Masterarbeit im Studienfach Master Physik Ladungs- und Spindynamik des zweidimensionalen Elektronengases mit Spin-Bahn-Kopplung vorgelegt am Lehrstuhl für Theoretische Physik II an der Universität Augsburg Von: Matrikelnummer: Am: Erstgutachter: Zweitgutachter: Michael Gromer 1176716 29. Dezember 2016 Dr. Michael Dzierzawa Prof. Dr. Thilo Kopp Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 2 Modell und Methoden 2.1 2.2 2.3 2.4 3 3.2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dichteverteilung . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Zeitabhängige Dichteverteilung . . 3.1.2 Eindimensionale Dichteverteilung . 3.1.3 Zweidimensionale Dichteverteilung Elektrisches Feld . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Homogene Koordinaten . . . . . . 3.2.2 Anisotrope Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 33 33 34 38 42 43 45 Quasiklassische Spinrelaxation . . . . . . . . . . . 4.1.1 Zeitaufgelöste Betrachtung . . . . . . . . . 4.1.2 Eindimensionales System . . . . . . . . . 4.1.3 Zweidimensionales System . . . . . . . . . Inhomogene initiale Spinpolarisierung . . . . . . . Dresselhaus Spin-Bahn-Kopplung . . . . . . . . . 4.3.1 Persistent Spin Helix . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Spinrelaxationszeit mit Dresselhaus-Effekt Anisotrope Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . Magnetisches Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . Einfluss verschiedener Wände . . . . . . . . . . . 4.6.1 Reflektierende Wände . . . . . . . . . . . 4.6.2 Adiabatische Wände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 53 53 62 66 72 75 76 78 84 89 93 94 96 Physikalische Grundlagen . . . . . . . . 2.1.1 Rashba-Effekt . . . . . . . . . . 2.1.2 Dresselhaus-Effekt . . . . . . . Bewegungsgleichungen . . . . . . . . . Analytische Formulierung . . . . . . . 2.3.1 System ohne Störstellenstreuung 2.3.2 Zeitabhängige Spinpolarisierung 2.3.3 Ortsabhängige Spinpolarisierung Numerische Simulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spindynamik 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 5 . . . . . . . . . 11 12 13 14 15 18 19 20 22 24 Ladungsdynamik 3.1 4 7 Zusammenfassung und Ausblick 105 111 A.1 Herleitung der Bewegungsgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 A.2 Faktor τp im Zeitentwicklungsoperator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 A Anhang Literatur 115 Kapitel 1: Einleitung KAPITEL 1. EINLEITUNG 1. Einleitung Seit über 90 Jahren ist der Menschheit die intrinsische Eigenschaft „Spin“ von Elementarteilchen bekannt. Spätestens 1922 wurde sie erstmals indirekt beobachtet, als Otto Stern und Walther Gerlach in dem nach ihnen benannten Stern-Gerlach-Versuch die Aufspaltung eines Strahls aus Silberatomen in einem inhomogenen Magnetfeld feststellten und in [GS22] beschrieben. Drei Jahre später schlug Wolfgang Pauli in [Pau25] erstmals das Prinzip des Spins vor. Seitdem beschäftigten sich viele Physiker in zahllosen Arbeiten und Publikationen mit den Eigenschaften des Spins. Trotz der unzähligen Arbeitsstunden, die seit der Entdeckung des Spins auf dessen Untersuchung verwendet wurden, kann keineswegs behauptet werden, dass alle mit dem Spin zusammenhängenden Phänomene heute zur Gänze verstanden wären. Obwohl der einfachste Fall eines einzelnen, freien Teilchens mit Spin sehr gut beschrieben werden kann, ergeben sich weitere interessante Phänomene, sobald zum Beispiel mehrere Teilchen oder Teilchen in einem Material oder einem äußeren Feld betrachtet werden. Auch heute beschäftigen sich deshalb noch etliche Arbeiten direkt oder indirekt mit den Eigenschaften spinbehafteter Teilchen und Materialien. Eine Suche nach „Spin“ im „Web of Science“1 liefert allein für den Zeitraum der letzten fünf Jahre zum Zeitpunkt der Anfertigung dieser Arbeit über 132.000 Treffer. Es handelt sich also durchaus um ein sehr aktives Gebiet der aktuellen Forschung. Dass sich die aktuelle Forschung immer noch mit dem Spin beschäftigt, liegt nicht zuletzt an den vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten. Bereits heute ist das Verständnis spinbehafteter Teilchen für viele technische Bereiche von größter Bedeutung. So wird beispielsweise in Computerfestplatten der Riesenmagnetowiderstand zur Informationsspeicherung verwendet. Dieser Effekt ist nur erklärbar, wenn man den Spin in die Überlegungen miteinbezieht. Ein weiteres Gebiet, in dem sich die Technik von der sogenannten Spintronik immense Fortschritte verspricht, sind Quantencomputer. Bisher konnten Quantencomputer nur mit sehr wenigen Qubits mittels Ionenfallen hergestellt werden. Man hofft, indem man Qubits im Spin von Elementarteilchen kodiert, Quantencomputer herzustellen, die auch auf mehrere Tausend Qubits skaliert werden können. Dies wurde zum Beispiel 1998 von Bruce Kane in [Kan98] vorgeschlagen. Ein Ziel der Forschung ist es also Qubits - und damit Information - durch die Quantenzustände des Spins darzustellen. Es ergeben sich nun jedoch einige Probleme bei der praktischen Realisierung. In dieser Arbeit werden wir unter anderem auf das Problem der Spinrelaxation eingehen: realisiert man ein Qubit über eine Spinpolarisierung, dann ist die gespeicherte Information verloren, sobald die Polarisierung relaxiert. Da der Spin keine Erhaltungsgröße darstellt - nur der Betrag ist erhalten - relaxiert ein System aus mehreren Teilchen zwangsweise in endlicher Zeit. Dieses Problem tritt bei klassischen Bits, die üblicherweise durch elektrische Ladung dargestellt werden, nicht auf. Das liegt daran, dass die elektrische Ladung im Gegensatz zum Spin eine Erhaltungsgröße ist. 1 https://www.webofknowledge.com 7 KAPITEL 1. EINLEITUNG Die Spinrelaxation stellt eine der größten Hürden beim Fortschritt von klassischen Computern zu Quantencomputern mit über Spin realisierten Qubits dar. Wir werden uns in dieser Arbeit mit dem zweidimensionalen Elektronengas beschäftigen. Dieses lässt sich experimentell durch Heterostrukturen von Halbleitern mit unterschiedlicher Bandlücke realisieren, zum Beispiel GaAs- oder GaAlAs-Schichten. Eine Vielzahl von Effekten aufgrund der Spin-Bahn-Wechselwirkung wurden für solche Systeme theoretisch vorhergesagt und auch experimentell bestätigt (siehe [Sin+15]). Theoretische Zugänge reichen von einer vollständig quantenmechanischen Beschreibung über den quasiklassischen Formalismus der Greenschen Funktionen, der in etwa einer Boltzmann-Gleichung entspricht und den daraus abgeleiteten Diffusionsgleichungen für Spin und Ladung, bis hin zu einer Beschreibung durch quasiklassische Bewegungsgleichungen. Wir werden uns ausführlich mit letzterem Zugang beschäftigen. Die vorliegende Arbeit ist wie folgt aufgebaut: in Kapitel 2 wird basierend auf Kiselev und Kims „Progressive suppression of spin relaxation in two-dimensional channels of finite width“ [KK00] und aufbauend auf meinem Fachpraktikum und meiner Projektarbeit zum gleichen Thema, das Modell eines quasiklassischen, zweidimensionalen Elektronengases mit Spin-BahnWechselwirkung entwickelt. Dabei dient die Schrödingergleichung mit Rashba- und DresselhausHamiltonoperator als Ausgangspunkt, um die Bewegungsgleichungen des verwendeten Modells herzuleiten. Das erhaltene Modell wird mittels analytischer Betrachtungen analysiert. Zum Vergleich und zur Analyse an Stellen, an denen die analytische Betrachtung versagt, wird eine Monte-Carlo-Simulation des selben Modells entwickelt. Im dritten Kapitel werden wir feststellen, dass das verwendete Modell mit einer simplen Änderung auch Aussagen zur Ladungsdynamik und damit auch zur Teilchendichte treffen kann. Da die Teilchendichte bei den Betrachtungen der Spindynamik benötigt wird, werden wir zuerst auf die Ladungsdynamik eingehen. Diese wird dann auch für den Fall eines äußeren elektrischen Feldes untersucht. Dabei wird zunächst eine isotrope Störstellenstreuung angenommen und dann auch eine anisotrope Verteilung zugelassen. In Kapitel 4 werden wir dann die Aussagen des Modells bezüglich der Spindynamik analysieren. Dabei werden wir nacheinander verschiedene Aspekte des Modells abändern und jeweils die Auswirkungen auf die Aussagen, die das Modell zur Spindynamik liefert, untersuchen. In vielen Fällen wird es möglich sein, durch geschicktes Rechnen analytische Resultate zu erhalten. Mit „Wolfram Mathematica“ wird dabei, wenn nötig, ein Computeralgebrasystem herangezogen, um die analytischen Berechnungen zu vereinfachen. Unter bestimmten Umständen wird es aber auch so nicht möglich sein, exakte Resultate zu erhalten. Zusätzlich werden in jedem Fall numerische Simulationen durchgeführt um Aussagen über das Modell zu treffen. Im Einzelnen werden folgende Aspekte des Modells untersucht: zunächst werden wir die Relaxation eines in das Elektronengas injizierten Spins im räumlichen Mittel betrachten, um im nächsten Schritt inhomogene Verteilungen der Spinpolarisierung unter die Lupe zu nehmen und anschließend, zusätzlich zum Rashba-Effekt, auch den Dresselhaus-Effekt zu berücksichtigt. Danach werden die Streuzentren derart geändert, dass sich anisotrope Streuungen ergeben. Weiterhin wird betrachtet, wie ein äußeres magnetisches Feld auf das System wirkt und zuletzt wird untersucht, welchen Einfluss Wände mit unterschiedlichen Randbedingungen auf die Spinrelaxation haben. Im letzten Kapitel werden wir eine kurze Zusammenfassung der erarbeiteten Ergebnisse liefern und uns überlegen, an welchen Stellen weitere Forschungen ansetzen könnten. 8 Kapitel 2: Modell und Methoden KAPITEL 2. MODELL UND METHODEN 2. Modell und Methoden In diesem Kapitel wird zuerst das verwendete Modell des zweidimensionalen Elektronengases definiert. Dieses Modell dient als Ausgangsposition für alle weiteren Überlegungen. Später werden wir selektiv bestimmte Aspekte des Modells abändern. Als Orientierung dient die Arbeit von Kiselev und Kim [KK00]. Im Gegensatz zu Kiselev und Kim werden wir aber nicht nur den Rashba-Effekt, sondern auch den Dresselhaus-Effekt und äußere elektrische und magnetische Felder miteinbeziehen. Für die weiteren Berechnungen ist es dann nötig, die Bewegungsgleichungen der Freiheitsgrade der Elektronen für das beschriebene Modell herzuleiten. Sobald die Bewegungsgleichungen bekannt sind, wird es uns möglich sein, das Modell analytisch zu betrachten und Aussagen über das Verhalten des im Modell beschriebenen Systems zu treffen. Da an bestimmten Stellen die analytischen Rechnungen an ihre Grenzen stoßen und zur Überprüfung der restlichen analytischen Ergebnisse, wurde eine Monte-Carlo-Simulation entwickelt, die das zweidimensionale Elektronengas ebenfalls beschreibt. Der Begriff des „zweidimensionales Elektronengas“ bedeutet, dass die Elektronen in einer Richtung, hier der z-Richtung, unbeweglich sind und sich nur in den verbleibenden zwei Raumdimensionen bewegen können. Dies lässt sich experimentell durch die Bewegung auf der Grenzfläche verschiedenartiger Materialien realisieren. Ein Beispiel hierfür sind GaAs/GaAlAs Heteroübergänge. Weiter wird angenommen, dass alle Elektronen betragsmäßig die gleiche Geschwindigkeit |~v|, nämlich die Fermigeschwindigkeit vF , besitzen. Es werden also nur Elektronen an der Oberfläche der Fermikugel (bzw. des Fermikreises) simuliert und es wird angenommen, dass alle anderen Elektronen „eingefroren“ sind und nicht zum Verhalten des Systems beitragen. Außerdem werden jegliche Wechselwirkungen der Elektronen untereinander vernachlässigt. Während der Bewegung auf dieser Grenzfläche werden die Elektronen gelegentlich an Störstellen gestreut. Die Wahrscheinlichkeit einer Streuung ist pro Zeiteinheit gleichverteilt, d.h. die Zeit und die zurückgelegte Weglänge zwischen zwei Streuungen eines Elektrons ist exponentialverteilt. Die mittlere Zeit zwischen zwei Stößen wird mit τp und die mittlere zurückgelegte Weglänge mit Lp bezeichnet. Es gilt: Lp = |~v|τp (2.1) Die Streuungen selbst sind instantan, elastisch und isotrop. Diese drei Eigenschaften resultieren aus sehr kleinen (genauer: deltaförmigen) Streuzentren. Es wird also angenommen, dass die Coulombwechselwirkungen der Elektronen mit Störstellen, abgesehen von einem kleinen Raumvolumen um die Atomrümpfe, abgeschirmt ist. Weiter wird angenommen, dass sich der Spin eines Teilchens bei einer Streuung nicht ändert. Somit kann der Streuvorgang relativ einfach durch die zufällige Neuausrichtung des Geschwindigkeitsvektors beschrieben werden. Die Isotropie der Streuvorgänge stellt einen Aspekt dar, den wir später aufgeben werden: wir werden verschiedene anisotrope Streuungen betrachten, d.h., dass zum Beispiel Vorwärtsstreuung oder Rückwärtsstreuung bevorzugt wird. 11 2.1. PHYSIKALISCHE GRUNDLAGEN KAPITEL 2. MODELL UND METHODEN Kiselev und Kim schränken dann das Elektronengas auch in y-Richtung durch das Hinzufügen von zwei Wänden in einem bestimmten Abstand L ein. Daraus resultiert ein zweidimensionaler Streifen unendlicher Länge, dessen Breite genau L entspricht. Trifft ein Elektron auf eine dieser Wände, so wird es daran instantan und elastisch reflektiert - die zur Wand senkrechte Komponente des Geschwindigkeitsvektors ändert also ihr Vorzeichen. Systeme dieser Art wurden bereits im Fachpraktikum ausgiebig analysiert. In dieser Arbeit werden wir einerseits auch eindimensionale Systeme betrachten, vereinfacht gesagt also das System durch zwei unendlich nahe Wände einschränken und andererseits die Annahme instantaner Reflektion aufgeben und adiabatische Wände untersuchen. 2.1. Physikalische Grundlagen Auch die Untersuchung sogenannter Toy-Modelle (Spielzeugmodelle) kann in manchen Fällen durchaus Sinn machen. Obwohl es nicht der Anspruch dieser Arbeit sein soll, physikalische Vorgänge zum Beispiel in Festkörpern exakt zu beschreiben, ist es doch von Vorteil, unser Modell auf einer soliden Grundlage aufzubauen. Die quantenmechanische Grundlage für die gesamte Arbeit bildet der Hamiltonoperator in Verbindung mit der Schrödingergleichung: i~ ∂ Ψ(t) = ĤΨ(t) ∂t (2.2) Dabei werden alle betrachteten physikalischen Effekte schon im Hamiltonoperator zu finden sein, d.h. Rashba-Effekt, Dresselhaus-Effekt, elektrisches und magnetisches Feld. Genau genommen beinhaltet der verwendete Hamiltonoperator auch das Potential der Störstellen und Wände. Im folgenden werden wir diese beiden Effekte jedoch losgelöst von den restlichen Vorgängen betrachten. Der Hamiltonoperator nimmt folgende Form an: Ĥ = p̂2 ~ · ~sˆ + Vimp ~rˆ + Vwall ~rˆ + ĤR + ĤD − qE~ · ~rˆ − γs B 2m (2.3) Dabei beschreibt der Term p̂2 /2m wie üblich die kinetische Energie des Elektrons. ĤR ist der Rashba- und ĤD der Dresselhaus-Hamiltonoperator. Diese beiden werden in den nächsten Abschnitten genauer beschrieben. Der vierte Term −qE~ · ~rˆ beschreibt ein von außen angelegtes ~ · ~sˆ analog ein von außen angelegtes magnetisches elektrisches Feld und der fünfte Term −γs B Feld. Der Vollständigkeit halber sind mit Vimp und Vwall auch die Störstellen- und Wandpotentiale im Hamiltonoperator angedeutet. Da wir, wie am Anfang des Kapitels beschrieben, davon ausgehen, dass die Elektronen sich bis zu einer Streuung oder Reflektion an den Wänden frei bewegen, spielen diese Potentiale zumindest in einer quasiklassischen Betrachtungsweise keine Rolle. Genau genommen fehlt im Hamiltonoperator (2.3) noch ein Term: ein magnetisches Feld müsste auch im kinetischen Term berücksichtigt werden, indem p̂ durch ~ ~rˆ p̂ → ~pˆ − qA (2.4) ~ das Vektorpotential des Magnetfeldes und ist vom Ort abersetzt wird. Dabei bezeichnet A hängig. Diese Ersetzung bewirkt in den Bewegungsgleichungen die Lorentzkraft. Wir werden 12 2.1. PHYSIKALISCHE GRUNDLAGEN KAPITEL 2. MODELL UND METHODEN jedoch in dieser Arbeit die Lorentzkraft vernachlässigen und zeigen nur die Auswirkung eines magnetischen Feldes auf die Spindynamik (vierter Term im Hamiltonoperator). Außerdem spielt die Lorentzkraft für das hier beschriebene Modell für moderat starke Magnetfelder nur eine vernachlässigbare Rolle: die durch die Lorentzkraft bewirkte Krümmung der Teilchenbahn zwischen zwei Störstellen ist sehr gering, wenn das Magnetfeld nicht extrem stark und die mittlere freie Weglänge Lp nicht unrealistisch lang ist. Das bedeutet, dass der Larmor-Radius rg , also der Radius der Kreisbahn auf die ein Elektron durch die Lorentzkraft gezwungen wird, groß gegenüber der mittleren freien Weglänge Lp sein muss: rg = mvF Lp ~ |q| · | B| (2.5) Dies liefert eine Bedingung für das Magnetfeld: ~ | B| m |q|τp (2.6) Nur wenn diese Bedingung erfüllt ist, ist die Vernachlässigung der Lorentzkraft vertretbar. Möchte man stärkere Magnetfelder analysieren, so muss auf ein Modell mit Lorentzkraft zurückgegriffen werden. 2.1.1. Rashba-Effekt Der Rashba-Effekt ist nach Emmanuil Iossifowitsch Rashba benannt, der ihn 1959 in [RS59] erstmals beschrieb. Es existiert außerdem eine sehr vereinfachte Herleitung, die es erlaubt, den Rashba-Hamiltonoperator bis auf einen Vorfaktor zu bestimmen. Dabei betrachtet man Elektronen in einem zweidimensionalen System. In der dritten Dimension, hier der z-Richtung, sind die Elektronen also in ihrer Bewegung stark eingeschränkt. Dies drückt sich in einem Kastenpotential in dieser Richtung aus. Für den Rashba-Effekt ist nun eine Symmetriebrechung in z-Richtung nötig. Dies wird üblicherweise structure inversion asymmetry genannt. Die Symmetriebrechung im Inneren des Kastens kann zum Beispiel durch ein elektrisches Feld in z-Richtung hervorgerufen werden: V(z) = −eEz (2.7) Relativistische Korrekturen bewirken, dass ein Elektron, das sich in diesem elektrischen Feld bewegt, ein magnetisches Feld senkrecht zu seiner Bewegungsrichtung und zum elektrischen Feld spürt [Fit06]: ~ = − E ~v × ~ez B c2 (2.8) Dabei bezeichnet c die Lichtgeschwindigkeit. Dieses Magnetfeld gibt einen Beitrag zum Hamiltonoperator für das Elektron. Mit dem magnetischen Moment des Elektrons ~µs = γs ~s = 13 γs ~ ~ σ 2 (2.9) 2.1. PHYSIKALISCHE GRUNDLAGEN KAPITEL 2. MODELL UND METHODEN ~ der Vektor der Paulimatrizen ist, wobei γs das gyromagnetische Verhältnis des Elektrons und σ ergibt sich der sogenannte Rashba-Hamiltonoperator: ˆ · ~ez ~ = γs ~E ~pˆ × ~ez · σ ~ ~ ~ σ × p (2.10) = α ĤR = −~µs · B 2mc2 |{z} =:α Obwohl dieses einfache Modell die korrekte Form des Rashba-Hamiltonoperators liefert, steht man hier vor einem Problem: um die Elektronen als ein zweidimensionales System aufzufassen, nimmt man das oben erwähnte Kastenpotential an. Damit das Elektron im Inneren des Kastenpotentials verbleibt, darf es im Mittel keine Kraft in z-Richtung spüren, d.h. das Kastenpotential muss die Symmetriebrechung ausgleichen. Dies würde auch den Rashba-Effekt wieder aufheben. Wenn man jedoch realistischere Modelle wie zum Beispiel in [PZ99] verwendet, zeigt sich, dass der Rashba-Effekt wieder auftritt. Die Spin-Aufspaltungskonstante α (englisch: spin splitting constant) kann dabei jedoch einen anderen Wert als den aus Gleichung (2.10) annehmen. Mittlerweile konnte der Rashba-Effekt auch experimentell bestätigt werden, zum Beispiel in [Wil+02]. 2.1.2. Dresselhaus-Effekt Der zweite Effekt der Spin-Bahn-Wechselwirkung, den wir in dieser Arbeit berücksichtigen werden, wird Dresselhaus-Effekt genannt und ist nach Gene Dresselhaus benannt, der ihn 1955 in [Dre55] beschrieb. Er tritt in Materialien auf, die kein Inversionszentrum besitzen. Dies wird als bulk inversion asymmetry bezeichnet. Ein prominentes Beispiel für ein solches Material, dass in Zinkblende-Struktur kristallisiert, ist Galliumarsenid. In derartigen Materialien ergibt sich ein Beitrag zum Hamiltonoperator der Form: ĤBIA = γ σx p̂x p̂2y − p̂2z + σy p̂y p̂2z − p̂2x + σz p̂z p̂2x − p̂2y (2.11) wobei γ eine Materialkonstante darstellt. Wird nun aus derartigen Materialien eine Grenzschicht hergestellt, auf die die Bewegung der Elektronen eingeschränkt ist, lässt sich der Beitrag des Dresselhaus-Effektes zum Hamiltonoperator erklären. Durch die Einschränkung der Bewegung auf diese Grenzschicht verschwindet der Erwartungswert des Impulses in z-Richtung und der Erwartungswert des Impulsquadrates in dieser Richtung kann, wie z.B. in [Lec12, S. 14] beschrieben, genähert werden: h p̂z i = 0 D E π2 p̂2z ≈ 2 LQW (2.12) (2.13) Dabei bezeichnet LQW die Dicke der Grenzschicht. Der genaue Wert von h p̂2z i ist für die weiteren Betrachtungen irrelevant, da wir ihn durch β parametrisieren. Man erhält durch Einsetzen in Gleichung (2.11) den Dresselhaus-Hamiltonoperator: ĤD = β σx p̂x − σy p̂y + γ −σx p̂x p̂2y + σy p̂y p̂2x (2.14) D E Hier und im Folgenden wird β = γ p̂2z als Parameter des linearen Dresselhaus-Effektes verwendet. 14 2.2. BEWEGUNGSGLEICHUNGEN KAPITEL 2. MODELL UND METHODEN 2.2. Bewegungsgleichungen Im letzten Abschnitt haben wir mit den Gleichungen (2.3), (2.10) und (2.14) den Hamiltonoperator des betrachteten Systems vollständig definiert. Als nächstes stellt sich die Aufgabe, die Bewegungsgleichungen des Systems herzuleiten. Diese sind durch die zeitlichen Änderungen, also die Zeitableitungen, der Erwartungswerte der Freiheitsgrade des Elektrons gegeben. Die Freiheitsgrade sind Ort, Impuls und Spin. Das Ehrenfest-Theorem liefert einen Ausdruck für genau die gesuchten Ableitungen und soll daher im Folgenden kurz hergeleitet werden. Dazu wird die zeitliche Änderung eines Erwartungswertes betrachtet: Z d D E d Ψ∗ ÔΨdV = Ô = dt dt ! ! !# Z " ∂Ψ∗ ∂Ψ ∗ ∂Ô ∗ = ÔΨ + Ψ Ψ + Ψ Ô dV = (2.15) ∂t ∂t ∂t ! !# * + Z " ∂Ψ∗ ∂Ψ ∂Ô ∗ = ÔΨ + Ψ Ô dV + ∂t ∂t ∂t Hier ist zu beachten, dass die Wellenfunktion eines Teilchens mit Spin durch einen Vektor beschrieben wird. Zusätzlich zur Integration über den Raum wir hier also auch über die Spinzustände summiert. Aus der Schrödingergleichung (2.2) folgt durch Umstellen und Konjugieren: ∂Ψ i = − ĤΨ ∂t ~ i i ∂Ψ∗ = Ψ∗ Ĥ † = Ψ∗ Ĥ ∂t ~ ~ Einsetzen in die rechte Seite der Gleichung (2.15) liefert das Ehrenfest-Theorem: * + i d D E ih ∗ ∂Ô ∗ = Ô = Ψ Ĥ ÔΨ − Ψ ÔĤΨ dV + dt ~ ∂t iE * ∂Ô + i Dh = Ĥ, Ô + ~ ∂t (2.16) (2.17) (2.18) Um nun die gesuchten Bewegungsgleichungen zu erhalten, muss lediglich der Hamiltonoperator (2.3) in das Ehrenfest-Theorem (2.18) eingesetzt werden und für die entsprechenden Freiheitsgrade ausgerechnet werden. Die genauen Rechnungen sind im Anhang A.1 zu finden. Unter Verwendung der Kommutatoren für die vorkommenden Operatoren erhält man die Bewegungsgleichungen: D E D E D E 2 β−γh p̂y i2 2γh p̂x ih p̂y i 0 ! D E ~pˆ d ˆ 2a ~r = ~sˆ − ~ez × ~sˆ − (2.19) −2γh p̂x ih p̂y i −β+γh p̂x i2 0 dt m ~ ~ 0 0 0 d D ˆE ~p = qE~ dt (2.20) D E d D ˆE ~s = ω ~R + ω ~D + ω ~ B × ~sˆ dt (2.21) 15 2.2. BEWEGUNGSGLEICHUNGEN KAPITEL 2. MODELL UND METHODEN ~ R, ω ~ D und ω ~ B in der Bewegungsgleichung des Spins folgendermaßen Wobei die Frequenzen ω definiert sind: 2α D ˆ E ~R = ~p × ~ez ω (2.22) ~ ! 0 0 D E 2 −β+γh p̂y i2 ~D = ~pˆ ω (2.23) 0 β−γh p̂x i2 0 ~ 0 0 0 ~ ~ B = −γs B ω (2.24) Man beachte, dass bei der Herleitung die Streuung an Störstellen bzw. die Reflektion an Wänden nicht mit einbezogen wurden. Da in all diesen Bewegungsgleichungen nur noch die Erwartungswerte der Freiheitsgrade vorkommen, vereinfachen wir die Schreibweise, indem wir die Klammern der Dirac-Notation und das Zirkumflex über den Operatoren weglassen: D E ~xˆ → ~x (2.25) Dies entspricht einem quasiklassischen Bild der Elektronen: sie besitzen einen exakten Ort ~r, Impuls ~p und Spin ~s. Im Folgenden werden wir die einzelnen Bewegungsgleichungen nun genauer unter die Lupe nehmen. Ort ~r: ~p 2a d 2 ~r = − ~ez × ~s − dt m ~ ~ β−γpy 2 2γpx py 0 −2γpx py −β+γp2x 0 0 0 0 ! ~s (2.26) Die Änderung des Ortes mit der Zeit setzt sich aus drei Beiträgen zusammen: der erste Term entspricht der klassischen Geschwindigkeit. Der zweite Term resultiert aus der Spin-Bahn-Kopplung durch den Rashba-Hamiltonoperator und bewirkt, dass sich das Elektron nicht exakt in der Richtung seines Impulses bewegt. Analoges gilt für den dritten Term, nur dass dieser aus dem Dresselhaus-Effekt resultiert. Entscheidend sind hier aber die Größenordnungen der beiden Beiträge: die klassische Geschwindigkeit ~p/m bewegt sich im Bereich der Fermi-Geschwindigkeit und damit bei ca. 106 m/s bis 108 m/s. Die Größenordnung für α~ ist in [Man+15, S. 3] mit ca. 10−11 eVm bis 10−10 eVm angegeben. Dies ergibt für den zweiten Term eine Größenordnung von ca. 104 m/s bis 105 m/s und somit eine bis vier Größenordnungen kleiner als die klassische Geschwindigkeit. Damit kann die quantenmechanische Korrektur durch die Rashba-Spin-BahnKopplung im Folgenden vernachlässigt werden. Für die Größenordnung der Dresselhaus-SpinBahn-Kopplung liefern Experimente ähnliche Größenordnungen. Toloza Sandoval u. a. geben in [San+12, S. 3] das Verhältnis α/β mit 0,5 bis 7,6 an. Damit hat der Dresselhaus-Effekt größenordnungsmäßig eine ähnliche Stärke wie der Rashba-Effekt und die Wirkung auf die Flugbahn der Elektronen kann demnach ebenfalls vernachlässigt werden. Dies ist in Übereinstimmung mit allen hier referenzierten Arbeiten (siehe zum Beispiel [OY07]). Die Elektronen bewegen sich also gemäß der klassischen Mechanik und die Bewegungsgleichung vereinfacht sich zu: ~p d ~r = dt m 16 (2.27) 2.2. BEWEGUNGSGLEICHUNGEN KAPITEL 2. MODELL UND METHODEN Impuls ~p: d ~p = qE~ (2.28) dt Wie bereits in Abschnitt 2.1 auf Seite 12 erklärt, fehlt hier die Lorentzkraft. Die Änderung des Impulses mit der Zeit entspricht, davon abgesehen, auch mit quantenmechanischem Rashba- und Dresselhaus-Effekt dem klassischen Fall: eine Beschleunigung wird nur durch ein von außen angelegtes elektrisches Feld hervorgerufen. Ist kein elektrisches Feld vorhanden, behalten die Elektronen ihren Impuls zwischen den Streuungen bei und bewegen sich somit geradlinig. Spin ~s: d ~R + ω ~D + ω ~ B × ~s ~s = ω dt ~R = ω 2α ~p × ~ez ~ ~D = ω 2 ~ −β+γpy 2 0 0 0 β−γp2x 0 0 0 0 (2.29) (2.30) ! ~p ~ ~ B = −γs B ω (2.31) (2.32) Der Spin ändert sich in einem infinitesimal kleinen Zeitabschnitt proportional zum Kreuzpro~ ges = ω ~R + ω ~B + ω ~ B und dem Spin ~s selbst. Dies beschreibt eine Drehung um die dukt aus ω ~ ges und wird Spinpräzession genannt. Die Rotationsgeschwindigkeit entspricht genau Achse ω ~ ges die vektorielle Winkelgeschwindigkeit der Spinpräzession. dem Betrag |~ ωges |. Damit ist ω Außerdem wird hier deutlich, wie die beiden quantenmechanischen Effekte auf den Spin wirken: nämlich als ein impulsabhängiges Magnetfeld. Das Magnetfeld, das vom Rashba-Effekt ausgeht, ist senkrecht zu ~p und ~ez . Die Richtung des Magnetfeldes des Dresselhaus-Effektes ist im allgemeinen Fall nicht so einfach zu beschreiben. Zumindest für den linearen Anteil lässt sich aber eine Aussage treffen: hier ist das Magnetfeld proportional zum in x-Richtung gespiegelten Impuls. Um die verschiedenen Parameter besser unter einen Hut zu bringen, definiert man den dimensionslosen Rashba-Parameter a derart, dass er die Stärke der Rashba-Spin-Bahn-Wechselwirkung mit der mittleren freien Flugzeit in Beziehung setzt: 2α|~p|τp (2.33) ~ Eine Verwechslung mit der Größe α, die die Dimension einer Geschwindigkeit besitzt und ebenfalls als Rashba-Parameter bezeichnet wird, sollte ausgeschlossen sein. Die dimensionslosen Parameter b1 und b3 beschreiben analog dazu die Stärke des linearen bzw. kubischen Teils der Dresselhaus-Spin-Bahn-Wechselwirkung: a := |~ ωR |τp = 2β|~p|τp ~ 2γ|~p|τp b3 := |~ ωD,cub. |τp = ~ b1 := |~ ωD,lin. |τp = 17 (2.34) (2.35) 2.3. ANALYTISCHE FORMULIERUNG KAPITEL 2. MODELL UND METHODEN In Abwesenheit eines äußeren Magnetfeldes und wenn nur einer der linearen Terme der beiden quantenmechanischen Effekte wirkt, lassen sich die Parameter a und b1 folgendermaßen interpretieren: wenn sich ein Elektron für die Zeit τp in eine Richtung bewegt, so dreht sich der Spin genau um den Winkel a für den Rashba-Effekt bzw. b1 für den Dresselhaus-Effekt. Die Drehachse wird dabei weiterhin durch Gleichung (2.29) beschrieben. Man kann diese Parameter auch als „Sauberkeit“ des Systems, bezogen auf die Spin-Dynamik interpretieren: ein kleiner Wert für a, b1 oder b3 beschreibt ein System mit vielen Störstellen und damit einen kleinen Drehwinkel zwischen zwei Streuprozessen. Andererseits beschreiben große Werte für die Parameter ein System mit wenig Störstellen, also einen großen Drehwinkel zwischen zwei Streuprozessen. Zur weiteren Vereinfachung werden wir in den numerischen Simulationen die Massen m, den Betrag des Impulses ~p und die Zeit zwischen zwei Streuungen τp auf 1 setzen. Damit sind der Betrag der Geschwindigkeit |~v| und die mittlere freie Weglänge Lp ebenfalls 1. Die physikalischen Vorgänge lassen sich auch mit diesen Normierungen korrekt beschreiben. Die Verkleinerung des Parameterraumes erleichtert jedoch den Vergleich der Ergebnisse untereinander und mit den Ergebnissen anderer Arbeiten. 2.3. Analytische Formulierung Mit den Bewegungsgleichungen aus dem letzten Abschnitt wurde das noch fehlende Puzzlestück des Modells definiert. Es sind nun alle Informationen bekannt, um die Bewegungsgleichungen anzuwenden. Ziel dieses Abschnitts ist es, die orts- und zeitabhängige Spinpolarisierung ~s ~r, t des Systems zu bestimmen. Die spitzen Klammern beschreiben von jetzt an den Mittelwert über alle Elektronen des Systems und keinen quantenmechanischen Erwartungswert mehr. Wie wir im letzten Kapitel bereits festgelegt hatten, beschäftigen wir uns hier mit einem quasiklassischen Modell, d.h. die Freiheitsgrade der Teilchen sind scharf definiert und unterliegen keiner quantenmechanischen Unschärfe. Zum Zeitpunkt t = 0 wird das System dabei folgendermaßen initialisiert: ein Elektron mit Spin ~s(0) befindet sich am Ort ~r = 0. Die Geschwindigkeit des Elektrons ist in der xy-Ebene gleichverteilt mit Betrag 1. Zu diesem Zeitpunkt herrscht also volle Spinpolarisierung. Im weiteren Verlauf des Systems bewegt sich das Elektron für eine zufällige, exponentialverteilte Zeit lang gemäß der Bewegungsgleichungen (2.27) bis (2.29). D.h. das Elektron bewegt sich geradlinig - ein äußeres elektrisches Feld werden wir erst später berücksichtigen - und der Spin rotiert ~ ges . Die mittlere freie Flugzeit beträgt τp und man erhält für die Wahrscheinlichum die Achse ω keitsverteilung der freien Flugzeit: p(t) = 1 −t/τp e τp (2.36) Nach dieser Zeit streut das Elektron instantan, elastisch und isotrop an einer Störstelle. Diese Streuung wird durch eine zufällige Neuausrichtung des Impuls-/Geschwindigkeitsvektors beschrieben. Der Spin eines Elektrons ändert sich bei einer Streuung nicht. Wände werden wir ebenfalls erst später berücksichtigen, so dass Störstellenstreuung der einzige physikalische Effekt neben der Spin-Bahn-Wechselwirkung bleibt. 18 2.3. ANALYTISCHE FORMULIERUNG KAPITEL 2. MODELL UND METHODEN 2.3.1. System ohne Störstellenstreuung Um das beschriebene System analytisch zu untersuchen, gehen wir schrittweise vor. Die kleinste Einheit dieses Systems ist ein einzelnes Elektron, dass sich ohne jegliche Störungen frei bewegt. Bei der Analyse der Bewegungsgleichung des Spins (2.29) in Abschnitt 2.2 hatten wir festgestellt, dass der Spin während der freien Bewegung eine Rotation um die vektorielle und ~ ges ~p vollführt. Bewegt sich ein Elektron vom Zeitimpulsabhängige Winkelgeschwindigkeit ω ~ ges ~p t durch punkt 0 zum Zeitpunkt t, lässt sich die Drehung seines Spins um den Winkel ω eine Matrixmultiplikation ausdrücken: ~ ges ~p t ~s(0) ~s(t) = R ω (2.37) Dabei ist der Zeitentwicklungsoperator R(~θ) eine Rotationsmatrix der Form 2 nx (1 − cos θ) + cos θ nx ny (1 − cos θ) − nz sin θ nx nz (1 − cos θ) + ny sin θ R ~θ = ny nx (1 − cos θ) + nz sin θ ny nz (1 − cos θ) − nx sin θ n2y (1 − cos θ) + cos θ nz nx (1 − cos θ) − ny sin θ nz ny (1 − cos θ) + nx sin θ n2z (1 − cos θ) + cos θ (2.38) . wobei θ = |~θ| und ~n = ~θ |~θ| verwendet wurden. Für den einfachen Fall ausschließlicher RashbaSpin-Orbit-Wechselwirkung ergibt sich zum Beispiel: ! at ~p × ~ez ~s(t) = R ~s(0) (2.39) τp |~p| Da wir nun aber nicht an der Bewegung eines einzelnen Elektrons interessiert sind, sondern das Verhalten eines Systems aus (unendlich) vielen dieser Elektronen analysieren wollen, beschreiben wir die Zeitentwicklung dieses Systems mit: ~s(t) = R(t) ~s(0) (2.40) In Gleichung (2.37) hatte R(~θ) die Zeitentwicklung eines einzelnen Elektrons, also für eine spezielle Trajektorie, die dieses Elektron nimmt, beschrieben. Hier bezeichnet R(t) entsprechend die Zeitentwicklung gemittelt über alle möglichen Trajektorien. In einem System ohne Störstellenstreuung ist der einzige unbestimmte Parameter der Trajektorien die Richtung des Impulses. Da wir uns zuvor auf in der xy-Ebene gleichverteilte Impulse festgelegt hatten, ergibt sich der Mittelwert der Zeitentwicklung über alle Trajektorien durch ein einfaches Winkelmittel: R(t) = Z2π dφ ~ ges ~p t R ω 2π mit ~p = pF cos φ sin φ 0 (2.41) 0 Damit kann mit Gleichung (2.40) aus jeder initialen Spinpolarisierung ~s(0) die Spinpolarisie rung ~s(t) zu einem beliebigen Zeitpunkt t berechnet werden. Wir werden im Verlauf dieser Arbeit neben zweidimensionalen, auch eindimensionale Elektronengase untersuchen. Für eindimensionale System gelten die hier aufgeführten Überlegungen 19 2.3. ANALYTISCHE FORMULIERUNG KAPITEL 2. MODELL UND METHODEN gleichermaßen, wenn man berücksichtigt, dass die möglichen Trajektorien und damit die möglichen Richtungen von ~p nun nicht mehr gleichverteilt in der xy-Ebene sind, sondern nur noch gleichverteilt auf der x-Achse. Das bedeutet, es sind genau zwei Flugrichtungen möglich: in positiver und in negativer x-Richtung. Damit wird das Integral in Gleichung (2.41) zu einer Summe und man erhält: px 1 X ~ ges ~p t R ω mit ~p = 0 R(t) = (2.42) 0 2 p =±p x F 2.3.2. Zeitabhängige Spinpolarisierung Wir haben im vorherigen Abschnitt ein System ohne Streuungen beschrieben. Dieses Bild ist aber weder besonders interessant, noch ist es realistisch. Es diente der Hinführung auf ein System mit Streuungen, welches nun untersucht werden soll. Wir betrachten zuerst ein Elektron, das genau einmal gestreut wird. Das Elektron bewegt sich also gemäß Gleichung (2.37) eine gewisse Zeit t1 lang mit einem Impuls ~p1 , wird dann gestreut und bewegt sich nochmals eine Zeit t2 lang mit eventuell anderem Impuls ~p2 . Dieser Vorgang drückt sich durch eine Hinter ~ ges ~p2 t2 ~ ges ~p1 t1 und ω einanderausführung zweier Rotationen um die vektoriellen Winkel ω aus: ~s(t) = R ω ~ ges ~p2 t2 R ω ~ ges ~p1 t1 ~s(0) (2.43) Dabei muss t = t1 + t2 gelten. Da wir wie bereits in Gleichung (2.40) wieder an der Spinpolarisierung des gesamten Systems und nicht am Verhalten einzelner Elektronen interessiert sind, müssen wir wieder über alle möglichen Trajektorien mitteln. Anders als bei einem System ohne Streuungen sind nun aber die Orientierungen der Impulse nicht mehr die einzigen unbestimmten Parameter der Trajektorien. Die Zeit t ist zwar vorgegeben, aus welchen Beträgen t1 und t2 diese Zeit sich zusammensetzt, ist allerdings beliebig. Anschaulich beschrieben, ist es möglich, dass die Streuung zu jedem Zeitpunkt im Intervall [0,t] stattfindet. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung hierfür ist bekannt. Sie entspricht genau der Wahrscheinlichkeitsverteilung der mittleren freien Flugzeit (2.36) für t1 . Wir müssen also zusätzlich zu den Richtungen der beiden Impulse ~p1 und ~p2 auch über den Zeitpunkt der Streuung t1 integrieren. Damit ist mit t2 = t − t1 auch die Zeitspanne des zweiten „Streckenabschnitts“ bekannt. Da dieses vorgehen insbesondere für mehrere Streuungen aber sehr kompliziert wird, behelfen wir uns, indem wir über beide Zeiten t1 und t2 integrieren und die Relation t = t1 + t2 über eine Deltafunktion sicherstellen. Wir erhalten: ~s(t) = U2 (t) ~s(0) U2 (t) = τp Z∞ dt2 p(t2 ) 0 = τp Z2π dφ2 ~ ges ~p2 t2 R ω 2π 0 Z∞ Z2π dt1 p(t1 ) 0 Z∞ dt2 p(t2 ) R(t2 ) 0 Z∞ 20 dφ1 ~ ges ~p1 t1 δ t1 + t2 − t = R ω 2π 0 dt1 p(t1 ) R(t1 ) δ t1 + t2 − t 0 (2.44) mit ~pi = pF cos φi sin φi 0 2.3. ANALYTISCHE FORMULIERUNG KAPITEL 2. MODELL UND METHODEN Die Herkunft des Faktors τp wird in Anhang A.2 erklärt. Es stellt sich als überaus vorteilhaft heraus, die Deltafunktion über ihre Fouriertransformation darzustellen: ∞ Z dω δ t1 + t2 − t = eiω(t1 +t2 −t) 2π (2.45) −∞ Damit erhält man für die Zeitentwicklung eines Systems, dessen Elektronen alle genau einmal gestreut werden: U2 (t) = τp Z∞ −∞ dω −iωt e 2π Z∞ Z∞ dt2 p(t2 ) eiωt2 R(t2 ) 0 dt1 p(t1 ) eiωt1 R(t1 ) (2.46) 0 | {z =:F(ω) } ~ ges , ω ~ R, Die Integrationsvariable ω darf hier keinesfalls mit einer der Winkelgeschwindigkeiten ω ~ D oder ω ~ B verwechselt werden. Die Zeitentwicklung eines Systems, dessen Elektronen genau ω n − 1 mal gestreut werden, lässt sich mit der n-ten Potenz von F(ω) schreiben als: Un (t) = τp Z∞ dω −iωt n e F (ω) 2π (2.47) −∞ Nun haben wir zu Beginn dieses Abschnitts angenommen, dass das Elektron auf seinem Weg vom Zeitpunkt 0 bis t genau einmal gestreut wird. Diese Annahme ist aber nicht haltbar. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Zeit t genau oder ungefähr der mittleren freien Flugzeit τp entspricht, ist es aufgrund der Exponentialverteilung immer möglich, dass das Elektron selbst in einer kleinen Zeitspanne sehr oft gestreut wird. Sehr viele Streuungen in sehr kurzer Zeit sind genauso wie sehr wenige in sehr langen Zeitspannen zwar unwahrscheinlich, aber durchaus möglich. Trifft man beispielsweise die Annahme, dass die Anzahl der Streuungen genau t/τp entspricht, vernachlässigt man diese unwahrscheinlichen Fälle. Geht man gar davon aus, dass die Zeiten der einzelnen Streckenabschnitte immer gleich τp sind, wie es manche wissenschaftliche Arbeiten nichtsdestotrotz annehmen (siehe zum Beispiel [YOL10]), erhält man später signifikant andere Ergebnisse. Wir gehen also davon aus, dass alle Anzahlen von Streuungen möglich sind, und kommen dem nach, indem wir über alle möglichen Un (t) summieren: ~s(t) = U(t) ~s(0) (2.48) ∞ ∞ Z Z ∞ ∞ X −1 dω −iωt X n dω −iωt U(t) = τp Un (t) = τp e e F(ω) 1 − F(ω) F (ω) = τp 2π 2π n=1 n=1 −∞ −∞ | {z } geometrische Reihe Mit dieser Gleichung haben wir die zeitabhängige Spinpolarisierung eines zweidimensionalen Elektronengases mit beliebiger, impulsabhängiger Spinpräzession vollständig analytisch gelöst. ~ ges ~p können nacheinander R(t), F(ω) und dann U(t) ausgerechnet und so das Für spezielles ω Verhalten des Systems vollständig beschrieben werden. Genau mit dieser Aufgabe werden wir uns unter anderem in Abschnitt 4.1.1 ausführlich beschäftigen. 21 2.3. ANALYTISCHE FORMULIERUNG KAPITEL 2. MODELL UND METHODEN 2.3.3. Ortsabhängige Spinpolarisierung Im letzten Abschnitt haben wir die Zeitabhängigkeit der Spinpolarisierung analytisch beschrieben. Nun ist es aber durchaus möglich, und in den meisten Fällen auch Faktum, dass die Spinpolarisierung zu einer bestimmten Zeit räumlich nicht homogen ist. Man kann sich dies leicht vorstellen, wenn man sich obiges Modell ansieht. Zum Zeitpunkt t = 0 befinden sich alle Elektronen am Ursprung des Koordinatensystems bei ~r = 0. Da sich die Elektronen mit endlicher Geschwindigkeit vF bewegen, können sie in endlicher Zeit maximal einen bestimmten Raumbereich um den Ursprung erreichen. In Bereichen weiter vom Ursprung entfernt befinden sich keine Elektronen. In diesen Bereichen ist somit die Spinpolarisierung nicht einmal definiert. Wie bereits am Anfang des Abschnitts 2.3 angedeutet, werden wir nun die zeit- und ortsabhängige Spinpolarisierung ~s ~r, t herleiten. Wir werden dabei auf den Überlegungen des vorherigen Abschnitts aufbauen. In Gleichung (2.44) haben wir eine Deltafunktion eingeführt und die Relation t = t1 + t2 sicherzustellen. Wir können nun analog eine Deltafunktion verwenden, um die einzelnen Geschwindigkeiten mit dem vorgegebenen Ort ~r zu verknüpfen. Die Vorstellung, die uns zu Gleichung (2.44) geführt hat, war, dass sich die Elektronen eine Zeit t1 lang mit der Geschwindigkeit ~v1 und dann eine Zeit t2 lang mit der Geschwindigkeit ~v2 bewegen. Mit diesen Informationen kann man neben der Zeitentwicklung des Spins auch den Ort berechnen, an dem sich die Elektronen nach der Bewegung befinden: ~r = ~r1 + ~r2 = ~v1 t1 + ~v2 t2 = ~p1 ~p2 t1 + t2 m m (2.49) Um eine ortsabhängige Spinpolarisierung zu beschreiben, fügen wir also Gleichung (2.44) eine Deltafunktion hinzu, die obige Bedingung für ein vorgegebenes ~r sicherstellt. Auch hier stellt es sich wieder als praktisch heraus, die Deltafunktion als Fouriertransformation darzustellen: ! Z∞ 2 ~p1 ~p2 d k i~k· ~pm1 t1 + ~pm2 t2 −~r δ t1 + t2 − ~r = e m m (2π)2 (2.50) −∞ Hier bezeichnet ~k einen zweikomponentigen Vektor. Genau genommen wird im Exponenten also das Skalarprodukt eines zwei- und eines dreikomponentigen Vektors gebildet. Da jedoch die z-Komponente des Impulses immer Null ist, stellt das hier und im Folgenden kein Problem dar. Man erhält für die ortsabhängige Zeitentwicklung eines Systems, dessen Elektronen genau 22 2.3. ANALYTISCHE FORMULIERUNG KAPITEL 2. MODELL UND METHODEN einmal gestreut werden: Z∞ Z∞ Z2π dφ2 dφ1 ~ ges ~p2 t2 ~ ges ~p1 t1 dt1 p(t1 ) U2 ~r, t =τp dt2 p(t2 ) R ω R ω 2π 2π 0 0 0 0 ! ~p1 ~p2 δ(t1 + t2 − t)δ t1 + t2 − ~r = m m cos φi Z∞ Z∞ 2 dω −iωt d k −i~k·~r sin φi ~ mit p = p i F =τp e e 0 2π (2π)2 Z2π −∞ Z∞ dt2 p(t2 ) e 0 −∞ Z2π iωt2 dφ2 i t2~k·~p2 ~ ges ~p2 t2 em R ω 2π Z∞ Z2π dt1 p(t1 ) e 0 0 iωt1 0 | dφ1 i t1~k·~p1 ~ ges ~p1 t1 em R ω 2π {z } =:F ~k,ω (2.51) Hier ist besonders zu beachten, dass die Winkelintegration nicht mehr separat über R(~θ) ausgeführt werden kann, um R(t) zu erhalten. Die Exponentialfunktion mit ~p1 bzw. ~p2 im Exponenten muss nun beim Winkelmittel mit berücksichtigt werden, da mit φ1 bzw. φ2 über die Orientierung der Impulse integriert wird und die Exponentialfunktion somit von den φi abhängt. Weiter sei angemerkt, dass F ~k, ω nun eine Funktion von zwei Variablen ist. Wie schon bei der rein zeitaufgelösten Betrachtung bleibt noch die Summe über alle möglichen Streuanzahlen zu bilden. Man erhält: ~s ~r, t = U ~r, t ~s(0, 0) Z∞ 2 Z∞ ∞ X −1 d k −i~k·~r ~ dω −iωt ~k, ω F k, ω U ~r, t = τp Un ~r, t = τp e e 1 − F 2π (2π)2 n=1 (2.52) −∞ −∞ Es wurde wie schon in Gleichung (2.48) die geometrische Reihe ausgenutzt. Damit ist die zeitund ortsabhängige Spinpolarisierung ebenfalls analytisch beschrieben. Auch wenn man eine ähnliche Form wie für die nur zeitabhängige Spinpolarisierung erhält, treten hier einige Probleme auf. Zum einen handelt es sich bei der erhaltenen Lösung nicht um die Spinpolarisierung im eigentlichen Sinn, sondern um die mit der Wahrscheinlichkeit, dass ein Elektron den Ort ~r erreicht, gewichtete Spinpolarisierung - also die Spindichte. Möchte man die Spinpolarisierung erhalten, muss man aus Ergebnis (2.52) die Dichteverteilung herausrechnen, indem man durch diese teilt. Dieses Phänomen tritt bei der rein zeitabhängigen Spinpolarisierung nicht auf, da ein Elektron immer, also mit Wahrscheinlichkeit 1, jeden Zeitpunkt t erreicht. Zum anderen wird sich das Ausrechnen der vorkommenden Integrale als großes Problem herausstellen. Selbst in den einfachsten Fällen wird es nicht möglich sein, exakte, geschlossene Lösungen zu erhalten. In den Abschnitten 4.1.2 und 4.1.3 werden wir uns eingehend mit der Lösung beschäftigen und es wird auch deutlich werden, warum die zeit- und ortsabhängige Spinpolarisierung so viel schwieriger zu berechnen ist als die rein zeitabhängige Spinpolarisierung. 23 2.4. NUMERISCHE SIMULATION KAPITEL 2. MODELL UND METHODEN 2.4. Numerische Simulation Im letzten Abschnitt haben wir das Modell eines quasiklassischen zweidimensionalen Elektronengases mit Spin-Bahn-Wechselwirkung analytisch behandelt und auch bereits angedeutet, dass sich dabei später einige - teils unlösbare - Probleme ergeben. Es kann passieren, dass man bei analytischen Rechnungen an einen Punkt kommt, an dem ein Weiterrechnen nicht möglich oder nicht praktikabel ist. Selbst mit einem guten Computeralgebrasystem wie Wolfram Mathematica werden wir für die orts- und zeitabhängige Spinpolarisierung keine exakte Lösung finden. Man hat nun mehrere Möglichkeiten: zum einen kann man versuchen, einen anderen analytischen und exakten Zugang zum Problem zu suchen, indem man beispielsweise einen anderen Lösungsansatz verwendet oder Symmetrien ausnutzt, wie wir es in den Abschnitten 3.1.3 und 4.1.3 versuchen werden. Eine andere Möglichkeit ist, zu versuchen, Näherungslösungen zu erhalten, indem man beispielsweise Terme kleinen Betrags vernachlässigt. Auch diese Methode werden wir im späteren Verlauf dieser Arbeit verwenden. Bei Näherungslösungen stellt sich aber das Problem, dass im Voraus oft nicht klar ist, ob diese überhaupt, und wenn ja, wie gut, zum exakten Resultat passen. Eine vollkommen andere Lösungsmöglichkeit stellt eine numerische Simulation dar. Analytische Lösungsversuche können schon bei kleinen Veränderungen des Ausgangsproblems unmöglich werden. Für numerische Simulationen stellt sich dieses Problem nicht und es ist meistens durchaus möglich, beliebig komplizierte Sachverhalte korrekt abzubilden. Demgegenüber hat die numerische Simulation das Problem der endlichen Genauigkeit: im konkreten Beispiel einer Monte-Carlo-Simulation können nicht unendlich viele Elektronen simuliert werden und die erhaltenen Werte sind damit immer mit statistischem Rauschen behaftet. Zudem müssen bei einer numerischen Simulation die Parameter im voraus festgelegt werden. Um die Auswirkungen von Änderungen an den Parametern auf das Ergebnis zu untersuchen, muss die Simulation für verschiedene Werte der Parameter durchgeführt werden und auch dann können die Zusammenhänge nur näherungsweise bestimmt werden. Nichtsdestotrotz stellt die Numerik ein sehr hilfreiches Werkzeug dar, wenn komplizierte physikalische Probleme analysiert werden sollen. In den folgenden Abschnitten soll nun beschrieben werden, wie das erstellte Computerprogramm das Modell aus dem vorherigen Abschnitt umsetzt. Das abgedruckte Computerprogramm stellt dabei vereinfacht das reale Programm dar. Aufgrund der zahlreichen Parameter der Simulation und Optimierungen, wie der Berechnung auf mehreren CPU-Kernen, ist das reale Programm sehr viel komplizierter. Dabei kommen zu den Parametern des Modells (Wandabstand L, Rashba-Parameter a, . . . ) noch zahlreiche Parameter, die nur für die Simulation relevant sind. Als Beispiele sei hier die Anzahl der simulierten Elektronen oder die Größe der Zeitschritte, nach denen die Spinpolarisierung gemessen wird, genannt. Da es bei einigen Details dieser MonteCarlo-Simulation verschiedene Möglichkeiten bei der Realisierung gibt, werden wir versuchen, die Abläufe im Programm möglichst nachvollziehbar zu dokumentieren. Werden diese Details auf andere Art und Weise realisiert, können sich kleinere oder größere Abweichungen in den Ergebnissen zeigen. Im Fachpraktikum wurden beispielsweise signifikante Abweichungen im Vergleich zu den Ergebnissen von Kiselev und Kim [KK00] festgestellt, die auf die etwas andere Umsetzung des Modells zuruckzuführen waren. 24 2.4. NUMERISCHE SIMULATION KAPITEL 2. MODELL UND METHODEN class Particle { VEC2 m_vPosition , m_vImpulse ; VEC3 m_vSpin ; REAL m_fNextScattering ; }; Listing 2.1: Klasse Particle Initialisierung Zu Beginn, also zur Zeit t = 0, wird eine Liste aller Elektronen erstellt. Jedes Elektron speichert seinen gegenwärtigen Ort, Impuls und Spin, also die Werte seiner Freiheitsgrade. Da die Masse auf 1 normiert wurde, ist dadurch auch die Geschwindigkeit definiert. Zusätzlich wird die Zeit bis zur nächsten Streuung gespeichert. Die Streuwahrscheinlichkeit wird also nicht durch eine konstante Streuwahrscheinlichkeit in kleinen Zeitabschnitten dargestellt, sondern durch eine Exponentialverteilung der Zeit zwischen zwei Streuungen. Dies ist ein Beispiel für ein Detail der Simulation, bei der verschiedene Umsetzungen möglich wären. Die Klasse, die ein Elektron repräsentiert ist in Listing 2.1 abgedruckt. Die Vorgänge in der Simulation verlaufen analog zur analytischen Betrachtung in Abschnitt 2.3. Bei der Initialisierung werden somit alle Elektronen auf den gleichen Punkt, den Ursprung, gesetzt. Die Impulse werden isotrop mit Länge 1 in der xy-Ebene verteilt. Dabei, und für alle weiteren Zufallsprozesse, wird ein 64-Bit Mersene-Twister verwendet. Der Spin aller Elektronen wird in Richtung einer der Achsen initialisiert. Damit besteht anfangs eine vollständige Spinpolarisierung des Systems. Die Zeit bis zur nächsten Streuung m_fNextScattering wird mittels einer Exponentialverteilung initialisiert, deren Mittelwert der mittleren Zeit zwischen zwei Streuungen τp = 1 entspricht. Bewegung Hier wird nun kurz beschrieben, wie das Programm einen Zeitschritt berechnet. Eine vereinfachte Version der Hauptschleife ist in Listing 2.2 abgedruckt. Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass der tatsächliche Code des Programms, unter anderem aufgrund von Optimierungen, wie zum Beispiel der Verwendung mehrerer parallel laufender Threads, komplizierter ist. Das Programm wird wie im vorherigen Abschnitt beschrieben zum Zeitpunkt t = 0 initialisiert und ein Parameter ∆t (im Code mit fMeasureInterval bezeichnet) gewählt, der angibt, in welchen Zeitabständen eine „Messung“ im System durchgeführt wird, d.h. die Spinpolarisierung berechnet und gespeichert wird. Die gespeicherten Werte können dann später analysiert werden, um zum Beispiel Relaxationszeiten des Systems zu berechnen. Die Bewegung eines Elektrons besteht gemäß Modell, wie es am Anfang dieses Kapitels beschrieben wurde, aus drei voneinander getrennten Prozessen: der freien Bewegung, der Streuung an einer Störstelle und der Kollision mit einer Wand. Diese drei Prozesse werden auch im Programm einzeln behandelt. Um nun vom Zeitpunkt t zum Zeitpunkt t+∆t zu kommen, werden, für 25 2.4. NUMERISCHE SIMULATION KAPITEL 2. MODELL UND METHODEN while (/* time remaining */) { for(/* each particle p */) { REAL fRemaining = fMeasureInterval ; while ( fRemaining > 0.0) { REAL fNextWallCollision = p. GetNextWallCollision (); if( fNextWallCollision < fRemaining && fNextWallCollision <= p. m_fNextScattering ) { fRemaining -= fNextWallCollision ; p. Advance ( fNextWallCollision ); p. Collide (); } else if(p. m_fNextScattering < fRemaining ) { fRemaining -= p. m_fNextScattering ; p. Advance (p. m_fNextScattering ); p. Scatter (); } else { p. Advance ( fRemaining ); fRemaining = 0.0; } } } Measure (); } Listing 2.2: Hauptschleife des Programms 26 2.4. NUMERISCHE SIMULATION KAPITEL 2. MODELL UND METHODEN void Particle :: Advance (REAL _fDelta ) { m_vPosition += m_vImpulse /* / mass */ * _fDelta ; VEC3 vOmega = fA * m_vImpulse . Cross (VEC3 (0, 0, 1)) + MAT3(-fB1 + fB3 * pow2( m_vImpulse .y), 0, 0, 0, fB1 - fB3 * pow2( m_vImpulse .x), 0, 0, 0, 0) * m_vImpulse ; + vAngularVelocity ; m_vSpin = MAT3 :: Rotation ( vOmega * _fDelta ) * m_vSpin ; m_fNextScattering -= _fDelta ; } Listing 2.3: Methode Advance: freie Bewegung eines Elektrons jedes Elektron nacheinander folgende Schritte durchgeführt, bis die Zeitspanne ∆t durchlaufen wurde: 1. Es wird berechnet, wie lange es dauert, bis das Elektron bei geradliniger Bewegung auf eine Wand trifft (fNextWallCollision). 2. Die verbleibende Zeit bis zur nächsten Streuung ist bekannt (p.m_fNextScattering). 3. Je nachdem welches Ereignis als nächstes auftritt - eine Kollision mit einer Wand oder die Streuung an einer Störstelle - wird das Elektron die verbleibende Zeit bis zu diesem Ereignis bewegt (p.Advance()) und anschließend das Ereignis „durchgeführt“ (p.Collide() oder p.Scatter()). 4. Die Schritte 1. bis 3. werden so lange wiederholt, bis beide Ereignisse nicht mehr im gegenwärtigen Zeitschritt stattfinden. Dann wird das Elektron noch bis zum Ende des Zeitschrittes bewegt und mit dem nächsten Elektron fortgefahren. Die Wände sind senkrecht zur y-Achse orientiert und die Reflektion an diesen wurde in Kapitel 2 auf Seite 11 als instantan und elastisch definiert. Bei der Kollision eines Elektrons mit einer dieser Wände in p.Collide() muss also lediglich das Vorzeichen der y-Komponente des Impulses umgekehrt werden. Dies entspricht einer elastischen Reflektion des Elektrons an der Wand mit dem Impulsübertrag ∆~p = 2(~p ·~ey ) ~ey auf die Wand. Hier zeigt sich der wichtigste Vorteil der numerischen Simulation gegenüber einer analytischen Betrachtung: das Hinzufügen von Wänden lässt sich in wenigen Zeilen Programmcode bewerkstelligen, ohne das restliche Programm zu verändern. Das restliche Programm behält seine Gültigkeit, einzig, wenn ein Elektron eine Wand erreicht, wird es reflektiert und ansonsten exakt gleich gerechnet. Würde man jedoch versuchen, Wände mit in das analytische Modell aus Abschnitt 2.3 miteinzubeziehen, würde 27 2.4. NUMERISCHE SIMULATION KAPITEL 2. MODELL UND METHODEN man recht schnell scheitern. Wände lassen sich mit dem verwendeten analytischen Zugang nicht behandeln. Die Streuungen an Störstellen wurden bei der Definition des Modells in Kapitel 2 auf Seite 11 als instantan, elastisch und isotrop festgelegt. Somit wird in p.Scatter() der Impuls des betreffenden Elektrons wie bei der Initialisierung neu gesetzt: zufällig isotrop in der xy-Ebene. Die Zeit bis zur nächsten Streuung wird ebenfalls analog zur Initialisierung mit der selben Exponentialverteilung zufällig neu berechnet. Es ist anzumerken, dass ein Elektron bei Anwesenheit eines elektrischen Feldes während der „freien“ Bewegung seinen Impuls ändert. Die Elastizität der Streuung bedeutet, dass der Betrag des Impulses bei der Streuung unverändert bleibt. Eine Streuung entspricht somit der Drehung des Impulsvektors um einen zufälligen Winkel. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit werden wir auch inelastische Streuungen behandeln. In diesem Fall nehmen wir an, dass das Elektron die gesamte, während der Bewegung im elektrischen Feld erhaltene Energie wieder an die Störstelle abgibt und bewerkstelligen dies durch die Normalisierung des Impulsvektors bei einer Streuung. In Listing 2.3 ist p.Advance() ohne elektrisches Feld abgedruckt. Diese Methode bewegt ein Elektron um den Zeitschritt ∆ta und bedarf etwas genauerer Erklärung: 1. Die erste Zeile entspricht dem expliziten Euler-Verfahren angewandt auf die Bewegungsgleichung des Ortes (2.27): ~r(t + ∆ta ) = ~r(t) + ∆ta ~p(t) m (2.53) Da die Masse auf 1 normiert wurde ist sie auskommentiert und der Impuls entspricht der Geschwindigkeit. ~ ges (im Code vOmega genannt). 2. Die zweite Zeile berechnet die Winkelgeschwindigkeit ω Dabei wurden die Normierungen der mittleren Zeit zwischen zwei Stößen τp und des Impulses ~p verwendet. 3. Mit dieser Winkelgeschwindigkeit wird in Zeile 3 die Spinpräzession berechnet. Da wir wissen, dass die Bewegungsgleichung des Spins (2.29) eine Rotation mit der Winkelge~ ges entspricht, wäre es ineffektiv, den Zeitschritt mit einer der üblichen schwindigkeit ω numerischen Methoden zur Lösung eines Anfangswertproblems zu berechnen. Wir würden damit einen unnötigen numerischen Fehler einführen. Stattdessen können wir direkt die Drehung des Spins berechnen. Dazu wird die Rotationsmatrix R(~θ) verwendet, wie sie schon bei der analytischen Betrachtung in Gleichung (2.38) auftauchte. Diese repräsentiert eine Drehung um den vektoriellen Winkel θ. Es ergibt sich: ~s(t + ∆ta ) = R(~ ωges ∆ta ) ~s(t) (2.54) 4. Da die Methode das Elektron um die Zeit ∆ta „bewegt“, muss diese Zeit noch von der verbleibenden Zeit bis zur nächsten Streuung subtrahiert werden. Da sich der Impuls des Elektrons in Abwesenheit eines elektrischen Feldes während der Zeit ∆ta nicht ändert, ist Gleichung (2.53) exakt im Rahmen der Gleitkommagenauigkeit und verursacht 28 2.4. NUMERISCHE SIMULATION KAPITEL 2. MODELL UND METHODEN ~ ges bis auf Konstanten nur vom Imkeinen numerischen Fehler. Da die Winkelgeschwindigkeit ω puls abhängt, ist auch diese während der freien Bewegung konstant. Somit ist Gleichung (2.54) ebenfalls exakt. Wird ein externes elektrisches Feld mit einbezogen, so muss in p.Advance() auch der Impuls gemäß der entsprechenden Bewegungsgleichung (2.28) geändert werden. Dies verursacht einen numerischen Fehler für die anderen Freiheitsgrade und muss gegebenenfalls durch Unterteilung des Zeitschritts ∆ta in kleinere Intervalle oder durch die Verwendung besser geeigneter numerischer Methoden (zum Beispiel Runge-Kutta-Methoden) kompensiert werden. Sind alle Elektronen abgearbeitet, wird die Messung (Measure()) durchgeführt und der Vorgang bis zum Ende der Simulation wiederholt. Die Messung ist im folgenden Abschnitt beschrieben. Messung Da wir im Programm eine Liste aller simulierten Elektronen verwalten, ist die Messung der Spinpolarisierung sehr einfach: es muss lediglich der Spin aller Elektronen aufsummiert und normiert werden. Die Spinpolarisierung hsi i berechnet sich wie folgt: N−1 2 X (s j )i hsi i = ~N j=0 (2.55) Der Index i steht hierbei für die Achse, in deren Richtung die Spins initialisiert wurden. j indiziert die simulierten Elektronen. Die Anzahl der simulierten Elektronen ist mit N bezeichnet. Zu beachten ist, dass die eckigen Klammern h . i hier wieder den normierten Mittelwert über alle simulierten Teilchen bezeichnen und nicht den quantenmechanischen Erwartungswert. Aufgrund der Normierung bedeutet eine Spinpolarisierung hsi i = 1 eine volle Polarisierung in Richtung der Initialisierung, hsi i = −1 eine volle Polarisierung entgegen der Initialisierung und hsi i = 0 keine Polarisierung, d.h. die Spins der Elektronen heben sich auf. Die so berechneten Werte der Spinpolarisierung werden nach jedem Zeitschritt ∆t in eine Datei gespeichert, um sie zum Beispiel mit OracleLab Origin analysieren zu können. Gleichung (2.55) beschreibt die globale, zeitabhängige Spinpolarisierung. Zuvor hatten wir aber bei der analytischen Herangehensweise in Abschnitt 2.3 auch ortsabhängige Spinpolarisierungen betrachtet. Auch diese stellen für die numerische Simulation kein Problem dar. Wir müssen lediglich das Raumgebiet in kleine Teile „zerschneiden“ und bei der Messung mit Gleichung (2.55) über alle Elektronen summieren, die sich in diesem Gebiet befinden. Die Form der Gebiete legt die Ortsabhängigkeit fest. Wir werden dazu später beispielsweise konzentrische Ringe verwenden, um die radiale Abhängigkeit der Spinpolarisierung zu untersuchen. Es muss in der Simulation nur darauf geachtet werden, dass sich in jedem Raumgebiet relativ viele Elektronen befinden, da sonst das statistische Rauschen zu groß wird. Eine besondere Rolle spielt die Anzahl der Elektronen N aus Gleichung (2.55): wenn wir an der Spinpolarisierung interessiert sind, verwenden wir für N die Anzahl der Elektronen, über die wir mitteln, also die Anzahl der Elektronen im betreffenden Gebiet. Es ist aber auch möglich die Spindichte, wie wir sie in Gleichung (2.52) bei der analytischen Betrachtung erhalten hatten, zu berechnen. Dazu verwendet man für N weiterhin die Anzahl aller simulierten Elektronen und teilt noch durch die Größe des Raumgebietes. 29 Kapitel 3: Ladungsdynamik KAPITEL 3. LADUNGSDYNAMIK 3. Ladungsdynamik Wir haben nun das Modell definiert und einige analytische und numerische Vorarbeiten geleistet, um die zeit- und optional auch ortsabhängige Spinpolarisierung eines Systems aus vielen Elektronen zu bestimmen. Wie bereits angedeutet wurde, lassen sich diese Rechnungen sehr leicht auch auf die Ladung oder die Masse eines Elektrons übertragen. Der Spin eines quasiklassischen Elektrons wird durch einen Vektor konstanter Länge ~/2 und freier Richtung beschrieben, wobei die Zeitentwicklung dieses Vektors durch die Bewegungsgleichung des Spins (2.29) beschrieben wird. Im Gegensatz dazu ist eine Erhaltungsgröße wie die Ladung oder die Masse zeitlich konstant - die Zeitableitung verschwindet: d q=0 dt (3.1) Hier steht q zwar für die Ladung des Elektrons, die folgenden Überlegungen gelten aber gleichermaßen für die Masse m. Man erhält diese Relation, wenn in Gleichung (2.29) die vektorielle ~ ges = 0 ist, was erreicht wird, wenn sowohl die quantenmechanischen Winkelgeschwindigkeit ω Effekte der Spin-Bahn-Wechselwirkung als auch das äußere Magnetfeld verschwinden. Damit ~ = 0. Da wir im gesamten Kapitel 2 keinerlei Annahmen über sind a = b1 = b3 = 0 und B diese Parameter getroffen haben, bleiben alle Rechnungen gültig, und man erhält Aussagen über die Ladungs- oder Masseverteilung, indem man nichts weiter tut, als die aufgezählten Parameter gleich Null zu setzen. 3.1. Dichteverteilung 3.1.1. Zeitabhängige Dichteverteilung Mit den nun bekannten Informationen werden wir nun die Dichteverteilung unter den bereits mehrfach angegebenen Bedingungen analysieren. Dabei werden wir sowohl das eindimensionale, als auch das zweidimensionale Elektronengas betrachten. Bevor wir uns allerdings die ortsabhängigen Dichte vornehmen, werden wir die rein zeitabhängige Dichte mit dem beschriebenen analytischen Modell betrachten. Diese beschreibt, anschaulich erklärt, den Anteil der Elektronen, der zur Zeit t im System existiert. Da wir dem System weder Elektronen hinzufügen, noch Elektronen entfernen, sollte das Resultat exakt 1 sein. Auch wenn dieses Resultat schon im Voraus bekannt ist, verdeutlicht und überprüft die Rechnung den Lösungsansatz und soll somit im Folgenden durchgeführt werden. Es werden die Gleichungen (2.41) und (2.48), sowie die Definition von F(ω) in Gleichung (2.46) aus Abschnitt 2.3.2 verwendet: R(t1 ) = Z2π dφ ~ ges ~p t1 R ω 2π 0 33 mit ~p = pF cos φ sin φ 0 (3.2) 3.1. DICHTEVERTEILUNG F(ω) = KAPITEL 3. LADUNGSDYNAMIK Z∞ mit p(t1 ) = dt1 p(t1 ) eiωt1 R(t1 ) 1 −t1 /τp e τp (3.3) 0 U(t) = τp Z∞ −1 dω −iωt e F(ω) 1 − F(ω) 2π (3.4) −∞ hρ(t)i = U(t) hρ(0)i (3.5) ~ ges = 0 setzten, erhält man für R(0) die EinheitsDa wir zur Untersuchung der Dichteverteilung ω matrix und wir betrachten von nun an nur noch eine Komponente. Mit R(0) = 1 folgt R(t) = 1 und F(ω) lässt sich ausrechnen: 1 F(ω) = τp Z∞ dt1 e−t1 /τp eiωt1 = 1 1 − iτp ω (3.6) 0 F(ω) i = 1 − F(ω) τp ω (3.7) Nun kann man mit dem Residuensatz Z∞ X dz f (z) = −2πi Resa f (z), (3.8) a −∞ wobei für t > 0 über die Polstellen a mit Im(a) ≤ 0 von f (z) summiert wird, Gleichung (3.4) lösen. Wir berechnen mit der Polstelle bei ω1 = 0 (3.9) die Zeitentwicklung der Ladung und erhalten: U(t) = Z∞ ie−iωt dω ie−iωt = −i Resω1 = e−iω1 t = 1 2π ω ω (3.10) −∞ Dieses Ergebnis entspricht genau unseren Erwartungen. Für diesen einfachen Fall liefert unsere analytische Herangehensweise also fürs Erste das richtige Ergebnis. Dieses Ergebnis bestätigt auch das Vorhandensein des Faktors τp in der Zeitentwicklung, wie es in Anhang A.2 beschrieben wurde. Hätten wir dort eine falsche Skalierung vorgenommen, würden wir hier einen zwar konstanten aber von 1 verschiedenen Wert erhalten. 3.1.2. Eindimensionale Dichteverteilung Der nächste logische Schritt ist es, die ortsabhängige Dichteverteilung zu betrachten, bei der wir zuerst auf den eindimensionalen Fall eingehen werden. Es wird die Gleichung (2.52) sowie die Definition von F ~k, ω in Gleichung (2.51) aus Abschnitt 2.3.3 verwendet: 1 F k, ω = 2 Z∞ dt1 p(t1 ) eiωt1 0 X i ~ ges ~p t1 e m t1 kpx R ω px =±pF 34 mit ~p = px 0 0 (3.11) 3.1. DICHTEVERTEILUNG U x, t = τp Z∞ KAPITEL 3. LADUNGSDYNAMIK dω −iωt e 2π −∞ Z∞ −1 dk −ikx e F k, ω 1 − F k, ω 2π (3.12) −∞ ρ x, t = U x, t hρ(0, 0)i (3.13) Dabei wurden gemäß der eindimensionalen Betrachtung bereits die Vektoren ~k und ~r durch ~ ges = 0 erhält man: entsprechende Skalare k und x ersetzt. Mit ω 1 F k, ω = 2 = Z∞ dt1 p(t1 ) eiωt1 X eivF t1 kd = d=±1 0 Z∞ dt1 p(t1 ) eiωt1 cos (vF t1 k) = 0 iτp ω − i (3.14) (i + τp ω)2 − v2F τ2p k2 Für F k, ω /(1 − F k, ω ) erhält man also: 1 − iτp ω F k, ω = 2 2 2 1 − F k, ω vF τp k − τp ω(i + τp ω) (3.15) Nun kann man mit den Polstellen bei −i ± A ω1,2 = 2τp q A = −1 + 4v2F τ2p k2 (3.16) den Residuensatz anwenden, um das ω-Integral der Zeitentwicklung U x, t zu lösen: Z∞ 2 e−iωt F k, ω dk −ikx X U x, t = −iτp e Resωi = 2π 1 − F k, ω i=1 −∞ ! sin tA Z∞ 2τp dk −ikx − 2τt p tA cos = e e + 2π 2τp A (3.17) −∞ Hier ist man nun an einem Punkt angelangt, an dem man mit (exakten) analytischen Methoden nicht weiter kommt. Das Integral in dieser Form lässt sich nicht analytisch ausführen. Nun hat man mehrere Möglichkeiten: man kann beispielsweise versuchen, das Integral numerisch zu lösen. Hierzu summiert man in einer Art „brute-force“-Methode über viele Punkte des Integranden, um den Wert des Integrals anzunähern. Obwohl es sich hierbei um ein uneigentliches Integral handelt, kann es trotzdem möglich sein, dieses numerisch zu integrieren. In Abbildung 3.1 ist die Amplitude des Integranden abgedruckt. Man erkennt, dass für größere Zeiten die Oszillation immer schwächer wird und nur ein Peak bei k = 0 übrig bleibt. Somit kann man das uneigentliche Integral durch eine Summation über einen endlichen Bereich annähern. Wir wählen eine automatisierte Lösung und lassen das Integral von Mathematica berechnen. 35 3.1. DICHTEVERTEILUNG KAPITEL 3. LADUNGSDYNAMIK t=5 1,0 t=10 0,8 0,6 0,4 0,2 0,0 -0,2 -10 -5 0 5 10 Integrationsvariable k Abbildung 3.1.: Amplitude des Integranden aus Gleichung (3.17) für vF = 1, τp = 1 und zwei verschiedene Zeitpunkte t = 5 und t = 10 Eine andere Möglichkeit doch noch an analytische Ergebnisse zu kommen, ist es, Näherungen zuzulassen und kleine Terme zu vernachlässigen. Geht man in dieser Aufgabe davon aus, dass die Zeit t bei der man die Ladungsverteilung ermitteln möchte, relativ groß gegenüber der mittleren freien Flugzeit τp ist, dann kann man den Nenner von F k, ω nach ω entwickeln und nur Terme bis zur Ordnung O(ω) berücksichtigen. Man erhält: 1 − v2F τ2p k2 + iτp ω F k, ω ≈ 1 − F k, ω v2F τ2p k2 − iτp ω (3.18) ω1 = −iv2F τp k2 (3.19) Mit der Polstelle bei wendet man den Residuensatz an, um die ω-Integration durchzuführen, und berechnet unter Zuhilfenahme von Mathematica, das k-Integral. Dies liefert: Z∞ U x, t ≈ −iτp e−iωt F k, ω dk −ikx e Resω1 = 2π 1 − F k, ω −∞ = Z∞ −∞ −x2 4v2 τp t F (3.20) dk −ikx −v2 τp k2 t e e e F = √ 2π 2vF πτp t Somit hat man eine geschlossene Näherungslösung für die zeit- und ortsabhängige Ladungsverteilung in einer Dimension berechnet. Diese Lösung entspricht genau der eindimensionalen Normalverteilung −x 1 e 4Dt p(x) = √ 4πDt 36 (3.21) 3.1. DICHTEVERTEILUNG KAPITEL 3. LADUNGSDYNAMIK 0,8 0,08 t=5 t=20 Simulation analytisch analytisch Näherung Ladungsdichte (x,t) Näherung (x,t) 0,6 Ladungsdichte Simulation 0,07 0,4 0,2 0,06 0,05 0,04 0,03 0,02 0,01 0,0 0,00 -10 -5 0 5 10 Ort x -20 -15 -10 -5 0 5 10 15 20 Ort x Abbildung 3.2.: Eindimensionale zeit- und ortsabhängige Ladungsverteilung ρ x, t für vF = 1, τp = 1 und zwei verschiedene Zeitpunkte t = 5 (links) und t = 10 (rechts) mit dem Diffusionskoeffizienten D = v2F τp . Ob diese Näherung die exakte Lösung auch wirklich in gewissen Parameterbereichen beschreibt, soll nun geklärt werden. Dazu sind in Abbildung 3.2 die Resultate der drei Lösungsstrategien, Monte-Carlo-Simulation, analytisch mit numerischer Integration und analytisch mit Näherung für zwei verschiedene Zeiten abgedruckt. Zuerst fallen die zwei scharfen Peaks auf, die das Diagramm für den Zeitpunkt t = 5 bei x = 5 und x = −5 zeigt. Die Übereinstimmung dieser Zahlenwerte ist kein Zufall, sondern hat folgenden Ursprung: am Anfang bewegen sich alle Elektronen ausgehend von x = 0 in entweder positiver oder negativer x-Richtung. Wären nun keine Störstellen vorhanden, so würden sich alle Elektronen immer mit ihrer Anfangsgeschwindigkeit weiterbewegen und hätten immer genau den Abstand vF t vom Ursprung. Dies ist die maximale Strecke, die ein Elektron mit Geschwindigkeit vF in der Zeit t zurücklegen kann. Man würde nur die Peaks ohne das dazwischen liegende Kontinuum beobachten. Da die Elektronen nun aber gelegentlich gestreut werden, und somit ihren Weg teilweise wieder zurück laufen, verringert sich für manche Elektronen der insgesamt zurückgelegte Weg und das Kontinuum entsteht, während die Höhe der Peaks mit der Zeit abnimmt. Sowohl die Monte-Carlo-Simulation als auch die numerische Integration zeigen für beide Zeiten übereinstimmendes Verhalten. Dabei zeigt die numerische Integration für kleinere Zeiten mehr Artefakte, insbesondere in der Umgebung der Peaks. Diese Resultieren aus dem endlichen Integrationsgebiet in Abbildung 3.1. Für größere Zeiten zeigt die Monte-Carlo-Simulation hingegen mehr Ungenauigkeiten in Form von statistischem Rauschen. Die Ergebnisse ließen sich jeweils verbessern, indem für die analytische Integration das Gebiet im k-Raum, und für die Simulation die Anzahl der Elektronen N vergrößert würde. Im Gegensatz zu den anderen beiden Methoden zeigt die Näherungslösung auch für kleine Zeiten keine Peaks, wobei sie für Entfernungen |x| < vF t erstaunlich gut zu dem vorausgesagten Kontinuum passt, andererseits aber für Orte |x| > vF t ebenfalls eine Aufenthaltswahrscheinlichkeit der Elektronen voraussagt, obwohl dieser Bereich für die Elektronen unerreichbar ist. Für relativ große Zeiten stimmt die Näherungslösung dann im gesamten Raumgebiet sehr gut zu den anderen beiden Lösungswe- 37 3.1. DICHTEVERTEILUNG KAPITEL 3. LADUNGSDYNAMIK gen. Dies deckt sich mit unseren Erwartungen, da wir bei der Näherung ja genau angenommen hatten, dass t τp gilt. 3.1.3. Zweidimensionale Dichteverteilung Nach der eindimensionalen Analyse werden wir uns nun der zeitabhängigen Dichteverteilung eines Teilchens widmen, dass sich in zwei Dimensionen bewegt. Dabei werden letztlich die gleichen Methoden, wie bei der eindimensionalen Betrachtung verwendet. Es sind jedoch kleinere Modifizierungen nötig, um zu einem Ergebnis zu gelangen. Wir haben im letzten Abschnitt erkannt, dass sich selbst im eindimensionalen Fall nicht exakt lösbare Probleme ergeben. Es ist nicht zu erwarten, dass die Probleme im zweidimensionalen Fall einfacher zu lösen sein werden. Eine Aspekt des Modells, den wir verwenden können, um das Problem zu vereinfachen, stellt die Symmetrie dar. In der gesamten Definition des Modells gibt es keinen Aspekt, der im eindimensionalen Fall die positive oder negative x-Richtung auszeichnen würde. Dementsprechend sind die erhaltenen Dichteverteilungen des letzten Abschnitts auch symmetrisch zum Ursprung x = 0. Analog existiert auch im zweidimensionalen Fall ohne Wände keine Auszeichnung einer Richtung in der xy-Ebene. Die z-Richtung hingegen ist derart ausgezeichnet, dass die Elektronen in dieser Richtung unbeweglich sind. Es liegt also eine bezüglich der z-Achse rotationssymmetrische Problemstellung vor, womit auch die daraus resultierende Dichteverteilung zu dieser Achse rotationssymmetrisch sein muss. Infolgedessen liegt es nahe, bei der Beschreibung auch rotationssymmetrische Koordinaten zu wählen. Dies betrifft die Ortskoordinaten ~r, sowie deren Analogon in der Fouriertransformation ~k. Wir formulieren also die Gleichungen (2.51) und (2.52) aus Abschnitt 2.3.3 in Polarkoordinaten und erhalten: F k, ψ, ω = Z∞ Z2π iωt1 dt1 p(t1 ) e 0 U r, θ, t = τp Z∞ −∞ dω −iωt e 2π 0 ∞ Z 0 dφ ivF t1 k cos(φ−ψ) ~ ges ~p t1 e R ω 2π dk k 2π Z2π mit ~p = pF cos φ sin φ 0 (3.22) −1 dψ −ikr cos(ψ−θ) e F k, ψ, ω 1 − F k, ψ, ω 2π (3.23) 0 ~s r, θ, t = U r, θ, t ~s(0) (3.24) ~ ges = 0 und damit R(~ Wir setzen nun ω ωges ~p t) = 1 und beginnen nacheinander die Integrale zu lösen. Der Kosinus im Exponenten des Winkelmittels in Gleichung (3.22) erzeugt die nullte Besselfunktion erster Gattung J0 (siehe [AS65, S. 376]): J0 (z) = Z2π dθ ±z cos θ e 2π 0 38 (3.25) 3.1. DICHTEVERTEILUNG KAPITEL 3. LADUNGSDYNAMIK Man erhält: F k, ψ, ω = Z∞ Z2π dt1 p(t1 ) e 0 = Z∞ 0 iωt1 dφ ivF t1 k cos(φ−ψ) e = 2π 0 (3.26) i dt1 p(t1 ) eiωt1 J0 (vF t1 k) = q (i + τp ω)2 − v2F τ2p k2 F k, ψ, ω i = q 1 − F k, ψ, ω −i + (i + τp ω)2 − v2F τ2p k2 (3.27) Das zweite Integral wurde mit Hilfe von Mathematica ausgeführt wurde. Es ist zu erkennen, dass diese Größe nicht von ψ abhängt. Damit kann man das ψ-Integral in Gleichung (3.23) unabhängig von F k, ψ, ω ausführen und erhält wieder die nullte Besselfunktion: Z2π dψ −ikr cos(ψ−θ) e = J0 kr 2π (3.28) 0 Wir gehen weiter wie im eindimensionalen Fall vor und führen als nächstes die ω-Integration mit den Polstellen bei −i ± A ω1,2 = τp q A = −1 + v2F τ2p k2 (3.29) unter Verwendung des Residuensatzes aus: Z∞ 2 e−iωt F k, ψ, ω X dk U r, θ, t = −iτp kJ0 kr Resωi = 2π 1 − F k, ψ, ω i=1 0 − τtp ∞ tA Z 2e sin τp dk kJ0 kr = 2π A (3.30) 0 Obwohl dieses Ergebnis auf den ersten Blick relativ einfach aussieht, ist die Integrationsvariable k hier an vier verschiedenen Stellen vorhanden und verhindert somit das geschlossene Lösen des Integrals. k ist einmal linear, dann im Argument der Besselfunktion und schließlich auch unter der Wurzel in A vorhanden. Damit können wir auch hier keine exakte, analytische Lösung angeben und greifen wieder auf numerische und Näherungslösungen zurück. In Abbildung 3.3 ist die Amplitude des Integranden abgedruckt und man sieht wieder ein ähnliches Verhalten wie beim eindimensionalen Fall: je größer t ist, desto mehr beschränkt sich die Amplitude auf einen kleinen Bereich nahe k = 0. Somit lässt sich Gleichung (3.30) numerisch integrieren, indem man 39 3.1. DICHTEVERTEILUNG KAPITEL 3. LADUNGSDYNAMIK t=5 1,0 t=10 0,8 0,6 0,4 0,2 0,0 -0,2 0 2 4 6 8 10 Integrationsvariable k Abbildung 3.3.: Amplitude des Integranden aus Gleichung (3.30) für vF = 1, τp = 1 und zwei verschiedene Zeitpunkte t = 5 und t = 10 über einen genügend großen Bereich summiert. Wir versuchen uns nun an der Näherungslösung und entwickeln wieder F k, ψ, ω bis zur ersten Ordnung in ω. Es ergibt sich: 2 − v2F τ2p k2 + 2iτp ω F k, ψ, ω ≈ 1 − F k, ψ, ω v2F τ2p k2 + 2iτp ω (3.31) Die Anwendung des Residuensatzes mit der Polstelle bei 1 ω1 = − iv2F τp k2 2 (3.32) liefert: U r, θ, t = iτp Z∞ e−iωt F k, ψ, ω dk kJ0 kr Resω1 = 2π 1 − F k, ψ, ω 0 = Z∞ 0 − r2 2v2 τp t F (3.33) 1 2 2 dk e kJ0 kr e− 2 vF τp k t = 2π 2πv2F τp t Für die k-Integration wurde sich hier auf Mathematica verlassen. Damit hat man eine geschlossene Näherungslösung für die zeit- und ortsabhängige Dichteverteilung des zweidimensionalen Elektronengases erhalten. Diese hat analog zum eindimensionalen Fall nun die Form einer zweidimensionalen Normalverteilung p(r) = 1 − r2 e 4Dt 4πDt (3.34) wie sie sich auch aus der Lösung der Diffusionsgleichung ergibt, wobei D = 12 v2F τp den Diffu- 40 3.1. DICHTEVERTEILUNG KAPITEL 3. LADUNGSDYNAMIK 0,010 0,10 t=3 t=20 Simulation Simulation analytisch 0,08 analytisch 0,008 Näherung (r,t) 0,06 Ladungsdichte Ladungsdichte (r,t) Näherung 0,04 0,006 0,004 0,02 0,002 0,00 0,000 0 1 2 3 4 5 Radius r 0 5 10 15 20 Radius r Abbildung 3.4.: Zweidimensionale zeit- und ortsabhängige Ladungsverteilung ρ r, t für vF = 1, τp = 1 und zwei verschiedene Zeitpunkte t = 3 (links) und t = 10 (rechts) 41 3.2. ELEKTRISCHES FELD KAPITEL 3. LADUNGSDYNAMIK sionskoeffizienten bezeichnet. Das ist genau die Verteilungsfunktion, die man für einen zweidimensionalen Random Walk mit Schrittweite vF τp erwartet. Es bleibt noch zu bestätigen, dass diese Lösung auch wirklich zum Modell passt. Die Ergebnisse aller drei Lösungsmethoden sind in Abbildung 3.4 abgebildet. Da wir hier nun eine Verteilung in Abhängigkeit des Radius r beschrieben haben, machen negative Werte auf der x-Achse keinen Sinn. Abgesehen davon erhält man ein sehr ähnliches Bild wie bei der eindimensionalen Dichteverteilung in Abbildung 3.2. Für kleine Zeiten ergibt sich für die Simulation und die numerisch integrierte Lösung ein deutlicher Peak bei r = vF t. Die Ursache hierfür ist die gleiche wie im eindimensionalen Fall: viele Elektronen wurden bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gestreut und haben somit alle exakt den gleichen, maximal möglichen Abstand zum Ursprung. Es fällt allerdings auf, dass die Höhe des Peaks um ein Vielfaches geringer ist, als noch im eindimensionalen Fall. Das liegt daran, dass die nicht gestreuten Elektronen sich zwar alle im gleichen Abstand zum Ursprung befinden, sich aber auch auf einen Kreis mit Umfang 2πvF t verteilen. Im eindimensionalen Fall waren alle Elektronen auf zwei Punkte verteilt. Da der Umfang des Kreises, auf dem die Elektronen nun verteilt sind, mit dem Radius und damit der Zeit größer wird, wird der Peak naturgemäß kleiner, da wir die Verteilung pro Raumvolumen und nicht pro Radius angegeben haben. Die Simulation und die numerisch integrierte Lösung zeigen zu beiden Zeiten in allen Raumbereichen übereinstimmendes Verhalten, wobei die numerische Integration wieder im Bereich des Peaks mehr Ungenauigkeiten zeigt als die Simulation. Diese zeigt dagegen besonders in der Nähe des Ursprungs signifikantes statistisches Rauschen, was nicht verwunderlich ist, da sich hier weniger Elektronen in einem bestimmten Abstand befinden als weiter vom Ursprung entfernt. Zudem verteilen sich die Elektronen mit der Zeit in immer größerem Abstand zum Ursprung, was das statistische Rauschen verstärkt. Die Näherungslösung zeigt auch diesmal keinen Peak und eine Aufenthaltswahrscheinlichkeit bei r > vF t. Sie zeigt auch im zweidimensionalen Fall das erwartete Verhalten: für kleine Zeiten sind die Abweichungen relativ groß - um so länger die Elektronen Zeit haben, sich zu verteilen, umso besser passt die Näherungslösung. Umgekehrt sagt dies aus, dass sich die Verteilung der Elektronen mit der Zeit wie zu erwarten einer Normalverteilung annähert. 3.2. Elektrisches Feld Im nun folgenden Abschnitt soll analysiert werden, wie sich ein System unter Einfluss eines äußeren elektrischen Feldes verhält. Es soll insbesondere untersucht werden, wie sich ein elektrisches Feld auf die Geschwindigkeit der einzelnen Elektronen und die Durchschnittsgeschwindigkeit aller Elektronen im System auswirkt. Dabei soll der gleiche Lösungsweg wie schon bei der Beschreibung der Ladungsverteilung verwendet werden. Entgegen den bisherigen Betrachtungen ist nun die Bewegungsgleichung des Impulses (2.28) der Ausgangspunkt; d ~p = qE~ dt (3.35) Wie auch bei den vorhergehenden Betrachtungen werden alle Elektronen zum Zeitpunkt t = 0 am Ort ~r = 0 mit zufällig in der xy-Ebene verteilten Impulsen initialisiert. Jedes einzelne Elektron bewegt sich dann eine nach Gleichung (2.36) exponentialverteilte Zeit lang, wobei es eine 42 3.2. ELEKTRISCHES FELD KAPITEL 3. LADUNGSDYNAMIK konstante Beschleunigung gemäß Gleichung (3.35) erfährt. Zum Zeitpunkt t hat es also den Impuls ~ ~p(t) = ~p(0) + qEt (3.36) und wird gestreut. Da wir die Streuung als instantan und elastisch definiert hatten, lässt sich der Impuls nach der Streuung ~p0 (t) durch die Rotation des Impulses vor der Streuung ~p(t) um einen zufälligen Winkel φ um die z-Achse beschreiben: ~p0 (t) = R φ~ez ~p(t) (3.37) Bisher hatten wir die Zeitentwicklung eines Elektrons von einer Streuung zur nächsten durch eine Rotation des Spins mittels der Matrix R(~ ωges ~p t) dargestellt. Im jetzigen Fall müssen wir allerdings die Verschiebung (3.35) und Rotation (3.37) des Impulses darstellen, würden dabei jedoch gerne die Matrixschreibweise beibehalten, um zum Beispiel die sich ergebende geometrische Reihe wie in Gleichung (2.48) berechnen zu können. Dies lässt sich mit homogenen Koordinaten bewerkstelligen. 3.2.1. Homogene Koordinaten Homogene Koordinaten werden in der projektiven Geometrie und häufig in der Computergrafik eingesetzt. Sie haben unter Anderem genau den Zweck, auch Verschiebungen durch Matrixmultiplikationen darstellen zu können und folgen einem sehr einfachen Grundprinzip: Vektoren im dreidimensionalen Raum bestehen aus drei Komponenten x, y und z, eine für jede euklidische Raumrichtung. Um nun Verschiebungen darstellen zu können, fügt man eine vierte Koordinate w hinzu und jeder homogene Vektor x y ~v = (3.38) z w beschreibt von nun an per Definition den Punkt x 1 ~r = y w z (3.39) im euklidischen Raum. Legt man die zusätzliche Koordinate w nun auf immer 1 fest, lässt sich eine Verschiebung durch eine Matrixmultiplikation darstellen: 1 0 0 b x a x a x + b x 0 1 0 by ay ay + by ~ ~r = ~a + b → ~r = (3.40) = 0 0 1 bz az az + bz 1 0 0 0 1 1 43 3.2. ELEKTRISCHES FELD KAPITEL 3. LADUNGSDYNAMIK Diese stark vereinfachte Erläuterung der Funktionsweise homogener Koordinaten ist für unsere Zwecke ausreichend und es kann mit der Berechnung des Modells fortgefahren werden. Es soll jedoch nicht der Anspruch erhoben werden, diese wenigen Zeilen können das Konstrukt der homogenen Koordinaten vollständig beschreiben. Wir beschreiben also die Beschleunigung (3.35) und die Drehung (3.37) in homogenen Koordinaten und nehmen ohne Beschränkung der Allgemeinheit E~ = Ex~ex an. Die Streuung wird dann durch qEx t 0 ~p(t) = ~p(0) + (3.41) = A(t)~p(0) 0 0 1 0 0 qEx t 0 1 0 0 A(t) = 0 0 1 0 0 0 0 1 und die Rotation durch ~p0 (t) = R(φ~ez )~p(t) cos φ − sin φ sin φ cos φ R(φ~ez ) = 0 0 0 0 (3.42) 0 0 1 0 0 0 0 1 beschrieben. Nun hatten wir am Anfang des Abschnitts beschrieben, dass ein Elektron zuerst beschleunigt und dann gestreut wird. Intuitiv würde man also den homogenen Impuls ~p von links zuerst mit der homogenen Matrix A(t) und dann mit R(φ~ez ) multiplizieren. Wenn wir allerdings dann den mittleren Impuls des Systems mit dem Winkelmittel über φ bilden, würde damit die Streuung die Beschleunigung immer direkt neutralisieren, bevor wir den mittleren Impuls im System „messen“. Die Lösung ist, zuerst mit R(φ~ez ) und dann mit A(t) zu multiplizieren. Konzeptuell macht das keinen Unterschied, da Streuung und Beschleunigung ohnehin abwechselnd auftreten. Die Elektronen werden also alle zum Zeitpunkt t = 0 gestreut und dann erneut beschleunigt. Die gleichzeitige Streuung aller Elektronen zum Zeitpunkt t = 0 stellt im allgemeinen Fall einen Fehler dar. Geht man allerdings von einem verschwindenen mittleren Impuls zu diesem Zeitpunkt ~p(0) = 0 aus, hat die Streuung zu diesem Zeitpunkt keine Wirkung: 0 0 0 0 0 ~p (0) = R(φ~ez ) = 0 0 1 1 44 (3.43) 3.2. ELEKTRISCHES FELD KAPITEL 3. LADUNGSDYNAMIK Wir können somit keine initiale, nicht verschwindende, mittlere Geschwindigkeit berücksichtigen, da diese mit der ersten Streuung bei t = 0 sofort verschwindet. Bisher sind wir aber ohnehin von einer isotropen Impulsverteilung bei der Initialisierung des Systems ausgegangen. Für ein einzelnes Elektron erhält man: cos φ − sin φ 0 qEx t sin φ cos φ 0 0 ~p(t) = A(t)R(φ~ez )~p(0) = (3.44) ~p(0) 0 0 1 0 0 0 0 1 3.2.2. Anisotrope Streuung Bisher sind wir bei allen Untersuchungen von einer isotropen Streuung ausgegangen, d.h. die Wahrscheinlichkeit, des Streuwinkels φ ist gleichverteilt auf dem Intervall [0, 2π). Wir wollen das Verhalten eines Systems unter Einfluss eines äußeren elektrischen Feldes später auch mit der Möglichkeit anisotroper Streuung behandeln. Die Berücksichtigung einer anisotropen Streuung verkompliziert die folgenden Rechnungen nur unwesentlich. Um uns die zweimalige Berechnung des gleichen Sachverhalts zu ersparen, werden wir anisotrope Streuvorgänge gleich mit einbeziehen, ohne zuerst den vermeintlich einfacheren Fall isotroper Streuung zu betrachten. Der erste Schritt bei unserem analytischen Lösungsweg war bisher immer, das Winkelmittel über R(~ ωges ~p t) zu bilden. Da wir in diesem Abschnitt mit φ in R(φ~ez ) den Streuwinkel und nicht wie in den vorhergehenden Betrachtungen die Richtung von ~p beschreiben, haben wir bei der Berücksichtigung einer anisotropen Streuung leichtes Spiel: es genügt das Winkelmittel mit einer Gewichtung w(φ) zu versehen. Diese Gewichtung ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Elektron bei der betrachteten Streuung um den Winkel φ abgelenkt wird. Ein konstanter Wert von 1 entspricht isotroper Streuung. Damit erhalten wir eine ähnliches Integral wie das bisher schon vorkommende gewichtete Zeitintegral mit der exponentialverteilten Gewichtung p(t): hhcos φii − hhsin φii Z2π dφ hhsin φii hhcos φii R(t1 ) = w(φ)A(t1 )R(φ~ez ) = 2π 0 0 0 0 0 hhcos φii = Z2π dφ w(φ) cos(φ) 2π hhsin φii = Z2π 0 qEx t1 0 0 1 0 0 1 (3.45) dφ w(φ) sin(φ) 2π 0 0 R 2π Dabei wurde angenommen, dass die Wahrscheinlichkeit normiert ist, d.h. dass 0 dφw(φ) = 2π gilt. Außerdem bezeichnet hhcos φii den Anteil der Vorwärtsstreuung. Die doppelten spitzen Klammern hh . ii stehen für das gewichtete Winkelmittel. Ein Wert hhcos φii > 0 beschreibt bevorzugte Vorwärtsstreuung, wohingegen ein Wert hhcos φii < 0 für bevorzugte Rückstreuung steht. Demgegenüber beschreibt hhsin φii die Verteilung der Streuung in Richtung senkrecht zu ~p. Ein von Null verschiedener Wert beschreibt also ein Modell, in dem die Elektronen bevorzugt nach rechts oder links gestreut werden. Obwohl ein solches Modell theoretisch möglich 45 3.2. ELEKTRISCHES FELD KAPITEL 3. LADUNGSDYNAMIK ist und mit der hier aufgezeigten Methode auch berechnet werden kann, ist es in der Praxis von nachrangiger Bedeutung und wir werden im Folgenden immer von hhsin φii = 0 ausgehen. Wir nehmen also an, dass die Streuung symmetrisch bezüglich rechts und links ist. Die Wertebereiche von hhcos φii und hhsin φii sind, da w(φ) nicht-negativ und normiert ist, jeweils durch das Intervall [−1, 1] gegeben. Die weiteren Rechnungen verlaufen analog zum Vorgehen in Abschnitt 2.3: ihhcos φii qEx τp i+τ ω 0 0 − (i+τp ω)2 p ∞ Z ihhcos φii 0 0 0 i+τp ω F(ω) = dt1 p(t1 ) eiωt1 R(t1 ) = (3.46) 1 0 0 0 iτ ω−1 p 0 1 0 0 0 iτp ω−1 −1 F(ω) 1 − F(ω) φii − hhcos hhcos φii−1+iτp ω 0 = 0 0 iqEx − ω(hhcos φii−1+iτ p ω) 0 0 φii − hhcoshhcos φii−1+iτp ω 0 0 i τp ω 0 0 0 i τp ω 0 (3.47) Da wir uns auf einen verschwindenden mittleren initialen Impuls festgelegt haben, liefert nur die vierte Spalte einen Beitrag zum Ergebnis. Es bleibt die ω-Integration auszuführen. Die (4,4)-Komponente dieser Matrix wurde bereits in Abschnitt 3.1.1 integriert und liefert erwartungsgemäß 1. Damit bleibt die w-Komponente der homogenen Koordinaten unverändert. Wir integrieren die verbleibende (1,4)-Komponente und erhalten mit den Polstellen bei ω1 = 0 i hhcos φii − i ω2 = τp (3.48) (3.49) und dem Residuensatz: U(t)14 = −iτp 2 X i=1 Resωi e−iωt qEx = ω(hhcos φii − 1 + iτp ω) φii)t − (1−hhcos τp qEx τp 1 − e 1 − hhcos φii (3.50) Dieses Ergebnis repräsentiert den zeitabhängigen mittleren Impuls in x-Richtung eines Systems mit anisotroper Streuung. Es ist bemerkenswert, dass, obwohl wir über die Form der Anisotropie noch keinerlei Aussagen gemacht haben, ein derart einfaches Ergebnis erhalten wurde. Die Anisotropie beeinflusst das Ergebnis nur in Form des Anteils der Vorwärtsstreuung hhcos φii. In Abbildung 3.5 sind die Ergebnisse aus Gleichung (3.50) zunächst für eine isotrope Streuung w(φ) = 1 grafisch dargestellt. Das Ergebnis der Monte-Carlo-Simulation ist in Grau eingezeichnet und deckt sich bis auf minimales statistisches Rauschen perfekt mit der analytischen Lösung. Man sieht, dass es sich bei allen vier Parameterwahlen jeweils um ein beschränktes Wachstum handelt. D.h. für kleine Zeiten nimmt der mittlere Impuls schnell zu, für größere Zeiten stellt sich dann eine Sättigung ein. Der Sättigungswert und die Zeit bis dieser „erreicht“ wird hängen von den Parametern ab. Betrachtet man Gleichung (3.50) genauer, dann war dieses Ergebnis abzusehen: der relevante Teil der Formel ist die verschobene Exponentialfunktion 1 − e−At und diese 46 3.2. ELEKTRISCHES FELD KAPITEL 3. LADUNGSDYNAMIK E =1, x 4 E =2, x E =1, x x mittlerer Impuls <p (t)> x E =2, 3 p p p p =1 =1 =2 =2 Simulation 2 1 0 0 2 4 6 8 10 Zeit t Abbildung 3.5.: Mittlerer Impuls hpx (t)i in x-Richtung eines Systems mit äußerem elektrischen Feld und isotroper Streuung für verschiedene Werte von Ex und τp mit vF = 1 beschreibt genau das beobachtete Verhalten. Alle Parameter außerhalb der Exponentialfunktion sind zeitlich konstant. Die Rate, mit der der mittlere Impuls seinen Sättigungswert erreicht, ist durch den Vorfaktor des Exponenten −(1 − hhcos φii)/τp gegeben. Der Sättigungswert wird für t → ∞ erreicht und beträgt: px (t → ∞) = qEx τp 1 − hhcos φii (3.51) Dieser Sättigungswert definiert die Driftgeschwindigkeit vD und damit die Drude-Leitfähigkeit: vD = px (t → ∞) m σ= q2 nτp qnvD = Ex (1 − hhcos φii)m (3.52) Hier steht n für die Ladungsträgerdichte. Damit haben wir analytisch und ohne Näherungen die Driftgeschwindigkeit und Drude-Leitfähigkeit für anisotrope Streuungen berechnet. Unser Ergebnis wird zum Beispiel in [Eck88, S. 85] bestätigt. Im Gegensatz zu unserem Zugang wurde dort jedoch die Boltzmann-Gleichung verwendet und es ist beruhigend zu wissen, dass unser grundlegend anderer Lösungsansatz zum gleichen Ergebnis führt. Es sollen nun verschiedene anisotrope Streuungen betrachtet werden um unser Ergebnis zu analysieren. Wir wählen also drei verschiedene Winkelverteilungsfunktionen: w1 (φ) = 1 + cos φ w2 (φ) = (1 + cos φ) 1 + cos(3φ) φ 1 + , 10 π − 1 mod 2 < 1 w3 (φ) = 1 − , sonst 2 hhcos φii2 = 2 ! q q √ √ √ hhcos φii3 = 2 + 2 5 − 2(5 − 5) − 2(5 + 5) ≈ π ≈ 0,1 hhcos φii1 = (3.53) (3.54) (3.55) Dabei stellt w1 (φ) die einfachste Möglichkeit dar, in hhcos φii einen nicht verschwindenen Wert 47 3.2. ELEKTRISCHES FELD KAPITEL 3. LADUNGSDYNAMIK Abbildung 3.6.: Beispielhafte Winkelverteilungsfunktionen der (3.55) (rechts) mit Anisotropieparameter = 0,5 2,0 Gleichung bis p ( ) 1 1 p ( ) 1,8 p ( ) 1,8 2 2 p ( ) p ( ) 3 1,6 3 1,6 Simulation 1,4 1,2 1,4 1,2 1,0 1,0 0,8 0,8 0,6 0,6 -0,5 0,0 p ( ) (skaliert) 3 Leitfähigkeit Leitfähigkeit (links) 2,0 p ( ) -1,0 (3.53) 0,5 1,0 Anisotropieparameter -1,0 -0,5 0,0 0,5 1,0 Anisotropieparameter Abbildung 3.7.: Leitfähigkeit σ eines Systems mit äußerem elektrischen Feld und anisotroper elastischer (links) und inelastischer Streuung (rechts) für verschiedene Winkelverteilungen (τp = 1, m = 1, q = 1 und n = 1) zu erhalten. Die beiden anderen Winkelverteilungsfunktionen sind willkürlich gewählt. Bei allen drei Funktionen ist die Stärke der Anisotropie über den Parameter ∈ [−1, 1] einstellbar, wobei die Funktionen so gewählt sind, dass die Normierung für jeden Wert von gilt. Die Abbildung 3.6 stellt die drei Funktionen in Polarkoordinaten dar. Wir möchten nun untersuchen, wie sich verschiedene Verteilungsfunktionen auf das Verhalten des Systems, insbesondere auf die Leitfähigkeit auswirken. Dazu berechnen wir die Leitfähigkeit für die drei Beispiele der Anisotropie in Abhängigkeit des Anisotropieparameters . Das linke Diagramm in Abbildung 3.7 zeigt das Resultat, wobei die Ergebnisse der Simulation wieder in Grau eingezeichnet sind. Auch hier stimmen die Ergebnisse der analytischen Rechnung und der numerischen Simulation wieder bis auf minimale statistische Abweichungen überein. Da die Leitfähigkeit nur von hhcos φii und nicht von der genauen Form der Winkelverteilungsfunktion abhängt, stimmen, wie zu erwarten war, auch die Graphen für w1 (φ) ud w2 (φ) perfekt überein. Das trifft auch für die numerische Simulation mit den beiden Winkelverteilungsfunktionen zu: 48 3.2. ELEKTRISCHES FELD KAPITEL 3. LADUNGSDYNAMIK zwar sind die einzelnen Graphen nicht zu unterscheiden, aber es sind im Diagramm die beide numerisch berechneten Graphen, der für w1 (φ) und der für w2 (φ) eingezeichnet. Als nächstes werden wir die Forderung elastischer Streuung aufgeben und uns ein System mit inelastischen Streuungen ansehen, bei dem der Impulsbetrag der Elektronen bei jeder Streuung wieder auf pF gesetzt wird. Ein Elektron gibt also bei der Streuung genau die Energie, die es durch das elektrische Feld seit seiner letzten Streuung erhalten hat, wieder ab. In Formeln ausgedrückt schreibt sich dies als: pF R(φ~ez )~p(t) ~p0 (t) = ~p0 (t) (3.56) Es ist nun leider nicht möglich den (inversen) Betrag eines Vektors durch eine Matrixmultiplikation zu berechnen. An dieser Stelle kommen wir mit unserem analytische Modell also nicht weiter. Es handelt sich somit um eine Problemstellung, die wir nur mit der Monte-Carlo-Simulation berechnen können. Für die numerischen Simulation stellt die Normierung eines Vektors selbstverständlich kein Problem dar und lässt sich in einer Zeile erledigen. Die Ergebnisse der Simulation sind im rechten Diagramm in Abbildung 3.7 dargestellt. Es fallen auf den ersten Blick mindestens zwei Dinge auf: einmal verlaufen alle Graphen durch den Punkt (0,1). D.h. dass für einen Anisotropieparameter = 0 die Leitfähigkeit genau 1 beträgt, und zwar unabhängig von der Verteilungsfunktion. Dabei spielt es keine Rolle, dass w2 (φ) auch für = 0 drastisch von eine isotropen Streuung abweicht. Die Leitfähigkeit für = 0 und damit hhcos φii = 0 entspricht unabhängig von der tatsächlichen Verteilungsfunktion immer der Leitfähigkeit eines Systems mit isotroper Streuung. Zum Anderen fällt sofort auf, dass die Auswirkungen einer bevorzugten Vorwärts- oder Rückwärtsstreuung sehr viel geringer sind, als bei einem System mit elastischer Streuung. Wir haben im Diagramm außerdem den grünen Graphen für w3 (φ) um den Faktor 5 in x-Richtung gestaucht. Dies bildet hhcos φii3 auf hhcos φii1,2 ab. Der gestauchte Graph in Cyan für w3 (φ) und die Graphen für w1 (φ) in Rot und w2 (φ) in Grün liegen genau aufeinander. Dies rechtfertigt die Behauptung, dass die Leitfähigkeit σ auch im Falle inelastischer Streuung nur von hhcos φii abhängt. Die geringere Steigung der Graphen und der Schnittpunkt bei (0,1) deuten an, dass man das Resultat mit inelastischer Streuung durch eine Skalierung entweder in x- oder y-Richtung bezüglich des Schnittpunktes aus dem analytischen Ergebnis für elastische Streuung erhalten könnte. Dies stellt sich jedoch als falsch heraus - die Graphen können so nicht zur Deckung gebracht werden. Wenn man eine unabhängige Skalierungen in x- und y-Richtung zulässt, lassen sich die Ergebnisse aufeinander abbilden. Die Skalierungskonstanten für die verschiedenen Verteilungsfunktionen stimmen allerdings nicht überein. Es zeigt sich hier ein Nachteil einer numerischen Simulation: wir haben zwar ein Ergebnis erhalten und können auch davon ausgehen, dass es für das angegebene Modell und die angegebenen Parameter korrekt ist, die Interpretation bereitet jedoch Schwierigkeiten. 49 Kapitel 4: Spindynamik KAPITEL 4. SPINDYNAMIK 4. Spindynamik Im letzten Kapitel haben wir uns mit der Ladungsdynamik beschäftigt. Nun soll das Hauptaugenmerk in dieser Arbeit aber auf der Spindynamik liegen. Dieser werden wir uns in diesem Kapitel widmen. Die Ladungsdynamik wurde in dieser Arbeit unter anderem deshalb mit einbezogen, weil wir deren Resultate, insbesondere bei der ortsaufgelösten Betrachtung in den Abschnitten 4.1.2 und 4.1.3, wieder benötigen werden. In den nächsten zwei Abschnitten werden wir im Modell aus Kapitel 2 untersuchen, wie sich ein in das Elektronensystem injizierter Spin im Lauf der Zeit verändert. Dies war die ursprüngliche Intention des Modells - dass es sich auf auf die Ladungsdynamik anwenden lässt, war eher ein Bonus. Wir werden uns wieder zuerst die reine Zeitauflösung vornehmen und dann die Ortsauflösung mit einbeziehen. In den darauf folgenden Abschnitten werden wir nacheinander verschiedene Verallgemeinerungen des Modells betrachten und die Auswirkungen untersuchen. Es wird teilweise möglich sein analytische Lösungen zu finden, teilweise wird der analytische Rechnenweg aber auch schnell auf Hindernisse treffen, die nicht einfach zu überwinden sind. Zusätzlich werden, wie auch schon im letzten Kapitel, immer die Ergebnisse der numerischen Simulation betrachtet. In den Fällen, in denen man analytische Ergebnisse erhalten hat, kann man diese somit überprüfen. In Fällen, in denen die analytische Herangehensweise versagt, liefert die Simulation trotzdem verlässliche Resultate. 4.1. Quasiklassische Spinrelaxation 4.1.1. Zeitaufgelöste Betrachtung Die nachfolgenden Sachverhalte in diesem Abschnitt wurden teilweise bereits im Fachpraktikum und in der Projektarbeit behandelt. Der Fokus im Fachpraktikum lag dabei auf der numerischen Simulation eines zweidimensionalen Elektronengases mit Wänden, wobei zuerst auch auf das System ohne Wände eingegangen wurde. Dies entspricht dem Modell, das in diesem Abschnitt behandelt wird. In der Projektarbeit wurde dann erstmals die analytische Herangehensweise an das Problem entwickelt, wie sie in Abschnitt 2.3 beschrieben wurde. Trotzdem sollen auch das zweidimensionale Elektronengas ohne Wände mit reiner Zeitauflösung hier nochmals detailliert beschrieben werden, da es die einfachste Variante des Modells darstellt und somit die Grundlage für alle späteren Veränderungen bildet. Der Rechenweg wurde in Abschnitt 2.3 bereits ausführlich beschrieben und in Abschnitt 3.1.1 für die zeitabhängige Ladungsdichte auch schon angewandt. Wir haben dabei nur das Ergebnis erhalten, dass die Gesamtladung im System konstant ist, d.h. dass alle Elektronen zu jedem Zeitpunkt im System vorhanden sind. Da wir zu keinem Zeitpunkt Elektronen vernichten oder erzeugen und die Ladung des Elektrons eine Erhaltungsgröße darstellt, ist dieses Ergebnis, obwohl unspektakulär, nur logisch. Wir werden nun den gleichen Rechenweg beschreiten, mit ~ ges ~p nicht gleich Null und damit R(~ dem Unterschied, dass wir ω ωges ~p t1 ) nicht gleich 1 set- 53 4.1. QUASIKLASSISCHE SPINRELAXATION KAPITEL 4. SPINDYNAMIK 3,0 b =0 1 b =0.5 Winkelgeschwindigkeit | ges | 1 2,5 b =1 1 b =2 1 2,0 1,5 1,0 0,5 0,0 0 45 90 135 180 W inkel 225 270 315 360 [°] Abbildung 4.1.: Winkelgeschwindigkeit |~ ωges ~p | für verschiedene Werte von b1 mit a = 1 in Abhängigkeit der Richtung des Impulses φ zen werden. Wir versuchen uns zuerst an einem System mit Rashba- und linearer DresselhausSpin-Orbit-Wechselwirkung, da wir schon vermuten, dass der kubische Term des DresselhausEffektes schwieriger zu beschreiben wäre, d.h. wir setzen b3 = 0. Die vektorielle Winkelgeschwindigkeit beträgt also gemäß Gleichung (2.29): 1 −1 0 0 ~ ges ~p = a~p × ~ez + b1 0 1 0 ~p ω (4.1) 0 00 τp |~p| Hier trifft man nun aber schon auf das erste gravierende Problem. Die Länge der vektoriellen Winkelgeschwindigkeit beträgt q cos φ 1 ω ~ ges ~p = (4.2) a2 − b21 − 2ab1 sin(2φ) mit ~p = pF sin φ τp 0 und ist damit nicht konstant bezüglich φ. In Abbildung 4.1 ist die Winkelgeschwindigkeit |~ ωges ~p | für verschiedene Werte von b1 /a in Abhängigkeit von φ aufgetragen. Das Winkelmittel liefert folglich Integrale der Form R(t1 )33 = Z2π dφ t1 cos 2π τp ! q 2 2 a + b1 + 2ab1 sin(2φ) (4.3) 0 und wir kommen im allgemeinen Fall nicht weiter. Für a = 0 bzw. b1 = 0 vereinfacht sich die Wurzel zu b1 bzw. a. Dies entspricht ausschließlicher Rashba- oder Dresselhaus-Spin-BahnWechselwirkung. Wir werden uns in diesem und den folgenden zwei Abschnitten auf den RashbaEffekt beschränken. Auch für a = b1 , also wenn Rashba- und Dresselhaus-Effekt exakt die gleiche Stärke haben, lässt sich das Integral lösen. Diesen Fall werden wir in Abschnitt 4.3 genauer untersuchen. 54 4.1. QUASIKLASSISCHE SPINRELAXATION KAPITEL 4. SPINDYNAMIK Wir setzen also vorerst auch b1 = 0 und erhalten einen konstanten Betrag der Winkelgeschwindigkeit von a/τp . Damit lässt sich das Winkelmittel berechnen und man erhält: at 1 1 1 + cos 0 0 2π τp Z 2 dφ at1 1 ~ ges ~p t1 = R(t1 ) = R ω (4.4) 0 0 2 1 + cos τp 2π 0 0 0 cos atτp1 Hier fällt sofort auf, dass man eine diagonale Matrix erhalten hat. Somit sind auch in allen weiteren Betrachtungen die einzelnen Komponenten unabhängig. Anschaulich erklärt bedeutet das, dass eine globale Spinpolarisierung entlang einer der Achsen ihre Richtung beibehält, dass sich also aus einer globalen Spinpolarisierung in eine bestimmte Richtung keine Spinpolarisierung in eine andere Richtung entwickeln kann. Außerdem sei noch erwähnt, dass man für ausschließliche Dresselhaus-Spin-Bahn-Wechselwirkung das gleiche Ergebnis erhält. Damit sind die folgenden Überlegungen auch für den Fall a = 0 und b1 , 0 gültig. Auch das Zeitintegral lässt sich ohne Probleme berechnen, da sowohl die Exponentialverteilung p(t1 ) als auch jeder Kosinus in R(t1 ) durch Exponentialfunktionen darstellbar ist, über welche sich leicht integrieren lässt. Wir geben hier aus Platzgründen nur noch die Diagonalelemente für die x-Richtung F(ω)11 und die z-Richtung F(ω)33 an. Die y-Richtung verhält sich exakt wie die x-Richtung. Wir bearbeiten die Komponenten einzeln, beginnen aufgrund der einfacheren Rechnung mit der z-Richtung und erhalten: F(ω) = Z∞ dt1 p(t1 ) eiωt1 R(t1 ) ⇒ F(ω)33 = 0 i + τp ω − 1 (i + τp ω)2 − a2 (4.5) Der nächste Schritt, F(ω)/(1 − F(ω))−1 zu bilden, kann aufgrund der Diagonalität von R(t1 ) und damit auch F(ω) elementweise ausgeführt werden: 1 − iτp ω F(ω)33 = 2 1 − F(ω)33 a − τp ω(i + τp ω) (4.6) Nun fehlt nur noch die ω-Integration und wir erhalten die gesuchte Zeitentwicklung der Spinpolarisierung in z-Richtungen. Diese Integration lässt sich zum Beispiel mit Mathematica automatisiert ausführen. Um jedoch ein etwas tieferes Verständnis für das Resultat zu erhalten, ist es hilfreich hier von Hand zu rechnen. Wir verwenden wieder den Residuensatz, müssen also über die Polstellen von Gleichung (4.6) summieren. Diese finden wir an den Stellen, an denen der Nenner Null wird: a2 − τp ω(i + τp ω) = 0 (4.7) Bevor wir weiterrechnen, werfen wir einen Blick in eine Arbeit von Raimondi u. a. [Rai+06]. Sie berechnen das gleiche Modell wie wir mittels quasiklassischer Greenscher Funktionen und erhalten für die Relaxationszeiten der Spinpolarisierung die gleiche Bedingung. Die Bezeichnung Relaxationszeit wird im folgenden klar werden. Fürs erste sei bemerkt, dass unsere Lösungsmethode für die z-Richtung, und wie wir später sehen werden auch für die x- und y-Richtung, 55 4.1. QUASIKLASSISCHE SPINRELAXATION KAPITEL 4. SPINDYNAMIK 2,0 Re( 1,5 Im( Re( 1,0 Im( 1 1 2 2 ) ) ) ) 0,5 0,0 -0,5 -1,0 -1,5 -2,0 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 Rashba-Parameter a Abbildung 4.2.: Real- und Imaginärteil der komplexen Lösungen von Gleichung (4.7) für die z-Komponente der zeitabhängigen Spinpolarisierung mit τp = 1 die gleichen Ergebnisse liefert wie eine völlig andere Herangehensweise mittels Greenscher Funktionen. Dies spricht für die Korrektheit unserer Methode. Wir lösen Gleichung (4.7) und erhalten: √ −i ± 4a2 − 1 ω1,2 = (4.8) 2τp Bei der Summe über die Residuen kann man die Exponentialfunktion aus dem Residuum herausziehen. Berücksichtigt man, dass die Exponentialfunktion die einzige Stelle ist, an der die Zeit t vorkommt, erhält man damit eine gewichtete Summe über mehrere (in diesem Fall zwei) Exponentialfunktionen unterschiedlicher, gegebenenfalls komplexer Frequenz: U(t) = τp Z∞ −1 dω −iωt e F(ω) 1 − F(ω) 2π −∞ U(t)33 = −iτp 2 X i=1 2 Resωi −iτp F(ω) e−iωt F(ω) X −iωi t = e Resωi = A1 e−iω1 t + A2 e−iω2 t 1 − F(ω) 1 − F(ω) i=1 | {z } (4.9) =:Ai A1,2 1 i = ± √ 2 2 4a2 − 1 Summen von Exponentialfunktionen dieser Art mit zwei oder mehr Summanden werden uns im Folgenden noch öfter begegnen. Damit hat man mit den komplexen Frequenzen ω1 und ω2 das Problem vollständig gelöst. In Abbildung 4.2 sind diese für a ∈ [0, 2] und τp = 1 abgedruckt. Man sieht an der Abbildung und den dazugehörigen Gleichungen, dass für a ≥ 12 sowohl iω1 = (iω2 )∗ als auch A1 = A∗2 gilt. Diese beiden Beziehungen stellen sicher, dass U(t)33 reell ist und somit auch der Spin für alle Zeiten t reell bleibt. Für a ≤ 12 wird dies durch den verschwindenden Realteil in ω1 und ω2 erreicht. Ein Imaginärteil in der Spinpolarisierung würde 56 4.1. QUASIKLASSISCHE SPINRELAXATION KAPITEL 4. SPINDYNAMIK 1,0 a=0,4 a=1 z Spinpolarisierung <s (t)> a=4 Simulation 0,5 0,0 -0,5 0 2 4 6 8 10 Zeit t Abbildung 4.3.: Zeitabhängige Spinpolarisierung hsz (t)i für verschiedene Werte des Rashba-Parameters a mit τp = 1 physikalisch keinen Sinn ergeben. Wir werden uns nun genauer mit den ωi beschäftigen. Die Vorfaktoren Ai haben zwar ebenfalls Einfluss auf das Ergebnis, führen aber praktisch nur zu einer Phasenverschiebung. Die komplexen Frequenzen ωi hingegen definieren die Oszillationsfrequenz der Spinpolarisierung und deren Relaxationszeit. Man sieht sowohl in Abbildung 4.2 als auch in Gleichung (4.8), dass sich das Verhalten bei a = 21 grundlegend ändert. Für a < 12 , also für einen schwächeren Rashba-Effekt, sind beide ωi rein imaginär und negativ. Damit ist −iω reell und negativ. Für diesen Parameterbereich von a oszilliert die Spinpolarisierung hs(t)i nicht, sondern nimmt exponentiell ab. Es handelt sich um einen Kriechfall bezogen auf die Spinpolarisierung. Für a > 12 , also relativ starke Rashba-SpinBahn-Kopplung, erhält man eine gedämpfte Schwingung. Die Bezeichnungen „schwach“ oder „stark“ beziehen sich hier nur auf die verschiedenen Fälle des Verlaufs und nicht auf Werte in echten Materialien. Die Frequenz der Schwingung wird durch den Betrag des Realteils von ω1 und ω2 definiert. Wenig überraschend steigt diese für größer werdendes a an. Wir hatten a derart ~ R beschreibt. Somit ist es nur logisch, dass eine definiert, dass es die Winkelgeschwindigkeit ω größere Winkelgeschwindigkeit auch eine schnellere Oszillation der Spinpolarisierung bewirkt. In Abbildung 4.3 sind die zeitlichen Verläufe der Spinpolarisierung in z-Richtung für verschiedene Werte des Rashba-Parameters eingezeichnet. Man sieht sehr gut das vorausgesagte Verhalten: für kleines a stellt sich ein Kriechfall ein und die Spinpolarisierung nimmt monoton ab. Bei größeren Werten des Rashba-Parameters oszilliert die Spinpolarisierung hingegen, bevor sie relaxiert. Die Ergebnisse der Monte-Carlo-Simulation wurden auch hier wieder mit eingezeichnet und stimmen perfekt mit den analytisch berechneten Kurven überein. Im Fachpraktikum wurden die, durch die Analyse der Daten aus der Monte-Carlo-Simuation erhaltenen, komplexen Frequenzen mit der von Raimondi u. a. in [Rai+06] berechneten Formel verglichen. Die Werte stimmen auf zwei bis drei signifikante Stellen überein, und das, ohne dass hier allzu viel Rechenzeit aufgewendet wurde: die abgebildeten Kurven wurden mit 105 simulierten Elektronen berechnet und lassen sich auf einen handelsüblichen Laptop in wenigen Sekunden erstellen. Damit liefern alle drei verschiedenen Herangehensweisen, die analytischen Ergebnis- 57 4.1. QUASIKLASSISCHE SPINRELAXATION KAPITEL 4. SPINDYNAMIK Simulation 4 10 analytisch 1/a^2 =2 Relaxationszeit z 3 10 2 10 1 10 0 10 0,01 0,1 1 10 Rashba-Parameter a Abbildung 4.4.: Relaxationszeit τz der Spinpolarisierung in z-Richtung in Abhängigkeit vom RashbaParameter a mit τp = 1 se von Raimondi u. a., unsere analytischen Ergebnisse und die Resultate unserer numerischen Simulation, das gleiche Ergebnis. Wir können also davon aus gehen, dass bis jetzt alle Überlegungen im Rahmen des Modells korrekt sind. Mit den in Gleichung (4.8) berechneten komplexen Frequenzen können wir auch die Relaxationszeit des Systems bestimmen. Dafür gehen wir von der Annahme aus, dass für die Bestimmung der Relaxationszeit nur der Summand mit der größten Lebensdauer in der Zeitentwicklung 4.1.1 von Bedeutung ist. Man erhält für die Relaxationszeit: τ=− 1 max Im(ωi ) (4.10) i ∈ {1,2} In unserem Fall entspricht das immer dem Imaginärteil von ω2 , wie in Abbildung 4.2 sehr gut zu erkennen ist. Für Werte a > 21 und sehr kleine Werte von a lassen sich die Werte der Relaxationszeit einfach angeben. Im Fall a ≥ 12 ist die Wurzel in Gleichung (4.8) reell und man kann die Relaxationszeit exakt angegeben: 1 für a ≥ : τ(a) = 2τp 2 (4.11) Für den Fall schwacher Rashba-Spin-Bahn-Wechselwirkung hilft es, die Wurzel um a = 0 zu entwickeln: für a 1: τ(a) = 2τp 2τp τp ≈ = 2 √ 2 1 + i 4a2 − 1 1 + i(i − 2ia ) a (4.12) Um die Relaxationszeiten für die Monte-Carlo-Simulation zu bestimmen, wurde ein Fit an die zeitabhängige Spinpolarisierung, wie sie in Abbildung 4.3 abgedruckt ist, verwendet. Dabei wurde für a ≤ 12 die Summe zweier Exponentialfunktionen und für a ≥ 12 eine gedämpfte Schwingung gefittet. In Abbildung 4.4 sind sowohl die analytischen Werte, als auch die gerade 58 4.1. QUASIKLASSISCHE SPINRELAXATION KAPITEL 4. SPINDYNAMIK entwickelten Näherungen, sowie die Werte aus der numerischen Simulation dargestellt. Die numerischen Werte passen, wie zu erwarten war, sehr gut zu den analytischen Werten. Da schon die zeitabhängigen Spinpolarisierungen der Simulation und der analytischen Rechnung sehr gut zusammen passten, wäre es erstaunlich gewesen, wenn die Relaxationszeiten andere Ergebnisse geliefert hätten. Auch die Werte der Näherungslösung (4.12) passen für a . 0,2 sehr gut zur exakten Lösung. Der relative Fehler beträgt für a = 0,2 ca. 4,17%, für a = 0,1 nur noch 1,01%. Da wir die einfacher zu behandelnde z-Komponente nun ausführlich beschrieben haben, werden wir uns nun der x- und y-Komponente der Spinpolarisierung zuwenden. Das Vorgehen ist dabei identisch, jedoch werden die sich ergebenden Formeln teilweise um ein Vielfaches länger sein, weshalb hier nicht die ganze Lösung abgedruckt wird. Diese mit einem beliebigen Computeralgebrasystem zu berechnen stellt aber kein größeres Problem dar. Wir hatten bereits R(t) berechnet und fahren nun mit der Zeitintegration fort: F(ω) = Z∞ dt1 p(t1 ) eiωt1 R(t1 ) 0 2 i 1 1 F(ω)11 = + + 4 i + τp ω i − a + τp ω i + a + τp ω i a2 − 2(i + τp ω)2 F(ω)11 = 1 − F(ω)11 a2 (i + 2τp ω) − 2τp ω(i + τp ω)2 ! (4.13) (4.14) Um die Polstellen für die Anwendung des Residuensatzes zu finden, muss wieder der Nenner gleich Null gesetzt werden: a2 (i + 2τp ω) − 2τp ω(i + τp ω)2 = 0 (4.15) Auch diese Formel entspricht wieder den Resultaten von Raimondi u. a. in [Rai+06]. Der Unterschied zur Berechnung der z-Richtung ist nun, dass es sich hierbei um eine kubische Gleichung handelt. Diese lässt sich zwar ebenfalls lösen, das Ergebnis ist aber nicht mehr so kompakt wie das der quadratischen Gleichung (4.7). Man erhält drei Lösungen: √3 √3 2 · 22/3 3a2 − 1 A−1/3 + 2 A + 4i ω1 = − (4.16) 6τp √3 √ √ √3 −8i + 2 · 22/3 1 ± i 3 3a2 − 1 A−1/3 + 2 1 ∓ i 3 A ω2,3 = (4.17) 12τp p A = 4i + 9ia2 + 3a −48a4 + 39a2 − 24 In Abbildung 4.5 sind die komplexen Frequenzen ωi für einen kleinen Parameterbereich von a eingezeichnet. Es fällt zuerst auf, dass es nun keinen kritischen Wert für a gibt, bei dem sich das Verhalten grundlegend ändert. Zudem gilt weiterhin, dass zwei der Frequenzen bis auf das Vorzeichen ihres Realteils gleich sind: iω1 = (iω2 )∗ . Das endgültige Ergebnis, dass man durch die 59 4.1. QUASIKLASSISCHE SPINRELAXATION KAPITEL 4. SPINDYNAMIK 2,0 Re( 1,5 Im( Re( 1,0 Im( 0,5 Re( Im( 0,0 1 1 2 2 ) ) 3 3 ) ) ) ) -0,5 -1,0 -1,5 -2,0 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 Rashba-Parameter a Abbildung 4.5.: Real- und Imaginärteil der komplexen Lösungen von Gleichung (4.15) für die x- bzw. y-Komponente der zeitabhängigen Spinpolarisierung mit τp = 1 ω-Integration erhält, wird hier nicht abgedruckt, da es in etwa eine Seite füllen würde und die genaue Formel für die weiteren Betrachtungen nicht essentiell ist. Wie schon zuvor lässt sich das Ergebnis aber wieder als Summe gewichteter Exponentialfunktionen schreiben. Da iω1 = (iω2 )∗ nun für alle möglichen Werte des Rashba-Parameters a gilt, kann man zudem die zwei entsprechenden Terme zu einem Kosinus mit Phasenverschiebung zusammenfassen: U(t)11 = A3 e−iω3 t + A1 eIm(ω1 )t cos Re(ω1 )t + ∆ω (4.18) Da ω3 rein imaginär ist, ist auch sichergestellt, das U(t)11 reell ist. Abbildung 4.6 zeigt die Zeitabhängigkeit einer Spinpolarisierung in der xy-Ebene. Im Gegensatz zu den vorherigen Betrachtungen der Spinpolarisierung in z-Richtung, kehrt sich die Polarisierung hier nicht um. Die Kosinusschwingung aus Gleichung (4.18) ist vollkommen ins Positive verschoben. Für die z-Richtung hatte sich in Abbildung 4.3 je nach Stärke der Rashba-Spin-Orbit-Wechselwirkung die Spinpolarisierungen zeitweise umgekehrt. Auch die Ergebnisse der Monte-Carlo-Simulation unterstützen erneut die Korrektheit der Rechnung: sie sind nahezu deckungsgleich mit den analytischen Ergebnissen. Bevor wir mit den grundlegenden Betrachtungen in diesem Abschnitt abschließen und uns im nächsten Abschnitt der ortsaufgelösten Spinpolarisierung widmen, betrachten wir noch die Relaxationszeiten bezüglich der x- bzw. y-Richtung. Diese erhält man analog zu Gleichung (4.10), nur dass hier theoretisch alle drei ωi betrachtet werden müssten. In Abbildung 4.5 erkennt man jedoch auf den ersten Blick, dass der Imaginärteil von ω3 für alle Werte von a am größten ist. Außerdem vermuten wir Aufgrund des Verlaufs von Im(ω3 ), dass sich auch einfache Aussagen über die Relaxationszeit für sehr großes bzw. sehr kleines a treffen lassen. Wir verwenden Mathematica und entwickeln ω3 bis zur zweiten Ordnung in a: ω3 = − ia2 + O(a6 ) 2τp ⇒ 60 für a 1: τ(a) ≈ 2τp a2 (4.19) 4.1. QUASIKLASSISCHE SPINRELAXATION KAPITEL 4. SPINDYNAMIK 1,00 a=0,4 a=1 Simulation Spinpolarisierung <s x,y (t)> a=4 0,75 0,50 0,25 0,00 0 2 4 6 8 10 Zeit t Abbildung 4.6.: Zeitabhängige Spinpolarisierung hsx,y (t)i für verschiedene Werte des RashbaParameters a mit τp = 1 Um eine Aussage für a 1 zu erhalten, entwickeln wir bis zur nullten Ordnung in a1 : i 1 ω3 = − +O 2 2τp a ! ⇒ für a 1: τ(a) ≈ 2τp (4.20) Abbildung 4.7 zeigt wieder alle bisherigen Resultate: die analytisch exakte Berechnung, Näherungen für sehr große bzw. sehr kleine Werte des Rashba-Parameters, sowie die Resultate der numerischen Simulation. Um die Relaxationszeiten der Monte-Carlo-Simulation zu erhalten, wurde hier Gleichung (4.18) an den zeitlichen Verlauf der Spinpolarisierung gefittet. Auch in diesem Fall gibt es keine Überraschungen und alle Ergebnisse stimmen perfekt überein. Wir haben uns in diesem Abschnitt ausführlich mit der zeitabhängigen Spinpolarisierung eines zweidimensionalen Elektronengases mit Rashba-Spin-Bahn-Wechselwirkung beschäftigt. Die Überlegungen gelten analog auch für ein Elektronengas, das neben der Streuung an Störstellen ausschließlich die Dresselhaus-Spin-Bahn-Wechselwirkung spürt. Dabei haben wir gezeigt, dass der in Abschnitt 2.3 entwickelte Lösungsweg für das beschriebene Modell auch wirklich die richtigen Lösungen liefert. Hierzu haben wir die vollständig analytisch berechneten Resultate mit denen der numerischen Monte-Carlo-Simulation, wie sie in Abschnitt 2.4 beschrieben wurde, verglichen und eine im Rahmen der numerischen Genauigkeit exakte Übereinstimmung festgestellt. Außerdem wurden Teile des analytischen Ergebnisses mit den Resultaten von Raimondi u. a. verglichen und festgestellt, dass auch diese zu unseren Aussagen konform sind. 61 4.1. QUASIKLASSISCHE SPINRELAXATION KAPITEL 4. SPINDYNAMIK Simulation analytisch 2/a^2 4 10 Relaxationszeit x,y =2 3 10 2 10 1 10 0 10 0,01 0,1 1 10 Rashba-Parameter a Abbildung 4.7.: Relaxationszeit τx,y der Spinpolarisierungder in x- bzw. y-Richtung in Abhängigkeit vom Rashba-Parameter a mit τp = 1 4.1.2. Eindimensionales System Wir haben bereits die Ladungsdynamik zeit- und ortsabhängig untersucht. Im letzten Abschnitt haben wir uns der Spindynamik zugewandt und diese zeitabhängig analysiert. Der nächste logische Schritt ist die orts- und zeitabhängige Untersuchung der Spindynamik, da es keinen Grund gibt anzunehmen, dass die Spinpolarisierung ortsunabhängig ist. Der Lösungsansatz, der in Abschnitt 2.3.3 entwickelt wurde, und der in den Abschnitten 3.1.2 und 3.1.3 schon zum Einsatz kam, wird uns auch hier wieder zu einer Lösung verhelfen. Weiterhin ist es ebenfalls wieder hilfreich, das eindimensionale und das zweidimensionale Problem getrennt zu betrachten. Wir beginnen mit dem eindimensionalen Elektronengas mit Rashba-Spin-Bahn-Wechselwirkung. Den Dresselhaus-Effekt werden wir aufgrund der schon in Abschnitt 4.1.1 angesproche nen Schwierigkeiten - das Winkelmittel über die Rotationsmatrix R(~ ωges ~p t1 ) lässt sich nicht berechnen - wieder außen vor lassen. Damit erhalten wir die benötigte betragsmäßig konstante ~ ges ~p indem wir b1 = 0 und b3 = 0 setzen. Wir betrachten zuerst kurz Winkelgeschwindigkeit ω die Form der Rotationsmatrix R(~ ωges ~p t1 ) für ~p k ~ex : at1 cos τp 0 −sgn(p x ) sin atτp1 mit ~p = p0x R(~ ωges ~p t1 ) = (4.21) 0 1 0 0 sgn(p x ) sin at1 0 cos atτp1 τp Es sind zwei Dinge zu beobachten: erstens ist die y-Komponente von der Rotation und damit der Spin-Bahn-Wechselwirkung nicht beeinflusst und hat auch keinen Einfluss auf die anderen beiden Raumrichtungen. Damit verhält sich die y-Richtung des Spins wie eine Ladung gemäß Gleichung (3.17) auf Seite 35. Dies ist anschaulich durchaus logisch: bei der Bewegung in x ~ ges ~p ∼ ~p × ~ez in y-Richtung und beeinflusst damit nur Richtung zeigt die Rotationsachse ω die x- und z-Richtung des Spins. Zum anderen ist die Matrix antisymmetrisch. Dies äußert sich später in exakt gleichem Verhalten von x- und z-Richtung. Der nächste Schritt ist wie gehabt die 62 4.1. QUASIKLASSISCHE SPINRELAXATION KAPITEL 4. SPINDYNAMIK Berechnung von F k, ω und liefert: 1 F k, ω = 2 Z∞ 0 F11 = F33 F11 0 F13 X i ~ ges ~p t1 e m t1 kpx = 0 . . . 0 dt1 p(t1 ) eiωt1 R ω px =±pF F31 0 F33 (4.22) i 1 1 1 1 = + + + 4 i − a − vF τp k + τp ω i + a − vF τp k + τp ω i − a + vF τp k + τp ω i + a + vF τp k + τp ω F13 = −F31 ! 2avF τp k i + τp ω = − i − a − vF τp k + τp ω i + a − vF τp k + τp ω i + a + vF τp k + τp ω i − a + vF τp k + τp ω Daraus müssen wir F k, ω (1 − F k, ω )−1 berechnen. Von Hand wäre dies mühsam doch Mathematica ist hier eine große Hilfe und liefert das Ergebnis ohne große Anstrengungen: F k, ω 1 − F k, ω −1 B A = 0 C −A 0 ... 0 C A 0 B (4.23) A 2 A = a4 + τ2p v2F τp k2 − ω(i + τp ω) − 2a2 τp v2F τp k2 + ω(i + τp ω) B = (1 − iτp ω) a2 + τp v2F τp k2 − ω(i + τp ω) C = 2avF τp k(i + τp ω) Daraus kann man durch Null setzen von A die Polstellen bezüglich ω berechnen und somit die ω-Integration mit dem Residuensatz durchführen. Wir werden uns nun in erster Linie auf die Diagonalelemente konzentrieren. Diese beschreiben, wie sich eine Spinpolarisierung in xoder z-Richtung bezüglich dieser Richtung verhält. Damit berücksichtigen wir vorerst keine Änderung der Richtung der Spinpolarisierung - darauf werden wir später kurz zurückkommen. Man erhält für die Diagonalkomponenten: U x, t 11 Z∞ dk −ikx e 2π Z∞ dω −iωt e F k, ω 1 − F k, ω −1 = 11 2π −∞ −∞ tA+ ! ! sin tA− Z∞ − 2τt p sin −ikx 2τp 2τp tA− tA+ dk e e cos + + cos + = τp 2π 2τp 2τ 2τ A A p p − + −∞ q A± = −1 + 2a ± 2vF τp k 1 + 2a ± 2kvF τp k = τp (4.24) In dieser Gleichung kommt k wieder an verschiedenen Stellen vor, unter anderem unter den Wurzeln in A± in den Argumenten von Kosinus und Sinus. Damit ist man hier mit der analytisch exakten Rechnung am Ende. Leider stellt sich heraus, dass in diesem Fall auch Näherungslösungen, wie wir sie in den Abschnitten 3.1.2 und 3.1.3 auf Seiten 34 und 38 noch verwendet 63 4.1. QUASIKLASSISCHE SPINRELAXATION KAPITEL 4. SPINDYNAMIK 0,6 t=5 t=10 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0,0 -0,1 -10 -5 0 5 10 Integrationsvariable k Abbildung 4.8.: Amplitude des Integranden der k-Integration Gleichung (4.24) für vF = 1, τp = 1, a = 1 und zwei verschiedene Zeitpunkte t = 5 und t = 10 hatten, keine zufriedenstellenden Ergebnisse liefern. Es ist zwar möglich die Rechnung durch Streichen höherer Potenzen in Gleichung (4.23) bis zum Ende analytisch durchzuführen, das Ergebnis nähert aber das in der Simulation und der numerischen Integration beobachtete Verhalten nicht. Uns bleiben also die erwähnten zwei Möglichkeiten: numerische Integration über k und Monte-Carlo-Simulation. Abbildung 4.8 zeigt den Integranden der k-Integration. Es zeigt sich ein ähnliches Bild wie bei der numerischen Integration der Ladungsverteilung, mit dem Unterschied, dass es hier zwei Peaks in der Nähe von k = 0 gibt. Fürs Erste stellen wir fest, dass, insbesondere für größere Zeiten, die beiden Peaks immer schärfer werden, während die Oszillationen neben den Peaks immer unbedeutender werden. Wir können das uneigentliche Integral über k also numerisch wieder berechnen, indem wir über einen begrenzten Bereich um die Peaks herum summieren. Auf diese Weise kann man numerisch die zeit- und ortsabhängige Spinpolarisierung berechnen. Die genaue Position der Peaks lässt sich berechnen, wenn man sich bewusst macht, wie sich eine Kosinus oder Sinus mit imaginärem Argument verhält. Dabei gilt: sin(ix) = i sinh(x) und cos(ix) = cosh(x) (4.25) Somit werden die Beiträge der einzelnen Summanden in Gleichung (4.24) am größten, wenn die Argumente des Kosinus bzw. Sinus imaginär und möglichst groß sind. Wir suchen also das (negative) Minimum der Radikanden in A± . Eine einfache Minimumsuche durch Ableiten und anschließendes Null setzen liefert: k1,2 = ∓ a vF τp (4.26) Eine Sichtprüfung mit einigen verschiedenen Parametern bestätigt das Ergebnis. Wir werden diese Peaks verwenden um zumindest den Teil einer Näherungslösung zu konstruieren. Vernachlässigt man die Amplitude, dann nähern sich die Peaks für große Zeiten einer Deltafunktion 64 4.1. QUASIKLASSISCHE SPINRELAXATION KAPITEL 4. SPINDYNAMIK an. Für große Zeiten gilt: Z∞ U x, t ! !! a a +δ k+ = ∼ dk e δ k− v F τp v F τp −∞ ! iax ax − viaxτp vF τp F =e +e = 2 cos v F τp −ikx 11 (4.27) Wir haben also berechnet, dass die Spindichte zu jeder Zeit konstant ist und mit einem Kosinus im Ort variiert. Um dies zu verstehen, muss man sich verdeutlichen, wie sich der Spin eines Elektrons verhält, wenn sich das Elektron auf einer Linie bewegt. Bei der Bewegung in zum Beispiel positiver Richtung dreht sich der Spin um eine konstante Achse. Wird das Elektron dann gestreut und bewegt sich in entgegengesetzter Richtung, dann dreht sich der Spin mit gleicher Geschwindigkeit in exakt entgegengesetzter Richtung. Die vorherige Drehung wird also Rückgängig gemacht und die Ausrichtung des Spins hängt nur noch vom Abstand zum Ausgangspunkt ab. Genau dieses Verhalten beschreibt die soeben erhaltene Näherung (4.27). Wir haben also die Spinpolarisierung und nicht die Spindichte erhalten. Gewichtet man dieses Ergebnis mit der genäherten Ladungsdichte aus Gleichung (3.20) auf Seite 36, erhält man eine brauchbare Näherung für die Spindichte. Das gleiche Vorgehen liefert auch Resultate für die restlichen Komponenten der Zeitentwicklung. Man berechnet auch die restlichen Komponenten und erhält: ax cos ax 0 − sin vF τp vF τp (4.28) U x, t ≈ Uρ x, t 0 1 0 ax ax sin 0 cos v F τp Uρ x, t ≈ v F τp −x2 4v2 τp t F e √ 2vF πτp t (4.29) In Abbildung 4.9 sind die Ergebnisse der drei Methoden dargestellt. Dabei ergeben sich keine Überraschungen: alle Ergebnisse passen im Rahmen der jeweiligen Genauigkeit zusammen. Die Näherung kann dabei, wie schon bei der Ladungsverteilung, die Peaks der ungestreuten Elektronen nicht darstellen und sagt auch hier eine Spindichte für |x| > vF t voraus. Die numerische Integration sowie die Monte-Carlo-Simulation zeigen Peaks hingegen sehr deutlich. Bei der numerischen Integration ergeben sich kleinere Oszillationen in der Nähe der Peaks. Die Simulation zeigt diese Ungenauigkeiten nicht, leidet jedoch unter leichtem statistischen Rauschen. Dabei wurden für die Monte-Carlo-Simulation mit N = 105 relativ wenig Elektronen verwendet um das statistische Rauschen noch erkennbar zu halten. Es stellt für die Simulation kein Problem dar auf einem handelsüblichen Laptop diese Berechnung auch für 107 Elektronen in einigen Sekunden durchzuführen. Die Methode der numerischen Integration ist hier mit einer Rechenzeit von mehreren Minuten für die dargestellten Bilder deutlich weniger effektiv. 65 4.1. QUASIKLASSISCHE SPINRELAXATION 0,4 KAPITEL 4. SPINDYNAMIK 0,08 t=5 t=20 Simulation Simulation 0,06 analytisch 0,3 (x,t)> analytisch Näherung 0,04 x,z Spindichte <s Spindichte <s x,z (x,t)> Näherung 0,2 0,1 0,0 0,02 0,00 -0,02 -0,04 -0,06 -0,1 -10 -5 0 5 10 Ort x -20 -15 -10 -5 0 5 10 15 20 Ort x Abbildung 4.9.: Eindimensionale zeit- und ortsabhängige Spindichte sx,z x, t für vF = 1, τp = 1, a = 1 und zwei verschiedene Zeitpunkte t = 5 (links) und t = 10 (rechts) 4.1.3. Zweidimensionales System Der nächste Schritt wird sein, die Rechnungen auch auf das zweidimensionale Elektronengas mit Spin-Bahn-Wechselwirkung anzuwenden. Schon bei der eindimensionalen zeit- und ortsabhängigen Betrachtung im letzten Abschnitt hatten wir gesehen, dass die analytische Lösung an ihre Grenzen stößt und nicht bis zu einem geschlossenen Ausdruck für die Zeitentwicklung durchgezogen werden kann. Wir werden nun versuchen das Problem so weit wie möglich analytisch zu bearbeiten. Die sich ergebenden Schwierigkeiten werden uns dann dazu bewegen, eine nicht zeitaufgelöste Analyse des Problems vorzunehmen, d.h. zeitgemittelte, aber ortsaufgelöste Spinpolarisierungen zu betrachten. Schon im eindimensionalen Fall hatten wir nur den Rashba-Effekt miteinbezogen. Es ist nicht zu erwarten, dass die Berechnungen mit Rashba- und Dresselhaus-Effekt im zweidimensionalen Fall einfacher werden. Wir bleiben also vorerst bei der Vereinfachung b1 = 0 und b3 = 0. Wie schon bei der zweidimensionalen Ladungsverteilung verwenden wir Polarkoordinaten, um das Problem etwas zu vereinfachen. Damit verlaufen die Rechnungen analog zu denen aus Abschnitt 3.1.3 mit den Gleichungen (3.22) und (3.23) als Ausgangspunkte. Wir führen zuerst das 66 4.1. QUASIKLASSISCHE SPINRELAXATION KAPITEL 4. SPINDYNAMIK Winkelmittel über φ aus: R(t1 , k, ψ) = Z2π dφ ivF t1 k cos(φ−ψ) ~ ges e R ω 2π 0 R11 R12 R13 ~p t1 = R21 R22 R23 R31 R32 R33 mit ~p = pF cos φ ! 2J1 vF t1 k cos(2ψ) sin2 at1 + sin2 (ψ) + = J0 vF t1 k cos(ψ) cos τp vF t1 k ! at1 R12 = R21 = J2 vF t1 k sin(2ψ) sin2 2τp ! at1 R13 = −R31 = −iJ1 vF t1 k cos(ψ) sin τp ! at1 R23 = −R32 = −iJ1 vF t1 k sin(ψ) sin τp ! at1 R33 = J0 vF t1 k cos τp ! R11 = R22 sin φ 0 at1 2τp (4.30) Der Kosinus in der Exponentialfunktion im Integranden bewirkt, dass man hier die verschiedenen Besselfunktionen erster Gattung Ji erhält. Es folgt die Zeitintegration mit der Gewichtung der Exponentialverteilung. Obwohl das erste Zwischenergebnis R(t1 , k, ψ) schon recht kompliziert aussieht, kann man die Zeitintegration noch exakt durchführen, da der Integrand sich nur aus Exponential-, Bessel-, Kosinus- und Sinusfunktionen zusammen setzt. F k, ψ, ω = Z∞ dt1 p(t1 ) eiωt1 R(t1 , k, ψ) (4.31) 0 Wir verzichten hier auf die vollständige Angabe des Resultats, da die genaue Formel sehr lang ist und wir dafür in etwa eine halbe Seite Platz bräuchten. Außerdem ist die genaue Form für die weiteren Betrachtungen nicht von großer Bedeutung. Wenn wir die Schritte unseres analytischen Lösungsweges weiter abarbeiten, müssen wir als nächstes F k, ψ, ω (1−F k, ψ, ω )−1 berechnen. Da man eine Matrix mit beliebigen Elementen mit Hilfe der Determinanten ihrer Untermatrizen berechnen kann, ist auch dieser Schritt in jedem Fall durchführbar. Man erhält dabei jedoch Formeln absurder Länge. Möchte man nun den Residuensatz auf diese Formeln anwenden und versucht, mit dem Hintergedanken die Polstellen zu finden, einen Hauptnenner zu bilden, erhält man beispielsweise für die (3,3)-Komponente Potenzen in ω bis mindestens ω7 für den Nenner und bis mindestens ω6 für den Zähler. Die erhaltenen Formeln für eine Komponente würden hier in etwa zwei bis drei Seiten füllen. Der Versuch die nun folgende k- und ω-Integration U r, θ, t = τp Z∞ −∞ dω −iωt e 2π Z∞ −1 dk kJ0 kr F k, ψ, ω 1 − F k, ψ, ω 2π (4.32) 0 auszuführen, entweder mit dem Residuensatz oder auf andere Weise, kann somit als aussichtslos bezeichnet werden. Selbst wenn die Integrationen gelingen sollten, ist es unwahrscheinlich, dass danach ein Ergebnis zustande kommt, das genügend kompakt ist, um es interpretieren zu können. 67 4.1. QUASIKLASSISCHE SPINRELAXATION KAPITEL 4. SPINDYNAMIK Abbildung 4.10.: Integrand (links) und dessen Amplitude (rechts) der k- und ω-Integration in Gleichung (4.32) für r = 2, t = 5, vF = 1, τp = 1 und a = 1 Trotzdem sind die so erhaltenen Ergebnisse nicht gänzlich nutzlos. Man kann mit Mathematica zeigen, dass die Diagonalelemente unabhängig von ψ sind. Diese Unabhängigkeit hat konkrete Auswirkungen: betrachtet man ein System, dessen Elektronen sich zum Zeitpunkt t = 0 alle am Ursprung befinden und deren Spin in Richtung einer der Achsen polarisiert ist, dann ist die ortsabhängige Spinpolarisierung in dieser Richtung zu jeder Zeit unabhängig von ψ und damit rotationssymmetrisch bezüglich des Ursprungs. Auch wenn wir im Gegensatz zu den bisherigen Berechnungen die ω-Integration nicht analytisch lösen konnten, bleibt trotzdem die numerische Integration. Der einzige Unterschied besteht darin, dass wir nun über zwei Variablen integrieren müssen - ω und k. Damit steigt zwar der Rechenaufwand und die Genauigkeit sinkt, das Prinzip bleibt aber das gleiche. Wir summieren bei festgelegtem t und r über einen genügend großen Bereich um ω = 0 und k = 0 für k ≥ 0. Der Integrand aus Gleichung (4.32) ist in Abbildung 4.10 (links) in Abhängigkeit der Integrationsvariablen abgedruckt. Wir integrieren also, indem wir über Werte in diesem Bild summieren. In Abbildung 4.11 (links) ist das Resultat der numerischen Integration mit den Daten der Monte-Carlo-Simulation verglichen. Man sieht sofort, dass der Graph der numerischen Integration starke Ungenauigkeiten aufweist. Zwar kann auch der Simulation nicht immer bedingungslos vertraut werden, in diesem Fall sieht man aber schon an der glatteren Form der Simulationsergebnisse, dass diese dem realen Verhalten des Modells sehr viel besser entsprechen als die Ergebnisse der numerischen Integration. Nichtsdestotrotz beschreiben auch diese die Spinpolarisierung im Rahmen der Ungenauigkeiten. Für die zeit- und ortsabhängige Spinpolarisierung zeigt die Monte-Carlo-Simulation ihre Berechtigung. Sie liefert in wenigen Sekunden sehr genaue Ergebnisse, wobei die numerische Integration für die abgedruckten Ergebnisse ca. eine halbe Stunde braucht, und das, obwohl hier nur sehr wenig Punkte in r-Richtung berechnet wurden. Im rechten Diagramm in Abbildung 4.11 sind die simulierten Spinpolarisierungen für verschiedene Zeiten aufgetragen. Es dominieren drei Effekte den zeit- und örtlichen Verlauf: zum einen erkennt man bei den Graphen für t = 1 und t = 2 sehr gut den sich nach außen bewegenden Peak. Im Gegensatz zum Peak bei der Ladungsverteilung oszilliert dieser Peak aber nun während seiner Bewegung nach außen. Der zweite Teil, der die Spinpolarisierung bestimmt, ist 68 4.1. QUASIKLASSISCHE SPINRELAXATION 0,04 KAPITEL 4. SPINDYNAMIK 0,2 Simulation t=1 analytisch t=2 t=5 t=20 z Spindichte <s (r,t)> t=10 z Spindichte <s (r,t)> 0,03 0,02 0,01 0,1 0,0 0,00 -0,01 0 1 2 3 4 5 6 0 1 2 3 4 5 6 Radius r Radius r Abbildung 4.11.: Zweidimensionale zeit- und ortsabhängige Spindichte sz r, t für vF = 1, τp = 1, a = 1. Vergleich Simulation und analytische Rechnung für t = 5 (oben links) und Vergleich verschiedener Zeitpunkte (oben rechts). Zweidimensionale Darstellung für t = 2 (unten links) und t = 5 (unten rechts) 69 4.1. QUASIKLASSISCHE SPINRELAXATION KAPITEL 4. SPINDYNAMIK 1,0 a=10 a=1 0,4 r=2 r=2 r=5 r=5 0,5 0,2 0,0 0,0 -0,2 -0,5 -0,4 -1,0 0 5 10 15 20 25 30 Integrationsvariable k 0 10 20 30 40 50 Integrationsvariable k Abbildung 4.12.: Integrand der k-Integration in Gleichung (4.33) für t = 5, vF = 1, τp = 1 und zwei verschiedene Orte r und Rashba-Parameter a das Kontinuum, das der Peak während seiner Bewegung hinterlässt. Dieses Kontinuum ist nun ebenfalls durch eine Modulation bezüglich r charakterisiert. Und zum Dritten relaxiert die Spinpolarisierung im gesamten Bereich mit der Zeit. Betrachtet man die Verläufe dieser Graphen, ist es keine Überraschung mehr, dass die Integrale nicht gelöst werden konnten, denn diese Graphen lassen sich mit den üblichen Funktionen kaum beschreiben. Wir haben es in diesem Abschnitt bisher nicht geschafft durch analytische Rechnung zufriedenstellende zeit- und ortsaufgelöste Ergebnisse zu erhalten. In Abschnitt 4.1.1 war es hingegen kein Problem, für das selbe Modell die nur zeitabhängige Spinpolarisierung zu berechnen. Um doch noch analytische Resultate für die Ortsabhängigkeit zu erhalten, werden wir uns nun auf zeitintegrierte Spinpolarisierungen konzentrieren. Wir gehen dabei ähnlich vor wie bei den bisherigen Rechnungen, lassen jedoch die Deltafunktion für die Zeit δ(t1 + t2 + . . . − t) und folglich auch die ω-Integration weg. Damit gilt unser Resultat nicht mehr für einen bestimmten Zeitpunkt, sondern stellt die zeitintegrierte Spindichte dar. D.h. wir erhalten das gleiche Ergebnis, wie wenn wir die zeit- und ortsabhängige Spindichte berechnen und dann über alle Zeiten integrieren würden: U(r) = Z∞ dtU r, t = Z∞ 0 −1 dk kJ0 kr F(0, k, ψ) 1 − F(0, k, ψ) 2π (4.33) 0 Diese Sichtweise stellt die Vorgehensweise in der Monte-Carlo-Simulation dar: wir summieren die zeit- und ortsabhängige Spindichte s r, t in kleinen Zeitschritten auf und teilen durch die Länge des Zeitschritts. Für die analytische Berechnung können wir die bisherigen Ergebnisse in Form von F k, ψ, ω (1 − F k, ψ, ω )−1 weiterverwenden. Das Weglassen der Deltafunktion der Zeit wird durch einfaches ω = 0 setzen realisiert. Die Hoffnung ist, dass sich dadurch das Zwischenergebnis derart vereinfacht, dass wir die k-Integration analytisch ausführen können. Diese Hoffnung wird leider recht schnell enttäuscht. Obwohl sich das Zwischenergebnis etwas vereinfacht, hat man es mit Potenzen von mindestens k6 zu tun. Eine rein analytische Lösung zu 70 4.1. QUASIKLASSISCHE SPINRELAXATION KAPITEL 4. SPINDYNAMIK 0,6 1,0 a=10 Simulation integrierte Spinpolarisierung <s (r)> analytisch 0,8 z z integrierte Spinpolarisierung <s (r)> a=1 0,6 0,4 0,2 0,0 -0,2 Simulation analytisch 0,4 0,2 0,0 -0,2 -0,4 -0,6 0 2 4 6 8 10 Radius r 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 Radius r Abbildung 4.13.: Zweidimensionale zeitintegrierte Spindichte sz r, t für vF = 1, τp = 1 und zwei verschiedene Rashba-Parameter a 71 4.2. INHOMOGENE INITIALE SPINPOLARISIERUNG KAPITEL 4. SPINDYNAMIK finden scheint somit nicht möglich. Wir haben nun aber ein Integral weniger zu lösen und können das verbleibende nun wieder numerisch lösen. Im Gegensatz zur numerischen Lösung des Doppelintegrals über k und ω lässt sich dieses einfache Integral über k mit akzeptabler Genauigkeit und Rechenzeit berechnen. Der Integrand ist in Abbildung 4.12 für verschiedene Werte von r und a abgebildet. Entscheidend ist wieder, dass sich signifikant große Werte auf einen gewissen Bereich beschränken und für große Werte von k abnehmen. Die numerische Integration über einen genügend großen Bereich liefert die gesuchte ortsabhängige Spindichte. Die entsprechenden Ergebnisse sind in Abbildung 4.13 zu finden. Für die numerische Simulation wurde erneut eine relativ kleine Elektronenzahl verwendet, um das statistische Rauschen sichtbar zu machen. Man sieht, dass die Resultate der beiden Berechnungsmethoden auch hier übereinstimmen. Wir haben uns nun ausführlich mit der Spindynamik in unserem Modell beschäftigt. Dabei war es in manchen Fällen möglich analytische Lösungen oder Teillösungen zu berechnen. In anderen Fällen konnten wir zu keinem endgültigen Ergebnis kommen und mussten auf Näherungslösungen und numerische Berechnungen zurückgreifen. Alle unsere Ergebnisse wurden mit den Resultaten der Monte-Carlo-Simulation verglichen und wir haben in jedem Fall eine genaue Übereinstimmung festgestellt. Kleinere Abweichungen, die zu beobachten waren, waren auf Ungenauigkeiten bei den numerischen und zufallsbasierten Rechnungen zurückzuführen. Wir haben dabei verschiedene Lösungsmethoden untereinander verglichen, wobei alle Ergebnisse konsistent waren. Wir können also in einer ersten Annahme davon ausgehen, dass unser Lösungsweg im Rahmen des Modells auch im Bezug auf die Spindynamik korrekt ist. 4.2. Inhomogene initiale Spinpolarisierung Wir haben uns im letzten Abschnitt ausführlich mit der zeit- und ortsabhängige Spinpolarisierung beschäftigt und herausgefunden, dass eine deltaförmige Spinverteilung zum Zeitpunkt t = 0 bei ~r = 0 für die z-Richtung in einer rotationssymmetrischen Spinverteilung für t > 0 resultiert. Yuriy Pershin und Valeriy Slipko beschreiben in [PS10] ein verwandtes Phänomen: sie gehen von dem gleichen Modell aus, das auch wir verwenden, nehmen jedoch zum Zeitpunkt t = 0 eine inhomogene, also ortsabhängige Spinpolarisierung an. Im Gegensatz zu unserem Modell befinden sich also zu diesem Zeitpunkt nicht alle Elektronen am gleichen Punkt sondern sind im Raum verteilt. Sie beobachten, dass die Relaxationszeit des Systems mit der Ortsabhängigkeit der initialen Spinpolarisierung zusammen hängt. Wenn man die Elektronen mit einer der folgenden Spinpolarisierungen initialisiert ~s(r, 0) = ~ez cos k|~r| − ~er sin k|~r| (4.34a) ~s(r, 0) = ~ez cos kry − ~ey sin kry (4.34b) dann relaxiert die Spinpolarisierung in der Umgebung des Ursprungs langsamer als wenn man eine homogene Spinpolarisierung zum Zeitpunkt t = 0 annimmt. Dies ist in Übereinstimmung mit unserem Ergebnis aus dem letzten Abschnitt, wobei k genau der Wellenzahl der Graphen in Abbildung 4.13 entspricht. Verteilt man die Elektronen gemäß dieser Spinpolarisierung und bewegen sie sich gemäß unseren Voraussagen, dann ergibt sich eine konstruktive Interferenz der Elektronen in der Umgebung des Ursprungs. D.h. jedes Elektron, das im Verlauf der Simulation 72 4.2. INHOMOGENE INITIALE SPINPOLARISIERUNG KAPITEL 4. SPINDYNAMIK 1 radiale Verteilung 2 radiale Verteilung 10 ebene Verteilung a= homogene Verteilung Spinpolarisierung <s (0,t)> a= p p =0,1 =1 a= Relaxationszeit z z ebene Verteilung 0,1 1 10 a= p p =0,1 =1 0 10 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 -1,0 -0,5 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 W ellenzahl k der initialen Spinverteilung Zeit t Abbildung 4.14.: Verlauf der Spinpolarisierung hsz (0, t)i in z-Richtung in der Nähe des Ursprungs für k = 1, a = 0,1 und τp = 0,1 (links) und dessen Relaxationszeit τz in Abhängigkeit der Wellenzahl der initialen Spinverteilung (rechts) für verschiedene initiale Spinverteilungen den Punkt ~r = 0 erreicht, hat abgesehen von möglichen Streuungen den gleichen Spin, nämlich genau ~s = ~ez . Die Spinpolarisierung in diesem Bereich relaxiert damit langsamer, als für eine homogene Spinpolarisierung, bei der sich eine destruktive Interferenz einstellen würde. Wir werden dieses Phänomen nun mit Hilfe der numerischen Simulation beschreiben. Die Implementierung dieser Vorgänge in der Simulation stellt keine Schwierigkeit dar. Wir wählen lediglich bei der Initialisierung für jedes Elektron einen zufälligen Ort innerhalb eines genügend großen Bereichs und berechnen den Spin des Elektrons gemäß Gleichung (4.34a) oder (4.34b). Die Spinpolarisierung bei ~r = 0 berechnen wir über den Mittelwert in einem kleinen Bereich um den Ursprung. Die Erweiterung der Monte-Carlo-Simulation, um dieses Problem zu bearbeiten gestaltet sich also recht einfach. Eigentlich würde man numerische Ergebnisse gerne durch analytische Rechnungen untermauern. Die zeitabhängige Spinpolarisierung an einem beliebigen Ort ~r kann man mit der ortsabhängigen Spinpolarisierung mit initialer Deltaverteilung folgendermaßen angeben: ~s ~r, t = Z∞ d2 r0 U(~r − ~r0 , t) ~s(r0 , 0) (4.35) −∞ Da es uns aber leider in Abschnitt 4.1.3 nicht möglich war, den zeit- und ortsabhängigen Zeit entwicklungsoperator für den Spin U ~r, t analytisch anzugeben, kommen wir hier nicht weiter und werden uns in diesem Fall auf die Monte-Carlo-Simulation verlassen. In Abbildung 4.14 auf der linken Seite ist der zeitliche Verlauf der Spinpolarisierung in einer kleinen Umgebung von ~r = 0 für drei verschiedene initiale Spinverteilungen angegeben. Man sieht sehr deutlich, dass eine homogene Spinpolarisierung sehr viel schneller relaxiert als eine ebene Verteilung oder eine radiale Verteilung. Die radiale Verteilung bezeichnet dabei eine radiale Welle um den Ursprung gemäß Gleichung (4.34a), die ebene Verteilung bezeichnet analog eine ebene Welle gemäß Gleichung (4.34b). Die Relaxationszeiten der ebenen und radialen 73 4.2. INHOMOGENE INITIALE SPINPOLARISIERUNG KAPITEL 4. SPINDYNAMIK radiale Verteilung kmax ebene Verteilung kmax Deltaverteilung kδ a = τp = 0,1 0,816 1,021 0,878 a = τp = 1 0,936 1,107 0,997 Tabelle 4.1.: Vergleich der Werte von kmax mit den Wellenzahlen, die aus einer deltaförmigen Spinverteilung resultieren kδ Spinpolarisierung scheinen nach erster Schätzung ähnlich zu sein. Allerdings fängt die radiale Spinpolarisierung später an zu relaxieren und liegt somit immer über der ebenen Spinpolarisierung. Die Ergebnisse von Pershin und Slipko zeigen genau das gleiche Verhalten und sind in Abbildung 6 ihres Papers zu finden. Um genauer zu bestimmen, wie die Relaxationszeit mit der Wellenzahl k der Spinpolarisierung zusammen hängt, wurde im rechten Diagramm in Abbildung 4.14 die Relaxationszeit für die verschiedenen Spinverteilungen in Abhängigkeit von k eingezeichnet. Beim ersten Hinsehen fällt sofort auf, was wir auch schon im linken Bild beobachtet haben: für k ≈ 1 bleibt die Spinpolarisierung signifikant länger erhalten als für eine homogene Spinpolarisierung mit k = 0. Die Relaxationszeit steigt in allen vier betrachteten Fällen in etwa um den Faktor 4 bis 8. Dies deckt sich grob mit den Beobachtungen von Pershin und Slipko. In den zu Abbildung 6 angegebenen Fits steigt die Relaxationszeit um einen Faktor von ca. 4,2. Außerdem bestätigt die Grafik unsere Vermutung von oben: die Relaxationszeiten der beiden inhomogenen Spinverteilungen sind in allen Bereichen der Wellenzahl k ähnlich. Dabei ergeben sich einige Unterschiede: zum ersten ist die Wellenzahl kmax , die die längste Relaxationszeit bewirkt, für die ebene Verteilung etwas größer. Zum Anderen ist die maximale Relaxationszeit für die radiale Verteilung minimal größer als die der ebenen Verteilung. Wir ermitteln die verschiedenen kmax durch Fitten einer geeigneten Funktion an die Resonanzkurve und vergleichen die Werte mit den Wellenzahlen der ortsabhängigen Spinpolarisierung, wenn sich alle Elektronen zu Beginn der Simulation im Ursprung befinden. Diese ermitteln wir ebenfalls durch einen Fit an Kurven, wie sie in Abbildung 4.13 gezeigt sind. Die Ergebnisse sind in Tabelle 4.1 aufgelistet. Pershin und Slipko geben die „optimale“ Wellenzahl mit kmax = 0,97a/(vF τp ) an. Das passt recht gut zu unseren Werten. Der genaue Zahlenwert konnte zwar nicht erreicht werden, unsere Ergebnisse befinden sich aber im richtigen Bereich. Eine mögliche Fehlerquelle könnte hier die Größe des Bereichs um den Ursprung gewesen sein, die für die Berechnung der Spinpolarisierung ~s(0, t) benutzt wurde. Wird diese zu klein gewählt, dann wird über sehr wenige Elektronen gemittelt und man erhält starkes statistisches Rauschen. Wählt man den Bereich hingegen zu groß, dann berücksichtigt man zu viele Elektronen in einiger Entfernung vom Ursprung und verschlechtert damit erneut das Ergebnis. Ein weiteres Problem könnte die endliche Größe des Bereichs, in dem die Elektronen zu Beginn der Simulation platziert wurden, gewesen sein. Wählt man diesen zu klein, misst man Randeffekte, die sich bis zum Ursprung hin ausbreiten. Ein zu großes Gebiet bewirkt, dass die Elektronen zu weit verteilt sind, womit sich wieder weniger Elektronen in der Nähe des Ursprungs befinden, was sich wieder negativ auf das Ergebnis auswirkt. Nicht zuletzt spielt auch die Methode, die verwendet wurde, um aus dem zeitlichen Verlauf der Spinpolarisierung 74 4.3. DRESSELHAUS SPIN-BAHN-KOPPLUNG KAPITEL 4. SPINDYNAMIK die Relaxationszeit zu berechnen, eine entscheidende Rolle. Für manche Werte von k nimmt die Spinpolarisierung nicht exakt exponentiell ab, wie es in Abbildung 4.14 den Anschein macht, sondern besitzt zum Beispiel oszillierende Anteile. Der Fit einer einfachen Exponentialfunktion an den zeitlichen Verlauf kann hier unter Umständen problematisch werden. In den bisherigen Berechnungen hat sich die numerische Simulation immer sehr gut geschlagen und war zum Beispiel der numerischen Integration der erhaltenen Teillösungen in den Punkten Rechenzeit und Genauigkeit meist überlegen. Im nun vorliegenden Problem stößt man aber langsam an die Grenzen der Berechenbarkeit. Um Ergebnisse wie die Resonanzkurven in Abbildung 4.14 zu erhalten, benötigt man auf einem guten Laptop Rechenzeit in der Größenordnung einer Stunde oder mehr. Man könnte natürlich auch versuchen, die numerische Simulation effektiver zu gestalten, beispielsweise indem man den Weg jedes Elektrons in umgekehrter Zeitrichtung durchläuft, um seinen Ausgangspunkt zu finden. Damit kennt man den Spin zur Zeit t = 0 für dieses Elektron und durchläuft den gleichen Weg wieder vorwärts. Mit dieser Methode würde man nur Elektronen berücksichtigen, die sich letztlich auch in der Nähe des Ursprungs befinden um zum Ergebnis beizutragen. Für unsere Zwecke reicht die Genauigkeit der Simulation aber aus. Wir konnten zeigen, dass Spinpolarisierungen mit bestimmter Verteilung langsamer relaxieren als andere. Insbesondere wurde gezeigt, dass radiale „Spinwellen“ mit bestimmter Wellenzahl sehr viel langsamer relaxieren als eine homogene Spinverteilung. Wie wir sehen werden, ist es sogar möglich, dass gewisse Spinkonfigurationen (persistent spin helix) überhaupt nicht relaxieren, wenn man zum Rashba-Effekt einen gleich starken Dresselhaus-Effekt hinzunimmt. 4.3. Dresselhaus Spin-Bahn-Kopplung Wir haben uns in den bisherigen Rechnungen zuerst mit der Ladungsdynamik und in diesem Kapitel dann mit der Spindynamik eines zweidimensionalen Elektronengases beschäftigt. In Abschnitt 4.1 haben wir versucht, analytische Lösungen für das verhalten eines ein- und zweidimensionalen Elektronengases mit Spin-Bahn-Kopplung zu finden. Dabei haben wir uns aber auf den Rashba-Effekt als Spin-Bahn-Kopplung beschränkt und den Dresselhaus-Effekt vernachlässigt. In diesem Abschnitt werden wir, inspiriert von zwei Arbeiten von Munekazu Ohno und Kanji Yoh, den Dresselhaus-Effekt in unsere Überlegungen miteinbeziehen. Sie haben in [OY07] und [OY08] für verschiedene Parameterkombinationen der Spin-Bahn-Wechselwirkungen die Relaxationszeit bzw. die Spindiffusionslängen beschrieben und wir werden unsere Ergebnisse am Ende des Abschnitts mit ihren vergleichen. In Abschnitt 4.1.1 hatten wir bereits versucht, eine analytische Lösung für ein System, in dem sowohl ein beliebig starker Rashba-Effekt, als auch ein beliebig starker Dresselhaus-Effekt wirkt, zu finden. Dies hat sich jedoch als nicht praktikabel herausgestellt, da sich durch die im Allgemeinen unterschiedlich starken Spin-Bahn-Kopplungen eine Inhomogenität im Betrag der Winkelgeschwindigkeit im Bezug auf die Richtung des Impulses ergibt (siehe Gleichung (4.2) auf Seite 54). Da schon der lineare Term des Dresselhaus-Effektes derartige Probleme bereitete, haben wir nicht versucht, den kubischen Term miteinzubeziehen. Auch in diesem Abschnitt werden wir zunächst keine beliebig verschieden starken Spin-Bahn-Kopplungen zulassen. Stattdessen untersuchen wir zuerst, wie sich ein System verhält, wenn Rashba- und linearer 75 4.3. DRESSELHAUS SPIN-BAHN-KOPPLUNG KAPITEL 4. SPINDYNAMIK Dresselhaus-Effekt gleich stark sind. Auf unterschiedlich starken Rashba- und linearen sowie kubischen Dresselhaus-Effekt werden wir im späteren Verlauf dieses Abschnitts eingehen. 4.3.1. Persistent Spin Helix Es wäre nun durchaus möglich, die Parameter der beiden Spin-Bahn-Wechselwirkungen mit a = b1 gleich zu setzen und dann den hier schon mehrfach verwendeten analytischen Lösungsweg auf das Problem anzuwenden. Dies würde mit den ebenfalls schon mehrfach angewandten Methoden auch zu einer Lösung führen. Es stellt sich bei der Rechnung aber sehr früh heraus, dass die Lösung mit den bisherigen Ergebnissen zusammen hängt. Wir betrachten zuerst die vektorielle Winkelgeschwindigkeit: ~ ges ω 1 −1 0 0 ~p = a~p × ~ez + b1 0 1 0 ~p 0 00 τp |~p| a=b1 = 1 a(py − px ) 1 τp |~p| 0 (4.36) Und hier wird sofort deutlich, warum wir den Rashba- und den Dresselhaus-Parameter gleich gesetzt haben. Wir haben zwar im Gegensatz zum System mit ausschließlicher Rashba-SpinBahn-Kopplung keine Winkelgeschwindigkeit konstanten Betrages erhalten, aber die Richtung der Winkelgeschwindigkeit ist nun konstant. Die Rotationsachse zeigt also unabhängig von der Bewegungsrichtung des Elektrons in positive oder negative (1,1,0)-Richtung. Der Betrag der Winkelgeschwindigkeit ist dabei proportional zur Differenz py − px . Wir erinnern uns, dass wir ein derartiges Verhalten eines Elektrons schon bei der Betrachtung eindimensionalen Spinpolarisierung in Abschnitt 4.1.2 auf Seite 62 beobachtet hatten. Somit verhält sich der Spin eines Elektrons bei dessen Bewegung exakt, als würde man die Trajektorie auf die (-1,1,0)-Achse projizieren. Der Spin verhält sich also wie im eindimensionalen Fall. Dies gibt der eindimensionalen Betrachtung auch eine Berechtigung, selbst wenn man nur zweidimensionale Elektronengase untersucht. Auch hier hängt der Spin eines Elektrons nur noch von dessen Position und nicht mehr von dessen Vergangenheit ab. Es ist also unerheblich, auf welchem Weg das Elektron seine Position erreicht hat. Wenn jedes Elektron an einem Punkt den gleichen Spin besitzt, ist dadurch auch die Spinpolarisierung gegeben. Die Ortsabhängigkeit der Spinpolarisierung lautet: ! a(ry − rx ) 1 1 ~s(r) ~s(r) = U(r) ~s(0) = R (4.37) 0 τp vF Dieses Verhalten wird im Englischen als „persistent spin helix“ bezeichnet, was in etwa „langlebige Spinspirale“ bedeutet. Versucht man sich den Spin eines Elektrons bildlich vorzustellen, betrachtet man das Elektron manchmal naiv als Kugel, das sich mit einer bestimmten vektoriellen Winkelgeschwindigkeit, dem Spin, um seine eigene Achse dreht. Das Phänoomen der persistent spin helix kommt nun folgendermaßen zustande: bewegt sich ein Elektron geradlinig in (-1,1,0)-Richtung, so bewegt sich die Spitze eines Pfeils in Richtung des Spins mit Ursprung an der Position des Elektrons entlang einer Art Spirale. In Abbildung 4.15 ist der Versuch unternommen, diese Vorstellung grafisch darzustellen. Da diese Spinpolarisierung nun zeitunabhängig bestehen bleibt, kommt man auf den Begriff der persistent spin helix. 76 4.3. DRESSELHAUS SPIN-BAHN-KOPPLUNG KAPITEL 4. SPINDYNAMIK Spin s z 1,0 0,5 0,0 -0,5 Spin Ort -1,0 0 1 2 3 4 5 Ort r -xy + Spin s 6 7 8 9 10 -xy Abbildung 4.15.: Vorstellung einer persistent spin helix Abbildung 4.16.: Spinpolarisierung sx,y ~r, t (links) und sz ~r, t (rechts) für gleich starken Rashbaund linearen Dresselhaus-Effekt zum Zeitpunkt t = 10 mit vF = 1, τp = 1, und a = b1 = 1 77 4.3. DRESSELHAUS SPIN-BAHN-KOPPLUNG KAPITEL 4. SPINDYNAMIK Um unsere Behauptungen zu belegen, sind in Abbildung 4.16 die ortsaufgelösten Spinpolarisierungen in x- bzw y-Richtung im linken Bild und in z-Richtung im rechten Bild für eine initiale Spinpolarisierung in der entsprechenden Richtung eingezeichnet. x- und y-Richtung verhalten sich dabei gleich. Man erkennt sofort die sich ergebende persistent spin helix, die sich in dieser Auftragung in diagonalen „Spinwellen“, wie wir sie in Gleichung (4.37) vorausgesagt hatten, äußert. Während der Simulation kann man im Programm sehr gut erkennen, wie sich der Bereich, in dem sich Elektronen befinden, mit der Zeit ausbreitet, wobei das angesprochene Muster erzeugt wird und dann zu allen Zeiten gleich bleibt. Im linken Bild, also für die x- bzw. ~ ges ∼ ( 1 1 0 ) im 45◦ -Winkel zum Spin. Die Spinpolariy-Richtung, steht die Rotationsachse ω sierung in x- bzw. y-Richtung kann sich damit nie umkehren, sondern minimal Null werden. Dieses Verhalten ist auch im Bild gut zu erkennen. Demgegenüber steht die Rotationsachse im rechten Bild, also für einen initialen Spin in z-Richtung, senkrecht auf diesem. Folglich erhält man hier Bereiche, in denen sich die Spinpolarisierung vollständig umkehrt. Dieses Verhalten ist in genauer Übereinstimmung mit den Ergebnissen von Ohno und Yoh in [OY07]. 4.3.2. Spinrelaxationszeit mit Dresselhaus-Effekt Im bisherigen Verlauf dieser Arbeit haben wir, wenn wir es mit Spin-Bahn-Wechselwirkung zu tun hatten, entweder nur den Rashba-Effekt oder im letzten Abschnitt zusätzlich einen gleich starken Dresselhaus-Effekt berücksichtigt. Wir wollen nun versuchen, auch Systeme mit unterschiedlich starkem Rashba- und linearen Dresselhaus-Effekt zu analysieren. Anschließend werden wir auch den Einfluss des kubischen Dresselhaus-Terms auf die Spindynamik untersuchen. Rashba- und linearer Dresselhaus-Effekt Die in Abschnitt 2.3 entwickelte analytische Lösungsstrategie versagt, sobald wir versuchen, einen unterschiedlich starken Rashba- und linearen Dresselhaus-Effekt zu berücksichtigen. Wir haben den Grund in der Inhomogenität des Betrages der Winkelgeschwindigkeit gefunden. Dies hat es uns unmöglich gemacht, das Winkelmittel über die Rotationsmatrix R(~ ωges ~p t1 ) analytisch auszuführen. In den vorherigen Kapiteln dieser Arbeit haben wir zwar teilweise auch schon integrale durch numerische Verfahren gelöst, haben dabei aber auch festgestellt, das dies einige Probleme, insbesondere bei der Genauigkeit des Ergebnisses und der benötigten Rechenzeit, mit sich bringt. Theoretisch wäre es zwar möglich, alle vorkommenden Integrale numerisch zu lösen, in der Praxis haben wir aber in Abschnitt 4.1.3 gesehen, dass schon ein zweidimensionales numerisches Integral schwierig zu berechnen ist. Der Versuch über alle Integrationsvariablen, bisher immer mit φ, t1 , ω und für ein ortsaufgelöstes Ergebnis auch kx und ky bezeichnet, numerisch zu integrieren, wäre daher sinnlos. Für die Monte-Carlo-Simulation ändert sich durch das Hinzufügen des Dresselhaus-Terms hingegen nichts Grundlegendes. In Abschnitt 2.4 haben wir die entwickelte Simulation grob beschrieben. Sowohl linearer als auch kubischer DresselhausTerm wurden dabei mit einer Zeile in Listing 2.3 auf Seite 27 vollständig implementiert. Wir simulieren also ein zweidimensionales Elektronengas mit Rashba- und Dresselhaus-SpinBahn-Wechselwirkung unterschiedlicher Stärke. Die sich ergebenden ortsabhängigen Spinpolarisierungen für die drei Raumrichtungen sind in Abbildung 4.17 abgebildet. Es wurden hierfür bis auf den Rashba-Parameter die selben Parameter verwendet, wie im Abschnitt zuvor bei der 78 4.3. DRESSELHAUS SPIN-BAHN-KOPPLUNG KAPITEL 4. SPINDYNAMIK Abbildung 4.17.: Spinpolarisierung sx ~r, t (links), sy ~r, t (mitte) und sz ~r, t (rechts) für unterschiedlich starken Rashba- und linearen Dresselhaus-Effekt zum Zeitpunkt t = 10 mit vF = 1, τp = 1, a = 0,3 und b1 = 1 Beschreibung der persistent spin helix in Abbildung 4.16. Einzig der Rashba-Parameter a wurde auf 0,3 herabgesetzt. Obwohl sich die resultierenden Bilder doch deutlich von denen des Falls a = b1 unterscheiden, erkennt man doch Parallelen: es ergeben sich für alle drei Raumrichtungen erneut eine Art diagonale Strukturen, die durchaus mit denen der „Spinwellen“ aus Abbildung 4.16 vergleichbar sind. Im Unterschied zu den vorherigen Bildern ist die transversale Ausdehnung dieser Wellen aber nun stark begrenzt. Für die x- und y-Richtung scheint zudem die Richtung der Wellen verändert zu sein - der Wellenvektor zeigt nicht mehr exakt in (-1,1,0)-Richtung sondern ist leicht von der betrachteten Raumrichtung weggedreht. Der Fit einer ebenen Welle an die erhaltenen Daten bestätigt dies: man erhält für den Spin in x-Richtung einen Wellenvektor ~k = ( −0,80 1,09 0 ) und für die y-Richtung erhält man ~k = ( −1,09 0,80 0 ). Die genaue Übereinstimmung dieser Zahlenwerte ist kein Zufall, sondern exakt. „Spiegelt“ man das Problem an der (-1,1,0)-Achse, vertauschen die beiden Koordinaten. Außerdem ergeben sich im Unterschied zur persistent spin helix hier auch Bereiche, in denen sich die Spinpolarisierung umkehrt (im Bild blau gefärbt). Auch für die z-Richtung ergibt sich ein anderes Bild als zuvor. Man hat in Abbildung 4.16 ebene Wellen erhalten. Hier ergeben sich ellipsenförmige Wellenberge und -täler. Für den Fall a = 0, also ausschließlicher linearer Dresselhaus-Spin-BahnWechselwirkung, erhält man dagegen kreisförmige Wellen, wie sie auch in Abbildung 4.11 auf Seite 69 abgebildet sind. Es ergibt sich also ein kontinuierlicher Übergang von kreisförmigen Wellen für a = 0 über ellipsenförmige Wellen für 0 < a < b1 bis hin zu ebenen Wellen für die persistent spin helix mit a = b1 . Betrachtet man die Resultate im zeitlichen Verlauf direkt im Programm, kann man auch erkennen, dass die sich ergebenden Strukturen für a , b1 zeitlich nicht stabil sind. Sie ändern einerseits ihre Form - auch der oben gefittete Wellenvektor ist nicht konstant - andererseits relaxieren sie auch mit der Zeit. Die Relaxationszeit hängt dabei vom Unterschied von a und b1 ab und ist auch in Abbildung 4.18 zu erkennen. Dort wurden die zeitlichen Verläufe der globalen Spinpolarisierung in x- bzw. y-Richtung und z-Richtung aufgetragen. Man erkennt, dass die Relaxationszeit der Spinpolarisierung in x- oder y-Richtung bei konstantem DresselhausParameter b1 stark vom Rashba-Parameter a abhängt. Für den Fall a = b1 erkennt man an der blauen Kurve, dass sich nach einer kurzen Einschwingzeit eine konstante Spinpolarisie- 79 4.3. DRESSELHAUS SPIN-BAHN-KOPPLUNG 1,0 KAPITEL 4. SPINDYNAMIK 1,0 a=0 a=0 a=0.4 a=0.4 0,8 Spinpolarisierung <s Spinpolarisierung <s (t)> a=1 z a=1.2 x,y (t)> a=0.8 0,8 a=1.6 a=2 0,6 0,4 a=0.8 a=1 a=1.2 0,6 a=1.6 a=2 0,4 0,2 0,0 0,2 -0,2 0,0 -0,4 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Zeit t 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Zeit t Abbildung 4.18.: Verlauf der globalen Spinpolarisierung hsx,y (t)i (links) und hsz (t)i (rechts) für verschieden starken Rashba-Effekt und konstant starken linearen Dresselhaus-Effekt b1 = 1 mit vF = 1, τp = 1 rung hsx,y (t)i = 21 einstellt. Dies entspricht dem Mittelwert über die persistent spin helix, wie sie in Abbildung 4.16 links dargestellt ist. Für diesen Fall ist die Relaxationszeit τx,y also unendlich. Für Werte a , b1 relaxiert die Spinpolarisierung in endlicher Zeit. Die im rechten Bild dargestellte globale Spinpolarisierung in z-Richtung zeigt ein anderes Verhalten: hier verschwindet nach einer kurzen Einschwingzeit die Spinpolarisierung vollständig. Auch dies entspricht konsistent dem Mittelwert über die persistent spin helix in Abbildung 4.16 rechts. Kubischer Dresselhaus-Effekt Es soll nun der Spezialfall ausschließlich kubischer Dresselhaus-Spin-Bahn-Wechselwirkung, d.h. a = b1 = 0, betrachtet werden. Für die vektorielle Winkelgeschwindigkeit gilt damit: px p2y b3 ~ ges ~p = (4.38) ω −py p2x τp |~p| 0 Es ist zu bemerken, dass auch hier der Betrag nicht unabhängig von der Richtung von ~p ist. So ist zum Beispiel die Winkelgeschwindigkeit √ für eine Bewegung exakt in x- oder y-Richtung Null, wobei sie in diagonaler Richtung bis auf 2b3 p2 /τp ansteigt. Auch für den Fall ausschließlich kubischer Dresselhaus-Spin-Bahn-Wechselwirkung vermag unsere analytische Lösungsmethode keine Ergebnisse zu liefern. Die Ergebnisse der Monte-Carlo-Simulation sollen dem Leser jedoch nicht vorenthalten werden und sind in Abbildung 4.19 grafisch dargestellt. Es ist gut zu erkennen, dass sich, wie aus der Betrachtung der Winkelgeschwindigkeit zu erwarten war, kreuzförmige Strukturen ergeben. Am besten sieht man dies an der z-Richtung: in Richtung parallel zu einer der Achsen ist die Winkelgeschwindigkeit Null und es ergibt sich keine Oszillation - der Spin relaxiert nur. In diagonaler Richtung hingegen ist die Winkelgeschwindigkeit am größten und man beobachtet eine beginnende Oszillation - die Spinpolarisierung dreht sich auf dem Weg vom Ursprung weg ins Negative. 80 4.3. DRESSELHAUS SPIN-BAHN-KOPPLUNG KAPITEL 4. SPINDYNAMIK Abbildung 4.19.: Spinpolarisierung sx ~r, t (links), sy ~r, t (mitte) und sz ~r, t (rechts) mit rein kubischem Dresselhaus-Effekt zum Zeitpunkt t = 10 mit vF = 1, τp = 1, a = 0, b1 = 0 und b3 = 1 5 10 Simulation Axn (User) Modell A/x^n Gleichung tau Zeichnen Fits 4 10 A 7,98891 ± 0,12527 n 2,0033 ± 0,00622 Chi-Quadr Reduziert 0,00269 R-Quadrat(COD) 0,99702 Kor. R-Quadrat z Relaxationszeit 3 A/x^n Gleichung 10 tau Zeichnen A 2,16926 ± 0,0233 n 0,61118 ± 0,00658 Chi-Quadr Reduziert 2 10 0,99689 Axn (User) Modell 1,01467E-4 R-Quadrat(COD) 0,99911 Kor. R-Quadrat 0,99902 1 10 0 10 -1 10 0,01 0,1 1 10 100 kubischer Dresselhaus-Parameter b 3 Abbildung 4.20.: Relaxationszeit τz der Spinpolarisierung in z-Richtung in Abhängigkeit des kubischen Dresselhaus-Parameters b3 mit vF = 1, τp = 1, a = 0 und b1 = 0 81 4.3. DRESSELHAUS SPIN-BAHN-KOPPLUNG KAPITEL 4. SPINDYNAMIK Das Ziel dieses Abschnittes ist es, die Abhängigkeit der Relaxationszeit der Spinpolarisierung vom Rashba-, linearen und kubischen Dresselhaus-Parameter zu analysieren. Bevor wir uns jedoch drei unabhängigen Parametern annehmen, werden wir zuerst die Relaxationszeit mit ausschließlich kubischer Dresselhaus-Spin-Bahn-Kopplung betrachten. In Abbildung 4.20 ist die Relaxationszeit der Spinpolarisierung in z-Richtung in Abhängigkeit des kubischen DresselhausParameters b3 aufgetragen. Wir erinnern uns, dass wir für ein System mit ausschließlich RashbaSpin-Bahn-Kopplung in Abschnitt 4.1.1 die Relaxationszeiten bestimmt hatten (siehe Abbildung 4.4 auf Seite 58). Wir hatten dort analytisch und durch die numerische Simulation bestätigt herausgefunden, dass die Relaxationszeit für schwachen Rashba-Effekt τ = τp /a2 beträgt und für starken Rashba-Effekt mit τ = 2τp konstant bleibt. Die doppelt logarithmische Auftragung der Relaxationszeit für den kubischen Dresselhaus-Effekt zeigt zwei Bereiche, in denen die Ergebnisse der Monte-Carlo-Simulation in etwa auf einer Linie liegen. Dies lässt vermuten, dass ähnliche Relationen für die Relaxationszeit auch hier gelten. Wir versuchen diese mit einem Fit der Funktion f (x) = A/xn an die entsprechenden Bereiche des Graphen zu bestimmen und erhalten: 7,989x−2,003 a . 2,5 τz ≈ (4.39) 2,170x−0,6112 2,5 . a . 30 Die numerischen Daten legen also Nahe, dass sich die Relaxationszeit der Spinpolarisierung in z-Richtung bis auf einen konstanten Faktor für kleine Werte des kubischen DresselhausParameters genauso verhält, wie für kleinen Werte des Rashba- oder linearen DresselhausParameters. Für stärkeren kubischen Dresselhaus-Effekt wird die Relaxationszeit kleiner als die Relaxationszeit bei ähnlich starkem Rashba- oder linearem Dresselhaus-Effekt. Rashba-, lineare und kubische Dresselhaus-Spin-Bahn-Kopplung Es wurden nun die Parameter a, b1 und b3 , die die Stärke der Spin-Bahn-Wechselwirkungen angeben, separat untersucht. Nun sollen Systeme untersucht werden, in denen alle drei Arten der Spin-Bahn-Kopplung wirken. Wir verwenden dazu die Spinpolarisierung in x-Richtung, wie sie für die persistent spin helix in Abbildung 4.16 auf Seite 77 links dargestellt ist. In Abbildung 4.18 auf Seite 80 links sind die zeitlichen Verläufe der Spinpolarisierung in x-Richtung abgebildet. Für a , b1 und auch für b3 , 0 relaxiert die Spinpolarisierung nach einer kurzen Einschwingphase ausgehend vom Wert hsx,y i = 21 mit einer bestimmten Relaxationszeit. Wenn wir also die Einschwingphase ignorieren, können wir durch den Fit einer Exponentialfunktion an den restlichen zeitlichen Verlauf sehr genau die Relaxationszeit bestimmen. Würden wir hingegen die z-Richtung zur Bestimmung der Relaxationszeit verwenden, stünden wir vor dem Problem, dass, obwohl die globale Spinpolarisierung sehr schnell relaxiert, Strukturen in der ortsabhängigen Spinpolarisierung aber sehr langlebig sein können. Wir berechnen auf diese Art für verschiedene Werte des kubischen Dresselhaus-Parameters b3 die Spinpolarisierung in Abhängigkeit des Rashba-Parameters a bei konstantem linearen Dresselhaus-Parameter b1 = 1. Damit haben wir die Verhältnisse aller Parameter abgedeckt. Die Ergebnisse sind in Abbildung 4.21 links zu finden. Man erhält erneut Graphen, die Resonanzkurven sehr ähnlich sind. Alle Kurven besitzen ein Maximum in der Nähe von a = 1. Die Höhe 82 4.3. DRESSELHAUS SPIN-BAHN-KOPPLUNG KAPITEL 4. SPINDYNAMIK 2,0 4 10 Maximale Relaxationszeit b =0 3 10 b =0,1 Resonanzparameter a 4 3 max 1,8 Fit b =0,15 3 1,6 3 x,y 3 x,y b =0,4 1,4 3 Relaxationszeit Relaxationszeit 10 b =0,25 b =0,6 3 b =1 2 10 3 b =1,5 3 b =2,5 3 10 1,2 10 1 1,0 10 b =4 2 0 0,8 Rashba-Parameter a 3 10 3 1 10 b =6 3 10 0,6 -1 0,4 0 10 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 0 0,1 kubischer Dresselhaus-Parameter b Rashba-Parameter a 1 3 Abbildung 4.21.: Relaxationszeit τx,y in Abhängigkeit des Rashba-Parameters a für verschiedene Werte des kubischen Dresselhaus-Parameters b3 (links) und Resonanzparameter in Abhängigkeit von b3 (rechts) jeweils mit vF = 1, τp = 1 und b1 = 1 des Maximums nimmt dabei, wie zu erwarten war, mit steigendem b3 ab. Anschaulich erklärt bedeutet dies, dass ein kubischer Dresselhaus-Effekt eine Spinrelaxation bewirkt, die die persistent spin helix zerstört. Der Rashba-Parameter a, bei dem die Relaxationszeit am größten ist, wird mit steigendem b3 ebenfalls kleiner, d.h. die Maxima sind leicht nach links verschoben. Dieses Verhalten ist konsistent mit der Bezeichnung der Kurven als Resonanzkurven. Dabei übernimmt der kubische Dresselhaus-Effekt eine Rolle ähnlich der Dämpfung in einem schwingenden System. In Abbildung 4.21 rechts sind die Positionen der Maxima amax eingezeichnet. Auch hier sieht man, dass sowohl der Wert des Rashba-Parameters a, bei dem Resonanz auftritt, als auch die maximale Relaxationszeit τx,y mit steigender Stärke des kubischen Dresselhaus-Effekts b3 abnehmen. Unsere Ergebnisse sollen nun mit denen von Ohno und Yoh verglichen werden. Dabei ist jedoch Vorsicht geboten, da Ohno und Yoh in ihren Berechnungen zur Spinrelaxation nicht nur die Relaxationszeit beschreiben, sondern auch die Spindiffusionslänge als Maß heranziehen. Da es sich bei der Bewegung der Elektronen aber um einen Random Walk handelt, sind die Spindiffusionslänge und die Relaxationszeit über die mittlere Ausbreitungsgeschwindigkeit der Elektronen miteinander verknüpft und können qualitativ miteinander verglichen werden. Wir haben zuvor bereits festgestellt, dass unsere Ergebnisse im Fall a = b1 und b3 = 0, also der persistent spin helix, mit denen von Ohno und Yoh übereinstimmen. Um die restlichen Ergebnisse zu vergleichen, wurden unsere Ergebnisse grafisch über die Diagramme von Ohno und Yoh aus der Onlineversion ihrer Paper gelegt. So lässt sich in etwa erkennen, ob die Ergebnisse übereinstimmen, ohne die numerischen Daten von Ohno und Yoh zur Verfügung zu haben. Wir vergleichen unsere Relaxationszeit aus Abbildung 4.21 für b3 = 0 mit Abbildung 1 aus [OY07] und stellen fest, dass die Verläufe der Graphen zwar grob zusammen passen - insbesondere in der Umgebung der Resonanz decken sich die Ergebnisse näherungsweise - an anderer Stelle jedoch signifikant voneinander abweichen. So berechnen wir für alle Werte von a eine größere Relaxationszeit als Ohno und Yoh. Dies könnte nun verschiedene Ursachen haben: zum Einen verwenden Ohno 83 4.4. ANISOTROPE STREUUNG KAPITEL 4. SPINDYNAMIK und Yoh andere Parameter für ihre Simulation - sie lehnen die Werte der Simulationsparameter an reale Messdaten an, wohingegen wir diese Parameter normalisiert gewählt haben. Zum andern können auch die Methoden, die verwendet werden um die Relaxationszeit zu ermitteln, Einfluss auf die Daten haben. Ohno und Yoh zeigen auch zwei Graphen für Ergebnisse mit kubischem Dresselhaus-Term. Der Vergleich mit unseren Resultaten zeigt wieder, dass die Formen zwar ähnlich sind, die Zahlenwerte jedoch voneinander abweichen. Es ist zu beachten, dass wir hier zwei unterschiedliche Größen, die Relaxationszeit und die Spindiffusionslänge, vergleichen. Obwohl diese Größen über die Ausbreitungsgeschwindigkeit beim Random Walk miteinander in Beziehung stehen, handelt es sich hier also nur um einen qualitativen Vergleich. Zusätzlich wird in [OY07, S. 3] die Position des Maximums mit amax = b1 − Ab3 angegeben, wobei A aus den Simulationsparametern resultiert. Da wir im rechten Diagramm in Abbildung 4.21 eine logarithmische x-Achse gewählt haben, um einen größeren Parameterbereich für b3 abzudecken, ist nicht ohne Weiteres erkennbar, ob sich die Position des Maximums linear aus b3 ergibt, wie von Ohno und Yoh vorgeschlagen. Betrachtet man das gleiche Bild mit linearer x-Achse sieht man, dass für nicht allzu große b3 tatsächlich ein linearer Zusammenhang gilt. Wir fitten die angegebene Funktion für b3 ≤ 1,5 und erhalten: amax ≈ b1 − 0,287b3 (4.40) Im Bild ist dieser Verlauf grün eingezeichnet und man sieht, dass er die Position des Maximums in etwa wiedergibt. Es ergeben sich aber doch sichtbare Abweichungen, insbesondere für größere Werte von b3 und damit kleinere Relaxationszeiten. Es haben sich hier zwar einige Abweichungen von den Resultaten von Ohno und Yoh ergeben, die durch unterschiedliche Rahmenbedingungen zu erklären waren, zusammenfassend lässt sich aber sagen, dass unsere Ergebnisse mit denen von Ohno und Yoh konsistent waren. In diesem Abschnitt haben wir also nun, zusätzlich zu der schon behandelten Rashba-Spin-OrbitWechselwirkung, auch verschiedene Aspekte der Dresselhaus-Spin-Bahn-Kopplung mit in unser Modell eingearbeitet. Dabei konnten wir den Effekt der persistent spin helix zufriedenstellend erklären. Im allgemeinen Fall war zwar keine analytische Analyse des Modells mehr möglich, wir konnten aber mit Hilfe der numerischen Simulation zeigen, dass unsere Resultate sowohl untereinander als auch mit Ergebnissen aus der Literatur konsistent sind. 4.4. Anisotrope Streuung Im letzten Abschnitt haben wir unser Modell eines zweidimensionalen Elektronengases um die Dresselhaus-Spin-Bahn-Wechselwirkung erweitert und die Auswirkungen ausführlich analysiert. Es soll nun ein anderer Aspekt des Modells verändert werden. Wir werden uns nochmals mit anisotroper Störstellenstreuung beschäftigen. In Abschnitt 3.2.2 hatten wir uns bereits mit der Ladungsdynamik unter Einfluss eines elektrischen Feldes und anisotroper Störstellenstreuung beschäftigt. Hier soll nun die Spindynamik für ein zweidimensionales Elektronengas mit Rashba-Spin-Bahn-Wechselwirkung und anisotroper Störstellenstreuung analysiert werden. Ein elektrisches Feld werden wir hier im Gegensatz zur Ladungsdynamik nicht berücksichtigen. Bei den Berechnungen zur Ladungsdynamik in Abschnitt 3.2.2 war es uns möglich, eine beliebige Anisotropie in der Winkelverteilungsfunktion der Störstellenstreuung zu berücksichtigen. 84 4.4. ANISOTROPE STREUUNG KAPITEL 4. SPINDYNAMIK Um die Anisotropie in das analytische Modell aus Abschnitt 2.3 mit einzubeziehen, müssen wir uns erneut die Zeitentwicklung eines einzelnen Elektrons vornehmen. In Gleichung (2.44) auf Seite 20 haben wir die Zeitentwicklung der Spinpolarisierung für ein System, dessen Elektronen genau einmal gestreut werden, beschrieben. Eine anisotrope Störstellenstreuung wird durch eine Winkeldichtefunktion w(φ) beschrieben. Sie beschreibt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Elektron bei einer Streuung eine Änderung des Impulses - also der Flugrichtung - um den Winkel φ erfährt. Bei der Beschreibung der Zeitentwicklung der Spinpolarisierung wurde mit φ1 über den Winkel des ersten Flugabschnitts, also bis zum Zeitpunkt der Streuung t1 , und mit φ2 über den Winkel des zweiten Flugabschnitts, also vom Zeitpunkt der Streuung t1 bis t = t1 + t2 integriert. Um nun die anisotrope Streuung zu beschreiben genügt es, in dieser Integration die Winkeldichtefunktion für die Winkeländerung von φ1 hin zu φ2 in Form von w(φ2 − φ2 ) miteinzubeziehen. Man erhält für die Zeitentwicklung: U2 (t) = Z∞ Z2π dt2 p(t2 ) 0 0 dφ2 ~ ges ~p2 t2 R ω 2π Z∞ Z2π dt1 p(t1 ) 0 t1 + t2 − t dφ1 ~ ges ~p1 t1 δ w(φ2 − φ1 )R ω 2π τp ! 0 mit ~pi = pF cos φi sin φi 0 In dieser Gleichung lassen sich nun aber die Integrale über t1 und φ1 und die über t2 und φ2 nicht mehr einzeln ausführen, da die Integranden nun über die Winkeldichtefunktion w(φ2 − φ1 ) miteinander in Beziehung stehen und somit nicht mehr unabhängig sind. Damit kann man die Anzahl der Streuungen nicht mehr wie in Gleichung (2.47) auf Seite 21 als Potenz schreiben und unsere Lösungsstrategie versagt. Um die Unabhängigkeit der Integranden wieder herzustellen wählt man eine spezielle Form der Anisotropie: w(φ2 − φ1 ) = 1 + cos(φ2 − φ1 ) = = 1 + cos(φ2 ) cos(φ1 ) + sin(φ2 ) sin(φ1 ) (4.41) Wir haben diese Anisotropie bereits in Gleichung (3.53) auf Seite 47 als einfachste Möglichkeit, einen nicht verschwindenden Wert in hhcos φii zu erhalten, verwendet. Der Parameter beschreibt die Stärke und „Richtung"der Anisotropie. Ein Wert −1 ≤ < 0 beschreibt vorwiegende Rückstreuung, 0 < ≤ 1 steht für bevorzugte Vorwärtsstreuung. Für = 0 erhält man isotrope Streuung. Um zu verstehen, warum diese spezielle Anisotropie für unsere Rechnungen vorteilhaft ist, müssen wir die Zeitentwicklung für mehr als eine Streuung untersuchen. Da die Formeln dabei recht lang werden, ist im Folgenden nur das Wesentliche für die Überlegungen zur Anisotropie abgedruckt. Wir wählen dabei eine vereinfachte Schreibweise für die Integrale ohne Integrationsgrenzen, deuten die Differentiale sowie die Deltafunktion durch „...“ an und ~ ges ~p weglassen und die Abhänvereinfachen die Notation der Rotationsmatrix indem wir ω gigkeit von der Richtung des Impulses explizit schreiben. Wir erhalten für die Zeitentwicklung eines Systems dessen Elektronen genau zwei mal gestreut werden: Z U3 (t) = ... R φ3 , t3 w φ3 − φ2 R φ2 , t2 w φ2 − φ1 R φ1 , t1 = Z = ... R φ3 , t3 R φ2 , t2 R φ1 , t1 1 + cos(φ3 ) cos(φ2 ) + sin(φ3 ) sin(φ2 ) 1 + cos(φ2 ) cos(φ1 ) + sin(φ2 ) sin(φ1 ) = . . . 85 4.4. ANISOTROPE STREUUNG KAPITEL 4. SPINDYNAMIK Dabei haben wir in der zweiten Zeile die gewählte Winkeldichtefunktion (4.41) eingesetzt. Um die beiden Winkeldichtefunktionen auszumultiplizieren definiert man folgende Matrix M(φ) mit den Summanden der Winkeldichtefunktion: √ √ cos φ sin φ 1 √ M(φ) := cos φ (4.42) cos2 φ cos φ sin φ √ 2 sin φ cos φ sin φ sin φ Man kann nun das Produkt der beiden Winkeldichtefunktionen w(φ3 − φ2 ) und w(φ2 − φ1 ) ausmultiplizieren und durch Summen über die Elemente der Matrix M(φ) darstellen: ... = Z 3 X 3 X ... R φ3 , t3 R φ2 , t2 R φ1 , t1 M1r φ3 Mrs φ2 M s1 φ1 = . . . r=1 s=1 Man erkennt, dass die beiden Summen genau die (1,1)-Komponente des Matrixproduktes der drei M(φi ) berechnen: Z . . . = ... R φ3 , t3 R φ2 , t2 R φ1 , t1 M(φ3 )M(φ2 )M(φ1 ) = . . . 11 Da Matrixprodukte im Allgemeinen nicht kommutieren, können wir die Matrizen nicht einfach umsortieren, um die Zeitentwicklung als Matrixpotenz zu schreiben. Wir können dies aber mit dem Kronecker-Produkt umgehen: Z . . . = ... M(φ3 ) ⊗ R(φ3 , t3 ) M(φ2 ) ⊗ R(φ2 , t2 ) M(φ1 ) ⊗ R(φ1 , t1 ) (4.43) [1.. 3; 1.. 3] Dieses Ergebnis bedarf etwas genauerer Erklärung: wir bilden hier drei mal das Kronecker Produkt von M(φi ) und R(~ ωges ~pi ti ). Es handelt sich hierbei um zwei 3 × 3-Matrizen, womit das Kronecker-Produkt eine 9 × 9-Matrix liefert. Dann wird das Matrixprodukt dieser drei 9 × 9Matrizen gebildet und schließlich, dargestellt durch die Notation ( . )[1.. 3; 1.. 3] , die obere linke 3 × 3-Matrix herausgegriffen. Erst dann werden die Integrale ausgeführt. Wir haben unsere Rechnung damit auf den ersten Blick zwar verkompliziert, unser Ziel aber erreicht: die Integrationsvariablen sind im Integranden nun wieder nach Index gruppiert. Wir können die Zeitentwicklung eines Systems dessen Elektronen genau n − 1 mal gestreut werden nun wieder über eine Matrixpotenz schreiben: Un (t) = τp Z∞ dω −iωt n e F (ω) [1.. 3; 1.. 3] 2π (4.44) −∞ F(ω) = Z∞ Z2π dt1 p(t1 ) e 0 iωt1 dφ1 ~ ges ~p1 t1 M φ1 ⊗ R ω 2π 0 Damit haben wir das Problem der anisotropen Streuung für die spezielle Form der Anisotropie aus Gleichung (4.41) vollständig gelöst. Wir müssen zwar noch über alle möglichen Streuanzahlen, also von 1 bis ∞ summieren, die weiteren Betrachtungen aus Abschnitt 2.3 behalten aber 86 4.4. ANISOTROPE STREUUNG KAPITEL 4. SPINDYNAMIK ihre Gültigkeit und wir erhalten für die zeitabhängige Spinpolarisierung eines zweidimensionalen Elektronengases mit Rashba-Spin-Bahn-Wechselwirkung und anisotroper Streuung: ~s(t) = U(t) ~s(0) U(t) = τp Z∞ −∞ ∞ Z ∞ −1 dω −iωt X n dω −iωt e F (ω) = τp e F(ω) 1 − F(ω) [1.. 3; 1.. 3] 2π 2π [1.. 3; 1.. 3] n=1 −∞ Es handelt sich bei F(ω) zwar nun um eine 9 × 9-Matrix, für die Rechnung macht dies aber keinen Unterschied: auch eine 9 × 9-Matrix lässt sich problemlos invertieren. Die Rechnungen per Hand durchzuführen wäre zwar theoretisch möglich, aber unnötiger Aufwand. Wir führen die beschriebenen Schritte mit Mathematica aus und erhalten: 2 2 i(a +i(−2+2iτp ω)(i+τp ω)) 0 0 a (i+2τp ω)−τp ω(i+τp ω)(2i−i+2τp ω) −1 (4.45) .. F(ω) 1 − F(ω) = . 0 0 [1.. 3; 1.. 3] 2−−2iτp ω 0 0 2a2 +iτp ω(−2+2τp ω) Die (2,2)-Komponente entspricht der (1,1)-Komponente und ist deshalb hier nicht mit angegeben. Da wir auch bei der anisotropischen Störstellenstreuung keine Richtung ausgezeichnet haben, verhalten sich x- und y-Richtung folglich wieder gleich. Es bleibt noch die ω-Integration auszuführen. Man erhält für die z-Richtung mit den Polstellen bei p −2i + i ± 16a2 − ( − 2)2 (4.46) ω1,2 = 4τp und dem Residuensatz: U(t)33 = −iτp 2 X i=1 e−iωt Resωi 2 − − 2iτp ω 2a2 + iτp ω( − 2 + 2τp ω) e = (−2)t 4τp A cos At 4τp − ( − 2) sin At 4τp Aτp (4.47) A= p (2 − + 4a)(−2 + + 4a) Auch für die x- und y-Richtung lasst sich das Integral mit dem Residuensatz ausführen. Da es sich beim Nenner von Gleichung (4.45) dann aber um ein Polynom dritten Grades handelt, erhält man auch drei Polstellen und folglich ein Ergebnis, das bei weitem nicht mehr so kompakt darstellbar ist wie das der z-Richtung. Es wird daher auf die vollständige Angabe des Ergebnisses verzichtet und nur in Abbildung 4.22 links grafisch dargestellt. Die Resultate für die z-Richtung sind im rechten Bild abgedruckt. Zusätzlich zu den analytischen Ergebnissen sind auch die Daten der Monte-Carlo-Simulation für die gleiche anisotrope Streuung mit eingezeichnet. Die numerischen Daten decken sich dabei perfekt mit den analytischen Ergebnissen. Dies spricht für die Korrektheit beider Resultate. Die Winkeldichtefunktion wurde in der numerischen Simulation über eine stückweise lineare Verteilung realisiert, wobei darauf geachtet wurde, dass der Kosinus aus Gleichung (4.41) in genügend kleinen Intervallen abgetastet wurde. In den Bildern wird deutlich, dass die Anisotrope einen starken Einfluss auf den Verlauf der Spinpolarisierung hat. Es ist jedoch anhand der Verläufe der Spinpolarisierung nicht auf den ersten Blick erkennbar, wie sich die Anisotropie im Detail auf die Spinpolarisierung auswirkt. Für 87 4.4. ANISOTROPE STREUUNG KAPITEL 4. SPINDYNAMIK 1,0 1,0 =-1 =-1 =0 Spinpolarisierung <s (t)> Spinpolarisierung <s =-0,5 0,8 =0 0,8 =0,5 x,y =1 Simulation 0,6 =0,5 0,6 =1 z (t)> =-0,5 0,4 0,2 Simulation 0,4 0,2 0,0 -0,2 -0,4 0,0 -0,6 0 2 4 6 8 10 0 2 4 Zeit t 6 8 10 Zeit t Abbildung 4.22.: Verlauf der Spinpolarisierung hsx,y (t)i (links) und hsz (t)i (rechts) für verschieden starke Anisotropien der Form (4.41) mit vF = 1, τp = 1 und a = 1 Simulation 4,0 Simulation 4,0 analytisch analytisch z Relaxationszeit Relaxationszeit x,y 3,5 3,5 3,0 2,5 3,0 2,5 2,0 2,0 1,5 1,5 -1,0 1,0 -0,5 0,0 0,5 1,0 Anisotropieparameter -1,0 -0,5 0,0 0,5 1,0 Anisotropieparameter Abbildung 4.23.: Relaxationszeit τx,y und τz der Spinpolarisierung in x- bzw. y-Richtung (links) und zRichtung (rechts) in Abhängigkeit des Anisotropieparameters mit vF = 1, τp = 1 und a=1 88 4.5. MAGNETISCHES FELD KAPITEL 4. SPINDYNAMIK kleine Zeiten t . 2,5 bewirkt eine bevorzugte Vorwärtsstreuung > 0 ein rascheres Abfallen der Spinpolarisierung in allen Raumrichtungen. Für Raumrichtungen in der xy-Ebene fällt die Spinpolarisierung bis auf Null ab, für die z-Richtung hingegen bis weit ins Negative. Für eine starke Rückstreuung ≈ 1 erhält man hingegen in allen Raumrichtungen einen Kriechfall. Man könnte also annehmen, dass die Spinrelaxationszeit mit dem Anteil der Rückstreuung steigt. Für die z-Richtung ist aber das Gegenteil der Fall. Für starke Vorwärtsstreuung fällt die Spinrelaxation zwar schnell ab, schwingt dann aber um so länger, je größer der Anteil der Vorwärtsstreuung ist. Um dieses Verhalten genauer zu überprüfen, berechnen wir aus den Polstellen gemäß Gleichung (4.10) auf Seite 58 die Relaxationszeiten. Zusätzlich ermitteln wir die Relaxationszeiten durch einen geeigneten Fit an die Simulationsergebnisse. Die Resultate sind in Abbildung 4.23 dargestellt. Unsere ersten Beobachtungen werden bestätigt: die Relaxationszeit bezogen auf den Anisotropieparameter verhält sich für Raumrichtungen in der xy-Ebene und die z-Richtung signifikant unterschiedlich. In der xy-Ebene fällt die Relaxationszeit mit steigendem Anisotropieparameter . Dabei besteht ein ungefähr linearer Zusammenhang zwischen den beiden Größen. Für die z-Richtung steigt die Relaxationszeit dagegen mit steigendem Anisotropieparameter , also mit steigendem Anteil der Vorwärtsstreuung. Die Relaxationszeit hängt dabei ungefähr exponentiell von ab. Dieses grundlegend verschiedene Verhalten ist anschaulich nicht einfach zu erklären. Es lässt sich aber unter Betrachtung der Polstellen - die die Relaxationszeit und Frequenz der jeweiligen Schwingung definieren - etwas genauer analysieren. Man erhält in allen Raumrichtungen zwei Polstellen, deren Imaginärteil mit dem Anisotropieparameter steigt, d.h. die Relaxationszeit der entsprechenden Schwingung sinkt. Für den Fall eines Spins in der x- oder y-Richtung erhält man aber, wie oben erwähnt, drei Polstellen und der Imaginärteil der dritten Polstelle ist kleiner als der der ersten beiden und sinkt mit kleiner werdendem weiter. Diese dritte Polstelle ist also für die größere Relaxationszeit eines Spins in x- oder y-Richtung bei bevorzugter Rückstreuung verantwortlich. Obwohl wir dieses Verhalten anschaulich nicht erklären können, liefern die analytische Rechnung und die Monte-Carlo-Simulation das gleiche Ergebnis. In den Bildern sieht man, dass die numerischen Ergebnisse genau zum Verlauf der analytischen passen. Damit kann davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei nicht um einen Fehler in unserer Rechnung oder ein Artefakt der Simulation handelt, sondern dass diese Voraussagen das Modell korrekt beschreiben. Damit wollen wir die Betrachtung der anisotropen Streuung abschließen und uns im nächsten Abschnitt einem anderen Aspekt des Modells widmen. 4.5. Magnetisches Feld In den bisherigen Abschnitten haben wir uns in erster Linie mit den intrinsischen Eigenschaften des ein- und zweidimensionalen Elektronengases beschäftigt. In den nun folgenden zwei Abschnitten werden wir Effekte betrachten, die in gewisser Weise von außen auf das Elektronengas wirken. Wir beginnen mit einem äußeren Magnetfeld. Bei der Herleitung der Bewegungsgleichungen in Abschnitt 2.2 haben wir ein magnetisches Feld bereits in die Überlegungen miteinbezogen und sind zu dem Schluss gekommen, dass die beiden Effekte der Spin-BahnWechselwirkung und ein äußeres magnetisches Feld gleich wirken und zusammen die Spinprä ~ ges ~p bewirken. Diese lautet für ein zweidizession mit vektorieller Winkelgeschwindigkeit ω 89 4.5. MAGNETISCHES FELD KAPITEL 4. SPINDYNAMIK mensionales Elektronengas mit Rashba-Spin-Bahn-Wechselwirkung und äußerem magnetischen Feld: a ~p × ~ez ~ ~ ges ~p = ω − γs B τp |~p| (4.48) Der erste Term beschreibt den Rashba-Effekt und liegt in impulsabhängiger Richtung in der xy-Ebene. Daraus folgt für unsere Berechnungen die Richtung des äußeren Magnetfeldes: wir können in den analytischen Rechnungen nur ein Magnetfeld in z-Richtung berücksichtigen. Ist das Magnetfeld nicht exakt parallel zur z-Richtung, erhalten wir einen von der Richtung des Impulses abhängigen Betrag der Winkelgeschwindigkeit. Die sich dadurch ergebenden Probleme wurden in Abschnitt 4.1.1 bereits genauer besprochen und machen uns auch hier die Winkelintegration unmöglich. Beschränken wir uns aber auf ein Magnetfeld in z-Richtung bilden Rashba-Magnetfeld und äußeres Magnetfeld ein rechtwinkliges Dreieck und wir erhalten als Hypotenuse die Winkelgeschwindigkeit mit konstantem Betrag. Wir verwenden also für das äußere Magnetfeld im Folgenden: 0 1 ~ B=− 0 γs τp Bz (4.49) Es wurde nicht nur die Richtung festgelegt, sondern auch eine Skalierung vorgenommen. Wir definieren den dimensionslosen Parameter Bz analog zum Rashba-Parameter a in Gleichung (2.33) auf Seite 17 um die folgenden Rechnungen etwas zu vereinfachen. Alle folgenden Rechnungen verlaufen gemäß dem schon mehrfach angewandten Modell aus Abschnitt 2.3.2. Wir führen das Winkelmittel und die Zeitintegration gemäß Gleichung (2.46) auf Seite 21 aus und erhalten: 2 i(a2 −2(i+τp ω) Bz τp − 0 2(i+τp ω)(a2 +B2z −(i+τp ω)2 ) a2 +B2z −(i+τp ω)2 2 −2(i+τ ω 2 i a B τ ( ) p z p (4.50) F(ω) = 0 2 2 2 2 2 2 a +Bz −(i+τp ω) 2(i+τp ω)(a +Bz −(i+τp ω) ) i( B2z −(iτp ω)2 ) 0 0 (i+τp ω)(a2 +B2z −(i+τp ω)2 ) Auch hier ergibt sich wieder, wie in dieser Arbeit schon des öfteren, ein unterschiedliches Verhalten für Spinpolarisierungen in der xy-Ebene und in z-Richtung. Die Resultate für die x- bzw. y-Richtung sind auch in diesem Abschnitt wieder sehr unhandlich und werden deshalb nicht explizit abgedruckt, deren Berechnung stellt aber abgesehen von der Länge der Formeln keinerlei Probleme dar. In diesem Fall trifft dies auch auf die z-Richtung zu, allerdings lassen sich hier zumindest die Polstellen, und damit die Relaxationszeiten noch mit akzeptablem Platzaufwand angeben. Mit i B2z − (i + τp ω)2 F33 (ω) = (4.51) 1 − F33 (ω) a2 (i + τp ω) + τp ω B2z − (iτp ω)2 90 4.5. MAGNETISCHES FELD KAPITEL 4. SPINDYNAMIK 1,0 1,0 B =0,1 B =0,1 B =0,2 B =0,2 z 0,8 z z 0,8 B =0,5 0,6 z Spinpolarisierung <s (t)> Spinpolarisierung <s B =1 z 0,4 B =2 z Simulation 0,2 B =0,5 z B =1 z z x,y (t)> z 0,0 -0,2 -0,4 B =2 0,6 z Simulation 0,4 0,2 -0,6 0,0 -0,8 -1,0 -0,2 0 2 4 6 8 10 0 2 Zeit t 4 6 8 10 Zeit t Abbildung 4.24.: Verlauf der Spinpolarisierung hsx,y (t)i (links) und hsz (t)i (rechts) für verschieden starke äußere Magnetfelder mit vF = 1, τp = 1 und a = 1 liegen diese bei: 2i + ω1 = − 3τp √3 √3 2 1 − 3a2 − 3B2z τp A − √3 √3 3 A 3 2τ3p √ √ √3 2 − 3B2 τ 3 1 − 3a 3 A 1 ± i 1 ∓ i p 2i z − + =− √3 √3 2 3τp 3 4A 6 2τp (4.52) ω2,3 A = −i −2 + 9a − 2 18B2z √ τp + 3 3 r (4.53) 2 −4a6 − 4a2 B2z −5 + 3B2z − a4 −1 + 12B2z − 4 Bz + B3z τ12 p Auch wenn dieses Ergebnis auf den ersten Blick recht wenig Aussagekraft besitzt, so kann man zumindest eine Schlussfolgerung daraus ziehen: die Stärke des äußeren Magnetfeldes taucht nur in geraden Potenzen auf. Diese Tatsache berechtigt zu der Aussage, dass die Relaxationszeit invariant unter Umkehrung des Magnetfeldes ist. Es wird hier auf die Angabe des exakten Ergebnisses für die Spinpolarisierung verzichtet, da dies hier in etwa zwei bis drei Seiten beanspruchen würde. Stattdessen wird als Beispiel nur das Ergebnis für eine spezielle Wahl der Parameter, τp = 1, a = 1 und Bz = 1, angegeben: hsz (t)i = 0,722124e−0,43015t + 0,49075e−0,78492t cos(1,30714t − 0,968875) (4.54) Für die x- bzw. y-Richtung erhält man im Nenner von Gleichung (4.51) ein Polynom sechsten Grades in ω und damit auch insgesamt sechs Polstellen, womit das Ergebnis noch um einiges länger wird. Zur exakte Berechnung wurde daher mit Mathematica ein Computeralgebrasystem herangezogen, womit diese keine Schwierigkeit mehr darstellt. In Abbildung 4.24 sind die Ergebnisse grafisch dargestellt. Es wurden erneut die Ergebnisse der Monte-Carlo-Simulation mit eingezeichnet. Analytisch berechnete und simulierte Verläufe der Spinpolarisierung passen für jede Raumrichtung perfekt zusammen. Damit kann auch die 91 4.5. MAGNETISCHES FELD KAPITEL 4. SPINDYNAMIK Simulation Simulation 4 4 10 analytisch 3 z 2 10 1 10 2 10 1 10 10 0 0 10 0,01 analytisch 3 10 Relaxationszeit Relaxationszeit x,y 10 10 0,1 1 10 100 Stärke des äußeren Magentfelds B 0,01 0,1 1 10 100 Stärke des äußeren Magentfelds B z z Abbildung 4.25.: Relaxationszeit τx,y und τz der Spinpolarisierung in x- bzw. y-Richtung (links) und zRichtung (rechts) in Abhängigkeit der Stärke des äußeren Magnetfeldes Bz mit vF = 1, τp = 1 und a = 1 analytische Rechnung dieses Abschnitts als korrekt betrachtet werden. Wie zu erwarten war, induziert ein externes Magnetfeld eine mehr oder weniger starke Oszillation in der Spinpolarisierung. Für die x- und y-Richtung ist diese Schwingung sehr stark ausgeprägt. Die Frequenz dieser Schwingung steigt naturgemäß mit der Stärke des Magnetfeldes. Dies ist besonders in den Verläufen der x- und y-Richtung gut zu erkennen. Im Verlauf der Spinpolarisierung in zRichtung hingegen ist die Oszillation nur für kleine Zeiten zu erkennen und verschwindet dann mit der Zeit. Außerdem lässt sich an den Bildern erahnen, dass die Relaxationszeit für ein stärkeres externes Magnetfeld ansteigt, d.h. das äußere Magnetfeld wirkt spinerhaltend. Dies lässt sich erklären, wenn man sich überlegt, wie sich die vektorielle Winkelgeschwindigkeit für extrem starke Magnetfelder verhält: um so größer das externe Magnetfeld ist, um so geringer wird der Einfluss des Rashba-Effekts im Vergleich. Für extrem starke Magnetfelder |Bz | 0 ist die ~ ges ~p näherungsweise konstant und damit unabhängig von ~p. Damit Winkelgeschwindigkeit ω kann die Spinpolarisierung nicht relaxieren. Zur genaueren Untersuchung tragen wir die Relaxationszeit τ in Abhängigkeit von der Stärke des äußeren Magnetfeldes auf. Die Ergebnisse sind in Abbildung 4.25 zu finden. Man sieht, dass relativ kleine Magnetfelder, Bz . 0,1, die Spinrelaxation nicht oder nur sehr wenig beeinflussen. Für mittelstarke Magnetfelder, 0,1 . Bz . 0,5, verstärkt das Magnetfeld hingegen die Spinrelaxation leicht, d.h. die Relaxationszeit sinkt. Dies war in den zeitlichen Verläufen der Spinpolarisierung so nicht ohne weiteres zu erkennen. Relativ starke Magnetfelder, Bz & 0,5, wirken dann, wie aus Abbildung 4.24 schon ersichtlich war, spinerhaltend und die Spinrelaxationszeit steigt mit größer werdendem Bz stark an. Die Monte-Carlo-Simulation sagt auch hier mit der analytischen Rechnung konsistente Relaxationszeiten voraus. Es ergeben sich zwar insbesondere im Bereich der Minima kleinere Abweichungen - die Relaxationszeiten der Simulation sind etwas zu klein - jedoch handelt es sich dabei um Artefakte des Fits, der zur Bestimmung der Relaxationszeit verwendet wurde. 92 4.6. EINFLUSS VERSCHIEDENER WÄNDE KAPITEL 4. SPINDYNAMIK Nun könnte man hoffen, einen technisch wertvollen Mechanismus zur Unterdrückung der Spinrelaxation gefunden zu haben, der im besten Fall zur Realisierung von spintronischen Bauteilen ausgenutzt werden könnte. Wir haben aber in unseren Betrachtungen die Lorentzkraft vernachlässigt und in Gleichung (2.6) auf Seite 13 eine Bedingung für die Gültigkeit dieser Vereinfachung gegeben. Diese lautet: ~ m ≈ 5,68562 · 10−12 Ts τp | B| |q| (4.55) Dabei bezeichnet m die Masse des Elektrons und q dessen Ladung. Auf der anderen Seite ergibt sich nur für einen Wert von Bz & 1 eine spinerhaltende Wirkung des Magnetfeldes. Gemäß Gleichung (4.49) ergibt sich daraus ~ & Bz ≈ 5,67904 · 10−12 Ts τp | B| γs (4.56) wobei das gyromagnetische Verhältnis des Elektrons γs ≈ 1,760859 · 1011 /(Ts) verwendet wurde.1 Im hier relevanten Bereich von Bz ist also die Vereinfachung, die Lorentzkraft zu vernachlässigen, nicht mehr gerechtfertigt und es müsste eine genauere Betrachtung unter Einbeziehung dieser erfolgen um brauchbare Aussagen über die Spinpolarisierung für starke Magnetfelder treffen zu können. Auch wenn die Aussage, dass ein äußeres Magnetfeld spinpolarisierend wirken kann, aufgrund der Vernachlässigung der Lorentzkraft nicht ohne Weiteres haltbar ist, konnte doch gezeigt werden, dass unser Modell in gewissen Grenzen auch für ein äußeres magnetisches Feld analytische exakt gelöst werden kann. 4.6. Einfluss verschiedener Wände Im letzten Abschnitt haben wir mit einem externen Magnetfeld einen äußeren Effekt, der auf das Elektronengas wirkt, untersucht. Einen weiteren äußeren Effekt, der die Elektronen beeinflusst, stellen Wände dar. Diese beschreiben eine weitere Einschränkung der zweidimensionalen Bewegungsfreiheit der Elektronen auf einen bestimmten Bereich in einer Richtung - wir wählen ohne Beschränkung der Allgemeinheit die y-Richtung - lassen die Elektronen aber in dazu orthogonaler Richtung in ihrer Bewegung unbeeinflusst. Ohne Wände konnten die Elektronen sich in der xy-Ebene frei bewegen und werden nur von Störstellen oder eventuell einem elektrischen Feld wie in Gleichung (3.50) beeinflusst. Nun fügen wir dem System zwei Wände parallel zur x-Richtung im Abstand L hinzu. Im einfachsten Fall nehmen wir die Wände als reflektierend an. Trifft ein Elektron mit Impuls ~p auf eine der Wände, so wird es daran instantan und elastisch reflektiert, d.h. der zur Wand senkrechte Teil des Impulses ändert sein Vorzeichen und das Elektron verlässt die Wand mit dem Impuls: px ~p0 = −py (4.57) 0 1 http://physics.nist.gov/cgi-bin/cuu/Value?gammae 93 4.6. EINFLUSS VERSCHIEDENER WÄNDE KAPITEL 4. SPINDYNAMIK x-Richtung 6 10 y-Richtung z-Richtung ¥ analytisch (L= ) Fit 5 Relaxationszeit 10 Axn (User) Modell Gleichung Zeichnen 4 10 A/x^n y-Richtung A 2,79905E6 ± 387350,95038 n 1,78809 ± 0,05119 Chi-Quadr Reduziert 0,05117 R-Quadrat(COD) 0,93351 Kor. R-Quadrat 0,9296 3 10 2 10 1 10 100 W andabstand L Abbildung 4.26.: Relaxationszeit τ der Spinpolarisierung in allen drei Raumrichtungen in Abhängigkeit vom Wandabstand L mit τp = 1 und a = 0,05 Dabei wird der Impuls 2py auf die Wand übertragen. Da wir die Wände als unbeweglich ansehen, wird dieser Impuls einfach „verschluckt“. Dieses Bild der Wände entspricht dem Modell von Kiselev und Kim in [KK00] und wurde bereits im Fachpraktikum ausführlich analysiert. 4.6.1. Reflektierende Wände Im Folgenden sollen die wichtigsten Resultate der Analyse eines Systems mit Wänden nochmals kurz aufgezeigt werden, da wir die Betrachtungen im nächsten Abschnitt auf diesen Ergebnissen aufbauen werden. Das in dieser Arbeit verwendete analytische Lösungsverfahren für das zweidimensionale Elektronengas mit Spin-Bahn-Kopplung stößt bei einem System mit Wänden an seine Grenzen. Es gibt keine praktikable Möglichkeit, die Reflektion an einer Wand in die analytischen Rechnungen miteinzubeziehen. Es bleibt also die Monte-Carlo-Simulation, wie sie auch Kiselev und Kim verwenden, um derartige Systeme zu untersuchen. Wir hatten im Fachpraktikum recht bald festgestellt, dass Wände die Spinpolarisierungen in den verschiedenen Raumrichtungen unterschiedlich beeinflussen. In Abbildung 4.26 sind die Relaxationszeiten von Spinpolarisierungen in allen drei Raumrichtungen in Abhängigkeit vom Wandabstand L dargestellt. Wie auch schon im Fachpraktikum festgestellt wurde, wirken sich die Wände in erster Linie auf die Relaxationszeit der Spinpolarisierung in y-Richtung aus. Die x-Richtung ist von den Wänden nicht beeinflusst und auch für die z-Richtung ergibt sich nur eine Änderung der Relaxationszeit um einen Faktor ∼ 2. Für die y-Richtung hingegen steigt die Spinpolarisierung etwa proportional zu L−1,788 . Um so stärker die Wände das Elektronengas in der y-Richtung einschränken, um so langlebiger wird die Spinpolarisierung, d.h. die Wände wirken spinerhaltend. Diese Beobachtungen sind im wesentlichen konsistent mit den Ergebnissen von Kiselev und Kim. Um eine Analyse der spinerhaltenden Wirkung der Wände zu ermöglichen, sind in Abbildung 4.27 die Relaxationszeiten der Spinpolarisierung in y-Richtung für verschiedene Werte des Wandabstandes L und des Rashba-Parameters a über dem jeweils anderen Parameter aufge- 94 4.6. EINFLUSS VERSCHIEDENER WÄNDE KAPITEL 4. SPINDYNAMIK 8 8 10 a=0,01 a=0,05 a=0,2 a=1 a=0,02 a=0,1 a=0,5 a=2 L=10 6 y L=20 L=50 Relaxationszeit Relaxationszeit 5 5 10 4 10 3 10 L=1 L=2 10 ana. 10 ) L=5 a=10 6 y analytisch (L= 7 10 a=5 7 10 ¥ 10 10 L=100 L=200 4 10 L=500 3 10 2 2 10 1 10 10 1 10 0 0 10 10 1 10 100 0,01 W andabstand L 0,1 1 10 Rashba-Parameter a Abbildung 4.27.: Relaxationszeit τy der Spinpolarisierung in y-Richtung für verschiedene Wandabstände L und Rashba-Parameter a mit τp = 1 tragen. Man erkennt in beiden Diagrammen, dass die Wände fast ausschließlich spinerhaltend wirken. Für sehr kleine Wandabstände ergeben sich bei starkem Rashba-Effekt leicht verringerte Relaxationszeiten. Eventuell spielt hier eine Art Resonanzeffekt zwischen den Wänden eine Rolle, mit dem sich die leicht beschleunigte Spinrelaxation erklären ließe. Wir haben in den Gleichungen (4.16) und (4.17) auf Seite 59 die komplexen Frequenzen und damit die Relaxationszeit in Abhängigkeit von a berechnet. In den beiden Diagrammen ist die analytische Lösung in schwarz eingezeichnet. In der analytischen Rechnung hatten wir keine Wände berücksichtigt - dies entspricht unendlich weit entfernten Wänden, also L = ∞. Abgesehen von den angesprochenen Effekten für sehr starken Rashba-Effekt bildet die analytische Lösung das Minimum der Relaxationszeiten für vorgegebenes a. Für bestimmt Werte des Rasba-Parameters gibt es einen kritischen Wert des Wandabstandes. Nur wenn der Wandabstand kleiner als dieser Wert ist, wirken die Wände spinerhaltend. Sind die Wände weiter voneinander entfernt als dieser kritische Wert, dann beeinflussen sie die Relaxationszeit nicht. Dies ist leicht zu verstehen, wenn man sich bewusst wird, dass die Wände L/2 von der Ausgangsposition der Elektronen entfernt sind. Für genügend starken Rashba-Effekt relaxiert die Spinpolarisierung schneller als eine signifikante Anzahl an Elektronen mit vorgegebener Geschwindigkeit vF die Wände erreicht. Nur wenn die Spinpolarisierung noch vorhanden ist, wenn die ersten Elektronen auf die Wand treffen, können die Wände diese Spinpolarisierung auch erhalten. Im Fachpraktikum und auch von Kiselev und Kim wurde zwar gezeigt, dass die Wände spinerhaltend wirken, der Grund hierfür konnte allerdings nicht ermittelt werden. Eine wasserdichte Erklärung werden wir auch in dieser Arbeit schuldig bleiben, es kann jedoch eine anschauliche Begründung geliefert werden. Insbesondere der Fakt, dass die spinerhaltende Wirkung in erster Linie auf die y-Richtung des Spins wirkt, kann begründet werden. Dazu betrachtet man den Spin eines einzelnen Elektrons zum Zeitpunkt t = 0 in y-Richtung. Bewegt sich dieses Elektron nun parallel zur x-Achse, ergibt sich die Rotationsachse des Spins parallel zur y-Achse und der Spin bleibt unverändert. Nur eine Bewegung mit Anteil in y-Richtung vermag den Spin zu verändern. Genau dieser Anteil der Bewegung wird aber von den Wänden auf den Bereich [−L/2, L/2] ein- 95 4.6. EINFLUSS VERSCHIEDENER WÄNDE KAPITEL 4. SPINDYNAMIK geschränkt. Würde sich das Elektron im Extremfall eindimensional auf der y-Achse bewegen, so würde die Spinrelaxation, sobald das Elektron eine der Wände erreicht, vollständig unterdrückt, da es durch seine Bewegung von der Wand weg die Rotation des Spins wieder rückgängig machen würde. Da sich das Elektron aber auch in x-Richtung bewegen kann, wird bei der Bewegung von der Wand weg die Spinpräzession offensichtlich nicht exakt rückgängig gemacht, und es ergibt sich eine langsamere, aber dennoch vorhandene Spinrelaxation. Dies ist mit der Beobachtung konsistent, dass die Relaxation einer Spinpolarisierung in x-Richtung nicht unterdrückt wird. Die Bewegung in x-Richtung wird von den Wänden nicht eingeschränkt. Und auch die z-Richtung lässt sich auf diese Weise erklären: ein Spin in z-Richtung wird durch eine Bewegung in x- oder y-Richtung verändert. Von den Wänden wird die Bewegung in einer dieser beiden Richtungen eingeschränkt. Naiv formuliert wird also die „Hälfte“ der Spinrelaxation unterdrückt und man erhält die in Abbildung 4.26 erkennbare doppelte Relaxationszeit der Spinpolarisierung in z-Richtung für kleine Wandabstände. 4.6.2. Adiabatische Wände Im letzten Abschnitt haben wir reflektierende, also harte Wände betrachtet. Traf ein Elektron auf eine der Wände, wurde es instantan und elastisch reflektiert. Anschaulich beschrieben wirkt für einen infinitesimal kleinen Zeitraum eine extrem große Kraft auf das Elektron und beschleunigt es von der Wand weg. Nun kann man diesen Zeitraum auch als endlich groß annehmen. Damit wird auch die wirkende Kraft endlich. In dieser Vorstellung wirkt ebenfalls eine Kraft auf das Elektron, sobald es die Wand berührt. Da die wirkende Kraft endlich ist, ändert die zur Wand senkrechte Impulskomponente ihr Vorzeichen nicht instantan, sondern sie nimmt langsam ab und dann in entgegengesetzter Richtung wieder zu. Während dieser Zeit befindet sich das Elektron in der Wand, verhält sich aber, abgesehen von der durch die Wand auf das Elektron wirkenden Kraft, wie ein freies Elektron. Insbesondere behalten die Bewegungsgleichungen (2.27) bis (2.29) ihre Gültigkeit, womit auch die Spindynamik unverändert bleibt. Die bisher behandelten reflektierenden Wände waren mit massiven materiellen Wänden vergleichbar. Die weichen Wände, wie wir sie in diesem Abschnitt behandeln, lassen sich eher als an einer bestimmten Linie einsetzende Kraftfelder vorstellen. Wählt man die wirkende Kraft extrem klein, und damit den Zeitraum in dem die Kraft wirkt sehr groß, erhält man adiabatische Wände. Dieses Modell untersuchen Schwab u. a. in [Sch+06]. Im Gegensatz zu unserer analytischen Beschreibung verwenden sie jedoch quasiklassische Greensche Funktionen. Es soll nicht Ziel dieses Abschnitts sein, mit den Greenschen Funktionen eine grundlegend andere Herangehensweise an die Problemstellung detailliert herzuleiten. Schwab u. a. leiten mit diesen Greenschen Funktionen die Diffusionsgleichung für die Problemstellung her. Ausgehend von dieser Diffusi- 96 4.6. EINFLUSS VERSCHIEDENER WÄNDE KAPITEL 4. SPINDYNAMIK onsgleichung werden wir die Rechnungen von Schwab u. a. nachvollziehen. Diese lauten: ~2 ρ = 0 ∂t − D∇ (4.58a) ~ 2 sx = − 1 sx + 2C∂x sz (4.58b) ∂t − D∇ τs ~ 2 sy = − 1 sy + 2C∂y sz (4.58c) ∂t − D∇ τs ~ 2 sz = − 2 sz − 2C∂x sx − 2C∂y sy ∂t − D∇ (4.58d) τs Es wurden folgende Konstanten verwendet: 1 D = v2F τp 2 τs = τp 2(αpF τp )2 C = vF αpF τp Diese Gleichungen lassen sich umstellen, um die Zeitableitung des Spins zu erhalten, indem man alle Ortsableitungen nach rechts sortiert. Es überleben dabei nur partielle Ableitungen in y-Richtung, da die Spinpolarisierung parallel zu den Wänden, also in x-Richtung, homogen und in z-Richtung auf eine Ebene eingeschränkt ist: 2 D∂y − ∂t ~s = 0 0 1 τs 0 D∂2y − 0 1 τs −2C∂y 2C∂y D∂2y − 2 τs ~s (4.59) Da die x-Richtung des Spins unabhängig von den anderen beiden Raumrichtungen ist, können wir uns bei den folgenden Betrachtungen auf die y- und z-Richtung, also die untere rechte 2 × 2-Matrix dieser Gleichung beschränken: 2 1 D∂y − 2C∂ y τ s ∂t ~s = (4.60) ~s 2 −2C∂y D∂2y − τs Um dieses System linearer gewöhnlicher Differentialgleichungen zu lösen, wählt man den Ansatz ~s(y, t) = ~aeiqy e−λt (4.61) wobei q nicht mit der Ladung des Elektrons zu verwechsel ist, und setzt in Gleichung (4.60) ein: −Dq2 − 1 + λ 2iCq τs ~a = 0 (4.62) −2iCq −Dq2 − τ2s + λ Somit hat man das Differentialgleichungssystem in ein System herkömmlicher quadratischer Gleichungen umgewandelt. Dieses herkömmliche Gleichungssystem beschreibt ein Eigenwert- 97 4.6. EINFLUSS VERSCHIEDENER WÄNDE KAPITEL 4. SPINDYNAMIK problem und liefert folgende Eigenwerte und Eigenvektoren: s 4C 2 τs + D(−3 + 2τs λ) ± A q1,2 = −q3,4 = 2D2 τs ~a1,2 √ √ 2 2iC 2τs 4C τs +D(−3+2τs λ)∓A D−4C 2 τs ±A = 1 A= q ~b1,2 −a1,2 = 1 (4.63) (4.64) D2 + 16C 4 τ2s + 8C 2 Dτs (−3 + 2τs λ) Damit erhält man die allgemeine Lösung des Differentialgleichungssystems (4.60) durch eine Linearkombination der speziellen Lösungen: ~s(y, t) = e−λt α1~a1 eiq1 y + β1~b1 e−iq1 y + α2~a2 eiq2 y + β2~b2 e−iq2 y (4.65) Die Randbedingungen dieser Spinpolarisierung sind durch die Wände gegeben. Für reflektierende Wände sind sie durch die Bedingung, dass es keinen Spinstrom in die Wände geben darf, definiert: −D∂y −C ~s = 0 (4.66) C −D∂y Diese Bedingung muss an der Oberfläche beider Wände, also bei y = ±L/2, gelten. Zur Vereinfachung verschiebt man die Wände um L/2. Man wertet also die Randbedingung bei y = 0 und y = L aus, indem man die allgemeine Lösung der Spinpolarisierung (4.65) einsetzt. Für die Randbedingung an der unteren Wand bei y = 0 erhält man beispielsweise für die obere Zeile in Gleichung (4.66): −iD α1 a1,x q1 − β1 b1,x q1 + α2 a2,x q2 − β2 a2,x q2 − C α1 a1,y β1 a1,y α2 a2,y β2 a2,y = 0 (4.67) Insgesamt erhält man vier dieser Gleichungen, wobei ~a1,2 , ~b1,2 und q1,2 alle von λ abhängen. Dieses Gleichungssystem lässt sich als Matrix schreiben: α1 β1 M(λ) = 0 α2 β2 (4.68) Die Randbedingungen müssen für alle möglichen Spinverteilungen gelten, d.h. für alle möglichen Werte von α1,2 und β1,2 . Den noch fehlenden Parameter λ erhält man also aus der Bedingung: det M(λ) = 0 (4.69) 98 4.6. EINFLUSS VERSCHIEDENER WÄNDE 10 0 -1 z Spinpolarisierung <s (y,t)> 10 KAPITEL 4. SPINDYNAMIK t=0 t=50 t=100 10 t=150 -2 t=200 t=250 10 10 -3 -4 -100 -50 0 50 100 Ort y Abbildung 4.28.: Ortsabhängige Spinpolarisierung hsz (y, t)i in z-Richtung zu verschiedenen Zeitpunkten für vF = 1, τp = 1 und a = 0,2 Schon an den Eigenwerten (4.63) und Eigenvektoren (4.64) sieht man, dass die Matrix M(λ) recht kompliziert ist. λ kommt dabei an einigen verschiedenen Stellen vor und Gleichung (4.69) ist damit nicht mehr analytisch exakt lösbar. Wir müssen uns mit numerischen Verfahren zur Nullstellensuche behelfen. Dabei gehen wir recht einfach vor und tasten für vorgegebenen Wandabstand L schlicht die Werte der Determinante in kleinen Schritten von λ ab. Finden wir ein betragsmäßiges Minimum, lassen wir Mathematica die genaue Position der Nullstelle bestimmen. Man erhält aus diesem Verfahren mehrere Werte für λ, die die Lebensdauer der entsprechenden Moden beschreiben. Dabei entspricht λ der inversen Relaxationszeit τ. Möchte man mit diesem Modell adiabatische Wände untersuchen, muss man nur die Randbedingungen ändern. Diese lauten für adiabatische Wände: 1 0 ~s = 0 (4.70) C −D∂y Alle anderen Überlegungen bleiben gültig und man erhält die Relaxationskonstante λ erneut durch numerische Nullstellensuche der Determinante in Gleichung (4.69). Es sollen nun zwei Aussagen von Schwab u. a. mit unserem Modell verglichen werden. Die erste Aussage betrifft die räumliche Verteilung der Spinpolarisierung in einem System mit Wänden. In Abbildung 1 in [Sch+06] zeigen Schwab u. a., dass die Spinpolarisierung in der Nähe der Wände signifikant langsamer relaxiert als in der Mitte des Systems. Wir versuchen dieses Verhalten mit Hilfe der Monte-Carlo-Simulation zu bestätigen und führen die Simulation mit den von Schwab u. a. verwendeten Parametern durch. Die Ergebnisse sind in Abbildung 4.28 zu finden. Auch in diesem Fall sind unsere Ergebnisse konsistent mit denen der Literatur. Die Simulation liefert, abgesehen von statistischem Rauschen, genau das gleiche Bild wie es Schwab u. a. zeigen. Obwohl mit der Diffusionsgleichung (4.60) und unserer quasiklassischen MonteCarlo-Simulation zwei grundlegend verschiedene Herangehensweisen an die Problemstellung zum Einsatz kamen, erhält man zumindest in diesem ersten Vergleich konsistente Ergebnisse. 99 4.6. EINFLUSS VERSCHIEDENER WÄNDE KAPITEL 4. SPINDYNAMIK 0,025 0,040 Simulation (Mitte) Simulation (verteilt) 0,035 analytisch (L= ) analytisch 0,020 Relaxationskonstante Relaxationskonstante 0,030 0,015 0,010 0,005 Simulation (Mitte) analytisch (L= Simulation (verteilt) analytisch 0,025 0,020 0,015 0,010 ) 0,005 analytisch (dünner Streifen) 0,000 0,000 0 20 40 60 80 100 W andabstand L 0 20 40 60 80 100 W andabstand L Abbildung 4.29.: Relaxationskonstante λy der Spinpolarisierung in y-Richtung für reflektierende Wände (links) und adiabatische Wände mit g = 0,1 (rechts) mit vF = 1, τp = 1 und a = 0,2 Die zweite Aussage, die wir genauer untersuchen werden, bezieht sich auf die unterschiedliche Wirkung reflektierender und adiabatischer Wände. Im letzten Abschnitt haben wir die Wirkung reflektierender Wände bereits ausführlich untersucht. Um die Ergebnisse mit denen von Schwab u. a. zu vergleichen, berechnen wir die Relaxationskonstanten λ in Abhängigkeit vom Abstand der Wände L mit der oben beschriebenen Methode. Die Ergebnisse sind in Abbildung 4.29 links zu finden. Aus den dargestellten Kurven kann man die Relaxationszeit durch das Inverse des kleinsten Wertes der Relaxationskonstante λ für ein bestimmtes L ermitteln. Wie bereits im letzten Abschnitt festgestellt wurde, wirken Wände, die das Elektronengas auf einen relativ schmalen Streifen einschränken, spinerhaltend. Dies liegt nicht zuletzt an der in Abbildung 4.28 festgestellten langsameren Spinrelaxation in der Nähe dieser Wände. Umso weiter die Wände voneinander entfernt sind, umso schwächer wird die spinerhaltende Wirkung. Für sehr große Wandabstände nimmt die Relaxationskonstante den Wert λ ≈ 0,0075 an. Dies entspricht einer Relaxationszeit von τ ≈ 133 und steht im Widerspruch zu Gleichung (4.19) auf Seite 60 wonach man eine Relaxationszeit von τ ≈ 50 erwarten würde. Zusätzlich zur analytischen Berechnung wurde erneut eine Simulation mit gleichen Parametern durchgeführt und ebenfalls in das Diagramm eingezeichnet. Die Simulation wurde hier mit zwei unterschiedlichen Anfangszuständen durchgeführt: für die rote Linie wurde alle Elektronen zum Zeitpunkt t = 0 im Ursprung, also genau in der Mitte zwischen den zwei Wänden initialisiert. Sie entspricht den Ergebnissen, die auch schon in Abbildung 4.27 abgebildet wurden. Bei der Simulation, deren Ergebnisse im Diagramm in grün eingezeichnet wurden, wurden die Elektronen zum Zeitpunkt t = 0 zufällig zwischen den Wänden verteilt. Man sieht deutlich, dass hier die spinerhaltende Wirkung der Wände auch für größere Wandabstände vorhanden ist. Dies war insofern zu erwarten, als dass nun Elektronen die Wand schon sehr früh erreichen und somit die Spinpolarisierung nicht schon relaxiert, bevor die ersten Elektronen auf eine Wand treffen. Für große Wandabstände ergeben sich aber immer noch relativ große Abweichungen von der von Schwab u. a. vorhergesagten Relaxationszeit. Für kleine Wandabstände passen unsere Simulationsergebnisse dafür sehr gut zu den Werten von Schwab u. a.. Bis ungefähr L . 20 decken sich 100 4.6. EINFLUSS VERSCHIEDENER WÄNDE KAPITEL 4. SPINDYNAMIK 3 Relaxationszeit y 10 g=0,1 g=0,3 g=0,12 g=0,5 g=0,15 g=1 g=0,2 g=10 g=0,25 g=100 2 10 0 10 20 30 40 50 W andabstand L Abbildung 4.30.: Relaxationszeiten τy der Spinpolarisierung in y-Richtung für verschieden harte Wände mit vF = 1, τp = 1 und a = 0,2 unsere Ergebnisse mit der Kurve, die mit Hilfe der Diffusionsgleichung berechnet wurde. Dabei passt die Simulation mit Initialisierung der Elektronen im Ursprung sogar noch etwas besser als die Simulation der zum Zeitpunkt t = 0 zufällig verteilten Elektronen. Schwab u. a. sagen für sehr kleine Wandabstände eine L−2 -Abhängigkeit der Relaxationszeit voraus. Dies passt auf den ersten Blick zu unseren Ergebnissen. In Abbildung 4.26 auf Seite 94 hatten wir genau diesen Bereich gefittet und einen Proportionalität zu L−1,788 erhalten. Diese beiden Werte passen im Rahmen der Genauigkeit der Simulation ungefähr zusammen. In Abbildung 4.29 sieht man auch, dass für einen Wandabstand im Bereich 10 . L . 20 die Steigung der Relaxationskonstanten flacher als L2 wird. Dies passt ebenfalls zum betragsmäßig kleineren Exponenten der Abhängigkeit. In Abbildung 4.29 rechts wurden die gleichen analytischen und numerischen Rechnungen für adiabatische Randbedingungen durchgeführt. Bei der numerischen Berechnung wurde eine konstante Beschleunigung g = 0,1 in der Wand angenommen. Der Weg der Elektronen wurde dabei in genügend kleine Stücke zerlegt, um die Spindynamik der gekrümmten Flugbahn zu berechnen. Der Wert von g definiert dabei die „Härte“ der Wand. Ein sehr großer Wert von g steht für reflektierende Wände und ein sehr kleiner Wert beschreibt adiabatische Wände. Auch in diesem Bild liegen die Relaxationskonstanten der numerischen Berechnung wieder signifikant über denen der analytischen Berechnung. Viel wichtiger ist aber das Verhalten für kleine Wandabstände: um so näher die Wände beieinander liegen, um so stärker die Wände also das Elektronengas in y-Richtung einschränken, um so größer wird die Relaxationskonstante λ, d.h. die Relaxationszeit wird in diesem Fall kleiner. Im Gegensatz zu reflektierenden Wänden scheinen adiabatische Wände also destruktiv auf die Spinpolarisierung zu wirken. Die Monte-Carlo-Simulation bestätigt dieses Verhalten. Es soll genauer analysiert werden, welchen Einfluss die Stärke der in der Wand wirkenden Kraft auf die Spinpolarisierung hat. Dazu wurde die Simulation für verschieden harte Wände und verschiedene Wandabstände durchgeführt. Die Ergebnisse sind in Abbildung 4.30 zu finden. Man erkennt, dass harte Wände mit mit kleiner Beschleunigung der Elektronen in der 101 4.6. EINFLUSS VERSCHIEDENER WÄNDE KAPITEL 4. SPINDYNAMIK Wand g spinerhaltend wirken: die Relaxationszeit steigt mit kleiner werdendem Wandabstand. Demgegenüber tragen relativ weiche Wände mit kleinem g zur Spinrelaxation bei und die Relaxationszeit sinkt mit dem Wandabstand. Man erhält einen kontinuierlichen Übergang vom einen zum anderen Fall. Für Werte im mittleren Bereich 0,15 . g . 0,2 ergeben sich Wände, deren Abstand für die Spinrelaxation fast irrelevant ist. Für sehr harte Wände scheint ab einer Beschleunigung von g ≈ 10 keine weitere Steigerung der polarisierungserhaltenden Wirkung mehr möglich. Ab diesem Wert kann man die Wand als reflektierend bezeichnen. Für extrem kleine Wandabstände ergibt sich jedoch eine leichte Abweichung von restlichen Verhalten. Allerdings hat man es dann auch mit einem derart stark in y-Richtung eingeschränkten Elektronengas zu tun, dass die Annahme, die Elektronen können sich in der xy-Ebene frei bewegen, nicht mehr zu halten ist und das quasiklassische Modell seine Gültigkeit verliert. Hier wäre eine genauere quantenmechanische Analyse nötig. In diesem Abschnitt konnte das auf Kiselev und Kims Arbeit basierende Modell des zweidimensionalen Elektronengases mit Wänden um ein weiteres Detail ergänzt werden. Es wurden in Anlehnung an die Arbeit von Schwab u. a. auch adiabatische Wände untersucht. Die in dieser Arbeit entwickelte analytische Lösungsmethode konnte zwar nicht auf ein System mit Wänden angewandt werden, dafür wurden die Rechnungen von Schwab u. a. teilweise nachvollzogen. Mit Hilfe der Monte-Carlo-Simulation wurde die Aussage, dass reflektierende und adiabatische Wände die Spinrelaxation fundamental verschieden beeinflussen, bestätigt. 102 Kapitel 5: Zusammenfassung und Ausblick KAPITEL 5. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK 5. Zusammenfassung und Ausblick In dieser Arbeit wurde das zweidimensionale Elektronengas mit Spin-Bahn-Kopplung in verschiedenen Abwandlungen untersucht. Es war dabei keineswegs das Ziel, dieses sehr weit gefasste Thema vollständig zu behandeln, stattdessen sollten selektiv verschiedene Aspekte herausgegriffen werden. Zuerst wurden im ersten Kapitel die physikalischen Grundlagen des verwendeten Modells beschrieben. Dabei wurden die beiden untersuchten Effekte der Spin-BahnWechselwirkung, der Rashba- und der Dresselhaus-Effekt, kurz eingeführt. Ausgehend vom Hamiltonoperator mit Rashba- und Dresselhaus-Spin-Bahn-Kopplung, sowie externem elektrischen und magnetischen Feld, wurden die quasiklassischen Bewegungsgleichungen der Freiheitsgrade eines freien, d.h. ungestreuten Elektrons hergeleitet. Wechselwirkungen der Elektronen untereinander, sowie eine Wirkung des Spins auf die Bewegung des Elektrons, wurden dabei nicht berücksichtigt. Es wurde basierend auf einer Arbeit von Kiselev und Kim ein Modell definiert, das diese Elektronen in einem Material beschreibt. Die Vorstellung eines Elektrons, das gelegentlich an Störstellen gestreut wird, führte uns auf eine exponentialverteilte Flugzeit und, unter der Annahme konstanter Geschwindigkeit, auch Flugstrecke zwischen zwei Streuungen. Es wurde dann ein analytischer Lösungsweg beschrieben, um die Spinpolarisierung in einem Elektronengas, das sich nach diesem Modell verhält, zu berechnen. Dieser Lösungsweg basierte auf einer Integration über alle möglichen Trajektorien, die ein Elektron von einem Ausgangszeitpunkt bis zu einem Zeitpunkt t beschreiben kann. Es wurde also die quasiklassische Zeitentwicklung der Spinpolarisierung in einem zweidimensionalen Elektronengas mit SpinBahn-Wechselwirkung analytisch beschrieben. Im nächsten Schritt wurde die entwickelte Lösungsmethode erweitert um auch die Ortsabhängigkeit einer Spinpolarisierung zu untersuchen. Da die analytische Methode im Verlauf der Arbeit nicht immer zum Ziel führen würde, wurde zusätzlich eine Monte-Carlo-Simulation entworfen, die die Vorgänge im beschriebenen Elektronengas numerisch abbildet. Im zweiten Kapitel wurden dann dargelegt, wie die Lösungsmethode, die wir zwar in erster Linie für die Beschreibung einer Spinpolarisierung entwickelt hatten, auch eine Dichteverteilung und damit die Ladungsdynamik eines Elektronengases beschreiben kann. Dabei wurde zunächst das Verhalten eines ein- und dann eines zweidimensionalen Elektronengases untersucht. Die Betrachtungen stellten sich im Verlauf dieser Arbeit als auch für die Spindynamik nützlich heraus. Als Nächstes wurde bei der Analyse der Dichteverteilung ein äußeres elektrisches Feld mit berücksichtigt. Die Annahme isotroper Streuung wurde aufgegeben und es wurde mit Hilfe der analytischen Lösungsmethode die Leitfähigkeit eines zweidimensionalen Elektronengases beschrieben. Der erhaltene Ausdruck für die Leitfähigkeit war mit Angaben aus der Literatur konsistent. Außerdem wurden die Forderung elastischer Streuung aufgegeben und die sich dadurch ergebenden Unterschiede untersucht. Die numerische Simulation wurde zum Vergleich und zur Überprüfung der analytischen Resultate herangezogen und lieferte konsistente Ergebnisse. 105 KAPITEL 5. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK Als Nächstes widmeten wir uns der Spindynamik. In Kapitel 4 wurden zuerst der analytische Lösungsweg auf das zweidimensionale Elektronengas mit Spin-Bahn-Kopplung angewandt. Dabei wurde vorerst nur die Rashba-Spin-Bahn-Wechselwirkung berücksichtigt. Auch hier wurde die Untersuchung des ein- und zweidimensionalen Elektronengases separat durchgeführt. Da im zweidimensionalen Fall zunächst keine befriedigenden analytischen Ergebnisse erzielt werden konnten, wurde dann auf die Zeitauflösung verzichtet und nur die Ortsabhängigkeit der Spinpolarisierung untersucht. Alle Ergebnisse wurden mit denen der numerischen Simulation verglichen und die unterschiedlichen Genauigkeiten betrachtet. Dabei lieferte teilweise die analytische Lösung und teilweise die Monte-Carlo-Simulation bessere Ergebnisse. Bis auf Ungenauigkeiten durch Näherungen oder numerische Berechnungen stimmten die Ergebnisse aber perfekt überein. Bis zu diesem Punkt gingen wir immer davon aus, dass sich zum Anfangszeitpunkt alle Elektronen in Ursprung befinden. Im nächsten Schritt wurde analysiert, wie sich eine initiale Verteilung der Elektronen und damit auch der Spinpolarisierung auf die Relaxation letzterer auswirkt. Dabei stellten wir fest, dass es wellenförmige Verteilungen gibt, für die die Spinpolarisierung langsamer relaxiert als für andere. Da in den Betrachtungen zunächst nur der Rashba-Effekt berücksichtigt wurde, wurde der nächste Abschnitt der Untersuchung eines zweidimensionalen Elektronengases, in dem neben dem Rashba-Effekt auch der Dresselhaus-Effekt wirkt, gewidmet. Da die analytische Lösungsmethode versagt, wenn unterschiedlich starke Rashba- und Dresselhaus-Effekte in einem System vorliegen, wurde hier in erster Linie auf die numerische Simulation und auf Vergleiche mit der Literatur gesetzt. Wir untersuchten zunächst das Phänomen der persistent spin helix, um dann die Auswirkungen des Dresselhaus-Effektes auf die Spinpolarisierung zu analysieren. Es wurde festgestellt, dass der lineare Dresselhaus-Effekt zur Erhaltung der Spinpolarisierung beitragen kann, was im extremsten Fall der persistent spin helix zu einer statischen Spinpolarisierung führte. Das Vorhandensein des kubischen Terms in der Dresselhaus-Spin-Bahn-Wechselwirkung zerstört diese allerdings wieder, indem es erneut eine Spinrelaxation verursacht. Der nächste Abschnitt befasste sich mit einem anderen Aspekt des Modells: es wurde - wie schon bei der Betrachtung der Ladungsdynamik - die Annahme isotroper Streuung aufgegeben. Im Gegensatz zu den Betrachtungen der Ladungsdynamik, konnte hier aber keine beliebige Anisotropie berücksichtigt werden. Stattdessen wurde eine spezielle p-Wellen Anisotropie gewählt, für die sich die analytischen Berechnungen durchführen ließen. Es wurde beobachtet, dass die Anisotropie für Spinrelaxation in verschiedenen Raumrichtungen grundlegend anders wirkt. Für Spinpolarisierungen in der Ebene der Bewegung führte eine bevorzuge Rückwärtsstreuung zu einer länger anhaltenden Spinpolarisierung - für eine Spinpolarisierung senkrecht zur Ebene der Bewegung war das Verhalten jedoch genau umgekehrt. Im nächsten Schritt wurde ein äußeres Magnetfeldes senkrecht zur Bewegungsrichtung in die Analyse mit einbezogen und dessen Einfluss auf die Spinpolarisierung untersucht. Dabei wurde eine spinerhaltende Wirkung großer Magnetfelder gefunden. Es stellte sich jedoch heraus, dass die benötigte Magnetfeldstärke im Widerspruch zu vorher gemachten Annahmen stand, womit den Ergebnissen nur bedingt vertraut werden konnte. Die Betrachtung der Spindynamik wurde mit einer Analyse verschiedenartiger Wände abgeschlossen. Dabei wurde konsistent mit einer Arbeit von Schwab u. a. festgestellt, dass verschiedene Wände grundlegend andere Auswirkungen auf die Spinrelaxation haben: reflektierende 106 KAPITEL 5. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK Wände wirkten auf eine Spinpolarisierung senkrecht zu den Wänden spinerhaltend, wohingegen adiabatische Wände die Spinrelaxation beschleunigten. Es wurden an keinem Punkt der Arbeit unerklärbare Abweichungen zwischen den analytischen Ergebnissen und denen der Monte-Carlo-Simulation festgestellt. In fast allen Betrachtungen stimmten die Ergebnisse im Rahmen numerischer Ungenauigkeiten perfekt überein. Dies spricht für die Korrektheit beider Beschreibungen. Es ist nicht einfach einen Ausblick auf konkrete weiterführende Forschungen im Bereich der Spindynamik eines Elektronengases zu geben. Dies liegt keinesfalls am Mangel an Möglichkeiten, sondern schlicht an der schieren Fülle dergleichen. In dieser Arbeit wurde in einer Art Rundumschlag auf verschiedenste Aspekte des zweidimensionalen Elektronengases mit Spin-Bahn-Wechselwirkung eingegangen. Man könnte zu jedem dieser Aspekte ganze Arbeiten schreiben. Es gibt aber zwei Phänomene, die in dieser Arbeit nicht behandelt wurden, die aber noch erwähnt werden müssen: der Spin-Hall-Effekt und der Edelstein-Effekt. Dabei beschreibt der Spin-Hall-Effekt das Auftreten eines Spinstromes im Elektronengas beim Vorhandensein eines äußeren elektrischen Feldes. Ein elektrisches Feld haben wir hier im Zusammenhang mit der Spindynamik bisher nicht analysiert. Demgegenüber bezeichnet der Edelstein-Effekt das Ausbilden einer Spinpolarisierung als Folge eines angelegten elektrischen Feldes. Diese und andere Effekte konnten in dieser Arbeit nicht mehr untersucht werden und es wäre zu klären, ob und inwiefern das hier beschriebene quasiklassische Modell auch diese Effekte erklären kann. Ein weiterer Punkt der Klärung bedarf, ist die Gültigkeit des Modells für echte Materialien. Es wurden in dieser Arbeit verschiedene Methoden zur Beschreibung des Modells verwendet, die alle übereinstimmende Ergebnisse lieferten. Es wurden jedoch keinerlei Vergleiche mit realen Experimenten gezogen. Ohne den Vergleich mit experimentellen Ergebnisse bleiben unsere Resultate vorerst nur Voraussagen über ein theoretisches Modell. 107 Anhang ANHANG A. ANHANG A. Anhang A.1. Herleitung der Bewegungsgleichungen Man erhält durch Einsetzen des Hamiltonoperators (2.3) in das EhrenfestTheorem (2.18) die zeitliche Ableitung des Impulserwartungswertes: #+ iE i *" p̂2 d i Dh γs ˆ ~ ˆ ~ Ĥ, p̂i = + ĤR + ĤD − qE · ~r − ~s · B, p̂i (A.1) h p̂i i = dt ~ ~ 2m ~ ĤR = α σx p̂y − σy p̂x ĤD = β σx p̂x − σy p̂y + γ −σx p̂x p̂2y + σy p̂y p̂2x Impulsoperator: h i h i Mit Verwendung der Kommutatoren p̂2 , p̂i = p̂ j , p̂i = 0 bleibt nur der Summand des elektrischen Feldes übrig: iE iq X Dh d E j r̂ j , p̂i h p̂i i = − dt ~ j (A.2) h i Einsetzen des Kommutators r̂ j , p̂i = i~δ j,i liefert die Bewegungsgleichung: d h p̂i i = qEi dt In vektorieller Schreibweise lässt sich dies ausdrücken als: d D ˆE ~p = qE~ dt (A.3) (A.4) Analog ergibt sich aus dem Hamiltonoperator und dem Ehrenfest-Theorem die zeitliche Ableitung des Ortserwartungswertes: #+ iE i *" p̂2 d i Dh γ s ˆ ˆ ~ r̂i Ĥ, r̂i = + ĤR + ĤD − qE~ · ~r − ~s · B, (A.5) hr̂i i = dt ~ ~ 2m ~ h i h i Die Kommutatoren r̂ j , r̂i = ŝ j , r̂i = 0 sorgen dafür, dass die Summanden des elektrischen und magnetischen Feldes verschwinden. Wir werden uns nun die verbleibenden Summanden der Reihe nach vornehmen. Für den Kommutator des Impulsquadrates und der Ortskoordinate erhält man: X i h i h i X h p̂2 , r̂i = p̂ j p̂ j , r̂i + p̂ j , r̂i p̂ j = − p̂ j i~δ j,i − i~δ j,i p̂ j = −2i~ p̂i (A.6) Ortsoperator: j j 111 A.1. HERLEITUNG DER BEWEGUNGSGLEICHUNGEN ANHANG A. ANHANG Der Kommutator des Rashba-Termes mit der Ortskoordinate liefert: h i σx p̂y − σy p̂x , r̂i = − hσx i i~δ2,i + hσy i i~δ1,i (A.7) Der lineare Term des Dresselhaus-Effekts liefert ein ähnliches Ergebnis: h i σx p̂x − σy p̂y , r̂i = − hσx i i~δ1,i + hσy i i~δ2,i (A.8) Dagegen liefert kubische Term folgendes Resultat: h i h i h i h i h i −σx p̂x p̂2y + σy p̂y p̂2x , r̂i = −σx p̂x p̂2y , r̂i + p̂x , r̂i p̂2y + σy p̂y p̂2x , r̂i + p̂y , r̂i p̂2x = (A.9) = i~σx 2 p̂x p̂y δ2,i + δ1,i p̂2y − i~σy 2 p̂y p̂x δ1,i + δ2,i p̂2x Zusammengefasst lässt sich dies in vektorieller Schreibweise teilweise vereinfachen und durch ein Kreuzprodukt ausdrücken: − h ŝy i h ŝx i − h ŝx i h p̂y i2 + 2 h ŝy i h p̂y i h p̂x i 2β 2α d D ˆE − h ŝy i − 2γ −2 h ŝx i h p̂x i h p̂y i + h ŝy i h p̂x i2 = ~r = − h ŝx i − ~ dt m ~ ~ 0 0 0 D E β − γ h p̂y i2 2γ h p̂x i h p̂y i 0 ˆ~p D E 2 D E 2a − ~ez × ~sˆ − −2γ h p̂x i h p̂y i −β + γ h p̂x i2 0 ~sˆ = m ~ ~ 0 0 0 D E ~pˆ (A.10) Wie zuvor erhält man mit dem Hamiltonoperator und dem Ehrenfest-Theorem die zeitliche Ableitung des Spinerwartungswertes: #+ iE i *" p̂2 d i Dh ˆ ˆ ~ ~ Ĥ, ŝi = + ĤR + ĤD − qE · ~r − γs ~s · B, σi (A.11) h ŝi i = dt ~ 2 2m h i h i h i Die Kommutatoren p̂2 , σi = p̂ j , σi = r̂ j , σi = 0 sorgen dafür, dass die Summanden der kinetischen Energie und des elektrischen Feldes verschwinden. Unter Verwendung des KommuP tators [σk , σi ] = 2i j k,i, j σ j erhält für den Rashba-Term: X h i h i h i σx p̂y − σy p̂x , σi = σx , σi p̂y − σy , σi p̂x = 2i 1,i, j σ j p̂y − 2,i, j σ j p̂x = j (A.12) = 2i δ2,i σz − δ3,i σy p̂y − δ3,i σx − δ1,i σz p̂x Spinoperator: Der lineare Term des Dresselhaus-Effekts liefert analog: h i σx p̂x − σy p̂y , σi = 2i δ2,i σz − δ3,i σy p̂x − δ3,i σx − δ1,i σz p̂y (A.13) Der kubische Term liefert hier ein analoges Ergebnis: h i −σx p̂x p̂2y + σy p̂y p̂2x , σi = −2i δ2,i σz − δ3,i σy p̂x p̂2y − δ3,i σx − δ1,i σz p̂y p̂2x (A.14) 112 A.2. FAKTOR τP IM ZEITENTWICKLUNGSOPERATOR ANHANG A. ANHANG Für das magnetische Feld erhält man: X h i X ~ σi = ~ · B, [σk , σi ] Bk = 2i i,k, j σ j Bk σ (A.15) j,k k Fasst man diese vier Terme zusammen ergibt sich in vektorieller Schreibweise: ! ! −hσz ih p̂y ih p̂x i2 hσz ih p̂x i hσz ih p̂y i d D ˆE 2 hσz ih p̂x i − hσz ih p̂y i −hσz ih p̂x ih p̂y i ~s = −α −β − γ −hσy ih p̂y i−hσx ih p̂x i −hσy ih p̂x i−hσx ih p̂y i dt hσy ih p̂x ih p̂y i2 +hσx ih p̂y ih p̂x i2 −β + γ h p̂y i2 0 0 2α D E D E D E 2 ~ × ~sˆ = ~pˆ × ~ez + = 0 β − γ h p̂x i2 0 ~pˆ − γs B ~ ~ 0 0 0 {z } | {z } | {z } | ~D =: ω ~R =: ω ~R + ω ~D + ω ~B = ω γs ~ ~ 2 B× D E ~ˆ = σ ~B =: ω D E × ~sˆ (A.16) A.2. Faktor τp im Zeitentwicklungsoperator In den in dieser Arbeit verwendeten Zeitentwicklungsoperatoren taucht der Faktor τp auf. Hier soll kurz geklärt werden, wie dieser zustande kommt. Um die Zeitentwicklung der Spinpolarisierung eines Elektronengases mit Streuungen an Störstellen zu beschreiben betrachten wir in Gleichung (2.44) zuerst die Zeitentwicklung Un (t) bei bestimmter Anzahl n − 1 an Streuungen und summieren dann in Gleichung (2.48) über alle möglichen n, also von 1 bis ∞. Dabei sind nicht alle Anzahlen von Streuungen gleich wahrscheinlich: es ist beispielsweise sehr unwahrscheinlich, dass ein Elektron in einem kleinen Zeitraum sehr oft gestreuut wird. Ebenso ist es unwahrscheinlich, dass ein Elektron in einem großen Zeitraum nur sehr wenige male gestreut wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Elektron in Zeitraum t genau n − 1 mal gestreut wird, ist in Un (t) bereits berücksichtigt und durch wn (t) = Z∞ dt1 p(t1 ) . . . 0 Z∞ dtn p(tn ) δ(t − t1 . . . − tn ) = . . . (A.17) 0 gegeben. Dies lässt sich, indem man die Fouriertransformation der Deltafunktion verwendent, schreiben als: ∞ n !n Z∞ Z∞ Z dω −iωt dω −iωt 1 iωt 1 dt1 p(t1 )e = ... = e e (A.18) 2π 2π 1 − iτp ω −∞ −∞ 0 Nun kann mit den Polstellen n-ter Ordnung bei ω1 = − 113 i τp (A.19) A.2. FAKTOR τP IM ZEITENTWICKLUNGSOPERATOR ANHANG A. ANHANG der Residuensatz zur Lösung des ω-Integrals verwendet werden: !n 1 −iωt wn (t) = −i Resω1 e = 1 − iτp ω 1 ∂n−1 i limω→ω1 n−1 e−iωt (ω − ω1 )n =− (n − 1)! 1 − iτp ω ∂ω !n t i i − (−it)n−1 e τp = =− (n − 1)! τp n−1 !n = (A.20) t 1 τp − t = e τp τp (n − 1)! | {z } Poissonverteilung Wir haben also für die Wahrscheinlichkeitsverteilung wn (t) eine Poissonverteilung mit dem Faktor 1/τp erhalten. Dies passt zu unserer Vorstellung, dass sowohl extrem wenige als auch extrem viele Streuungen in einem bestimmten Zeitraum t unwahrscheinlich sind. Da die Summe über die Poissonverteilung von n = 1 bis ∞ natürlicherweise auf 1 normiert ist, müssen wir in der Summe über die Zeitentwicklungen für n−1 Streuunungen Un (t) den Faktor 1/τp wieder herausrechnen. Man erhält die korrekte Zeitentwicklung indem man die Summe mit τp multipliziert: U(t) = τp ∞ X n=1 114 Un (t) (A.21) Literatur [AS65] M. Abramowitz und I. A. Stegun, Hrsg. Handbook of mathematical functions with formulas, graphs, and mathematical tables. New York: Dover, 1965. isbn: 0-48661272-4. url: http://opac.inria.fr/record=b1099202. [Dre55] G. Dresselhaus. „Spin-Orbit Coupling Effects in Zinc Blende Structures“. In: Phys. Rev. 100 (2 Okt. 1955), S. 580–586. doi: 10.1103/PhysRev.100.580. [Eck88] U. Eckern. Transporttheorie. 3. Aufl. Skriptum zur Vorlesung. Lehrstuhl für Theoretische Physik II. Universität Augsburg, 1988. url: http: //myweb .rz. uniaugsburg.de/~eckern/archiv/skripten/tr-script.pdf. [Fit06] R. Fitzpatrick. 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