Personalisierte Medizin - Universitätsspital Basel

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Krebs persönlich.
Eine Beilage der Basler Zeitung.
| Samstag, 28. Januar 2017
Helfende Hände
in der Krise
Gute Dienste.Das Tumorzentrum des
Universitätsspitals Basel bietet Patientinnen und Patienten eine fächerübergreifende Diagnostik und Behandlung
bei Krebserkrankungen an; begleitend
in der psychoonkologischen Sprechstunde, mit mobiler Schmerz­therapie,
durch spezialisierte Pflege oder Palliative Care. Seiten 2 bis 7
Immunsystem
aufwecken
Gebündelte Kompetenz.Mehr und
mehr versteht man es, das Immunsystem gegen Krebszellen zu wecken. Mit
zum Teil grossartigen Erfolgen. Am
Tumorzentrum des Universitätsspitals
Basel ist man vorne dabei. Seite 5
Krebs-Infotag
am 4. Februar
Der Präsident des FC Basel 1893, Dr.
Bernhard Heusler persönlich, wird
kommenden Samstag, den 4. Februar,
um ­10 Uhr als Schirmherr den Krebs–
Infotag des Tumorzentrums des Universitätsspitals Basel eröffnen. Im Zentrum
für Lehre und Forschung an der Hebelstrasse 20 nahe dem Bernoullianum
beginnt darauf eine Reihe von kurzen
leicht verständlichen Vorträgen zu dem
in dieser Beilage behandelten Thema
der modernen «personalisierten Medizin» (Programm Seite 8). Neue Strategien der Krebsbehandlung und die
Angebote des Tumorzentrums werden
vorgestellt und weit gefächerte Leistungen verschiedener Dienste präsentiert.
An Infoständen kann man direkte
Gespräche mit Fachpersonen führen.
Alle sind herzlich willkommen. Seite 8
Das Tumorzentrum des Universitätsspitals Basel informiert
Personalisierte Medizin – was heisst das eigentlich?
Von Christoph Rochlitz
und Astrid Beiglböck
«Es ist wichtiger zu
wissen, welche
Person eine Krankheit
hat, als zu wissen,
welche Krankheit
eine Person hat.»
Hippokrates von Kos, 460–370 v. Chr.
Seit bald 2500 Jahren ist entsprechend
dieser Erkenntnis des berühmtesten
Arztes der Antike die Wichtigkeit der
individuellen Persönlichkeit für Diagnose, Verlauf und Therapie von Krankheiten in der Medizin bekannt. Und
noch vor Kurzem liessen die Begriffe
«personalisierte» oder «individualisierte Medizin» den Hörer oder Leser
an medizinische und psychologische
Verfahren denken, die die menschliche
Persönlichkeit oder das Individuum in
seiner Einzigartigkeit zum Ziel der Diagnostik und Behandlung von Krankheiten machen. Seelsorger, Psychologen,
Psychiater und Psychoonkologen, aber
kaum Chirurgen, Radiologen, Internisten oder Onkologen schienen zuständig für das ganz Persönliche. Auch in
weiten Teilen der Bevölkerung und in
der Alternativ- oder Komplementärmedizin herrscht Einigkeit, dass Persönlichkeitsfaktoren für das Entstehen
und den Verlauf von Krebskrankheiten
verantwortlich oder zumindest massgeblich daran beteiligt sind.
Im Laufe des letzten Jahrzehnts hat
dann die Biologie, konkret die Molekularbiologie, diesen Begriff fast vollständig für sich vereinnahmt, und auf
Tagungen zum Thema «personalisierte» oder wahlweise auch «individualisierte», «stratifizierte» oder «zielgerichtete Medizin» geht es im Wesentlichen darum, genetische, molekulare
und zelluläre Besonderheiten einer
Patientin oder eines Patienten zu erfassen und daraus Schlüsse auf die jeweils
am besten geeignete Therapie zu ziehen. Wichtigster Begriff in diesem
Zusammenhang ist der des «Biomarkers», gelegentlich auch als «prädiktiver Marker für den Therapieerfolg»
bezeichnet. In der Krebsbehandlung
sind Biomarker mit Labormethoden
nachweisbare Veränderungen an Krebszellen, die voraussagen lassen, ob eine
Patientin oder ein Patient auf eine
bestimmte Therapie wahrscheinlich
ansprechen wird oder eher nicht. Ältestes Beispiel sind die Hormonrezeptoren bei Brustkrebs, deren Vorhandensein eine Voraussetzung dafür ist, dass
eine Patientin durch eine Hormontherapie einen Nutzen haben kann.
Moderne Biomarker sind zum Beispiel
das PD-L1 bei der Immuntherapie verschiedener Tumorarten, HER-2 für die
Therapie mit Trastuzumab bei Brustkrebs, oder eine EGFR-Mutation bei
Lungenkrebs als Anzeichen für einen
wahrscheinlichen Benefit von
EGFR-Hemmern. Der Einsatz solcher
Biomarker und der zugehörigen neuen
Medikamente ist dabei, die Onkologie
grundlegend zu verändern, und schon
heute sind Immuntherapien und molekulare, zielgerichtete Therapien mit
grossem Nutzen für betroffene Patientinnen und Patienten verbunden.
Aber wer hat nun recht in diesem
Streit um Worte, wer hat ein Anrecht auf
den Begriff der «Personalisierung»? Ist
es die Biologie oder die Psychologie, die
Welt des Körperlichen oder die des See-
lischen, ist es der Naturwissenschaftler
oder der Geisteswissenschaftler?
Die vorliegende Zeitungsbeilage und
der am 4. Februar 2017 stattfindende
Krebs-Infotag des Tumorzentrums des
Universitässpitals versuchen, an zahlreichen Beispielen aus «beiden Welten»
deutlich zu machen, dass eine moderne,
hoch kompetente und menschliche
Krebsbehandlung immer beide Seiten
dieses Spektrums berücksichtigen, verstehen und behandeln muss, um unseren Patientinnen und Patienten die
jeweils bestmögliche Betreuung anbieten zu können.
In Beiträgen zu den Themen genetische Individualität, Biomarker-Untersuchungen in der Pathologie, moderne
Immuntherapien bei Krebs und zielgerichtete molekulare Tumortherapien
beleuchten wir einige der Themen, die
in den letzten wenigen Jahren einen
enormen Fortschritt in die Krebsbehandlung gebracht haben – bis hin zu
Heilungschancen in vorher aussichtsloser Situation. Die Beiträge zu Fragen
der Krankenpflege bei Krebs, der Psychoonkologie, Palliativmedizin und
Schmerzbehandlung unterstreichen
dagegen, wie intensiv wir am Tumor-
zentrum auch den Menschen in seiner
Ganzheit ins Zentrum unserer Bemühungen stellen wollen.
Wir wünschen unseren Leserinnen
und Lesern eine spannende, informative
und Mut machende Lektüre und hoffen,
möglichst viele von Ihnen am Samstag,
den 4. Februar 2017, zum Krebs-Infotag
bei uns begrüssen zu dürfen.
Prof. Dr. med.
Christoph Rochlitz
Vorsitzender Tumorzentrum Universität
Basel
Dr. med. vet.
Astrid Beiglböck
Geschäftsführerin
Tumorzentrum
Universität Basel
Krebs persönlich.
Kompass
in der Not
Die psychoonkologische
Beratung steht allen offen
| Samstag, 28. Januar 2017 | Seite 2
Jeder Mensch ist einzigartig
Die genetische Individualität ist die Grundlage personalisierter Medizin
Von Brigitta Wössmer
Von Sven Cichon
Es kann – alle wissen es – ein riesiger
Schock sein, wenn man erfährt, dass
man Krebs hat. Wer das erlebt, rutscht
in eine verständliche Krise, mit der es
nun umzugehen gilt. Das Tumorzen­
trum des Universitätspitals Basel ist in
der glücklichen Lage, Krebspatientinnen und -patienten in dieser Situation
mit psychoonkologischer Unterstützung neben der Krebsbehandlung beizustehen, wenn es um die Bewältigung
der existenziellen Krise und drängender Fragen zur Zukunft geht. Sie werden oft als schwere Belastung erlebt.
Unser Dienst steht allen offen, die in
dieser schwierigen Situation oder später nach neuer Orientierung und Halt
suchen. Wer ihn in Anspruch nimmt,
ist nicht etwa psychisch krank, sondern
ein Mensch, der aus einer ungewissen
Zukunft das Beste machen will und
dafür vorhandene Ressourcen nutzt.
Jeder Mensch ist einzigartig. Die allermeisten werden da wohl zustimmen
und vor allem an das Aussehen, an die
Persönlichkeit sowie Begabungen denken. Viele individuelle Unterschiede liegen darin begründet, dass wir uns alle
geringfügig in unserer genetischen Ausstattung (unserer Erbinformation, der
DNA) unterscheiden. In der Tat wird
man wohl keine zwei Menschen auf der
Erde finden, deren Erbinformation
absolut identisch ist. Die Ausnahme bilden lediglich eineiige Zwillinge.
Diese «genetische Individualität»
spielt eine zunehmend wichtige Rolle in
der Medizin, denn sie kann Auswirkungen auf die Behandlung von Krankheiten haben. Schon lange ist bekannt,
dass zwei Patienten mit identischer Diagnose ganz unterschiedlich auf das gleiche Medikament ansprechen können.
Während die Behandlung dem einen
guttut, erweist sie sich beim anderen als
wirkungslos. Daneben gibt es zudem oft
noch eine Gruppe von Patienten, bei
denen das Medikament zu leichten bis
schweren Nebenwirkungen führt. Diese
Situation ist sowohl für Patientinnen
und Patienten wie auch die Ärzte eine
unbefriedigende Situation. Zudem wird
das Gesundheitssystem mit Ausgaben
für Medikamente belastet, die keinen
Behandlungserfolg zeigen.
Voraussagen, was wirkt
Was man sich wünscht, ist eine für
den einzelnen Patienten wirksame
Behandlung. Ist ein Medikament beispielsweise bei 60 Prozent aller Behandelten wirksam, möchte man gern
schon im Voraus wissen, ob es konkret
auch bei Patient XY wirkt. Dies verspricht die personalisierte Medizin, sie
stützt sich auf individuelle genetische
«Wer uns in Anspruch
nimmt, will aus einer
ungewissen Zukunft
das Beste machen.»
Denn vieles stellt sich plötzlich in
anderem Licht dar. Die Zukunft wird
ungewisser und die Frage danach, was
dem Leben Sinn und Wert gibt, stellt
sich akuter denn je. Die Beziehungen
mit den Nächsten werden noch wichtiger; jetzt sollte man reden können.
Doch der Schlag macht oft erst mal
sprachlos. Es stellt sich auf einmal auch
die Frage, wie soll und kann ich über
meine Diagnose, meine Krankheit,
meine Befürchtungen und Hoffnungen
reden? Wer hilft mir zu verstehen, wie
ernst das Problem und wie gross meine
Chancen und die Ungewissheiten sind?
Wie gebe ich das weiter? Soll ich besser
die Nächsten verschonen oder offen mit
ihnen alles teilen? Belaste ich sie damit?
Wie sage ich es gar meinen Kindern?
Und wie geh ich damit um, dass nun alle
mich schonen? Es gilt, vieles vorzusorgen. Wer übernimmt, wenn ich nicht
mehr kann?
Familie und Freunde sind nun
wichtige Stützen. Wir von der Psychoonkologie bieten hier stationär und
ambulant zusätzlich unser Wissen und
unsere Erfahrung an. In einem
geschützten Rahmen, auf Wunsch
auch im Beisein von Partnern und
Familie, wollen wir der Patientin oder
dem Patienten helfen, die richtige
Sprache zu finden, die Sicherheit zu
stärken und die Orientierung zu verbessern. Um wieder zu einer Balance
der Gefühle zurückzufinden und sogar
Neues zu entdecken. Wichtig ist uns
auch, den Weg zurück an die Arbeit zu
begleiten, wo das erwünscht ist, und so
ein wichtiges Stück normalen Lebens
zurückzugewinnen.
Am turbulenten Anfang nach der
Diagnose steht der Körper im Vordergrund, der Kampf gegen den Krebs. Die
Behandlung muss rasch beginnen und
kann belastend sein. Ängste und
depressive Verstimmungen können
auftreten. Da können wir mit unserer
Erfahrung helfen: Die Mitglieder unseres Teams wissen über die medizinische Behandlung Bescheid, sind an
den Tumorkonferenzen dabei und in
das Behandlungsteam integriert. Ein
grosser Vorteil.
Auch geheilte Menschen kommen
mit guten Gründen zu uns. Etwa weil
sie vom Schatten des Zweifels eingeholt werden. Ihnen bieten wir ambulante Begleitung an. Erfreulicherweise
empfehlen uns heute auch auf Krebsbehandlung spezialisierte niedergelassene Ärztinnen und Ärzte. Wir werten
es als Beleg dafür, dass die Qualität
unserer Dienste stimmt.
Dr. phil.
Brigitta Wössmer
Psychologische
Leitung Psychosomatik
Individuelle Unterschiede.Aus genetischen Daten lassen sich Rückschlüsse
auf Wahl von Medikamenten und Behandlungen ziehen. Foto Fotolia
und andere biologische Daten einer
Patientin oder eines Patienten und
bezieht diese in die Auswahl der
Behandlungsmassnahmen ein. Die personalisierte Medizin wägt ab zwischen
den Besonderheiten jedes Einzelnen
und der vom Einzelnen unabhängigen,
systematischen Zuordnung zu Krankheitsbildern und den zugehörigen
Behandlungsstandards.
Wie sieht das ganz konkret etwa für
die Auswahl einer medikamentösen
Behandlung aus? Ein Patient kommt
zum Arzt. Der erkennt die Krankheit des Patienten. Für sie gibt es
eine bestimmte Therapie-Empfehlung.
Bevor der Arzt aber nun die Entscheidung für die Therapie trifft, nimmt er
eine Blutprobe und führt einen genetischen oder molekularbiologischen Vortest durch. Dieser soll zeigen, ob das bei
dieser Krankheit standardmässig verabreichte Medikament X helfen wird.
Auch über die richtige Dosierung des
Medikaments kann der Test eine Voraussage machen. Stellen wir uns vor,
der Test ergibt, dass der Patient auf
Medikament X nicht ansprechen wird.
Dann führt der Arzt einen Test für ein
alternatives Medikament Y durch. Hier
ergeben die Labordaten, dass der Patient eine Unverträglichkeit gegen das
Medikament Y hat. Somit kommt auch
dieses Medikament nicht infrage.
Schliesslich testet der Arzt noch auf
eine weitere Alternative, Medikament
Z. Hier zeigt sich, dass der Patient auf
Medikament Z ansprechen wird. Er
bekommt nun also Medikament Z in
der richtigen Dosierung verabreicht,
und schon bald geht es ihm besser.
Sie bemerken den Unterschied zur
herkömmlichen Vorgehensweise: An­­
statt zunächst Medikament X und Y verschrieben zu bekommen und festzustellen, dass diese Medikamente nicht
wirksam oder unverträglich sind, erhält
der Patient das bei ihm wirksame Medikament. Diese Vorgehensweise erspart
dem Patienten unangenehme Erfahrungen und führt sehr viel schneller zum
Behandlungserfolg.
beeinflusst Entscheidungen bezüglich
des therapeutischen Vorgehens. Eine
sehr enge Zusammenarbeit besteht zwischen der Medizinischen Genetik und
der Klinik für Hämatologie am Universitätsspital Basel. Bei Patientinnen und
Patientenen mit krankhaften Veränderungen der Blutzellen wird in der Medizinischen Genetik individuell nach
genetischen Veränderungen in den
weis­sen Blutzellen gesucht (siehe Beitrag auf Seite 3).
Man kann davon ausgehen, dass in
der Zukunft bei der personalisierten
Medizin noch weitaus umfangreichere
genetische und andere biologische
Daten eines Patienten erhoben und daraus persönliche Gesundheitsprofile
erstellt werden. Diese Ergebnisse könnten dann individuell auch zur Prävention bzw. Sensibilisierung genutzt werden und das Setzen von Prioritäten wie
Sport und Ernährung unterstützen.
Generell
sollten
Umweltfaktoren
(z.B. Ernährung, Bewegung, Grösse/
Gewicht,
Medikamenteneinnahme,
Vorerkrankungen, etc.), die bei fast
allen Erkrankungen individuell einen
Einfluss haben, in Gesundheitsprofile
mit einbezogen werden.
Enorme Chancen
Gleichzeitig steigen die Anforderungen an die Behandelnden. Hatte die
standardisierte Medizin klare, wenn
auch häufig unflexible Leitlinien, mündet die umfassende personalisierte
Medizin in eine komplexe medizinische
Situation, in der es viele verschiedene
Faktoren gegeneinander abzuwägen
gilt. Die Chancen sind jedoch enorm.
Personalisierte Medizin wird zum Vorteil der Patientinnen und Patienten sein
und die Effizienz des Gesundheitswesens steigern.
Am Tumorzentrum etabliert
Am Tumorzentrum des Universitätsspitals Basel spielt personalisierte
Medizin bereits eine wichtige Rolle und
Prof. Dr. rer. nat.
Sven Cichon
Leiter Medizinische
Genetik
Eierstockkrebs hat viele Gesichter
Forschung deckt die individuellen Unterschiede des Ovarialkarzinoms auf
Von Viola Heinzelmann-Schwarz
Der Eierstock- oder Eileiterkrebs, in der
Medizin das Ovarialkarzinom, wird in
vielen Fällen leider erst spät entdeckt
und kann sich sehr aggressiv verhalten.
Wird er dann aufgespürt, stellt die
Pathologie einen ersten Befund.
Gleichzeitig wird festgestellt, wie weit
sich der Krebs schon ausgebreitet hat
und in welchem Stadium er sich befindet. Beides beeinflusst die Wahl der
Therapie. Das ist das schon lange übliche Vorgehen.
Bei jeder Frau anders
Das tönt nun so, als seien alle Eierstockkrebse gleich und alle Patientinnen in einer Gruppe identisch. Tatsächlich sehen unter dem Mikroskop alle
Ovarialkrebszellen gleich aus. Aber je
genauer wir hin- und hineinschauen,
und das tun wir forschend auch hier an
der Frauenklinik des Universitätsspitals, desto deutlicher zeigen sich Unterschiede, die mehr als nur zufällig und
für den Verlauf der Krankheit bedeutsam sind. Mehr und mehr lernen wir,
dass sie wichtig sein können, wenn wir
eine Behandlung fest­
legen. Es wird
immer deutlicher, dass auch beim
Ovarialkarzinom individuelle Unterschiede bestehen, die wir in eine
auf die einzelne Frau «perso­­na­li­sierte»
Behandlung einbeziehen ­können.
Wir haben schon immer beobachtet, dass Patientinnen verschieden auf
eine Behandlung reagieren, und wir
sind uns klar darüber, dass keine zwei
Frauen gleich sind. Wären alle gleich,
würde die Behandlung auch immer
gleich wirken. Und das tut sie nicht.
Wir beobachten zum Beispiel, dass
in der Pathologie als «serös» bezeichnete Karzinome zwar gleich aussehen,
aber eine Therapie unterschiedlich
wirkt. Diese Karzinome haben wahrscheinlich den gleichen Ursprung in
Eierstock und Eileiter. Aber wir sehen,
dass es dann darauf ankommt, wo die
gestreuten Zellen sich als Metastasen
festsetzen, oder bildlich gesprochen,
auf welchen Boden der Samen fällt. Je
nachdem, wo sich der Krebs weiterentwickelt, ändern sich Therapie und
Prognose.
Wir sehen aber auch, dass wir je
nach individueller Lage die übliche
Standardtherapie besser verlassen.
Patientinnen, deren Krebs vor allem
Metastasen in den Lymphknoten absiedelt, profitieren davon, wenn man sie,
statt mit Chemotherapie zu behandeln,
bald neu operiert und bestrahlt.
Prognosen verbessern
Das dritte und eigentlich schönste
Beispiel sind Patientinnen, die mit gleicher Ausgangslage und eigentlich
ursprünglich schlechter Prognose
ihren Krebs doch mehr als zehn Jahre
überleben. Natürlich vermuten wir
hier einen Schalter, nach dem man
vielleicht auch bei anderen Patientinnen greifen könnte. Untersuchungen
haben gezeigt, dass bestimmte genetische Veränderungen die Prognose
bestimmen. Wir sind daran herauszufinden, wie man das für eine Verbesserung der Behandlung verwenden
könnte, um mehr erkrankte Frauen zu
Langzeitüberlebenden zu machen.
Ideal wäre, wir könnten von Anfang
an genau bestimmen, welche spezielle
und erfolgversprechendste Therapie
für eine Patientin gewählt werden soll
und dies auch bei einem Rezidiv, einer
Rückkehr des Karzinoms, genau so
fortsetzen. So weit sind wir noch nicht
und ich glaube, dass es da viele Mosaiksteine gibt, die man zusammensetzen können muss. Es kommt sicher auf
die ererbte genetische Ausstattung und
allfällig angelegte Disposition an, dann
aber auch auf den Verlauf – die Kinetik – die Umgebung und die Auslöser,
die das Wachstum und den Erfolg des
Karzinoms beeinflussen. Das ganze
Bild haben wir noch nicht und es wird
weit mehr als nur von der molekularen
Genetik bestimmt. So haben die meisten Eierstockkrebse eine sogenannte
p53-Mutation, aber dazu kommen
jeweils noch weitere Veränderungen,
die nicht einmal krank machende
Folgen haben müssen. Am Ende müssen wir verstehen lernen, warum die
Zellen zu wuchern beginnen und auf
welche Signale sie reagieren.
Zuckermoleküle sind zum Beispiel
daran beteiligt, dass es verschiedene
Blutgruppen gibt. Vielleicht – so vermuten wir – gibt es hier Ansatzpunkte,
die vorbeugend oder in der Therapie
von Eierstock- oder Eileiterkrebs wirksam sind.
Es sind viele Schritte zu einer auf
jede einzelne Patientin passenden optimalen Behandlung. Wir sind aber
ziemlich gut unterwegs.
Zuckermoleküle als Antennen
In meiner Forschungsgruppe untersuchen wir zum Beispiel die Rolle von
komplizierten Zuckermolekülen, sogenannten Glykanen. Sie befinden sich
aussen an der Zellhülle und dienen
etwa als Antennen, über die Signale
ins Innere der Zelle geleitet werden
und dort Veränderungen unter anderem an Signalwegen bewirken. Solche
Eine Verlagsbeilage der Basler Zeitung
in Zusammenarbeit mit dem Tumorzentrum des Universitätsspitals Basel.
Prof. Dr. med.
Viola HeinzelmannSchwarz
Leiterin Frauenklinik,
Gynäkologisches
Tumorzentrum
Impressum
Krebs persönlich.
Verlag und Redaktion: Basler Zeitung
Inhalt: Tumorzentrum
Universitätsspital Basel
Redaktion: Martin Hicklin
Gestaltung: Reto Kyburz, Korrektorat:
Markus Riedel, Rosmarie Ujak
Druck: DZZ Druckzentrum Zürich AG
Krebs persönlich.
| Samstag, 28. Januar 2017 | Seite 3
Präzisere Sicht auf akute Leukämien
Die molekulare Diagnostik hilft, die Behandlung zu revolutionieren und wirksamer zu machen
Von Michael Medinger, Pontus Lundberg
und Jakob R. Passweg
Basel. «Leukämie» bedeutet weisses
Blut (griech. leukos=weiss). Tatsächlich beobachtet man bei einer Leukämie, wie sich die weissen Blutkörperchen (Leukozyten) im Blut vermehren.
Der Begriff wurde erstmals 1845 von
Virchow verwendet und hat seither Eingang in die Medizin gefunden. Leukämien sind krebsartige Vermehrungen
unreifer Zellen des blutbildenden Systems. Die leukämischen Zellen sammeln sich im Knochenmark an und verdrängen die normale Blutbildung. Hieraus entstehen die Symptome, die Zeichen der Erkrankung: Die regulären
Knochenmarkfunktionen
versagen,
Blutarmut (Anämie) sowie Blutungen
treten auf und schwere Infektionen zeigen sich gehäuft. Die leukämischen,
unreifen Zellen zirkulieren im Blut bald
durch den ganzen Körper.
Die akuten Leukämien werden eingeteilt in «Akute lymphatische Leukämie» (ALL) und «Akute myeloische Leukämie» (AML) je nach ihrem Ursprung
aus «myeloischen» oder «lymphatischen» Vorläuferblutzellen.
Wie Leukämien entdeckt werden
Akute Leukämien sind insgesamt
selten; an AML erkranken pro Jahr fünf
bis acht Erwachsene aller Alter auf
100 000 Einwohner. Unter den über
70-Jährigen steigt diese Zahl auf 15 bis
25 Fälle. Die ALL ist insgesamt noch seltener als die AML und hat zwei Gipfel in
der Kurve der Altersverteilung: Sie ist
der häufigste Knochenmarkkrebs im
Kindesalter und bei Jugendlichen (in
der Phase, in der sich das Immunsystem
aufbaut) und hat einen zweiten Häufigkeitsgipfel im höheren Alter.
Die akute Leukämie ist die Folge des
unkontrollierten Wachstums des bösartigen Zell-Klons und der fehlenden Ausreifung dieser Zellen. Um sie diagnostizieren zu können, müssen wir unter
dem Mikroskop Blutausstriche und
Knochenmarkszellen und Gewebe analysieren. Es kommt auf das Aussehen
der Zellen (die Morphologie) und auf
ihre Färbeeigenschaften (Zytochemie)
an. Wir bestimmen die Oberflächeneigenschaften der Zellen (man nennt
das Immunphänotypisierung) und
schauen, ob es Veränderungen in den
Chromosomen gibt (Zytogenetik).
Krankhafte Veränderungen der Gene
bestimmen wir durch eine Technik,
die Polymerase-Kettenreaktion (PCR)
heisst. Sie kann mit sehr kleinen Mengen des DNA-Erbmoleküls arbeiten. Mit
ihr erstellt man sonst auch DNA-Fingerabdrücke, wie man zum Beispiel aus
«Tatort» weiss. Diese bisher für die Diagnose, Klassifizierung und Prognose
der Leukämien angewendeten Methoden werden heute mit sehr schnell
arbeitenden Techniken ergänzt oder gar
durch sie ersetzt. Sie erlauben, die ins
Erbgut (die Gene) geschriebene Information weitgreifend und schnell zu
buchstabieren und zu lesen.
Ein Genom in wenigen Tagen
Mit diesem sogenannten «Next
Generation Sequencing» (NGS) kann
heute das individuelle Genom eines
Menschen in nur wenigen Tagen ermittelt (sequenziert) werden. Sie erlaubt
uns, entscheidende molekulare und für
Leukämie-Zellen typische Eigenschaften zu identifizieren. Zum Beispiel
Mutationen. Als Mutation (von lat.
mutare «ändern, verwandeln») wird in
der Biologie eine dauerhafte Veränderung des Erbgutes bezeichnet. Diese
Veränderung betrifft bei der Leukämie
zunächst das Erbgut nur einer Zelle,
wird aber bei der Vermehrung an deren
Tochterzellen weitergegeben. Um diese
neuen Daten nutzen zu können, wurde
als erstes eine Art «Landkarte» erstellt,
auf der die Gene, die regelmässig
mutiert waren, dargestellt wurden.
Dann wurden diese Daten mit dem
Überleben der AML-Patientinnen und
-patienten in Zusammenhang gebracht.
So konnte man in aufwendigen statisti-
schen Verfahren ermitteln, welche
Mutationen die Überlebenschance
einer Patientin oder eines Patienten verbessern oder verschlechtern.
Die mit «Next Generation Sequencing» bei Leukämien gewonnenen Einsichten haben wichtige Auswirkungen.
Sie erlauben eine genauere Prognose
und präzisere Therapie. Sind bei der
Diagnose bestimmte Mutationen vorhanden, so werden entsprechend die
Weichen gestellt.
Durch die geschilderten molekularen Methoden werden zwei wichtige
Klassen an Mutationen identifiziert:
Eine wichtige entsteht durch Vertauschung eines Stücks auf einem Chromosom mit einem andern auf einem
anderen: Zum Beispiel von Chromosom
8 auf Chromosom 21. Wir nennen das
eine Translokation (von lateinisch
locus=Ort). Da Gene den Bau von
bestimmten Eiweissmolekülen steuern,
entsteht durch die Neukombination ein
anderes Eiweiss: ein Fusionsprotein.
Doch man kann nun auch andere
Mutationen schnell orten, welche die
Funktion eines Proteins verändern. Sie
können die Genaktivität verstärken
oder sogar zu einer neuen Funktion des
Gens führen. Im umgekehrten Fall kann
eine Mutation die Funktionsfähigkeit
des vom betroffenen Gen gesteuerten
Genprodukts einschränken. Je nach
Mutation wachsen und vermehren sich
die Leukämiezellen schneller und werden aggressiver. Ein krankhafter Überfluss kann auch dadurch entstehen,
dass eine Mutation das programmierte
Sterben
überflüssiger
Blutzellen
bremst.
Versteckte Zellen aufspüren
Musste früher noch jedes Gen aufwendig untersucht werden, kommen
wir heute dank der NGS-Technik solchen für Therapie und Prognose entscheidenden Mutationen rasch auf die
Spur und können schneller die beste
Therapie für die Patientin oder den
Patienten wählen.
Nach einer Chemotherapie oder
auch nach einer Stammzelltransplantation findet man häufig unter dem Mikroskop keine Leukämiezelle mehr. Sie
ist – morphologisch – nicht mehr nachweisbar. Doch mit der molekularen Diagnostik können wir anhand der Mutationen manchmal doch wenige noch
vorhandene bösartige Zellen oder
«Blasten» aufspüren. Das hat natürlich
Einfluss auf die weitere Therapie und
den Krankheitsverlauf. Sind noch eine
kleine Anzahl mutierter Zellen nach
einer Leukämiebehandlung vorhanden,
können sie im Knochenmark dafür verantwortlich sein, dass die Leukämie
wieder auftritt. Mit den NGS-Techniken
können wir heute eine leukämische
Zelle noch unter bis zu 100 000 normalen Zellen dingfest machen. Weil wir die
Leukämie nun auch auf molekularer
Ebene noch nachweisen können,
erlaubt das, die entsprechenden Therapieschritte einzuleiten. Mit dem Ziel,
auch noch diese letzten Leukämiezellen
zu vernichten. Wir verwenden dazu
zum Beispiel immunologische Therapien mit Spender-Lymphozyten oder
sogenannte epigenetische Therapien.
Präziser wirkende Medikamente
Das laufend präziser werdende
Wissen fördert auch die Entwicklung
neuer Medikamente und hilft zu
bestimmen, welche Ziele bei welchen
Zellen am besten angegriffen werden.
Die klassischen Zytostatika in der
Therapie der AML wirken unspezifisch
auf alle sich schnell teilenden Zellen
im Körper, sowohl auf die ins Visier
genommenen Leukämiezellen, aber
auch normale Zellen des Körpers wie
etwa die Schleimhaut-Zellen in Magen
und Darm oder der Haarwurzel. Weil
wir heute Mutationen identifizieren
können, die ausschliesslich in Leukämie-Zellen vorkommen, kann die Therapie spezifischer und damit häufiger
mit weniger Nebenwirkungen durchgeführt werden. Bereits gibt es Medikamente, die direkt diese Mutationen
in Leukämiezellen beeinflussen und
zum Beispiel in den Zellstoffwechsel
der mutierten Zellen eingreifen. Zurzeit befinden sich viele Medikamente
dieser «zielgerichteten» Therapien in
klinischer Entwicklung.
In den letzten Jahren ist das Wissen
um die Mutationen, welche Leukämie
hervorrufen können, regelrecht explodiert. Die Therapiemöglichkeiten, die
den Zellstoffwechsel der Leukämiezellen beeinflussen, werden stetig
grösser. So haben zum Beispiel sogenannte Kinaseinhibitoren mittlerweile
die Prognose der Patienten bestimmter
Typen von Leukämie verbessert. Es
besteht berechtigte Hoffnung, dass die
Patientinnen und Patienten von diesen
beeindruckenden neuen Erkenntnissen profitieren.
PD Dr. med.
Michael Medinger
Hämatologie
Innere Medizin
PhD Dr.
Pontus Lundberg
Fachlicher Leiter
molekulare
Diagnostik
Prof. Dr. med.
Jakob R. Passweg
Chefarzt
Hämatologie
Carlas Reise nach Basel und zurück ins Leben
Wie spezialisierte Pflegebegleitung die Rückkehr in den Alltag erleichtert
Von Monika Kirsch und Cornelia Bläuer
«Wie aus dem Leben gerissen», mit
kurzen Worten beschreibt Carla Fonte
(Name geändert) ihre Gefühle, als sie
von ihrer Diagnose erfuhr: Lymphdrü­
senkrebs – ein grosser Schock. Damals
lebte die 47-jährige lebensfrohe, ge­
schiedene Frau mit ihrer Tochter im
Tessin. Vier Jahre ist es nun her, dass
sie einen geschwollenen Knoten am
Hals bemerkt hatte. In der Nacht
schwitzte sie stark und verlor fünf Kilo
an Gewicht. Sie ging zu ihrem Arzt und
musste sich vielen Untersuchungen
unterziehen. Dann die ernüchternde
Diagnose. Im Spital Bellinzona erhielt
sie Chemotherapie, Bestrahlungen und
es wurden ihr körpereigene Stammzellen transplantiert. Drei Jahre lebte sie
darauf einigermassen beschwerdefrei,
bis sie eines Tages wieder einen Lymphknoten spürte. Ein Rückfall. Und alles
ging wieder von vorne los.
Nur wenige Spitäler in der Schweiz
verfügen über die Expertise in der
Stammzelltransplantation. So wurde
Carla Fonte zur weiteren Behandlung
ins Universitätsspital Basel überwiesen. Eine neue Stammzelltransplantation, diesmal mit fremden Blutzellen,
wurde erforderlich.
Alleine im Netz der Behandlung
Die Behandlung einer Blutkrebserkrankung benötigt das Zusammenspiel
von vielen Experten: Ärztinnen und
Ärzte, Pflege, Ernährungsberatung,
Physiotherapie, Psychoonkologie und
viele mehr. Betroffene berichten, sie
fänden sich in diesem komplexen
Betreuungsnetzwerk schwer zurecht.
Auch Carla Fonte ging es so. Die
Familie war weit weg im Tessin. Sie
kam in ein unbekanntes Spital und
wurde von einem neuen, für sie fremden Behandlungsteam betreut.
Eine besondere Stütze für Carla
war in dieser Zeit Sabine Degen Kellerhals. Die Pflegefachfrau mit über dreissig Jahren Berufserfahrung ist eine
von neun Advanced Practice Nurses
(APNs), die am Universitätsspital Basel
arbeiten. Pflegeexpertinnen APN sind
Pflegefachpersonen, die nach mehreren Jahren Berufserfahrung nochmals
den Weg zurück an die Uni oder Fachhochschule wagen, um dort Pflegewissenschaft zu studieren. Als Pflegeexpertin spezialisiert, kümmert sie sich
nur um eine bestimmte Patientengruppe und kennt sich somit in diesem
Bereich bestens aus. Bei Sabine Degen
sind es Patientinnen und Patienten mit
einer Stammzelltransplantation. In der
Schweiz gibt es APNs erst seit rund
einem guten Jahrzehnt, in den USA ist
die Berufsrolle schon seit mehr als vier
Jahrzehnten etabliert.
Tägliche individuelle Unterstützung
Sabine Degen ist eine Allrounderin
mit hohem Anspruch an die Betreuung
ihrer Patientinnen und Patienten. Täglich besucht sie stammzelltransplantierte Patientinnen oder Patienten wie
Carla, um mit ihnen Befinden,
Beschwerden und Bedürfnisse zu klären. Carla Fonte zum Beispiel hat
grosse Probleme mit dem Essen, weil
sie unter Übelkeit und Geschmacksveränderungen leidet. Sabine Degen zeigt
ihr verschiedene Therapiemöglichkei-
Eng begleitet.Pflegeexpertin Sabine Degen Kellerhals geht mit einer Patientin
durch, was zu Hause alles berücksichtigt und getan werden muss. Foto Unispital Basel
ten auf und zieht zur Unterstützung die
Ernährungsberaterin bei. Ein weiteres
Problem ist die gerötete juckende
Haut, eine bekannte Nebenwirkung
der Stammzelltransplantation. Sabine
Degen eruiert mit Carla die Möglichkeiten der Hautpflege und passt mit
dem Arzt die medikamentöse Therapie
an. Vom profunden Wissen und der
Erfahrung der Pflegeexpertin profitieren auch die Kollegen. Die schwierigen
Fragen zu der hochspezialisierten
Behandlung klärt sie in regelmässigem
Austausch mit Pflegefachpersonen,
Ärztinnen und Ärzten.
Der grosse Schritt nach Hause
Für viele Patientinnen und Patienten stellt die Entlassung aus dem Spital
eine Herausforderung dar: Wie geht es
weiter? Wer unterstützt mich? Erkenne
ich eine Verschlechterung rechtzeitig?
Auch Carla Fonte ist verunsichert. Für
sie ist der Schritt von Basel ins Tessin
ein grosser und erfordert gute Organisation und Kommunikation zwischen
den Behandlungsteams. Auch hier
nimmt Sabine Degen eine Schlüsselfunktion ein. Früh knüpft sie Kontakt
mit der Pflegeexpertin des Ambulatoriums in Bellinzona. Bald haben die beiden Pflegeexpertinnen alles aufgegleist:
zum Beispiel den Fahrdienst zum Spital, das vollständige Rezept in der richtigen Apotheke, der Termin im Spital
Bellinzona und die Schulung zur richtigen Einnahme der Medikamente.
Nach 15 Tagen steht die Entlassung
aus dem Universitätsspital Basel an.
Sabine Degen klärt mit Carla Fonte die
Fragen rund um den Austritt. Die beiden gehen die Informationen für zu
Hause nochmals durch. Sorgfältig wird
geprüft, ob die Patientin alles verstanden hat, welche gesundheitlichen
derungen sie beobachten und
Verän­
wann sie sich sofort melden muss. Die
Rund-um-die-Uhr-Telefonnummer hat
sie bereits im Natel.
Sabine Degen ist erleichtert. Sie
glaubt, dass alles so organisiert ist,
dass Carla Fonte nach der intensiven
Behandlung wieder ihren Weg zurück
in einen «fast normalen» Alltag finden
kann: «Ich lerne täglich, wie Menschen
mit solchen schweren Lebenssituationen umgehen und dabei Zuversicht
und Kraft entwickeln. Ich habe grösste
Achtung vor allen Patienten und ihrem
Weg durch die Zeit mit Krebs.»
Es sind nun sieben Wochen seit
dem Eintritt ins Universitätsspital
Basel vergangen. Carla Fonte ist zur
Zeit beschwerdefrei. Im Februar wird
sie ihre Arbeitstätigkeit halbtags wieder aufnehmen.
PhD RN
Monika Kirsch
Pflegeexpertin
Hämatologie
PhD RN
Cornelia Bläuer
Chefin Pflege
Spezialkliniken
Krebs persönlich.
Die feinen Unterschiede
Von vielen Mensc
Molekulare Onkologie bietet Zugang zu personalisierter Krebsbehandlung
Von Sacha Rothschild
und Andreas Wicki
Wir erleben zurzeit in verschiedenen
Gebieten der Krebsforschung und
-behandlung eine wahrhaft aufregende Entwicklung. Der rasche Fortschritt neuer Techniken erlaubt es uns,
immer tiefer in die molekularen
Mechanismen der Krebsentstehung zu
sehen und bösartige Tumoren in einer
Art und Weise feiner zu unterscheiden,
die noch vor Kurzem unvorstellbar
war. Wie in dieser Beilage an verschiedenen Orten und aus verschiedenen
Blickwinkeln aufgezeigt wird, lassen
sich aus unverwechselbaren genetischen Veränderungen, die ursächlich
für Auftreten und Wachstum eines
Tumors sind, auf neue Wege schliessen, wie man diesen spezifischen
Tumor gezielt angehen und erfolgreicher behandeln könnte. Dabei wird in
mancher Hinsicht immer deutlicher,
dass man einen bösartigen Tumor nicht
mehr nur nach dem Organ, in dem er
auftritt, behandelt, wie man das früher
tat. Sondern dass seine genetische Ausstattung und die für das Geschehen in
den Zellen verantwortlichen Signalwege ihn in neue Kategorien einordnen lassen, die aus rationalen Gründen
eine gezielte und präzise Behandlung
sinnvoll machen. Heute wissen wir viel
mehr darüber, wie Krebszellen sich
durch Mutationen im Laufe der Krankheit verändern. Damit bieten sie auch
neue verwundbare Seiten, die man
therapeutisch nutzen kann.
Rasch wachsendes Wissen
verlangt gebündelte Kompetenz
Derzeit wächst das Wissen in diesen
Dingen schnell und eine Menge erhobener Daten drängt auf Auswertung.
Dies alles mit dem Ziel, die Behandlungsstrategien präziser und personalisierter auf die Patientin und den Patienten auszurichten und damit erfolgreicher zu gestalten.
Dieses wachsende Gebiet ist die
Domäne der Molekularen Krebsmedizin oder Molekularen Onkologie, einer
vergleichsweise jungen Disziplin, die
sich an dieser vielversprechenden, aber
auch anspruchsvollen Entwicklung
massgeblich beteiligt und sie in inter-
disziplinärer Arbeitsweise weiterbringt. Wie wichtig dieser Blick auf die
molekularen Mechanismen ist, hat
man am Tumorzentrum des Universitätsspitals früh erkannt. Um der internationalen Entwicklung nahe folgen
zu können und im Tumorzentrum des
Universitätsspitals Basel die fachlichen
Ressourcen zu bündeln, wurde ein
Kompetenznetzwerk für Molekulare
Tumortherapie geschaffen. Es vereint
das klinische Wissen der spezialisierten Ärztinnen und Ärzte mit jenem
von Grundlagenforschern und hat
zum Ziel, die faszinierenden neuen
Möglichkeiten, Tumoren entsprechend
ihrer molekularen Eigenschaften
gezielter zu behandeln, rasch und
umfassend zugunsten jedes einzelnen
Patienten zu erweitern. Es arbeitet
auch eng mit dem Kompetenznetzwerk
Immuntherapien zusammen (siehe
nebenstehend Seite 5), ebenfalls eine
Neugründung des Tumorzentrums.
Gemeinsam mit den Fachleuten des
Instituts für Pathologie des Universitätsspitals Basel (siehe untenstehenden
Artikel), dem Institut für Medizinische
Genetik (Seite 2) und Hand in Hand mit
dem Kantonsspital Baselland hat das
Universitätsspital Basel als erstes Zen­
trum der Schweiz zudem eine Molekulare Tumorkonferenz eingerichtet. Hier
treffen sich zweimal monatlich alle
beteiligten Spezialistinnen und Spezialisten und besprechen die Resultate der
genomischen Analyse von Tumoren. In
Zusammenschau mit den klinischen
Angaben wird so für jeden Patienten
eine individualisierte und personalisierte Behandlungsstrategie aufgestellt.
Die Behandlung bösartiger Tumoren richtet sich heute nicht mehr allein
nach dem Ursprungsorgan und den
Gewebemerkmalen, sondern wird nach
den vorgefundenen genetischen Veränderungen justiert. Dank den Daten von
Tausenden analysierter Tumoren sind
neue Einteilungen möglich, weil die
entsprechenden genetischen Merkmale
als sogenannte Marker diagnostische,
prognostische und am allerwichtigsten
therapeutische Deutungen und Vorhersagen erlauben. Bestimmte tumorspe­
zifische genetische Varianten kommen in Tumoren ganz verschiedener Ursprungsorgane vor und lassen
schlies­sen, dass man hier mit der gleichen Behandlung Erfolg haben kann.
So werden die Therapieansätze
mehr und mehr von den in den Genen
des Krebsgewebes gefundenen molekularen Eigenschaften bestimmt,
wobei zu Hilfe kommt, dass am Tumorzentrum die neusten technologischen
Errungenschaften zur molekularen
analyse (etwa GensequenzieTumor­
rungsgeräte der neusten Generation,
sog. NGS) standardmässig zum Einsatz
kommen. Seit April 2015 werden die
Tumoren aller Patientinnen und Patienten mit diesen modernsten Technologien untersucht und die Daten samt
Interpretation der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt zur
Verfügung ge­stellt.
Netzwerk bringt verschiedene
Fachleute an den gleichen Tisch
Die Deutung der grossen Menge
von fallspezifischen Daten erfordert
das Wissen und die Kompetenz von
Fachleuten aus verschiedenen Disziplinen. In unserem Netzwerk Molekulare
Tumortherapie arbeiten denn auch
Spezialistinnen und Spezialisten der
Molekularpathologe, der Molekularbiologie, der Genetik und der Bioinformatik mit Onkologinnen und Onkologen sowie anderen klinisch tätigen
Medizinern Hand in Hand, um die für
einen Patienten erhobenen Daten und
ihre Bedeutung zu diskutieren und die
beste vorhandene Therapiestrategie zu
wählen. Der in der täglichen Routine
etablierte hohe Standard der molekularen Diagnostik und Therapie öffnet
uns die Türen zu internationalen Studien, damit wir unseren Patientinnen
und Patienten möglichst früh neue
Krebsmedikamente zur Verfügung stellen können.
Unsere Expertise erweitert sich laufend und verbessert, so die Hoffnung,
auch die Erfolge der gewählten Therapien. Wir wollen aber die Daten noch
besser nutzen und arbeiten mit akademischen Partnern wie der Nexus-Plattform der ETH Zürich zusammen.
Heute beteiligt sich das Tumorzen­
trum des Universitätsspitals Basel an
klinischen Studien, in denen Patientinnen und Patienten mit Tumoren behandelt werden, die gleiche molekulare
Eigenschaften aufweisen, aber aus
unterschiedlichen Ursprungsorganen
stammen (sog. «Korb-» oder «Basket-Studien»).
Diese Entwicklungen beflügeln die
Grundlagenforschung in der Krebsmedizin und die klinische Forschung und
Arbeit im Tumorzentrum gleichermassen. Sie stellen aber auch hohe Anforderungen, etwa was den Umgang mit
den Daten betrifft. Hohe qualitative
Standards müssen befolgt werden,
wenn es darum geht, molekulare und
klinische Daten zu erheben.
Erfinderisch und motiviert
Erfinderisch müssen wir auch sein,
wenn es darum geht, die Datenfülle,
die heute für einen einzelnen Fall erhoben wird und ihn eben, wie gewünscht,
«personalisiert», übersichtlich und verständlich darzustellen und zu einem
klinischen Nutzen zu interpretieren.
Wir sind als Kompetenznetzwerk Molekulare Tumortherapie gut aufgestellt,
um als aktive Teilnehmer in internationaler Zusammenarbeit dieses faszinierende Feld voranzubringen. Zum Wohl
des einzelnen an Krebs erkrankten
Menschen, der unsere Hilfe und die
beste verfügbare Behandlung benötigt.
PD Dr. med. Dr. phil.
Sacha Rothschild
Oberarzt, Onkologe,
Leiter Kompetenznetzwerk Molekulare
Onkologie
PD Dr. med.
Andreas Wicki
Oberarzt, Onkologe,
Leiter Kompetenznetzwerk Molekulare
Tumortherapie
Gemeinsam und verschieden. Jede und jeder un
Mehr und mehr weiss man heute aus den Erfahrun
lernt, eine präzis auf die einzelne Patientin oder de
Basler Gen-Panel hilft 70 genetische Varianten bei L
Neu entwickeltes Hilfsmittel erlaubt zusätzlich zur Gewebeanalyse Krebsformen zu typisieren und damit die wirksamste Th
Von Alexandar Tzankov
und Stephan Dirnhofer
Moderne Methoden der Gewebediagnostik ermöglichen es heute dem
Pathologen, nicht nur das mikroskopische Erscheinungsmuster (das «Passfoto») der Tumoren, sondern auch ihre
mo­­lekulare Identität (den «biometrischen Pass») zu überprüfen. Wie aber
untersucht man den biometrischen
Pass der Tumoren und warum ist er so
wichtig?
Bei praktisch allen Tumoren ist die
Balance zwischen Zellvermehrung und
Zelluntergang zugunsten der Zellvermehrung gestört. Der Grund dafür sind
Veränderungen im genetischen Programm der Zelle. Zum einen können
diese direkt zur Zellvermehrung führen, zum andern werden es immer
mehr Zellen, weil der programmierte
Zelltod, der sonst für Ausgleich sorgt,
gestört ist. Beide Entstehungswege
haben am Ende unter dem Mikroskop
das gleiche Erscheinungsbild: Wir
sehen einen Krebs­zellhaufen.
Will man jetzt neben allen bisherigen
Behandlungen eine Therapie finden, die
neu auf die Ursache der Entstehung zielt
und sie trifft, muss man wissen, welcher
der beiden Wege vom Tumor begangen
wird und wo seine Achillesferse liegt.
Die Krebszelle ist davon abhängig,
dass die molekularen Störungen, welche zu ihrer Vermehrung führen oder sie
vor dem Sterben schützen, aufrechterhalten bleiben. Das macht sie verwundbar. Gelingt es nämlich, eines oder mehrere Glieder der gestörten molekularen
Kommunikation abzuschalten, kann das
zum Stopp der Krebswucherung, sogar
zum völligen Absterben der Krebszellen
führen. Welcher der beiden Wege zum
Krebs geführt hat, sieht man allerdings
nicht unter dem Mikroskop. Hierfür
braucht man weiterführende Untersuchungen, die gestörte molekulare Kommunikationsstafetten im Gewebe entschlüsseln können.
Den Genvarianten auf der Spur
Seit nunmehr vierzig Jahren nutzen
die diagnostisch tätigen Pathologen die
Methode der Immunhistochemie, mit
der man normale, aber auch krankhaft
veränderte Eiweisse im Gewebe darstellen kann (siehe Abbildung A). Später kamen Methoden dazu, die es
ermöglichen, Genmengen und Genkonfigurationen abzubilden (in situ
Hybridisierung, Abb. B), und andere,
die den chemischen Code einzelner
Gene in Buchstaben übersetzen (Abb.
C). Doch jetzt ist ein neues Kapitel aufgeschlagen: Mit einer massiven parallelen Gencodeübersetzung oder Gensequenzanalyse (dem «Next Generation
Sequencing») können rasch und
anhand kleiner Mengen genetischen
Materials Hunderte Gene kontrolliert
und auf allfällige Abweichungen ihres
Vier Steckbriefe.Viermal ein anderer Zugang zu einem Lymphom: Immunhistochemie hilft krankhafte Eiweisse entdecken
(A). Gene und ihre Anordnung lassen sich darstellen (B). Die Häufigkeit der vier Buchstaben in der Genschrift lässt sich eruieren (C) und schliesslich kann der Gentext rasch entziffert und auf Hunderte Mutationen untersucht werden (Next Generation Sequencing). Die Bewertung zeigt, welche Behandlung im Moment am meisten Erfolg verspricht.Bilder Institut für Pathologie
| Samstag, 28. Januar 2017 | Seite 5
chen lernen, was auf den Einzelnen passt
Das Immunsystem
gegen Krebs aktivieren
Revolutionäre Entwicklungen in der Therapie
Von Heinz Läubli, Frank Stenner
und Alfred Zippelius
Das Immunsystem ist für unseren Körper ein entscheidender natürlicher
Schutz gegen Krebsentstehung und
-erkrankung. Patienten mit einer
Immunschwäche, zum Beispiel aufgrund einer HIV-Infektion oder
Immununterdrückung nach Organtransplantation, haben deshalb ein
vielfach erhöhtes Risiko, an Krebs zu
erkranken. In den meisten Fällen werden entstehende Krebszellen unmittelbar durch das Immunsystem eliminiert. Es besteht aber die Möglichkeit,
dass das Immunsystem die Krebszellen
zunächst zwar in Schach hält, in einem
zweiten Schritt aber die bösartigen Zellen Mechanismen entwickeln, um sich
vor dem Immunsystem zu verstecken,
sodass es zu einem Fortschreiten der
Erkrankung kommt und der Krebs sich
nun ungehindert im Körper des Patienten ausbreiten kann.
nter diesen Frauen und Männern hat sehr vieles mit allen anderen gemeinsam und unterscheidet sich doch entscheidend von allen.
ngen mit vielen, dass es wichtig ist, in der Behandlung von Krebserkrankungen genau auf individuelle Unterschiede zu achten. Und
en einzelnen Patienten abgestimmte «personalisierte» Therapie zu entwerfen. Foto Fotolia
Lymphomen zu unterscheiden
herapie gegen Krebs der Lymphdrüsengewebe zu finden
Codes (Punktmutationen) oder ihrer
Menge (Genzugewinne oder -verluste)
überprüft werden (Abb. D). Die Erfahrung zeigt, dass es bei den meisten
Krebsarten auf die Störung nur einiger
Dutzend Gene ankommt. Längst nicht
alle Gene müssen daher überprüft werden. Das spart Aufwand und Kosten.
Die typischen Genkombinationen
variieren von Tumortyp zu Tumortyp.
Den zum Tumortyp passenden Test
kann nur der Pathologe oder die Pathologin bestimmen. Bei dieser mikroskopischen Analyse muss festgelegt werden, welche Genkombinationen man
mit «Genpanels» untersuchen sollte.
Für die häufigsten Tumoren wie Lungenkrebs, Dickdarmkrebs und Tumoren des weiblichen Genitaltraktes sind
solche Panels kommerziell erhältlich.
Als eines der ersten Institute für
Pathologie in Europa haben wir, aufgrund unseres besonderen Forschungsinteresses und des Schwerpunkts, den
der Bereich der Hämatoonkologie
(Blutkrebsbehandlung) am Universitätsspital Basel bildet, für Lymphdrüsenkrebserkrankungen (Lymphome) ein
spezifisches Panel entwickelt, publiziert und in die tägliche klinische Diagnostik eingeführt.
Ein Fallbeispiel
Mit diesem Werkzeug können wir
simultan die rund siebzig am häufigsten bei Lymphomen mutierten Gene
«lesen» und wichtige Rückschlüsse auf
die Abstammung der Tumoren, ihre
Aggressivität und Therapiesensitivität
ziehen, wie das am folgenden Fallbeispiel veranschaulicht wird:
Eine 23-jährige Patientin aus der
Ostschweiz entwickelt Anfang des letzten Jahres ein Lymphom hinter dem
Brustbein. Es handelt sich um eine Variante, welche erfahrungsgemäss eigentlich ausgezeichnete Heilungschancen
aufweist. Der Tumor spricht aber nur
unvollständig auf die Chemotherapie
an und wächst prompt wieder. In dieser
Situation entschliesst man sich, eine
aggressive Chemotherapie, unterstützt
durch Transplantation eigener Stammzellen, durchzuführen. Aber auch unter
dieser Therapie schreitet der Tumor
weiter fort. Was tun? Die behandelnden Onkologen nehmen Kontakt mit
der Hämatoonkologie in Basel auf. Wir
raten, das Gewebe des therapieresistenten Tumors für weiterführende Analysen an das Institut für Pathologie des
Universitätsspitals Basel zu schicken.
Das geschieht: Die Analyse der Tumorproteine und -gene zeigt, welche Genmutationen für die Entstehung des
Lymphoms verantwortlich sind (Mutationen von STAT6 und MCL1). Es stellt
sich heraus, dass der Tumor mit einer
Vervielfältigung des sogenannten
PDL1-Gens und durch Mutation eines
anderen Gens namens B2M in der Lage
ist, die immunologische Kontrolle des
Körpers auszuschalten. Diese Information fliesst in einen Bericht (Abb. D)
ein. Man weiss nun: Gegen die Wirkung
der mutierten Gene kann mit neuen
Medikamenten vorgegangen werden.
Die klinischen Kollegen in der Ostschweiz wenden die durch die Panel­
analyse gewonnenen Informationen an
und entschliessen sich, neben einer
Radiotherapie, für ein Medikament
gegen die Effekte der PDL1-Vervielfältigung (Nivolumab) aus dem Bereich der
Immuntherapie (siehe Artikel rechts).
Die erste Gabe wurde vor Kurzem
verabreicht, und der Tumor beginnt zu
schrumpfen ...
Prof. Dr. med.
Alexandar Tzankov
Bereichsleiter Histopathologie
Prof. Dr. med.
Stephan Dirnhofer
Stv. Chefarzt Pathologie
Krebszellen sichtbar machen
Die Forschung hat in den letzten
Jahren auf diesem Gebiet grosse Fortschritte gemacht und wir verstehen
diese molekularen Mechanismen heute
viel besser, vor allem die Wege, wie die
Krebszellen das Immunsystem manipulieren. Wissenschaftliche Erkenntnisse
haben nun ermöglicht, die versteckten
Krebszellen mit neuen Medikamenten
für das Immunsystem in einem Teil der
Krebspatienten wieder gezielt sichtbar
zu machen, sodass das Immunsystem
wieder die Kontrolle über den Krebs
zurückgewinnen kann. Dabei gelingt
es, dass – anders als bei herkömmlichen
Therapien wie Chemotherapie – das
Immunsystem bei einigen Patienten
trotz fortgeschrittener Erkrankung
über lange Zeit den Krebs kontrollieren
oder gar komplett vernichten kann.
Die neuen Immuntherapien sind
breit einsetzbar und werden aktuell vor
allem beim Schwarzen Hautkrebs (dem
sogenannten Melanom), dem Lungenkrebs, bei Hals-Nasen-Ohren-Tumoren,
beim Blasenkrebs sowie beim Nierenkrebs erfolgreich angewendet. Bei vielen weiteren Krebsarten wie Brustkrebs,
Eierstockkrebs oder auch Lymphdrüsenkrebs laufen zurzeit Studien; die ersten Resultate sind sehr vielversprechend. In der Zukunft werden verschiedene Immuntherapien und auch konventionelle Therapien wie Chemo­­
therapie
und Radiotherapie kombiniert werden,
um bei einer noch grösseren Zahl von
Patienten eine langfristige Kontrolle
auch bei weit fortgeschrittener Krebserkrankung zu ermöglichen.
Immuntherapeutische Kompetenz
Das Universitätsspital Basel hat seit
vielen Jahren ein spezielles Interesse
an Immuntherapien von Krebserkrankungen, gerade auch, weil Immunologie ein wichtiger Forschungsschwerpunkt ist. Daher wurde im Tumorzentrum am Universitätsspital Basel auch
ein klinischer Schwerpunkt im Bereich
der Immuntherapien eingerichtet, um
den Umgang mit dieser neuen Art von
Medikamenten möglichst optimal zu
begleiten und zu steuern. Aktuell werden eine grosse Zahl von Forschungsprogrammen und Studien durchgeführt, um dieses neue Wissen unmittelbar den Patientinnen und Patienten
zur Verfügung zu stellen.
Ein wichtiger Schritt in diese Richtung war die Gründung eines Kompetenznetzwerks für Immuntherapien
am Tumorzentrum. Hier arbeiten Spezialisten verschiedener Fachrichtungen und somit auch Ärztinnen und
Ärzte zusammen, die sich mit nicht
bösartigen Erkrankungen des Immunsystems beschäftigen. Alle bringen sich
in das Netzwerk ein und teilen ihre
Expertise. Dies ist nicht nur für die
individuelle Behandlung des Patienten
wichtig, sondern darüber hinaus auch
für das Management von Nebenwirkungen der Therapie. Immuntherapien von Krebspatienten können neue
und sehr spezielle Nebenwirkungen
verursachen, die erfordern, dass Spezialisten verschiedener Disziplinen eng
zusammenarbeiten. So werden die
behandelten Patientinnen und Patienten regelmässig in interdisziplinären
Tumorkonferenzen von den beteiligten
Immuntherapieexperten besprochen.
Hochaktuelles gemeinsames Wissen und klinische Kompetenz kommen
den Patientinnen und Patienten des
Universitätsspitals Basel zugute. Dabei
werden therapeutische Strategien laufend an den internationalen Standard
angepasst. Eine Vielzahl immuntherapeutischer Studien sind gegenwärtig
am Universitätsspital Basel eröffnet.
Auf den Patienten zugeschnitten
Die stets aktuelle Forschung erlaubt
es uns heute, für eine Patientin oder
einen Patienten, so weit sinnvoll und
verfügbar, jene Immuntherapie zu wählen, die am wahrscheinlichsten eine
Wirkung erzielt. Dafür analysieren wir
die molekularen Veränderungen der
Krebszellen und Eigenschaften der
Immunzellen des Patienten. So können
wir die Immuntherapie genau gegen die
für den Tumor spezifischen Veränderungen und damit auf den individuellen
Patienten ausrichten. Eine weitere Therapie, die wir in der Zukunft anbieten
wollen, ist eine Behandlung des Patienten mit seinen eigenen Immunzellen.
Sie werden entnommen, im Labor vermehrt und gegen den Krebs aufgerüstet
und dann dem Patienten oder der
Patientin wieder zurückgegeben. Diese
Methode wird in verschiedenen Krebszentren in der Welt bereits erfolgreich
angewendet. In der Schweiz wird diese
Therapieform aktuell entwickelt und
in Zukunft auch Patientinnen und Patienten am Tumorzentrum des Universitätsspitals Basel zur Verfügung stehen.
Tumorimmunologische
Spezialsprechstunde
Das Tumorzentrum des Universitätsspitals Basel will seine Erfahrungen
auf dem Gebiet der Immuntherapie und
der zahlreichen immuntherapeutischen
Studien möglichst vielen Patientinnen
und Patienten zugänglich machen. Es
wurde deshalb eine Spezialsprechstunde für Immuntherapie bei Krebserkrankungen eingerichtet. Hier wird für
die jeweilige Patientin oder den Patienten ein individueller Therapieplan
mit angepasster Reihenfolge und, wo
sinnvoll, auch einer Kombination von
Immuntherapien mit zielgerichteten
Therapien
oder
Chemotherapien
erstellt. Auch die Behandlung eines
Patienten durch eigene Immunzellen
wird in dieser Sprechstunde geplant
und koordiniert werden. Sie hilft uns
auch entscheidend, möglicherweise
auftretende Nebenwirkungen optimal
im Zusammenspiel mit anderen Spezialisten am Universitätsspital wie etwa
Magen-Darm-Spezialisten oder Haut­
ärzten zu erkennen und zu behandeln.
Diese Sprechstunde findet in der Medizinischen Onkologie statt und steht
allen Patientinnen und Patienten offen.
Dr. med.
Heinz Läubli
Oberarzt Onkologie
PD Dr. med.
Frank Stenner
Leiter Zentrum für
Hämato-Onkologie
Prof. Dr. med.
Alfred Zippelius
Stv. Chefarzt
Onkologie
Krebs persönlich.
| Samstag, 28. Januar 2017 | Seite 6
Leben gut
erleben
Jeder Brustkrebs ist ein einzelner Fall
Wie Palliative Care hilft
Basler Forscher und Kliniker Hand in Hand gegen Mammakarzinom und Metastasen
Von Sandra Eckstein
Mit dem Ziel, die Behandlung von
Brustkrebs präziser zu gestalten, arbeiten im Tumorzentrum des Universitätsspitals Basel die Teams des Leiters des
Brustzentrums, Prof. Walter P. Weber,
und des Grundlagenforschers Prof.
Mohamed «Momo» Bentires-Alj am
Departement für Biomedizin an der
Hebelstrasse zusammen. Beide gehören zu den Gründern des «Basel Breast
Consortium» und sind Hauptakteure in
dem vom Schweizerischen Nationalfonds und SystemsX finanzierten Projekt Meta­stasiX, dessen Leitung Prof.
Walter P. Weber innehat und das sich
auf die Spuren der Metastasenbildung
konzentriert, um deren Abwehr und
Behandlung zu verbessern.
Menschen, die an Krebs erkranken und
mit der Möglichkeit konfrontiert werden, dass es für die Krankheit keine
Heilung geben könnte, haben vielfältige Fragen: «Was kommt auf mich zu?
Werde ich leiden müssen? Wie geht es
meiner Familie? Wie kann ich mein
Leben weiter autonom gestalten? Was
braucht es, damit meine Wünsche
beachtet und umgesetzt werden?» Oft
sind auch Familie und Freunde durch
Fragen und Sorgen belastet. Das Palliative-Care-Team vom Tumorzentrum
des Universitätsspitals Basel möchte
Patientinnen und Patienten sowie
Angehörige bei diesen schwierigen
Fragen unterstützen und begleiten.
Beschwerden lindern
Der Schwerpunkt der Behandlung
und Begleitung liegt in der bestmöglichen Therapie, Linderung und Vorbeugung von körperlichen und seelischen Beschwerden, ebenso wie in der
Unterstützung von sozialen und auch
spirituellen Bedürfnissen. Ziel ist die
bestmögliche
und
angemessene
Behandlung zu jedem Zeitpunkt der
Erkrankung. Die Behandlung der
Grunderkrankung, zum Beispiel eine
Chemotherapie oder Strahlenbehandlung, und Palliative Care schliessen
sich dabei nicht aus, sondern ergänzen
sich sinnvoll.
Der etwas fremde Begriff palliativ
bekommt etwas Positives, wenn man
weiss, dass er sich vom lateinischen
Wort pallium für Mantel, Umhang
ab­leitet. Das englische Wort Care wiederum lässt neben Pflegen auch Kümmern, Sorgen und Behüten anklingen.
Wir wollen das Gefühl von Schutz und
Sicherheit geben, dem Patienten unter
diesem umfassenden Mantel Autonomie und Lebensqualität ermöglichen.
Dame Cicely Saunders (1918–2005),
Begründerin der Palliativmedizin, sagte
es so: «Wir können zwar nicht die ganze
Last des Geschehens wegnehmen, aber
wir können helfen, sie in handhabbare
Proportionen zu bringen.»
Damit wir dieses Ziel erreichen,
planen wir vorausschauend mit den
Betroffenen eine individuelle Behandlung, wobei der Respekt für Werte und
Wünsche im Mittelpunkt steht. Unser
Angebot stationär und ambulant
umfasst:
> Behandlung und Linderung von
Beschwerden wie Schmerzen, Atemnot, Übelkeit, Schlafstörungen und
anderen körperlichen Beschwerden
sowie psychischen Belastungen;
> Begleiten und Unterstützen bei
schwierigen Therapieentscheidungen,
Beratung zu Patientenverfügungen;
> Unterstützung bei der Organisation und dem Aufbau eines Versorgungsnetzes, in das der Patient stabilisiert entlassen werden kann;
> Erstellung von Notfallplänen für zu
Hause wie zum Beispiel für Schmerzoder Atemnotkrisen;
> Schützende Begleitung von sterbenden Patienten sowie deren Angehörigen.
Wir betreuen unsere Patientinnen
und Patienten in enger Zusammenarbeit mit Ärztinnen, Ärzten und der
Pflegepersonen des Tumorzentrums,
den Kolleginnen und Kollegen der
Physiotherapie, Ernährungsberatung,
Psychoonkologie, der Seelsorge, des
Schmerz​
dienstes und des Sozialdiensts. Darüber hinaus haben wir
engen Austausch mit dem Hausarzt,
der Spitex, der Onko-Spitex und anderen ambulanten Diensten. Unser Ziel
ist es, Menschen in schwierigen Situationen den Blick für neue Wege zu öffnen, die ihnen Sicherheit, Würde und
Selbstbestimmung ermöglichen.
Dr. med.
Sandra Eckstein
Leiterin Palliative
Care
BaZ: Herr Weber, Brustkrebs ist die
häufigste Krebsart von Frauen, jede
dritte Diagnose gilt diesem Krebs. Was
weiss man noch zu wenig von diesem
gefährlichen Krebs?
Walter P. Weber: Anders als bei eini-
gen anderen Krebsformen, wo man
detaillierter unterscheiden kann, teilen
wir Brustkrebs immer noch in vier
grosse Gruppen ein, die jeweils ähnlich
behandelt werden. Wir wissen aber aus
der klinischen Beobachtung, dass es
weitere feinere Unterschiede gibt und
im Prinzip jeder Krebs individuell ist.
Hier suchen wir nach neuen Ansätzen,
die hoffentlich auch die Therapie weiter verbessern.
Herr Bentires-Alj, Sie sind vom Basler
Friedrich-Miescher-Institut an das
Departement Biomedizin gekommen
und forschen grundlegend mit einer
15-köpfigen Gruppe auf dem Thema
Brustkrebs, was sind Ihre Fragen?
Mohamed Bentires-Alj: Wie Walter
Weber gesagt hat, ist im Grunde jeder
Krebsfall einzigartig. Den feinen Unterschieden gehen wir nach. Warum finden sich bei Brustkrebszellen so unterschiedliche molekulare Eigenschaften?
Zum Zweiten schauen wir auf die
Umgebung der Zellen, das Mikro-Umfeld. Es spielt sicher eine grosse Rolle
und die wollen wir aufklären. Aufbauend auf das Verständnis für die Mechanismen, die der Erkrankung zugrunde
liegen, suchen wir nach neuen Zielen
und Angriffspunkten und bewegen uns
rasch in Richtung einer personalisierteren, besser auf die einzelne Patientin
ausgerichteten Therapie.
Grundlagenforschung und Klinik sind
am Basler Universitätsspital sehr nahe
beieinander.
Bentires-Alj: Das ist ein unschätzba-
rer Vorteil, wie es ihn sonst selten gibt
und den ich mit dem Wechsel hierher
erst voll nutzen kann. Wir haben laufend direkten Kontakt mit der Klinik
und den Patientinnen, wir reden viel
miteinander. Das klappt hervorragend
im Tumorzentrum des Universitätsspitals Basel. Als Forscher sitze ich bald
auch in der Tumorkonferenz. Ideale
Verhältnisse.
Weber: Wir können sogar während
der Operation zusammenarbeiten. In
zehn Minuten ist eine Gewebeprobe
auch bei Momo im Labor.
Wie nutzen Sie das für Ihre Arbeit?
Bentires-Alj: Wir wollen den Tumor
jeder Patientin begleitend im Labor
untersuchen. Dazu halten wir die Zellen entweder im Mausmodell oder in
Kultur. Wir analysieren sie auf der
molekularen Ebene und wollen so
auch Behandlungen auf ihre Wirksamkeit testen. Das Ziel ist, so schnell wie
möglich die Erkenntnisse bei der Patientin anzuwenden. Präziser und hoffentlich effizienter. Dieses Projekt starten wir jetzt. Dazu ist unsere Zusammenarbeit mit der Klinik ideal. Die
grösste Herausforderung ist die Frage,
warum es zu Resistenzen kommt.
Zweitens wollen wir Überbehandlung
vermeiden und nur Medikamente einsetzen, die auch wirken.
Wie wird solche Forschung bezahlt?
Weber: Wir werden zum Beispiel vom
Einzigartig.Das Basel Breast Consortium trifft sich regelmässig. Hier im historischen Hörsaal des Universitätsspitals Basel. Foto Universitätsspital Basel
Schweizerischen Nationalfonds im
Rahmen der Schweizer Initiative für
Systembiologie mit 2,2 Millionen in
dem Forschungsprojekt Meta­
stasiX
unterstützt, das sich mit Partnern
des Tumorzentrums des Universitätsspitals Basel, der Universitäten Basel
und Zürich, des Friedrich-Miescher-Instituts und mit der IBM darauf konzentriert, die Signalwege aufzudecken und
zu nutzen, die beteiligt sind, wenn sich
der Krebs mit Metastasen in anderen
Organen ansiedelt. Da vergleichen wir
mit komplexen Techniken gewonnene
Daten direkt mit den Gewebeproben
der Patientinnen. Wir hoffen die
Behandlung der noch viel zu oft tödlichen Krebsausbreitung zu verbessern.
Wie gut läuft der Austausch unter den
Beteiligten?
Bentires-Alj: Wir haben dazu das
«Basel Breast Consortium» gegründet,
eine Plattform, auf der wir uns austauschen. Das gibt es so sonst nirgends
auf der Welt.
Wer macht da mit?
Weber: Das Konsortium steht allen in
der trinationalen Region offen, die sich
mit Brustkrebs oder der Entwicklung
der Brustdrüse befassen. Da treffen sich
Ärztinnen und Ärzte, Forscher aus
Labor und Klinik und Leute aus der
Industrie. Auch Vertreterinnen von
Patientenorganisationen sind willkommen. Wir sehen uns mindestens alle
vierzehn Tage und sind sehr motiviert.
Basel Breast Consortium: www.baselbc.org
Die Fragen stellte Martin Hicklin
Prof. Dr. med.
Walter P. Weber
Leiter Brustzentrum
Prof. Dr. Mohamed
Bentires-Alj
Forschungsgruppenleiter
Departement
für Biomedizin
Bildgebendes Werkzeug als Waffe
Mit Radionuklid beladenes Kombi-Molekül greift Tumoren an – eine Basler Pionier-Entwicklung
Von Damian Wild
In der Nuklearmedizin des Universitätsspitals Basel haben wir in den letzten zwanzig Jahren eine Methode zur
Anwendungsreife entwickelt, die ein
diagnostisches Verfahren zu einer präzise wirkenden Waffe der Radiotherapie schärft und als «theranostisches»
Verfahren weltweite Anerkennung
gefunden hat. Die entscheidende Rolle
bei der Entwicklung hat dabei die
Abteilung für Radiopharmazeutische
Chemie im Universitätsspital gespielt,
mit der wir eng zusammenarbeiten.
Die Nuklearmedizin am Universitätsspital Basel ist auf Bildgebung und
Therapien mit Radioisotopen spezialisiert und sehr modern eingerichtet.
Im Bereich Krebs nutzen wir den
Umstand, dass sich ein radioaktiv markiertes Medikament oder ein Radionuklid ganz spezifisch im Tumorgewebe anreichern kann. So entsteht
anhand der gemessenen Strahlenverteilung ein Bild der Lage des Primärtumors und allenfalls von Metastasen.
Man kann nun aber auch Radioisotope zum Tumor lenken, die nur in ihre
unmittelbare Umgebung Partikel aussenden und damit das Tumorgewebe
bestrahlen und zerstören. Es ist uns in
Zusammenarbeit mit dem Institut für
Pathologie der Universität Bern gelungen, diese Technik gegen bestimmte,
sogenannte neuroendokrine Tumoren
einzusetzen. Es sind Tumore, die
dadurch auffallen, dass sie auf ihren
Zellen sehr viele Rezeptoren oder Bindungsstellen für das Hormon Somato­
statin tragen. Somatostatin wird im
Körper etwa in der Bauchspeicheldrüse,
im Magen und anderen Orten produziert und sehr schnell wieder abgebaut.
Darum wurden Moleküle gesucht, die
sich wie Somatostatin an die Rezeptoren binden, aber länger Bestand haben.
Die Somatostatin gleichende oder «analoge» Substanz soll aber auch die Fähig-
Anhand der sehr guten Bildqualität Tumoren langfristigen Aufschub vervon Gallium-68-Dota-Toc kann die schaffen, die etwa im Dünndarm aufBehandlungsstrategie für den einzel- treten, langsam wachsen und darum
nen Patienten massgeschneidert und einer die Zellteilung bremsenden Cheindividuell festgelegt werden, mit dem motherapie nicht zugänglich sind. Die
Ziel minimaler Nebenwirkungen bei mit Lutetium­-177-Dota-Toc behandelmaximalem Therapieeffekt. Das radio­ baren Tumoren sind zwar selten, ihre
aktiv beladene Medikament wird zwar Zahl nimmt aber derzeit laufend zu.
rasch über die Nieren ausgeschieden,
Wir sind stolz darauf, dass wir in
es muss aber darauf geachtet werden, diesem Bereich weltweit eine PionierIn zwei Stunden ein genaues Bild
Das kann zum Beispiel Gallium-68 dass dort möglichst wenig Schaden rolle einnehmen. Die Lu-177-­Dota-Tocsein. Gallium-68 sendet sogenannte angerichtet wird. Es können auch Aus- Therapie gilt seit 2010 als spitzenmediziPositronen aus, genau jene Strahlung, wirkungen auf die Blutbildung im Kno- nischer Schwerpunkt des Universitätsspidie in einem PET-Gerät (Positronen-­ chenmark beobachtet werden. Die tals Basel, der international in Anspruch
Emissions-Tomografen) zur Bildge- Nebenwirkungen auf die Blutbildung genommen wird und den wir forschend
bung verwendet werden. Kombiniert sind aber vorübergehend. Unange- weiter zu stärken bestrebt sind.
man PET mit Computertomografie nehme Nebenwirkungen wie Erbre(CT), liefert mit Gallium-68 beladenes chen und schwerere Nebenwirkungen
Dota-Toc als sogenannter Radio­tracer wie eine bleibende Verschlechterung
innert weniger als zwei Stunden ein der Nierenfunktion sind selten und
genaues Bild von der Lokalisation und kommen bei weniger als einem von
Ausdehnung der Tumorläsionen im 100 Patienten vor. Das bedeutet, dass
ganzen Körper, da im Tumorgewebe die Therapie mit Lutetium-177Prof. Dr. med.
gehäuft Somatostatin-Rezeptoren als Dota-Toc insgesamt gut, mit wenigen
Damian Wild
Andockstellen für Gallium-68-­Dota-Toc Nebenwirkungen, toleriert wird. Sie
Leiter Nuklearvorhanden sind. Dabei ist die Bildquali- kann vor allem bei neuroendokrinen
medizin
tät viel besser als bei der nur mit Gammastrahlen arbeitenden szintigrafischen Methode, die ebenfalls die Viel mehr Details in viel kürzerer Zeit
Rezeptoren identifiziert (siehe Vergleich im Bild). Mit der szintigrafischen Aus Diagnose wird Therapie.Die
auch die Therapie mit Lutetium-­177Methode wird der Patient zudem mit Szintigraphie (links) zeigt nur eine
DOTA-TOC wurden am Universitätsspieiner dreimal höheren Radioaktivität Metastase in der Leber 24 Stunden
tal Basel entwickelt.
Bild Damian Wild / Universitätsspital Basel
belastet, und erst noch können Bilder nach Injektion des «Radiotracers»
von diagnostischer Qualität erst (siehe Pfeil). Die kurz danach durchge24 Stunden nach Injektion des Radio- führte PET-Aufnahme des gleichen
tracers angefertigt werden.
Patienten (rechts) entdeckt viele
Hat die zwingend nötige Vorunter- Metastasen in der Leber, nur eine
suchung ergeben, dass die zu behan- Stunde nach Injektion von Gallidelnden Tumoren genügend viele um-68-DOTA-TOC. Im Gegensatz zu
Somatostatin-Bindungsstellen aufwei- andern Therapiemethoden kann die
sen, wird nun Dota-Toc mit einem Anreicherung von radioaktiv markierRadio­
nuklid beladen, das Elektronen tem DOTA-TOC im Tumor schon vor
(Betastrahlen) ausschickt, die benach- der Therapie sichtbar gemacht werden.
barte Tumorzellen zerstören können. Nur wenn das sichtbar wird, erfolgt die
Heute wird vor allem Lutetium-177 Therapie mit Lutetium-177-DOTA-TOC
verwendet, weil dank der kurzen Reich- im Sinne eines massgeschneiderten
weite von Lutetium-177 kaum gesun- individuellen Vorgehens. Sowohl die
PET mit Gallium-68-DOTA-TOC als
des Gewebe mitbestrahlt wird.
keit haben, radioaktive Isotopen ans
Ziel zu bringen. Ein solches Kombi-Molekül ist Dota-Toc. Das -Toc bezeichnet
den Teil des Medikaments, der sich an
den Rezeptor bildet. Das Dota- steht für
eine Art chemischen Korb oder chemische Zangen, die es erlauben, ein radio­
aktives Atom mitzutragen.
Krebs persönlich.
| Samstag, 28. Januar 2017 | Seite 7
Millimetergenau aus 3000 Richtungen
Bei Brustkrebs bringt eine individuelle Strahlenbehandlung gute Erfolge
Von Anna-Lena Hottinger
und Frank Zimmermann
Zu einer erfolgreichen Behandlung des
Brustkrebses gehört die Heilung vom
Krebs bei gleichzeitig guter, wenn
möglich unveränderter Lebensqualität. Waren früher sehr grosse und ausgedehnte chirurgische Eingriffe nötig,
konnten in den letzten zwanzig Jahren
das Ausmass der Operation und die
Anzahl der Brustentfernungen durch
die Möglichkeit der Strahlentherapie
deutlich reduziert werden. Eine kleinere Operation mit nachfolgender
Strahlentherapie bedeutet für die
betroffenen Patientinnen eine ausgezeichnete Lebensqualität, bei sehr
gutem kosmetischem Ergebnis und
geringerer psychischer Belastung.
Innovation, langjährige Erfahrung
und perfekt abgestimmte Richtlinien
begleiten uns in unserem klinischen
Alltag und garantieren fachlich fundierte Therapieentscheide im Einklang
mit den Wünschen unserer Patientinnen. Dieses Zusammenspiel prägt für
uns die «personalisierte Medizin».
Das von uns am häufigsten eingesetzte Behandlungsgerät ist der Linearbeschleuniger, der individuell angepasste Bestrahlungsfelder beliebiger
Grösse aus mehr als 3000 Einstrahlrichtungen und sogar während laufender Drehung des Gerätes um die Patientin herum erlaubt, und dies millimetergenau. Diese Technik der «dynamischen intensitätsmodulierten Radio­therapie» ermöglicht die Behandlung
von Tumorzellen bei gleichzeitig opti-
Viele Faktoren.Eine genaue Planung der Behandlung erlaubt eine schonende
Bestrahlung – so wenig wie möglich, so viel wie nötig.Foto Universitätsspital Basel
maler Schonung der gesunden Gewebe
wie Lunge, Herz und Nerven.
Viele verschiedene Faktoren beeinflussen die Art der Strahlentherapie.
So spielen das Alter der Patientin, die
Tumorgrösse, das Wachstumsmuster
und die Lage des Tumors sowie der
Befall von Lymphknoten eine wichtige
Rolle. Ferner beeinflusst die Notwendigkeit einer zusätzlichen plastischen
Rekonstruktion oder Hormon- und
Chemotherapie die nachfolgende Strahlentherapie.
Wurden ältere Frauen an kleinen
Tumoren erfolgreich operiert, ist nur
Rote Karte für den
Schmerz
eine Strahlenbehandlung der früheren
Tumorregion in der Brust nötig. Diese
kann noch während der Operation als
einmalige Behandlung mit mobilen
Spezialgeräten (intraoperative Radiotherapie) oder anschlies­
send an die
Operation mit dem Linearbeschleuniger während drei Wochen mit täglich
zehnminütigen Strahlenbehandlungen
durchgeführt werden. Bei aggressiveren Tumoren wird die ganze Brust
behandelt und die Therapie dauert vier
Wochen. Bei empfindlicheren Patientinnen oder nach plastischen Rekonstruktionen wird die tägliche Strahlen-
dosis zur besseren Schonung reduziert,
sodass die gesamte Behandlung fünf
bis sechs Wochen dauert. Verhalten
sich die Tumoren aggressiver und liegt
bereits ein Befall der umgebenden
Lymphknoten vor, so werden während
sechs bis sieben Wochen je nach Lage
und Grösse des Tumors zusätzlich die
Lymphbahnen der Achselhöhle, entlang des Schlüsselbeins oder des Brustbeins bestrahlt.
Neben der optimalen Auswahl des
jeweils besten Behandlungskonzeptes
und der sicheren Durchführung der
Strahlentherapie mit modernsten
Techniken ist uns das individuelle
Beratungsgespräch mit der betroffenen Patientin und ihren Angehörigen
sehr wichtig. So können wir gemeinsam die optimal und individuell abgestimmte Strahlenbehandlung zum
richtigen Zeitpunkt beginnen.
Dr. med.
Anna-Lena
Hottinger
Assistenzärztin
Radioonkologie
Prof. Dr. med.
Frank Zimmermann
Chefarzt
Radioonkologie
Kurt Vögtlin (Name geändert) ist eigentlich ein Mann der Tat. Wie der
Schmerztherapeut ihn aber das erste Mal
sieht, sitzt ihm ein 74-jähriger Mann
gegenüber, der einfach nicht mehr mag.
Angefangen hatte alles im Jahr 2006, als
die Diagnose Prostatakrebs gestellt
wurde. Jetzt bereiten Metastasen in der
Wirbelsäule und im Becken grosse
Schmerzen. Zur neu vorgeschlagenen
Chemotherapie setzt er darum Fragezeichen: «Für was soll ich das noch machen,
wenn ich wegen meiner Schmerzen
sowieso nicht so leben kann, wie ich
will?» Der Schmerztherapeut weiss,
zuerst müssen die Schmerzen gelindert
werden, sonst verliert der einst so lebensfrohe Mann den Mut vollends. Kurt Vögtlin wird beraten, welche Medikamente
er einnehmen soll und was er im Alltag
beachten sollte. Schon nach kurzer Zeit
ist der Schmerz in die Schranken gewiesen. Was Patient Kurt Vögtlin erlebt, ist
kein Einzelfall. Rund 75 Prozent aller
Krebspatienten leiden während ihrer
Erkrankung unter Schmerzen, bei zwanzig Prozent sind sie sogar sehr stark. Die
gute Nachricht ist aber, dass meist eine
gute und effiziente Schmerztherapie
möglich ist.
In der Schmerzabteilung der Anästhesiologie des Universitätsspitals Basel
werden sowohl stationäre wie auch
ambulante Patientinnen und Patienten in
allen Phasen einer Krebserkrankung
begleitet und behandelt. In vertieften
Gesprächen wird das genaue Schmerz­
erleben erhoben. So kann die passende
Therapie individuell ermittelt werden.
Meist sind es medikamentöse Therapien
wie bei Kurt Vögtlin, aber es können auch
sogenannt minimalinvasive interventionelle Schmerztherapien Anwendung finden. Dabei kann man mit gezielten Injektionen oder mittels eines Schmerzkatheters Schmerzen dauerhaft nehmen. So
im Fall von Dora M. Die 67-jährige Patientin litt an einem metastasierten Eierstockkrebs. Da konservative Methoden
keine Linderung brachten, wurde ein
Katheter am Rückenmark eingelegt. Er
ermöglichte, dass Medikamente direkt
appliziert werden konnten, so dass Dora
M. wieder fast schmerzfrei war. Kurze
danach entschied sie sich, in ein Hospiz
zu wechseln, wo sie noch mehrere
dass die Tumorzellen sehr gut auf eine
hormonelle Therapie reagieren werden.
Sie wird als Massnahme nach der
Operation eingeleitet. Zwei aus der
Achselhöhle entnommene Lymphknoten waren ohne Tumorbefall.
Allerdings leidet die Patientin noch an
anderen Erkrankungen. Sie hatte vor
fünf Jahren einen Herzinfarkt und die
Halsschlagadern weisen Kalkablagerungen auf. Aufgrund der Gefässerkrankungen möchten wir vor allem das
Herz der Patientin möglichst schonen,
weshalb wir uns für eine dreiwöchige
Strahlenbehandlung entscheiden, die
sich ausschliesslich gegen die ehemalige Tumorregion in der linken
Brust richten wird (siehe Bild).
Hightech macht Reparatur von krebsbedingtem Defekt präziser und schneller
Wochen schmerzfrei verbringen und
diese wertvolle Zeit mit ihrem Mann teilen konnte.
Innovatives Projekt lanciert
Viele schwer kranke Patienten haben
den Wunsch, so viel Zeit wie möglich
daheim zu verbringen und auch zu Hause
zu sterben. Sehr oft müssen sie wegen
quälender
Schmerzen
kurz
vor
Lebensende doch wieder ins Spital.
Darum hat die Abteilung Schmerztherapie des Universitätsspitals Basel dieses
Jahr ein innovatives Projekt lanciert, das
hier gezielt Hilfe anbietet: Die Abteilung
Schmerztherapie /Anästhesiologie und
Spitex /Onko-Spitex Basel arbeiten neu
nach festen Regeln zusammen, sodass
selbst komplizierte Schmerztherapien
nun in der Stadt Basel auch zu Hause
angeboten werden können, Hand in
Hand mit dem Hausarzt oder Onkologen
und der Onko-Spitex. Ganz wichtig ist
dabei, die Angehörigen zu stützen, welche meist die Hauptlast der Pflege zu
Hause tragen. Das Team möchte alle Patientinnen und Patienten erreichen, die
eine solche Unterstützung nötig hätten,
und ihnen in dieser schwierigen
Lebensphase helfen und mehr Lebensqualität erhalten.
PD Dr. med.
Wilhelm Ruppen
Leitender Arzt
Schmerztherapie
Schonend bestrahlen.Bei Doris F.
(61) wurde vor zwei Monaten ein
1,5 Zentimeter kleiner Tumor im oberen
äusseren Bereich der linken Brust
entdeckt und nach Probeentnahme die
Diagnose Brustkrebs bestätigt. Die
brusterhaltende Operation verlief ohne
Komplikationen, und Doris F. stellt sich
für eine Strahlentherapie der linken
Brust bei uns in der Klinik vor. Aus den
detaillierten Unterlagen geht hervor,
Das Wadenbein als Ersatz im Kiefer
Der Schmerzdienst ist auch mobil unterwegs
Von Monika Kirsch und Wilhelm Ruppen
Das Fallbeispiel
PhD, RN
Monika Kirsch
Pflegeexpertin
Hämatologie
So sind wir erreichbar
Der mobile Schmerzdienst betreut
Patientinnen und Patienten in BaselStadt im Verbund mit Spitex und
Onko-Spitex. Bei Interesse und Bedarf
wenden Sie sich bitte per Mail an
[email protected] oder wählen
werktags zwischen 8 und 17 Uhr unser
Pikett-Natel: 079 812 61 37.
Hightech.Im Voraus wird geplant, wie aus dem Wadenbein passende Stücke
samt Blutversorgung für die Lücken rekrutiert werden können.Foto Universitätsspital Basel
Von Claude Jaquiéry
und Jörg Beinemann
Die Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am Universitätsspital Basel bewältigt eine grosse Vielfalt von Behandlungen am Kopf. Von Fehlstellungen, Missbildungen, Wachstumsstörungen über
komplizierte unfallbedingte Verletzungen bis hin zur rekonstruktiven Chirurgie nach Tumoroperationen reicht
unser Gebiet. Als wichtiger Versorger
in der Region und Teil der universitären Medizin haben wir nicht nur breite
Erfahrung, sondern verwenden auch
modernste Techniken und entwickeln
sie weiter.
Was unsere Rolle in der Krebsbehandlung betrifft, so gilt bei uns von
Anfang an wie immer in ganz besonderem Masse ein auf das behandelte Individuum bezogenes Vorgehen. Schliesslich gilt es nicht nur, Tumoren zu entfernen, sondern dies auch so zu tun,
dass der Patient oder die Patientin wieder möglichst alle Funktionen wie zum
Beispiel die Kaufähigkeit zurückgewinnt. Sehr wichtig ist es aber auch für
uns und die Behandelten, dass das
Resultat ästhetisch befriedigt und im
wörtlichen Sinne das Gesicht des
behandelten Menschen bewahrt wird.
Denn eines ist uns aus unserer vielseitigen Arbeit sehr bewusst: Das eigene
Gesicht definiert nicht nur die Identität, es ist auch entscheidend für den
Umgang mit der Umwelt und anderen
Menschen.
Nun liegen im Kopf auf engem
Raum verschiedene Gewebe und Strukturen beieinander, die ganz verschiedene Aufgaben und Funktionen haben.
Das ergibt zwangsläufig eine komplizierte anatomische Situation, die
besonders präzises Vorgehen erfordert.
Um hier ein Maximum erreichen zu
können, beginnen wir – immer in
Absprache mit anderen an der Behandlung beteiligten Disziplinen – sehr früh
mit der Planung des Eingriffs. Gerade
wenn es darum geht, im engen Raum
der Mundhöhle einen Tumor zu entfernen, kommt es häufig vor, dass auch der
Knochen des Kiefers betroffen ist und
entfernt werden muss. Diese Leerstelle
muss wieder passgerecht repariert werden. Als Ersatz können wir heute dank
moderner Techniken und Routine eigenes Knochengewebe der Patientin oder
des Patienten «rekrutieren» und verwenden. Das können zum Beispiel für
tumorbedingt entfernte Teile eines
Unterkiefers verschiedene Stücke des
Wadenbeins sein. Das Kunststück: Die
Segmente müssen passen, sie müssen
aber immer auch mit einem Blutgefäss
und teilweise auch angeschlossenem
Hautareal transplantiert werden.
In drei Dimensionen assistiert
Um diese technisch und zeitlich
anspruchsvolle Operation perfekt vorbereiten zu können, benützen wir einen
computerisierten Helfer, der erlaubt, die
ganze Operation in drei Dimensionen
räumlich zu planen und dann auch in
der realen Operation mitzusteuern, dass
das Geplante auch 1:1 Realität wird.
In dem unserer Abteilung angeschlossenen Hightech-Forschungszentrum HFZ wird an der Verfeinerung dieser Methoden bis hin zur Planung des
passgenauen Knochenschnitts mit
Lasern, der Navigation der Instrumente
während der Operation in Echtzeit
gearbeitet. Auch die Konstruktion neuer
Instrumente, Schablonen und sogar
von Knochenersatz gehören zu den
bearbeiteten Themen. Das ist ein riesiger Vorteil für uns – und die Patienten.
In unserem Bildbeispiel geht es um
den Ersatz nach einem Eingriff am
Unterkiefer. Er wurde nötig, weil beim
betreffenden Patienten ein sogenanntes
Plattenepithelkarzinom in der Mundhöhle auch den Kiefer befallen hatte.
Im Bild wird gezeigt, wie man durch die
(in Realität dreidimensionale) Überlagerung der Bilder nachprüft, dass die
Stücke aus dem Wadenbein exakt in die
tumorbedingt geschlagenen Lücken des
Unterkiefers passen. Ist dies erwiesen,
werden sie zugeschnitten. Nach ihrer
Einpflanzung müssen sie sofort mikrochirurgisch an die Blutversorgung des
Halses angeschlossen werden.
Die heute erreichte hohe technische
Präzision und die gute planerische Vorbereitung der Chirurgen, die so im Voraus wissen, was sie erwartet, bringt
nachweislich bessere Resultate – bei
erst noch verkürzter Operationsdauer.
Prof. Dr. med.
Dr. med. dent.
Claude Jaquiéry
Leitender Arzt
Kiefer- und
Gesichtschirurgie
Dr. med.
Jörg Beinemann
HighTechForschungsZentrum HFZ
Krebs persönlich.
| Samstag, 28. Januar 2017 | Seite 8
«Es ist anstrengend, sich dem Leiden zu nähern»
Vom Training zu gutem Kommunizieren profitieren alle, sagt Psychosomatiker Alexander Kiss
Zufriedenheit der Teilnehmenden ist
hoch, unabhängig davon, ob sie freiwillig kamen oder ob sie teilnehmen
mussten.
Prof. Dr. med. Alexander Kiss, von Haus
aus Gastroenterologe, ist Leiter der Psychosomatik am Universitätsspital Basel
und hat in nationalen Gremien mitgearbeitet, um Trainingsmodelle aufzustellen, die es in der Krebsmedizin tätigen
Ärztinnen und Ärzten erlauben, ihre
Fähigkeiten in der Kommunikation mit
Patienten zu verbessern. Das «Swiss
Communication Skills Training», unterstützt von der Krebsliga, ist seit 2006 für
Fachärzte der Onkologie in der Schweiz
obligatorisch.
Wie geht das denn vor sich?
Wir arbeiten in kleinen Gruppen zu
4 bis 6 Personen. Kommunikation
muss man selber üben, nur vom
Zuschauen lernt man das nicht. Ausgangspunkt sind die eigenen schwierigen Gesprächssituationen der Teilnehmenden. Manche halten Pausen
im Gespräch mit Patienten gar nicht
gut aus, obwohl diese wichtig sind,
damit der Patient seine eigenen
Anliegen zur Sprache bringen kann.
In kurzen Rollenspielen kann der
Teilnehmer erleben, wie es ist, wenn
er als «Patient» nicht «zugetextet»
wird, oder als Onkologe, wie durch
die Pausen aus einem Monolog ein
Dialog mit dem Patienten entsteht.
Jeder Teilnehmer entscheidet für
sich, ob und welche Gesprächstechniken er in der Praxis «ausprobieren» möchte und, wenn es funktioniert, in seine Gesprächsführung
übernimmt.
BaZ: Professor Kiss, warum braucht es
ein spezielles Kommunikationstraining
für Krebsärztinnen und -ärzte?
Alexander Kiss: Die häufigste Klage
von Patienten ist: «Mein Arzt hört mir
nicht zu, und was er mir erklärt, versteh ich nicht.» Man sollte als Arzt
sowohl eine medizinische, aber auch
eine psychosoziale Kompetenz haben,
nämlich mit Patienten gut zu kommunizieren. Es ist wichtig, mit ganz
unterschiedlichen Patientinnen und
Patienten passend umzugehen. Der
eine Patient kommt zum Arzt wie zu
einem Automechaniker, der nächste
Patient erwartet etwas ganz anderes.
Er kommt schon weinend herein und
erwartet, dass sein Leid von der Ärztin wahrgenommen und vielleicht
auch geteilt wird. Die nächste Patientin will ganz sicher ihre Emotionen
nicht mit dem Arzt teilen, das tut sie
lieber mit ihrem Mann.
«Heute ist man bei der
Information ehrlicher,
das hat aber auch
Probleme gebracht.»
Was soll erreicht werden?
Der Patient soll verstehen, was er hat.
Meist will er wissen, wie es weitergeht. Solche Gespräche gut zu führen, kann man auch lernen. Im
Gespräch führt meist der Arzt. Bei
bestimmten Gesprächsabschnitten
sich vom Patienten «führen» zu lassen, fällt manchen Ärzten schwer.
Wenn der Patient fragt, wie geht es
jetzt weiter, dann geht es um Informationsvermittlung von Seiten des
Arztes und wenn der Patient sagt, oh
Gott, wie soll ich das schaffen, geht es
ums Zuhören und Umgang mit den
Emotionen des Patienten. Die Themen des Patienten können im
Das Gespräch mit dem Patienten ist
auch für den Arzt anstrengend?
Alexander Kiss:«Gute Kommunikation ist eine Fähigkeit, die man als Arzt haben muss und auch trainieren kann.» F oto USB
Gespräch rasch wechseln und es ist
nicht immer einfach, sich dem Tempo
des Patienten anzupassen.
Schlechte Nachrichten zu überbringen
belastet auch den Arzt ...
... ausser er freut sich am Leid anderer, dann wäre er ein Sadist. Tatsächlich ist es nicht angenehm, manchmal peinigend, Menschen etwas zu
sagen, was grosses Leid verursacht
und oft ihr Leben und ihre Zukunftsperspektiven nachhaltig durcheinander bringt.
Früher hat man zurückhaltend informiert, um Patientinnen und Patienten
scheinbar so wenig wie möglich zu
belasten. Heute ist man direkter. Das
kann dann auch brutal wirken.
Heute ist man tatsächlich ehrlicher.
Das hat aber auch Probleme gebracht.
Früher hat man die Leute «geschont».
Das war scheinbar einfacher, viele
haben trotzdem die Wahrheit erfahren oder geahnt. Was nicht immer
vertrauensfördernd war.
Heute ist man schon vom Gesetz her
verpflichtet zu informieren. Das kann
eine Gratwanderung sein. Einerseits
muss ich dem Patienten die notwen-
digen Informationen geben, anderseits muss ich hellhörig sein, was und
wie viel er überhaupt hören kann und
will. Viele Menschen können schwer
Hoffnung konstruieren, wenn man
hartnäckig danach fragt, ob sie jetzt
verstanden haben, dass sie bald tot
sind. Das ist grausam und ein falsches
Verständnis von Wahrheit. Besser
wäre es zu vermitteln, dass ihre
Lebenszeit begrenzt ist und das Ziel
der Therapie darin besteht, mehr Zeit
und mehr Lebensqualität zu gewinnen, man sie aber nicht heilen kann.
Sie meinen, es gibt verschiedene Arten,
mit der Wahrheit umzugehen?
Es beschäftigt mich, wie man Menschen die Wahrheit sagen kann, ohne
sie noch zusätzlich durch das eigene
Verhalten bei der Mitteilung zu schädigen. Den Mechanismus der Verdrängung kennen wir alle. Das ist ein Weg,
mit Dingen, die unerträglich scheinen,
umzugehen. Gegen diesen Umgang
müssen wir nur angehen, wenn
dadurch wichtige therapeutische
Massnahmen vernachlässigt werden.
Man kann als Patient immer damit argumentieren, dass man zu den vielleicht
wenigen Glücklichen gehört, die davonkommen und der Statistik entwischen?
Bleiben die guten Effekte in der Praxis
erhalten?
«Verdrängung ist ein
Weg, mit Dingen, die
unerträglich scheinen,
umzugehen.»
Der Arzt wird zum Partner des Patienten?
So ist es. Wir sind schlecht in der Prognose (Vorhersage) für den Einzelfall, aber gut für grosse Patientengruppen mit gleichen Risikoeigenschaften, wo wir sagen können, wie
viele nach fünf Jahren noch leben
werden, aber halt nicht wer.
Haben die Ärztinnen und Ärzte überhaupt Zeit, das Gespräch zu trainieren?
Da könnte man auch fragen, haben
die Chirurgen Zeit, ihr Handwerk zu
lernen? Gute Kommunikation ist eine
Basisfähigkeit, die man als Arzt und
Ärztin haben sollte und die man auch
trainieren kann. Wenige Ärzte sind
hochbegabt, brauchen eigentlich kein
Training, einige lernen kaum etwas
durch das Training, aber die meisten
profitieren von diesen Kursen. Die
Programm
GEMEINSAM
MEHR
CHANCEN
Medizin.
«Personalisierte »
as?
Was bedeutet d
unispital-basel.ch/tumorzentrum
10.00 Uhr
Begrüssung durch den Schirmherrn
Bernhard Heusler
10.10 Uhr
Einleitung durch den Vorsitzenden des Tumorzentrums
Prof. Dr. Christoph Rochlitz
10.35 Uhr
Tumoranalyse durch den Pathologen –
Voraussetzung für eine gezielte Krebstherapie
Prof. Dr. Lukas Bubendorf
10.50 Uhr
Forschung für eine individualisierte Medizin der Zukunft
Prof. Dr. Viola Heinzelmann
11.05 Uhr
Von der detaillierten molekularen Diagnose
zur zielgerichteten onkologischen Therapie
PD Dr. Sacha Rothschild
anschliessend: Erfahrungen eines Patienten
Musikalisches Intermezzo
Mittagspause und Informationsstände
13.00 Uhr
Die Rolle der Genetik in der personalisierten Medizin
Prof. Dr. Sven Cichon
13.15 Uhr
Palliative Care – dem Leben mehr gute Tage geben
Dr. Sandra Eckstein
13.30 Uhr
Gezielt gegen Krebs mit dem eigenen Immunsystem
Dr. Heinz Läubli
13.45 Uhr
Psychoonkologie: von Krankengeschichten zu Lebensgeschichten
Dr. phil. Diana Zwahlen
Kaffeepause an den Informationsständen
14.30 Uhr
Basel Brustkonsortium BBC –
Plattform für personalisierte Brustkrebsforschung
Prof. Dr. Walter Weber
14.45 Uhr
Seelsorge
Gudrun Dehnert, Valeria Hengartner
15.00 Uhr
Aus dem Leben gerissen – Ein Dialog zwischen Betroffenen und Pflege
Dr. Monika Kirsch, Sabine Degen Kellerhals
anschliessend: Erfahrung eines Patienten
Ja, es ist anstrengend in die Nähe des
Leidens und Elends zu kommen.
Nicht nur für Ärzte.
Ja. Damit der Effekt nachhaltig ist,
rufen wir die Teilnehmenden nach
dem Kurs 4- bis 6-mal in den folgenden
Monaten an. Wir fragen, was hast du
vom Kurs ausprobiert, wie hat es funktioniert (oder auch nicht) und vereinbaren ein neues konkretes Ziel für die
Gesprächsführung für das nächste
Telefongespräch. Diese Feedbacks verstärken den Effekt des Kurses.
Nein, partnerschaftlich ist meiner
Meinung nach das Verhältnis zwischen Patient und Arzt nicht wirklich.
Der Arzt ist gesund und hat das Wissen. Der Patient ist krank und weiss –
zumindest am Anfang – nichts oder
wenig. Die Ärztin oder der Arzt kann
aber die Bedingungen schaffen, dass
der Patient auf Augenhöhe angesprochen ist. So kann der Patient sich mit
seinen Werten und Präferenzen in
den Entscheidungsprozess einbringen und daran partizipieren.
Die Fragen stellte Martin Hicklin
Krebs-Infotag:
4. Februar 2017
Am 4. Februar 2017 laden wir Betroffene, Angehörige und Interessierte dazu ein, sich über die
neusten Erkenntnisse zum Thema Krebs zu informieren und die Angebote unseres Zentrums
kennenzulernen.
Mit Vorträgen rund um das Schwerpunktthema
«Personalisierte Medizin. Was bedeutet das?»
sowie Informationsständen aus allen Bereichen
bieten wir Ihnen die Möglichkeit zum Austausch.
Fachpersonen der Organtumorzentren, der
Querschnittsbereiche sowie der unterstützenden
Angebote stehen Ihnen bei Fragen für ein
persönliches Gespräch zur Verfügung.
Der Eintritt ist frei.
Samstag, 4. Februar 2017, 10 –16 Uhr
ZLF (Zentrum für Lehre und Forschung)
Hebelstrasse 20, 4031 Basel
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