Aufnahme und Überprüfung von Medikamenten in der

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Aufnahme und Überprüfung von Medikamenten
in der Spezialitätenliste
Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates
vom 25. März 2014
2014-1537
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Das Wichtigste in Kürze
Die schweizerische obligatorische Krankenpflegeversicherung vergütet nur Medikamente, die auf der sogenannten Spezialitätenliste aufgeführt sind. Die im Auftrag
der beiden Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) erarbeitete Evaluation der parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) befasst sich
mit dem Verfahren zur Aufnahme und Überprüfung von Medikamenten in der Spezialitätenliste.
Die GPK-S würdigt positiv, dass in den letzten Jahren verschiedene Massnahmen
getroffen wurden oder sich zurzeit in Planung befinden, um das Verfahren zur
Aufnahme und Überprüfung der Medikamente in der Spezialitätenliste zu verbessern, namentlich Preissenkungen im Rahmen der periodischen Überprüfungen, eine
Aufstockung der Ressourcen der zuständigen Institutionen und die Beschleunigung
des Aufnahmeverfahrens.
Die Evaluation der PVK zeigt aber auch verschiedene Schwachstellen des Verfahrens und insbesondere des Systems der Preisfestsetzung auf. So macht die Evaluation deutlich, dass die Kriterien zur Aufnahme eines Medikaments in die Spezialitätenliste ungenügend und zu wenig präzis definiert sind. Namentlich erfolgt bei der
Beurteilung keine ausreichende Kosten-Nutzen-Analyse der Medikamente. Die
Mechanismen zur Preisfestsetzung der Medikamente – der therapeutische Quervergleich und der Auslandpreisvergleich – weisen ebenfalls systematische Schwächen
auf. Nach Ansicht der GPK-S gewährleistet das aktuelle System nur ungenügend,
dass mit einem höheren Medikamentenpreis auch ein entsprechend höherer Nutzen
des Medikaments verbunden ist.
Die Evaluation zeigt weiter, dass es in der Schweiz keine klare Trennung der einzelnen Verfahrensschritte in die international anerkannte Aufteilung «Medizinischtherapeutische Beurteilung» (Assessement), «Gesundheitspolitisch-gesellschaftliche
Beurteilung» (Appraisal) und «Politische Entscheidung» (Decision) gibt und dass
die Kompetenzen der beteiligten Institutionen – der Eidgenössischen Arzneimittelkommission (EAK) und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zu wenig klar abgegrenzt sind. Zudem kann festgestellt werden, dass die Untersuchungsergebnisse nur
unzureichend dokumentiert und kaum der Öffentlichkeit kommuniziert werden.
Aus der Evaluation der PVK wird ebenfalls ersichtlich, dass die neu eingeführte
periodische Überprüfung der Medikamente in der Spezialitätenliste aufgrund eingeschränkter Beurteilungskriterien und der knappen Ressourcenlage der zuständigen
Sektion des BAG nicht geeignet ist, sicherzustellen, dass die Medikamente auch nach
der Aufnahme in der Spezialitätenliste weiterhin die Aufnahmekriterien erfüllen.
Vielmehr stellt die GPK-S fest, dass bestehende Medikamente trotz sinkendem Kosten-Nutzen-Verhältnis – etwa durch die Einführung wirksamerer Medikamente –
nicht im Preis gesenkt oder von der Spezialitätenliste gestrichen werden. So erhalten
die Arzneimittelhersteller mit der Aufnahme eines Medikaments faktisch eine unbefristete Garantie auf Abrechnung zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung.
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Auch bei den patentfreien Medikamenten zeigt die Evaluation deutlich, dass das
aktuelle System nur unzureichend für kostengünstige Medikamente sorgt. Die
GPK-S stellt fest, dass im Vergleich zum Ausland die schweizerische Preisfestsetzung von Generika zu höheren Preisen von Generika und Originalpräparaten führt
und dadurch der Anteil der Generika am Gesamtumsatz des Medikamentenmarkts
gering ausfällt.
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Bericht
1
Einleitung
Damit ein Medikament von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP)
vergütet wird, muss es vom Schweizerischen Heilmittelinstitut Swissmedic zugelassen und vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) in der Spezialitätenliste aufgenommen worden sein. Diese Liste zählt in einer abschliessenden Weise die Medikamente
auf, welche durch die Krankenkassen übernommen werden müssen und nennt für
jedes Medikament einen zu vergütenden Höchstbetrag.
Das Verfahren zur Aufnahme und Überprüfung von Medikamenten in der Spezialitätenliste stand in den letzten Jahren oft in der Kritik. So wurde bemängelt, dass die
der Entscheidung zugrunde liegenden Beurteilungskriterien unzureichend definiert
und nur ungenügend geprüft werden oder dass die Medikamentenpreise in der
Schweiz allgemein zu hoch seien.1 Die Kritik galt auch den im internationalen
Vergleich hohen Generikapreisen in der Schweiz.2 Von Seiten der Arzneimittelhersteller kam verschiedentlich der Vorwurf, die Entscheide der Behörden seien nicht
transparent und das Verfahren dauere zu lange. Die Kritik am Verfahren wiederspiegelt sich auch in den häufigen Anpassungen der gesetzlichen Bestimmungen auf
Verordnungsebene, welche in den letzten Jahren im Medikamentenbereich vorgenommen wurden; etwa die Anpassung des Länderkorbs für den Auslandpreisvergleich oder die Einführung der periodischen Überprüfung der Medikamente in der
Spezialitätenliste.
Die Kritik und die vielen Massnahmen im Medikamentenbereich erklären sich auch
durch die Bedeutung der Medikamentenausgaben in der Schweiz. Die Ausgaben für
Medikamente stellen mit rund 20 % den drittgrössten Ausgabeposten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung dar. Der reale Kostenanstieg betrug in den letzten
zehn Jahren rund 14 %; das entspricht ungefähr dem Durchschnitt der allgemeinen
Kostensteigerung im Gesundheitswesen.3
Vor diesem Hintergrund beschlossen die beiden Geschäftsprüfungskommissionen
der eidgenössischen Räte (GPK) am 7. Januar 2012, die parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) mit einer Evaluation der Aufnahme von Medikamenten in der
Spezialitätenliste sowie deren Überprüfung auf der Liste zu beauftragen. Die zuständige Subkommission EDI/UVEK der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates
(GPK-S) entschied am 19. April 2012 auf der Grundlage der Vorschläge der PVK,
dass sowohl herkömmliche wie auch komplementärmedizinische Medikamente und
Generika untersucht werden und dass der Fokus auf das Verfahren der Preisfestsetzung gerichtet werden sollte. Die PVK hielt die Ergebnisse ihrer Untersuchung am
1
2
3
Vgl. etwa die parlamentarischen Vorstösse 08.3670 «Regelmässige Überprüfung der
Arzneimittelpreise», 09.3088 «Medikamentenpreise. Massnahmen im Preisbildungsprozess», 09.3539 «Senkung der Medikamentenpreise», 12.3342 «Neufestsetzung der Medikamentenpreise», 12.3396 «Anpassung im Preisbildungssystem für Medikamente» und
12.3614 «Medikamentenpreise. Neue Methode für die Preisfestsetzung».
Vgl. etwa Bericht des Preisüberwachers vom August 2013 «Schweizer Medikamentenmarkt im internationalen Vergleich – Handlungsbedarf im patentfreien Bereich»; Bericht
von Obsan vom Oktober 2013 «Influence des génériques sur le marché des médicaments».
Protokoll der Anhörung von Vertretern des BAG durch die GPK vom 4.11.2013.
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13. Juni 2013 im Bericht «Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung» (siehe Anhang) fest.
Der vorliegende Bericht der GPK-S stützt sich auf die Evaluation der PVK und auf
Anhörungen der Subkommission mit Vertretern des BAG und der Preisüberwachung.4 Die GPK-S versteht ihren Bericht als Ergänzung zum Bericht der PVK und
beschränkt sich im Folgenden auf die Darstellung der wichtigsten Schlussfolgerungen und ihrer Empfehlungen.
2
Mängel im Aufnahmeverfahren und
bei der Aufgabeteilung
2.1
Das Aufnahmeverfahren im Überblick
Voraussetzung für die Aufnahme eines Medikaments in der Spezialitätenliste ist,
dass es von Swissmedic für den schweizerischen Markt zugelassen worden ist.5
Sobald der Zulassungsentscheid von Swissmedic oder zumindest ein Vorbescheid
vorliegt, kann der Arzneimittelhersteller oder Importeur eine Aufnahme eines Medikamentes in der Spezialitätenliste beantragen.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Bundesamt für Gesundheit
(BAG) die Aufnahme von Medikamenten in der Spezialitätenliste nach Anhörung
der Eidgenössischen Arzneimittelkommission (EAK) beschliesst.6 Im ordentlichen
oder beschleunigten Verfahren leitet das BAG das Aufnahmegesuch an die EAK
weiter, welche das Gesuch anhand der gesetzlich vorgesehenen Kriterien Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit (WZW-Kriterien) begutachtet und
eine Empfehlung an das BAG abgibt. Im einfachen Verfahren, das namentlich bei
der Aufnahme von Generika zur Anwendung gelangt, ist ein Beizug der EAK nicht
vorgesehen. In Kenntnis der Empfehlung der EAK beurteilt das BAG danach seinerseits die Erfüllung der WZW-Kriterien, wobei es insbesondere die Wirtschaftlichkeit
beurteilt und einen Höchstpreis festlegt. Gelangt das BAG zum Entscheid, dass die
WZW-Kriterien erfüllt sind, erlässt es eine Verfügung zur Aufnahme des Medikaments. Wenn das BAG zum Schluss kommt, dass der Preis zu hoch angesetzt ist
oder die weiteren WZW-Kriterien nicht erfüllt sind, weist es das Gesuch für eine
Überarbeitung an den Gesuchsteller zurück.7 Das BAG kann die Aufnahme auch mit
Auflagen verbinden oder zeitlich befristen. Im Falle einer Erweiterung der Indikation oder einer Änderung der Limitation eines Medikaments überprüft das BAG
erneut, ob das Medikament die WZW-Kriterien erfüllt.
4
5
6
7
Siehe Beilage.
Das Verfahren der Marktzulassung durch Swissmedic war nicht Gegenstand der Evaluation der PVK. Auch die Ausgestaltung der Vertriebsmargen von Medikamenten wurde in
dieser Evaluation nicht berücksichtigt.
Im Bericht der PVK wird der Prozessablauf der Aufnahme von Medikamenten
überblicksmässig dargestellt. Vgl. Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen Krankenversicherung, Bericht der PVK, Ziffer 2.
Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen
Krankenversicherung, Bericht der PVK, Ziffer 5.3.
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2.2
Unklare Aufgabentrennung zwischen der EAK
und dem BAG
Aus der Evaluation der PVK wird deutlich, dass die Aufgabenbereiche der EAK und
des BAG im Aufnahmeprozess nicht klar getrennt sind.8 Eindeutig festgelegt ist
einzig, dass die EAK nur eine beratende Funktion hat und die Entscheidkompetenz
über die Aufnahme der Medikamente in der Spezialitätenliste beim BAG liegt.
Die Erfüllung der gesetzlich vorgeschriebenen WZW-Kriterien wird doppelt, das
heisst sowohl von der EAK wie auch vom BAG, geprüft. Das Handbuch zur Spezialitätenliste hält einzig fest, dass das BAG insbesondere das Kriterium der Wirtschaftlichkeit beurteilt. Wie die Beurteilung aber genau zustande kommt, ist nicht
transparent geregelt.
Die PVK zeigt in ihrem internationalen Vergleich,9 dass im Ausland die Verfahrensschritte und die Aufgabengebiete der beteiligten Stellen strenger voneinander getrennt sind. International ist die Aufteilung in die Verfahrensschritte «Medizinischtherapeutische Beurteilung» (Assessement), «Gesundheitspolitisch-gesellschaftliche
Beurteilung» (Appraisal) und «Politische Entscheidung» (Decision) üblich. Die
damit verbundene institutionelle Trennung der medizinischen Beurteilung durch
Fachleute und der Gewichtung dieser Ergebnisse aus gesellschaftspolitischer Sicht
durch ein Gremium von Interessensvertretern soll eine fach- und stufengerechte
Entscheidungsgrundlage gewährleisten, damit die staatliche Stelle über die Aufnahme eines Medikaments im Leistungskatalog der obligatorischen Krankenpflegeversicherung entscheiden kann.
In der Schweiz ist nur der Verfahrensschritt der politischen Entscheidung (Decision)
klar einer Institution, dem BAG, zugeteilt. Wie der Bericht der PVK aufzeigt, wird
die medizinisch-therapeutische Beurteilung (Assessement) und die gesundheitspolitisch-gesellschaftliche Beurteilung (Appraisal) sowohl vom BAG wie auch von der
EAK wahrgenommen.
Nach Auffassung der GPK-S erweisen sich die fehlende institutionelle Trennung der
Verfahrensschritte und die Mehrfachrolle, welche das BAG im Aufnahmeverfahren
innehat, als problematisch. Sie ist der Meinung, dass eine verstärkte institutionelle
Trennung der Verfahrensschritte zu besseren und gegen aussen transparenteren
Entscheidungsgrundlagen für die Aufnahme eines Medikaments in der Spezialitätenliste führt. Im Weiteren ist die Kommission der Auffassung, dass die Frage der
Zusammensetzung und des Auftrags der EAK überprüft werden müsste.
8
9
Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen
Krankenversicherung, Bericht der PVK, Ziffer 3.
Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen
Krankenversicherung, Bericht der PVK, Ziffer 3.1.
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Empfehlung 1
Die GPK-S ersucht den Bundesrat, zu prüfen, ob die gegenwärtige Aufgabentrennung zwischen der EAK und dem BAG zweckmässig und prozessoptimiert
ist sowie der Zusammensetzung dieser Stellen gerecht wird. Dabei soll der Bundesrat insbesondere die Einführung von klar getrennten Verantwortlichkeiten
gemäss der international anerkannten Aufteilung der Verfahrensschritte (Assessement, Appraisal und Decision) prüfen.
2.3
Kategorisierung der Medikamente nicht umgesetzt
Gemäss Artikel 31 Absatz 3 der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV10) teilt
die EAK jedes Arzneimittel in eine der folgenden Kategorien ein: (a) medizinischtherapeutischer Durchbruch; (b) therapeutischer Fortschritt; (c) Kosteneinsparung im
Vergleich zu anderen Arzneimitteln; (d) kein therapeutischer Fortschritt und keine
Kosteneinsparung; (e) unzweckmässig für die soziale Krankenversicherung. Das
Handbuch zur Spezialitätenliste sieht zudem die Kategorie «dp» für Medikamente
vor, die als zu teuer eingestuft werden und damit das Kriterium der Wirtschaftlichkeit nicht erfüllen.
In ihrer Evaluation stellt die PVK fest, dass die EAK in der Praxis keine explizite
Einteilung in die von der Verordnung vorgesehenen Kategorien vornimmt.11 Stattdessen entscheidet das BAG aufgrund der Beratung der EAK über die Einteilung
eines Medikaments in eine der Kategorien. Das BAG begründet diese Praxis damit,
dass die Kategorien nicht zweckmässig seien und die meisten Gesuche in die Kategorie «dp» fallen würden.12
Die GPK-S zeigt sich erstaunt über diese nicht rechtskonforme Umsetzung durch
das BAG. Abgesehen vom Grundsatz der Gesetzmässigkeit, der zumindest eine
Anpassung der vom EDI erlassenen Verordnung nahelegen würde, stellt sich nach
Ansicht der GPK-S auch die Frage der institutionellen Unabhängigkeit der EAK,
welche durch eine eigenständige Kategorisierung durch die EAK gestärkt würde.
Empfehlung 2
Die GPK-S ersucht den Bundesrat, die Zweckmässigkeit und Praxistauglichkeit
der Kategorisierung gemäss Artikel 31 Absatz 3 KLV zu prüfen und allenfalls
Anpassungen vorzunehmen.
10
11
12
Verordnung des EDI vom 29. September 1995 über Leistungen in der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung, SR 832.112.31.
Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen
Krankenversicherung, Bericht der PVK, Ziffer 3.2.
Gemäss des Schreibens des BAG vom 19. Dezember 2013 an die GPK-S werden die
Kategorien seit dem Jahr 2012 wieder mehrheitlich angewandt.
7781
2.4
Ungenügende Ressourcen der EAK und des BAG
Neben der schwachen institutionellen Stellung der EAK zeigt die Evaluation der
PVK auch einen Ressourcenmangel der EAK auf.13 Das Milizprinzip der ausserparlamentarischen Kommission stösst aufgrund der hohen Anzahl an Gesuchen und
deren Komplexität an seine Grenzen. Zudem fehlt ein eigenes und unabhängiges
Sekretariat der EAK; das Sekretariat wird durch das BAG geführt. Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass die eigenständigen Evaluationsbehörden im Ausland
mit mehr eigenen Ressourcen ausgestattet sind.
Die Kommission begrüsst, dass auf Anfang 2014 eine Erhöhung der Anzahl Sitzungen der EAK von 4 auf 6 Sitzungen jährlich beschlossen wurde. Sie stellt ausserdem
fest, dass die Mitglieder der EAK die Unterstützung durch das BAG als positiv
beurteilen. Wie das BAG bekannt gab, will es ab 2014 die Beurteilung der EAK
durch zusätzliche Vorarbeiten erleichtern, namentlich durch die Erstellung von
Faktenblättern zuhanden der EAK sowie eine formelle und inhaltliche Vorprüfung
der eingereichten Dossiers.
Auch hier stellt sich der GPK-S aber vor dem Hintergrund der bereits bis anhin
dominierenden Rolle des BAG im Aufnahmeverfahren die Frage, ob durch diese
Massnahmen die Unabhängigkeit der EAK nicht weiter eingeschränkt wird. Die
GPK-S begrüsst jedoch, dass die Sitzungen der EAK seit Januar 2012 nicht mehr
vom BAG, sondern von einem verwaltungsunabhängigen Mitglied der EAK präsidiert werden.
Die Analyse der PVK deutet auch auf einen Mangel an Ressourcen bei der zuständigen Sektion im BAG hin. Die PVK stellt fest, dass deren Ressourcenausstattung
nicht ausreicht, um die Gesuche vertieft zu untersuchen.14 Nach Ansicht der GPK-S
werden die Grenzen der personellen Ressourcen bei der zuständigen Sektion im
BAG insbesondere bei der gesetzlich vorgeschriebenen periodischen Überprüfung
der Medikamente in der Spezialitätenliste offensichtlich.15 Die GPK-S begrüsst
deshalb, dass im Hinblick auf die zu erwartende Mehrbelastung der zuständigen
Sektion des BAG mit der im Mai 2013 beschlossene Verkürzung des Aufnahmeverfahrens auf höchstens 60 Tage eine Aufstockung der personellen Ressourcen um
drei zusätzliche Vollzeitstellen genehmigt wurde.
Empfehlung 3
Die GPK-S ersucht den Bundesrat, in Abhängigkeit der zukünftigen Rollen der
EAK und der zuständigen Sektion des BAG und unter Berücksichtigung der
Resultate der laufenden Effizienzüberprüfung des BAG sicherzustellen, dass
beide Institutionen mit den für die Erfüllung ihres Auftrags erforderlichen Ressourcen ausgestattet sind. Der Bundesrat trägt dabei insbesondere der Unabhängigkeit der EAK und einer angemessenen organisatorischen Trennung zum BAG
Rechnung.
13
14
15
Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen
Krankenversicherung, Bericht der PVK, Ziffer 3.3.
Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen
Krankenversicherung, Bericht der PVK, Ziffer 3.3.
Vgl. unten Ziffer 5
7782
2.5
Keine Weitergabe von Berichten der Swissmedic
an das BAG
Das BAG und die EAK prüfen ein Gesuch aufgrund der Unterlagen, welche vom
Gesuchsteller eingereicht werden. Das BAG kann das Gesuch mit weiteren sachdienlichen Unterlagen ergänzen, welche nicht vom Gesuchsteller eingereicht wurden.
Die Berichte von Swissmedic, welche für die Überprüfung der Sicherheit von Medikamenten und damit für deren Marktzulassung erstellt werden, sind dem BAG
jedoch aufgrund gesetzlicher Restriktionen nicht zugänglich.16 In den Berichten der
Swissmedic werden die Ergebnisse der Begutachtung einer grösseren Anzahl von
Studien festgehalten. Dem BAG und der EAK fehlen so wichtige Informationen, die
von Swissmedic im Kontext der Marktzulassung bereits erarbeitet wurden.17
Die GPK-S stellt mit Befriedigung fest, dass in der aktuellen Revision des Heilmittelgesetzes vorgesehen ist, dem Bundesrat die Kompetenz zu geben, den weiteren
Bundesbehörden des Gesundheitsbereichs die Daten von Swissmedic zur Verfügung
zu stellen.18 Die GPK-S ist der Ansicht, dass mit der heutigen Rechtslage die Synergien zwischen dem BAG und Swissmedic nicht optimal genutzt werden können.
3
Ungenügende und unpräzise Beurteilungskriterien
3.1
Unzureichende Präzisierung der Kriterien
der Wirksamkeit und der Zweckmässigkeit
Die PVK stellt in ihrer Evaluation fest, dass die WZW-Kriterien in der Schweiz nur
wenig für den Vollzug konkretisiert worden sind.19 Insbesondere die Kriterien der
Wirksamkeit und der Zweckmässigkeit sind in der Schweiz viel allgemeiner formuliert als in den Vergleichsländern Deutschland und Österreich. So gibt es in der
Schweiz namentlich für die Bewertung des Nutzens eines Medikaments keine spezifischen Vorgaben, welche eine einheitliche Anwendung gewährleisten würden.20
Die rechtlichen Grundlagen sehen für den Nachweis der Wirksamkeit, d.h. des
individuellen Nutzens eines Medikaments für den Patienten, keine klaren Indikatoren (z.B. Operationalisierung der Lebensqualität) oder Vergleiche mit anderen
Medikamenten oder auch mit nichtmedikamentösen Leistungen vor. Der zusätzliche
Nutzen, der sich aus einem neuen Medikament für die Patientinnen und Patienten
16
17
18
19
20
Das BAG gilt nicht als eine Vollzugsbehörde des Heilmittelgesetzes und ist damit nach
aktueller Rechtslage nicht berechtigt, die Daten von Swissmedic zu erhalten; vgl. Art. 63
des Bundesgesetzes vom 15. Dezember 2000 über Arzneimittel und Medizinprodukte
(Heilmittelgesetz, HMG), SR 812.21.
Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen
Krankenversicherung, Bericht der PVK, Ziffer 4.1.
Vgl. Art. 63 E-HMG (Entwurf vom 7. Nov. 2012 zum Bundesgesetz über Arzneimittel
und Medizinprodukte, BBl 2013 131).
Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen
Krankenversicherung, Bericht der PVK, Ziffer 4.
Im Bereich der komplementärmedizinischen Arzneimittel stellte die PVK fest, dass
insbesondere keine Beurteilungskriterien für den Nachweis der Wirksamkeit festgelegt
sind. Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen Krankenversicherung, Bericht der PVK, Ziffer 4.5.
7783
ergibt, muss vom Gesuchsteller nicht nachgewiesen werden und wird folglich nur
ungenügend berücksichtigt.21 Auch für den Nachweis der Zweckmässigkeit sind
keine präzisen Kriterien festgehalten, um den Nutzen eines Medikaments und namentlich die soziale Nutzenperspektive (Notwendigkeit einer Leistungsübernahme
durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung) zu bestimmen und zu gewichten.22
Nach Ansicht der GPK-S stellt die fehlende Präzisierung der WZW-Kriterien eine
unbefriedigende Situation dar. Sie ist der Meinung, dass eine detailliertere Ausgestaltung der Beurteilungskriterien die einheitliche Anwendung der Aufnahme von
Medikamenten fördern und zudem die Entscheide der Vollzugsbehörden für die
beteiligten Akteure nachvollziehbarer machen würde.
Auch ist die GPK-S der Auffassung, dass die Nutzenanalyse eines Medikaments
gegenwärtig nur unzureichend in die Beurteilung einfliesst. Wie die Evaluation der
PVK aufzeigt, werden in den meisten Ländern der EU klare Anforderungen an den
Nachweis des Nutzens von Medikamenten gestellt, wenn diese von der obligatorischen Krankenversicherung übernommen werden sollen. Auf internationaler Ebene
besteht zudem der Trend zu vertieften Versorgungsstudien sowie umfassenden
«Health Technology Assessments» (HTA), bei denen gesundheitsökonomische,
rechtliche, ethische und soziale Aspekte anhand von Indikatoren systematisch einbezogen werden. Die GPK-S ist sich bewusst, dass solche umfassenden Prüfverfahren
komplex und ressourcenintensiv sein können. Sie stellt aber fest, dass die gegenwärtige Ausgestaltung des Prüfverfahrens den therapeutischen Mehrwert eines neuen
Medikaments für die individuelle und soziale Nutzenperspektive nur ungenügend
berücksichtigt.
Postulat 1
Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, eine Präzisierung und Ergänzung der Kriterien zum Nachweis der Wirksamkeit und Zweckmässigkeit zu prüfen und darüber Bericht zu erstatten. Dabei sorgt er insbesondere für eine verbesserte Berücksichtigung des Medikamentennutzens.
3.2
Wirtschaftlichkeit: Mangelhafte Referenzwerte
Ein Arzneimittel gilt als wirtschaftlich, wenn es die indizierte Heilwirkung mit
möglichst geringem finanziellem Aufwand gewährleisten kann. Geprüft wird die
Wirtschaftlichkeit durch den Vergleich mit anderen Arzneimitteln – dem therapeutischen Quervergleich (TQV) – und den Auslandpreisvergleich (APV). In ihrer Evaluation kommt die PVK jedoch zum Schluss, dass sich beide Instrumente nur beschränkt für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit eignen und in der Anwendung
21
22
Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen
Krankenversicherung, Bericht der PVK, Ziffer 4.1.
Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen
Krankenversicherung, Bericht der PVK, Ziffer 4.2.
7784
auf gravierende Schwierigkeiten stossen. Zudem stellt sie fest, dass den gesetzlichen
Bestimmungen keine Gewichtung der beiden Instrumente zu entnehmen ist.23
Für den therapeutischen Quervergleich mangelt es in der Schweiz an einer klaren
Definition von Vergleichsgruppen. Anders als im Ausland ist es in der Schweiz
daher oft nicht klar, mit welchen Arzneimitteln ein bestimmtes Medikament verglichen werden muss. Zudem fehlt es, wie oben bereits dargelegt, an einer aussagekräftigen Nutzenanalyse eines Medikaments. Wie die PVK aufzeigt, ist der Gesuchsteller in der Schweiz nicht verpflichtet, ökonomische Studien einzureichen, welche die
Kosten eines Medikaments ins Verhältnis zu seinem Nutzen stellen und somit den
Vergleich zu anderen Medikamenten erleichtern würde.
Die PVK stellt fest, dass auch der Auslandpreisvergleich, welcher sich an den Listenpreisen von Medikamenten im Ausland orientiert, nur eine begrenzte Aussagekraft aufweist. Denn aufgrund von teilweise substantiellen Rabatten, welche die
Arzneimittelhersteller im Ausland auf den Listenpreisen gewähren, oder aufgrund
von Festbetragssystemen ist der effektiv von den Krankenversicherern vergütete
Medikamentenpreis im Ausland oft wesentlich tiefer als der gelistete Preis. Diese
Rabatte sind häufig nicht transparent ausgewiesen und damit schwierig zu eruieren.
Doch auch die gesetzlich vorgeschriebenen und somit öffentlich bekannten Rabatte
(wie in Deutschland) bleiben aktuell vom BAG unberücksichtigt.
Auch im Zusammenhang mit der Gewährleistung von Innovationszuschlägen, welche die Kosten für Forschung und Entwicklung angemessen berücksichtigen sollen,
stellt die PVK fest, dass die Anwendungsrichtlinien nur ungenügend präzisiert
wurden.24
Postulat 2
Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, eine Optimierung der Kriterien zur Bestimmung der Wirtschaftlichkeit zu prüfen und darüber Bericht zu erstatten. Im
Bereich des therapeutischen Quervergleichs prüft er insbesondere die Festlegung
von Vergleichsgruppen und eine Weiterentwicklung der Kosten-NutzenAnalyse. Im Zusammenhang mit dem Auslandpreisvergleich prüft er eine verbesserte Berücksichtigung der tatsächlich von den Krankenkassen im Ausland
vergüteten Medikamentenpreise. Mit der Präzisierung der Bedingungen eines
Innovationszuschlages sorgt er für eine einheitliche Zuschlagsgewährung.
23
24
Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen
Krankenversicherung, Bericht der PVK, Ziffer 4.3 und 5.2.
Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen
Krankenversicherung, Bericht der PVK, Ziffer 5.2.
7785
3.3
Problematik der befristeten Aufnahme
Wenn bei der Gesuchstellung um Aufnahme eines Medikaments in der Spezialitätenliste noch keine ausreichenden Wirksamkeitsbelege vorliegen, kann das BAG das
Medikament befristet aufnehmen. Wie die PVK aufzeigt,25 liegt die Problematik der
befristeten Aufnahme darin, dass nach Ablauf der Frist häufig weiterhin ein klarer
Wirkungsnachweis fehlt, die befristet aufgenommenen Medikamente aber nur
schwierig wieder von der Spezialitätenliste ausgeschlossen werden können, da die
Patientinnen und Patienten bereits auf die Medikamente eingestellt sind und eine
Absetzung problematisch für sie sein könnte. Die GPK hält fest, dass die befristete
Aufnahme zwar eine begrüssenswerte Flexibilität für die Aufnahme von neuen und
noch schwach belegten Medikamenten bietet, aber auch ein problematisches Präjudiz für die spätere unbefristete Aufnahme schaffen kann. Die GPK-S erachtet es als
wichtig, die Praxis der befristeten Aufnahme transparent auszuweisen.
Empfehlung 4
Die GPK-S empfiehlt dem Bundesrat, die befristete Aufnahme von Medikamenten in der Spezialitätenliste transparent auszuweisen und dafür zu sorgen, dass
diejenigen Medikamente, welche die gesetzlichen WZW-Kriterien nicht erfüllen, nach erfolgter Evaluation konsequent von der Kassenpflicht ausgeschlossen
werden.
3.4
Vereinzelte Festlegung von Rückvergütungen
in der «Limitation»
Gemäss den gesetzlichen Vorgaben wird im Feld «Limitation» der Spezialitätenliste
die ordentliche Vergütungspflicht der OKP auf eine bestimmte Anwendung des
Medikaments (insbesondere in Bezug auf die Menge oder die medizinischen Indikationen) eingeschränkt.26 Die PVK stellt jedoch in ihrer Evaluation einzelne Fälle
fest, in welchen Medikamente mit relativ hohen Listenpreisen aufgenommen wurden, gleichzeitig aber in der Limitation eine Rückvergütung an die Krankenkassen
vorgeschrieben wurde.27 Die PVK erklärt diese Fälle, in denen die Limitation nicht
eine Anwendungsbeschränkung sondern einen Preisrabatt festlegt, damit, dass ein
hoher Listenpreis in der Schweiz Einfluss auf die Preisfestsetzung im Ausland hat,
da die Schweiz in vielen Referenzkörben von anderen Ländern aufgenommen ist.
Die Arzneimittelhersteller sind folglich an einem möglichst hohen Listenpreis interessiert.
Die GPK-S ist erstaunt ab dieser offensichtlich bestimmungsfremden Nutzung der
Limitation in der Spezialitätenliste. Die Aufnahme eines Medikaments mit einer im
Vorhinein festgelegten Rückvergütung an die Krankenversicherer wirft die Frage
25
26
27
Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen
Krankenversicherung, Bericht der PVK, Ziffer 5.2.
Art. 73 der Verordnung vom 27. Juni 1995 über die Krankenversicherung (KVV),
SR 832.102
Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen
Krankenversicherung, Bericht der PVK, Ziffer 5.3
7786
auf, ob ein Listenpreis – der nicht dem tatsächlich vergüteten Preis entspricht – das
Kriterium der Wirtschaftlichkeit erfüllt. Das BAG nennt zwar in seinem Schreiben
an die GPK-S verschiedene Gründe, weshalb in der Limitation mit einer Rückvergütung sichergestellt werden müsse, dass die Kosten des Medikaments ihrem therapeutischen Nutzen entsprechen.28 Die GPK-S sieht aber nicht ein, weshalb das Kriterium der Wirtschaftlichkeit nicht direkt bei der Festsetzung des Listenpreises der
Medikamente berücksichtigt wurde. Zudem fragt sich die Kommission, ob der
Mehraufwand für die Einforderung der Rückvergütung bei den Krankenversicherungen gerechtfertigt ist.
Empfehlung 5
Die GPK-S ersucht den Bundesrat, die Praxis der Festsetzung von Rückvergütungen in der Limitation eines Medikaments zu überprüfen.
4
Mangelnde Transparenz des Aufnahmeverfahrens
Die Evaluation der PVK zeigt auf, dass das Aufnahmeverfahren und die Entscheide
des BAG wenig transparent sind.29 Einerseits lässt sich feststellen, dass die Ergebnisse der einzelnen Prüfschritte in der Schweiz kaum und nur oberflächlich dokumentiert werden. Dies im Gegensatz zu gewissen ausländischen Verfahren, insbesondere Deutschland, wo die Ergebnisse zu jedem einzelnen Verfahrensschritt im
Internet publiziert werden. Vor dem Hintergrund der bereits festgestellten ungenügenden Trennung der Verfahrensschritte und Verantwortlichkeiten im schweizerischen Aufnahmeverfahren30 und der nicht explizit umgesetzten Kategorisierung der
Medikamente durch die EAK31 ist die Dokumentation der einzelnen Verfahrensschritte nach Ansicht der GPK-S ungenügend.
Neben der schwachen internen Berichterstattung ortet die PVK andererseits auch
eine mangelhafte Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit. Die Entscheidkommunikation begrenzt sich auf die Bekanntgabe des zugelassenen Medikaments, des
Preises und einer allfälligen Limitation. Das BAG begründet die Zurückhaltung bei
der Veröffentlichung von Unterlagen mit der Rücksichtnahme auf Geschäftsgeheimnisse. Wie die PVK aber aufzeigt, unterliegen nur wenige Unterlagen dem
Geschäftsgeheimnis und namentlich die Berichte zum Assessement und zum Appraisal, d.h. zur medizinischen und gesellschaftspolitischen Beurteilung des Medikaments, könnten ohne Beeinträchtigung des Geschäftsgeheimnisses veröffentlicht
werden. Die GPK-S ist überzeugt, dass eine grössere Transparenz des Aufnahmeverfahrens die Entscheide des BAG nachvollziehbarer machen und zudem den Leistungserbringern und den Patientinnen und Patienten wertvolle Informationen bieten
würde.
28
29
30
31
Schreiben des BAG vom 19. Dezember 2013 an die GPK-S.
Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen
Krankenversicherung, Bericht der PVK, Ziffer 5.4.
Vgl. oben Ziffer 2.2.
Vgl. oben Ziffer 2.3.
7787
Empfehlung 6
Die GPK-S empfiehlt dem Bundesrat, zu prüfen, wie die Verfahrensschritte und
der Entscheid über die Aufnahme eines Medikaments in der Spezialitätenliste
transparenter dokumentiert und der interessierten Öffentlichkeit kommuniziert
werden können. Er berücksichtigt dabei sowohl das Interesse der Öffentlichkeit
und der Leistungserbringer an der Bekanntgabe der Beurteilung des Medikamentennutzens als auch die Interessen der Arzneimittelhersteller auf Wahrung
des Geschäftsgeheimnisses. Der Bundesrat stellt dabei sicher, dass Entscheide
des BAG, welche von der Beurteilung der EAK abweichen, ausreichend begründet werden.
5
Defizite in der periodischen Überprüfung
Mit Artikel 65d der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV) führte der
Bundesrat 2009 eine dreijährliche periodische Überprüfung der Medikamente in der
Spezialitätenliste ein. Auf dieser Rechtsgrundlage überprüft das BAG jedes Jahr
rund einen Drittel der kassenpflichtigen Medikamente. Falls das BAG dabei zum
Schluss kommt, dass die Wirtschaftlichkeit nicht mehr erfüllt ist, verfügt es eine
angemessene Preissenkung.
Die ersten periodischen Überprüfungen fanden in den Jahren 2012 und 2013 statt.
Von den je rund 800 geprüften Medikamenten wurde bei jeweils rund 500 Medikamenten eine Preissenkung verfügt.
5.1
Eingeschränkte Beurteilung bei der Überprüfung
Gemäss den rechtlichen Bestimmungen müssen die Wirksamkeit, Zweckmässigkeit
und Wirtschaftlichkeit aller Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung periodisch überprüft werden.32 Wie die PVK in ihrer Evaluation feststellt,
beurteilt das BAG aber bei der periodischen Überprüfung nur das Kriterium der
Wirtschaftlichkeit.33 Die Wirksamkeit und die Zweckmässigkeit werden nicht berücksichtigt, obwohl ihre Überprüfung auch gesetzlich vorgesehen wäre.
Bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit wendet das BAG zudem in der Regel nur
den Auslandpreisvergleich an; ein therapeutischer Quervergleich wird nur durchgeführt, wenn das Medikament im Ausland nicht auf dem Markt ist (Art. 65d Abs. 1bis
KVV). Wie die PVK aufzeigt, entsprach die Preissenkung von rund 20 % bei der
ersten Überprüfung ungefähr der Anpassung des für Auslandpreisvergleiche geltenden Wechselkurses.34
32
33
34
Vgl. Art. 32 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung (KVG), SR 832.10. Vor der Verordnungsänderung mit Art. 65d KVV fand die
Überprüfung in längeren, unregelmässigen Abständen statt.
Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen
Krankenversicherung, Bericht der PVK, Ziffer 6.
Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen
Krankenversicherung, Bericht der PVK, Ziffer 6.2.
7788
Das BAG begründet die eingeschränkte Beurteilung bei der periodischen Überprüfung damit, dass sich der Nutzen eines Medikaments gegenüber anderen Medikamenten in der Regel nicht ändere. Zudem würden die verfügbaren Ressourcen im
BAG nicht ausreichen um systematisch einen therapeutischen Quervergleich mit
anderen Medikamenten durchzuführen. Schliesslich würde der therapeutische Quervergleich die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass die vom BAG verfügten Preissenkungen angefochten würden.35
Die PVK stellt fest, dass die periodische Überprüfung momentan nur zu gewährleisten vermag, dass die Preisdifferenz zum Ausland nicht zunimmt.36 Da bei Überprüfung einzig der Auslandpreisvergleich durchgeführt wird, bleiben nicht nur die
Kriterien der Wirksamkeit und der Zweckmässigkeit unberücksichtigt, auch der
therapeutische Mehrwert und damit auch das Kosten-Nutzen-Verhältnis gegenüber
anderen Medikamenten fliessen nicht in die Beurteilung ein. So wie die periodische
Überprüfung heute ausgestaltet ist, bewirkt sie nicht, dass die Preise von bestehenden Medikamenten im Falle von Innovationen im Medikamentenmarkt gesenkt
werden.
Die GPK-S stellt begrüssend fest, dass die seit 2012 durchgeführten periodischen
Überprüfungen zu wesentlichen Preissenkungen im Medikamentenmarkt führten
(die Überprüfung im Jahr 2012 führt voraussichtlich zu einer jährlichen Einsparung
von rund 240 Millionen Franken und jene von 2013 zu einer zusätzlichen jährlichen
Einsparung von mindestens 200 Millionen Franken). Angesichts der von der PVK
dargelegten Situation kommt die GPK-S nicht darum herum, festzuhalten, dass die
periodische Überprüfung im Medikamentenbereich nicht den Vorgaben von Artikel 32 Absatz 2 KVG entspricht, da sie die Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit nicht vollständig berücksichtigt. Die auf den Auslandpreisvergleich beschränkte dreijährliche Überprüfung der Medikamente in der
Spezialitätenliste stellt nach Auffassung der Kommission eine ungenügende Massnahme dar, um das angemessene Kosten-Nutzen-Verhältnis der kassenpflichtigen
Medikamente zu gewährleisten. Kommt hinzu, dass der Auslandpreisvergleich, wie
bereits festgestellt,37 nur eine begrenze Aussagekraft aufweist. Für die GPK-S ist es
interessant zu erfahren, dass andere Länder eine weitergehende Überprüfung der
Kassenpflicht von Medikamenten kennen, und neben der reinen Preisbetrachtung
auch den Nutzen im Sinne der Wirksamkeit und Zweckmässigkeit regelmässig
überprüfen.38
Empfehlung 7
Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, darzulegen, wie der Auftrag der periodischen Überprüfung gemäss Artikel 32 Absatz 2 KVG im Bereich der Medikamente künftig vollumfänglich umgesetzt werden kann.
35
36
37
38
Schreiben des BAG vom 19. Dezember 2013 an die GPK-S.
Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen
Krankenversicherung, Bericht der PVK, Ziffer 6.3 und 8.3.
Vgl. oben Ziffer 3.2.
Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen
Krankenversicherung, Bericht der PVK, Ziffer 8.3.
7789
5.2
Keine Streichungen aufgrund negativer
WZW-Beurteilungen
Die PVK stellt weiter fest, dass in den letzten 10–15 Jahren keine Medikamente
aufgrund von negativen Beurteilungen der WZW-Kriterien durch das BAG von der
Spezialitätenliste gestrichen wurden.39 Das BAG entfernt ein Medikament einzig
von der Spezialitätenliste, wenn Swissmedic dem Medikament die Marktzulassung
entzieht oder wenn der Arzneimittelhersteller die Streichung beantragt. Das BAG
begründet seine Zurückhaltung bei der Streichung von Medikamenten mit der
Schwierigkeit des Nachweises, dass ein Medikament die WZW-Kriterien nicht mehr
erfüllt. Da die Beweislast beim BAG liege und Streichungsverfahren aufwändig und
langwierig verliefen, sei eine Streichung faktisch unmöglich.
Postulat 3
Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, in einem Bericht Massnahmen abzuklären, die es ermöglichen, in der Spezialitätenliste aufgenommene Medikamente,
welche die WZW-Kriterien nicht mehr erfüllen, konsequent von der Spezialitätenliste zu streichen.
6
Generika: Fehlende Anreize zu Preissenkungen
im patentfreien Medikamentenbereich
Nach Ablauf des Patentschutzes von Originalpräparaten können diese durch günstigere Generika konkurriert werden. Als Generikum gilt ein Arzneimittel, das aufgrund identischer Wirkstoffe sowie seiner Darreichungsform und Dosierung austauschbar mit dem Originalpräparat ist. Bei der Aufnahme von Generika in der
Spezialitätenliste prüft das BAG die Wirksamkeit nicht separat, da von derselben
Wirksamkeit wie beim Originalpräparat ausgegangen wird. Die Zweckmässigkeit
von Generika gilt als erfüllt, wenn sie in den gleichen Verabreichungsformen, Packungsgrössen und Dosisstärken wie das Originalpräparat für Erwachsene angeboten werden. Die Wirtschaftlichkeit beurteilt das BAG gemäss Artikel 65c KVV nach
einem fixen Preisabstand zum Originalpräparat. Je nach Umsatzvolumen des Originalpräparats muss der Preis von Generika zwischen 10 und 60 % tiefer liegen als der
Preis der Originalpräparate.
Wie der Ländervergleich der PVK aufzeigt, stellt diese fixe Preisabstandregelung
zwischen Generika und Originalpräparaten ein Sondermerkmal des schweizerischen
Systems dar.40 In anderen Ländern wird der von den Krankenkassen vergütete Preis
von Originalpräparaten mit der Einführung austauschbarer Generika oft gesenkt. In
der Schweiz werden hingegen Medikamente trotz austauschbarer Wirkung zu unterschiedlichen Preisen von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vergütet.
Zwar tragen die Patientinnen und Patienten seit der Einführung von Artikel 38a
KLV beim Kauf von Originalpräparaten trotz Vorhandensein von Generika einen
39
40
Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen
Krankenversicherung, Bericht der PVK, Ziffer 6.3.
Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen
Krankenversicherung, Bericht der PVK, Ziffer 4.4.
7790
höheren Selbstbehalt (20 statt 10 %). Dies führt teilweise dazu, dass die Preise von
Originalpräparaten gesenkt werden, um dem höheren Selbstbehalt auszuweichen.
Die PVK kommt aber in ihrer Evaluation zum Schluss, dass die Wirkung des differenzierten Selbstbehalts noch nicht eindeutig eruiert werden kann.41 In seinem
Bericht über den Medikamentenmarkt im patentfreien Bereich geht der Preisüberwacher von einer zu schwachen Wirkung des erhöhten Selbstbehalts aus.42
Die PVK stellt trotz des differenzierten Selbstbehalts einen grundsätzlichen Widerspruch zur gesetzlichen Anforderung der Wirtschaftlichkeit fest, da die Krankenkassen nicht nur das kostengünstigste sondern auch das teurere Originalpräparat vergüten müssen.43 Angesichts der per Definition vorausgesetzten Austauschbarkeit von
Generika und Originalpräparaten müsste die obligatorische Krankenpflegeversicherung gemäss dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit ein Medikament nur bis zum Preis
des günstigsten Generikums vergüten.
Die GPK-S stellt fest, dass die schweizerische Preisregulierung von Generika im
Vergleich zum Ausland zu grundsätzlich höheren Preisen von Generika und Originalpräparaten und zu einem geringen Anteil von Generika auf dem Medikamentenmarkt führen.44 Angesichts der Sonderstellung der schweizerischen Preisregelung
von Generika fragt sich die GPK-S, ob andere Preisfestsetzungsmechanismen,
beispielsweise ein Festbetragssystem (wie vom Preisüberwacher gefordert oder in
einer anderen Form), besser geeignet wären, der gesetzlichen Anforderung der
Wirtschaftlichkeit Rechnung zu tragen. Im sogenannten Festbetragssystem, das –
wie der Preisüberwacher aufzeigt45 – bereits 22 europäische Länder in unterschiedlichen Varianten eingeführt haben, werden Medikamente mit gleichen Wirkstoffen
nur zum Preis des kostengünstigsten Präparats von den Krankenkassen vergütet.
Empfehlung 8
Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, im Bereich der patentfreien Medikamente
Massnahmen zu prüfen, die griffigere Anreize zur Preissenkung von Originalpräparaten und Generika sowie zur vermehrten Verschreibung von Generika
schaffen. Dabei nimmt er insbesondere zur möglichen Einführung eines Festbetragssystems Stellung.
41
42
43
44
45
Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen
Krankenversicherung, Bericht der PVK, Ziffer 4.4.
Bericht des Preisüberwachers vom August 2013 «Schweizer Medikamentenmarkt im
internationalen Vergleich – Handlungsbedarf im patentfreien Bereich», Seite 5.
Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen
Krankenversicherung, Bericht der PVK, Ziffer 4.4
Dieser Schluss ergibt sich auch aus dem Bericht des Preisüberwachers vom August 2013
«Schweizer Medikamentenmarkt im internationalen Vergleich – Handlungsbedarf im patentfreien Bereich» und dem Bericht von Obsan vom Oktober 2013 «Influence des
génériques sur le marché des médicaments»
Bericht des Preisüberwachers vom August 2013 «Schweizer Medikamentenmarkt im
internationalen Vergleich – Handlungsbedarf im patentfreien Bereich», Seite 8
7791
7
Schlussfolgerungen
Insgesamt zeigt die Evaluation nach Ansicht der GPK-S, dass die aktuelle Ausgestaltung des Verfahrens zur Aufnahme und Überprüfung der Medikamente in der
Spezialitätenliste verschiedentliche Schwachstellen aufweist. Die Kommission
ersucht daher den Bundesrat, bis spätestens am 31. August 2014 zu ihren Feststellungen und Empfehlungen sowie zur Evaluation der PVK Stellung zu nehmen, und
dabei darzulegen, mit welchen Massnahmen und bis wann er die Empfehlungen der
Kommission umzusetzen gedenkt.
25. März 2014
Im Namen
der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates
Der Präsident: Hans Hess
Die Sekretärin: Beatrice Meli Andres
7792
Beilage
Liste der angehörten Personen
Pascal Strupler
Direktor BAG
Sandra Schneider
Leiterin Abteilung Leistungen, Direktionsbereich Krankenund Unfallversicherung, BAG
Andrea Frey
Leiterin Sektion Medikamente, Direktionsbereich Krankenund Unfallversicherung, BAG
Stefan Meierhans
Preisüberwacher
Manuel Jung
Leiter Fachbereich Gesundheit, Preisüberwachung
7793
7794
Evaluation der Zulassung und Überprüfung
von Medikamenten in der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung
Anhang
Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden
der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates
vom 13. Juni 2013
2014-1538
7795
Das Wichtigste in Kürze
Die Medikamentenpreise sind im Kontext der steigenden Gesundheitskosten ein
wiederkehrendes Thema. Die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen
Räte haben deshalb der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle (PVK) den Auftrag erteilt, die Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu evaluieren. Die zuständige Subkommission
EDI/UVEK der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates hat am 19. April
2012 über die genaue Ausrichtung der Untersuchung entschieden.
Ergebnisse im Überblick
Insgesamt zeigt die Evaluation verschiedene rechtliche Defizite im Verfahren der
Zulassung und Überprüfung sowie Schwierigkeiten beim Vollzug auf. Die Kriterien
für die Beurteilung von Medikamenten sind zu wenig präzise, die Verfahrensstruktur
und Kompetenzen sind unklar, die neu eingeführte Überprüfung von bereits zugelassenen Medikamenten ist zu wenig wirksam und die Preisregulierung bei Generika ist
rechtlich widersprüchlich. Dass namentlich das Ziel einer wirtschaftlichen Medikamentenversorgung mit den gegenwärtigen Verfahren beschränkt erreicht wird, zeigt
sich auch daran, dass sich die Zahl der kassenpflichtigen Arzneimittel in den vergangenen 15 Jahren verdoppelt hat und die Preise neuer Arzneimittel kontinuierlich
gestiegen sind.
Unpräzise Beurteilungskriterien und unsystematische Nutzenbewertung
Von der Krankenversicherung werden nur Arzneimittel vergütet, die auf der so
genannten Spezialitätenliste (SL) aufgeführt sind, die das Bundesamt für Gesundheit
(BAG) verabschiedet. Damit Medikamente kassenpflichtig werden, müssen sie die
drei Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit erfüllen.
Die WZW-Kriterien werden vom BAG und von der Eidgenössischen Arzneimittelkommission (EAK) bei jedem Gesuch stets angewendet. Diese Kriterien wurden von
den Behörden aber nur unzureichend präzisiert. Namentlich wird der Nutzen der
Medikamente ungenügend und nicht nach einheitlichen Kriterien bewertet. Dies
wirkt sich unter anderem auf die Preisfestsetzung aus.
Die beiden Instrumente, die für die Preisbestimmung angewandt werden, weisen
Defizite auf. So werden beim so genannten Auslandpreisvergleich Listenpreise aus
sechs anderen Ländern herangezogen, die zum Teil deutlich über den tatsächlich
bezahlten Preisen liegen. Dies führt in der Schweiz zu überhöhten Ansätzen. Das
zweite Instrument, der Vergleich mit ähnlichen Arzneimitteln in der Schweiz, wäre
für die Preisfestlegung grundsätzlich geeigneter. Dabei ist aber nicht klar definiert,
welche Medikamente in den Vergleich einfliessen. Seine Ergebnisse sind umstritten.
Die unklaren Beurteilungskriterien schwächen insgesamt die Stellung des BAG
gegenüber den oftmals wissenschaftlich und juristisch besser ausgestatteten Arzneimittelherstellern.
7796
Unklare Verfahrensstruktur und Kompetenzen
Das Verfahren der Zulassung von Medikamenten in der Schweiz ist nicht klar strukturiert, so ist keine Trennung zwischen medizinisch-therapeutischer und gesundheitspolitisch-gesellschaftlicher Beurteilung erkennbar. Sowohl das BAG wie auch
die Eidgenössische Arzneimittelkommission (EAK) sind für die Beurteilung der
Medikamente zuständig. Die Arbeitsteilung zwischen den beiden ist nicht geklärt.
Zudem verfügen sowohl das BAG als auch die EAK für die Durchführung der Verfahren über wenige Ressourcen, wie namentlich ein Vergleich mit dem Ausland
zeigt. Die Ergebnisse der einzelnen Verfahrensschritte werden weder gegenüber den
Gesuchstellern noch gegenüber der Öffentlichkeit transparent gemacht.
Eingeschränkte und wenig wirksame Überprüfung
Die Kassenpflicht eines Medikaments wird neuerdings alle drei Jahre überprüft. Wie
die erste Überprüfung im Jahr 2012 zeigt, wird dabei allerdings nur der Preis
geprüft, indem ein Auslandspreisvergleich durchgeführt wird. Hingegen werden die
Wirksamkeit und die Zweckmässigkeit nicht erneut beurteilt, obwohl allenfalls neue
Erkenntnisse vorliegen würden. Angesichts der Ressourcenlage der zuständigen
Sektion beim BAG ist eine fundiertere Überprüfung nicht realistisch. Vom Überprüfungsverfahren ist deshalb bestenfalls eine beschränkte Wirkung auf die Preise der
Medikamente zu erwarten, während auch weniger geeignete Medikamente auf der
SL verbleiben.
Preisreglung bei Generika schafft Widerspruch zur Wirtschaftlichkeit
Die obligatorische Krankenpflegeversicherung soll eine medizinisch hochstehende
Versorgung zu möglichst günstigen Preisen gewährleisten. Dieses Ziel wird mit der
gegenwärtigen Preisregelung bei Generika nicht erreicht.
Während im Ausland der Preis eines Originalpräparats bei der Zulassung eines
damit austauschbaren Generikums gesenkt wird, bleibt er in der Schweiz auch nach
Patentablauf gleich. Der Preis des Generikums entspricht in der Schweiz dem Preis
des Originals abzüglich eines fixen Prozentsatzes. Die Krankenversicherung bezahlt
nicht nur das kostengünstigste, sondern auch das gleichwertige teurere Präparat,
was im Widerspruch zum Ziel der Wirtschaftlichkeit steht. Zudem bleiben Generika
auch nach dem prozentualen Abzug gegenüber dem Preis des Originalpräparates in
der Schweiz markant teurer als im Ausland.
Vorgehen der Evaluation
Die Verfahren zur Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in die obligatorische Krankenpflegeversicherung wurden aus drei unterschiedlichen Blickwinkeln
untersucht: aus einer rechtlichen, einer vollzugsorientierten und einer international
vergleichenden Perspektive. Zwei der drei Evaluationsteile, das Rechtsgutachten
und der internationale Vergleich, wurden extern in Auftrag gegeben. Die PVK
untersuchte den Vollzug anhand einzelner Medikamente und Gesprächen mit den
zuständigen Behörden und weiteren beteiligten Akteuren.
7797
Inhaltsverzeichnis
Das Wichtigste in Kürze
7796
1
Einleitung
1.1 Anlass der Evaluation
1.2 Vorgehen und Methodik
1.3 Aufbau des Berichts
7800
7800
7801
7802
2
Die Zulassung und Überprüfung von Medikamenten im Überblick
7802
3
Verfahrensstruktur, Kompetenzaufteilung und Ressourcen
3.1 Verfahren in internationaler Perspektive
3.2 Kompetenzaufteilung zwischen den Akteuren
3.3 Ressourcen
3.4 Verfahrensdauer
7805
7805
7806
7808
7809
4
Beurteilung anhand der WZW-Kriterien
4.1 Wirksamkeit
4.2 Zweckmässigkeit
4.3 Wirtschaftlichkeit
4.4 WZW-Kriterien bei Generika
4.5 WZW-Kriterien bei komplementärmedizinischen Arzneimitteln
7810
7810
7812
7813
7814
7815
5
Entscheid
5.1 Rechtliche Grundlagen
5.2 Entscheidpraxis
5.3 Folgen der Nichterfüllung der Bedingungen
5.4 Transparenz der Entscheide
7816
7816
7817
7819
7821
6
Verfahren der Überprüfung
6.1 Rechtliche Grundlagen
6.2 Erstmalige Überprüfung 2012
6.3 Zweckmässigkeit des Verfahrens
7822
7822
7822
7824
7
Auswirkungen auf die SL
7.1 Anzahl kassenpflichtiger Medikamente
7.2 Preisentwicklung
7825
7825
7826
8
Schlussfolgerungen
8.1 Unpräzise Beurteilungskriterien und unsystematische
Nutzenbewertung
8.2 Unklare Verfahrensstruktur und Kompetenzen
8.3 Eingeschränkte und wenig wirksame Überprüfung
8.4 Preisreglung bei Generika schafft Widerspruch zur
Wirtschaftlichkeit
7828
7798
7828
7829
7830
7831
Abkürzungsverzeichnis
7833
Literaturverzeichnis
7834
Zusammenhang Bericht und Materialien
7835
Verzeichnis der Interviewpartnerinnen und -partner
7837
Impressum
7838
7799
Bericht
Der vorliegende Bericht enthält die wesentlichen Ergebnisse der Evaluation. Eine
ausführliche Beschreibung der Analysen und Bewertungsgrundlagen findet sich in
den Materialien1.
1
Einleitung
1.1
Anlass der Evaluation
Die Krankenversicherung soll gewährleisten, dass die gesamte Bevölkerung angemessen mit Medikamenten versorgt wird.2 Von der Krankenversicherung werden
grundsätzlich nur Arzneimittel vergütet, die auf der so genannten Spezialitätenliste
(SL) aufgeführt sind. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) entscheidet nach den
drei gesetzlich verankerten Kriterien Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit (abgekürzt WZW), ob ein Medikament in die SL aufgenommen wird.
Zusätzlich legt das BAG den durch die Versicherung bezahlten Höchstpreis fest.
Damit verfügt das BAG über ein wichtiges Instrument, um den Verkaufspreis kassenpflichtiger Medikamente und folglich die Kosten eines grossen Teils des Medikamentenmarktes zu beeinflussen.
Verschiedentlich ist das Verfahren für die Zulassung kassenpflichtiger Medikamente
kritisiert worden.3 Die Prüfung der WZW-Kriterien durch das BAG sei mangelhaft.
Zudem prüfe die Eidgenössische Arzneimittelkommission (EAK), welche das BAG
berät, den möglichen Mehrwert neuer Medikamente gegenüber den bereits kassenpflichtigen Arzneimitteln zu wenig.4 Weiter greife die im Jahr 2009 neu eingeführte
Überprüfung der Arzneimittel auf der SL drei Jahre nach der Zulassung zu wenig
tief. Ebenfalls wurde wiederholt die Frage gestellt, wie die Wirksamkeit von komplementärmedizinischen Arzneimitteln nachgewiesen wird. Schliesslich standen die
Preise der im internationalen Vergleich teuren Generika wiederholt in der Kritik.5
Vor diesem Hintergrund haben die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) am 27. Januar
2012 mit einer Evaluation beauftragt. Dabei steht folgende Frage im Zentrum: Wie
sind die Verfahren der Zulassung und Überprüfung kassenpflichtiger Medikamente
1
2
3
4
5
Vgl. Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung, Materialien zum Bericht der parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom
13. Juni 2013. Diese finden sich in der deutschen Originalsprache unter:
www.parlament.ch > Organe und Mitglieder > Kommissionen > Parlamentarische
Verwaltungskontrolle> Veröffentlichungen.
Im Anhang des vorliegenden Berichts befindet sich eine Übersicht, auf welche Teile der
Materialien sich die einzelnen Kapitel des vorliegenden Berichts stützen. In den Materialien werden Untersuchungsgegenstand, Analysemodell und Vorgehen der Evaluation, vor
allem aber die Ergebnisse ausführlicher dargestellt.
Art. 25 Abs. 1 Krankenversicherungsgesetz (KVG), SR 832.10.
Unter «Zulassung» wird im vorliegenden Bericht die Zulassung zur Vergütung durch die
Krankenversicherung – also die Aufnahme in die SL – verstanden. Dies darf nicht mit der
Marktzulassung durch Swissmedic verwechselt werden (vgl. Kapitel 2).
Vgl. etwa die Motion 07.3861 «Medikamente. Wirkung statt Scheininnovation».
Vgl. etwa das Postulat 09.4078 «Für eine kostenbewusstere Medikamentenversorgung».
7800
zu beurteilen? Gemäss Entscheid der zuständigen Subkommission EDI/UVEK der
GPK des Ständerates vom 19. April 2012 sollen sowohl herkömmliche als auch
komplementärmedizinische Arzneimittel und Generika berücksichtigt werden und
insbesondere die Verfahren der Preisfestsetzung untersucht werden.
1.2
Vorgehen und Methodik
Um das Verfahren der Zulassung und Überprüfung kassenpflichtiger Medikamente
zu beurteilen, wurden die Verfahren aus drei unterschiedlichen Blickwinkeln untersucht: aus einer rechtlichen, einer vollzugsorientierten und einer international vergleichenden Perspektive.
Aus rechtlicher Sicht wird geprüft, ob die Normen in den Gesetzen, Verordnungen
und Reglementen präzise sind, ob es Doppelspurigkeiten oder Widersprüche gibt
und ob im Verfahren die Zuständigkeiten klar geregelt sind. Hierzu wurde ein
Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das die geltende Rechtslage anhand der klassischen juristischen Erkenntnismittel (umfassende Analyse der Rechtsgrundlagen, der
Materialien, der Praxis und der Literatur) analysiert und kritisch würdigt. Das
Rechtsgutachten wurde von Prof. Dr. Thomas Gächter der Universität Zürich unter
Mitarbeit von Frau Arlette Meienberger erstellt.
Hinsichtlich des Vollzugs wird von der PVK bewertet, inwiefern die WZWKriterien aus Sicht der beteiligten Akteure konkretisiert und umgesetzt sind, wie die
Verfahrensschritte ablaufen, wie die Gesuche um Zulassung konkret beurteilt werden und wie all diese Aspekte die SL beeinflussen. Dazu wurden einerseits im
Rahmen von Fallstudien acht Zulassungsdossiers genau überprüft sowie weitere acht
Fälle mit einem Fokus auf die Preisfindung analysiert. Andererseits führte die PVK
Interviews mit beteiligten Akteuren durch.
Aus international vergleichender Perspektive stellt sich die Frage, wie die Schweizer
Verfahren der Zulassung und Überprüfung kassenpflichtiger Medikamente im
Vergleich zu anderen westlichen Ländern zu beurteilen sind. Dazu wurden anhand
von Literatur- und Dokumentenrecherchen verschiedene Aspekte des schweizerischen Systems (Organisation des Verfahrens, Kriterienkatalog, Instrumente, Preisfestsetzungsverfahren, Transparenz) mit Deutschland und Österreich verglichen, die
beide ebenfalls über eine obligatorische Krankenpflegeversicherung verfügen. Der
internationale Vergleich wurde von Prof. Dr. Tilman Slembeck der Universität
St. Gallen unter Beizug von Länderexperten erarbeitet.
Die Evaluation fokussiert auf die Zulassung und Überprüfung von schulmedizinischen6 Originalpräparaten. Daneben wurden aber auch komplementärmedizinische
Arzneimittel und Generika betrachtet. Die Erkenntnisse lassen sich nicht auf alle
weiteren Gesuchsarten (wie Co-Marketing-Arzneimitteln andere Packungsgrössen
und Dosisstärken) übertragen, jedoch deckt diese Auswahl eine grosse Mehrheit der
Zulassungen ab.
6
Im Gesetz werden konventionelle Arzneimittel, die auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und Beweisen beruhen, auch als Allopathie bezeichnet. Dies bedeutet die Krankheitsbehandlung, bei der Mittel zur Bekämpfung der Krankheitsursache angewandt werden. Im vorliegenden Bericht wird die Bezeichnung Schulmedizin verwendet.
7801
Zur Sicherstellung der fachlichen Qualität der Evaluation hat Dr. Josef Hunkeler
(ehemaliger Mitarbeiter des Preisüberwachers und dort Dossierzuständiger für
Medikamente) die Arbeiten begleitet.
1.3
Aufbau des Berichts
Das folgende zweite Kapitel erläutert die rechtlichen Vorgaben und stellt die Verfahren im Überblick dar. Anschliessend werden die Erkenntnisse der Evaluation in
fünf Kapiteln zusammengefasst. Das dritte Kapitel stellt die Verfahrensstruktur und
dabei die unklare Kompetenzaufteilung zwischen dem BAG und der EAK ins Zentrum. Ebenfalls wird die problematische Ressourcensituation thematisiert. Im vierten
Kapitel werden die WZW-Kriterien bewertet. Dabei kommt in erster Linie die
unpräzise Konkretisierung dieser Kriterien zum Vorschein. Im Rahmen des abschliessenden Entscheides durch das BAG – dargelegt im fünften Kapitel – werden
die mangelnde Transparenz und die oft unklare Gewichtung der Instrumente ausgeführt. In Kapitel sechs wird das Verfahren der Überprüfung betrachtet. Dieses neu
eingeführte Verfahren wird aufgrund seines engen Fokus auf den Auslandpreisvergleich als unzweckmässig beurteilt. Die Auswirkungen der diskutierten Aspekte auf
die SL, die vom Umfang her jährlich wächst, werden im siebten Kapitel beleuchtet.
Zum Schluss werden vier zentrale Folgerungen aus der Evaluation gezogen.
2
Die Zulassung und Überprüfung von Medikamenten
im Überblick
Die Arzneimittel, die von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vergütet
werden, sind auf der Spezialitätenliste (SL) aufgeführt. Das BAG erstellt diese Liste
gemäss Krankenversicherungsgesetz (KVG) nach Anhören der Eidgenössischen
Arzneimittelkommission (EAK).7 Damit Leistungen von der Krankenversicherung
vergütet werden, müssen sie sämtliche WZW-Kriterien erfüllen, d.h. wirksam,
zweckmässig und wirtschaftlich sein (Art. 32 Abs. 1 KVG). Die SL enthält zusätzlich zu den Originalpräparaten auch Generika, also Arzneimittel mit dem gleichen
Wirkstoff wie ein Originalpräparat, die mit diesem austauschbar sind und preisgünstiger angeboten werden. Da es sich bei der SL um eine sogenannte «Positivliste»
handelt, sind die Versicherer verpflichtet, die aufgeführten Arzneimittel zu vergüten.
Die Liste gibt dabei für jede Packung und Dosierung den Fabrikabgabepreis (FAP)
und den Höchstpreis an, zu dem die Versicherung das Medikament vergüten muss
(so genannter Publikumspreis, PP).8
Damit ein Arzneimittel in die SL aufgenommen wird, muss von Swissmedic zumindest der Vorbescheid vorliegen9 und der Arzneimittelhersteller muss ein entsprechendes Gesuch an das BAG stellen. Eine Pflicht zur Antragsstellung besteht jedoch
7
8
9
Die jeweils gültige Liste ist abrufbar unter www.sl.bag.admin.ch.
Der FAP wird vom BAG festgelegt und widerspiegelt die Kosten für die Herstellung und
den Vertrieb der Herstellungs- und der Vertriebsfirma bis zur Ausgabe ab Lager. Der PP
besteht aus dem FAP und dem Vertriebsanteil, der insbesondere die mit dem Transport,
der Lagerhaltung, der Abgabe und dem Inkasso verbundenen Betriebs- und Investitionskosten beinhaltet (Art. 67 KVV).
Für die definitive Aufnahme in die SL muss aber die definitive Marktzulassung vorliegen.
7802
nicht.10 Die Marktzulassung hat nur einen indirekten Einfluss auf den Prozess der
Zulassung und Überprüfung kassenpflichtiger Medikamente, der im Zentrum des
Interesses dieser Evaluation steht.
Die Aufnahme in die SL beruht auf einer vom BAG erlassenen Verfügung. Für
Preisanpassungen, Änderungen im Bereich der Limitierung11, Indikation oder Menge muss das BAG ebenfalls eine Verfügung erlassen. Sämtliche Verfügungen können mit einer Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
Abbildung 1 zeigt den groben Ablauf der Zulassung und der Überprüfung kassenpflichtiger Medikamente, wie er im Handbuch SL12 vorgegeben ist. Auf der linken
Seite sind die am Prozess beteiligten Akteure aufgelistet.
Abbildung 1
Prozessablauf der Zulassung und der Überprüfung
kassenpflichtiger Medikamente
Legende: Die Felder und Pfeile mit gestrichelter Umrandung stellen das vorgelagerte Verfahren der Marktzulassung dar. Abkürzungen: vgl. Abkürzungsverzeichnis.
10
11
12
Damit die gesundheitliche Versorgung auf jeden Fall gewährleistet ist, hat der Bundesrat
nach Art. 70 KVV die Möglichkeit geschaffen, dass das BAG ein von Swissmedic zum
Markt zugelassenes Arzneimittel, das für die medizinische Behandlung von grosser Bedeutung ist, auch ohne Antrag des Arzneimittelherstellers oder gegen dessen Antrag in die
SL aufnehmen oder darin belassen kann.
Die Limitation ist dazu da, um ein Arzneimittel resp. deren Vergütung auf eine gewisse
Indikation oder Gruppe einzuschränken.
Handbuch betreffend die Spezialitätenliste (SL), 1. September 2011, Stand am 1. März
2013 (Handbuch SL).
7803
Zum Verständnis der Abbildung sind folgende Punkte zu erwähnen:
(1) Der Arzneimittelhersteller reicht beim BAG ein Gesuch für die Aufnahme in
die SL ein. Dieses Gesuch enthält u. a. den Marktzulassungsentscheid oder
den Vorbescheid von Swissmedic, die drei wichtigsten klinischen Studien
und verschiedene Formulare zu den Merkmalen des Arzneimittels (je nach
Arzneimittelkategorie gibt es leichte Abweichungen).
(2) Im Rahmen von ordentlichen und beschleunigten Verfahren unterbreitet das
BAG die Gesuchsunterlagen der EAK. Die EAK begutachtet das Gesuch
nach den WZW-Kriterien und gibt eine Empfehlung zuhanden des BAG ab.
(3) Bei einfachen Verfahren, wie sie z.B. bei Generika angewandt werden, wird
die EAK nicht einbezogen. Die Wirksamkeit wird durch die Marktzulassung
durch Swissmedic, bzw. durch die Kassenzulässigkeit des Originalpräparates, als gegeben betrachtet.
(4) Das BAG entscheidet aufgrund der WZW-Kriterien und der Empfehlung der
EAK, ob ein Arzneimittel in die SL aufgenommen wird,13 und legt einen
Höchstpreis fest. Dazu dienen die beiden Instrumente des Auslandpreisvergleichs (APV) und des therapeutischen Quervergleichs (TQV). Das BAG
kann die Aufnahme in die SL mit Auflagen verbinden oder zeitlich befristen.
(5) Sind die Voraussetzungen nicht erfüllt, teilt das BAG der Gesuchstellerin
unter Angabe der Gründe mit, dass das Gesuch ganz oder teilweise abgewiesen wird. Wurde der Preis zu hoch angesetzt, kann dieser vom Hersteller angepasst werden (in der Grafik als «C» bezeichnet). Die Gesuchstellerin kann
dann ein Neuüberprüfungsgesuch einreichen, wenn mit zusätzlichen Studien
oder Gutachten neue Evidenz vorliegt (in der Grafik als «A» bezeichnet).
Darin muss sie begründen, weshalb sie mit dem Entscheid des BAG nicht
einverstanden ist. In der Folge nimmt das BAG Stellung. Nachdem das BAG
eine Verfügung versandt hat, kann der Arzneimittelhersteller innert 30 Tagen beim Bundesverwaltungsgericht rekurrieren. Wird keine Beschwerde
erhoben, so ist – nach Ablauf dieser Rechtsmittelfrist – eine Verfügung in
Rechtskraft erwachsen. Der Arzneimittelhersteller kann ein Wiedererwägungsgesuch (in der Grafik als «B» bezeichnet) einreichen.
(6) Alle drei Jahre sowie nach Patentablauf oder nach einer Indikationserweiterung findet eine Überprüfung der Bedingungen für die Kassenpflicht durch
das BAG statt. Folglich wird jährlich ca. ein Drittel der auf der SL aufgeführten Arzneimittel überprüft. Die Arzneimittelhersteller müssen dem BAG
die nötigen Informationen zum Arzneimittel vorlegen. Im Rahmen der
Überprüfung wird die EAK in der Regel nicht einbezogen.14
13
14
In der Regel erlässt das BAG innert 60 Tagen nach der Sitzung der EAK die entsprechende Verfügung (Handbuch SL A.4.2). Auf den 1. eines Monats setzt das BAG Änderungen
der SL in Kraft (Handbuch SL A.8.1).
Bei der Überprüfung nach einer Indikationserweiterung wird die EAK einbezogen.
7804
3
Verfahrensstruktur, Kompetenzaufteilung
und Ressourcen
In diesem Kapitel wird aufgezeigt, dass das Verfahren zur Zulassung von kassenpflichtigen Medikamenten in der Schweiz nicht nach den international üblichen
Schritten abläuft. Dies zeigt sich einerseits darin, dass die Schritte nicht mit einem
klaren Ergebnis abgeschlossen werden und andererseits in der unklaren Kompetenzaufteilung zwischen den beteiligten Akteuren. Die Akteure verfügen über sehr
bescheidene Ressourcen, was sich einerseits auf die Qualität der Entscheide und
andererseits auf die Verfahrensdauer auswirken dürfte.
3.1
Verfahren in internationaler Perspektive
Die Verfahrensstruktur entspricht, wie in diesem Abschnitt dargelegt, nicht den
internationalen Gepflogenheiten. In der internationalen Literatur werden Verfahren
der Kassenzulassung von Medikamenten (englisch «reimbursement») in drei Schritte eingeteilt, für die verschiedene Akteure zuständig sind:
1.
Medizinisch-therapeutische Beurteilung (Assessment): In diesem Prozessschritt werden die Wirksamkeit, der therapeutische Wert, der Patientennutzen sowie ein allfälliger Zusatznutzen eines Medikaments ermittelt. Zuständig hierfür sind Fachleute, in der Regel eine Expertengruppe. Ergebnis ist
ein Bericht mit einer Empfehlung, ob das Medikament namentlich aufgrund
seiner Wirksamkeit kassenpflichtig werden soll. Demgegenüber prüft
Swissmedic im Rahmen der Marktzulassung einzig, ob bei einem Arzneimittel eine Wirksamkeit besteht und ob diese den möglichen Schaden übersteigt.
2.
Gesundheitspolitisch-gesellschaftliche Beurteilung (Appraisal): Bei diesem
Schritt werden die Ergebnisse des Assessments gewichtet, indem gesundheitspolitisch und gesellschaftlich relevante Aspekte, wie der Zugang zu
Leistungen, die mögliche Stigmatisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen,
und die nachhaltige Finanzierbarkeit der Leistungen, berücksichtigt werden.
Für diese Aufgabe ist ein Gremium von Interessenvertretern bzw. Anspruchsgruppen mit verschiedenen Perspektiven zuständig. Ergebnis ist ein
weiterer Bericht mit Empfehlung zur Kassenpflicht und zum Preis.
3.
Politische Entscheidung (Decision): Basierend auf den Berichten und Empfehlungen des Assessments und Appraisals wird die definitive Entscheidung
gefällt, ob ein Arzneimittel von der Krankenversicherung bezahlt wird und
zu welchem Preis. Die formelle Entscheidungskompetenz liegt bei einer
staatlichen Stelle.
Durch die verschiedenen Schritte und deren Zuweisung an unterschiedliche Akteure
sollen fach- und stufengerechte Beurteilungen und Entscheidungen gewährleistet
werden. Den drei Schritten vorgelagert ist die Marktzulassung, die im gesamten
EU-Raum durch eine unabhängige Institution erfolgt, die neue Medikamente auf
ihre Qualität und Sicherheit prüft, aber nicht die Frage der Bezahlung durch die
Sozialversicherung klärt.
7805
In Deutschland ist die institutionelle Trennung der Schritte Assessment (Expertengruppe)15, Appraisal (Gremium von Interessenvertretern) und Decision (Staat)
vollständig und in Österreich weitgehend umgesetzt. In der Schweiz hingegen wird
zwar die Marktzulassung durch eine unabhängige Institution (Swissmedic) entschieden, doch fehlt im Verfahren der Kassenzulassung die Trennung der drei Schritte
Assessment, Appraisal und Decision. Namentlich werden die beiden Beurteilungsschritte medizinisch-therapeutische Beurteilung (assessment) und die gesundheitspolitisch-gesellschaftliche Beurteilung (appraisal) im Verfahren überhaupt nicht
unterschieden. Klar erkennbar ist lediglich der Verfahrensschritt des formellen
Entscheids: Es ist das BAG als staatliche Stelle, das die Verfügung erlässt, ob ein
Arzneimittel in die SL aufgenommen wird oder nicht (vgl. zu diesem Schritt Abschnitt 5). Das BAG ist allerdings zusammen mit der EAK auch für das Assessment
und das Appraisal zuständig. Es fällt somit die Entscheidung zumindest teilweise
aufgrund der eigenen Beurteilung, womit eine institutionelle Trennung der Verfahrensschritte fehlt.
3.2
Kompetenzaufteilung zwischen den Akteuren
Nicht nur fehlt die klare Trennung der Verfahrensschritte, zusätzlich ist die Kompetenzaufteilung im Rahmen der Beurteilung zwischen BAG und EAK unklar. Das
Hauptproblem besteht darin, dass die rechtlichen Grundlagen die Kompetenzen von
BAG und EAK bei der Beurteilung der Gesuche nicht eindeutig festlegen, was im
Vollzug zu Unklarheiten und Doppelspurigkeiten führt.
Rechtliche Grundlagen
Aus rechtlicher Sicht sind sowohl das BAG als auch die EAK für die Beurteilung
der Gesuche nach den WZW-Kriterien (vgl. Kap. 4) zuständig. Die EAK hat dabei
eine beratende Funktion, während das BAG die Entscheidkompetenz innehat (vgl.
Kap. 5). Weder die Verordnungen noch das Handbuch SL regeln allerdings genau,
wer bei der Beurteilung wofür verantwortlich ist. Das Handbuch SL legt lediglich
fest, dass das BAG insbesondere die Wirtschaftlichkeit prüft. Das Rechtsgutachten
leitet daraus ab, dass die Wirksamkeit und die Zweckmässigkeit primär von der
EAK beurteilt werden muss und das BAG diesbezüglich der Einschätzung der EAK
in der Regel folgen sollte.
Laut den rechtlichen Grundlagen teilt die EAK jedes Arzneimittel nach der Beurteilung im Sinne einer Empfehlung an das BAG in eine der folgenden Kategorien ein
(Art. 31 Abs. 2 KLV)16: (a) medizinisch-therapeutischer Durchbruch; (b) therapeutischer Fortschritt; (c) Kosteneinsparung im Vergleich zu anderen Arzneimitteln; (d)
kein therapeutischer Fortschritt und keine Kosteneinsparung; (e) unzweckmässig für
die soziale Krankenversicherung. Das Handbuch SL führt eine zusätzliche Kategorie
ein: «dp: kein therapeutischer Fortschritt und keine Kosteneinsparung, Kostenfrage». Bei dieser Kategorie handelt es sich laut BAG um Medikamente mit einem
15
16
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) ist ein
fachlich unabhängiges, rechtsfähiges, wissenschaftliches Institut.
Verordnung des EDI über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
(Krankenpflege-Leistungsverordnung, KLV), SR 832.112.31, Verordnung über die Krankenversicherung (KVV), SR 832.102.
7806
neuen Wirkstoff, die jedoch keinen therapeutischen Zusatznutzen erkennen lassen,
weshalb die Kassenzulassung eine reine Preisfrage ist, die das BAG aushandeln soll.
Umsetzung der Kompetenzen
In der Umsetzung sind die Aufgaben bei der Beurteilung jedoch nicht so aufgeteilt.
Vielmehr prüft das BAG, nachdem es ein Gesuch erhält, ob alle erforderlichen
Unterlagen entsprechend den Check-Listen vorhanden sind, bevor es das Dossier an
die EAK weiterleitet. Das BAG wie auch die EAK prüfen danach die Dossiers
inhaltlich.
Die Mitglieder der EAK verstehen ihre Aufgabe unterschiedlich. Die einen sehen
den Kern ihrer Aufgabe darin, die im Gesuch mitgelieferten Studien zur Wirksamkeit der Arzneimittel zu überprüfen und damit ein Assessment vorzunehmen. Andere
dagegen vertreten die Meinung, die EAK sei eine Stakeholderkommission, in der es
um ein breit abgestütztes Appraisal gehe. Für das BAG nimmt die EAK beide Funktionen wahr: sie soll einerseits fachliche Lücken füllen und andererseits die Gesuche
hinsichtlich dem Mehrwert für das schweizerische Gesundheitswesen beurteilen.
Auch die personelle Zusammensetzung der Kommission widerspiegelt die doppelte
Funktion: Vertreten sind sowohl Experten wie auch Stakeholder, z.B. Vertreter der
Arzneimittelhersteller oder der Krankenversicherer.17
In der Praxis finden in der EAK zwar Diskussionen zum medizinischen Nutzen und
den dafür gerechtfertigten Kosten statt, jedoch teilt die Kommission die Gesuche
nicht wie von der KLV gefordert explizit einer der Kategorien a–e zu. Einzelne
Mitglieder der EAK geben an, von diesen Kategorien noch gar nie gehört zu haben.
Die Zuteilung wird stattdessen durch das BAG selber aufgrund der Ergebnisse der
Diskussionen, denen es beiwohnt, vorgenommen. Das BAG begründet dies damit,
die Kategorien seien nicht zweckmässig; die meisten Gesuche würden allemal in die
Zusatzkategorie «dp» fallen. Diese werden aber auch ohne Zusatznutzen nicht als
Generikum, sondern als Originalpräparat behandelt, da sich das BAG bei der Differenzierung zwischen Original und Generikum auf die Einordnung der Arzneimittel
von Swissmedic abstützt.
Im Vergleich mit dem Ausland ist im schweizerischen System die Distanz zwischen
den Instanzen, die für die Beurteilung zuständig sind – die beauftragte Sektion bzw.
Abteilung des BAG sowie die EAK − und der Entscheidungsinstanz im BAG gering. Diese mangelnde Distanz kann dazu führen, dass die Gesuche nicht unabhängig beurteilt bzw. entschieden werden. Auf den 1. Januar 2012 ist die Unabhängigkeit der EAK gestärkt worden, indem ihr Präsident künftig nicht mehr durch das
BAG gestellt wird. Dies wird von allen Seiten begrüsst. Dennoch nimmt das BAG
im Verfahren gemäss den rechtlichen Grundlagen weiterhin mehrere Funktionen
wahr.
Beizug externer Experten
Verschiedentlich werden nach einer ersten Behandlung eines Gesuchs durch die
EAK externe Experten beigezogen. Dies geschieht ohne klare Systematik. Faktisch
steht man zu diesem Zeitpunkt schon im Appraisal, Expertenwissen müsste jedoch
in die medizinisch-therapeutische Beurteilung – also ins Assessment – einfliessen.
Der Einbezug externer Experten geschieht nach Auffassung der PVK eher spät. Das
17
Zur personelle Zusammensetzung der EAK vgl.
www.admin.ch/ch/d/cf/ko/index_311.html (Stand 20.1.2013)
7807
Gesuch mit dem zusätzlichen Gutachten muss dann in der EAK ein weiteres Mal
traktandiert werden, was den Prozess in die Länge zieht.
Indes erweist es sich für das BAG manchmal als schwierig, unabhängige Experten
zu finden. Grund dafür ist einerseits die Kleinheit der Schweiz, die dazu führt, dass
es nicht allzu viele Experten gibt, und andererseits die Tatsache, dass viele Forschende mit der Pharmaindustrie eng zusammenarbeiten und deshalb nur beschränkt
unabhängig sind und sich häufig nicht exponieren wollen. Deshalb ist es laut BAG
auch notwendig, Expertengutachten, die von den Arzneimittelherstellern mit ihren
Gesuchen eingereicht werden, kritisch zu prüfen.
3.3
Ressourcen
Die Ressourcenausstattung des BAG und der EAK reichen für eine fundierte Beurteilung der Gesuche nicht aus.
Die zuständige Sektion beim BAG verfügt nicht über die zeitlichen Ressourcen, um
die Gesuche vertieft beurteilen zu können.18 Beim Mitarbeiterbestand der Sektion
Medikamente handelt es sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt um 460 Stellenprozente
bei den Apothekerinnen und Apotheker und um 240 Stellenprozente bei den Juristinnen und Juristen. Ausserdem wurde von verschiedener Seite bemängelt, dem
BAG fehle vereinzelt spezialisiertes Wissen.19
Noch ausgeprägter ist der Mangel an Ressourcen für eine fundierte Beurteilung bei
der EAK. Aufgrund der hohen Anzahl Gesuche und deren Komplexität gerät das
System der ausserparlamentarischen Milizkommission an seine Grenzen. Ein Problem stellt der grosse Aufwand dar. Viele Mitglieder der EAK begutachten aufgrund
der grossen Zahl an Gesuches nur einen Teil davon. Andere Mitglieder besprechen
die Gesuche in Arbeitsgruppen mit weiteren Interessensvertretern, die nicht Mitglied
der EAK sind, was aufgrund der Vertraulichkeit der Dossiers nicht erlaubt wäre. Im
Gegensatz zu Swissmedic, die den Mitgliedern der Expertenkommission auch die
Vorbereitungszeit pauschal vergütet, erhalten die Mitglieder der EAK hierfür keine
Entschädigung. Ebenfalls fehlt der EAK ein eigenes und unabhängiges Sekretariat.
Die Unterstützung durch das BAG wird von den EAK-Mitgliedern positiv beurteilt.
Für die Behandlung der Gesuche sind vier Sitzungen pro Jahr vorgesehen.20 Hinzu
kommt eine Sitzung für die Diskussion von Grundsatzfragen. Ein Sitzungstag wird
mit 400 Franken vergütet. Für eine sorgfältige Beurteilung aller Gesuche wird die
Sitzungszahl mehrheitlich als zu knapp erachtet. Eine höhere Sitzungskadenz würde
zwar die Arbeitslast nicht verringern, jedoch die Vergütung etwas erhöhen und die
Verfahren beschleunigen.
Dass das Schweizer System mit bescheidenen Ressourcen ausgestattet ist, wird
gerade im Vergleich zu Deutschland und Österreich deutlich, wo entsprechend der
oben erwähnten organisatorischen Trennung verschiedene Evaluationseinrichtungen
existieren, die jeweils mit massgeblichen eigenen Ressourcen ausgestattet sind.
18
19
20
Anpassungen der KVV per 1.6.2013 beinhalten eine Erhöhung der Gebühren (Art. 71).
Dadurch sollen die personellen Ressourcen beim BAG schrittweise erhöht werden.
Kritisiert wird namentlich, dass in der Sektion gegenwärtig keine Person über spezifisches Wissen im Bereich der Komplementärmedizin verfügt.
Ab dem Jahr 2014 soll die Anzahl Sitzungen, an denen Gesuche behandelt werden, von
vier auf sechs erhöht werden.
7808
3.4
Verfahrensdauer
Die Verfahrensdauer, die speziell von den Arzneimittelherstellern kritisiert wird,
dürfte international im Rahmen liegen. Mit einer klareren Strukturierung von Verfahrensschritten und Kompetenzen sowie mit mehr Ressourcen liessen sich die
Verfahren nach Ansicht der PVK möglicherweise aber beschleunigen.
Einschätzungen der Verfahrensdauer
Verlässliche Daten zur Dauer der Zulassungsverfahren lassen sich weder für die
Schweiz noch international finden. Für die Schweiz liegen zwei Auswertungen vor,
die beide auf einem beschränkten Zeitraum beruhen: eine vom BAG und eine von
Interpharma, einem Branchenverband von arzneimittelherstellenden Unternehmen.
Die Dauer von der Einreichung eines Gesuchs beim BAG mit einer Voranzeige von
Swissmedic bis zur Aufnahme in die SL liegt gemäss diesen Daten bei einem Median von 164 respektive 181 Tagen.21 Solche Verzögerungen lassen sich nicht ausschliesslich dem BAG zuschreiben. Verschiedentlich liegen Gesuche über Monate
bei den Herstellern, da sie auf neue Studienergebnisse oder auf eine Zulassung in
einem anderen Land warten.
Von den Akteuren wird die Verfahrensdauer, wie die Vollzugsevaluation zeigt,
unterschiedlich beurteilt. Die Arzneimittelhersteller bezeichnen die Bearbeitung der
Gesuche häufig als zu langsam und moniert, dass das BAG oftmals kleinlich handle
und teilweise weltfremde Preisvorstellungen habe, auf welche die Hersteller nicht
eingehen könnten. Dies führe zu Verzögerungen. Das BAG sieht die Gründe für die
Verzögerungen bei den überhöhten und unrealistischen Preisforderungen, die die
Arzneimittelhersteller einreichen, sowie bei unvollständig eingereichten Gesuchen.
Dass die Verfahren in der Schweiz langsam seien, lässt sich aufgrund des Vergleichs
mit Deutschland, wo Verfahren in der Regel zwischen sechs und zwölf Monaten
dauern, nicht erhärten.22
Für die Sparte der Generika ist die Bearbeitungsgeschwindigkeit laut Aussagen der
Generikaindustrie kein Problem, da beim Kriterium des Preises kein Handlungsspielraum besteht (vgl. Abschnitt 4.4). Das BAG behandle Gesuche zunehmend
schneller.
Die Erkenntnisse aus Kapitel 3 geben verschiedene Hinweise darauf, welche Faktoren die Bearbeitungsgeschwindigkeit der Gesuche beeinflussen dürften. Im Zentrum
steht auch hier, dass die Verfahrensschritte Assessment und Appraisal von mehreren
Akteuren durchgeführt werden, nämlich durch das BAG wie auch die EAK und
teilweise zusätzlich durch Expertinnen und Experten. Ist letzteres der Fall, muss das
Dossier noch einmal in der EAK behandelt werden. Solche Schleifen und Mehr-
21
22
Die Differenz lässt sich mit den unterschiedlichen Erhebungszeiträumen erklären.
In beiden Auswertungen wird ersichtlich, dass die Durchschnittswerte stark von einigen
wenigen Gesuchen mit einer enorm langen Dauer nach oben gezogen werden. Die Werte
der arithmetischen Mittel sind mit 185 resp. 258 Tagen klar höher als der jeweilige
Median.
Gemäss den mit Vorsicht zu geniessenden Daten von EFPIA ist die Zulassungsdauer in
der Schweiz im internationalen Vergleich tendenziell eher kurz (European Federation of
Pharmaceutical Industries and Associations 2010).
7809
fachbehandlungen führen zu Verzögerungen, zumal die EAK aktuell nur viermal
jährlich tagt.23
4
Beurteilung anhand der WZW-Kriterien
Die WZW-Kriterien sind für die Anwendung durch die EAK und das BAG nur
unzureichend präzisiert. Zudem wird der Nutzen der Medikamente in der aktuellen
Praxis nur beschränkt bewertet.
Damit Leistungen von der Krankenversicherung vergütet werden, müssen sie sämtliche WZW-Kriterien erfüllen, d.h. wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein
(Art. 32 Abs. 1 KVG). Die Kriterien werden in der angegebenen Reihenfolge beurteilt. Ein Arzneimittel, das nicht wirksam ist, braucht in der Folge gar nicht erst auf
seine Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit hin geprüft zu werden. Die Definition
und Anwendung der einzelnen Kriterien wird zunächst allgemein für den Bereich
der Schulmedizin beschrieben und bewertet, bevor gesondert auf die WZWBeurteilung von Generika und komplementärmedizinischen Arzneimitteln eingegangen wird.
Insgesamt kann aus rechtlicher Sicht für den schulmedizinischen Bereich festgehalten werden, dass die Operationalisierung der WZW-Kriterien gesetzmässig und
abgesehen von Ausnahmen widerspruchsfrei und stringent ist. Im Vergleich zu
Deutschland und Österreich ist der Kriterienkatalog grundsätzlich ähnlich, jedoch
sind die einzelnen Kriterien im Falle der Schweiz sehr allgemein gehalten und wenig
präzisiert. Wie die Vollzugsevaluation aufzeigt, sind die Kriterien für die meisten
am Prozess beteiligten Akteure sodann mehrheitlich nicht ausreichend konkretisiert.
Namentlich führt die fehlende Präzisierung des Kriteriums der Wirksamkeit zu
Schwierigkeiten bei der Beurteilung aller drei Kriterien, denn die Zweckmässigkeit
und die Wirtschaftlichkeit bauen auf der Wirksamkeit auf.
Bei komplementärmedizinischen Arzneimitteln ist ebenfalls die Anforderung an den
Wirksamkeitsnachweis ungenügend klar, während die Kriterien der Zweckmässigkeit und der Wirtschaftlichkeit angemessen sind. Bei Generika erweist sich dagegen
das Instrument zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit als problematisch.
Die WZW-Kriterien werden vom BAG und von der EAK bei jedem Gesuch stets
angewendet. Dazu tragen das Handbuch SL und die dazugehörigen Formulare bei,
welche die Anforderungen an die Gesuchstellenden konkretisieren und eine effiziente Bearbeitung der Gesuche unterstützen.24
4.1
Wirksamkeit
Auch wenn aus rechtlicher Sicht das Kriterium der Wirksamkeit – in anderen Worten der therapeutische Nutzen – klar definiert ist, zeigt sich in der Praxis eine mangelnde Operationalisierung um ein Gesuch fundiert zu beurteilen.
23
24
Das BAG verfügt nach der angepassten KLV vom 1.6.2013 (Art. 31 Bst. 5) die Aufnahme in die SL innert 60 Arbeitstagen, sofern die Gesuche vollständig und mit Voranzeige
von Swissmedic eingereicht wurden.
Von allen Akteuren werden die seit Januar 2012 eingesetzten Formulare sowie Konkretisierungen, die das BAG im Handbuch SL vorgenommen hat, positiv beurteilt.
7810
Artikel 65a KVV25 schreibt vor, dass die Wirksamkeit eines schulmedizinischen
Arzneimittels anhand von klinisch kontrollierten Studien beurteilt werden muss.
Artikel 32 KLV bestimmt ausserdem, dass sich das BAG bei seiner Beurteilung der
Wirksamkeit auf die Unterlagen von Swissmedic stützt, wobei es von den Gesuchstellerinnen weitere Unterlagen verlangen kann. Diese rechtlichen Anforderungen an
die Wirksamkeit werden durch das Rechtsgutachten als klar beurteilt, namentlich
weil die Form der erforderlichen Studien definiert ist (klinisch kontrollierte Studien).
Präzisierung der Kriterien
Die beteiligten Akteure sehen dies hingegen mehrheitlich anders. Sie gehen davon
aus, dass der Wirksamkeitsnachweis – basierend auf den Unterlagen von Swissmedic, nicht für eine Aufnahme in die SL genügt. Swissmedic verlangt in der Regel
zwar ebenfalls klinisch kontrollierte Studien, welche jedoch die Wirksamkeit eines
Medikaments gegenüber einem Placebo nachweisen. Der Nutzen eines Arzneimittels
kann entweder mit klarer Definition von Kriterien (z.B. Operationalisierung der
Lebensqualität) oder gegenüber einem anderen Arzneimittel beurteilt werden. Für
Ersteres bestehen keine klar definierten Indikatoren. Eine systematische Bewertung
im Vergleich zu bestehenden Arzneimitteln würde eine Klassifizierung von Wirkstoffgruppen und die Definition eines Referenzstandards (theoretisch beste und
kosteneffektivste Therapie) erfordern. Mit diesem Standard müsste der Nutzen jedes
neue Arzneimittel in der Gruppe verglichen werden. Dies wird beispielsweise in
Deutschland so gemacht, indem auf den zusätzlichen Nutzen abgestellt wird, welcher sich für die Patientinnen und Patienten ergibt. In der Schweiz ist die relative
Wirksamkeit in den rechtlichen Grundlagen hingegen nicht explizit vorgesehen. Ob
und wie Studien zur relativen Wirksamkeit beurteilt werden sollen, bleibt demnach
unklar.
Mehrheitlich legen die Gesuchstellenden den Gesuchen nur Studien mit Vergleichen
gegenüber einem Placebo bei. Die Berichte von Swissmedic, in welchen eine grössere Anzahl von Studien begutachtet wird, sind nach Artikel 63 HMG26 für das
BAG nicht zugänglich. Die Daten liegen nur den Vollzugsbehörden des HMG offen,
wozu das BAG nicht zählt.27 Dem BAG und der EAK fehlen damit wesentliche
Informationen.
Während Swissmedic die spezifischen Anforderungen an Studien zur Marktzulassung mit den Arzneimittelherstellern klärt, bevor diese ihr Gesuch einreichen, gibt es
im Rahmen der Zulassung zur Kassenpflicht keine ähnliche Möglichkeit für das
BAG. Das BAG versichert sich bei Gesuchen ohne Studien zur relativen Wirksamkeit fallweise über Partnerinstitutionen im Ausland, ob keine solchen existieren.
Falls nicht, werden Vergleiche über mehrere Studien (indirekte Vergleiche) angestellt. Dies ist jedoch äusserst schwierig und führt oftmals zu ausgiebigen Diskussionen zwischen dem BAG, der EAK und – nach dem Entscheid – zwischen dem
BAG und den Gesuchstellenden. Das Einfordern der Durchführung neuer Studien ist
für das BAG aufgrund der langen Dauer solcher Untersuchungen schwierig.
25
26
27
Verordnung über die Krankenversicherung (KVV), SR 832.102.
Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte (HMG), SR 812.21.
Eine Ausweitung der Informationsrechte auf das BAG steht im Rahmen der aktuellen
HMG-Revision zur Diskussion.
7811
Anforderung an die Wirksamkeit in Vergleichsländern
International werden allgemein höhere Anforderungen gestellt, wenn das Arzneimittel durch die Krankenversicherung finanziert werden soll. So wird beispielsweise in
Deutschland die Qualität der eingereichten Studien klassifiziert und die Stärke ihrer
Aussagekraft bei der Bewertung der Wirksamkeit berücksichtigt. Ausserdem ist in
den meisten Ländern der EU die relative Wirksamkeit respektive sogar der Zusatznutzen im Vergleich zu bestehenden Alternativen zu belegen. Bei den Alternativen
kann es sich auch um nichtmedikamentöse Leistungen handeln. Ein neues Krebsmedikament wird dabei beispielsweise mit einer Operation verglichen. Ein solcher
Vergleich kann bisher in der Schweiz aufgrund fehlender rechtlicher Normen im
Rahmen der Aufnahme in die SL nicht gemacht werden. Schliesslich verlangen
andere Länder den Nachweis des Patientennutzens, wofür über klinische Studien
hinausgehende Versorgungsstudien notwendig wären. Die meisten Befragten würden eine ausführlichere Prüfung der Wirksamkeit als sinnvoll erachten.28
4.2
Zweckmässigkeit
Die Prüfung der Zweckmässigkeit eines Arzneimittels gestaltet sich gegenüber der
Wirksamkeitsprüfung einfacher. Die zu beurteilenden sozialen Präferenzen sind
jedoch nicht konkretisiert und werden situativ bestimmt.
Gemäss Artikel 33 Absatz 1 KLV wird die Zweckmässigkeit eines Arzneimittels in
Bezug auf seine Wirkung und Zusammensetzung nach klinisch-pharmakologischen29 und galenischen30 Erwägungen, nach unerwünschten Wirkungen sowie nach
der Gefahr missbräuchlicher Verwendung beurteilt. Entscheidend ist demnach der
diagnostische oder therapeutische Nutzen, gemessen am angestrebten Heilerfolg der
möglichst vollständigen Beseitigung der körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung, unter Berücksichtigung der damit verbundenen Risiken sowie der Missbrauchsgefahr.31 Kurz: Die Zweckmässigkeit setzt zusätzlich zur Wirksamkeit
voraus, dass der Nutzen eines Medikaments (z.B. erhöhte Lebensqualität, Verminderung der Schmerzen usw.) seinen Schaden (z.B. Übelkeit als Folge von Medikamenteneinnahme, andere Therapienebenwirkungen, Mortalität usw.) übersteigt.
Das BAG stützt sich für die Beurteilung der Zweckmässigkeit wiederum auf die
Unterlagen, die für die Marktzulassung durch Swissmedic massgebend waren. Es
kann aber auch weitere Unterlagen verlangen (Art. 33 Abs. 2 KLV).
Nach der Verwaltungspraxis erfolgt die Beurteilung der Zweckmässigkeit aufgrund
des Verhältnisses von Erfolg und Misserfolg (Fehlschlägen) einer Anwendung sowie
28
29
30
31
Gewünscht werden so genannte gesundheitsökonomische «Health Technology Assessments» (HTA), die rechtliche, ethische und soziale Aspekte berücksichtigen und alle
medizinischen Leistungen umfassen, wobei ein einheitliches Verständnis von HTA fehlt.
Die Bezeichnung wird in den verschiedenen Ländern nicht deckungsgleich verwendet.
Die Komplexität und der Ressourcenbedarf für HTA sind hoch.
Die Klinische Pharmakologie beschäftigt sich mit allen Aspekten der Anwendung von
Arzneimitteln im Menschen und schliesst die Lücke zwischen der GrundlagenPharmakologie und der medizinischen Praxis.
Die Galenik ist die Lehre von der Herstellung von Arzneimitteln. Unter der galenischen
Form wird die Darreichungsform (Tablette, Granulat, Tropfen etc.) verstanden.
BGE 130 V 299 E. 6.1 S. 304; BGE 129 V 32 E. 4.1 S. 37
7812
der Häufigkeit von Komplikationen.32 Dabei werden wiederum primär die in ihrem
Wirksamkeitsbegriff beschränkten klinischen Studien beigezogen. Nach allgemeiner
Auffassung der beteiligten Akteure zählt zur Prüfung der Zweckmässigkeit aber
auch die Frage, ob ein Arzneimittel für die obligatorische Krankenpflegeversicherung erforderlich ist, womit soziale Aspekte ins Blickfeld rücken (vgl. Appraisal).
Angesichts des Fehlens entsprechender Richtlinien werden die sozialen Präferenzen
situativ bestimmt. Für eine einheitliche Beurteilung der Erforderlichkeit wäre zudem
genauer zu bestimmen, wo ein Arzneimittel eingesetzt werden soll.
4.3
Wirtschaftlichkeit
Zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit stehen in der Schweiz zwei Instrumente zur
Verfügung: der therapeutische Quervergleich (TQV) und der Auslandspreisvergleich
(APV), der auf dem durchschnittlichen FAP von sechs Vergleichsländern liegt.
Beide Instrumente sind für eine fundierte Beurteilung der Wirtschaftlichkeit nur
eingeschränkt zweckmässig.
Ein Arzneimittel gilt gemäss den rechtlichen Grundlagen als wirtschaftlich, wenn es
die geplante Heilwirkung mit möglichst geringem finanziellem Aufwand gewährleistet (Art. 65b Abs. 1 KVV). Geprüft wird die Wirtschaftlichkeit einerseits durch
den TQV, bei dem mehrere Arzneimittel, die zum gleichen Behandlungszweck in
der Schweiz zur Verfügung stehen, miteinander verglichen werden (Art. 65b Abs. 2
KVV und Art. 34 Abs. 2 Bst. b und c KLV), und andererseits durch den APV, bei
dem der Preis des fraglichen Präparats in ausgewählten Ländern verglichen wird
(Art. 65b Abs. 2 KVV und Art. 34 Abs. 2 Bst. a KLV).
Die Kriterien zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit sind sowohl gemäss Rechtsgutachten als auch nach Auffassung der beteiligten Akteure in den rechtlichen Grundlagen sowie speziell im Handbuch SL klar und ausführlich festgelegt. Jedoch wird die
Wirtschaftlichkeit im Schweizer System sehr eng definiert. Im Gegensatz zum
Ausland werden keine Studien verlangt, welche die Kosten eines Medikaments ins
Verhältnis zu seinem Zusatznutzen stellen. Im Falle von Deutschland werden beispielsweise neue Arzneimittel, die keinen Zusatznutzen nachweisen, mit einem
(relativ tiefen) Festbetrag der Vergleichsgruppe versehen.33 Nur wenn ein Zusatznutzen anhand wissenschaftlicher Studien belegt werden kann, finden Preisverhandlungen statt. In der Schweiz fliessen ökonomische Studien hingegen nur in die
Bewertung ein, falls der Gesuchsteller diese von sich aus einreicht. In der Regel
liegen lediglich Schätzungen bezüglich der zu Lasten der Grundversicherung entstehenden Gesamtkosten vor. Nur indirekt, über den Vergleich mit dem Preis anderer
Arzneimittel mit demselben Behandlungszweck beim TQV, werden die Kosten mit
dem medizinischen Nutzen in Beziehung gesetzt.
Die beiden Instrumente TQV und APV, anhand welcher die Wirtschaftlichkeit
bestimmt wird, stossen in der Anwendung auf Schwierigkeiten. Da beim Nachweis
der Wirksamkeit keine Vergleichsstudien mit anderen Medikamenten oder der
besten verfügbaren Behandlungsalternative verlangt werden, liegen auch häufig
keine solchen vor, sondern es sind höchstens indirekte Vergleiche möglich. Deshalb
ist der TQV in der Anwendung oftmals umstritten.
32
33
BGE 127 V 138 E. 5 S. 146
Für Ausführungen zum Festbetragsystem siehe Internationaler Vergleich.
7813
Der APV basiert seinerseits auf ausländischen Listenpreisen, die in einzelnen Ländern um einiges höher liegen als die tatsächlich vergüteten Kosten. Denn auf den im
Ausland angegebenen FAP können einerseits substanzielle Rabatte gewährt werden
oder andererseits kann der tatsächliche Preis tiefer liegen, da für ein Arzneimittel nur
ein Festbetrag vergütet wird.
Bei den genannten Rabatten handelt es sich in der Regel um nicht öffentlich bekannte, von den Arzneimittelherstellern einzelnen Krankenversicherern gewährte Rabatte. In Deutschland verlangt der Staat bei Arzneimitteln, die aufgrund eines Zusatznutzens nicht in eine Festbetragsgruppe fallen, gegenwärtig einen Zwangsrabatt von
16 % auf den Listenpreis, den die Arzneimittelhersteller zu gewähren haben. Teilweise werden jedoch höhere Rabatte ausgehandelt. So liegt beispielsweise der FAP
von Zytiga (120er-Packung à 250 mg) in Deutschland bei 5450.21 Euro.34 Dieser
Preis fliesst dann auch in den APV in der Schweiz mit ein. Der Rabatt in Deutschland wurde auf knapp 1150 Euro, also auf rund 21 % und somit über dem Zwangsrabatt von 16 % ausgehandelt.
Wird in der Evaluation in Deutschland kein Zusatznutzen festgestellt, wird das
Arzneimittel für den Festbetrag der Wirkstoffgruppe eingeteilt. Der FAP von Sortis
(100er-Packung à 20 mg) liegt beispielsweise in Deutschland bei umgerechnet
144.25 Franken.35 Der Festbetrag für die Wirkstoffgruppe, zu der Sortis zählt, ist
jedoch auf 18.50 Euro festgelegt. Die Kassen bezahlen in Deutschland für Sortis
deshalb in Realität nur rund 15 % des angegebenen FAP, der in der Schweiz für
den APV herangezogen wird. In der Schweiz wurde der FAP für Sortis auf
130.40 Franken festgelegt. Die ausländischen Preise, die beim APV verglichen
werden, sind folglich wenig aussagekräftig.
4.4
WZW-Kriterien bei Generika
Die Anwendung der WZW-Kriterien gestaltet sich bei Generika einfach. Jedoch
steht der fixe Preisabstand eines Generikums zum Originalpräparat im Widerspruch
mit den Prinzipien des KVG und stellt im Vergleich zum Ausland ein Sondermerkmal dar.
Dank Patentschutz haben die Originalpräparate in den ersten Jahren nach der Markteinführung keine Konkurrenz durch Generika.36 Die danach eingeführten Generika
sind per Definition mit dem Originalpräparat austauschbar, d.h. sie enthalten die
identischen Wirkstoffe (oder Wirkstoffkombinationen) in gleicher Dosierung und
Darreichungsform und entfalten die gleiche Wirkung. Der Wirksamkeitsnachweis
gilt gemäss rechtlichen Grundlagen deshalb bei Generika von kassenpflichtigen
Originalpräparaten mit der Marktzulassung durch Swissmedic als erbracht, da von
derselben Wirksamkeit ausgegangen werden kann wie beim Originalpräparat, was
mit einer Bioäquivalenzstudie belegt wird. Das BAG prüft die Wirksamkeit nicht
mehr. Die Zweckmässigkeit von Generika ist dann erfüllt, wenn sie in den gleichen
34
35
36
Siehe www.arznei-telegramm.de/blitz-pdf/blitz-a-t _31.01.2013.pdf
(Stand 15.4.2013).
Werte für die Schweiz stammen aus der SL (Stand 01.03.2013) und für Deutschland aus
der Festbetragsliste (Stand 15.2.2013).
Die Dauer des Patents ist auf 20 Jahre begrenzt. Aufgrund der Anforderungen, die vor der
Markteinführung eines neuen Medikaments erfüllt werden müssen, während das Patent
bereits läuft, wirkt der effektive Patentschutz durchschnittlich 10 Jahre.
7814
Verabreichungsformen, allen Packungsgrössen und Dosisstärken des Originalpräparates für Erwachsene angeboten werden. Ein Generikum gilt gemäss Artikel 65c
KVV als wirtschaftlich, wenn dessen FAP einen gewissen Prozentsatz (je nach
Marktvolumen des Originals zwischen 10 und 60 %) tiefer liegt als derjenige des mit
diesem Generikum austauschbaren Originalpräparates (sogenannter fixer Preisabstand).
Die rechtlichen Vorgaben für die Beurteilung von Generika nach den WZWKriterien sind klar, doch sind die Vorgaben zur Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit
ungeeignet. Die Preisabstandregelung zwischen Originalpräparaten und Generika
steht im Widerspruch zum Grundsatz des KVG, gemäss dem eine qualitativ hochstehende medizinische Versorgung zu möglichst günstigen Preisen gewährleistet
werden soll. Wie auch das Bundesgericht festgehalten hat, ist bei vergleichbarem
medizinischem Nutzen das kostengünstigste Präparat das wirtschaftliche.37 Da das
Generikum per Definition mit dem Originalpräparat austauschbar ist, ist der vergleichbare medizinische Nutzen gegeben. Weshalb eine Preisdifferenz von bis zu
60 % vorgeschrieben sein soll, damit beide Arzneimittel gleich «wirtschaftlich»
sind, ist nicht ersichtlich.
Die Preisabstandregelung ist im Vergleich zum Ausland ein Sondermerkmal der
Schweiz. In der Schweiz ist es dem Originalhersteller durch den Preisabstand nach
KVV erlaubt, von den Kassen höhere Preise zu verlangen, als für die entsprechenden Generika gelten. In Österreich dagegen wird der Preis des Originalpräparates
beim ersten und dritten Generikum gesenkt. Mit dem differenzierten Selbstbehalt
nach Artikel 38a KLV, gemäss dem die Versicherten beim Kauf des Originalpräparats trotz vorhandenem Generikum 20 % statt nur 10 % der Kosten selber tragen
müssen, wollen die Schweizer Behörden die Originalhersteller zwar ebenfalls Preissenkungen anregen, doch kann die Wirkung noch nicht eindeutig eruiert werden.
Den grundsätzlichen Widerspruch zum gesetzlichen Ziel der Wirtschaftlichkeit wird
dadurch nicht korrigiert.
Würde der Preis von Generika in der Schweiz statt nach der Preisabstandregel
aufgrund eines APV wie bei Originalpräparaten festgelegt, läge er tendenziell tiefer;
die Preise von Generika in der Schweiz weisen durchschnittlich eine noch höhere
Differenz zu den ausländischen Preisen auf als die Originalpräparate.
4.5
WZW-Kriterien bei komplementärmedizinischen
Arzneimitteln
Während die Kriterien der Zweckmässigkeit und der Wirtschaftlichkeit bei komplementärmedizinischen Arzneimitteln synonym zu den schulmedizinischen Arzneimitteln geprüft werden, sind die Anforderungen an die Wirksamkeit nicht ausreichend
definiert.
Im Gegensatz zu den schulmedizinischen Arzneimitteln, bei denen die Wirksamkeit
gemäss Artikel 65a KVV mittels klinischer Studien nachgewiesen werden muss, hat
es der Bundesrat in der KVV unterlassen, die Anforderungen an den Wirksamkeitsnachweis bei komplementärmedizinischen Arzneimitteln zu präzisieren. Die Beurteilung der Zweckmässigkeit bei einem Arzneimittel der Komplementärmedizin wird
37
BGE 130 V 532 E. 2.2
7815
im Handbuch SL dargelegt und ist für die am Prozess beteiligten Akteure klar definiert. Auch die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit ist, wie bei der Schulmedizin, klar
geregelt.
Wie das Rechtsgutachten feststellt, sind die Kriterien widerspruchsfrei, aber im Falle
der Wirksamkeit nicht spezifiziert. Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass die SL
eigentlich nur so genannte pharmazeutische Spezialitäten und konfektionierte Arzneimittel umfasst, komplementärmedizinische Arzneien, speziell im Bereich der
Homoeopathica und Anthroposophica, oftmals jedoch nicht konfektioniert sind und
vom Apotheker/von der Apothekerin gemischt werden müssen.
Die Aufnahme von komplementärmedizinischen Arzneimitteln in die SL ist in der
Schweiz vergleichsweise grosszügig geregelt. In Österreich ist die Aufnahme solcher Arzneimittel in den Erstattungskodex schwierig bis unmöglich, weil ein Nutzen
oft schwer nachgewiesen werden kann. In Deutschland existiert ein Hinweis, dass
bei «besonderen Therapierichtungen» der besonderen Wirkungsweise Rechnung zu
tragen sei, wobei im Rahmen des internationalen Vergleichs nicht ermittelt werden
konnte, wie dies in der Praxis umgesetzt wird.
5
Entscheid
Dieses Kapitel rückt den Verfahrensschritt des Entscheids ins Zentrum, für den das
BAG zuständig ist (siehe Punkt 4 in Abbildung 1). Das BAG erlässt eine Verfügung,
die feststellt, ob und zu welchem Höchstpreis ein Medikament in die SL aufgenommen wird. Schwierigkeiten zeigen sich bei der Preisdurchsetzung, sobald der Auslandpreisvergleich (APV) sowie der Therapeutische Quervergleich (TQV) vorliegen.
Das gesamte Verfahren muss insgesamt als intransparent bezeichnet werden.
In der Folge werden die rechtlichen Entscheidgrundlagen dargelegt, bevor die Entscheidpraxis beschrieben wird. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Festlegung der
Preise. Anschliessend wird erläutert, was geschieht, wenn das BAG zum Entscheid
kommt, dass die Bedingungen für eine Kassenzulassung nicht erfüllt sind. Zum
Schluss wird die Transparenz der Entscheidungen bewertet.
5.1
Rechtliche Grundlagen
Der Entscheid über die Kassenzulassung liegt beim BAG. Es entscheidet gemäss
den rechtlichen Grundlagen nach Anhörung der EAK und unter Berücksichtigung
der WZW-Kriterien über die auf der SL geführten Arzneimittel (Art. 52 Abs. 1
Bst. b KVG). Das BAG entscheidet selbständig. Die EAK ist nicht zum Eingreifen
ermächtigt, und der Bundesrat respektive das Departement sind für das System
zuständig, grundsätzlich jedoch nicht für die einzelnen Zulassungsentscheide.
Vorgaben zur Preisfestlegung
Wie in Abschnitt 4.3 erwähnt, ist die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit, bei der es
namentlich um den Preis eines Medikaments geht, der durch die Krankenversicherung vergütet wird, am stärksten umstritten. In der Folge werden die rechtlichen
Vorgaben zur Preisbestimmung im Detail dargestellt.
7816
Weil geeignetere Nutzenbewertungen fehlen, wird die Wirtschaftlichkeit anhand der
beiden Instrumente des TQV und des APV festgelegt. Dabei stellt sich die Frage,
wie die Ergebnisse dieser beiden Vergleiche in den Preisentscheid einfliessen.
Artikel 35 Absatz 1 KLV legt fest, dass der FAP eines Arzneimittels den durch den
APV ermittelten durchschnittlichen FAP des gleichen Medikaments in der Regel
nicht überschreiten darf. Gemäss dieser Bestimmung gilt der durch den APV berechnete Preis somit als Höchstpreis. Wie unter Punkt 4.3 erwähnt, handelt es sich
bei den ausländischen Listenpreisen allerdings nicht in allen Fällen um tatsächlich
bezahlte Preise.
Der Stellenwert des TQV bei der Preisbestimmung ist dagegen nicht näher geregelt.
Auch fehlen Vorgaben dazu, wie die Ergebnisse von TQV und APV gewichtet
werden, wenn der TQV zu einem viel tieferen Preis führt.
Bei Originalpräparaten, die von der EAK als «medizinisch-therapeutischer Durchbruch» oder als «therapeutischer Fortschritt» eingestuft werden (Art. 31 Abs. 2
Bst. a und b), sieht Artikel 65b Absatz 4 KVV einen Innovationszuschlag vor.
Dieser Zuschlag, der für höchstens 15 Jahre gewährt wird, soll die Kosten für Forschung und Entwicklung abgelten (Art. 34 Abs. 2 Bst. d KLV). Der Innovationszuschlag beträgt, ausgehend vom Preis der durch den TQV ermittelt wurde, höchstens
20 % und darf den durch den APV ermittelten Durchschnittspreis nicht überschreiten (Handbuch SL C.2.2).
Bei Generika gilt die Regel des fixen Preisabstands (vgl. hierzu Abschnitt 4.4).
5.2
Entscheidpraxis
Als Entscheidungsgrundlage dient gemäss BAG neben der Empfehlung der EAK
auch die eigene Evaluation des Gesuches und vereinzelt Expertengutachten. Wie
sich in den Gesprächen mit den EAK-Mitgliedern und in den Dossiers der Vollzugsevaluation gezeigt hat, folgt das BAG in den allermeisten Fällen der Empfehlung der
EAK. Selten weicht das BAG von der Empfehlung der EAK ab, und zwar laut
Aussage des BAG vornehmlich dann, wenn Studien, die das Amt bei Partnerorganisationen angefordert hat, neue Evidenz liefern, die der EAK nicht bekannt war.
Auch beim Preis folgt das BAG mehrheitlich den Empfehlungen der EAK. Abweichungen von deren Preisempfehlung kommen laut BAG dann vor, wenn die EAK
ohne klare Argumente einen deutlich tieferen Preis festlegt als der Arzneimittelhersteller. Alleine wegen offenen Fragen zur Wirtschaftlichkeit geht kaum ein Gesuch
zurück in die EAK. Bei der Preisfestsetzung agiert das BAG somit eigenständig.
In der Folge wird die Praxis der Preisbestimmung bei Originalpräparaten näher
beschrieben, indem zuerst auf den Stellenwert der beiden Vergleichsinstrumente
APV und TQV eingegangen wird und anschliessend die gewährten Innovationszuschläge bewertet werden. Die Preise für Generika sind durch den fixen Preisabstand
dagegen klar bestimmt, weshalb es beim Vollzug keinen Spielraum gibt.
Gewichtung von APV und TQV
Bezüglich der Bedeutung von APV und TQV bei der Preisfestlegung lässt sich
feststellen, dass der APV vom BAG strikte als Maximalpreis angesehen und durchgesetzt wird. Die Ergebnisse der beiden Vergleiche werden allerdings nicht nach
einem klaren Muster gewichtet.
7817
Liegen zu einem Medikament nur Daten zu einem der beiden Vergleiche vor, folgt
die Preisfestsetzung – wie die Vollzugsevaluation zeigt – den Ergebnissen dieses
Vergleichs. In seltenen Fällen wird auch ein tieferer Preis verfügt.
Wird sowohl ein APV als auch ein TQV durchgeführt, ist der Konsumentenschutz
der Auffassung, dass sich der Preis immer nach jenem Instrument (APV/TQV)
richten sollte, das den tieferen Vergleichspreis aufweist. Einige Arzneimittelhersteller stehen dagegen für eine Gewichtung 50:50 ein. In der Praxis lässt sich keine
klare Gewichtungsregel feststellen. Mehrheitlich wird jedoch der Preis auf der Höhe
des tieferen Vergleichsinstruments angesetzt, wobei der APV nicht überschritten
wird.38 Dies zeigt sich in den analysierten Dossiers wie auch in den Daten zu den
Neuaufnahmegesuchen des 2. Semesters im Jahr 2012.39 Problematisch gestaltet
sich die Preisfestsetzung vor allem in jenen Fällen, in denen die beiden Vergleiche
sehr unterschiedliche Ergebnisse liefern. In diesen eher seltenen Fällen kann es zu
einer Gewichtung von 50:50 (2 Fälle von 16) oder zu Gewichtungsmodellen mit
unterschiedlichen Referenzen bei verschiedenen Dosisstärken kommen (1 Fall von
16). In zwei Fällen im 2. Semester 2012 wurden Preise verfügt, die tiefer als der
APV wie auch tiefer als der TQV waren. Dies kann beispielsweise dann vorkommen, wenn der TQV mit einem Komparator angestellt wird, der einen höheren
Nutzen aufweist.
Mit der Festlegung des APV als Obergrenze verfügt das gegenwärtige System gegen
oben somit über eine klare Begrenzung der Preise. Wie in Kapitel 4.3 bereits dargelegt, beruht der APV auf Listenpreisen, welche Schaufensterpreise darstellen, die
zum Teil deutlich über den im Ausland tatsächlich bezahlten Preisen liegen. Der
APV verfügt deshalb nur über eine begrenzte Aussagekraft.
Das Fehlen einer klaren Gewichtungsregel wurde von einigen beteiligten Akteuren
auch positiv bewertet, weil dies ermögliche, auf die Eigenheiten der einzelnen
Gesuche Rücksicht zu nehmen. Andererseits erschwert es aber die Preisfestsetzung
und führt zuweilen, wie im Abschnitt 3.4 dargelegt, zu langwierigen Verfahren und
Rechtsungleichheiten.
Innovationszuschlag
Der Innovationszuschlag wird uneinheitlich und nicht in allen Fällen wie im Handbuch vorgesehen eingesetzt.
Bei neuen Originalpräparaten wird in rund 4 bis10 % der Fälle ein Innovationszuschlag gewährt.40 Ob und wie ein solcher Zuschlag ausfallen soll, wird häufig kontrovers beurteilt, weil einerseits nicht klar definiert ist, was eine Innovation ist, und
andererseits der zu erwartende Nutzen der Innovation gerade angesichts des Mangels an entsprechenden Vergleichsstudien (vgl. Abschnitt 4) offen bliebt. Eine
einheitliche Anwendung ist deshalb schwierig.
38
39
40
Um in begründeten Ausnahmen die Medikamentenversorgung sicherzustellen, ist es laut
dem BAG vorgekommen, dass der APV überschritten wurde. Ein Beispiel stellt die
Tuberkulose dar, gegen die es keine zugelassenen Medikamente mehr gab, weil in der
Schweiz über längere Zeit keine Krankheitsfälle auftraten. Aufgrund des APV hätte das
Arzneimittel sehr günstig sein müssen. Keine Firma war interessiert, das Arzneimittel zu
einem so tiefen Preis auf den Markt zu bringen.
In 11 von 16 Fällen, siehe auch Tabelle 8 in der Vollzugsevaluation.
Vgl. Ip Humbel 10.3944 und Rossini 12.3541 oder Vollzugsevaluation Kapitel 2.3.2.3.
7818
In einem der Dossiers betrug der Innovationszuschlag zudem 80 %.41 Zwar handelt
es sich dabei sehr wahrscheinlich um einen Ausreisser, doch stellt er eine deutliche
Missachtung des im Handbuch SL vorgegebenen Maximums von 20 % dar. Die
Vorgaben aus dem Handbuch werden daher nicht immer eingehalten.
Befristete Aufnahme
Befristete Aufnahmen ermöglichen dem Hersteller bessere Daten zu erheben. Nach
der erteilten Frist liegen oftmals aber noch keine weiteren Wirksamkeitsbelege vor.
Bei neuen Arzneimitteln kann die Wirksamkeit oftmals erst schwach belegt werden.
Die Arzneimittelhersteller haben daraufhin verschiedentlich so genannte befristete
Aufnahmen in die SL als Massnahme ins Feld geführt. Eine befristete Aufnahme in
die SL mit klaren Anforderungen würde gemäss den Arzneimittelherstellern erlauben, dass Patientinnen und Patienten bereits von der Innovation profitieren und die
Hersteller in der erteilten Frist zum Beleg der Wirksamkeit weitere Daten erheben
können. In seltenen Fällen wird dies gegenwärtig auch praktiziert. Die Problematik
von befristeten Aufnahmen liegt aber darin, dass nach der erteilten Frist oftmals
weiterhin klare Wirksamkeitsbelege fehlen, gleichzeitig jedoch einige Patientinnen
und Patienten bereits auf das Medikament eingestellt sind und eine Absetzung für
sie problematisch sein könnte. Eine nachträgliche Ablehnung des Medikaments ist
deshalb kaum durchzusetzen. Zudem ist kritisch zu hinterfragen, ob die schnellere
Einführung eines Medikaments, dessen Wirksamkeit bzw. Zusatznutzen noch nicht
gut belegt ist, tatsächlich im Interesse des Patienten und der Patientin liegt.
5.3
Folgen der Nichterfüllung der Bedingungen
Es ist üblich, dass das BAG bei erstmalig eingereichten Gesuchen entscheidet, dass
ein Medikament die Bedingungen für die Aufnahme in die SL nicht erfüllt. Grund
ist zumeist, dass der vom Arzneimittelhersteller verlangte Preis als zu hoch beurteilt
wird. In der Regel folgen daraufhin mehrere Schlaufen, in welchen sich BAG und
Hersteller zu einigen versuchen.
Wenig formelle Abweisungen
Gelangt das BAG zum Entscheid, dass ein Medikament sämtliche WZW-Kriterien
erfüllt und zum Preis, den der Arzneimittelhersteller verlangt, vergütet werden kann,
erlässt es eine Verfügung zur Aufnahme des Medikaments auf die SL. Erachtet das
BAG die Kriterien dagegen nicht als erfüllt, lässt es dem Arzneimittelhersteller eine
Mitteilung zukommen, in der es begründet, warum es beabsichtigt, das Gesuch ganz
oder teilweise abzulehnen. Die Gesuchstellerin kann in der Folge ein Neuüberprüfungsgesuch einreichen. Das BAG erlässt somit nicht automatisch eine Abweisungsverfügung, sondern nur, falls der Hersteller eine solche wünscht (Handbuch SL
A.4.2–4.3), namentlich weil er den Entscheid gerichtlich anfechten will.
Pro Jahr gibt es nach Angaben des BAG höchstens eine Hand voll Abweisungsverfügungen, wobei das BAG weder die Anzahl der Abweisungsverfügungen noch der
Mitteilungen systematisch erfasst. In aller Regel wird auf eine Abweisungsverfügung verzichtet und das Gesuch gilt als hängig. Der Hersteller hat jederzeit die
41
Der TQV lag sehr viel tiefer als der APV. Mit dem hohen Innovationszuschlag wurde ein
etwa in der Mitte liegender Preis festgelegt. Der APV wurde somit nicht überschritten.
7819
Möglichkeit, ein Neuüberprüfungsgesuch beispielsweise mit neuen Argumenten,
zusätzlichen Studien oder Gutachten einzureichen.
Stellung des BAG bei Preisfestsetzung
In der Praxis kommt es sehr oft vor, dass das BAG zunächst zur Einschätzung gelangt, dass die Bedingungen für eine Kassenzulassung nicht erfüllt sind, und zwar
meistens, weil angesichts der Preisvorstellungen des Herstellers die Wirtschaftlichkeit als ungenügend erachtet wird. Die Analyse der Dossiers hat ergeben, dass die
Arzneimittelhersteller in einer Mehrheit der erstmals eingereichten Gesuche Preise
angeben, die klar über dem APV und dem TQV liegen. In selteneren Fällen wird
auch die Zweckmässigkeit bemängelt, etwa weil die vorgesehene Packungsgrösse
als zu gross erachtet wird.
Kommt das BAG zum Schluss, dass der von der Gesuchstellerin beantragte Preis zu
hoch ist, teilt es dies dem Hersteller mit und gibt gleichzeitig an, welcher Preis als
angemessen erachtet wird. Stützt sich das BAG dabei auf den APV, kann von Seiten
der Gesuchstellerin kaum daran gerüttelt werden. Die Hersteller kommen dem BAG
in diesem Fall meistens entgegen. Stützt sich das BAG bei der Preisfestsetzung
hingegen auf den TQV ab, reichen die Hersteller oftmals ein Neuüberprüfungsgesuch mit zusätzlichen Studien und Expertengutachten ein. In diesen Fällen ist es laut
BAG schwierig, den Hersteller zu einem tieferen Preis zu bewegen.
Nicht nur der TQV, sondern auch der Innovationszuschlag sorgt regelmässig für
Diskussionen. Schlägt das BAG einen tieferen Preis vor, führen die Gesuchsteller oft
ins Feld, dass dieser der Innovation und der dahinter stehenden Forschung nicht
gerecht werde. Argumentiert wird also nicht mit dem Nutzen, sondern mit dem
Aufwand.
Liegen die Preisvorstellungen von BAG und Herstellern weit auseinander, werden
oft mehrere Schlaufen von «Mitteilung des BAG – Neuüberprüfungsgesuch» durchlaufen, mit entsprechend vielen Schreiben, Argumentarien, Expertenberichten und
zuweilen auch Treffen der beiden Akteure. Der Prozess kann sich dadurch extrem in
die Länge ziehen. Beschwerden werden laut BAG schätzungsweise zwei bis drei
Mal pro Jahr eingereicht (bei jährlich rund 580 neu aufgenommenen Packungen).
Das gerichtliche Durchsetzen der Verfügungen ist für das BAG zwar extrem zeitaufwändig, jedoch hat das Bundesverwaltungsgericht von 2010 bis Anfang 2013
vier von fünf Beschwerden der Hersteller abgewiesen. Einer dieser Fälle wurde ans
Bundesgericht weitergezogen, das die Beschwerde teilweise gutgeheissen hat.
In seltenen Fällen endet die Preisfestsetzung mit einer fragwürdigen Einigung.
Beispielsweise kam das BAG der Gesuchstellerin in einem Fall mit einem eher
hohen Preis entgegen, schrieb aber gleichzeitig in der so genannten Limitation, in
welcher Einschränkungen für den Einsatz des Medikaments angeordnet werden,
einen Rabatt für die Kassen fest, der von der Pharmafirma gewährt werden muss.42
So erhielt der Hersteller einen hohen FAP, was den Preis bei der Zulassung in anderen Ländern erhöht,43 während die Krankenkassen lediglich den vom BAG ursprünglich angestrebten tieferen Preis vergüten müssen.
42
43
Siehe Vollzugsevaluation Kapitel 2.3.2.4
Die Schweiz ist im Referenzkorb von 20 Ländern direkt vertreten. In weiteren Ländern
haben die Preise der Schweiz indirekten Einfluss auf deren Preisgefüge, da die 20 Länder
mit der Schweiz in ihrem Referenzkorb selbst wiederum referenziert werden
(Interpharma 2013).
7820
Die Sektion Medikamente im BAG handelt bei Preisfestsetzungen in der Regel
selbständig, sichert sich bei heiklen Dossiers jedoch vorgängig beim Amtsleiter ab.
Vereinzelt versuchen Hersteller, über den Departementsvorsteher oder den Amtsleiter den Entscheid zu beeinflussen.
5.4
Transparenz der Entscheide
In der Schweiz sind die Kassenzulassungsentscheide namentlich im Vergleich
zu Deutschland wenig transparent. Während einsichtig ist, dass aufgrund von Geschäftsgeheimnissen nicht alle Aspekte der Preisfestsetzung veröffentlicht werden
können, gibt es kaum Gründe, weshalb die Berichte zum Assessment und Appraisal
nach Abschluss des Verfahrens nicht öffentlich zugänglich gemacht werden.
Beurteilung der Transparenz
Hinsichtlich Transparenz nimmt Deutschland eine Vorbildrolle ein: Die Ergebnisse
der einzelnen Verfahrensschritte (Assessment, Appraisal, Decision) werden jeweils
nach Abschluss mit den wichtigsten Unterlagen im Internet publiziert.
In der Schweiz werden die Ergebnisse der Beurteilung (Assessment und Appraisal)
dagegen nur oberflächlich festgehalten. Die erste Prüfung durch das BAG wird nicht
systematisch dokumentiert und weder der Öffentlichkeit noch der EAK zugänglich
gemacht. Die Beratungen der EAK sind vertraulich und werden ebenfalls nicht
ausführlich dokumentiert.
Das BAG, aber auch die Arzneimittelhersteller begründen die Zurückhaltung bei der
Veröffentlichung von Unterlagen mit Geschäftsgeheimnissen. Solche sind in den
Dossiers aber nur wenige zu finden und betreffen namentlich Angaben zur Preisfestsetzung, beispielsweise Berechnungen zum erwarteten Absatz eines Arzneimittels
und Studienergebnisse, die nicht publik sind. Auch in Deutschland unterliegen
solche Informationen der Geheimhaltung. Abgesehen davon spricht hingegen nichts
gegen eine Veröffentlichung der Berichte zum Assessment und zum Appraisal. Für
die Ärzteschaft und letzten Endes für die Patientinnen und Patienten können diese
Berichte wertvolle Informationen enthalten.
Entscheidkommunikation
Der Entscheid wird vom BAG nur sehr knapp kommuniziert, indem das zugelassene
Medikament und sein Preis genannt werden. Die Grundlagen des Entscheids sind
somit für Aussenstehende nicht nachvollziehbar. Laut Bundesgericht müsste das
BAG aber Abweichungen von einer klaren Meinungsäusserung der EAK begründen.44 Dies wird jedoch nicht gemacht.
Vertreter der Arzneimittelhersteller kritisieren zudem, aus den Mitteilungen des
BAG gehe jeweils nicht klar hervor, warum ein Gesuch abgewiesen werde und
welche Instanz (BAG/EAK) was wie beurteilt habe. Mittelungen werden deshalb
manchmal als willkürlich bewertet. Zwar wünschen sich die Arzneimittelhersteller
selber somit mehr Einblick in das Verfahren, jedoch nicht unbedingt mehr Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit.
44
BGE 129 V 32 E. 3.2.2
7821
6
Verfahren der Überprüfung
In diesem Kapitel wird das Verfahren der Überprüfung, bei dem künftig alle drei
Jahre geprüft werden soll, ob ein Medikament die Kriterien der Kassenzulassung
noch erfüllt, untersucht (siehe Punkt 6 in Abbildung 1). Aufgrund des nach unten
angepassten Wechselkurses konnten die Preise um knapp 20 % gesenkt werden.
Über die Korrektur von Wechselkurseffekten hinausgehende Preissenkungen sind
über alles gesehen nicht erzielt worden.
Nach einer kurzen Darstellung der rechtlichen Grundlagen wird das Verfahren
ausgehend von den Erkenntnissen aus der ersten durchgeführten Überprüfung im
Jahr 2012 beurteilt.
6.1
Rechtliche Grundlagen
Laut Artikel 32 Absatz 2 KVG werden die Wirksamkeit, die Zweckmässigkeit und
die Wirtschaftlichkeit aller Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung periodisch überprüft. Für Medikamente wird gemäss Artikel 65d Absatz 1
KVV alle drei Jahre geprüft, ob sie die Bedingungen für die Aufnahme in die SL
noch erfüllen. Die Arzneimittelhersteller sind dabei verpflichtet, dem BAG alle
notwenigen Unterlagen zuzustellen (Art. 65d Abs. 3 KVV). Genauere rechtliche
Vorgaben sind nur zur Art und Weise der Überprüfung der Wirtschaftlichkeit vorhanden (Art. 65d Abs. 1bis, 1ter und 2 sowie Art. 35b KLV), während Ausführungsbestimmungen zu den beiden übrigen Kriterien fehlen. Die Wirtschaftlichkeit wird
bei Originalpräparaten ausschliesslich anhand eines Auslandpreisvergleichs (APV)
überprüft; ein Therapeutischer Quervergleich (TQV) wird nur in jenen Fällen durchgeführt, in welchen das Medikament auf dem ausländischen Markt nicht verfügbar
ist (Art. 65d Abs. 1bis KVV). Generika werden gleichzeitig mit dem entsprechenden
Original überprüft. Dabei gilt eine Preisdifferenz von mindestens 20 % zum durchschnittlichen APV des Originalpräparats (Art. 35b Abs. 10 KLV).
6.2
Erstmalige Überprüfung 2012
Im Jahr 2012 hat das BAG die erste Überprüfung durchgeführt. Künftig wird jährlich rund ein Drittel der rund 2800 auf der SL aufgeführten Arzneimittel45 überprüft,
so dass jedes Medikament alle drei Jahre hinsichtlich seiner Kassenzulassung neu
beurteilt wird.
Die erstmalige Überprüfung beschränkte sich auf das Kriterium der Wirtschaftlichkeit, während die Wirksamkeit und Zweckmässigkeit gänzlich ausser Acht gelassen
wurden, obwohl ihre Überprüfung in den gesetzlichen Grundlagen eigentlich ebenfalls angelegt ist. Eine künftige Änderung dieser Praxis ist nicht geplant.
Die aufgrund der Überprüfung der Wirtschaftlichkeit verordneten Preissenkungen
betragen 20 %, was ungefähr der Senkung des Wechselkurses für den APV entspricht.
45
Da ein Arzneimittel meist verschiedene Packungsgrössen oder Darreichungsformen
kennt, werden alle diese Formen überprüft. In der Folge wird von Packungen gesprochen.
7822
Angeordnete Preissenkungen
Insgesamt wurden im Rahmen der Überprüfung 2012 die Preise von 1512 Packungen gesenkt, wobei häufig beim gleichen Arzneimittel die Preise für mehrere Packungsgrössen oder Verabreichungsformen angepasst wurden (siehe Tabelle 1). Der
FAP sank durchschnittlich um 20.1 %. Das BAG ordnete bei Originalpräparaten und
bei Generika Preissenkungen an. Die durchschnittliche Preissenkung fiel bei den
Generika etwas höher aus.
Bei Originalpräparaten hat das BAG die meisten Preisanpassungen auf der Grundlage des APV angeordnet. Bei 107 Originalpräparaten, die auf dem ausländischen
Markt nicht verfügbar sind, wurde versucht, einen TQV durchzuführen, was in 27
Fällen zu einer Preissenkung geführt hat. Bei den übrigen 80 Arzneimitteln konnte
entweder kein Vergleichspräparat gefunden werden oder der bestehende Preis wurde
als angemessen beurteilt.
Tabelle 1
Preisanpassungen aufgrund der Überprüfung 2012
Fabrikabgabepreis (FAP)
Anzahl Preissenkungen
Durchschnittliche Differenz
1 512
–20,1%
Quelle: Auswertung J. Hunkeler basierend auf SL (Stand 1. April 2013)
Bei der Überprüfung der Aufnahmebedingungen kann ein maximaler Zuschlag
(Toleranzmarge) von 5 % gewährt werden. Für den APV wurde beim Anfang 2012
geltenden Wechselkurs von 1.23 Franken/Euro eine Toleranzmarge von 5 % berücksichtigt. Dies ergab einen Wechselkurs von 1.29 Franken/Euro, der für die Überprüfungs-APV im Jahr 2012 massgebend war. Bei der letzten grossen Überprüfung, der
ausserordentlichen Überprüfung im Jahr 2009, galt ein Wechselkurs von 1.58 Franken/Euro.46 Bei Neuaufnahmen und Überprüfungen seit Oktober 2009 wurden
jeweils aktuelle und dadurch tiefere Wechselkurse angewendet. Der Preis der Generika wurde bei der Überprüfung im Jahr 2012 dagegen basierend auf dem Wechselkurs von 1.23 Franken/Euro (ohne Toleranzmarge) berechnet, was den Abstand zum
Original vergrössert.
Der neue Wechselkurs für Originalpräparate liegt rund 18 % tiefer als der verwendete Wechselkurs bei der ausserordentlichen Überprüfung im Jahr 2009, was in etwa
der durchschnittlichen angeordneten Preissenkung entspricht. Im Ergebnis führte die
Überprüfung somit zu einer (abgefederten) Anpassung an die veränderten Wechselkursrelationen.
Die rund zwei Drittel der Arzneimittel, die im Jahr 2012 noch nicht überprüft wurden, behalten bis zu ihrer Überprüfung im Herbst 2013 oder 2014 weiterhin den
Preis, der auf dem Wechselkurs von 1.58 Franken/Euro basiert.
Hängige Beschwerden
Einzelne Arzneimittelhersteller haben gegen die angeordneten Preissenkungen
rekurriert. Vier Arzneimittelhersteller haben Beschwerden eingereicht, weil sie mit
46
Wechselkurs 1.52 Franken/Euro plus Toleranzmarge von 4%.
7823
der Durchführung der Überprüfung und dem Abstellen alleine auf den APV nicht
einverstanden waren.47 Um die Preissenkungen dennoch durchzusetzen, versuchte
das BAG, die aufschiebende Wirkung der Beschwerden aufzuheben, was das Bundesgericht am 20. Dezember 2012 jedoch als rechtswidrig einstufte.48 Aufgrund
einer Einigung zwischen dem EDI und der Pharmabranche vom 11.4.2013 setzen
sich die Verbände dafür ein, dass ihre Mitglieder die bei Gericht hängigen Beschwerden gegen Medikamentenpreissenkungen wegen Nichtberücksichtigung des
TQV zurückziehen und keine neuen einreichen.
6.3
Zweckmässigkeit des Verfahrens
Die Überprüfung garantiert einzig, dass die Preisdifferenz zu den Vergleichsländern
nicht zunimmt. Sie garantiert jedoch nicht, dass die Krankenversicherung nur wirksame und zweckmässige Arzneimittel mit dem grössten Nutzen vergütet.
Da im Rahmen der dreijährlichen Überprüfung bei Originalpräparaten in der Regel
einzig die Auslandpreise betrachtet werden, bleibt der Nutzen eines Arzneimittels
gänzlich unbeachtet. Bei der Aufnahme ist eine Nutzenbeurteilung zumindest indirekt durch den TQV vorgesehen Die Preise sinken, wenn der durchschnittliche Preis
in den Vergleichsländern tiefer liegt. Die Preise müssten gemäss dem Kriterium
der Wirtschaftlichkeit aber auch dann sinken, wenn das Kosten-Nutzen-Verhältnis
gegenüber vergleichbaren Arzneimitteln abgenommen hat. Das beste KostenNutzenverhältnis wird durch die Überprüfung deshalb nicht garantiert.
Bei gewissen auf der SL aufgeführten Arzneimitteln sind nach Auffassung von
EAK-Mitgliedern wie auch BAG-Mitarbeitenden die Aufnahmebedingungen auch in
Bezug auf die Wirksamkeit und Zweckmässigkeit nicht mehr erfüllt (z.B. Badezusätze, Salben, homöopathische Arzneimittel). Dennoch hat das BAG in den letzten
10–15 Jahren kein Arzneimittel aus der SL gestrichen. Eine Ausnahme bilden Arzneimittel, welchen Swissmedic aufgrund von neuer Evidenz zur Medikamentensicherheit die Marktzulassung entzieht und die in der Folge auch von der SL gestrichen werden. Ansonsten streichen höchstens die Hersteller selber ihre Arzneimittel
von der SL, in der Regel weil sie deren Produktion einstellen. Die Beweislast für
eine Streichung durch das BAG liegt beim Amt, was eine Streichung von der SL
faktisch verunmöglicht.
Dass in der KVV für die Überprüfung lediglich Preisanpassungen vorgesehen sind,
liegt nach Aussage des BAG an den fehlenden Ressourcen für eine weitergehende
Kontrolle.
Die erneute Überprüfung der Kassenzulassung wird in den europäischen Ländern
sehr unterschiedlich gehandhabt. Die Spannbreite reicht von der Überprüfung einzelner Produkte über bestimmte Produktegruppen bis hin zu einer systematischen
Überprüfung aller kassenpflichtigen Medikamente (beispielsweise in Frankreich). In
47
48
In der Regel ergibt die Berücksichtigung des therapeutischen Nutzens im Rahmen des
TQV einen tieferen Vergleichswert als der APV (vgl. Abschnitt 4.3), was grundsätzlich
nicht im Interesse der Hersteller liegen dürfte. Da gegenwärtig jedoch noch zwei Drittel
der Preise von Medikamenten der SL, welche für den TQV beigezogen werden, auf
einem Wechselkurs von 1.58 Franken/Euro beruhen, ergibt sich zur Zeit oftmals ein
TQV-Niveau, das über dem mit aktuellen Kursen berechneten APV-Niveau liegt.
BGE 9C 986/2012, 9C 987/2012, 9C 988/2012
7824
Deutschland werden beispielsweise im Zuge der Zulassung neuer Medikamente mit
deutlichem Zusatznutzen die Preise für bestehende Arzneimittel gesenkt.
7
Auswirkungen auf die SL
In den vorherigen Abschnitten wurde das Verfahren für die Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung schrittweise durchleuchtet. Was bedeutet dies im Ergebnis nun für die SL? Dieser Frage
nähert sich die Evaluation an, indem sie die Veränderungen der SL untersucht.
Dabei lässt sich feststellen, dass sich die Zahl der kassenpflichtigen Arzneimittel in
den vergangenen 15 Jahren verdoppelt und ihr durchschnittlicher Preis vervierfacht
hat. Die Ausgestaltung der Verfahren hat diese Entwicklung sicherlich nicht verhindert, sondern eher begünstigt. Die Ergebnisse der vorherigen Abschnitte geben
zahlreiche Hinweise darauf, während für diese Entwicklung jedoch verschiedene
Faktoren von Relevanz sein dürften.
7.1
Anzahl kassenpflichtiger Medikamente
Abbildung 2 zeigt die Entwicklung der SL bezüglich der Zahl der vergüteten Medikamente und ihres Preises. Der Umfang der SL hat sich seit der Einführung des
KVG im Jahr 1996 fast verdoppelt. Die SL umfasste im Jahr 2012 rund 2800 Medikamente bzw. − da ein Medikament oft in verschiedenen Dosierungen, Darreichungsformen und Packungsgrössen aufgenommen wird − 9281 Preispositionen.
Der Umfang der Liste ist somit seit 1996 klar gewachsen.
Abbildung 2
Entwicklung des Umfangs der Spezialitätenliste
Quelle: Auswertung J. Hunkeler basierend auf SL (Stand Dez. 2012)
7825
Jährlich werden durchschnittlich rund 580 neue Packungen in die SL aufgenommen,
was ungefähr 8 % der gesamten kassenpflichtigen Packungen entspricht. Gleichzeitig werden jedes Jahr rund 5 % der Packungen von der Liste gestrichen − namentlich, weil die Hersteller ihre Produktion einstellen. Damit nimmt der Umfang der SL
jährliche durchschnittlich um etwa 3 % zu.49
7.2
Preisentwicklung
Der durchschnittliche Preis einer Medikamentenpackung auf der SL betrug 2012
rund 130 Franken. Dieser ungewichtete Durchschnittswert hat sich seit 1996 rund
vervierfacht (siehe Abbildung 3). Im selben Zeitraum haben sich die durchschnittlichen Preise für ein Generikum auf der SL verdoppelt und kosteten im Jahr 2012
rund 42 Franken.
Abbildung 3
Preisentwicklung Spezialitätenliste
Legende: Preise entsprechen dem ungewichteten Durchschnittsfabrikabgabepreis (FAP).
Quelle: Auswertung J. Hunkeler basierend auf SL (Stand Dez. 2012)
Diese Preisentwicklung wird teilweise durch die so genannte Umsteigeteuerung
erklärt. Dabei nehmen Hersteller ältere Präparate aus der Liste und ersuchen gleichzeitig um die Zulassung neuer Arzneimittel mit dem gleichen Anwendungszweck,
jedoch mit einem höheren Preis. Ob die neuen Medikamente tatsächlich qualitativ
besser sind, wird von verschiedener Seite kritisch beurteilt, kann aufgrund des
mangelhaften TQV jedoch nicht abschliessend beurteilt werden.
Der Anteil der kassenpflichtigen Medikamente am Umsatz des gesamten Medikamentenmarktes ist von knapp 70 % im Jahr 2000 auf rund 78 % im Jahr 2011 ange49
Siehe Vollzugsevaluation Tabelle 4
7826
stiegen (Tabelle 2). Von den rund 25 Milliarden Franken, die 2011 für Leistungen
der obligatorische Krankenpflegeversicherung bezahlt wurden, betrug der Anteil für
Medikamente rund 5.5 Milliarden (22 % der Gesamtkosten). Dieser Anteil blieb in
den vergangenen Jahren in etwa konstant. Die Kostensteigerung bei den Arzneimitteln entspricht folglich dem Anstieg der Kosten in der gesamten obligatorischen
Krankenpflegeversicherung.
Tabelle 2
Anteil der kassenpflichtigen Arzneimittel am Medikamentenmarkt
Jahr
Bruttoleistungen
OKP in Mio. Fr.
Medikamentenkosten
OKP in Mio. Fr.
Medikamentenkosten SL-Medikamente in %
OKP in %
an den gesamten
an OKP-Total Medikamentenkosten
1998
14 024
2 721
19
2000
15 478
3 241
21
69.5
2005
20 348
4 597
23
77.9
2010
24 292
5 395
22
78.1
2011
24 932
5 459
22
77.7
Legende: Massgebend sind die Publikumspreise (PP). Die Spalte «Medikamentenkosten»
beinhalten die durch Ärzte, Apotheken und ab 2005 auch die ambulant in Spitälern abgegebenen Arzneimittel. Die im stationären Bereich abgegebenen Arzneimittel werden weder vom
BAG noch vom BFS ausgewiesen.50
Quelle: BAG Statistik der obligatorischen Krankenversicherung, «SL-Medikamente in % der
gesamten Medikamentenkosten» basiert auf einer Auswertung von J. Hunkeler, siehe Vollzugsevaluation.
Für die steigenden Kosten gibt es verschiedene Gründe. Wie sich am konstanten
Anteil der Medikamentenkosten an den gesamten vom KVG gedeckten Kosten
zeigt, handelt es sich beim Kostenwachstum eher um einen generellen Trend im
Gesundheitswesen – basierend u. a. auf der Demographie – als um eine spezifische
Problematik des Arzneimittelmarktes. Der Kostenanstieg kann zu einem Teil auch
mit der Entwicklung der Todesursachen (z.B. Krebs) und auch aufgrund neuer
Indikationen für Arzneimittel erklärt werden.51 Der Gesundheitsmarkt ist zumindest
im kassenpflichtigen Bereich sehr stark reguliert, so dass wenig Marktdynamik
herrscht. Dies zeigt sich beispielsweise darin, dass für neue Medikamente zur Abgeltung der Innovation höhere Preise bezahlt werden, jedoch die Preise für bestehende
Arzneimittel mit dem gleichen Einsatzzweck, die als Referenz beim TQV dienen,
gleich bleiben. Im freien Markt dagegen werden die herkömmlichen Produkte beim
Erscheinen einer Innovation in der Regel günstiger, damit sie gegenüber der Innovation zumindest im Preis einen Vorteil besitzen.
Die in der Schweiz hohen Preise werden zudem oftmals damit erklärt, dass der
Parallelimport von patentgeschützten Medikamenten, die im Ausland tendenziell
50
51
Eine Berechnung zu den stationär abgegebenen Arzneimitteln ist in der Vollzugsevaluation im Anhang (Tabelle 10) zu finden und beträgt mit den ambulant abgegebenen
Arzneimitteln nach einer Schätzung im Jahr 2011 rund 900 Mio. Franken.
Im Jahr 2005 gab es z.B. 3 Indikationen mit Orphan Drug Status (seltene Krankheiten).
Im Jahr 2011 gab es deren 144 (Interpharma 2012, S. 29).
7827
billiger sind, untersagt ist.52 In den EU-Mitgliedstaaten wie Deutschland und Österreich, können Versicherer, Apotheken und Spitäler ausserdem preislich günstige
Angebote von Grosshändlern in Anspruch nehmen, während in der Schweiz nur
originalverpackte Arzneimittel in oftmals kleinen Packungen zugelassen sind.
8
Schlussfolgerungen
Wiederholt werden in den Medien die hohen Preise für Arzneimittel in der Schweiz
bemängelt. Die Medikamente machen rund einen Viertel der gesamten Kosten der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung aus. Vergütet werden jene Medikamente, die vom BAG auf die Spezialitätenliste (SL) gesetzt werden. In der vorliegenden Evaluation wurde das Verfahren für die Aufnahme von Medikamenten auf
diese SL (Zulassung) und die Überprüfung der SL vertieft durchleuchtet, indem
sowohl die rechtlichen Grundlagen als auch der Vollzug analysiert und beides in
eine internationale Perspektive gestellt wird.
In diesem Schlusskapitel werden aus der Vielzahl der Ergebnisse die vier Haupterkenntnisse der Evaluation herausgegriffen. Daneben stellte die Evaluation bei
allen Verfahrensschritten weitere Probleme fest, wie etwa die ungenügende Definition des Beurteilungskriteriums der Wirksamkeit bei komplementärmedizinischen
Arzneimitteln oder die nicht spezifizierte Gewichtung der beiden Preisvergleiche
APV und TQV im Rahmen des Entscheids.
8.1
Unpräzise Beurteilungskriterien
und unsystematische Nutzenbewertung
Damit Medikamente von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vergütet
werden, müssen sie nach Artikel 32 KVG die drei Kriterien der Wirksamkeit,
Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit (WZW) erfüllen. Diese Kriterien wurden
von den Behörden jedoch nicht genügend präzisiert. Der Nutzen von Medikamenten
fliesst gegenwärtig nur unsystematisch in die Beurteilung ein. Deshalb garantiert das
System nicht, dass mit einem höheren Preis auch eine entsprechend höhere Wirksamkeit und Zweckmässigkeit von Arzneimitteln verbunden ist.
Unpräzise Beurteilung des Nutzens
Die Vorgaben zur Beurteilung der WZW-Kriterien, welche die Behörden in Form
von Verordnungen und Weisungen (Handbuch SL) erlassen haben, sind nicht präzise. Dies hat einerseits zur Folge, dass eine einheitliche Anwendung nicht garantiert
ist. Andererseits werden die Beurteilungen durch die Arzneimittelhersteller häufig in
Frage gestellt. Es ist für das BAG als Zulassungsbehörde schwierig, Gesuche auf der
Basis dieser unklaren Kriterien abzulehnen, weshalb es diesbezüglich eher zurückhaltend ist.
Eine systematische Nutzenanalyse die entweder gegenüber klar festgelegten Indikatoren (z. B Steigerung der Lebensqualität) oder bei welcher die Wirkung eines
Medikaments mit jener eines bestehenden Arzneimittel verglichen wird, ist nicht
52
Ausnahme vom Cassis-de-Dijon-Prinzip nach Art. 16a Abs. 2 des Bundesgesetzes über
die technischen Handelshemmnisse (THG), SR 946.51.
7828
verlangt. Deshalb werden entsprechende Studien oftmals auch nicht eingereicht.
Zwar stellt das BAG zuweilen aufgrund bestehender Studien indirekte Vergleiche
an, doch sind diese mit Unsicherheiten behaftet und dementsprechend nicht belastbar. Schliesslich können Synergien zwischen dem BAG und Swissmedic als Marktzulassungsbehörden aufgrund von gesetzlichen Restriktionen (Art. 63 HMG) nicht
optimal genutzt werden, namentlich steht der Evaluationsbericht von Swissmedic
nicht zur Verfügung.
Aufgrund von oftmals noch nicht vorliegenden Daten fordern Arzneimittelhersteller,
dass Arzneimittel vermehrt befristet (und in der Folge schneller) aufgenommen
werden sollen. Dies ermöglicht dem Hersteller, in gegebener Frist bessere Daten zu
erheben. Die Problematik von befristeten Aufnahmen liegt aber darin, dass nach der
erteilten Frist oftmals weiterhin klare Wirksamkeitsbelege fehlen, gleichzeitig jedoch einige Patientinnen und Patienten bereits auf das Medikament eingestellt sind
und eine Absetzung für sie problematisch sein könnte. Dies erschwert es dem BAG
im gegebenen Rahmen, ein Arzneimittel wieder von der SL zu streichen.
Unpräzise Beurteilung der Wirtschaftlichkeit
Die Mängel bei der Beurteilung der Wirksamkeit haben auch auf die Beurteilung der
Wirtschaftlichkeit einen Einfluss. Ein Medikament gilt dann als wirtschaftlich, wenn
sein Preis in einem günstigeren Verhältnis zum angestrebten therapeutischen Nutzen
steht. Letzterer wird im gegenwärtigen System über den therapeutischen Quervergleich (TQV) beurteilt, bei dem die Kosten des Medikaments mit jenen anderer
Arzneimittel mit ähnlichem Anwendungszweck verglichen werden. Im Gegensatz zu
anderen Ländern, in welchen klare Produktegruppen definiert wurden, ist in der
Schweiz unklar, mit welchen Arzneimitteln ein bestimmtes Medikament verglichen
werden muss.
Der Auslandpreisvergleich (APV) ist jedoch noch weniger für eine KostenNutzenbewertung geeignet. Der APV basiert einzig auf ausländischen Listenpreisen,
die teilweise höher liegen als die tatsächlich bezahlten Preise. Weil der APV aber
auf klaren Vorgaben beruht, spielt er für die Durchsetzung der Preisvorstellungen
des BAG eine viel wichtigere Rolle als der TQV.
International besteht der Trend zu Versorgungsstudien sowie zu umfassenden
«Health Technology Assessments», die gesundheitsökonomische, rechtliche, ethische und soziale Aspekte systematisch einbeziehen. Der Nutzen von Arzneimitteln
wird dabei auch mit jenem anderer medizinischer Leistungen (Operationen, Hilfsmittel usw.) verglichen. Solche umfassende Prüfungen würden deutlich mehr Ressourcen, aber auch Wissen voraussetzen, das gegenwärtig fehlt.
8.2
Unklare Verfahrensstruktur und Kompetenzen
Das Verfahren zur Zulassung von kassenpflichtigen Medikamenten läuft in der
Schweiz nicht nach klar vorgegebenen Schritten ab. Auch institutionell fehlt eine
Aufteilung der verschiedenen Aufgaben auf die beiden beteiligten Akteure, das
BAG und die EAK. Zudem verfügen beide für ihre Aufgabe im Bereich der kassenpflichtigen Medikamente über sehr bescheidene Ressourcen. Die Ergebnisse des
Verfahrens werden des Weiteren weder gegenüber den Gesuchstellern noch gegenüber der Öffentlichkeit transparent gemacht.
7829
International werden Verfahren der Zulassung in drei Schritte unterteilt: Assessment
(medizinisch-therapeutische Beurteilung), Appraisal (gesundheitspolitisch-gesellschaftliche Beurteilung) und Decision (Entscheid). Für jeden Schritt ist jeweils ein
anderer Akteur zuständig. In der Schweiz dagegen fehlen eine klare Strukturierung
des Verfahrens und eine Aufteilung der Schritte auf verschiedene Akteure.
Überschneidung bei der Beurteilung zwischen BAG und EAK
Für die Beurteilung sind sowohl das BAG als auch die EAK zuständig, wobei eine
klare Unterscheidung zwischen Assessment und Appraisal fehlt. Das BAG sieht sich
für beides zuständig, während unter den Mitgliedern der EAK kein Konsens
herrscht, aus welcher Sicht sie die Gesuche zu beurteilen haben. Die unklaren Kompetenzen führen offensichtlich zu Doppelspurigkeiten und erhöhen zudem das Risiko, dass gewisse Aspekte nicht systematisch beurteilt werden.
Die EAK sollte die Medikamente gemäss den rechtlichen Vorgaben im Sinne einer
Empfehlung nach ihrem erwarteten Nutzen einstufen. Dies wird jedoch in der Praxis
nicht gemacht, sondern es ist das BAG selber, das die Zuordnung aufgrund der
Diskussion in der EAK vornimmt. Dieses ist gleichzeitig auch für den Entscheid
zuständig, womit Beurteilungs- und Entscheidinstanz entgegen internationalen
Gepflogenheiten zusammenfallen. Die Entscheidung vom BAG basiert demnach
teilweise auf der eigenen Beurteilung.
Mangelnde Transparenz
Während in anderen Ländern wie z.B. Deutschland nach jedem Verfahrensschritt die
Berichte mit Vorbehalt von Geschäftsgeheimnissen veröffentlicht werden, muss die
Transparenz im Schweizer System als ungenügend taxiert werden. Weder die Beurteilung durch das BAG noch die Erwägungen der EAK werden systematisch und
nachvollziehbar dokumentiert. Weil die EAK die Medikamente zudem keiner Kategorie zuordnet, ist ihre Empfehlung an das BAG wenig explizit.
Den Gesuchstellern wird der Entscheid in Form einer Verfügung oder, sofern die
Kriterien nicht erfüllt werden, in Form einer Mitteilung mit Angabe von Gründen
kommuniziert. Darin ist nicht ausgewiesen, ob es sich um Beurteilungen des BAG
oder der EAK handelt. Für die Öffentlichkeit ist schliesslich einzig ersichtlich, zu
welchem Preis ein neues Medikament in die SL aufgenommen wurde. Ebenfalls
bleibt unklar, welche Institution ein Gesuch wie beurteilt hat.
Knappe Ressourcen
Allerdings zeigt sich gerade im internationalen Vergleich, dass das System der
Zulassung von Medikamenten in der Schweiz mit sehr bescheidenen Ressourcen
ausgestattet ist. Während in anderen Ländern mehrere Evaluationseinrichtungen mit
jeweils ansehnlichen eigenen Mitteln vorhanden sind, ist die zuständige Sektion im
BAG relativ klein und die EAK ist eine Milizkommission, bei der nur die Sitzungen
vergütet werden. Gerade die EAK stösst mit ihrer Aufgabe an Grenzen.
8.3
Eingeschränkte und wenig wirksame Überprüfung
Die kassenpflichtigen Medikamente werden neu drei Jahre dahin gehend überprüft,
ob sie die Vergütungskriterien weiterhin erfüllen. Eine erste Überprüfung fand 2012
statt. Sie zeigt, dass nur der Preis geprüft wird, und zwar in der Regel lediglich
7830
anhand eines Auslandpreisvergleichs, was beschränkte Preissenkungen zur Folge
hatte. Das Überprüfungsverfahren trägt nicht dazu bei, dass die Preise in der SL das
Kosten-Nutzen-Verhältnis korrekt widerspiegeln, worauf international mehr Wert
gelegt wird.
Einschränkung auf den Auslandpreisvergleich
Bei der Überprüfung im Jahr 2012 wurde nur der Preis einbezogen, und zwar ausschliesslich der APV, obwohl dieses Instrument, wie oben erwähnt, von überhöhten
Ansätzen ausgeht. Nur falls der APV nicht durchführbar ist, wird der Versuch eines
TQV unternommen. Dies bedeutet, dass die Wirtschaftlichkeit nur in einem sehr
eingeschränkten Sinne überprüft wird. Wie wirksam und zweckmässig die Medikamente sind, wird überhaupt nicht erneut beurteilt, obwohl hierzu möglicherweise
neue Erkenntnisse vorliegen würden. Eine umfassendere Überprüfung erfordert
allerdings erheblich grössere Ressourcen.
Anhand der Überprüfung ordnete das BAG Preissenkungen von rund 20 % an, was
in etwa der Anpassung des für Auslandpreisvergleiche geltenden Wechselkurses
entspricht. Das Überprüfungsverfahren anhand des APV garantiert somit lediglich,
dass Medikamente in der Schweiz im Vergleich zum Ausland nicht noch teurer
werden, als sie bereits sind, die Preisschere sich also nicht weiter öffnet.
Preisspirale gegen oben kann nicht verhindert werden
Die Preise von kassenpflichtigen Arzneimitteln werden bei der ausschliesslichen
Betrachtung des APV nicht im Gesamtkontext der SL beurteilt. Bei Innovationen
sinken die Preise der bestehenden Arzneimittel nicht. Da das bestehende Überprüfungsverfahren nur auf den APV abstützt, vermag es dieses Defizit nicht zu korrigieren. Die steigende Preisspirale kann damit nicht gebannt werden.
Überprüfung im internationalen Vergleich
In anderen Ländern (z.B. in Frankreich) werden die Preise kassenpflichtiger Arzneimittel regelmässig überprüft. Dies kann dann geschehen, sobald kostengünstigere
Behandlungsalternativen (allenfalls auch nicht medikamentöser Art) oder neue
Medikamente mit einem Zusatznutzen zugelassen werden. Damit gehen andere
Länder über eine reine Preisbetrachtung hinaus, indem auch die Frage des Nutzens
im Sinne der Wirksamkeit und Zweckmässigkeit berücksichtigt wird. Im internationalen Vergleich zeigt sich somit, dass die in der Schweiz alle drei Jahre vorgesehene
Überprüfung des Preises der Medikamente anhand eines Auslandpreisvergleichs ein
sehr beschränktes Instrument darstellt, um eine wirksame, zweckmässige und wirtschaftliche Arzneimittelversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten.
8.4
Preisreglung bei Generika schafft Widerspruch
zur Wirtschaftlichkeit
Namentlich das Ziel der Wirtschaftlichkeit wird bei den kassenpflichtigen Medikamenten aufgrund der gegenwärtigen Preisregelung für Generika nicht erreicht, weil
das Konzept nur bedingt verhindert, dass Originalpräparate nach Patentablauf billiger werden.
In den Ausführungsbestimmungen zum Krankenversicherungsgesetz (Art. 65c
KVV) ist festgeschrieben, dass der Preis eines Generikums dem Preis des zugehöri7831
gen Originalpräparats minus einer fixen Marge entspricht. Diese Regel des fixen
Preisabstands führt dazu, dass zwei austauschbare Produkte mit dem gleichen therapeutischen Nutzen − Original und Generikum – von der Krankenversicherung zu
unterschiedlichen Preisen vergütet werden. Die Krankenversicherung bezahlt somit
nicht nur das kostengünstigste, sondern auch das teurere Präparat, was im Widerspruch zum Ziel der Wirtschaftlichkeit steht.
Die Regel des fixen Preisabstands verhindert zudem, dass sich der Preis des Originals dem günstigeren Generikum annähert. Während der Preis des Originals bei
Einführung eines Generikums in anderen Ländern gesenkt wird, bleibt er in der
Schweiz weiterhin gleich hoch, ausser der Originalhersteller senkt ihn freiwillig.
Indem die Behörden den Selbstbehalt für Originale, zu welchen es ein Generikum
gibt, erhöht haben, werden deren Preise teilweise gesenkt, um dem höheren Selbstbehalt auszuweichen. Die Wirkung dieses differenzierten Selbstbehaltes kann noch
nicht eindeutig eruiert werden. Der grundsätzliche Widerspruch zum gesetzlichen
Ziel der Wirtschaftlichkeit wird dadurch nicht korrigiert.
7832
Abkürzungsverzeichnis
APV
BAG
EAK
EDI
FAP
GDK
GPK
HMG
HTA
IQWIG
KLV
KVG
KVV
OKP
PP
PVK
SL
SR
THG
TQV
WZW
Auslandpreisvergleich
Bundesamt für Gesundheit
Eidgenössische Arzneimittelkommission
Eidgenössisches Departement des Innern
Fabrikabgabepreis
Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen
und -direktoren
Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte
Bundesgesetz vom 15. Dezember 2000 über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG; SR 812.21)
Health-Technology-Assessment
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
Verordnung des EDI vom 29. September 1995 über Leistungen in der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung (KrankenpflegeLeistungsverordnung, KLV; SR 832.112.31)
Bundesgesetz vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung
(Krankenversicherungsgesetz, KVG; SR 832.10)
Verordnung vom 27. Juni 1995 über die Krankenversicherung
(KVV; SR 832.102)
Obligatorische Krankenpflegeversicherung
Publikumspreis
Parlamentarische Verwaltungskontrolle
Spezialitätenliste
Systematische Rechtssammlung
Bundesgesetzes vom 6. Oktober 1995 über die technischen Handelshemmnisse (THG; SR 946.51)
Therapeutischer Quervergleich
Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit
7833
Literaturverzeichnis
Zitierte Literatur
BAG, 2012, Handbuch betreffend die Spezialitätenliste (SL),1. Januar 2012.
www.sl.bag.admin.ch.
European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations, 2010, Patients
W.A.I.T. Indicator. Online: www.efpia.eu/patients-wait-indicator-report-2010.
Interpharma, 2012, Pharma-Markt Schweiz. Basel.
Interpharma 2013, Internationale Auswirkungen der schweizerischen Arzneimittelregulierung, Basel.
PVK, 2008, Bestimmung und Überprüfung ärztlicher Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung, 21.08.2008.
Weitere Literatur
Weitere Literatur, die verwendeten Dokumente und die Online-Datenquellen sind in
den Materialien aufgeführt. Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung, Materialien zum
Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 13. Juni 2013.
7834
Zusammenhang Bericht und Materialien
Wie aus unten stehender Tabelle ersichtlich ist, fasst ein Berichtskapitel Erkenntnisse aus allen drei Evaluationsteilen zusammen.
Kapitel im Bericht
Kapitel in den Materialien
(RG=Rechtsgutachten,
VE=Vollzugsevaluation,
IV=Internationaler Vergleich)
1
1.1
1.2
Einleitung
Anlass der Evaluation
Vorgehen und Methodik
–
–
RG
VE
IV
–
–
1.III
1.3
1.3
2
Die Zulassung und Überprüfung von Medikamenten
RG
VE
2.III
1.1
3
–
–
3.1
3.2
Verfahrensstruktur, Kompetenzaufteilung und
Ressourcen
Verfahrensstruktur
Kompetenzaufteilung
IV
RG
VE
3.3
Ressourcen
3.4
Verfahrensdauer
VE
IV
VE
1.4; 4
6.I
2.2.1; 2.3.1.3;
2.3.2
2.1.3; 2.3.1.
4
2.3.3
4
WZW-Kriterien
4.1
Wirksamkeit
4.2
Zweckmässigkeit
4.3
Wirtschaftlichkeit
4.4
WZW-Kriterien bei Generika
4.5
WZW-Kriterien bei kompl. Arzneimitteln
RG
IV
RG
VE
IV
RG
VE
RG
VE
IV
RG
VE
IV
RG
VE
IV
3.II; 4II; 5.II
4
4.II.1
2.1
3.1
4.II.2
2.1
4.II.3
2.1
2.2
4.II.1; 4.II.3
2.1.3.2
4
4.II.1
2.1.3.2
4
5
5.1
Entscheid
Rechtliche Grundlagen
5.2
5.3
5.4
Entscheidpraxis
Nichterfüllung der Bedingungen
Transparenz
–
VE
IV
VE
VE
RG
VE
IV
–
2.3.2.1
4
2.3.2.2; 2.3.2.3
2.3.2.4
5.II.B
2.3.2.5
4
7835
Kapitel im Bericht
Kapitel in den Materialien
(RG=Rechtsgutachten,
VE=Vollzugsevaluation,
IV=Internationaler Vergleich)
6
6.1
6.2
Verfahren der Überprüfung
Rechtliche Grundlagen
Erstmalige Überprüfung 2012
6.3
Zweckmässigkeit des Verfahrens
7
7.1
7.2
Auswirkungen auf die SL
Umfang der SL
Preisentwicklung
7836
–
RG
VE
IV
VE
–
2.II.E.
2.1.2.3; 2.4.3
3.5
2.1.3.3
–
VE
VE
IV
–
2.4.1
2.4.2
3.6
Verzeichnis der Interviewpartnerinnen und -partner
Ayoubi, Semya
Fachreferentin Gesundheit, Eidgenössisches Departement des Innern (EDI)
Binder, Thomas
Generalsekretär, Vereinigung Pharmafirmen in der
Schweiz (VIPS)
Brun, Anita
Pharmazeutin Sektion Medikamente, Bundesamt für
Gesundheit (BAG)
Christen, Thomas
Persönlicher Mitarbeiter des Departementsvorstehers,
Eidgenössisches Departement des Innern (EDI)
Cueni, Thomas B.
Generalsekretär, Interpharma
Dörr, Petra
Direktionsmitglied, Swissmedic
Eggenberger, Marianne
Projektleiterin Medikamente, Santésuisse
Frey, Andrea
Stv. Leiterin Sektion Medikamente, Bundesamt für
Gesundheit (BAG); seit Okt. 2012 Leiterin der Sektion
Gasche, Urs P.
Vertretung Versicherte, Eidgenössische Arzneimittelkommission (EAK)
Giger, Max
Präsident der Eidgenössischen Arzneimittelkommission
(EAK) und Vertretung Ärzteschaft
Gnädinger, Cornelia
Juristin Sektion Medikamente, Bundesamt für Gesundheit (BAG)
Hölzle, Walter
Präsident, Vereinigung Pharmafirmen in der Schweiz
(VIPS)
Huber, Peter
Geschäftsführer, Intergenerika
Meier, Christoph Q.
Direktor, Santésuisse
Mennet-von-Eiff, Mónica Vertretung Komplementärmedizin, Eidgenössische
Arzneimittelkommission (EAK)
Montandon, Jean-Blaise
Vertretung in der EAK, Schweizerische Konferenz der
kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren
(GDK)
Kessler, Margrit
Präsidentin, SPO Patientenschutz
Klaus, Guido
Vertretung Versicherungen, Eidgenössische Arzneimittelkommission (EAK)
Krayenbühl, Jean Christian Leiter Sektion Medikamente, Bundesamt für Gesundheit (BAG); bis Okt. 2012
Martinelli, Enea
Vertretung Spitäler, Eidgenössische Arzneimittelkommission (EAK)
Ruggli, Martine
Vertretung Apothekerschaft, Eidgenössische Arzneimittelkommission (EAK)
Sandmeier, Heiner
Stv. Generalsekretär, Interpharma
Schneider, Sandra
Leiterin Abteilung Leistungen, Bundesamt für Gesundheit (BAG)
Zwahlen, Roland
Leiter Zulassung, Swissmedic
7837
Impressum
Durchführung der Untersuchung
Dr. Felix Strebel, PVK (Projektleitung)
Dr. Simone Ledermann, PVK (wissenschaftliche Mitarbeit)
Christoph Bättig, PVK (wissenschaftliche Mitarbeit)
Quentin Scherrer, PVK (wissenschaftliche Mitarbeit)
Dr. Josef Hunkeler (externe Beratung)
Externer Expertenbericht «Rechtsgutachten»
Prof. Dr. Thomas Gächter, Lehrstuhl für Staats-, Verwaltungs- und Sozialversicherungsrecht der Universität Zürich (Projektleitung)
Arlette Meienberger (wissenschaftliche Mitarbeit)
Externer Expertenbericht «Internationaler Vergleich»
Prof. Dr. Tilman Slembeck, School of Economics & Political Science der
Universität St. Gallen (Projektleitung)
Dank
Die PVK bedankt sich bei allen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern für
ihre bereitwillige Teilnahme an den Gesprächen. Ein Dank geht ebenfalls an die
Mitarbeitenden des BAG für die gute Zusammenarbeit und die Bereitstellung aller
gewünschten Informationen. Abschliessend dankt die PVK den externen Experten
für ihre wertvolle Unterstützung.
Kontakt
Parlamentarische Verwaltungskontrolle
Parlamentsdienste
CH-3003 Bern
Tel. +41 58 322 97 99 Fax +41 58 322 96 63
E-Mail: [email protected]
www.parlament.ch > Organe und Mitglieder > Kommissionen > Parlamentarische
Verwaltungskontrolle
Originalsprache des Berichts: Deutsch
7838
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