutieren, insbesondere mit dem Hamilton-Operator (VI.1). Dazu kommutieren diese Bahndrehimpulsoperatoren laut den Ergebnissen des Abschn. V.3.3 miteinander, so dass ˆ Ĥ, ~L2 , L̂z (VI.4) VI.2 Teilchen in einem Zentralpotential 95 ein Satz von kommutierenden Observablen ist, der für das System unter Betrachtung eigentlich vollständig ist. Deshalb werden hiernach Energie-Eigenzustände gesucht, die auch Eigenzustände ˆ der Operatoren ~L2 und L̂z sind. ˆ Bemerkung: Da ~ L2 und L̂z mit dem Hamilton-Operator kommutieren, sind ihre Erwartungswerte Konstanten der Bewegung. VI.2.1 b Von der stationären Schrödinger-Gleichung zur Radialgleichung :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Unter Nutzung des Ausdrucks (V.64) des Laplace-Operators in Kugelkoordinaten lässt sich die stationäre Schrödinger-Gleichung ~2 4 2µ als ⇢ ✓ ◆ ~2 @ 2 2@ + 2µ @r2 r @r r) E (~ + V (r) r) E (~ =E r) E (~ ✓ ◆ ~2 1 @ @ 1 @2 sin ✓ + + V (r) 2µr2 sin ✓ @✓ @✓ sin2 ✓ @'2 E (r, ✓, ') =E E (r, ✓, ') (VI.5) schreiben. Dabei können die partiellen Ableitungen nach der Radialkoordinate noch in der äquivalenten Form ⇤ @ 2f (r) 2 @f (r) 1 @2 ⇥ + = rf (r) (VI.6) @r2 r @r r @r2 umgeschrieben werden. Laut der Diskussion des § VI.2.1 a kann man Eigenfunktionen zu dieser Gleichung suchen, die ˆ gleichzeitig Eigenfunktionen der Ortsdarstellungen der Operatoren ~L2 und L̂z sind, s. § V.3.4 b. Daher wird für E der „Separationsansatz“ E (r, ✓, ') = R(r)Y`,m (✓, ') (VI.7) mit ` 2 N, m 2 { `, ` + 1, . . . , `} und der zugehörigen Kugelflächenfunktion Y`,m gemacht. Dann gilt dank Gl. (V.65a) ✓ ◆ ✓ ◆ 1 @ @ 1 @2 1 @ @ 1 @2 sin ✓ + (r, ✓, ') = R(r) sin ✓ + Y`,m (✓, ') E 2 2 sin ✓ @✓ @✓ sin ✓ @✓ @✓ sin ✓ @' sin2 ✓ @'2 = `(` + 1)R(r)Y`,m (✓, '). Das Einsetzen in die stationäre Schrödinger-Gleichung (VI.5) mit der Umschreibung (VI.6) ergibt ⇤ ~2 `(` + 1) ~2 d2 ⇥ Y`,m (✓, ') 2 rR(r) + R(r)Y`,m (✓, ') + V (r)R(r)Y`,m (✓, ') = ER(r)Y`,m (✓, '). 2µr dr 2µr2 Diese Gleichung muss für alle möglichen (r, ✓, ') gelten, insbesondere für Werte der Winkel, für die Y`,m (✓, ') ungleich Null ist. Nach Division durch Y`,m (✓, ') erhält man eine gewöhnliche Differentialgleichung zweiter Ordnung für R(r): ⇤ ~2 d 2 ⇥ ~2 `(` + 1) rR(r) + V (r) + R(r) = ER(r), (VI.8) 2µr dr2 2µr2 die sog. Radialgleichung. Von den vielen mathematisch gültigen Lösungen zu dieser Differentialgleichung werden im Fall E < 0 nur wenige „physikalisch akzeptabel“ sein. Insbesondere soll die Wellenfunktion E quadratintegrabel (und deren Betragsquadrat auf 1 normiert) sein: Z Z 1 Z 2 3 2 r) d ~r = 1 = R(r)Y`,m (✓, ') d2 ⌦ r2 dr, E (~ R3 0 S2 Quantenmechanische Probleme in drei Raumdimensionen 96 wobei d2 ⌦ = sin ✓ d✓ d' das Raumwinkelelement auf der Einheitskugeloberfläche S2 bezeichnet. Aus der Normierungseigenschaft (B.3) der Kugelflächenfunktion folgt dann für R(r) die Bedingung Z 1 2 r2 R(r) dr = 1. (VI.9) 0 Demzufolge muss R(r) zwei Randbedingungen erfüllen: 8 < lim rR(r) = 0 r!1 (VI.10a) : lim rR(r) < 1 (VI.10b) lim R(r) < 1 (VI.10c) r!0 In der Praxis wird die zweite Bedingung durch die stärkere Anforderung r!0 an die Radialfunktion R(r) ersetzt. Mit einer Funktion R(r) / 1/r ist r2 |R(r)|2 zwar endlich und daher integrabel in r ! 0+ . Wegen 4(1/|~r|) / (3)(~r) bedeutet R(r) / 1/r aber, dass das Potential V (~r) eine Dirac-Distribution im Ursprungspunkt enthält, was einen sehr besonderen Fall darstellt, der mit der Randbedingung (VI.10c) ausgeschlossen wird. Die „erlaubten“ Werte der Energie E werden durch die Radialgleichung (VI.8) bestimmt. Man sieht, dass die magnetische Quantenzahl m dabei keine Rolle spielt. Dementsprechend werden die Energie-Eigenwerte E unabhängig von m sein. Dagegen dürfen die Werte von E von der Bahndrehimpulsquantenzahl ` abhängen: die zugehörigen Energieniveaus werden dann (mindestens(35) ) (2` + 1)-mal entartet sein, d.h. es wird 2` + 1 linear unabhängige Eigenzustände mit der gleichen Energie geben, die alle durch den gleichen Wert von ` und unterschiedliche Werte von m gekennzeichnet sind. VI.2.1 c Vereinfachung der Radialgleichung :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Die Radialgleichung (VI.8) kann unter Einführung einer neuen unbekannten Funktion u(r) ⌘ rR(r) (VI.11) weiter vereinfacht werden: es gilt nämlich dann ~2 d2 u(r) ~2 `(` + 1) u(r) u(r) + V (r) + =E , 2 2 2µr dr 2µr r r d.h. nach Multiplikation mit r ~2 d2 u(r) ~2 `(` + 1) + V (r) + u(r) = Eu(r). 2µ dr2 2µr2 Für die Funktion u(r) vereinfacht sich auch die Normierungsbedingung (VI.9) zu Z 1 2 u(r) dr = 1, (VI.12) (VI.13) 0 während die Randbedingungen (VI.10) zu 8 lim u(r) = 0 < r!1 : lim u(r) = 0 r!0 werden. (35) (VI.14a) (VI.14b) Das in Abschn. VI.2.2 dargelegt Coulomb-Potential stellt ein schlechtes Beispiel dar, da es eine zusätzliche Entartung gibt! VI.2 Teilchen in einem Zentralpotential 97 Bemerkung: Wie beim Zentralkraftproblem in der klassischen Mechanik kann man ein effektives Potential durch ~2 `(` + 1) (VI.15) 2µr2 definieren, d.h. den Effekt des Bahndrehimpulses — klassisch: der Zentrifugalkraft — als teil eines neuen Potentials betrachten, das die Radialbewegung bestimmt. Ve↵ (r) ⌘ V (r) + VI.2.2 Coulomb-Potential In diesem Abschnitt werden die gebundenen Energie-Eigenzustände eines Teilchens im CoulombPotential 2 ~pˆ 2 ˆ mit V (~r) = Ze Ĥ = + V (~r) (VI.16) 2µ |~r| untersucht. VI.2.2 a Physikalische Motivation ::::::::::::::::::::::::::::::::: wasserstoffähnliches Ion: Z Protonen im Atomkern, ein Elektron. µ: reduzierte Masse Bemerkungen: ⇤ spinloses Elektron; spinloser Atomkern; magnetische Effekte werden vernachlässigt. ⇤ punktförmiger Atomkern VI.2.2 b Energiespektrum Mit dem Coulomb-Potential V (r) = :::::::::::::::::::::::::: Ze2/r lautet die Radialgleichung (VI.12) 2 ~2 d2 u(r) ~ `(` + 1) + 2 2µ dr 2µr2 Ze2 u(r) = Eu(r). r (VI.17) Hiernach werden nur Bindungszustände mit E < 0 gesucht. Dementsprechend kann man E in der Form ~ 2 2 E⌘ mit > 0 (VI.18) 2µ schreiben, wobei die Dimension eines Wellenvektors hat. Um die Gleichung und deren Lösung zu vereinfachen, führt man dimensionslose Größen und Variablen ein: 2µZe2 Ze2 ⇢ ⌘ r und " ⌘ = . (VI.19) ~2 E Mit deren Hilfe ist die Differentialgleichung (VI.17) äquivalent zu d2 u(⇢) `(` + 1) " + 1 u(⇢) = 0 (VI.20) d⇢2 ⇢2 ⇢ wobei die unbekannte Funktion wieder mit u bezeichnet wird. Für jeden Wert von " 2 R+ hat diese Differentialgleichung zwei linear unabhängigen Lösungen. Damit eine davon normierbar ist, muss " der Form "n = 2n mit n 2 N⇤ (VI.21) sein, wie hiernach in § VI.2.2 c gezeigt wird. Die zugehörigen Lösungen der dimensionslosen Differentialgleichung (VI.20) lauten un,` (⇢) = Cn,` ⇢`+1 e ⇢ L2`+1 n ` 1 (2⇢) mit Cn,` 2 C, (VI.22) Quantenmechanische Probleme in drei Raumdimensionen 98 (36) Beispielsweise wobei ` 2 {0, 1, . . . , n 1}. Dabei ist L2`+1 n ` 1 ein zugeordnetes Laguerre-Polynom. lauten die zugeordneten Laguerre-Polynome vom Grad kleiner als 2 Lk0 (⇢) = 1 , Lk1 (⇢) = ⇢+k+1 , Lk2 (⇢) = ⇢2 2 (k + 2)⇢ + (k + 2)(k + 1) 2 , 8k. (VI.23) Kommt man nun zurück zu den dimensionsbehafteten Größen, so sind die Eigenenergien der gebundenen Zustände im Coulomb-Potential µZ 2 e4 = 2~2 n2 En = Ze2 1 2aZ n2 mit n 2 N⇤ , (VI.24a) wobei n Hauptquantenzahl heißt, während aZ ⌘ ~2 µZe2 (VI.24b) der Bohrsche Radius ist. Die zugehörigen, auf 1 normierten Wellenfunktionen sind ✓ 2 r) = Rn,` (r)Y`,m (✓, ') = n,`,m (~ naZ ◆3/2 s ✓ ◆ (n ` 1)! 2r ` e 2n(n + `)! naZ r/naZ ✓ ◆ 2r L2`+1 Y`,m (✓, ') n ` 1 na Z (VI.24c) mit ` 2 {0, 1, . . . , n 1} und m 2 { `, ` + 1, . . . , ` 1, `}. Somit werden diese Eigenzustände durch drei Quantenzahlen gekennzeichnet. E 6 ·· · E4 E3 3s E2 2s E1 1s Streuzustände mit E ·· ·· · · 3p n2 0 3d 2p ·· · 4f 6` - 16 9 4 1 Abbildung VI.1 – Energieniveaus (VI.24a) im Coulomb-Potential. Rechts sind die Entar- tungsgrade der jeweiligen Niveaus aufgetragen. Abbildung VI.1 zeigt die ersten Energieniveaus bis n = 4. Dabei wir die traditionelle Bezeichnung n` benutzt, wobei anstatt der Werte von ` die Buchstaben s (für ` = 0), p (für ` = 1), d (für ` = 2), f , g, h. . . stehen. (36) Einige Einschaften dieser Polynome werden im Anhang ?? dargelegt. VI.2 Teilchen in einem Zentralpotential 99 Entartung der Energieniveaus Laut Gl. (VI.24a) hängen die Eigenenergien En nur von der Hauptquantenzahl n ab. Für jede n nimmt die Bahndrehimpulsquantenzahl ` die ganzzahligen Werte von 0 bis n 1 an, und für jede ` gibt es 2` + 1 Zustände mit unterschiedlichen magnetischen Quantenzahlen m. Somit ist das n-te Energieniveau durch n X1 (2` + 1) = 2 `=0 n X1 `+ `=1 n X1 1=2 (n `=0 1)n 2 + n = n2 unterschiedliche (`, m)-Zustände besetzt, d.h. das Niveau ist n2 -mal entartet, wie in Abb. VI.1 gezeigt wird. Wasserstoff-Atom Für Z = 1 und µ = me , d.h. für die Bewegung eines (spinlosen) Elektrons um ein unendlich massives Proton, entsprechend annähernd einem Wasserstoff-Atom, gelten a⌘ ~2 ' 0, 53 · 10 me e 2 und 10 m ⌘ 0, 53 Å (VI.25a) R1 n2 (VI.25b) 1 e2 me e4 = ' 13, 605 eV. 2 a 2~2 (VI.25c) En = mit der Rydberg (af) -Konstante R1 ⌘ Unter Einführung der (dimensionslose) Feinstrukturkonstante ↵⌘ e2 1 ' ~c 137, 04 (VI.26) ↵2 me c2 . 2n2 (VI.27) lauten die Energie-Eigenwerte (VI.25b) noch En = VI.2.2 c Herleitung der normierbaren Lösungen :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: später! (Frobenius-Methode) (af) J. Rydberg, 1854–1919