adjustierbares band-system bei inkontinenz

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U r ol o g ie
Adjustierbares Band-System
bei Inkontinenz
Etwa 30–45 Prozent der
Menschen ab 50 sind von
Harninkontinenz betroffen,
etwa acht bis zwölf Prozent
davon sind Männer. Die
Dunkelziffer bei Männern
dürfte jedoch wesentlich höher
liegen.
PD Dr. M. Raschid Hoda
Prof. Dr. Paolo Fornara
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H
arninkontinenz ist nicht nur ein
hygienisches, sondern auch ein soziales Problem, weil sich viele
Betroffene durch die Erkrankung völlig aus
dem sozialen Leben zurückziehen. Trotzdem
ist Harninkontinenz, gerade bei gesellschaftlich integrierten Menschen, ein Thema über
das nicht gern öffentlich gesprochen wird.
Auch in der heutigen Zeit unterliegt dieses
Krankheitsbild vielen Vorurteilen und stellt
für die betroffenen Patienten eine große psychische Belastung dar. Die sogenannte Belastungsinkontinenz (d.h. unfreiwilliger Harnabgang) beim Mann kann vor allem als Folge
von Prostataoperationen oder Bestrahlung
im kleinen Becken auftreten. Die Prävalenz
der Belastungsinkontinenz (BI) nach radikaler Prostatektomie hängt zwar von der Definition und Bewertungsmethoden ab, stellt jedoch mit in der Literatur berichteten Rate von
4–50 Prozent eine bedeutende Komplikation
dieser Operation dar.
Diagnostik richtet sich nach
der Klinik
Die Grundlage der Diagnostik der Belastungsinkontinenz beim Mann (aber auch bei der
Frau) bildet die Anamnese und die klinische Untersuchung. Der Schweregrad der Belastungsinkontinenz wird klinisch anhand vom Ausmaß
des unwillkürlichen Urinabganges bei Erhöhung
des intraabdominellen Druckes in drei Graden
(nach Ingelmann-Sundberg) eingeteilt:
Grad I
Harnabgang nur in aufrechter Körperhaltung
bei starker körperlicher Belastung (Niesen,
Husten, schweres Heben)
Grad II
Harnabgang in aufrechter Körperhaltung bei
leichter körperlicher Belastung (Treppensteigen, Aufstehen aus der Hocke)
Grad III
Unwillkürlicher Harnabgang auch ohne Belastung und im Liegen
U r ol o g ie
K o n t ak t
Universitätsklinikum Halle (Saale)
Universitätsklinik und Poliklinik
für Urologie und
Nierentransplantationszentrum
PD Dr. M. Raschid Hoda
Telefon: (0345) 557-1801
Telefax: (0345) 557-4692
[email protected]
Therapie-Strategien
Ziel der Therapie der Belastungsinkontinenz ist die Verbesserung der Kontinenz,
Wiederherstellung der sozialen Kompetenz und
Steigerung der Lebensqualität. Leichte Grade von BI in der frühen postoperativen Phase
kann durch Beckenboden-Übungen, Physiotherapie und Biofeedback verbessert werden. Allerdings, wenn konservative Therapien scheitern und der Therapiewunsch stark ist, werden
den Patienten in der Regel eine operative Behandlung vorgeschlagen. Die Behandlungsmöglichkeiten umfassen die Verwendung von
externen Auffangvorrichtungen, Penis-Klemme, periurethraler Injektion von Füllmaterialen, künstlichem Sphinkter, und pubo-urethralen Schlingen. Bis heute gilt die künstliche
Schließmuskelprothese als die „Goldstandard“Lösung für operative Therapie der Inkontinenz
nach Prostatektomie, mit Erfolgsquoten von
50 bis 80 Prozent. Bedingt durch relativ häufige Komplikationen und die hohen Kosten ist
die Akzeptanz dieser Methode bei den Betroffenen und Urologen gering. In den letzten Jahren
wurden verschiedene minimal-invasive Bandsystems als Behandlungsoption für BI beim
Mann eingeführt worden. Die berichteten Erfolgsraten für Bändern variieren von 50 bis 80
Prozent.
ATOMS: Adjustierbares Bandsystem
Bundesweit Vorreiterrolle
An der Klinik und Poliklinik für wird seit
2009 ein neues adjustierbares Bandsystem zur
Behandlung der Belastungsinkontinenz bei
Männern eingesetzt. Basierend auf den Erfahrungen aus der Urogynäkologie, wo seit Jahrzehnten Bänder als TVT zur Behandlung von
weiblicher Inkontinenz eingesetzt werden,
zeichnet sich dieses neuartige „Männer-Band“
(Adjustable Transobturator Hydraulic Male
System; ATOMS®) durch die Möglichkeit der
Adjustierung auch Monate und Jahre nach der
Operation ab. Das ATOMS-Implantat als Ganzes besteht aus mehreren miteinander verbundenen Einzelteilen. Von zentraler Bedeutung
sind das Ersatzkissen, der Port und der Portkatheter. Das Implantat wird in minimal-invasiver Operationstechnik symmetrisch um die
Harnröhre mit Fixations-Netzarmen an vier
Punkten fixiert. Diese werden bis zur Mitte
des Implantats zurückgeführt, um das System
zu befestigen. Dadurch werden keine zusätzlichen Verankerungen bzw. Schrauben benötigt.
Dennoch ist eine anatomische, symmetrische
Vier-Punkt Fixation gewährleistet. Das mehrteilige System zeichnet sich dadurch aus, dass
alle Systemkomponenten komplett hydraulisch arbeiten. Defekte mechanischer Komponenten werden dadurch im Langzeitverlauf
vermieden. Durch den gleichmäßig verteilten
sanften Druck des Kissens wird physiologische
Miktion ermöglicht. Nach rund drei Wochen
wird das implantierte Ersatzkissen, welches
einseitig – das ist ein Novum – auf die Harnröhre drückt, mittels Portkatheter-Verbindung
mit einer Kochsalz-Kontrastmittel-Mischung
gefüllt. Eine Justierung ist damit jederzeit
durch den Port ohne chirurgisches Vorgehen
möglich.
Die Klinik und Poliklinik für Urologie hat
in Deutschland die Vorreiterrolle bei der Implantation dieses Systems. Aus diesem Grund
veranstaltet sie auch in regelmäßiger Abfolge OP Workshops zu diesem Thema, wo interessierte Kollegen aus dem gesamten Bundesgebiet die Implantationstechnik dieses
Systems hier erlernen. Insgesamt 64 Patienten mit einem Durchschnittsalter von 69,4
(55–86) Jahren wurden von unserer Klinik zwischen November 2009 bis Dezember 2011 mit
dem ATOMS-System versorgt. Die häufigste Indikation für die Implantation war Inkontinenz nach radikaler Prostatektomie (91 Prozent). Rund ein Drittel der Patienten hatten
zuvor andere Implantate zur Behandlung von
BI, die jedoch funktionslos waren. Ferner waren 31,3 Prozent der Patienten vorbestrahlt. Im
Verlauf der Nachbeobachtung nach einer mittleren postoperativen Zeit von durchschnittlich 16 Monaten war die Anzahl der benötigten
Inkontinenz-Vorlagen von präoperativ durchschnittlich 7,1/Tag auf durchschnittlich 1.2/Tag
gesunken.
Im gleichen Zeitraum kann die Erfolgsrate
dieses System mit insgesamt 92 Prozent angegeben werde, wobei 63 Prozent der Patienten
als „trocken“ (keine Vorlagen) und 29 Prozent
als „verbessert“, d.h. 1–2 Vorlagen/Tag oder
eine Abnahme der Vorlagenzahl um die Hälfte waren. Die mittlere Operationszeit beträgt
50 Minuten. Die beobachtete Komplikationen sind meist temporär und leicht behandelbar: Harnverhalt, perineale Sensibilitätsstörungen oder Schmerzen, Infektion. Mittels
spezifischer Fragbögen haben wir eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität nach der
Operation beobachtet.
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Des Kaisers neue Kleider
Die sakrale Neuromodulation (SNM) (Synonym: sakrale
Neurostimulation, SNS) wurde in den frühen 1980er Jahren durch
Tanagho und Schmidt entwickelt.
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PD Dr. Raschid Hoda, Prof. Dr. Paolo Fornara
S
ie stellt ein innovatives, minimal
invasives Therapieverfahren dar,
welches durch chronische elektrische Stimulation des Plexus sacralis physiologische Restfunktionen des Blasendetrusors,
des Beckenbodens und des anorektalen Kontinenzorgans optimal rekrutiert. Mittlerweile
ist die SNM ein etabliertes Therapieverfahren
zur Behandlung von verschiedenen Funktionsstörungen des unteren Harntraktes sowie des unteren Gastrointestinaltraktes. Eine
Vielzahl von Studien hat die klinische Effektivität dieser Technik bei Patienten mit überaktiver Blase, chronischer nicht-obstruktiver
Harnretention und bei Patienten mit Stuhlinkontinenz sowie chronischer Verstopfung
gezeigt. In den letzten Jahren, und vor allem nach der FDA-Zulassung 2006, wurden
die Indikationen erweitert, womit die sakrale Neuromodulation auch für die chronische
Schmerztherapie des kleinen Beckens zur Verfügung steht.
Wirkmechanismus der sakralen
Neuromodulation
Über den Wirkmechanismus der Neuromodulation besteht nach wie vor Unklarheit. Einige Autoren gehen davon aus, dass
der Effekt der Neuromodulation durch die
elektrische Stimulation der somatisch-afferenten Axone in den Spinalnerven erfolgt,
welche die Miktion und die Kontinenzreflexbahnen im zentralen Nervensystem modulieren. Durch die Stimulation der Sakralwurzeln
dürfte es zu einer Modulation von inhibitorischen und exzitatorischen Kontrollsystemen auf verschiedenen Ebenen des peripheren und zentralen Nervensystems kommen.
Beim imperativen Harndrang und Dranginkontinenz scheint die kontinuierliche elektrische Stimulation der Sakralwurzeln S3/
S4 eine Hemmung des Detrusors über Inhibition des Parasympathikus und eine Tonuserhöhung des Blasenhalses durch Stimulation
des Sympathikus zu bewirken. Im Gegensatz
dazu führt bei der Harnretention das vorübergehende Ausschalten des Neuromodulators zu einer Triggerung des Miktionsreflexes.
Über eine Modulation via Afferenzen könnte es durch die Stimulation der Sakralwurzeln
zu einer Normalisierung der Detrusorfunk-
tion mit Wiedererlangen der Spontanmiktion kommen. Beim chronischen Schmerzsyndrom des Beckens wird eine Besserung der
Symptomatik durch Blockade der Schmerzleitung im Tractus spinothalamicus, Aktivierung
von deszendierenden inhibitorischen Bahnen,
Vermehrung des inhibitorischen Transmitters
GABA im Hinterhorn sowie thalamokortikale, den nozizeptiven Input maskierende Mechanismen postuliert. Wahrscheinlich ist die
Wirkung der sakralen Neuromodulation multifaktoriell und sie wird vermutlich auch sehr
unterschiedlich bei den jeweiligen Patienten
sein.
Operationstechnik
Die SNM ist ein zweistufiges Verfahren.
In einer Testphase, der sogenannten perkutanen oder peripheren Nervenevaluation
(PNE), wird über Tage bis Wochen unter Führen eines Miktionstagebuches/Schmerzprotokolls der Effekt der sakralen Neuromodulation getestet. Die PNE besitzt einen sehr
hohen prädiktiven Wert, Morbidität und chirurgisches Trauma dieser Technik sind gering. Das hierdurch ermöglichte Screening
macht diese Technik einzigartig und erlaubt
eine nahezu ideale Patientenselektion. Patienten, bei denen sich die Symptomatik nach einer Testphase, deren Dauer von der Indikation abhängt – in der Urologie in der Regel
14–21 Tage, um mindestens 50 Prozent bessert, kommen für die Implantation eines permanenten Systems in Frage. Hierfür wird in
einer zweiten Sitzung in Allgemeinanästhesie
der externe Impulsgeber mit der entsprechenden Verlängerung entfernt und der einem
Herzschrittmacher gleichende Neurostimulator (InterStim®) subkutan in der Regio glutealis implantiert. Nach der Implantation des
definitiven Neurostimulators liegen die Langzeiterfolgsraten bei 70–90 Prozent. In unserer
Klinik wurden im Zeitraum vom März 2009
bis Dezember 2011, 132 Patienten einer PNETestung unterzogen. Davon hatten 106 Patienten einen >50%-igen Erfolgrate und wurden InterStim® implantiert (80.9 Prozent).
Die Erfolgsraten waren 83 Prozent bei überaktiver Blase und 89 Prozent bei Harnretention (Nachbeobachtungszeit durchschnittlich
bei 18.2 Monate).
Als Kontraindikationen für die sakrale Neuromodulation gelten anatomische Veränderungen des Os sacrum wie Spina bifida,
Sakralagenesie, Traumaresiduen, Stressinkontinenz, eine anatomische Blasenkapazität
unter 150ml, Gravidität, nicht abgeschlossenes Körperwachstum und mangelnde Patienten-Compliance. Die Komplikationsrate der
sakralen Neuromodulation liegt gegenwärtig bei 3 bis 20 Prozent. Als Komplikationen
können Schmerzen im Bereich der Elektroden oder des Neurostimulators, Elektrodendislokationen oder Elektrodenbrüche sowie
Infektionen auftreten. Diese können im weiteren Verlauf die Explantation des Systems
erforderlich machen (berichtete Explantationsrate bei fünf bis zehn Prozent). Bei einer Infektion im Bereich des Neurostimulators, welche auch einige Wochen bis Monate
nach erfolgreicher Implantation noch auftreten kann, ist nahe zu immer die Entfernung
des gesamten Systems erforderlich. Nach Abheilen der Wunde kann ein problemlos neuer Neurostimulator implantiert werden. Bei
Neurostimulationsträgern sind Hochfrequenzwärmetherapie und die unipolare Elektrokauterisation kontraindiziert (bipolare
Elektrokauterisation ist erlaubt). Eine MRUntersuchung beim Neurostimulationsträger
ist beim ausgeschalteten Stimulator problemlos. Die Lebensdauer der Batterie des Aggregats beträgt zwischen fünf und zehn Jahren,
abhängig von der notwendigen Stimulationsintensität. Neben dem chirurgischen Eingriff
stellen die Abklärung, die Indikation und die
postoperative Betreuung maßgebliche Aspekte der erfolgreichen Therapie dar.
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Universitätsklinikum Halle (Saale)
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