Atmosphäre am Werk II Ästhetische Philosophie Gernot Böhmes neue Ästhetik als Architekturästhetik von Karoline Fahl # 325098 3 Der Leib ist eine große Vernunft, eine Vielheit mit einem Sinne, ein Krieg und ein Frieden, eine Herde und ein Hirt. Werkzeug deines Leibes ist auch deine kleine Vernunft, mein Bruder, die du »Geist« nennst, ein kleines Werk- und Spielzeug deiner großen Vernunft.1 Friedrich Nietzsche 2 Atmosphäre am Werk 1 Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Ein Buch für alle und keinen, in: Werke in drei Bänden. Zweiter Bd. München 1955, S. 275–562; hier: S. 300. Diese Arbeit wurde als Lehrforschungprojekt am Fachgebiet für Architekturtheorie der Technischen Universität Berlin bei Prof. Jörg Gleiter im WS 2015/16 erstellt und vorgelegt. Eidesstattliche Erklärung Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Alle Ausführungen, die anderen veröffentlichten oder nicht veröffentlichten Schriften wörtlich oder sinngemäß entnommen wurden, habe ich kenntlich gemacht. Die Arbeit hat in gleicher oder ähnlicher Fassung noch keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegen. Mit meiner Unterschrift bestätige ich, dass ich über fachübliche Zitierregeln unterrichtet worden bin und verstanden habe. Die im betroffenen Fachgebiet üblichen Zitiervorschriften sind eingehalten worden. Eine Überprüfung der Arbeit auf Plagiate mithilfe elektronischer Hilfsmittel darf vorgenommen werden.^ Karoline Fahl, Matrikelnummer: 325098 4 9 Atmosphäre am Werk Inhalt I Einleitung 7 Atmosphäre-Diskurs 7 — Ästhetisierung 7 — Ästhetische Ökonomie 8 — Architektur und neuer Humanismus 8 — Struktur der Arbeit 9 15 II Ästhetische Philosophie 13 Ästhetische Reflexion 13 — Ästhetischer Gegenstand 14 — Kurze Genealogie der Ästhetik 14 17 1Alexander Gottlieb Baumgarten: Erste Ästhetik 15 Sinnlichkeit 15 — Wahrheit der Erkenntnis 15 — Klarheit der Erkenntnis 16 — Schönheit der Erkenntnis 16 — Schönheit und Kunst 17 20 2Immanuel Kant: Klassische Ästhetik 17 Transzendentale Ästhetik und Erkenntnis 17 — Urteilsästhetik und Schönheit 18 — Schönheit und Kunst 19 22 3Gernot Böhme: Neue Ästhetik Ökologische Naturästhetik 20 — Rezeptionsästhetik: Wahrnehmung, Leib und Befindlichkeit 21 — Produktionsästhetik: Ontologie, Ding und Ekstasen 21 29 III Ästhetischer Raum und Atmosphäre Avantgarde und neue Ästhetik 26 — Atmosphäre und Sprache 26 31 1Ästhetischer Raum und Atmosphäre 19 25 26 32 2Ko-Präsenz Atmosphären und Atmosphärisches 28 28 33 3Bestimmung am Subjektpol Wirklichkeit und Realität 29 — Leibliches Befinden und Betroffensein 29 — Ingression und Diskrepanz 30 — Charaktere 30 28 36 4Bestimmung am Objektpol Ekstasen 31 — Erzeugende 31 31 II Ästhetische Philosophie 41 42 IV Ästhetische Arbeit und Architektur 1Peter Zumthors Therme in Vals 35 36 2Dinge 42 Ort: Berg, Quelle 37 — Material: Stein, Wasser, Licht 38 — Konstruktion: Massivbau 38 — Form 39 — Symbole 39 36 46 3Leib Eintauchen 40 — Abtauchen 41 — Auftauchen 42 39 50 42 53 4Ästhetischer Raum und Ko-Präsenz VDiskussion 45 Architetur, Wahrheit und Werk 45 — Das architektonische Ganze und die Atmosphäre 46 — Atmosphere is my style 47 — Atmosphärekompetenz 47 56Literatur 50 5 I I Einleitung Einleitung Die Arbeit beginnt mit einer Einleitung, die vor allem dazu dienen soll, die Relevanz für die Beschäftigung mit Gernot Böhmes Theorie einer neuen Ästhetik aus architektonischer Perspektive herauszuarbeiten. Das ist jedoch nur zu bewerkstelligen, wenn einige Begriffsklärungen bereits vorangestellt werden. So richtet sich die Einleitung an den Begriffen Ästhetik, Ästhetisierung und ästhetische Ökonomie aus und gibt einen erste Orientierung. Sie schließt mit einem Überblick über die Struktur der Arbeit. Atmosphäre-Diskurs Peter Zumthor hält 2003 einen Vortrag, welcher unter dem Titel „Atmosphären“1 2006 veröffentlicht wird. In dem Einband stellt er eine Aussage des Malers Willem Turner an John Ruskin als Zitat voran: „Atmosphere ist my style“. Mit dieser Haltung trifft Zumthor einen Zeitgeist in der Architektur. Marc Wigley fasst zusammen: „Der Begriff der Atmosphäre stört den Architektur-Diskurs – er verfolgt diejenigen, die versuchen, ihm zu entkommen, und entgeht denjenigen, die ihm hinterherjagen.“2 Gernot Böhme ist die Jagd nach der Atmosphäre trotzdem angetreten. Der Philosoph legt Anfang der 1990er Jahre eine philosophische Ästhetik vor, die sich auf das Phänomen der Atmosphäre gründet. 2006 veröffentlicht Gernot Böhme „Architektur und Atmosphäre“3 . Ein Vorabdruck der Einleitung erscheint zeitgleich in der Architekturzeitschrift Arch+ 1784 . Das Heft widmet sich dem Thema der Produktion von Präsenz und führt Böhmes Atmosphäre-Begriff in Architektur und Städtebau ein. Die breite Rezeption wird durch Fachvorträge, Symposien und die letzte Ausgabe von Daidalos „Konstruktion von Atmosphären“5 begleitet. Die Aufmerksamkeit, die dadurch für die Atmosphäre geschaffen wurde, beeinflusst in der Folge nachhaltig den ästhetischen Diskurs in der Architektur. Seit dem geht ihr Geist um. „Was leistet nun die neue Ästhetik für die ästhetische Praxis? Die erste und allgemeinste Funktion der Ästhetik ist die Erweiterung der Sprachfähigkeit.“6 Zu diesem Zweck fixiert Böhme Atmosphäre als ästhetischen Grundbegriff. Was aber kann die neue Ästhetik von dort aus als Architekturästhetik leisten? Ästhetisierung Ästhetik wird als Teildisziplin der Philosophie zugeordnet. In der Philosophie besetzt die Ästhetik den Bereich um das „Wissen vom Sinnenhaften“7. Der Kunstkritiker Hermann Sörgel fasst den Erkenntnisgegenstand der Ästhetik Anfang des 20. Jahrhunderts wie folgt: „Die Erforschung des Phänomens ist die erste Aufgabe jeder Ästhetik; denn der Wahrnehmungsinhalt ist das einzig Ästhetische, was voraussetzungslos gegeben ist.“8 Und präzisiert weiter: „An dem Objekt »Haus« interessiert ästhetisch vorerst nur das Phänomen »Haus«, d.h. das wirklich, unmittelbar vom Subjekte Beobachtete. Die ästhetische Forschung wird also weder an der Realität des Objekts noch an den allgemeinen »apriorischen« Potenzen des Subjekts anzuknüpfen haben, sondern einzig und allein an dem Vorgang, der zwischen beiden stattfindet; weder das Objekt noch das Subjekt haben an sich ästhetische Bedeutung.“9 Ästhetische Phänomene werden erstmals von dem 7 8 Atmosphäre am Werk Philosophen Alexander Gottlieb Baumgarten Mitte des 18. Jahrhunderts systematisch behandelt und in eine eigene Theorie überführt, die er als Ästhetik begründet. Später transzendiert die Ästhetik auch in andere Wissenschaftsbereiche. Vor allem die Psychologie und Soziologie widmen sich der ästhetischen Wahrnehmung und Erfahrung. Im Zuge der „Ästhetisierungs-Euphorie der Moderne“10 fragmentiert sich der Ästhetik-Diskurs in Wissenschaft und Kunst. Der Neologismus des „Ästhetischen“ versucht in seiner höchsten Unbestimmtheit die Fragmente wieder in ein Ganzes zu integrieren.11 Wolfgang Welsch findet für diese „epistemologische Ästhetisierung“12 den Begriff aesthetic turn, der auf das 20. Jahrhundert als das ästhetische Jahrhundert verweist.13 Es ist die „Zeit einer Umgestaltung auf allen Ebenen“14 und einer „prinzipiellen Ästhetisierung von Wissen, Wahrheit und Wirklichkeit“15 Ursache für den „Ästhetik-Boom“16 ist die Abwendung vom Positivismus und Objektivitätsideal der Aufklärung. Der gesellschaftliche Kontext hatte sich von Grund auf gewandelt und damit die Bedingungen ästhetischer Reflexion. Die philosophische Ästhetik rückt mit neuer Relevanz ins Zentrum der Aufmerksamkeit und steht vor einer grundlegenden Neubestimmung.17 Vor dem Hintergrund einer allgemeinen Ästhetisierung der modernen Welt gewinnt das „ästhetische Denken“ immer mehr an Bedeutung. „Ästhetisches Denken geht in seiner Wirklichkeitsdiagnostik von Wahrnehmungen und Beobachtungen aus und prüft dann reflektierend, inwieweit anhand ihrer ein Begreifen der Wirklichkeit im ganzen möglich wird.“18 Ästhetisierung beschränkt sich nicht auf den Bereich der Wissenschaft. Längst erreicht sie über Kunst, Politik und Wirtschaft auch die alltäglichsten Bereiche unseres Lebens. Paradox jedoch bleibt, dass bei aller Ästhetisierung die Sinnlichkeit abhanden gekommen ist. In unserer Welt, in der das Visuelle vorherrscht, gilt die Form der ganzheitlichen Wahrnehmung als verkommene Kulturtechnik. Hier setzt Gernot Böhmes mit seiner Kritik an der ästhetischen Ökonomie an. Ästhetische Ökonomie Für Gernot Böhme resultiert aus dem Phänomen der Ästhetisierung eine unbedingte Dringlichkeit für eine neue, zeitgemäße Ästhetik. Die Notwendigkeit rechtfertigt er über eine „Kritik der Ästhetisierung des Alltagslebens“19. Die Gefahr der Ästhetisierung geht von Machtstrukturen aus, die manipulativ auf die Lebenswelt der Individuen einwirken und ökonomische, politische, kulturelle und soziale Praxis gleichermaßen betreffen. Diese Macht zielt darauf ab, die Gefühlswelten der Menschen zu beeinflussen und zu manipulieren. Er führt den Begriff der ästhetischen Ökonomie ein und erklärt: „Kritik an der Ästhetisierung des Realen muss Kritik an der ästhetischen Ökonomie sein.“20 Die ästhetische Ökonomie bestimmt er als eine Entwicklung des Spätkapitalismus in den Dienstleistungsgesellschaften.21 Der Strukturwandel und die Tertiarisierung der Arbeitswelt haben dazu geführt, dass der Bereich der ästhetischen Arbeit an Bedeutung gewinnt. Das betrifft vor allem Werbung, Medien, Design, aber auch Architektur und Städtebau.22 Der Bereich der ästhetischen Arbeit etablierte sich vor dem Hintergrund, dass die Wirtschaft nicht mehr nur auf die Produktion von Waren ausgerichtet war, sondern auf die Inszenierung derselben.23 Das Resultat nennen Kritiker eine Welt des Scheins, in die sich das gesellschaftliche Leben zu Ungunsten einer Welt des Seins mehr und mehr verlagert. Aufgabe einer allgemeinen Theorie der Ästhetik als kritische Theorie der ästhetischen Ökonomie ist es, so die Schlussfolgerung, „den Einzelnen der Manipulation seiner Gefühle zu entreißen und ihm die Freiheit zurückzugeben“24 Architektur und neuer Humanismus Auch im Feld der Architektur hat der aesthetic turn seine deutlichen Spuren hinterlassen. Für Böhme zeigt sich in der postmodernen Architektur die Kehrseite der Ästhetisierung. Sie „erweist sich (...) als ein Produkt ästhetischer Ökonomie.(...) Ihre Funktion besteht darin, Szenisches zu schaffen – im Wesentlichen Szenen für den Konsum. (...)Architektur wird zum Teilgebiet der Warenästhetik.“25 Böhmes Diagnose lautet: „Architektur und Design arbeiten an der Welt des Ausdrucks, der Welt der Oberfläche oder des Image, die heute die Realität dominiert, und so sind sie zugleich mitverantwortlich für die Verdrängung der Realität.“26 Böhmes Kritik an der Architekturproduktion zielt insbesondere auf die postmoderne Praxis als Symptom einer Welt des Scheins, welche sich von der Welt des Seins entkoppelt hat. Las Vegas steht dafür prototypisch. Was Venturi positiv die „Architektur der Verführung“27 nennt, diskreditiert Jürgen Habermas als neokonservatives Kulissenwesen28 . Peter Zumthor analysiert das postmoderne Leben wie folgt: „Die Welt ist voll von Zeichen und Informationen, die für Dinge stehen, die niemand vollauf versteht, weil auch diese sich letztlich wiederum nur als Zeichen für andere Dinge erweisen. Das wahre Ding bleibt verborgen. Niemand bekommt es je zu sehen.“29 Die Kritik lautet, die Postmoderne agiert auf der Ebene von Realität, nicht von Wirklichkeit. Böhme liefert demgegenüber eine Ästhetik der I Einleitung Wirklichkeit, welche die Ästhetisierung als Produktivkraft deutet und einen neuen Humanismus auch in der Architektur verspricht.30 Dieser neue Humanismus wendet sich vom Anthropozentrismus der Moderne ab, die den Menschen als von der Welt unterschiedenes Wesen begriffen hatte, und lenkt die Aufmerksamkeit auf das Konzept „[…] eines von Grund auf weltverbundenen Wesens (inmitten der Gemeinschaftlichkeit alles Seienden) […].“31 Die neue Ästhetik appelliert an die Verantwortung für die Wirkungsmacht ästhetischer Arbeit, zu der er auch die Architektur zählt. Wahrnehmungs- und Produktionsgegenstand der neuen Ästhetik ist die Atmosphäre. Die Atmosphäre als Paradigma einer neuen Ästhetik transzendiert die Grenzen der klassischen Ästhetik und greift bis in die aller alltäglichsten Sphären hinein. Mit der Atmosphäre gibt Böhme der Architektur einen Begriff, mit dem eine produktive Ästhetik möglich wird. Der ästhetische Raum wird konstitutiv für die architektonische Erfahrung und die Architekturproduktion gleichermaßen. Von dort aus wird gefragt, was die neue Ästhetik als Architekturästhetik leisten kann und wo ihre Grenzen liegen. beschrieben. Der dritte Teil fasst eine Rückschau auf die neue Ästhetik von Gernot Böhme aus der Perspektive der ästhetischen Praxis. Hier wird die Therme in Vals von Peter Zumthor als ästhetisches Lehrstück herangezogen und an ihm Böhmes Atmosphäre-Begriff nachvollzogen. Die Therme schafft zugleich einen Zugang zu dem ästhetischen Denken des Architekten, welcher zuweilen über die neue Ästhetik Böhmes in Richtung einer Werkästhetik im Bereich der Architektur hinaus denkt. Die Arbeit schließt mit einer Diskussion, die gleichsam als Plädoyer für das Schöne und die Kunst gelesen werden kann. Gernot Böhmes neue Ästhetik wird mit Unterstützung von Heideggers Werk-Begriff und mit Blick auf eine Architekturästhetik kritisch diskutiert. Hier zeigen sich die Grenzen seiner Theorie für die Architekturpraxis und der Suche nach einer wie auch immer gearteten ästhetischen Wahrheit, die hinausführt aus der Beliebigkeit architektonischen Schaffens. Lässt Nietzsches „Erkenntnis, daß auch das Gewordene wahr sein kann“33 auf eine architektonische Wahrheit hoffen? Struktur der Arbeit Die Arbeit ist in drei Teile gegliedert. Der erste Teil beginnt mit der Verortung der ästhetischen Philosophie von Gernot Böhme. Die neue Ästhetik wird der ersten Ästhetik von Alexander Gottlieb Baumgarten gegenübergestellt, in dessen Tradition Böhme seine neue Ästhetik stellt und mit der klassischen Ästhetik von Immanuel Kant konfrontiert, zu der Böhme in großem Widerspruch steht. Vordergründig ist das ästhetische Denken, welches den Theorien zugrunde liegt, ihre philosophischen Grundannahmen und Implikationen, sowie die Bedingungen ihrer Entstehung (metaphysisch, anthropologisch, ökologisch). Der zweite Teil vertieft den Atmosphäre-Begriff, wie er von Gernot Böhme mit Rückgriff auf die Phänomenologie von Hermann Schmitz ausgearbeitet wurde. Dass Böhme die Atmosphäre zum Grundbegriff seiner neuen Ästhetik erhebt, zeugt von der eingangs erwähnten epistemologischen Ästhetisierung. Hier nun steht das Ästhetische in seiner Eigenwirklichkeit und seinem Eigenwesen als ästhetischer Gegenstand im Zentrum einer neuen Ästhetik. Vor dem Hintergrund einer Architekturästhetik wird der Zusammenhang von ästhetischem Raum (Ernst Cassirer) und Atmosphäre (Gernot Böhme) herausgestellt, jene „entscheidenden Begriffe, die die Architektur und den menschlichen Leib zu vermitteln versprechen.“32 Anschließend wird die Atmosphäre von ihrer Ding- und Leib-Seite her 1 Zumthor, Peter: Atmosphären. Architektonische Umgebungen. Die Dinge um mich herum, Basel 2006. 2 Wigley, Marc: Die Architetur der Atmosphäre, in: Daidolos /68 (1998), S. 18–27; hier: S. 18. 3 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre, 2. korrigierte Aufl. 2013, München 2006. 4 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre, in: ARCH+ /178 (2006), S. 42–45. 5 Konstruktion von Atmosphären/ Constructing Atmospheres (Daidalos/ 68), Hrsg. v. Gerhard Auer/Ulrich Conrads, Gütersloh 1998. 6 Böhme, Gernot: Aisthetik. Vorlesungen über Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre, München 2001, S. 177. 7 Welsch, Wolfgang: Ästhetisches Denken, 7. Aufl. Stuttgart 2010, S. 10. 8 Sörgel, Herman: Einführung in die Architektur-Ästhetik. Prolegomena zu einer Theorie der Baukunst, München 1918, S. 70. 9 Ebd., S. 69. 10Welsch, Wolfgang: Ästhetisches Denken [wie Anm. 7], S. 7. 11 Wildermuth, Armin: Ästhetik - Zwischen Philosophie und künstlerischer Praxis, in: Die Aktualität des Ästhetischen, Hrsg. v. Wolfgang Welsch, München 1993, S. 373–397, hier: S. 375. 12 Welsch, Wolfgang: Grenzgänge der Ästhetik, Stuttgart 1996, S. 96. 13 Ebd. 14 Welsch, Wolfgang: Ästhetisches Denken [wie Anm. 7], S. 218. 9 10 Atmosphäre am Werk 15 Welsch, Wolfgang: Grenzgänge [wie Anm. 12], S. 96. 16 Welsch, Wolfgang: Ästhetisches Denken [wie Anm. 7], S. 13. 17 Barck, Karlheinz: Ästhetik/ästhetisch, in: Ästhetische Grundbegriffe, Absenz-Darstellung, Hrsg. v. Karlheinz Barck/Martin Fontius/Dieter Schlenstedt/u. a. Erster Bd. Stuttgart/ Weimar 2000, S. 308–383, hier: S. 310. 18 Welsch, Wolfgang: Ästhetisches Denken [wie Anm. 7], S. 223. 19 Böhme, Gernot: Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik, Frankfurt/Main 1995, S. 43. 20 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 6], S. 183. 21 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre [wie Anm. 3], S. 48. 22 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 6], S. 22. 23 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 19], S. 45. 24 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 6], S. 183. 25 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre [wie Anm. 3], S. 10. 26 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 19], S. 18. 27 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre [wie Anm. 4], S. 42. 28 Welsch, Wolfgang: „Postmoderne“. Genealogie und Bedeutung eines umstrittenen Begriffs, in: „Postmoderne“ oder der Kampf um die Zukunft. Die Kontroverse in Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft, Hrsg. v. Peter Kemper, Frankfurt/Main 1988, S. 9–36, hier: S. 22. 29 Zumthor, Peter: Architektur Denken, Basel 2006, S. 16. 30 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre [wie Anm. 4], S. 44. 31 Welsch, Wolfgang: Ästhetisches Denken [wie Anm. 7], S. 227. 32 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre [wie Anm. 4], S. 44. 33 Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie, Frankfurt/Main 1970, S. 12. 12 Atmosphäre am Werk II II Ästhetische Philosophie Ästhetische Philosophie Die Ästhetik als philosophische Disziplin verdankt ihre Entstehung einem Kulturwandel, der mit einer allgemeinen Hinwendung zum Subjekt beschrieben werden kann. Das 18. Jahrhundert ist das Jahrhundert des Menschen und seinem Vermögen zum Wahren, Schönen und Guten. Hintergrund und Motiv der Aufklärung ist die Bildung des ganzen Menschen und ihr Ziel der „felix aestheticus“1, der glückliche Ästhetiker. Damit ist Ästhetik „nicht bloß irgendeine neue wissenschaftliche Disziplin der Aufklärung, sondern eine ihrer größten Hoffnungen. Am ästhetischen Wesen sollen - ab etwa 1750 - Mensch und Welt genesen.“2 Die Rede von der Ästhetik beginnt vor allem als eine Kritik am Hyperrationalismus oder „cartesianischen Logozentrismus“.3 Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) gilt als einer der großen Kritiker am Dogma rationaler Wissenschaften. Er war der Auffassung, dass der Mensch durchaus fähig sei in der Erscheinung Erkenntnis über das Wesen der Dinge zu erlangen. 4 Goethe suchte in der Natur nach beschreibbaren Phänomenen die mittels sinnlicher Wahrnehmung erfahren werden. Das Paradigma seiner Naturwissenschaft lautet: „Suche nur nichts hinter den Phänomenen, sie selbst sind die Lehre.“5 Der erkenntnistheoretische Diskurs über die Möglichkeit sinnlicher Erkenntnis führte mit Alexander Gottlieb Baumgarten (1714-1762) in die Ästhetik. Etymologisch leitet sich der Begriff von dem griechischen Wort Aisthesis ab und bedeutet Wahrnehmung, Empfindung. Die Ästhetik könnte damit als Wissenschaft von der Wahrnehmung zusammengefasst werden. Das digitale Wörterbuch der deutschen Sprache definiert Ästhetik als „Lehre von den Gesetzen der Kunst und des Schönen.“6 Die Diskrepanz von Wahrnehmungstheorie zu Kunsttheorie ist offensichtlich. In ihr zeigt sich das Abbild der bewegten Wissenschaftsgeschichte. Im Laufe der epistemologischen Entwicklung der Ästhetik kommt es im 20. Jahrhundert zu einer „[...] Grundsätzlichkeit und Universalität des Ästhetischen [...]“ und damit zu einer Ästhetisierung in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Wolfgang Welsch argumentiert daraus die Herausbildung eines universellen ästhetischen Denkens auch in der Philosophie.7 Ästhetische Reflexion Mit der Ästhetik konstatiert die Philosophie: „Die Grenzen des Verstandes sind noch lange nicht diejenigen der Erfahrung.“8 Seit Immanuel Kant (1724-1804) hat sich die Einsicht durchgesetzt, „daß die Grundlagen dessen, was wir Wirklichkeit nennen, fiktionaler Natur sind. Wirklichkeit erwies sich immer mehr als nicht ‚realistisch‘, sondern ‚ästhetisch‘ konstituiert.“9 Was sich uns in der Erfahrung zeigt, ist die Wirklichkeit in ihrer maßlosen Erscheinungsgewalt, sich fortlaufend verändernd, widersprechend und verbergend, individuell, unbeständig und dynamisch. Das grundsätzliche Problem, mit dem die Philosophie angesichts des Ästhetischen hadert, ist, „daß sie als reflexives Denken dem erscheinenden Ereignis hinterherhinkt. Sie faßt nicht den Akt des In-Erscheinung-tretens. (…) Reflexion vollzieht sich stets, in dem sie Erscheinendes sich verfügbar macht und in begrifflichen und ontologischen Konstanten zum Stehen bringen will.“10 Die Erscheinungen jedoch lassen sich in ihrer Dynamik, Unbeständigkeit und Individualität nur schwer in die starren Zwänge statischer Begriffe 13 14 Atmosphäre am Werk bändigen. Die philosophische Problemstellung der Ästhetik liegt in dem Begreifen-Wollen des Nicht-Begrifflichen. Die ästhetische Reflexion über das ‚Ich weiß nicht was?‘ macht deutlich, „[...] daß sich der Anspruch wissenschaftlichen Fragens hier in einem Ausnahmezustand befindet.“11 Alexander Gottlieb Baumgarten, der Begründer der philosophischen Ästhetik, fragt angesichts des Willens zur Abstraktion und Begriffsbildung, wie sie dem reflexiven Denken eigen ist: „ob die metaphysische Wahrheit einem solchen Allgemeinen so entsprechen mag, wie sie dem Individuum entspricht, das unter demselben enthalten ist? (…) Was ist die Absonderung, wenn nicht ein Verlust? Ebenso brächtest du aus einem Marmor von unregelmäßiger Form keine Marmorkugel heraus, wenn nicht durch wenigstens soviel Einbuße an Material, in welchem Maße sie der höhere Wert der Rundheit verlangen wird.“12 Begriffsbildung bedeutet Ordnung durch Abstraktion und Verallgemeinerung. Wir synthetisieren was uns in der Erscheinung gegeben ist und benutzen Begriffe, Kategorien, Systeme und Modelle um vermeintlich Ordnung in das Chaos der Welt zu bringen. Was dabei auf der Strecke bleibt ist die ästhetische Erfahrung selbst. Ihr widmet sich die Ästhetik. Ästhetischer Gegenstand Gegenstand der neuen Ästhetik ist nicht die Erscheinung sondern das Erscheinen selbst, also das „Eigenwesen des Erscheinens der Erscheinung“13 Dieses Eigenwesen wurde in den Theorien von Baumgarten, Kant und Böhme verschieden ausgedeutet. Nehmen wir als Beispiel das Phänomen des Schönen. Baumgarten argumentiert metaphysisch und stellt eine Verbindung zwischen dem Phänomen des Schönen und der Vollkommenheit her. Das Schöne als gespürte Affektion ist Ausdruck der göttlichen Vollkommenheit desjenigen Gegenstandes auf welches sich das Schöne bezieht oder von dem es ausgeht. Schönheit ist damit empfundene Vollkommenheit.14 Kant schlussfolgert anthropologisch und führt das Gefühl der Lust auf das Schöne zurück. Schönheit ist eine Affektion welche Lust im Menschen auslöst.15 Beide Ausdeutungen – also die der Vollkommenheit und die der Lust – sind in der Subjekt-Objekt-Falle gefangen. Baumgarten knüpft das Schöne als Erscheinung an das Objekt, während Kant den Beweggrund des Schönen im Subjekt aufsucht. Böhme weiß das Schöne in seiner Eigenwirklichkeit zu fassen und begreift es als Atmosphäre. Für das Phänomen des Schönen bedeutet dies, dass das Schöne eine eigene Seins-Wirklichkeit besitzt. Es ist weder dem Objekt noch dem Subjekt allein zuzuschreiben sondern existiert in Ko-Präsenz.16 Insbesondere mit Kant reduziert sich die Ästhetik auf die Grundbegriffe Schönheit und Kunst. Ästhetik wird Urteilsästhetik.17 Die klassische Theorie spricht von Schönheit im Zusammenhang mit schöner Kunst und von Kunst in Zusammenhang mit dem schönen Geist oder Genie, der sie hervorbringt. Böhme entwickelt dagegen eine Ästhetik, die den Atmosphärebegriff als Ausgangspunkt nimmt um eine neue Wahrnehmungsund Produktionsästhetik zu formulieren in deren Zentrum der menschliche Leib als wahrnehmendes oder ergriffenes Subjekt steht. In Abgrenzung zur klassischen Ästhetik in der Tradition von Kant und Hegel nennt Böhme seine Ästhetik neue Ästhetik und deutet an, dass wesentliche philosophische Grundannahmen der klassischen Ästhetik dekonstruiert und fundamental neu gedacht worden sind. So definiert Böhme bspw. Schönheit als nur ein ästhetisches Phänomen unter vielen und Kunst deckt für ihn auch nur einen Bereich ästhetischer Produktion ab. Damit schafft er eine Entgrenzung der klassischen Ästhetik über die Begriffe von Schönheit und Kunst hinaus. Gegenstand seiner neuen Ästhetik ist die Atmosphäre. Neue Ästhetik betrachtet Atmosphärewahrnehmung im Sinne einer allgemeinen Wahrnehmungslehre und Atmosphäreproduktion im Sinne einer umfassenden Anerkennung ästhetischer Arbeit über die Kunst hinaus. Damit wird die Architekturästhetik als Teilbereich einer Architekturphilosophie möglich ohne die Frage ob Architektur überhaupt Kunst ist beantworten zu müssen. Die alte Frage „Was ist Architektur?“ wird von der Frage „Was ist architektonische Qualität?“ verdrängt. Die Problemstellung wird damit nicht mehr ontologisch sondern ästhetisch begründet. Kurze Genealogie der Ästhetik Im Folgenden geht der Blick zurück zu den Anfängen der Ästhetik. Hier widmet sich die Arbeit dem grundlegenden Denken der ersten Ästhetik von Alexander Gottlieb Baumgarten, dem Gründungsvater der Disziplin, anschließend der klassischen Ästhetik von Immanuel Kant, dem bis heute einflussreichsten Denker des Faches und schließlich der neuen Ästhetik von Gernot Böhme hinzuwenden. Es soll verständlich werden, welche erkenntnistheoretischen Bedingungen den Schritt von der ersten über die klassische zur neuen Ästhetik bedingt haben und warum es für die Architektur notwendig ist eine produktive ästhetische Theorie jenseits der Urteilsästhetik zu formulieren. Die Theorien werden unter den Begriffen Ästhetik, Erkenntnistheorie sowie Schönheit und Kunst vorgestellt. II Ästhetische Philosophie Erkenntnisbedeutung des Ästhetischen ist in allen drei Theorien angelegt. Die drei Ästhetiken müssen jeweils mit Berücksichtigung auf ihren ideengeschichtlichen Kontext gelesen und verstanden werden, so die Bedingungen des Wissens und das vorherrschende Welt- und Menschenbild, in dem sich Ästhetik als Puzzleteil in ein größeres Denksystem einordnet. 1 Alexander Gottlieb Baumgarten: Erste Ästhetik 1725 äußerte Georg Bernhard Bilfinger (1693-1750) erstmals die Notwendigkeit einer Theorie der Sinnlichkeit.18 Es war Alexander Gottlieb Baumgarten (1714-1762), der das Projekt in Angriff nimmt und für jene Theorie den Namen Ästhetik prägt. Die Entwicklung der Disziplin folgt einem Zeitgeist, dem ein verändertes Menschenbild und Humanitätskonzept zugrunde liegt. So ist die Ästhetik als Nebenergebnis „[...] einer der wichtigsten Umwälzungen innerhalb des europäischen Selbstbewusstseins überhaupt“ zu verstehen, nämlich dem „[...] Einbruch des Individualismus in die abendländische Welt.“19 Der Mensch als erkennendes Subjekt verändert also die philosophische Wissenschaft. „Indem Baumgarten die sinnlichen Apperzeptionsmodi als wesentliche Voraussetzung eines ausgeglichenen, auf der Höhe der Zeit stehenden Menschenbildes ansieht, [...] überschreitet [er] die Schwelle zu einer neuen Wissenschaft vom Menschen, deren Namen und Gegenstände er auf den vollen Bedeutungsumfang der griechischen aisthēsis gründet.“20 Der Begriff Aisthesis geht auf Aristoteles zurück und bedeutet „Wahrnehmung“, „Empfindung“. Baumgarten verfolgt mit seinem Ästhetik-Projekt den Zweck der „Vollkommenheit der sinnlichen Erkenntnis als solcher.“21 Damit versucht er zeitlebens die Ästhetik neben der Logik und seiner rationalen Erkenntnisform gegen den Widerstand seiner Zeitgenossen als Erkenntnistheorie zu etablieren: „Ein Philosoph ist ein Mensch unter Menschen, und er tut nicht gut daran, wenn er glaubt, ein so großer Teil der menschlichen Erkenntnis sei ungehörig für ihn“22 entgegnet er Skeptikern, die Sinnlichkeit aus dem Sündenfall herleiten wollen. Sinnlichkeit Mit seinen Überlegungen zur Ästhetik führt Baumgarten die Sinnlichkeit in die Erkenntnistheorie ein. Sinnlichkeit ist eine menschliche Fertigkeit zur sinnlichen Wahrnehmung von Phänomenen der Umwelt. Phänomene sind Erscheinungen der Dinge in der Wahrnehmung. Baumgarten unterscheidet den inneren Sinn, durch den wir die Welt als Gefühl wahrnehmen, welcher also die Seele betrifft, und die äußeren Sinne, durch welche wir die Welt in Bildern, Geräuschen, Gerüchen oder Gespür wahrnehmen. 23 Sinnlich wahrnehmen ist für Baumgarten, was uns als Gefühl eingeht, den inneren Sinn affiziert aber auch was als sinnliche Daten der äußeren Sinne in uns eingeht. Die sinnliche Affektion ist eine Anschauung der Welt, wie ein Ton oder eine Farbe. Anschauungen sind Sinnesdaten, also ein Bild, welches in uns angesichts einer Erscheinung entsteht, oder ein Ton, welcher angesichts eines Geräusches in uns erklingt, oder eine Farbe, welche in uns aufscheint. Baumgarten spricht von Schönheit als ein besonderes Gefühl, das unsere Seele anrührt. Sie ist für Baumgarten der Widerhall von Vollkommenheit des angeschauten Dinges in uns Menschen. Die Vollkommenheit der Erscheinungen affiziert uns durch das Gefühl der Schönheit. 24 Schönheit ist also die sinnliche Erkenntnis der göttlichen Vollkommenheit eines Gegenstandes. Erkenntnis und metaphysische Wahrheit stehen bei Baumgarten anders als später bei Kant noch in einem unbedingten Zusammenhang. Wahrheit der Erkenntnis Baumgarten beschreibt die sinnliche Erkenntnis in der Aesthetica als „Analogon der Vernunft“25 . Ästhetik soll analog zum logischen Denken gesicherte Erkenntnisse in Form sinnlicher Gewissheit ermöglichen. Leibniz unterscheidet Erkenntnis nach Vorstellungsgraden in einem Stufenmodell und grenzt sie gegeneinander ab. Die Vernunft nimmt in dem Modell den höheren Platz ein während der Ästhetik der niedere zukommt. 26 Der Begriff „Vorstellung“ wird hier gebraucht als „durch die Kraft der Seele sich die Welt zu vergegenwärtigen“27, also sich die Welt im Geiste vorzustellen. Vorstellungen vermitteln sich uns durch Begriffe, die vor dem inneren Auge das Vorgestellte heraufbeschwören. So kann ich mir ein Haus vorstellen, ohne es wirklich und wahrhaftig vor mir zu haben, allein dadurch dass ich einen Begriff von ‚Haus‘ habe, eine Vorstellung von einem typischen Gebäude mit Satteldach, Eingangstür, Fenstern und Schornstein. In seinem Stufenmodell grenzt Leibniz die dunklen Vorstellungen gegen die klaren, von denen er die verworrenen von den deutlichen Vorstellungen unterscheidet, die er letztlich in inadäquate und adäquate Vorstellungen aufteilt. Letztere entsprechen der wahren Idee eines Gegenstandes und können vom menschlichen Geist nur annähernd erreicht werden. Das ‚höhere‘ Erkenntnisvermögen bringt danach klare 15 16 Atmosphäre am Werk und deutliche Begriffe hervor während das ‚niedere‘ Erkenntnisvermögen dunkle und verworrene Begriffe produziert. Die Kritiker, allen voran Descartes zweifelten an dem Erkenntnispotential der sinnlichen Wahrnehmung und an den dunklen und verworrenen Vorstellungen, die wir durch sie von den Dingen erhalten. Danach zeigen sich Gegenstände vermittelt durch die sinnliche Wahrnehmung immer veränderlich. Es ist nach Descartes nicht möglich, sie klar und deutlich zu erfassen und etwas Gleichbleibendes an ihnen zu erkennen. 28 Gegen die Kritik legitimiert Leibniz die sinnliche Erkenntnis gegenüber dem höheren Erkenntnisvermögen. Er argumentiert, dass alle noch so dunklen und verworrenen Vorstellungen Ausdruck der in Gott begründeten Ideen sind und also wahr. 29 Im Anschluss an Leibniz liegt für Baumgarten die gesamte metaphysische Wahrheit auf dem Grund der menschlichen Seele. Sie ist der Spiegel zum Universum und Kraft der Seele ist der Mensch zur sinnlichen Erkenntnis fähig, auch wenn eine so erkannte sinnliche Vorstellung dunkel und verworren bleibt, ist sie wahre Erkenntnis. Baumgarten begründet seine Ästhetik mit Leibniz also metaphysisch.30 Klarheit der Erkenntnis Anders als Leibniz verortet Baumgarten die sinnliche Erkenntnis nicht in hierarchischer, vertikaler Abgrenzung von der Vernunft sondern stellt sie als zwei Erkenntnisweisen mit verschiedenen Zugängen und Perspektiven auf die Welt nebeneinander. Baumgarten legitimiert die Ästhetik gegenüber der Logik aus einem der Logik eigenen Mangel heraus, der im Verlust durch Abstraktion liegt.31 Logik ist die Systematisierung von Merkmalen mit dem Ziel einer Gruppierung von Gleichen in abstrakte Kategorien und Ordnungen (intensiv größere Klarheit). Die logische Vorstellung der Dinge verliert das einzelne Phänomen zugunsten der Abstraktion und Verallgemeinerung aus dem Blickfeld. Ästhetik dagegen ist die Erfassung des Einzelobjektes in der Mannigfaltigkeit seiner Erscheinung und Gegebenheit im Hier und Jetzt. Die sinnliche Wahrnehmung des Singulären in seiner aktuellen Präsenz und unmittelbaren Wahrnehmbarkeit wirft auf den Erkenntnisgegenstand ein gestreutes Licht und ermöglicht so einen Erkenntnisgewinn durch die Wahrnehmung der Vielheit seiner Merkmale. Ich beleuchte ihn in seiner gegebenen Vielschichtigkeit und versuche ihn in seiner ganzen Erscheinung zu erfassen (extensiv größere Klarheit).32 Schon in der Metaphysica stellt Baumgarten einen horizontalen Vergleich zwischen logischer und ästhetischer Erkenntnis her und bemüht dazu die Lichtmetapher, welche der Aufklärung ihren Namen eingebracht hat:„Die größere Klarheit, die auf der Klarheit der Merkmale beruht, kann intensiv größer (ein schärferes Licht), diejenige, die auf der Menge der Merkmale beruht, extensiv größer (ein verbreiteteres Licht) genannt werden.“33 Gemeinsam führen die logische und die ästhetische Erkenntnisweise nach Baumgarten zur „ästhetikologischen Wahrheit“34 , deren Vollkommenheit sich aus der logischen und der ästhetischen Wahrheit speist. In § 440 von Baumgartens Metaphysica heißt es dazu: „Die ästhetikologische Wahrheit ist entweder die des Allgemeinen, der Begriffe und der allgemeinen Urteile oder diejenige des Einzelnen und der Ideen. Jene sei die allgemeine, diese die einzelne ästhetikologische Wahrheit. In einem Gegenstand der allgemeinen Wahrheit wird niemals, vor allem nicht sinnlich, so viel an metaphysischer Wahrheit aufgedeckt wie in einem Gegenstand einer einzelnen Wahrheit.“35 Schönheit der Erkenntnis Baumgarten setzt sinnliche Erkenntnis mit dem Vermögen zum Schöndenken gleich. Etwas schön zu denken erfordert die größtmögliche Übereinstimmung des Gedachten mit der Sache in der Erscheinung.36 Schönheit entspricht also der vollkommenen sinnlichen Erkenntnis.37 Den Unterschied von ästhetischem, also schönem und logischem Denken beschreibt er wie folgt: „Wenn die logische und wissenschaftliche Denkungsart ihre vornehmlichen Gegenstände [...] lieber abgesondert, nur in gewisser Bestimmung, erwägt: So betrachtet derjenige, der schön denken will, mit dem Analogon der Vernunft seine vornehmlichen Stoffe am liebsten nicht allein unabgesondert, in mehrerer Bestimmung, sondern auch in den allerbestimmtesten Gegenständen, in denen dies möglich ist, also in Einzeldingen, in für sich bestehenden Dingen, Personen und Ereignissen, sooft dies gegeben ist.“38 Baumgarten betrachtet die Dinge in ihrer Erscheinung und Veränderlichkeit, als Phänomene. Die Erkenntnis eines Gegenstandes in der Wahrnehmung ist der Versuch ihn in all seinen möglichen Erscheinungsweisen zu erfassen. Zum Beispiel, ich stehe vor einem Haus. Ich erkenne das Objekt mit dem Dach, der Eingangstür, den Wänden und Fenstern vor mir als Haus. Das ist ein Vergleich mit dem abstrakten Begriff, den ich von „Haus“ habe. Wenn ich mich nun durch das Gebäude bewege, den Beton berühre, das Holz rieche, das besondere Fensterdetail anschaue, den Lichteinfall bemerke, die räumlichen Verhältnisse wahrnehme, II Ästhetische Philosophie dann übergehe ich die abstrahierten Eigenschaften der Haus-Kategorie und vertiefe mich in den Details und Eigenschaften des einen Gebäudes. Mit dem Eindruck, dass dieses Gebäude vollkommen ist, empfinde ich mit Baumgarten Schönheit. In der sinnlichen Gegebenheit und der Wahrnehmung des Gebäudes als Ganzes erkenne ich seine Schönheit, ohne im Detail benennen zu können, worauf diese Schönheit zurückzuführen ist. Ich nehme eine Menge von Merkmalen in mich auf, die den Begriff Haus nicht erleuchten aber den Charakter des vor mir liegenden Objekts umso deutlicher. Schönheit und Kunst Baumgartens Schönheitsbegriff muss im Zusammenhang seiner Erkenntnistheorie verstanden werden und schließt zugleich eine Theorie des schönen Denkens und der freien Künste ein.39 Kunst stellt sinnliche Erkenntnis und im Speziellen das Schöne im Kunstwerk dar und ist damit eine Ausdrucksform sinnlicher Erkenntnis. Sinnliche Erkenntnis als Vorgang bedeutet, dass ich mir den Erkenntnisgegenstand vorstelle, während ich mittels sinnlicher Darstellung den Erkenntnisgegenstand bezeichne. Sobald sinnliche Darstellung eine künstlerische Form annimmt, dann ist „Kunst […] in der Tat Erkenntnis,“40 Darstellen und Erkennen bezeichnen dann den gleichen Sachverhalt. So ist die Aufgabe der Kunst in der Darstellung die ästhetikologische Wahrheit als Annäherung an die metaphysischen Wahrheit zu synthetisieren und in ihrer Rezeption nachvollziehbar zu machen. Erkenntnis und Darstellung können bei Baumgarten anders als bei Kant dasselbe bedeuten, weil die Darstellung keine Begriffliche sein muss um Erkenntnis zu sein. Kant bindet hingegen Erkenntnis zwingend an die Begriffsbildung, weshalb sinnliche Wahrnehmung für ihn nicht Erkenntnis sein kann. 41 2 Immanuel Kant: Klassische Ästhetik Immanuel Kant (1724-1804) bindet seine Ästhetik in ein anthropologisch begründetes Erkenntnismodell ein, dass die menschlichen Vermögen in Verstand, Urteilskraft und Vernunft ordnet. 42 Damit läutet er einen Paradigmenwechsel ein, der den Fokus von den Dingen als zu erkennende Entitäten zugunsten des erkenntnisfähigen Subjekts verschiebt. Kants Auffassung ist, dass die Welt an sich und die Dinge darin für den Menschen nicht erkennbar ist. Der Mensch vermag lediglich Erscheinungen der Dinge zu erkennen. 43 Daher konzentriert er seine Philosophie auf die Möglichkeiten menschlicher Erkenntnisfähigkeit und begründet auch seine Ästhetik anthropologisch. Sowohl Baumgarten als auch Kant schreiben der Ästhetik eine instrumentalphilosophische Bedeutung zu. Allerdings führt Baumgartens Ästhetik zur Erkenntnis und Kants Ästhetik zum Geschmacksurteil. Jedoch muss bei Kant zwischen transzendentaler Ästhetik und Urteilsästhetik differenziert werden. Erstere thematisiert Ästhetik in Bezug auf Erkenntnistheorie, während letztere Ästhetik in Bezug auf den Geschmack behandelt. In seinem dritten Hauptwerk der Kritik der Urteilskraft subsummiert Kant die Ästhetik unter die Urteilskraft und stellt sie in seiner Systemarchitektur zwischen die theoretische Philosophie der Kritik der reinen Vernunft (Logik) und die praktische Philosophie der Kritik der praktischen Vernunft (Ethik). 44 Darin disqualifiziert Kant die Ästhetik als eigene Erkenntnistheorie. Ästhetik handelt bei ihm nicht von der Fähigkeit zur sinnlichen Erkenntnis sondern von dem Vermögen der Beurteilung von etwas hinsichtlich seiner Schönheit und Erhabenheit. 45 Ziel der Kritik ist „das subjektive Prinzip des Geschmacks als ein Prinzip a priori der Urteilskraft [zu] entwickeln und [zu] rechtfertigen.“46 Im Anschluss an die Kritik der Urteilskraft wurde Ästhetik in der Philosophie und benachbarten Disziplinen vordergründig als Theorie der Kunst und der Schönheit verhandelt und weiter gedacht. Die kantsche Urteilsästhetik entfaltet auf die folgenden Generationen eine erhebliche Wirkmacht und fließt noch heute in die stark fragmentierten ästhetischen Diskurse ein. Die wichtigen Gedanken Kants zur transzendentalen Ästhetik rückten in den Hintergrund und mit ihr die Aisthesis als Theorie sinnlicher Wahrnehmung und Erkenntnis, wie sie von Baumgarten erstmals aufgeschrieben wurde. Im 20. Jahrhundert werden beide Lesarten der Ästhetik für die Philosophie wiederentdeckt. 47 Transzendentale Ästhetik und Erkenntnis Kant widerspricht einer Ästhetik die Erkenntnistheorie sein will, stellt die sinnliche Wahrnehmung aber als zwingend in einen Zusammenhang mit der Begriffsbildung. In der Kritik der praktischen Vernunft legt Kant diesen Sachverhalt als transzendentale Ästhetik dar. Welsch erkennt in der transzendentalen Ästhetik die „[...] transzendentale Fundamentalisierung des Ästhetischen.“48 Kant hat, so Welsch, damit die Voraussetzung für die Expansion des ästhetischen Denkens im 20. Jahrhundert geschaffen. Die transzendentalen Ästhetik handelt von der Kausalität sinnlich gegebener Anschauung und allgemeiner Vorstellung. Kant stellt fest: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriff sind blind […].“49 Die Anschauung oder sinnliche Wahrnehmung geht 17 18 Atmosphäre am Werk der Vorstellung von dem Gegenstand und seiner Begriffsbildung voraus und ermöglicht erst Erkenntnis. „Denn ob sie [Anschauungen] gleich für sich allein zur Erkenntnis der Dinge gar nichts beitragen, so gehören sie doch dem Erkenntnisvermögen allein an […].“50 Anders als die Vorstellungen des Verstandes sind die sinnlichen Anschauungen Erfahrungen des Hier und Jetzt. Die sinnliche Wahrnehmung im Kontext ihrer jeweiligen Ästhetiktheorie bedeutet die Wahrnehmung der Erscheinung eines Objektes als Präsenzerfahrung und die Affektion des wahrnehmenden Subjekts durch die Erscheinung. Raum und Zeit gelten bei Kant als reine Anschauungsformen, welche a priori der Wahrnehmung zugrunde liegen.51 Das heißt, alle Erscheinungen sind Erscheinungen im Hier und Jetzt, sie haben einen Ort und eine Zeit. Gedanken oder Vorstellungen des Verstandes sind Abstraktionen, die von Raum und Zeit enthoben sind.52 Erkenntnis ist für Kant nicht ohne Begriff möglich. Daran schließt sich ein Erkenntnisbegriff an, der viel enger gefasst ist als der von Baumgarten, der, wie bereits ausgeführt, der sinnlichen Wahrnehmung eine eigene Erkenntnisfähigkeit zuschreibt.53 Erkenntnis ist für Kant ein Abstraktionsprozess. Sie baut auf einer Ordnung logischer Urteile auf, deren Ziel die widerspruchsfreie Begriffsbildung ist. Er arbeitet an einem Netzwerk von wahren Begriffen, welches die Dinge in der Welt nach Arten und Gattungen voneinander unterscheidet. Der Begriff abstrahiert von den Dingen, wie sie uns erscheinen zu den Dingen, wie wir sie uns im Denken vorstellen. Das Begreifen der Dinge um uns herum qua logos ist ein Übergang von der dynamischen, veränderlichen Welt der Erscheinungen zu einer statischen, abstrakten Welt des Seins und der reinen Form. Ausgehend von ihrem Allgemeinheitsgrad erfahren die Begriffe eine Hierarchisierung, die den Menschen eine Seinsordnung gibt, ihm seine Welt nach logischen Begriffen strukturiert.54 Von den Urteilen, deren Zweck die logische Begriffsbildung ist, unterscheidet Kant in seiner Kritik der Urteilskraft das ästhetische Urteil. Urteilsästhetik und Schönheit Urteilen ist für Kant nur dann ein Erkenntnisakt, wenn dem Urteil Begriffe des Verstandes zugrunde liegen. Im logischen Urteil wird eine einzelne Anschauung, die als Vorstellung auf einen Wahrnehmungsgegenstand beschränkt ist, einem Begriff, der als allgemeine Vorstellung auf vieles zutrifft, untergeordnet.55 Davon unterscheidet sich das ästhetische Urteil, denn es stützt sich nach Kant allein auf den Geschmack, also das Gefühl der „Lust und Unlust“. In §1 der Kritik der Urteilskraft heißt es: „Das Geschmacksurteil ist also kein Erkenntnisurteil, mithin nicht logisch, sondern ästhetisch […].“56 Kant hat für seine Vorlesungen in Königsberg wesentlich auf die Metaphysica von Baumgarten zurückgegriffen, in denen Baumgarten bereits die Grundlagen für seine Ästhetik formuliert hatte.57 An dem Schönheitsbegriff jedoch entzweien sich beide Philosophen. Baumgarten setzt Schönheit als Affektion mit Vollkommenheit in Beziehung. Die Vollkommenheit eines Gegenstandes nehme ich demnach als Empfindung von Schönheit in der Anschauung wahr. Damit ist Schönheit sinnliche Erkenntnis der Vollkommenheit. So erhält der Schönheitsbegriff eine besondere Stellung in Baumgartens ästhetischer Theorie. Er verortet die Möglichkeit zur Erkenntnis der Vollkommenheit auf dem Grund der menschlichen Seele. Das Vermögen zur sinnlichen Anschauung der Dinge in ihrer Vollkommenheit ist damit in uns angelegt. An dem Vollkommenheitsgedanken entzündet Kant seine Kritik an der Ästhetik des Vorgängers und der metaphysischen Grundlegung. Für Kant ist Vollkommenheit eine Bestimmung, die einen Begriff voraussetzt, weshalb Schönheit nicht mit Vollkommenheit gleichzusetzen ist.58 Das Schöne ist keine diffuse Wahrnehmung der Vollkommenheit von etwas sondern Ursache des ästhetischen Urteils. Das ästhetische Urteil stützt sich auf das Gefühl der Lust und Unlust, dem keine begriffliche Vorstellung vorausgeht. Das Urteil erfolgt nach dem Prinzip „x ist schön“. Schön ist, „was ohne Begriffe als Objekt eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt wird.“59 Um etwas als schön zu empfinden, braucht es keinen Begriff von dem Gegenstand. Das Geschmacksurteil wird durch das Gefühl der Lust hervorgerufen. Für Kant bedeutet Geschmack „das Beurteilungsvermögen eines Gegenstandes oder einer Vorstellungsart durch ein Wohlgefallen oder Mißfallen ohne alles Interesse. Der Gegenstand eines solchen Wohlgefallens heißt schön.“60 Lust und Unlust sind Affektionen, die den inneren Sinn des Subjekts, also sein Gefühl bewegen. Ich fälle also das Geschmacksurteil aus dem rein subjektiven Gefühl der Lust oder Unlust. Nach Kant „ist kein objektives Prinzip des Geschmacks möglich“. 61 Trotzdem existiert der Anspruch es sei ein allgemein gültiges, objektives Urteil. Zu diesem paradoxen Schluss kommt Kant, indem er das Geschmacksurteil an die Bedingung des interesselosen Wohlgefallens bindet. Der einzige Beweggrund meines ästhetischen Urteils liegt dann in der Erfahrung mit dem Schönen. Die Erfahrung ist eine Präsenzerfahrung und das Geschmacksurteil an das Hier und Jetzt gebunden. II Ästhetische Philosophie Schönheit und Kunst Kant unterscheidet das Naturschöne als ein „schönes Ding“ von dem Kunstschönen als „schöne Idee von einem Ding“. Damit definiert er Kunstschönheit als Ausdruck ästhetischer Ideen. „Schöne Kunst ist eine Kunst, sofern sie zugleich Natur zu sein scheint.“62 Das Vermögen der künstlerischen Darstellung des Schönen ist ein angeborenes Vermögen des Genies. Das Genie besitzt ein „Talent zur schönen Kunst“63 und damit Erfindungsgeist und Originalität. Freie Kunst entstammt der schöpferischen Einbildungskraft des Genies, an welcher sich eine schöne Idee der Betrachterin zeigt. Die ästhetische Erfahrung der Schönheit bildet und schult die Vernunft des Menschen. Damit weist Kant den schönen Künsten eine wesentliche Rolle in seiner Ethik zu. Der Mensch als Sinneswesen untersteht den Gesetzen der Natur. Als Vernunftwesen steht er unter den Gesetzen der Freiheit. Mit der Kritik der reinen Urteilskraft und einer darin entwickelten Ästhetik versucht Kant zwischen diesen beiden Welten zu vermitteln. Der Kunst kommt dabei eine wesentliche Rolle als vermittelnde Instanz zu, die ihren Ausgangspunkt in der Natur hat. FN Kants Theorie der Urteilskraft hat bis zum Ende des 20. Jahrhunderts die ästhetische Theorie bestimmt. Die Entwicklung der Beurteilung als wesentliche Aufgabe der Ästhetik hat die sinnliche Wahrnehmung als eigene Erkenntnisform verdrängt. Die gesellschaftliche Funktion der Ästhetik lag für Kant in der Ermöglichung einer Kommunikation über Kunstwerke. 64 Daran wird deutlich, dass vor allem mit Kant die Ästhetik in eine „Theorie der Kunst, der Kunsterfahrung und schließlich des Kunstwerks“65 führte. Bei Kant beschränkt sich die ästhetische Theorie mit wenigen Ausnahmen auf das Phänomen des Schönen66 , dass sich vornehmlich im Feld der Kunst entfaltet. Die klassische Theorie spricht von Schönheit im Zusammenhang mit schöner Kunst und von Kunst in Zusammenhang mit dem schönen Geist oder Genie, der sie hervorbringt. Ziel ist das ästhetische Urteil über das was schöne Kunst ist und was davon auszuschließen ist. Schönheit ist schon das Urteil, aber was provoziert uns zu dem Ausruf „das ist schön!“? Mit Kant wird Schönheit als Urteil und nicht mehr als Phänomen betrachtet. Er sucht das Phänomen am Subjekt auf, während Baumgarten es am Objekt verortet hat. Die Erscheinung des Schönen als Phänomen gerät aus dem Blickfeld. Die Phänomenologie des 20. Jahrhunderts hat sich dem Eigenwesen des Phänomens wieder angenommen. Gernot Böhme entwickelt daraus seine neue Ästhetik. Das 19. Jahrhundert rüttelt an der ästhetischen Einheit von Kunst und Schönheit. 67 Man vermeidet den Schönheitsbegriff und beruft sich statt dessen auf Aura, Echtheit, Mehr. Er rückt außerdem das ästhetische Phänomen, seine Wirklichkeit in der Wahrnehmung, als Erkenntnisgegenstand wieder ins Zentrum ästhetischer Betrachtung. „Die zentrale Stellung des Urteils in der Ästhetik und ihre Orientierung an Mitteilbarkeit hat zu einer Dominanz von Sprache, heute zu einer Dominanz der Semiotik in der ästhetischen Theorie geführt.“68 Die Semiotik beschäftigt sich mit der Ebene der Bedeutung, die von der Ebene der Sinnlichkeit zu unterscheiden ist. Ästhetik aber arbeitet auf der Ebene der sinnlichen Wahrnehmung, der Wirkung und des eigenleiblichen Spürens. 3 Gernot Böhme: Neue Ästhetik Gernot Böhme entwickelt seine neue Ästhetik in der Tradition der Ästhetik als wissenschaftlicher Teildisziplin der Philosophie. Dabei beruft er sich historisch vor allem auf eine Traditionslinie, die mit dem Namen Alexander Gottlieb Baumgarten verbunden ist. In Abgrenzung zur klassischen Ästhetik in der Tradition von Kant und Hegel nennt Böhme seine Ästhetik neue Ästhetik und deutet damit an, dass er wesentliche Grundannahmen der klassischen Ästhetik dekonstruiert und neu denkt. Er legt das Netzwerk dominanter Vorstellungen und Modelle von dem Menschen, den Dingen und der Welt offen und korrigiert sie um eine konsistente allgemeine Theorie der Ästhetik schreiben zu können. Böhme begründet die neue Ästhetik in Abgrenzung zu Baumgartens Metaphysik und Kants Anthropologie ökologisch. 69 Er entwickelt eine ökologische Naturästhetik, welche Natur als Kommunikationszusammenhang versteht, in den der Mensch genauso eingebunden ist wie alle anderen Dinge in der Natur.70 Böhme stellt dem anthropozentrischen Weltbild der traditionellen Wissenschaft also das Konzept von einem weltverbundenen Menschen gegenüber. Gegenstand der neuen Ästhetik ist die Atmosphärewahrnehmung im Sinne einer allgemeinen Wahrnehmungslehre. Böhme greift hier auf Baumgarten zurück und seinen Begriff der Aisthesis. Armin Wildermuth beschreibt Aisthesis als „die Stätte, an der Erscheinungen - jenseits von Subjekt und Objekt - in besonders intensiver Weise ihr Erscheinen vollziehen.“71 Gegenstand der neuen Ästhetik ist auch die Atmosphäreproduktion im Sinne einer umfassenden Anerkennung ästhetischer Arbeit über die Kunst hinaus. 19 20 Atmosphäre am Werk So schafft Böhme eine Entgrenzung der klassischen Ästhetik über die Begriffe von Schönheit und Kunst hinaus. Er bringt das Phänomen des Schönen unter den Atmosphärebegriff und kündigt seine Sonderstellung in der ästhetischen Theorie auf. Gleichzeitig schließt er die Kunst als exklusive Praxis der Hervorbringung des Schönen aus und fasst sie als nur einen Bereich der ästhetischen Arbeit. Er dekonstruiert also die wesentlichen Gegenstände der klassischen Ästhetik: das Schöne und die Kunst zugunsten einer Anerkennung der Ästhetik als bedeutenden Bereich der menschlichen Erfahrungs- und Lebenswelt. Nach Böhme existiert innerhalb der ästhetischen Wirklichkeit ein ästhetisches Bedürfnis sich die Umwelt nach eigenen Vorstellungen zu gestalten und nicht zuletzt sich selbst darin zu inszenieren. Die Anerkennung dieses Bedürfnisses ist Grundvoraussetzung für die Entwicklung einer allgemeinen Theorie der Ästhetik. „Neben die Ästhetik des Kunstwerks treten gleichberechtigt die Ästhetik des Alltags, die Warenästhetik, die politische Ästhetik. Die allgemeine Ästhetik hat die Aufgabe, diesen breiten Bereich ästhetischer Wirklichkeit durchsichtig und sprachfähig zu machen.“72 Im Zentrum stehen auf der Wirkungsebene der menschliche Leib als wahrnehmendes und ergriffenes Subjekt und auf der Erzeugungsebene das ekstatisch in die Welt hinausweisende Ding als ergreifendes Objekt. Die neue Ästhetik ermöglicht die Architekturästhetik als Teilbereich einer Architekturphilosophie ohne die Frage ob Architektur überhaupt Kunst ist beantworten zu müssen. Als Bereich ästhetischer Arbeit ist sie zwangsläufig der Ästhetik zugeordnet. Die Frage „Was ist Architektur/ Baukunst?“ wird von der Frage „Was ist architektonische Qualität?“ abgelöst und die Problemstellung damit ästhetisch begründet. Letztlich geht es Böhme um die Gestaltung der Welt, in der wir leben, die es notwendig macht Ästhetik als produktive Theorie neu zu definieren und ethisch zu begründen.73 Mit der Einführung des Atmosphäre-Begriffs öffnet Böhme die Ästhetik im Prinzip für alle Bereiche ästhetischer Wirklichkeit – sowohl für die Rezeption als auch für die Produktion. So ergibt sich für Böhme eine neue Definition für Ästhetik: „Die neue Ästhetik ist also auf seiten der Produzenten eine allgemeine Theorie ästhetischer Arbeit. Diese wird verstanden als die Herstellung von Atmosphären. Auf seiten der Rezipienten ist sie eine Theorie der Wahrnehmung im unverkürzten Sinne. Dabei wird Wahrnehmung verstanden als die Erfahrung der Präsenz von Menschen, Gegenständen und Umgebungen.“74 Ökologische Naturästhetik Gernot Böhme entwickelt die neue Ästhetik in der Tradition der Aisthesis als allgemeine Wahrnehmungslehre 75 und stärkt mit Baumgarten die sinnliche Wahrnehmung wieder als Erkenntnisform. Er argumentiert die Fähigkeit des Menschen zur sinnlichen Erkenntnis aus dem Bereich der Natur und legitimiert die sinnliche Wahrnehmung als genuine Erkenntnisweise der Ästhetik, weil er von einer Entsprechung von Sender und Empfänger in der Natur ausgeht, die artenübergreifend ist. Das bedeutet, dass alles in der Natur auf Wahrnehmbarkeit ausgerichtet ist, so wie der Mensch auch auf die Wahrnehmungsimpulse der Umwelt abgestimmt ist. Adolf Portmann spricht von Organen des Sich-Zeigens, von denen er ein ästhetisches Grundbedürfnis ableitet, die eigene Anwesenheit zu artikulieren und zwar über die physischen Grenzen des eigenen Körpers hinaus.76 Die neue Ästhetik erkennt dieses ästhetische Bedürfnis als Grundbedürfnis der Lebewesen an. Die Stimme ist ein Beispiel dafür, dass ich über die Grenzen meiner rein körperlichen Erscheinung räumlich in meine unmittelbare Umgebung hineinwirke. Ein anderes Beispiel ist die Kleidung und abstrakter, die persönliche Aura. Artikulation ist auf Wahrnehmung angelegt. Und die Welt hat uns einiges mitzuteilen. Auch die Dinge um uns herum kommunizieren immerfort miteinander; über Stimme, Klang, Farben, Geruch, Beschaffenheit, Größe, Form etc. Und sie schaffen Atmosphären. Sie reagieren auf sie, beeinflussen sie, bestimmen und erzeugen sie mit. „Als Wahrnehmungstheorie entdeckt die Ästhetik (…) einen Grundzug der Natur, der der Wissenschaft von Natur, jedenfalls der neuzeitlichen, entgeht“77. Böhme kritisiert die Hegemonie naturwissenschaftlicher Praxis über den Erkenntnisgegenstand Natur. Der entfremdete Blick auf die Naturdinge vermittelt an Mikroskopen, Stethoskopen oder Seismographen steht in Kontrast zu der unmittelbaren Wirklichkeit der Naturerfahrung. Böhme kritisiert die Methoden des wissenschaftlichen Arbeitens. Die Dominanz dieser Erkenntnisweisen beeinflusst unser Alltagsdenken und greift auf Bereiche des alltäglichen Lebens über. Das Resultat ist eine allgemeine Verkümmerung der vollen Sinnlichkeit und mir ihr des sinnlichen Erkenntnisvermögens. Ausgangspunkt der neuen Ästhetik ist also die Natur und zwar in ihrer phänomenalen Wirklichkeit. Seine Umwelt erkennen, bedeutet sich ihren Ausdrucksweisen und Kommunikationsformen auszusetzen in der Annahme, dass uns ein Erkenntnisvermögen in der Sinnlichkeit gegeben ist. In den Phänomenen der Natur schärft sich unsere sinnliche Wahrnehmung und II Ästhetische Philosophie findet in der Natur ihre Entsprechung. Die von Böhme formulierte ökologische Naturästhetik dient als „sinnliche Theorie der Natur“78 dem Zugang zu den Paradigmen der neuen Ästhetik, wie u.a. Leibphilosophie, Ontologie und Produktionsästhetik. Nach Böhme setzt die Wahrnehmung von Atmosphären die Anerkennung des ästhetischen Bedürfnisses als Grundbedürfnis voraus. Hieran knüpft sich die Bedingung nach einer Überwindung der klassischen Ontologie als Ding-Ontologie und zugleich die Überwindung der Vorstellung vom desintegrierten menschlichen Geist-Körpers zugunsten einer Vorstellung vom integrierten Leib. Rezeptionsästhetik: Wahrnehmung, Leib und Befindlichkeit Unser Wahrnehmungsorgan ist der Leib. Die Leibphilosophie steht für eine Integration von Körper und Geist und gegen das Menschenbild, welches aus der Teilung von Körper und Geist resultiert. Das historische Problem dieser Teilung ist die Disziplinierung des Körpers und seine Unterwerfung unter die Hegemonie des Geistes. Der Kulturmensch hält sein triebhaftes Wesen, vermittelt durch jede Art körperlicher Lust und Begierde, mittels Vernunft in Zaum. Böhme platziert den Menschen in seine Umwelt als zu ihr gehörig und hebt die Spaltung von Kulturmensch und Naturmensch auf. Maurice Merleau-Ponty fordert in seiner Phänomenologie der Wahrnehmung 79 als einer der Ersten die Überwindung des Geist-Körper und führt den Leib in seine Wahrnehmungstheorie ein. Das Konzept des Leibes als beseelten Körper hebt „die cartesianische Aufspaltung“80 auf. Helmuth Plessner definiert: „Der Leib ist, um es kurz zu sagen, unsere eigene Natur, wie sie uns durch Selbsterfahrung gegeben ist. Der Körper dagegen ist unsere eigene Natur, wie sie uns durch Fremderfahrung – also im Blick des Anatomen, Physiologen, Mediziners – gegeben ist.“ und bringt den Unterschied wie folgt auf den Punkt: „Leib sein und Körper haben.“81 Den Menschen als Einheit zu denken, wie es die Leibphilosophie tut, ist keine leichte Aufgabe, da sich Werbetexte wie „Balsam für Körper und Geist“ wiederkehrend in das kollektive Gedächtnis einschreiben. Unser Handeln ist so sehr auf das Funktionieren unseres physischen Körpers ausgerichtet, dass wir ihn mehr als Werkzeug betrachten denn als zu uns gehörig. Böhme bezieht sich in seiner neuen Ästhetik wesentlich auf die Phänomenologie des Leibes von Hermann Schmitz. Als Leib bin ich anwesend in der Zeit und befinde mich im Raum. Leibliche Wahrnehmung bedeutet, die Art und Weise wie ich mich in Raum und Zeit befinde. Wahrnehmen ist affektive Betroffenheit und das leibliche Spüren der Anwesenheit von Menschen, Gegenständen und Umgebunden bei gleichzeitigem Spüren der eigenleiblichen Anwesenheit. Sinnliche Wahrnehmung ist affektives Betroffensein durch Atmosphären. 82 Sie sind gleichzeitig ihr Erkenntnisgegenstand. Über das Konzept des Menschen als Leib reintegriert Böhme die sinnliche Wahrnehmung als Erkenntnisform in seine allgemeine Erkenntnistheorie. Produktionsästhetik: Ontologie, Ding und Ekstasen Atmosphären nach Böhme sind nicht greifbar wie ein Stuhl oder Tisch und können nicht auf dieselbe Art und Weise erkannt werden. Nicht vier Stuhlbeine, Sitzfläche und Lehne, die ich anfassen, begreifen und besitzen kann. Atmosphären kann ich vor allem nicht besitzen. Ich kann nicht nach ihnen greifen, sie nicht anfassen und trotzdem spüre ich ihre Anwesenheit, sie affizieren meine Empfindungen und beeinflussen mein leibliches Befinden. Mit dieser Gewissheit geraten wir an die Grenzen unserer Vorstellung von den Dingen und der Welt. Das Konzept von den Atmosphären verlangt also ein Überdenken ontologischer Grundannahmen. Böhme kritisiert die klassische Ontologie als im wesentlichen Ontologie des Dinges. Neben dem Menschen wurde die Welt der Dinge seit Descartes prototypisch für Seiendes, die in einer Abgeschlossenheit aufgefasst und gedacht wird. 83 Jene Ding-Ontologie behindert die Ästhetik indem sie sich dem Denken in Atmosphären prinzipiell verwehrt und auch die Dinge als Erzeugende von Atmosphären nicht begreifen kann. Böhmes Ontologie geht von den Ekstasen der Dinge aus, ihrem Heraustreten und räumlich sein und nicht von ihrer Verschlossenheit. 84 Mit dem Ekstase-Begriff verlässt Böhme Schmitz‘ Theorie von den Atmosphären, der sie so weit von den Dingen gelöst hatte, dass er eine produktive Ästhetik negieren musste. Außerdem bleibt Schmitz mit seinem Atmosphäre-Begriff auf das Feld der Kunst beschränkt. Die Erweiterung des Wahrnehmungsobjektes Atmosphäre auf sämtliche Erfahrungen leiblicher Wahrnehmung bleibt er der ästhetischen Theorie schuldig. 85 Das folgende Kapitel vertieft den Gegenstand der Atmosphäre, wie sie von Gernot Böhme begriffen, beschrieben und expliziert wird. Für eine Architekturästhetik ist die Wendung des ästhetischen Gegenstandes zum Raum von besonderer Bedeutung. 21 22 Atmosphäre am Werk 1 Welsch, Wolfgang: Ästhetisches Denken, 7. Aufl. Stuttgart 2010, S. 28. 2 Ebd. 3 Barck, Karlheinz: Ästhetik/ästhetisch, in: Ästhetische 21, § 14. 22 Ebd., S. 15, § 6a. 23 M irbach, Dagmar: Einführung Aesthetica [wie Anm. 18], S. XXXVII. Grundbegriffe. Absenz-Darstellung, hrsg. v. Karlheinz Barck/ 24 Ebd., S. LIII–LIV. Martin Fontius/Dieter Schlenstedt/u. a. Erster Bd., Stuttgart/ 25 Baumgarten, Alexander Gottlieb: Ästhetik [wie Anm. 12], § Weimar 2000, S. 308–383, hier: S. 322. 4 Naumann-Beyer, Waltraud: Sinnlichkeit, in: Ästhetische 38. 26 Vgl. Leibniz, Gottfried Wilhelm: Meditationes de cognitione, Grundbegriffe. Postmoderne-Synästhesie, hrsg. v. Karlheinz veritate et ideis [Betrachtungen über die Erkenntnis, die Barck/Martin Fontius/Dieter Schlenstedt/u. a. Fünfter Bd., Wahrheit und die Ideen], in: Fünf Schriften zur Logik und Stuttgart/ Weimar 2000, S. 534–577, hier: S. 567–568. Metaphysik, hrsg. v. Herbert Herring, Stuttgart 1966, S. 9–17; 5 Goethe, Johann Wolfgang von: Maximen und Reflexionen, zit. nach: Dagmar Mirbach: Einführung zur fragmentarischen in: Goethes Werke. Hamburger Ausgabe, hrsg. v. Christian Ganzheit von Alexander Gottlieb Baumgartens Aesthetica Wegner, Zwölfter Bd., 6. Aufl., Hamburg 1967, zit. nach: (1750/58), in: Baumgarten, Alexander Gottlieb: Ästhetik, Böhme, Gernot: Aisthetik. Vorlesungen über Ästhetik als hrsg. v. Dagmar Mirbach, Erster Bd., Hamburg 2007, S. allgemeine Wahrnehmungslehre, München 2001, S. 108; Goethes Ästhetik wird in der Phänomenologie des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt. 6 Ästhetik, in: Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, hrsg. v. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Internet: http://www.dwds. de/?qu=Ästhetik, Stand: 5.12.2015. 7 Welsch, Wolfgang: Grenzgänge der Ästhetik, Stuttgart 1996, S. 73. XV–LXXX, hier: S. XXXII. 27 M irbach, Dagmar: Einführung Aesthetica [wie Anm. 18], S. LVII. 28 Gabriel, Gottfried: Erkenntnis, Berlin/ Boston 2015, S. 56. 29 M irbach, Dagmar: Einführung Aesthetica [wie Anm. 18], S. XXXII–XXXVII. 30 Ebd., S. XXXVII. 31 Baumgarten, Alexander Gottlieb: Ästhetik [wie Anm. 12], § 560: „Ich meine in der Tat, daß es den Philosophen nunmehr 8 Ebd., S. 359. in höchstem Maße offenkundig sein kann, daß in der 9 Welsch, Wolfgang: Ästhetisches Denken [wie Anm. 1], S. 7. Vorstellung und in der logischen Wahrheit nur mit einem 10 Wildermuth, Armin: Ästhetik - Zwischen Philosophie und Verlust an vieler und großer materialer Vollkommenheit künstlerischer Praxis, in: Die Aktualität des Ästhetischen, zurechtzubringen war, was auch immer ihnen an formaler hrsg. v. Wolfgang Welsch, München 1993, S. 373–397, hier: S. Vollkommenheit innewohnt. Denn was ist die Absonderung, 388. 11 Boehm, Gottfried: Der erste Blick. Kunstwerk - Ästhetik - Philosophie, in: Die Aktualität des Ästhetischen, hrsg. v. Wolfgang Welsch, München 1993, S. 355–369, hier: S. 357. 12 Baumgarten, Alexander Gottlieb: Ästhetik, hrsg. v. Dagmar Mirbach, Erster Bd., Hamburg 2007, § 560. 13 Wildermuth, Armin: Der erste Blick [wie Anm. 10], S. 384. 14 Vgl. Baumgarten, Alexander Gottlieb: Ästhetik [wie Anm. 12]. 15 Vgl. Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft, hrsg. v. Heiner F. Klemme, Hamburg 2001. 16 Vgl. Böhme, Gernot: Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik, Frankfurt/Main 1995. wenn nicht ein Verlust?“. 32 M irbach, Dagmar: Einführung Aesthetica [wie Anm. 18], S. XLI–XLII. 33 Baumgarten, Alexander Gottlieb/Eberhard, Johann August/ Meier, Georg Friedrich/u. a.: Metaphysik, Halle/Saale 1783, § 531; zit. nach: Ebd., S. XLII. 34 Baumgarten, Alexander Gottlieb: Ästhetik [wie Anm. 12], § 562. 35 Ebd., § 440. 36 Ebd., § 20. 37 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 5], S. 15. 38 Baumgarten, Alexander Gottlieb/Eberhard, Johann August/ Meier, Georg Friedrich/u. a.: Metaphysik. 1783, § 752; zit. 17 Ebd., S. 23. nach: Mirbach, Dagmar: Einführung Aesthetica [wie Anm. 18 M irbach, Dagmar: Einführung zur fragmentarischen 18], S. XLIII. Ganzheit von Alexander Gottlieb Baumgartens Aesthetica 39 Ebd., S. LV. (1750/58), in: Baumgarten, Alexander Gottlieb: Ästhetik, 40 Ebd., S. LVIII. hrsg. v. Dagmar Mirbach, Erster Bd., Hamburg 2007, S. 41 Ebd., S. LXIII. XV–LXXX, hier: S. XXX. 42 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 5], S. 30. 19 Baeumler, Alfred: Kants Kritik der Urteilskraft. Ihre Geschichte und Systematik, Halle/Saale 1923, S. 1. 20 Barck, Karlheinz: Ästhetik/ästhetisch [wie Anm. 3], S. 327. 21 Baumgarten, Alexander Gottlieb: Ästhetik [wie Anm. 12], S. 43 Welsch, Wolfgang: Grenzgänge [wie Anm. 7], S. 74. 44 Böhme, Gernot: Kants Kritik der Urteilskraft in neuer Sicht, Frankfurt/Main 1999, S. 4. 45 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 5], S. 17. II Ästhetische Philosophie 46 K ant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft, hrsg. v. Heiner F. Barck/Martin Fontius/Dieter Schlenstedt/u. a. Fünfter Bd, Klemme, Hamburg 2001, S. 164, KdU, A 144. Stuttgart/ Weimar 2000, S. 390–436, hier: S. 395. 47 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 5], S. 15. 68 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 16], S. 23. 48 Welsch, Wolfgang: Grenzgänge [wie Anm. 7], S. 74. 69 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 5], S. 23–24. 49 K ant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft, hrsg. v. Jens 70 Ebd., S. 42. Timmermann, Hamburg 1998, S. 130, KrV, A 51. 71 Wildermuth, Armin: Der erste Blick [wie Anm. 10], S. 378. 50 K ant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft [wie Anm. 15], S. 6. 72 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 16], S. 48. 51 „Anschauungsformen“, in: Eisler, Rudolf: Kant-Lexikon. 73 Ebd., S. 18. Nachschlagewerk zu Kants sämtlichen Schriften, Briefen und 74 Ebd., S. 25. handschriftlichem Nachlaß, 10. Aufl., Hildesheim/ Zürich/ 75 Ebd., S. 47. New York 1989, S. 20–25. 76 Ebd., S. 42. 52 Die Natur ist in Kants Erkenntnistheorie der „Inbegriff der 77 Ebd. Erscheinungen“ in Raum und Zeit. Die Natur ist „Objekt aller 78 Ebd., S. 31. möglichen Erfahrungen“ und Ausgangspunkt des Erkennens, 79 Vgl. Merleau-Ponty, Maurice: Phänomenologie der denn sie ist die Welt in ihrer dynamischen Ganzheit. Die wahrnehmbare Natur ist nicht an sich gegeben, aber sie ist das Wahrnehmung, Berlin 1974. 80 K amper, Dietmar: Körper, in: Ästhetische Grundbegriffe. „Notwendige der Wirklichkeit“, vgl. „Natur“, in: Ebd., S. Harmonie-Material, hrsg. v. Karlheinz Barck/Martin 376–378. Fontius/Dieter Schlenstedt/u. a. Dritter Bd, Stuttgart/ 53 Gabriel, Gottfried: Erkenntnis [wie Anm. 28], S. 44. 54 Cassirer, Ernst: Mythischer, ästhetischer und theoretischer Weimar 2001, S. 426–449, hier: S. 445. 81 Ebd., S. 426. Raum, in: Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie 82 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 5], S. 45. und Kulturwissenschaften, hrsg. v. Jörg Dünne/Stephan 83 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 16], S. 161. Günzel, Frankfurt/Main 2012, S. 485–500, hier: S. 492–493. 84 Ebd., S. 200. 55 Zwenger, Thomas: Urteil, in: Online-Wörterbuch Philosophie: Das Philosophielexikon im Internet, hrsg. v. Wulff D. Rehfus, Stuttgart 2003, URL: http://www. philosophie-woerterbuch.de/online-woerterbuch, Stand: 15.09.2015. 56 K ant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft [wie Anm. 15], S. 48, KdU, A 4. 57 M irbach, Dagmar: Einführung Aesthetica [wie Anm. 18], S. XX. 58Kant, Immanuel: Werke in zwölf Bänden, Zehnter Bd., Frankfurt am Main (1914) 1977, S. 34-46, http://www.zeno. org/nid/20009190252, Stand: 05.12.2015. 59 K ant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft [wie Anm. 15], S. 58, KdU, A 17. 60 Ebd., KdU, A 16. 61 Ebd., S. 163, KdU, A 144. 62 Ebd., S. 191, KdU, A 179. 63 Ebd., S. 198, KdU, A 187. 64 M irbach, Dagmar: Einführung Aesthetica [wie Anm. 18], S. XX. 65 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 5], S. 12. 66 „ Die klassische Ästhetik hat nur drei oder vier Atmosphären behandelt, nämlich das Schöne, das Erhabene – vielleicht sollte man das Pittoreske hinzuzählen – und dann die charakterlose Atmosphäre oder Atmosphäre überhaupt, die Aura.“, vgl. Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 16], S. 35. 67 Reschke, Renate: Schön/Schönheit, in: Ästhetische Grundbegriffe. Postmoderne- Synästhesie, hrsg. v. Karlheinz 85 Ebd., S. 30. 23 24 Atmosphäre am Werk III III Ästhetischer Raum und Atmosphäre Ästhetischer Raum und Atmosphäre Der ästhetische Diskurs in der Architektur wird immer wieder von der Frage nach der architektonischen Qualität bestimmt. Peter Zumthor (geb. 1943) bemisst architektonische Qualität daran, ob ein Bauwerk dazu in der Lage ist ihn zu berühren. Er fragt gleichzeitig „Was zum Teufel berührt mich jedoch an diesen Bauwerken? Und wie kann ich das entwerfen?“1 Hier deutet sich bereits das spezifisch ästhetische Problem der Architekturphilosophie und -ästhetik an. Als ästhetisch lässt sich etwas beschreiben, was uns ergreift, was wir jedoch selbst nicht greifen können. Es kann ein unbestimmtes Mehr, eine gewisse Stimmung, eine unbegreifliche Schönheit, eine besondere Aura oder eine sonderbare Atmosphäre sein, die uns anrührt. In dieser obskuren Sphäre des Vagen liegt das Phänomen des Ästhetischen, dem sich die Ästhetik widmet. Man versucht das Phänomen der architektonischen Qualität über Begriffe wie Stimmung, Charakter, Genius Loci, Atmosphäre oder Aura einzufangen. Worüber genau unterhält man sich aber, wenn von architektonischer Qualität die Rede ist? Herman Sörgel (1885-1952) hat in seiner Architekturästhetik das Ästhetische der Architekturerfahrung wie folgt definiert: „An dem Objekt »Haus« interessiert ästhetisch vorerst nur das Phänomen »Haus«, d.h. das wirklich, unmittelbar vom Subjekte Beobachtete. Die ästhetische Forschung wird also weder an der Realität des Objekts noch an den allgemeinen »apriorischen« Potenzen des Subjekts anzuknüpfen haben, sondern einzig und allein an dem Vorgang, der zwischen beiden stattfindet; weder das Objekt noch das Subjekt haben an sich ästhetische Bedeutung.“2 Zumthors Verzweiflung angesichts der Schwierigkeiten mit dem Ästhetischen spricht sowohl die Ebene der Ontologie an, thematisiert also die Frage nach dem Was-sein der Atmosphäre, als auch die Ebene der Rezeption und Produktion, also die Frage nach der Möglichkeit ihrer Wahrnehmung und Erzeugung. Im folgenden Kapitel werden diese Themen mit Gernot Böhme näher betrachtet um Atmosphäre begrifflich noch besser fassen zu können. Bei der architektonischen Qualität wird davon ausgegangen, dass Architektur „mehr erzeugt, als man sieht.“3 Theodor W. Adorno (1903-1969) hat das Phänomen der Qualität gleich unter das Wort „Mehr“ zusammengefasst. Adorno hat das „Mehr“ als Begriff zur Bestimmung eines Bedeutungsüberschuss am Objekt verwendet. Vorbild ist die Naturerfahrung, denn „Natur hat ihre Schönheit daran, daß sie mehr zu sagen scheint, als sie ist.“4 Im Kontext der bildenden Kunst zeigt sich der Betrachterin etwas am Kunstwerk, dass als Erscheinung über das physische Objekt der Leinwand, der Farbe und des Motivs hinausreicht und als diffuses Gefühl eines „Mehr“ wahrnehmbar ist. Der Begriff ist ein Verweis auf die Gestalttheorie und den Satz „das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“. Allerdings deutet Adorno den Satz nicht formell sondern ästhetisch und verweist auf das „Mehr“ als Erscheinung der Idee am Kunstwerk. Adorno bezieht sich auf Walter Benjamin (1892-1940), wenn er von dem Scheinen des Kunstwerkes spricht. Benjamin hat mit dem Begriff der „Aura“ das Phänomen des aufscheinenden Kunstwerks zu begreifen und am Aura-Begriff die Einzigartigkeit des Kunstwerks also seine einmalige Qualität zu beweisen gesucht.5 Benjamin bringt mit dem Aura-Begriff die sinnliche Wahrnehmung wieder zurück ins Gespräch und öffnet den ästhetischen Diskurs für die Kunst der Avantgarde und die Auflösung des Bildbegriffs. Auch Gernot Böhme verweist auf den Aura-Begriff von Benjamin als einen 25 26 Atmosphäre am Werk Vorläufer seines Atmosphäre-Begriffs, mit dem er seine neue Ästhetik begründet. In der Atmosphäre findet Böhme einen Begriff für jenes „Mehr“, was uns mal als Schönheit, mal als Aura oder Qualität begegnet und ergreift. Atmosphären sind im alltäglichen Sprachgebrauch für ästhetische Phänomene seit langer Zeit bekannt und verbreitet. Aber erst Walter Benjamin führt über die Aura die Erfahrung mit dem Atmosphärischen in die ästhetische Theorie ein. Die besondere Präsenz einer Person ist im Allgemeinen als Aura bekannt. Eine Person umgibt eine sonderbare Ausstrahlung, eine geheimnisvolle Unnahbarkeit, die deutlich spürbar wird für Menschen die sich in ihrer Nähe aufhalten. Über ihren physischen Körper hinaus wird die Anwesenheit der Person in Form ihrer Aura als in der Umgebung ausgedehnte Entität spürbar. Benjamin verwendete den Begriff seinerzeit um an dem Phänomen der Ausstrahlung das einzigartige Wesen des Kunstwerks über seine reine Materialität hinaus zu erfassen und zu benennen.6 Gernot Böhme fasst das Phänomen der Aura unter den Begriff der Atmosphäre und erreicht damit eine Öffnung des ästhetischen Betrachtungsrahmens jenseits der Kunst.7 Wie bereits im vorangegangen Kapitel erläutert, erhebt er die Atmosphäre zum zentralen Begriff und Erkenntnisgegenstand seiner neuen Ästhetik.8 Avantgarde und neue Ästhetik Angesichts der rasanten gesellschaftlichen Veränderungen, Industrialisierung, Technisierung, Verstädterung, die Herausbildung einer Massen- und Konsumgesellschaft, bricht die künstlerische Bewegung Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Kunst der bürgerlichen Gesellschaft, ihrem klassischen Kunstbegriff und seinen Dogmen, welche u.a. die klassische Ästhetik hervorgebracht und zementiert hatte. Die Losung heißt: „Kunst für alle! Kunst zu den Massen! Kunst auf die Straße!“9 Konstruktivismus, Expressionismus, Dadaismus, Futurismus, Surrealismus etc. sind Strömungen der Avantgarde die zeitgemäße Antworten auf die Fragen der neuen Gesellschaft suchten. „Gegenüber Form, Symbol und Zeichen hat die moderne Kunst die Materialität, die Leiblichkeit, das Atmosphärische und das Ereignis zur Geltung gebracht.“10 Damit waren die Paradigmen der neuen Ästhetik in den Diskursen der Avantgarde bereits enthalten. Böhme vollzieht in der philosophischen Theorie, was die Kunst bereits vorwegnahm. Er dekonstruiert die klassische Ästhetik in ihrer Reduzierung auf Urteilsästhetik und Kunstkritik. Er argumentiert, dass der Fokus der klassischen Ästhetik auf die Frage was ist Kunst und die Praxis des Beurteilens „wahrer“ Kunst nicht die Wirklichkeit der modernen Gesellschaft widerspiegelt und den neuen Herausforderungen einer ästhetisierten Welt nicht gerecht wird. Spätestens mit der Stoßrichtung der Avantgarde ist die klassische Ästhetik nach Böhme obsolet geworden. Er reagiert mit einer Öffnung der Ästhetik jenseits der klassischen Kunst. Sie verliert damit ihre Position als „das primäre Thema der Ästhetik“. Böhme ordnet sie als nur eine Form der ästhetischen Arbeit unter.11 Und ästhetische Arbeit schafft im Wesentlichen Atmosphären. Was aber ist das? Atmosphäre und Sprache Der Atmosphärebegriff ist prekär, da die Erfahrung zwischen konkret beschreibbaren Atmosphären und einer diffusen Atmosphärewahrnehmung oszilliert. Wissenschaft verlangt aber die Exaktheit von Begriffen und Modellen. Die Ohnmacht der Sprache, wenn es darum geht das Phänomen der Atmosphäre zu begreifen, schafft ein Legitimationsproblem für den Atmosphäre-Begriff im diskursiven Feld der philosophischen Wissenschaft. Es herrscht eine Sprachlosigkeit um das Phänomen der Atmosphäre, trotzdem die Alltagssprache eine unendliche Fülle an spezifischen Atmosphären zu charakterisieren weiß: eine angespannte, gelöste, intime, feierliche, gemütliche, erhebende, niederdrückende Atmosphäre, um einige Beispiele zu nennen. Die Definition des Phänomens selbst allerdings ist bedingt durch seine Unschärfe und Vagheit ungleich schwieriger und hat zur Konsequenz, dass sich der Begriff unter den Prämissen eines wissenschaftlichen Positivismus nur schwer behaupten kann. „Weil Atmosphären weder Substanz, noch Akzidenz, weder rein objektiv noch rein subjektiv sind, fallen sie quasi aus dem vernünftig Sagbaren heraus“12 , fasst Böhme das Dilemma zusammen. Hermann Schmitz, auf den sich Böhme immer wieder bezieht, begegnet dem Positivismus-Problem über die Phänomenologie. Demnach ist wirklich, was sich mir in der Erfahrung zeigt.13 Die Atmosphäre erhält ihre Wahrheit phänomenologisch, indem ich sie im eigenleiblichen Spüren wahrnehme. Was aber ist das Wesen der Atmosphäre? Wie ist sie bestimmt? 1 Ästhetischer Raum und Atmosphäre Böhme definiert Atmosphären als „[...] räumliche Träger von Stimmungen.“14 Er verwendet hier eine Formulierung von Elisabeth Ströker.15 So bestimmt er die Atmosphäre als grundsätzlich räumliches Phänomen. Raum ist „[...] immer ein gestimmter Raum […].“16 Für die Architektur ergibt sich daraus die wenig III Ästhetischer Raum und Atmosphäre verblüffende Konsequenz, dass das eigentliche ästhetische Objekt der Raum ist – seine Wirkung und Erzeugung. Allerdings sind Atmosphären „[...] randlos, ergossen, dabei ortlos, d.h. nicht lokalisierbar.“17 Hierin liegt sowohl das große Interesse und die Aufmerksamkeit für die Atmosphäre und Böhmes neue Ästhetik im Bereich der Architektur als auch die bereits angedeutete Schwierigkeit damit. Ernst Cassirer vermutet, dass „gerade das Raumproblem zum Ausgangspunkt einer neuen ‚Selbstbesinnung‘ der Ästhetik werden könne“.18 Im Raum findet die Architektur ihre eigene ästhetische Kategorie. Dabei geht es um die ästhetische Dimension des Raumes, seine Qualität, nicht seine Quantifizierbarkeit. Es zeigt sich, „daß es nicht eine allgemeine, schlechthin feststehende Raum-Anschauung gibt, sondern daß der Raum seinen bestimmten Gehalt und seine eigentümliche Fügung erst von der ‚Sinnordnung‘ erhält, innerhalb derer er sich jeweilig gestaltet. Je nachdem […] wandelt sich auch die ‚Form‘ des Raumes.“19 Hier gehen wir also von einem ästhetischen Raumbegriff aus. Den Raum als ästhetischen Raum oder Atmosphäre zu begreifen, fordert seine Seinsweise heraus, also die Frage nach seinem Was-sein. Die Philosophie, allen voran Kant, hat den Raum als Anschauung a priori definiert, da ihm mit dem Seinsbegriff nicht beizukommen war. In der Konsequenz hat man ihn dem Ordnungsbegriff untergeordnet, von dort aus er in seinen Möglichkeiten und damit veränderlich gedacht werden konnte.20 Bereits Leibniz hatte den Raum als „Möglichkeit des Beisammen“ definiert.21 Kant und Leibniz distanzieren sich hier von dem metrischen Raumbegriff Descartes und rekurrieren auf den topologischen Raum des Aristoteles, also den Raum der Beziehungen, Nachbarschaften und Umgebungen. Der erste ist ein quantitativer, der zweite ein qualitativer Raumbegriff. Raum als relativ, veränderlich und dynamisch zu denken ist auch eine moderne Vorstellung, deren Durchbruch mit der Relativitätstheorie von Albert Einstein über die Physik hinaus gelang. Der relationale Raum löst in der Architektur einen Paradigmenwechsel aus, der nach August Schmarsow (1853-1936) das „Raumgefühl“ ins Zentrum des architektonischen Schaffens stellt, wo zuvor das „Formgefühl“ maßgeblich war. Architektur wird zur „Raumgestalterin“.22 Als Architekten kennen wir den geometrischen Raum, jenen neutralen Behälter, in den wir unsere Darstellungen hineinprojizieren: Grundrisse, Schnitte, Erdgeschosspläne, Erschließungspläne, Bebauungspläne, 3-D-Simulationen. Dieser geometrische Raum ist ein vermessener, durch ein Koordinatensystem sich in alle Richtungen gleichmäßig ausdehnender Raum; unbestimmt: ohne links oder rechts, vorn oder hinten, nah oder fern. „Diese Raumvorstellung führt dazu, dass ästhetische Arbeit vor allem als Schaffung von Gestalten und Entwurf von Größenverhältnissen verstanden wird.“23 Der ästhetische Raum wird qualitativ in seiner atmosphärischen Wirklichkeit und Veränderlichkeit und nicht quantitativ in den statischen Dimensionen von Länge, Breite und Höhe euklidisch bestimmt. Böhme differenziert daher zwischen „[...]Raum als Raum leiblicher Anwesenheit und Raum als Medium von Darstellungen.“24 Der Mensch des ästhetischen Raumes fließt in seiner Wahrnehmung und leiblichen Präsenz in den Entwurfsprozess ein, nicht wie bei Vitruv oder zuletzt mit le Corbusiers Entwicklung des Modulor nur der Körper als vermessbares Objekt. Der Mensch wird nicht als quantifizierbares Maß der Dinge zitiert sondern qualitativ in seinem Befinden im Raum thematisiert. „Der Raum leiblicher Anwesenheit ist durch die Kategorien zu bestimmen, nach denen unsere Umgebung unser Gefühl hier zu sein modifiziert, also unsere Befindlichkeit.“25 Befindlichkeit definiert Böhme als einen besonderen Sinn des Menschen, den Sinn des „Darin-Sein“. Wir spüren die Umgebung in der wir uns befinden und wie wir uns darin befinden. Befindlichkeit bedeutet das Spüren der eigenen Anwesenheit und damit ist es ein Spüren des Raumes selbst. „Wir spüren, was das für ein Raum ist, der uns umgibt. Wir spüren seine Atmosphäre.“26 Der Raum leiblicher Anwesenheit ist bestimmt durch „[...] Enge und Weite, durch Bewegungsanmutungen, oder Hemmungen, durch Helligkeit und Dunkelheit, durch Luzidität und Opazitäwt etc.“27 Atmosphären sind quasi objektive Gefühlsmächte, die sich räumlich in die Weite erstrecken.28 Das Räumliche als Wesenszug der Atmosphären offenbart sich mir, indem ich mich ihrer Wirkung aussetze und mich hinein bewege in ihren Wirkungsradius. Umgekehrt kann ich mich ihrer Wirkung entziehen, indem ich mich u.a. räumlich distanziere. Der Raum wird in seiner Raumwirkung und damit als Atmosphäre gedacht. Die Frage, die sich für die Architektur stellt, ist wie der ästhetische Raum gedacht in Atmosphären im Entwurfsprozess vorgestellt, simuliert, produziert, gesteuert und kontrolliert werden kann. Wie lassen sich Atmosphären entwerfen, planen und erzeugen? Diesen Fragen muss auch mit einer intensiven Untersuchung der Entstehungs- und Wahrnehmungsbedingungen von Atmosphären begegnet werden mit dem Ziel Atmosphärekompetenz herauszubilden.29 Gernot Böhme differenziert zu diesem Zweck zwischen einem 27 28 Atmosphäre am Werk Subjektpol und einem Objektpol. 2Ko-Präsenz Es ist naheliegend Atmosphäre entweder als objektive Eigenschaft der Dinge oder als subjektives Gefühl zu denken. Die Erfahrung, dass ich durch meine innere Gestimmtheit die Wahrnehmung meiner Umgebung beeinflusse, lässt leicht den Schluss zu, dass Atmosphären lediglich Projektionen der eigenen Befindlichkeit sind. Böhme zeigt aber (anhand der Ingressions- und Diskrepanzerfahrung), dass meine Grundstimmung und die Atmosphäre in die ich hineingerate völlig divergieren können. Böhme führt so den Beweis, dass Atmosphäre gegenständlich wahrnehmbar ist und ergo eine eigene Wirklichkeit besitzt und nicht beim Subjekt aufzusuchen ist.30 Was wahrgenommen wird, sind also „weder Empfindungen noch Gestalten, noch Gegenstände oder deren Konstellationen, wie die Gestaltpsychologie meinte“ sondern Atmosphären.31 Ebenso wenig sind Atmosphären als Eigenschaften am Objekt aufzusuchen. Böhme definiert sie zwar als Manifestation der Präsenz von Menschen, Dingen oder Umgebungskonstellationen32 , aber erst „durch den analytischen Blick [können] so etwas wie Gegenstände, Formen, Farben usw. unterschieden werden.“33 Ihre Wirklichkeit besitzt die Atmosphäre als eigene Entität und Präsenz. Ihre Existenz zeigt sich ausschließlich als Erfahrung einer Ko-Präsenz des wahrnehmenden Subjekts mit dem Wahrnehmungsobjekt. „Atmosphäre ist die gemeinsame Wirklichkeit des Wahrnehmenden und des Wahrgenommenen.“34 Für mich als wahrnehmendes Subjekt ist die phänomenale Wirklichkeit der Zustand der Wahrnehmung, der eine Moment leiblich gespürter Anwesenheit, d.h. die unmittelbare Wirkung der Atmosphäre auf mein leibliches Befinden. Ich als Wahrnehmende bleibe in der Wahrnehmung passiv, indem Wahrnehmen Betroffensein ist.35 Etwas macht mich betroffen. Ich kann mich dem lediglich verschließen oder entziehen. Für das wahrgenommene Objekt bedeutet Wirklichkeit der aktuelle Wirkungsbereich seiner Anwesenheit. Böhme erklärt diesen Zustand als gespürte Ko-Präsenz von Subjekt und Objekt. Auch wenn Atmosphäre weder auf einen erzeugenden Objektpol noch einen wahrnehmenden Subjektpol reduzierbar ist, lässt sie sich doch aus der Perspektive ihrer Erzeugung und ihrer Wirkung beschreiben. Atmosphären und Atmosphärisches Der Sachverhalt der Ko-Präsenz zeigt sich besonders anhand der Unterscheidung von Atmosphäre und dem Phänomen des Atmosphärischen. Gernot Böhme folgt mit dieser Unterscheidung Hermann Schmitz. Wie die Atmosphäre sind die Phänomene des Atmosphärischen ebenso „unbestimmt in die Weite ergossen“ und als Erscheinung räumlich. Das Atmosphärische wird als freischwebende Qualität erfahren, die sich wie im Fall der Kälte deutlich vom Ich unterscheiden kann. Als Beispiele für das Atmosphärische führt Böhme die Nacht, den Herbst, die Beleuchtung, die Dämmerung, den Wind, eine Stimme oder die Kälte an und definiert diese Erscheinungen mit Hermann Schmitz als Halbdinge.36 Er verwendet den Begriff Halbdinge um die Tendenz zum Dingcharakter des Atmosphärischen gegenüber den Atmosphären herauszustellen. Halbdinge sind reine Phänomene, die nur als Erscheinungen existieren und damit nicht Erscheinungen von etwas sind.37 Die Atmosphärewahrnehmung unterscheidet sich in der gemeinsamen Wirklichkeit von Wahrnehmenden und Wahrgenommenen als Bedingung ihrer Existenz. Entferne ich aus dieser Erfahrung das wahrnehmende Subjekt „bricht die Atmosphäre zusammen“. Sie kann nur in leiblicher Anwesenheit erfahren werden. Anders bei den Phänomenen des Atmosphärischen, die auch unabhängig von dem wahrnehmenden Subjekt und ohne seine affektive Betroffenheit existiert. Genau wie Atmosphären haben Halbdinge „[...] die Seinsweise von Wirklichkeit, nicht von Realität“.38 Die Grenze zwischen Atmosphäre und dem Atmosphärischen ist jedoch nicht immer klar zu ziehen. Die grundlegenden Begriffe, welche Böhme zur Charakterisierung von Subjekt- und Objektpol verwendet, sind der „menschliche Leib“ und die „Ekstasen der Dinge“. Die neue Ästhetik stellt so den Körper-Geist-Dualismus auf der einen als auch die Ding-Ontologie auf der anderen Seite zur Disposition – zwei Konzepte, die unser Denken und unsere Vorstellung von uns und der Welt bis heute dominieren. Danach sind nicht der Körper, sondern der Leib, wie er uns durch Selbsterfahrung gegeben ist und das Ding, nicht wie es ist, sondern wie es uns erscheint, die wesentlichen Aspekte der Atmosphärewahrnehmung. 3 Bestimmung am Subjektpol Die Atmosphäre von ihrem Subjektpol betrachtet ist eine Macht, die mein Befinden im Raum modifiziert: „Sie greift bei der Befindlichkeit des Menschen an, sie wirkt aufs Gemüt, sie manipuliert die Stimmung, sie evoziert die Emotionen.“39 Mit dieser Charakterisierung greift Böhme auf eine Definition von Hermann Schmitz zurück, wie er sie innerhalb seiner Leibphilosophie herausgearbeitet hat. Darin definiert Schmitz Atmosphären als „ergreifende Gefühlsmächte“. Die Atmosphäre III Ästhetischer Raum und Atmosphäre lässt sich von ihrem Subjektpol her ihrer Wirkung auf das wahrnehmende Subjekt nach bestimmen. „Sinnliche Wahrnehmung heißt dann, an der artikulierten Präsenz der Dinge zu partizipieren.“40 Was geschieht dabei in mir und mit mir? Wie muss ich die Atmosphäre vom Subjekt her denken? Wirklichkeit und Realität Um die Atmosphäre als Wahrnehmungsereignis genauer zu bestimmen, stellt Böhme der Wirklichkeit den Realitätsbegriff gegenüber, obschon sie in der Alltagssprache synonym verwendet werden. Realität verweist etymologisch auf die Welt der Sachen und Dinge, wie sie mit ihren Eigenschaften gedacht werden. Wirklichkeit bedeutet demgegenüber die Art und Weise, wie die Dinge scheinen, was ich von ihnen in der gemeinsamen Aktualität, dem Hier und Jetzt wahrnehme. Diese Unterscheidung ist essentiell. Im Alltag ist die Realität häufig unsere Wirklichkeit. Wir gehen um anzukommen, wir essen um satt zu werden, wir arbeiten um zu verreisen, wir stehen um zu warten. Durch Handlungen, welche auf ein Ziel in der nahen oder fernen Zukunft ausgerichtet sind übergehen wir die Wirklichkeit im Hier und Jetzt. Es gibt Erfahrungen, die uns aus den realen Träumen in die wirkliche Welt mit einem Paukenschlag zurückholen. Ich laufe gedankenversunken durch die Stadt. Ich überquere die Straße und jemand hält mich plötzlich und energisch zurück, mich durchfährt ein Schreck und ich wache abrupt aus dem Tagtraum auf, das Auto rast knapp an mir vorbei. Von einem Augenblick zum nächsten bin ich hellwach, der Schreck sitzt mir in den Gliedern und das ganze Außen strömt durch mich hindurch. Plötzlich nehme ich alles um mich wahr. Der Körper zittert, das Blut rauscht in meinen Ohren. Die ausgedehnte Weite meiner Gedanken zieht sich auf den einen Moment an den einen Ort zusammen. Ich bin im Hier und Jetzt ganz präsent. Diese Präsenz ist Ausgangssituation für die Atmosphäre-Wahrnehmung. Leibliches Befinden und Betroffensein Wahrnehmen in Böhmes Verständnis bedeutet sich seiner eigenen Befindlichkeit gewahr zu werden. Befindlichkeit nennt er einen „spezifischen Sinn für das Darin-Sein“41 Dieser Vorgang ist als eigenleibliches Spüren zu verstehen. „Sich leiblich spüren heißt zugleich spüren, wie ich mich in einer Umgebung befinde, wie mir hier zumute ist.“42 Ich vergegenwärtige mich mir selbst am Ort und spüre meine eigene Präsenz und Räumlichkeit. „Der Mensch muß wesentlich als Leib gedacht werden“,43 schlussfolgert Böhme. Den Leibbegriff hat sich Böhme bei Herman Schmitz geliehen, dessen Phänomenologie im Wesentlichen eine Leibphilosophie ist. Er führt den Leib-Begriff im Gegensatz zum Körper-Begriff ein und versöhnt den Geist mit dem Körper. Den Unterschied beschreibt Plessner als Körper haben und Leib sein.44 Anders gesagt, der Körper vermittelt sich uns in Fremdwahrnehmung, der Leib in Selbstwahrnehmung. Maurice Merleau-Ponty, der den Leibbegriff in der Wahrnehmungstheorie etablierte, gibt in dem Zusammenhang zu denken, dass unser Leben nicht auf den Leib ausgerichtet und das leibliche Empfinden ein Lernprozess ist, dem die Entdeckung des eigenen Leibes noch vorausgeht.45 Atmosphären wirken indem sie mich als das wahrnehmende Subjekt „in der Weise des […] affektiven Betroffenseins heimsuchen, wobei dieses die Gestalt der […] Ergriffenheit annimmt“46 In dem Zustand der Ko-Präsenz nehme ich mich noch nicht als unterschieden von dem Anderen außerhalb von mir wahr und habe im Augenblick der Erfahrung keinen Begriff von mir als wahrnehmendes Individuum sondern gehe als Leib in der Empfindung auf. Ko-Präsenz bedeutet auch, dass ich die gespürte Wirkungsmacht noch nicht auf ein Objekt oder eine Situation zurückgeführt habe sondern sie unmittelbar in ihrem Wesen als Atmosphäre spüre. Atmosphären als quasi objektive Gefühlsmächte manipulieren meine Befindlichkeit im Raum, sie modifizieren meinen leiblichen Raum, meine gespürte Räumlichkeit.47 Atmosphären können mich in ihrer ergreifenden Mächtigkeit längere Zeit gefangen nehmen oder mich nur für den Bruchteil von Sekunden in einen Zustand des Betroffenseins versetzen. Das leibliche Spüren ist nach Schmitz in einen Kommunikationsprozess eingebunden48 , dessen Gegenstand die Atmosphäre ist. Der Leib als Kommunikationsmedium mit der Welt sowohl als Sender, als auch als Empfänger. „Diese Theorie baut darauf auf, dass das eigenleibliche Spüren den Charakter eines Antagonismus von Engung und Weitung hat.“49 Das Phänomen von Engung und Weitung habe ich an einem Nachmittag in New York durch meine eigenleibliche akustische Resonanz verstanden. Ich überquerte den Platz vor der Metropolitan Opera und dem Lincoln Center for the Performing Arts und steuerte die New York Public Library an, einen kleineren Flachbau, vor dem es einen weiteren Platz zu überqueren galt. Vor dem Bibliothekseingang ist eine begehbare schwarze Skulptur aus Metall installiert. Als ich unter dem Bogen hindurch trat, hörte ich die Resonanz meiner Schritte ganz nah. Zuvor ist der Hall im endlosen Raum der Stadt verschwunden, weil er von keiner Häuserwand zurückgeworfen wurde. Ich konnte mich nicht hören. Plötzlich konnte ich meine 29 30 Atmosphäre am Werk Bewegung akustisch wahrnehmen. Akustisch verengte ich mich auf den kleinen Raum, sehr laut. Wohingegen sich meine Präsenz vorher unendlich groß im Raum verlor. Ich war gewissermaßen eingetaucht in die Stadt. Ingression und Diskrepanz Böhme nennt die ganzheitliche sinnliche Erfassung der Atmosphäre die ingressive Totale.50 Der Begriff verweist auf die Wahrnehmungserfahrung der Ingression und meint die gegenständliche Erfahrung mit der Atmosphäre indem ich in sie hineingerate. Böhme setzt für diese grundsätzliche Wahrnehmungserfahrung den Modus des „sich Einlassens“ voraus um die charakteristische Art und Weise von Atmosphären zu identifizieren.51 Ingressionserfahrungen sind solche Erfahrungen, bei denen ich Atmosphäre als Etwas außer mir wahrnehme indem ich in sie hineingerate. In der Ingressionserfahrung zeigt sich auch das Moment des Räumlichen der Atmosphärewahrnehmung. Böhme führt das Beispiel des Betretens eines Raumes an, indem die angespannte Atmosphäre einer Verhandlung herrscht. Die Anspannung ist nicht lokalisierbar sondern „unbestimmt in der Weite ergossen“. „Atmosphären sind gestimmte Räume“, die „unsere Befindlichkeit modifizieren bzw. uns zumindest anmuten.“52 Diskrepanzerfahrung verweist auf ein Wahrnehmungsereignis bei dem meine innere Stimmung der Umgebungsatmosphäre in krassem Gegensatz gegenüber steht. In dem Unterschied nehme ich Atmosphäre als Etwas außer mir als „quasi objektives Gefühl“ wahr. Böhme führt hier das Beispiel des Trauerfalls an. In der erfahrenen Trauer nehme ich die heitere Atmosphäre eines Frühlingstages in Kontrast zu meiner eigenen Befindlichkeit wahr. Die Diskrepanz bleibt bestehen.53 In der Ingressions- und Diskrepanzerfahrung heben wir die Charaktere von Atmosphären und können ihr WasSein beschreiben. Auf Atmosphärewahrnehmung muss man sich einlassen. Man muss diesen Wahrnehmungsmodus im Grunde erlernen. Ich muss mich auf eine Atmosphäre einlassen um fragen zu können: Wie ist die Atmosphäre? Für die Beantwortung dieser Frage existiert in der Alltagssprache bereits ein immenses Vokabular.54 Indem ich die Art und Weise einer Atmosphäre sprachlich erfasse, verweise ich auf ihren Charakter, ihr Was-Sein. Charaktere Der Charakter von Atmosphären bezeichnet „die charakteristische Weise, in der sie anmuten.“55 Böhme unterscheidet fünf Gruppen von Charakteren: gesellschaftliche Charaktere (kleinbürgerlich, einfach), Synästhesien (warm, rau), Stimmungen (heiter, ernst) kommunikative Charaktere (freundlich, abweisend) und Bewegungsanmutungen (gehoben, niedergedrückt).56 Allerdings verweist er darauf, dass diese Einteilung keiner abgeschlossenen Systematik folgt und es zu Überschneidungen kommen kann oder weitere Kategorien etabliert werden müssen.57 Wärme, Helligkeit oder Kälte, aber auch Farben, Töne und Gerüche sind solche Charaktere die Böhme der Gruppe der Synästhesien zuordnet. Er beschreibt die Wahrnehmung von Tönen oder Farben als „synästhetisches Einheitserlebnis“58 . Synästhesien werden danach empfunden und lassen sich nicht einzelnen Sinnen zuordnen. Böhme argumentiert: „Die Einheit der Sinne bestünde danach nicht in einer Beziehung zwischen ihnen, sondern darin, dass sie alle auf das Gefühl wirken und im Gefühl gleiche oder verwandte Wirkungen zeitigen können.“59 Ein greller Ton oder eine grelle Farbe affizieren demnach unseren Leib auf ähnliche Weise. Bewegungsanmutungen – Bewegungssuggestionen bei Hermann Schmitz – charakterisieren Atmosphären dergestalt, dass sie Auswirkungen auf meine leibliche Räumlichkeit haben. Eine solche Atmosphäre wirkt auf mich erhebend oder niederdrückend, ich spüre eine Enge oder Weite.60 „Das verbindende Glied zwischen Leiberfahrungen und architekturalen Formen bildet die Bewegungssuggestion“61 „Es sind solche Räume, die Architekten schaffen, jedenfalls von der Seite der Benutzer her gesehen. Dabei spielt, was sie traditionell im Auge haben, nämlich Form, Proportion und Abmessungen, durchaus eine Rolle. Nur geht es um die Weise, wie sie erfahren werden, als Enge und Weite, als lastend oder erhebend. Es sind dies Charaktere von Atmosphären, die auch durch die Geometrie eines Gebäudes bestimmt werden, jedoch nicht ausschließlich.“62 Der kommunikative Charakter einer Atmosphäre zeigt sich in der zwischenmenschlichen Kommunikation. Böhme geht von der kommunikativen Atmosphäre als Grundvoraussetzung für Kommunikation aus. Geht das Atmosphärische bei den Bewegungsanmutungen vor allem von einem Objektpol aus, wird die zwischenmenschliche Atmosphäre von den beteiligten Subjekten in ihrer leiblichen Anwesenheit bestimmt. Sie existiert lediglich in der Interaktion. Kommunikation ist vor allem darauf ausgerichtet eine bestehende Atmosphäre frei von Störungen aufrechtzuerhalten oder diese zu bestätigen. Für gestörte Atmosphären können wir verschiedene Attribute benennen, treten Atmosphären erst durch Störungen wirklich deutlich hervor: gelöste, angespannte, aggressive, oder erregte Gesprächsatmosphären offenbaren solche kommunikativen Störungen. Gesellschaftliche Charaktere strahlen eine Atmosphäre III Ästhetischer Raum und Atmosphäre aus, die zu einer bestimmten Lebensform gehört. „Gesellschaftliche Charaktere, also die Atmosphäre von Macht, Reichtum, Eleganz usw. begegnen uns im Kontext humaner Welteinrichtung, d.h. disziplinär gesprochen, der Architektur, Innenarchitektur, Werbung, Mode, Kosmetik.“63 Sobald ich die Atmosphärewahrnehmung versuche zu denken, verlasse ich die gemeinsame Wirklichkeit und überführe das Phänomen in die Realität. Dem geht ein Differenzierungs- und Abgrenzungsprozess voraus, der aus der Wahrnehmung in Ko-Präsenz zum einen eine Ding-Wahrnehmung macht und zum anderen die Wahrnehmung von mir als Subjekt zur Folge hat. Zum Beispiel berührt mich der Anblick eines Bauwerkes. Indem ich meine Wahrnehmung auf die Anwesenheit von Schönheit zurückführe, etablieren sich unweigerlich ein Objektpol und ein Subjektpol. Je mehr ich diesem Etwas also nachgehe, desto klarer zieht sich die Atmosphäre auf das Ding von dem Sie ausgeht zurück. Hier wird sie am Ding beschreibbar ist aber selbst nicht mehr existent.64 4 Bestimmung am Objektpol Die Objekt-Perspektive fokussiert auf die Erzeugung von Atmosphären. Ausgangspunkt ist die Wirklichkeit der Erscheinungen. Das Denken in Atmosphären setzt eine ekstatische Welt voraus. Nicht eine verschlossene Welt stummer Objekte sondern eine Welt der Atmosphären, in der die Dinge fortlaufend ihre Anwesenheit artikulieren. Maßgeblich ist hier nicht von stummen, in sich geschlossenen Objekten auszugehen sondern von Dingen, die ihre Anwesenheit auf mannigfache Weise artikulieren. Deren Präsenz über ihre physische Grenze hinaus wahrnehmbar ist und atmosphärisch in den Raum hineinwirken. Wir nehmen Objekte selten in ihrer unmittelbaren Wirklichkeit im Raum, in ihrer Wirkung im Hier und Jetzt wahr. Vielmehr denken wir diese Objekte in ihrer vermeintlichen Ganzheit, als Einheit, als Totale seiner Eigenschaften. Nach Böhme muss jedoch das Ding als Potenz gedacht werden. Herman Sörgel grenzt das Ding in unserer Vorstellung und das Ding in unserer Wahrnehmung bereits Anfang des letzten Jahrhunderts in seiner Architekturästhetik voneinander ab: „Der Ästhetiker denkt sich zu seinem Objekt nicht Dinge dazu, die nicht unmittelbar mit demselben gegeben wären, es ist ihm überhaupt nicht um die Erkenntnis des konkreten Objektes zu tun, er fragt nicht nach den vielen Ursachen, durch welche es entstanden ist, und weder die Gewißheit der Dinglichkeit noch der Kausalnexus mit der übrigen Körperwelt spielen für ihn beim Objekt eine Rolle.“65 In der Wahrnehmung zeigt das Ding nur einen Teil seines Potentials, seiner möglichen Seinsweise.66 Was wir von den Dingen wahrnehmen ist eine potentielle Seinsweise. Im Geist ergänzen wir die Eigenschaften, die es gerade nicht offenbart. In den Eigenschaften liegt die Realität des Objektes. Für das Scheinen eines Objektes in der Wirklichkeit spricht Gernot Böhme von den Ekstasen der Dinge. Ekstasen Ekstasen sind die Weisen der Erscheinung des Dinges in der phänomenalen Wirklichkeit. In seinem ekstatischen Sein, erscheint es in der Wahrnehmung, nicht in all seinen denkbaren Eigenschaften. Ekstasen erklären wodurch wir Dinge und Personen wahrnehmen und ihre Anwesenheit im Raum spüren. Sie beschreiben die Wirkungen der Dinge, die sie über ihre körperliche Entität hinaus auf ihre Umgebung ausstrahlen. Und Atmosphären sind nichts anderes als Ausdruck ihrer Anwesenheit im Raum. Am Beispiel der Schönheit lässt sich nachvollziehen, wie Gernot Böhme dem Objekt das Schöne als Eigenschaft entreißt und die Schönheit lediglich als Weise seiner Anwesenheit im Raum akzeptiert. „Die Schönheit von etwas ist in diesem Sinn sein hervorleuchtendes Was-sein, seine deutliche Präsenz als es selbst.“67 Ekstasen beschreiben die Weisen aus der ein Ding aus sich heraustritt.68 Das Rot einer Wand zum Beispiel färbt über die Wand an der es materiell haftet hinaus einen ganzen Raum rötlich ein. Der Geruch von Plätzchen in der Luft beschwören eine vorweihnachtliche Atmosphäre oder die Nachtigall im Grund kündigt mit ihrem Gesang über Kilometer die Dämmerung an. Farben, Gerüche und Geräusche oder Töne können so leicht als Ekstasen gedacht werden, weil sie als Äußerungsformen der Dinge wahrgenommen werden.69 In der klassischen Ding-Ontologie werden sie als sekundäre Qualitäten der Dinge beschrieben, da sie nur in Bezug auf ein Subjekt existieren und nicht als Eigenschaften der Dinge an sich aufgefasst werden. Aber auch die primären Qualitäten der Dinge wie Form oder Gestalt wirken ekstatisch in den Raum hinein. „Die Form eines Dinges wirkt aber auch nach außen. Sie strahlt gewissermaßen in die Umgebung hinein, nimmt dem Raum um das Ding seine Homogenität, erfüllt ihn mit Spannungen und Bewegungssuggestionen.“70 Erzeugende Böhme klassifiziert die Ekstasen als Kategorien analog zu den Charaktergruppen der Atmosphären. Damit lassen sich Atmosphären auch auf der Seite ihrer 31 32 Atmosphäre am Werk Erzeugung am Ding feststellen.71 Böhme findet dafür den Begriff Erzeugende. Über die Erzeugenden lässt sich herausfinden wodurch eine Atmosphäre präsent ist. Sie strahlen etwas aus, dass sich in der Hervorbringung von Atmosphären artikuliert. Die Erzeugenden hat Böhme analog zu den Charakteren systematisiert indem er den jeweiligen Charakteren Gruppen von Erzeugenden zuordnet: Für die Stimmungen nennt Böhme die Szenen als Erzeugende, für die gesellschaftlichen Charaktere Insignien und Symbole, für die Bewegungsanmutungen Formen und Volumina, für die kommunikativen Atmosphären nennt er Gesten, Mimik und Stimmfärbung sowie die Physiognomie.72 Die Zuordnung im Fall der Synästhesien ist etwa schwieriger gelagert. Böhme nennt Farben, Töne, Stimmen und Formen, die alle potentiell warm, grell, schwer, hell etc. wirken können und damit für diese Atmosphären verantwortlich sind. Das sind nur einige Beispiele für Erzeugende von Synästhesien.73 Eine warme Atmosphäre kann durch unterschiedliche Erzeugende ihre synästhetische Qualität erhalten, die sich außerdem überlagern und verstärken können. Erzeugende synästhetischer Atmosphären transzendieren auch andere Gruppen werden aber primär synästhetisch wahrgenommen. Das gleiche gilt für die meisten Erzeugenden, die primär einer Charaktergruppe zugeordnet werden können. Sie können durchaus auch für andere atmosphärische Charaktere mitverantwortlich sein. 13 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 7], S. 29. 14 Ebd., S. 25. 15 Vgl. Ströker, Elisabeth: Philosophische Untersuchungen zum Raum, 2. Aufl, Frankfurt/Main 1977. 16 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre, in: ARCH+ /178 (2006), S. 42–45; hier: S. 45. 17 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 7], S. 29. 18 Cassirer, Ernst: Mythischer, ästhetischer und theoretischer Raum, in: Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, hrsg. v. Jörg Dünne/Stephan Günzel, Frankfurt/Main 2012, S. 485–500; hier: S. 487. 19 Ebd., S. 494. 20 Ebd. 21 Ebd., S. 495. 22 Wagner, Kirsten: Vom Leib zum Raum. Aspekte der Raumdiskussion in der Architektur aus kulturwissenschaftlicher Perspektive, in: Gebaute Räume. Zur kulturellen Formung von Architektur und Stadt. Wolkenkuckucksheim. Internationale Zeitschrift für Theorie und Wissenschaft der Architektur, 9/16 (2004), Internet: http://www.cloud- cuckoo.net/openarchive/wolke/deu/ Themen/041/Wagner/wagner.htm, Stand: 24.8.2015. 23 Böhme, Gernot: Architektur [wie Anm. 16], S. 44. 24 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre, 2. korrigierte Aufl. 2013, München 2006, S. 16. 25 Ebd. 26 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre [wie Anm. 12], S. 110. 27 Böhme, Gernot: Architektur [wie Anm. 16], S. 45. 28 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre [wie Anm. 12], 1 Zumthor, Peter: Atmosphären. Architektonische Umgebungen. Die Dinge um mich herum, Basel 2006, S. 30. 2 Sörgel, Herman: Einführung in die Architektur-Ästhetik. S. 49. 29 Ebd., S. 32. 30 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 10], S. 46. Prolegomena zu einer Theorie der Baukunst, München 1918, S. 31 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 7], S. 48. 69. 32 Ebd., S. 33. 3 Baudrillard, Jean: Architektur. Wahrheit oder Radikalität?, Graz 1999, S. 11. 4 Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie, Frankfurt/Main 1970, S. 122. 33 Ebd., S. 48. 34 Ebd., S. 34. 35 Ebd., S. 29. 36 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 10], S. 59–60. 5 Ebd., S. 122–123. 37 Ebd., S. 62. 6 Vgl. Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner 38 Ebd. technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt/Main 2012. 7 Böhme, Gernot: Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik, Frankfurt/Main 1995, S. 25. 8 Ebd., S. 34. 9 Zit. nach: Beyme, Klaus von: Das Zeitalter der Avantgarden. Kunst und Gesellschaft 1905-1955, München 2005, S. 621. 10 Böhme, Gernot: Aisthetik. Vorlesungen über Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre, München 2001, S. 31–32. 39 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 7], S. 39. 40 Ebd., S. 187. 41 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre [wie Anm. 12], S. 110. 42 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 7], S. 31. 43 Ebd. 44 K amper, Dietmar: Körper, in: Ästhetische Grundbegriffe. Harmonie-Material, hrsg. v. Karlheinz Barck/Martin Fontius/ 11 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 7], S. 16. Dieter Schlenstedt/u. a., Dritter Bd., Stuttgart/ Weimar 2001, 12 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre, 2. korrigierte S. 426–449; hier: S. 426. Aufl. 2013, München 2006, S. 25. 45 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 10], S. 77. III Ästhetischer Raum und Atmosphäre 46 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 7], S. 30. 47 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 10], S. 81–82. 48 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre [wie Anm. 12], S. 36. 49 Ebd. 50 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 10], S. 99. 51 Ebd., S. 87. 52 Böhme, Gernot: Architektur [wie Anm. 16], S. 45. 53 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 10], S. 47–48. 54 Ebd., S. 51–52. 55 Ebd., S. 87. 56 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre [wie Anm. 12], S. 50. 57 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 10], S. 89–90. 58 Böhme, Gernot: Synästhesien im Rahmen einer Phänomenologie der Wahrnehmung, in: Synästhesie. Leib – Raum / Architektur. Wolkenkuckucksheim. Internationale Zeitschrift für Theorie der Architektur 18/31 (2013), Internet: http://cloud-cuckoo.net/fileadmin/hefte_de/ heft_31/artikel_boehme.pdf , Stand: 15.01.2016, S. 21–35; hier: S. 29. 59 Ebd., S. 28. 60 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre [wie Anm. 12], S. 50. 61 Böhme, Gernot: Architektur [wie Anm. 16], S. 44. 62 Ebd., S. 45. 63 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 10], S. 102. 64 Ebd., S. 42. 65 Sörgel, Herman: Einführung in die Architektur-Ästhetik [wie Anm. 2], S. 69. 66 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 10], S. 163. 67 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre [wie Anm. 12], S. 21. 68 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 7], S. 32–33. 69 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 10], S. 140. 70 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 7], S. 33. 71 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 10], S. 52. 72 Ebd., S. 102–103. 73 Böhme, Gernot: Synästhesien [wie Anm. 58], S. 23. 33 34 Atmosphäre am Werk IV IV Ästhetische Arbeit und Architektur Ästhetische Arbeit und Architektur Hermann Schmitz‘ Phänomenologie und Leibphilosophie ist in definitorischer und erkenntnistheoretischer Hinsicht Grundlage für Böhmes Theorie einer neuen Ästhetik. Jedoch in einem wesentlichen Punkt weicht Böhme von Schmitz ab. Indem Schmitz das grundlegende Phänomen der Atmosphäre von den Dingen löst negiert er die Möglichkeit zur Atmosphäreproduktion. „Im Unterschied zum Ansatz von Schmitz werden […] die Atmosphären nicht freischwebend gedacht, sondern gerade umgekehrt als etwas, das von den Dingen, von Menschen oder deren Konstellationen ausgeht und geschaffen wird.“1 Die neue Ästhetik ist also nicht nur Rezeptionsästhetik im Sinne einer allgemeinen Theorie der Wahrnehmung sondern ebenso Produktionsästhetik. Aus der Perspektive der Produzierenden ist sie eine allgemeine Theorie ästhetischer Arbeit. Ihre Aufgabe ist die Produktion von Atmosphären.2 Böhme erinnert an die moralische Dimension ästhetischer Arbeit. Für Architektur und Design existiert für ihn eine Pflicht gegenüber der humanen Gestaltung der Welt in der wir leben.3 Architektur als ästhetische Arbeit ist sowohl der Erzeugungs- als auch der Wirkungsebene von Atmosphären verpflichtet. Auf der Erzeugungsseite erwächst ihr eine Verantwortung gegenüber den Dingen. Sie bezieht sich auf die Anerkennung und das Bewusstsein für das Ekstatisch-sein der Dinge.4 Zumthor fragt: „Wie kann man solche Dinge entwerfen, die eine derart schöne, selbstverständliche Präsenz haben, die mich immer wieder berührt?“ und antwortet selbst: „Ein Begriff dafür ist die Atmosphäre.“5 Architektur muss den Dingen als Erzeugende entsprechen, die an der Hervorbringung von atmosphärischer Wirklichkeit beteiligt sind. Auf der Wirkungsseite existiert eine Verantwortung gegenüber dem Menschen. Diese Verantwortung gründet auf der von Paul Valéry (1871-1945) formulierten Erkenntnis, dass „neben der Musik die Architektur eine von zwei Künsten ist, die den Menschen in den Menschen einschließt.“6 Architektur und die gebaute Welt als Ganze ist für den Menschen eine Totalität, der er sich nicht entziehen kann. Sich in einem Gebäude befinden heißt ihm leiblich ausgesetzt sein, seiner Räumlichkeit und seiner atmosphärischen Wirkmacht. Peter Sloterdijk (geb. 1947) schlussfolgert daraus: „Zur Ethik der Raumerzeugung gehört die Verantwortung für die Atmosphäre“7. Architektur muss dem Menschen als leiblich-sinnliches Wesen entsprechen. Zumthor fügt dem eine dritte Ebene hinzu und spricht von der Verantwortung gegenüber der Erde. Jedes Bauwerk trotzt der Erdoberfläche einen Teil unwiederbringlich ab. Architekten verändern den Ort und schaffen eine neue Welt, indem sie „[…] ein Stück aus der Weltkugel herausnehmen und in eine kleine Kiste bauen.“8 Plötzlich ist ein Innen und ein Außen oder auch ein Öffentlich und ein Privat definiert. Die Architektur macht sich gewissermaßen schuldig an der Erde. Architektur ist also immer ein Eingriff in die gegebene Ordnung und die existierende atmosphärische Setzung. Um der Verantwortung als Architekt gerecht zu werden, appelliert Böhme an die Notwendigkeit zur Herausbildung von Atmosphärekompetenz.9 Die ästhetische Erziehung der Architekten muss die Schärfung des Wissens um die Atmosphären, ihre Erzeugung und ihre Wirkung, umfassen: „Man muß lernen Atmosphären wahrzunehmen [und] man muß lernen Atmosphären zu gestalten.“10 35 36 Atmosphäre am Werk Worauf es bei der Wahrnehmung von Atmosphären u.a. ankommt, hat Hermann Sörgel beschrieben. Danach interessiert den Ästhetiker vordergründig: „wie das Haus aussieht, wie es in geringerer oder größerer Entfernung, bei hellerer oder dunklerer Beleuchtung, bei dieser oder jener Belebung, Stimmung und Ausschmückung erscheint. Für den ästhetischen Betrachter ist ferner wichtig, daß er für diese Erscheinungen aufnahmefähig ist, daß er dazu aufgelegt ist, daß seine Wahrnehmung eine wache, auffassende, aufmerksame ist und nicht durch Vorurteile und störende Einwirkungen getrübt wird.“11 Für die Gestaltung von Atmosphären existiert ein unerschöpfliches Wissen bei den ästhetischen Arbeitern, zu denen Böhme auch die Architekten zählt. Wildermuth spricht von „praktischer Vernunft.“ Er meint die Vernunft, die in der Alltagspraxis von Individuen tagtäglich vollzogen wird, indem sie Entscheidungen treffen und damit Ästhetisches verwirklichen.12 Böhme schlussfolgert: „Diese Leute […] wissen ja von der Praxis her, wie man Atmosphären herstellt und was man mit ihnen bewirken kann, denn sie wollen ja Befindlichkeiten erzeugen.“13 Beide Perspektiven – jene des Architekten als ästhetischen Praktiker und jene der wahrnehmenden Ästhetikerin – sind in der folgenden Untersuchung einbezogen und erhellen die Atmosphärewirklichkeit eines Bauwerks des Architekturkanons, der Therme in Vals von Peter Zumthor. 1 Peter Zumthors Therme in Vals Wenn der Begriff der Atmosphäre im architektonischen Diskurs fällt, schließt sich der Verweis auf ein Bauwerk meist unmittelbar an: Die Therme in Vals von dem schweizer Architekten Peter Zumthor. Auch für diese Arbeit wird diese Ikone als gebautes Beispiel zitiert mit dem Ziel die neue Ästhetik von Gernot Böhme an der gebauten Wirklichkeit nachzuvollziehen. Die Therme ging aus einem Wettbewerb hervor, den die Gemeinde Vals als Eigentümerin des Grundstücks 1986 auslobte. Die Gemeinde hatte das Kurhotel 1983 erworben und plante den Abriss und Neubau des zu klein gewordenen Thermalbereichs, welcher 1968 dort errichtet wurde. Der Graubündner Architekt Peter Zumthor entwarf, plante und realisierte schließlich das Projekt. 1996 wurde die Felsen-Therme eröffnet. Seit 1998 ist das Bauwerk in den Architekturkanon aufgenommen und unter Denkmalschutz gestellt. Die Planung der Therme ist von einer grundsätzlichen Frage Zumthors an die Architektur geleitet: „Kann ich als Architekt auch das entwerfen, was eine architektonische Atmosphäre wirklich ausmacht, diese einmalige Dichte und Stimmung, dieses Gefühl von Gegenwart, Wohlbefinden, Stimmigkeit, Schönheit? Lässt sich das entwerfen (…)?“14 Im folgenden wird das Bauwerk15 mit den Begriffen der neuen Ästhetik von Gernot Böhme analysiert. Dies geschieht in der Unterscheidung von Ding und Leib als die zwei Pole der Betrachtung – die Dinge als Erzeugende und der Leib als Wahrnehmender von Atmosphären. Für die Argumentation dient das Gebäude auf der Erzeugungsseite und ich selbst als Wahrnehmende auf der Wahrnehmungsseite als Quelle. Beide Perspektiven werden argumentativ mit dem Praxiswissen Peter Zumthors gestützt, welches u.a. in den Veröffentlichungen „Atmosphären“16 und „Architektur Denken“17 niedergeschrieben ist. Die analytische Trennung in Objekt- und Subjekt-Pol bezieht sich direkt auf Gernot Böhme und hat zum Ziel die Ko-Präsenz als Existenzbedingung von Atmosphären am Bauwerk zu verdeutlichen und einzelne Atmosphären zu verorten und zu benennen. 2Dinge Der Ausgangspunkt für die Entwurfsarbeit von Peter Zumthor sind die Dinge. Seine Architektur ist von einer Leidenschaft für die Wirklichkeit, für die reale Präsenz der Dinge geprägt. Auch Böhme konstatiert:„die ästhetische Arbeit bleibt eine Arbeit am Ding.“18 Sein Begriff von den Ekstasen, also die artikulierte Anwesenheit der Dinge im Raum, findet seine Äquivalenz in Zumthors Entwurfspraxis. Letztere spricht von der selbstverständlichen Präsenz der Dinge in der Welt, die uns berührt und verwendet für dieses Phänomen den Atmosphärebegriff.19 Zumthor zitiert Martin Heidegger, wenn er schreibt „Der Aufenthalt bei den Dingen ist Grundzug des Menschseins.“20 Seine Aspirationen als Architekt liegen in diesem Satz begründet und der Frage, wie es möglich ist „eine Architektur zu entwickeln, die von den Dingen ausgeht und zu den Dingen zurückkehrt.“21 Er versucht dabei „die Dinge um uns herum“ in ihrem Wesen zu verstehen und sie ihrer „Eigengesetzlichkeit“22 entsprechend zu gebrauchen. Dazu gehört die Anerkennung der ästhetischen Dimension der Dinge. Böhme gibt hier den Begriff der „Erzeugenden“ vor, die bestimmte atmosphärische Charaktere hervorbringen, prägen und bestimmen und sich im eigenleiblichen Spüren manifestieren. Er fasst das ekstatisch sein als wesentliche Eigenschaft der Dinge auf. Für Böhme und Zumthor sind die Ekstasen der Dinge in der Natur wahrnehmbar und beobachtbar. Das Atmosphärische ist Ausdruck IV Ästhetische Arbeit und Architektur und Teil ihres Daseins. Im Entwurf gilt es die Dinge in ihrer natürlichen Präsenz zu inszenieren oder in dem Gemachten diese besondere Präsenz hervorzubringen. Die Arbeit an den Dingen ist also auch ästhetische Arbeit. Zumthor schlussfolgert, „dass es eine handwerkliche Seite gibt, um diese Aufgabe anzugehen, nämlich (architektonische) Atmosphären zu schaffen.“23 Vorbilder findet er in der Natur und der gewachsenen Umgebung.24 Er spricht von wahren Dingen und führt beispielhaft Erde, Wasser, das Licht der Sonne, Landschaft und Vegetation an.25 Die konkreten Dinge, die den Entwurf für die Therme in Vals bestimmt haben, sind Berg, Stein und Wasser.26 Zumthor ging es darum, die innere Logik, die Eigengesetzlichkeit dieser Dinge aufzuspüren oder mit Böhme gesprochen, ihre Potentialität und ihr Ekstatisch-Sein zu erkennen. Hieraus leitet Zumthor Entwurfsentscheidungen ab und zwingt nicht umgekehrt den Dingen eine abstrakte Entwurfsidee auf. Die Dinge werden als Erzeugende von Atmosphären betrachtet. Es werden der Ort in seiner Physiognomie, die Materialien in ihrer Beschaffenheit, Farbigkeit, Resonanzfähigkeit, Speicherfähigkeit etc., die Konstruktion in ihrer Ermöglichung von weiten und engen, hohen und niedrigen Räumen und Formen und Volumina in ihrer Gestalt betrachtet. Zumthor vermeidet Zeichen und Symbole die für etwas anderes stehen, als sie selbst sind und anzeigen. Der Berg ist der Berg, das Wasser ist das Wasser, das Licht ist das Licht und will auf nichts anderes hinweisen. Zumthor sucht als Architekt nach dem Wesentlichen der Dinge. Sein Anspruch ist die Dinge zu sich selbst zu bringen. Am Ende des Schaffensprozess muss es heißen: „Die Dinge sind dann zu sich gekommen, sind bei sich. Weil sie dann das sind, was sie sein wollen.“27 Ort: Berg, Quelle Mit Böhme kann man von der Physiognomie des Ortes sprechen, in welche die Therme eingreift, auf sie reagiert, einwirkt und sie verändert. Auf welche Art und Weise das Gebäude mit dem Ort kommuniziert beeinflusst die verspürte Atmosphäre, nach Norberg-Schulz den Genius Loci des Ortes28 . Böhme spricht hier von einer kommunikativen Atmosphäre und bezieht sich zum einen auf die zwischenmenschliche Kommunikation, die Mimik und Gestik, schließt aber ebenso die Physiognomie der Landschaft ein. Zumthor fragt: „Was will dieses Haus sein, für seinen Ort in der Nebenstraße der Stadt, in der Vorstadt, in der geschundenen Landschaft, am Hügel vor den Buchen, in der Anflugschneise, im Licht des Sees, im Schatten des Waldes?“29 Oder am Hang der schroffen Valser Berge in 1252m Höhe, am Ort der St. Petersquelle, die 30°C warm aus dem Bergmassiv hervortritt, in der Nachbarschaft der Hotelanlage, nahe dem Valser Rhein, der zum Quellgebiet des Rheins zählt und durch den abgeschlossenen Talkessel des Graubündner Dorfes fließt. Der Berg ist das Wasser, das enge Tal, der frisch gefallene Schnee, die Kiefer, die Gamsen, das Licht, welches sich an den Felswänden bricht oder im Schnee glitzert, das Braunkehlchen, die Alpweiden auf denen Kühe grasen, Enzian und Schneehase, Erosion, Kargheit, Geröll, Straßen und Brücken, Hohlraum und Kamm, Gneis, Granit, Stein, Gletscher, Steinbruch, Bauernhäuser und Alphütten, Pässe und Tunnel, Wege und Pfade. Der Auftrag für den Neubau der Therme in dem Graubündner Ort Vals schreibt 1996 die Gemeindegeschichte des Ortes fort. Bereits 1893 entstand ein bescheidenes Kurhaus an der St. Petersquelle im Valsertal. Das Bad als Programm hat eine historische Kontinuität und ist in der Gemeindegeschichte verwurzelt. Die Bewohnerschaft votierte für einen Neubau in unmittelbarer Nähe des ansässigen Hotels. Anders als die großen Städte die in ihrem Wesen menschliche Landschaften sind, geht das Dorf eine andere Liaison mit seiner natürlichen Umgebung ein. Orte wie Vals, die in den Berg gebaut sind, sind gezeichnet von einem mühsamen Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Dem Berg ist nicht ohne weiteres Land abzutrotzen. Er stellt sich mit einer anderen Gewalt dem Menschen entgegen als ein Wald oder Weiher. Das Abarbeiten an dem Berg ist eine andere Praxis. Daher ist er das erste Ding und primäre Material in Zumthors Entwurf. Ziel ist es ein Gebäude zu entwerfen, dass auf „selbstverständliche Weise mit der Gestalt und Geschichte“30 des Ortes verwächst, dort seinen Platz findet und dem Genius Loci gerecht wird. Ihn fasziniert, wie die historischen Bauernhäuser und Alphütten „fest im Boden verankert zu sein“31 scheinen. Zumthor trotzt dem Berg ein Stück seiner Physis unwiederbringlich ab um an seiner Statt die Therme entstehen zu lassen. Er baut in den Berg hinein, aus dem Berg hinaus, mit dem Stein des Berges. So trägt er etwas von der gewaltigen, erhabenen, erhebenden und schützenden Atmosphäre des Berges in das Gebäude hinein. Wie der Berg unzählige Geheimnisse birgt, Höhlen und Spalten, Minerale und Quellwasser, hält er nun eines mehr. So ist der Therme die geheimnisvolle Atmosphäre ebenso eigen wie dem Ort. Nur ein Teil ist sichtbar und auch dieser duckt sich in der Nachbarschaft der Hotelanlage und Wohnbebauung. Der andere Teil verschwindet gänzlich in dem Massiv. Das Gebäude verkeilt sich spürbar im Berg und sagt „ich gehöre hier hin“. Es sagt aber auch, „ich bin hier und 37 38 Atmosphäre am Werk jetzt.“ Zumthor stellt den Ortsbezug nicht über einen Baustil her sondern übersetzt seine Ideen zur Therme in einen zeitgenössischen Bau, der ohne gebaute Referenz auskommt. So wie er Berg und Neubau in einen Zusammenhang stellt, versucht er kein Höhlensystem zu imitieren sondern entwirft eine klare Raumstruktur mit präziser Setzung. Ihr liegt das Aushöhlen als Bild zugrunde, wie das Wasser über Jahrtausende den Berg aushöhlte. Das Raumgefüge gleicht einem porösen Stein. An der Fassade welche sich dem Tal zuwendet, lässt sich dieser Gedanke nachvollziehen. Große und kleine Öffnungen zeigen die Porosität in dem sonst monolithischen Block an. Der Eingriff in den Kontext verlangt dem Neuen eine Lesart ab, die in ein Spannungsverhältnis mit dem Alten tritt. Die neuen Dinge verändern die alte Ordnung, vermögen diese aber zu komplettieren. „Mit jedem neuen Bauwerk wird in eine bestimmte historische Situation eingegriffen. Für die Qualität dieses Eingriffes ist es entscheidend, ob es gelingt, das Neue mit Eigenschaften auszustatten, die in ein sinnstiftendes Spannungsverhältnis mit dem schon Dagewesenen treten.“32 Und Zumthor schreibt weiter: „wenn ich in der Landschaft baue, liegt mir daran, die Materialien, mit denen ich baue, auf die historisch gewachsene landschaftliche Substanz abzustimmen. Die Stofflichkeit des Gebauten muss mit der Stofflichkeit der Gegend zusammenspielen.“33 Material: Stein, Wasser, Licht Der Entwurf konzentriert sich auf einen materiellen Dreiklang aus Stein, Wasser und Licht. Zumthor achtet bei der Komposition der Materialien im wahrsten Sinn darauf, ob sie zusammen klingen.34 „Dichte, Masse oder Glanz“35 der Dinge gehen in die Komposition mit ein. Ziel ist die den Materialien „eigenen sinnlichen und sinnstiftenden Eigenschaften in einem neuen Licht erscheinen (zu) lassen, Materialien zum Strahlen (zu) bringen.“36 Der Architekt denkt mit Böhme gesprochen die Materialien in ihren Ekstasen, also ihrer Wirkung und nicht ausschließlich in ihren Eigenschaften. Das unerschöpfliche ekstatische Potential von Stein, Wasser und Licht kombiniert Zumthor um unterschiedliche räumliche Situationen zu schaffen. In der Therme sind große Mengen Valser Gneisplatten verbaut, die einen Kilometer taleinwärts in einem Steinbruch abgebaut wurden. Der Stein wird per Baugesetz als traditionelle Dachbedeckung in der Region vorgeschrieben und eingesetzt. Den schweren, harten, kalten Stein verbindet er mit dem Wasser aus der St. Petersquelle. Der Stein ist Becken, Fußboden, Wand, Liegefläche, Treppe, Sitzfläche, Trennwand. Das Wasser ist Dusche, Bad, Schwimmbecken, Tauchbecken, Trinkquelle und das Licht leitet, wärmt, inszeniert und bietet Orientierung. Der massive Stein, das fließende Wasser und das flüchtige Sonnenlicht sind Materialisierungen ungleicher Dynamiken im Raum: mal ruhend und tragend, mal mäandernd und treibend, mal rasch und vergänglich. Die Dinge konkurrieren nicht miteinander, sie überlagern sich nicht sondern bergen einander, umspielen sich, inszenieren einander, wärmen und kühlen sich. Das Wasser bricht das Licht in unzähligen blaugrünen Schattierungen, reflektiert die Umgebung, es streut das Licht blau zurück in den Raum, färbt ihn ein. Der Stein hält das weiche Wasser, leitet es, reflektiert seinen Klang, reflektiert das Licht und absorbiert es, speichert die Wärme und gibt sie zurück, wirft Schatten, absorbiert Geräusche und verstärkt Töne. Der Stein, glatt und schroff, erscheint im Lichtspiel mal in warmen grünen, mal in dunklen grauen Nuancen. Zumthor arbeitet mit den diversen Modalitäten der verwendeten Materialien und inszeniert die unterschiedlichen Spielarten ihres Ekstatisch-Seins. Sie prägen so wesentlich die synästhetischen Grundstimmungen der Räume. Ihr Zusammenklang bestimmt die synästhetische Erfahrung, die sich mir als Gefühl im leiblichen Spüren offenbart.37 Konstruktion: Massivbau Die Materialien hängen im wahren Wortsinn an der Konstruktion. Die Dinge erhalten innerhalb der konstruktiven Logik ihren sinnvollen Platz. Zumthor beschreibt die Arbeit an Tragwerk und Baukonstruktion als „Kunst des Fügens“38 . Und weiter: „Im Akt des Konstruierens liegt für mich der eigentliche Kern jeder architektonischen Aufgabe.“39 Das Konstruieren bedeutet Kräfte kalkulieren, bändigen, ableiten, aushalten lassen und tragen, stützen, halten, Reibung und Spannung. Es sind atmosphärische Momente, die als Bewegungsanmutungen leiblich empfunden werden: das schwere, schützende Dach, die tragenden, ruhenden Blöcke, der weite fließende Raum. Die konstruktive Logik der Therme hat in der örtlichen Bauwirtschaft inzwischen den Namen Valser Verbundmauerwerk. Konstruktives Vorbild sind die Stützmauern alter lokaler Bergstraßen. Steinformate und Mauerwerksbild wurden speziell für das Gebäude entwickelt.40 „Steinschicht lagert über Steinschicht“ ist das ordnende Prinzip: „Gehflächen, Beckenböden, Decken, Treppen, Steinbänke, Türöffnungen - alles entwickelt sich aus demselben durchgehenden Schichtungsprinzip.“41 Auf den aus Stein geschichteten Quadern lagern die Deckenplatten aus Stahlbeton. Zumthor vergleicht die IV Ästhetische Arbeit und Architektur weit auskragenden Decken auf den Steinblöcken mit dem Bild von Tischen. Die Stöße der Stahlbetondecken sind an einigen Stellen als Lichtfugen ausgeführt. Es gibt nur wenige Ausbaudetails. Damit gleicht der Rohbau im wesentlichen bereits dem fertigen Bauwerk. Von der Konstruktion geht eine Ursprünlichkeit aus, die nichts Anhängendes hat. Zumthor wird dem Granit konstruktiv in seiner Potenz als Werkstoff gerecht. Im Mauerwerk kommt der auf Druck beanspruchbare Stein zum Tragen. Konstruktion, Raum und Form verbinden sich zu einem architektonischen Prinzip. Die ästhetische Relevanz der konstruktiven Entscheidung liegt darin, dass sie nicht täuscht. Das Gebäude liegt als Rohbau unverborgen und offen. Form „Ich beobachte an mir eine ausgeprägte Empfindlichkeit für den Zusammenhang zwischen Ort, Material und Konstruktion.“42 Die Komposition der drei Bereiche zu einem Ganzen begreift Zumthor als Körper der Architektur. Allerdings weist er vehement darauf hin, dass der Körper-Begriff nicht im Sinne einer Analogie zum menschlichen Körper zu verstehen ist. „Der Körper! Nicht die Idee des Körpers – der Körper! Der mich berühren kann.“43 Das Geheimnis des architektonischen Körpers, seiner Anatomie, liegt in den Werkplänen verborgen. Sie offenbaren die Kunst des Fügens, die daraus erwachsenen Spannungen, Reibungen und Kräfteverhältnisse. So hat Zumthor eine gewisse Liebe und Leidenschaft für diese Art der Darstellung entwickelt.44 Zu den drei genannten Parametern des Entwerfens fügt sich nun noch eine letzte: die Form. Im Entwurfsprozess steht sie für Zumthor am Ende, wenn Ort, Material und Konstruktion bereits gefügt sind. Dann stellt er sich die Frage: Ist diese Form schön? Zumthor spricht von einer Leidenschaft für die Form. Im Entwurf ist sie das letzte Maß: „Das heißt (…) mein letztes Ziel ist vermutlich: Die schöne Gestalt“45 . Im Fall der Therme schloss sich die Formfindung erst an, als für „die Fragen an den Ort, das Material und die Bauaufgabe“ Antworten gefunden waren. Dann erst entstanden „nach und nach Strukturen und Räume“46 , über die der Architekt selbst überrascht war und über die er sagt, „dass sie das Potenzial einer ursprünglichen Kraft haben, die hinter das Arrangieren von stilistisch vorgefertigten Formen zurückreicht.“47 Am Ende befragt er sich selbst, ob die so entstandene Form eine ist, „die ich als schön empfinde.“48 Er fragt ob es Formen sind, die er verstehen und lesen kann. Hier geht es darum Formalismus zu vermeiden. Ziel ist, dass das formale Verständnis aus dem Gebrauch heraus erwächst. Die bestimmenden Parameter, die zu der architektonischen Form der Therme führten, sind jene von Masse und Volumen. Dimensionierung und Setzung gründen im Gebrauch. Einige äußere Zwänge haben außerdem die Gebäudeform beeinflusst. Der Entwurf sollte die Grundmauern des alten Thermalbades einbeziehen und darauf achten den Hotelzimmern nicht die Sicht zu nehmen. Die formale Klarheit der einfachen Körper ermöglichen einen grundsätzlich ästhetischen Zugang. Die Frage: „Was will der Architekt uns sagen?“ stellt sich an dieser Stelle nicht. Symbole Zumthor glaubt, unsere Wahrnehmung „[...] liegt jenseits der Zeichen und Symbole.“49 Die Ansicht teilt er mit Gernot Böhmes Wahrnehmungstheorie. Konsequenterweise hat der Architekt in der Therme fast vollständig auf Zeichen und Symbole verzichtet. Ihm geht es um das leibliche Spüren und Erfahren und nicht um Kognition und Denkprozesse. Dinge, deren Sinn sich nicht phänomenologisch erschließt, hat Zumthor weitestgehend eliminiert. Dazu zählen Hinweisschilder, Bezeichnungen, Bilder, Vermittler, etc. Die wenigen Uhren hat er in Messingpfosten versteckt. 3Leib Böhme selbst gibt diese Vorgehensweise vor und sagt: „Wenn es wahr ist, dass Architektur Räume gestaltet, so muss man, um sie zu beurteilen, sich in diese Räume hineinbegeben. Man muß leiblich anwesend sein.“50 Die architektonische Entscheidung für eine bestimmte Form oder Materialkombination basiert auf der antizipierten Wirkung der Dinge auf das menschliche Befinden.51 Zumthor spricht von „Alchemie“ und meint die „Verwandlung von realen Substanzen in menschliche Empfindungen (…) im architektonischen Raum“52 Der Mensch in seiner Wahrnehmung und Leiblichkeit steht zu den Dingen in der Architektur in einem komplementären Verhältnis. Die Präsenz der Dinge und die emotionale Wahrnehmung des Menschen sind isotrope Kennzeichen des atmosphärischen Ereignisses. Die leibliche Wahrnehmung, wie sie von Böhme als Atmosphärewahrnehmung definiert wird, korrespondiert mit den Vorstellungen von Zumthor und seiner architektonischen Praxis. Die emotionale Wahrnehmung, wie Zumthor es nennt, also das Befinden im Raum und die Affektion definiert er als essentiellen Bestandteil des Menschseins.53 Damit ist Atmosphärewahrnehmung ein grundsätzliches Parameter seiner Entwurfsarbeit. 39 40 Atmosphäre am Werk Er kritisiert die semiotischen Theorien, die menschliche Wahrnehmung auf Zeichen und Symbole reduzieren. Die dahinter liegende Programmatik beschreibt er wie folgt: „Gute Architektur sollte den Menschen aufnehmen, ihn erleben und wohnen lassen, nicht ihn beschwatzen.“54 Für Zumthor steht Architektur „ […] in einer besonders körperlichen Verbindung mit dem Leben. In meiner Vorstellung ist sie zunächst weder Botschaft noch Zeichen, sondern Hülle und Hintergrund des vorbeiziehenden Lebens, ein sensibles Gefäss für den Rhythmus der Schritte auf dem Boden, für die Konzentration der Arbeit, für die Stille des Schlafs.“55 Was er hier aufruft sind Situationen der Ko-Präsenz, welche der Mensch als subjektiver Pol der Atmosphäre-Wirklichkeit und die Architektur als objektiver Pol konstituieren. Dazwischen spannt sich der ästhetische Raum. Wie Zumthor andeutet, ist die Architektur wie ein Gefäß, als Vorbedingung da. Der Mensch aber löst seine räumliche Bestimmung mittels leiblicher Anwesenheit erst ein. In dem Entwurf der Therme erlebt der Badegast durch die Architektur vor allem sich selbst, seine leibliche Anwesenheit im Raum. Zumthor entkleidet und bringt ihn zu sich selbst, ein Anspruch, den er gleichfalls gegenüber den Dingen stellt. Damit ist dieser Entwurf eine präzise Übersetzung von Gernot Böhmes neuer Ästhetik in die Praxis. Die Leiberfahrung im Bade; das Spüren, Riechen, Fühlen, Horchen, Hören, Schmecken, Schnuppern, Tasten, Berühren, Wärmen, Schauen, Entspannen ist der Architektur inbegriffen. Formen, Materialien, Licht, Farben, Raumfolgen, Temperaturen sind auf den spürenden Menschen abgestimmt. Die Atmosphäre-Charaktere werden unter Berücksichtigung der Kategorien von Böhme betrachtet. In der Wahrnehmung treten vor allem die Bewegungsanmutungen, Synästhesien und seltener Stimmungen hervor. Auf gesellschaftliche Charaktere die sich als Zeichen und Insignien vermitteln, hat Zumthor bewusst im Entwurf verzichtet. Auch kommunikative Charaktere treten in dem Bauwerk in den Hintergrund. Es schließt sich hier ein Teil mit Wahrnehmungseindrücken an, welcher im wesentlichen der räumlichen Choreographie des Gebäudes folgt. Die choreographische Ebene strukturiert auch die Erfahrungen als Badegast, die mit Eintauchen, Abtauchen und Auftauchen überschrieben sind. Aus der Leibperspektive werden einzelne Atmosphären identifiziert, benannt und beschrieben. Eintauchen Schleuse — Der unscheinbare Zugang zur Therme liegt unter der Auffahrt des Hoteleingangs. Der leuchtende Schriftzug „7132 Therme“ verweist auf den Eingang über die Glasflügeltüren, der in eine Art Schleuse führt. Eingangssituationen und physische Raumabschlüsse sind prototypische Ingressionserfahrungen. Die Diskrepanz zwischen Innen und Außen ist deutlich spürbar: hell-dunkel, warm-kalt, weit-eng. Der Gang inszeniert den Weg ins Berginnere. Wie in einen Stollen steigt man hinab in die Dunkelheit. Die Augen haben Mühe sich an die Umgebung zu gewöhnen. Die Schleuse absorbiert das einfallende Licht. Empfang — Der Gang weitet sich zu einem Empfangsbereich. Der kleine Raum ist diffus ausgeleuchtet, dunkle Wände, ein kleiner Tresen, dahinter das Drehkreuz. Der quadratische Raum bringt die Bewegung an diesem Ort zur Ruhe. Man ist angekommen. [Bewegungsanmutung] Eine Frau sitzt hinter dem Tresen aus dunklem Holz und nimmt die vereinzelten Gäste in Empfang.56 Gegenüber stehen zwei Sessel zum Ausruhen nach dem Anstieg über einen Pfad aus Betonplatten. Hier wird eine freundliche und intime Empfangsstimmung [Stimmung] inszeniert und hergestellt, eine Atmosphäre des Willkommens und Aufnehmens. Das Drehkreuz ist eines der wenigen Objekte, das durch seine Ein- und Abgrenzungssymbolik zeichenhaft und handlungsweisend ist. Korridor — Mit Verlassen der Transitzone fluchtet der Blick auf das Ende des langen Korridors. Der enge Raum drängt in seiner Gerichtetheit vorwärts, die Schritte beschleunigen sich. [Bewegungsanmutung] Die räumliche Qualität des Korridors liegt in der leiblichen Vermittlung des kühlen Berginneren [Synästhesie]: das niederprasselnde Wasser, die feuchte Umgebung, eisenhaltige Luft, das kühle Raumklima, die kalte Oberfläche von Betondecke und -außenwand zur Rechten und der Steinwand zur Linken, das Echo, welches Wände, Boden und Decke zurückwerfen. Aus der Wand rinnt Quellwasser und hinterlässt orangerote Oxydationsspuren am Beton. Links flankiert eine Mauerwerkswand aus Valser Gneisstein den Weg. Die Einfassung des Thermalbereiches zur Linken materialisiert das Versprechen auf das Innere des Baukörpers, den Thermalbereich. Thermengeräusche dringen bereits gedämpft durch. Umkleide — Von dem Korridor aus betritt man linker Hand den Umkleideraum. Man betritt einen der tragenden Blöcke des Gebäudes. Die Raum wirkt in Kontrast zum Korridor quadratisch, gleichmäßig und überschaubar, weder eng noch weit [Bewegungsanmutung]. Der Divan aus braunem Leder zentriert den Raum. Die warme Atmosphäre [Synästhesie] des Raumes wird als Ingressionserfahrung gespürt. Sie steht im IV Ästhetische Arbeit und Architektur Gegensatz zu der Kühle des Korridors. Die warme Lichtfärbung und angenehm temperierte Luft, das Mahagoni der Spinde und Kabinen, welches rötlich in den Raum strahlt, sendet Wärme aus und inszeniert Geborgenheit [Stimmung]. Die Szene erinnert an den dunklen, bergenden Mutterleib, von dem diese archaische Grundstimmung ausgeht. Das Thema der Wiedergeburt, welches zum Image der Wellnesskultur stilisiert ist, steht plötzlich im Raum. Ich trete ein mit dem Ballast des Außen, lege ihn ab, verwahre das alte Leben in einem der Schließfächer. Das Rituelle des Badens, wie Zumthor es nennt, ist eine körperliche, wie geistige Reinigung. Zum letztere zählt das Ablegen des alltäglichen Ballasts. Ich tausche meine Verkleidung gegen einen weißen Bademantel und ein weißes Handtuch, Zeichen des Entspannungsimperativs. Gleichzeitig tilgt der weiße Bademantel andere Symbole indem die Badegäste in das gleiche weiß gehüllt, gleichgemacht werden. Die Dinge die uns anhaften werden abgelegt. Der Verzicht auf Situationen der Selbstvergewisserung im Spiegel ist Teil der Choreographie. Die Umkleide verzichtet auf den angeschauten Körper, den fremden Blick auf sich selbst. Sie stimmt auf das In-sich-kehren, das Einfahren in den Leib ein, auf das Sein im Hier und Jetzt, die Wahrnehmung der Wirklichkeit durch den eigenen Leib und in leiblicher Präsenz. Empore — Die Umkleide führt über eine Tür in gegenüberliegender Richtung in den eigentlichen Thermalbereich. Der Raum offenbart sich in voller Ausdehnung. Man spürt eine unmittelbare Weitung. [Bewegungsanmutung] Von hier aus zeigt sich die räumliche Grundstruktur des Bauwerks, man antizipiert die Pole von innen und außen, offen und verschlossen, hell und dunkel. Um vollends in den Thermalbereich abzutauchen, schreitet man nahezu die gesamte Ausdehnung des Gebäudes ab und begreift die architektonischen Grenzen. In der Bewegung ändert sich die Perspektive. Man gewinnt Orientierung und Überblick über die räumliche Landschaft in Distanz zum Geschehen. Die Distanz erinnert an die Erfahrung in den Rängen des Theaters [Stimmung]. Man betritt die Empore noch als Besucherin und betrachtet das Treiben. Hier wird Zeit gewährt zur Anpassung und Akklimatisierung. So wie Holz, dass man eine Weile in der neuen Umgebung sein lässt um sich an das veränderte Klima anzupassen bevor es verbaut wird, ermöglicht Zumthor das sich Einstellen auf die Atmosphäre der Therme und die neuen Eindrücke. Abtauchen Landschaft — Die flachen, langgezogenen Stufen der Freitreppe, die hinab in die Thermallandschaft führen, erzwingen die Entschleunigung der Schritte. Ein Lichtstrahl fällt auf die Stufen und weist den Weg hinab. Von hier aus begibt man sich auf Entdeckungsreise.57 Das Raumkontinuum im Inneren umspielt die raumhaltigen Blöcke. „Da war es für uns unglaublich wichtig, eine Art ‚freies Schlendern‘ zu produzieren, fast ein bisschen in der Stimmung nicht von Führung, sondern Verführung.“58 In der Bewegung ändert sich immer wieder die Perspektive und ich erfahre dynamische Raumsequenzen, die Ausblicke in die Landschaft gewähren, ein Lichtstrahl erhellt eine Wand in der Tiefe, Vorsprünge, Rücksprünge und Versätze strukturieren den tiefen Raum. Die Architektur vermittelt ein Gefühl von Spannung und Entspannung. Hierin offenbart sich dann auch der antizipierte Gebrauch des Gebäudes. Das Schlendern ist auch eine Bewegung des Blicks, der dem Körper räumlich voraus geht. Den Blick schweifen lassen, während man im Wasser liegt und sich treiben lässt. Völlige Entspannung und Ruhe kehrt ein. Intuitives Entdecken, ohne denken zu müssen, klare Strukturen, die genug offenbaren, dass ich mich nicht verloren fühle und genug Geheimnisse bergen, die Spannung erzeugen: „räumlichen Sequenzen, die uns führen, hinführen, aber auch loslassen und verführen. Architektur als Raum- und Zeitkunst zwischen Gelassenheit und Verführung“59 [Bewegungsanmutung]. Innen- und Außenbad sind auf den menschlichen Leib, seine Temperatur und damit sein Wohlbefinden abgestimmt. Hier wird der Badegast eins mit dem Wasser, verliert seine Körperlichkeit, erreicht einen Zustand der Schwebe und Entspannung. Sein Blick wird ruhig, verliert seinen Fokus, schweift in die Landschaft, welche uns der Architekt gerahmt hat. Höhlen — Die Innenräume der Blöcke funktionieren als Gegenpol zur Raumlandschaft und erzeugen im Gegensatz dazu Spannungsmomente. Die ekstatische Potentialität des Wassers, seine wechselnden Zustände, wirken unmittelbar auf die Leiblichkeit der Badegäste. Die unterschiedlichen Spielarten des Wassers funktionieren wie verdinglichte Atmosphären. Die Monofunktionalität des Badens zeigt sich polyfunktional und unendlich variabel. „Schwitzstein, Duschstein, Massageblock, Trinkstein, Ruheraum, Feuerbad, Blütenbad, Kaltbad, Klangstein“60 sind charakteristische Namensgebungen für die Räume, die in den massiven Granitblöcken verborgen liegen. Jeder dieser kleinen Räume birgt seine eigene atmosphärische Identität. Die Eingänge wirken wie Schlupflöcher, die nicht selten ins Dunkel führen – mal geben sie einen gelben, schwefelartigen Schimmer preis, mal steigt Hitze auf oder lockt ein 41 42 Atmosphäre am Werk Duft. Die Raumwirkung ist eine Erhebende und trotz ihrer kleinen Grundrisse wirken sie weder niederdrückend noch einengend. Diese kleinen Räume der Intimität ragen auf, strecken sich, streben in die Höhe. [Bewegungsanmutung] Die Atmosphärewahrnehmung in den raumhaltigen Blöcken ist über Farben, Material, Temperatur und Licht vor allem synästhetisch vermittelt. Zumthor benutzt das Mittel der Ingression um Spannung zu erzeugen. Form, Dimension und Volumen der Höhlenräume unterscheiden sich nur geringfügig. An drei der Räume werden die verschiedenen isolierten Atmosphären beispielhaft gezeigt. Kaltbad: Die Erfahrung mit dem Kaltbad ist gewissermaßen eine prototypische. Das leibliche „in den Raum ergossen sein“ verkehrt in dem 14°C kalten Wasser schlagartig ins Gegenteil. Man spricht davon, dass sich im Eintauchen in das Eiskalte „alles zusammenzieht“. Plötzlich wird uns die physische Grenze unseres Seins bewusst, empfinden wir sie beinahe als körperlichen Schmerz. Der blaue Anstrich der Betonwände und die Lichtfärbung potenzieren die Atmosphäre der Kälte. Quellgrotte: Der Eingang zu der Quellgrotte ist geheimnisvoll. Um in den Raum zu gelangen taucht man durch eine Schleuse. Dahinter liegt ein Luftraum, eingeschlossen von Wasser und Stein. Zumthor schreibt, „jeder Raum funktioniert wie ein großes Instrument, er sammelt die Klänge, verstärkt sie, leitet sie weiter.“61 Das ist insbesondere wahr für den Resonanzraum der Quellgrotte. Der Wände zeigen den gebrochenen Gneisstein, dessen Oberfläche wie ein akustischer Verstärker funktioniert. Der Raum schließt Geräusche ein und hält die Stimme einige Sekunden wie in einer Zeitschleife fest, so dass wir uns selbst sprechen hören. Die Selbsterfahrung unseres Ekstatisch-Seins. Allein mit der Stimme nehmen wir den Raum ein. Trinkstein: Aus der schmalen Eingangsspalte kündigt ein gelbes, schwefelartiges Licht das mystische Berginnere an. Die Luft ist kühl, feucht und eisenhaltig. Ein enger Steg endet in einem winzigen quadratischen Raum. In dessen Mitte stürzt das Wasser mit 29,8°C quellwarm und eisenhaltig bodentief in ein Loch, eingesäumt von einem Messinggeländer. Wieder inszeniert Zumthor das kalte, feuchte und dunkle Berginnere. An dem Geländer sind Messingbecher an Ketten befestigt, mit denen ich das Mineralwasser zum Trinken abschöpfen kann. Hier setzt Zumthor eine neue Spielart des Wassers ein. Das Quellwasser nimmt uns nicht nur auf, warm und kalt, umspielt uns als harter Strahl oder weiche Dusche sondern umgekehrt, nehmen auch wir es auf, verinnerlichen es. Auch der Mensch besteht im Wesentlichen aus diesem Element. Auftauchen Die leibliche Anwesenheit und Wahrnehmung des in Wirklichkeit Gegebenen fasst die fundamentalen Erfahrung in der Therme zusammen. Zeit verliert ihr absolutes Maß. Dauer wird nicht in Stunden angezeigt, denn Zumthor hat keine sichtbaren Uhren im Gebäude angebracht. Als Besucherin obliegt man keiner externen Zeitbeschränkung (mit Ausnahme der Öffnungszeit), allein die persönlichen Bedürfnisse vor allem nach Essen determinieren das Ende des Aufenthaltes. Dauer ist subjektiv empfundene Zeit. Die innere Uhr bestimmt den Zeitpunkt des Auftauchens. Boudoir — Zwischen Umkleide und Eingangsbereich passiert man einen letzten Raum: das Boudoir. An der dunklen Wand steht ein langer Schminktisch, darüber Spiegel, darauf Haartrockner, vor jedem Spiegel ein Sitzhocker. Die Szene erinnert an die Schauspielergarderoben im Theater. [Stimmung] Hier präparieren die Gäste ihre Körper – angekleidet und maskiert – wieder für die Außenwelt. Hier versichern sie sich ihrer eigenen Identität, die, wie Zumthor kritisch anmerkt, „nur noch glückt, wenn ich ihn [den Körper] im Spiegel oder mit den Augen der anderen sehe?“62 Seine Architektur stellt diesem Identitätskonzept die Leiberfahrung entgegen und eine Aussicht darauf, dass ich mich in der Erfahrung mir selbst versichern kann. 4 Ästhetischer Raum und Ko-Präsenz Der ästhetische Raum ist der Raum leiblicher Anwesenheit. Wie ich mich befinde ist abhängig von dem Raum, der mich umgibt. Dieser Raum wird von Böhme als Atmosphäre begriffen. Zumthor sagt über den Raum: „Ich nehme nicht in Anspruch zu wissen, was Raum wirklich bedeutet. Je länger ich über das Wesen des Raumes nachdenke, desto geheimnisvoller erscheint er mir.“63 Und doch hat er eine präzise Vorstellung von den räumlichen Situationen, die er schaffen will. Für ihn sind Räume „ureigenste Dinge, die Architektur ausmachen: Räume zu deren raumbildender Umhüllung und raumprägenden Stofflichkeit, zu deren Hohlform, deren Leere, Licht, Luft, Geruch, Aufnahmefähigkeit und Resonanzfähigkeit man Sorge trägt.“64 In der Therme zeigt sich diese Sorgfalt in der inszenierten Beziehung von Innen- und Außenraum, offenen und intimen Räumen, und deren Grenzen, Schwellen und Übergänge, dem Klang der Materialien, der Masse des Steins und dem Fließen des Wassers, dem eindringenden Licht, seiner Reflexion auf dem Granit, die Weite des Raumes und die Geborgenheit der Höhlen, die Wärme des Wassers und kühle des Steins. Die Sorgfalt zeigt sich in der Orchestrierung der IV Ästhetische Arbeit und Architektur Erzeugenden zu gestimmten Räumen und atmosphärischen Situationen. Zumthor schafft in Vals ein Bauwerk dessen Wesen atmosphärisch begründet ist. Mit den Dingen der Architektur schafft er einen Ort, dessen einzige Bestimmung die Sinnlichkeit ist. In der Therme als Ort verwirklicht sich die volle Leiblichkeit. Hier vollzieht sich jene Ko-Präsenz, während derer sich der ästhetische Raum aufspannt. Entfernt man den leiblich wahrnehmenden Menschen, verliert das Bauwerk seine Relevanz und seinen Daseinsgrund. Lebensraum, Baukunst. Stuttgart 1982. 29 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 14], S. 79–80. 30 Ebd., S. 17. 31 Ebd. 32 Ebd. 33 Ebd., S. 99. 34 Ebd., S. 86. 35 Zumthor, Peter: Atmosphären [wie Anm. 5], S. 23. 36 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 14], S. 10. 37Böhme, Gernot: Synästhesien im Rahmen einer Phänomenologie der Wahrnehmung, in: Synästhesie. Leib – Raum / Architektur. Wolkenkuckucksheim. Internationale 1 Böhme, Gernot: Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik. Frankfurt/Main 1995. S. 33. Zeitschrift für Theorie der Architektur 18/31 (2013), Internet: http://cloud-cuckoo.net/fileadmin/hefte_de/ 2 Ebd., S. 25. heft_31/artikel_boehme.pdf , Stand: 15.01.2016, S. 21–35; 3 Böhme, Gernot: Aisthetik. Vorlesungen über Ästhetik als hier: S. 28. allgemeine Wahrnehmungslehre. München 2001. S. 178. 38 Ebd., S. 11. 4 Ebd. 39 Ebd. 5 Zumthor, Peter: Atmosphären. Architektonische 40 Zumthor, Peter: Häuser 1979–1997. Basel/ Boston/ Berlin Umgebungen. Die Dinge um mich herum. Basel 2006. S. 30. 6 Sloterdijk, Peter: Architektur als Immersionskunst. In: ARCH+ /178 (2006). S. 58–61; hier: S. 60. 1999. S. 157. 41 Ebd. 42 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 14], S. 99. 7 Ebd., S. 61. 43 Zumthor, Peter: Atmosphären [wie Anm. 5], S. 23. 8 Zumthor, Peter: Atmosphären [wie Anm. 5], S. 45. 44 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 14], S. 9 Ebd., S. 32. 10 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre. 2., korrigierte Aufl. 2013. München 2006. S. 51. 11 Sörgel, Herman: Einführung in die Architektur-Ästhetik. 18–19. 45 Zumthor, Peter: Atmosphären [wie Anm. 5], S. 35. 46 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 14], S. 31. 47 Ebd. Prolegomena zu einer Theorie der Baukunst. München 1918. 48 Zumthor, Peter: Atmosphären [wie Anm. 5], S. 30. S. 7. 49 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 14], S. 17. 12 Wildermuth, Armin: Ästhetik - Zwischen Philosophie und künstlerischer Praxis. In: Die Aktualität des Ästhetischen. 50 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre. [wie Anm. 10], S. 111. Hrsg. v. Wolfgang Welsch. München 1993. S. 373–397; hier: 51 Zumthor, Peter: Atmosphären [wie Anm. 5], S. 17. S. 390. 52 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 3], S. 85. 13 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 1], S. 18. 53 Zumthor, Peter: Atmosphären [wie Anm. 5], S. 30. 14 Zumthor, Peter: Architektur Denken. Basel 2006. S. 85. 54 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 14], S. 33. 15 Der Therapiebereich konnte für die Analyse der Therme nicht 55 Ebd., S. 12. berücksichtigt werden. 16 Zumthor, Peter: Atmosphären [wie Anm. 5]. 17 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 14]. 56 Der Zugang zur Therme wird über ein Buchungssystem begrenzt. Jeder Gast reserviert sich einen Timeslot im System. So wird die Besucherzahl begrenzt und kontrolliert. 18 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 3], S. 159. 57 Zumthor, Peter: Atmosphären [wie Anm. 5], S. 43. 19 Zumthor, Peter: Atmosphären [wie Anm. 5], S. 30. 58 Ebd. 20 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 14], S. 36. 59 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 14], S. 86. 21 Ebd., S. 31. 60 Zumthor, Peter: Häuser 1979–1997 [wie Anm. 41], S. 160. 22 Ebd. 61 Zumthor, Peter: Atmosphären [wie Anm. 5], S. 29. 23 Zumthor, Peter: Atmosphären [wie Anm. 2], S. 31. 62 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 14], S. 58. 24 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 14], S. 32. 63 Ebd., S. 22. 25 Ebd., S. 16. 64 Ebd., S. 33. 26 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 14], S. 31. 27 Zumthor, Peter: Atmosphären [wie Anm. 5], S. 69. 28 Norberg-Schulz, Christian: Genius loci. Landschaft, 43 44 Atmosphäre am Werk V V Diskussion Diskussion Ästhetische Praxis setzt voraus, die Welt in ihrer ästhetischen Wirklichkeit und Wirkmächtigkeit zu begreifen und ihr Bedürfnis nach Ästhetik anzuerkennen. Für die Architektur resultiert daraus das Gebot zum ästhetischen Entwerfen, Planen und Bauen. Mit Böhme liegt der Kern der ästhetischen Arbeit in der Produktion von Atmosphären. Voraussetzung ist die Anerkennung der Atmosphäre als Seiendes (z.B. eine geschützte Atmosphäre), deren Existenz weder dem Subjekt (der schutzsuchenden Person) noch dem Objekt (der schützenden Mauer) allein zuzuschreiben ist. Die Architektur trägt die Verantwortung für die Atmosphären und damit auch die Fürsorge für die ästhetische Wirklichkeit des Menschen in seiner Sinnlichkeit und für die Dinge als Erzeugende von Atmosphären in ihrem Ekstatisch-Sein. Das erste Kapitel nimmt eine wissenschaftsgeschichtliche und epistemologische Verortung der neuen Ästhetik von Gernot Böhme vor. Die zwei wichtigen Ästhetiken von Baumgarten und Kant sind dort ausgeführt um das ästhetische Denken Böhmes einordnen zu können. Die sinnliche Wahrnehmung der Ästhetik Baumgartens geht bei Böhme als „eigenleibliches Spüren“ in die neue Ästhetik ein. Genauso wie wichtige erkenntnistheoretische Gedanken jener ersten Ästhetik. Die Urteilsästhetik von Kant kritisiert Böhme, da sie die Grundlagen für eine Fehlentwicklung der traditionellen Ästhetik gelegt hat. Gleichzeitig finden wesentliche Ideen aus der transzendentalen Ästhetik Kants ihren Weg in die neue Ästhetik. Es zeigt sich, dass Böhme einen grundlegenden Perspektivwechsel gegenüber der traditionellen Ästhetik vollzieht. Er wendet sich von den ästhetischen Grundbegriffen Schönheit und Kunst ab und etabliert seine neue Ästhetik als allgemeine Theorie der Atmosphärewahrnehmung und -produktion. Das zweite Kapitel seziert den von Gernot Böhme ausgearbeiteten Atmosphäre-Begriff und zeigt die ontologischen Dimensionen des Phänomens auf. Die begriffliche Bestimmung der Atmosphäre wird mit Blick auf das Projekt einer Architekturästhetik um die Dimension des ästhetischen Raums erweitert. So stellt sich heraus, dass insbesondere die Wendung zum Räumlichen die neue Ästhetik als Architekturästhetik produktiv macht. Das dritte Kapitel verbindet ästhetische Theorie und ästhetische Praxis. Die Therme in Vals von Peter Zumthor stellt sich als Lehrstück der neuen Ästhetik heraus. Das Bauwerk vermittelt das Konzept von Atmosphäre, wie es als ästhetischer Grundbegriff von Gernot Böhme fixiert wurde und macht die Theorie leiblich erfahrbar. Exemplarisch fallen hier Gebrauch und Ästhetik zusammen, durchdringen sich leiblicher und architektonischer Raum und wird atmosphärische Dichte als Resultat der Ko-Präsenz von Subjekt und Objekt nachvollziehbar. Das architektonische Denken Zumthors entspricht in seinen Fundamenten den Denkansätzen der neuen Ästhetik. Besonders in einem entscheidenden Punkt weist der Architekt jedoch über die Grenzen der neuen Ästhetik hinaus. Er formuliert seine Vorstellung vom architektonischen Werk. Im Werkbegriff hallen die von Böhme zurückgestellten Begriffe Kunst und Schönheit wider. In dieser letzten Beobachtung spiegelt sich der Titel der Arbeit mit der Frage „Was ist die Atmosphäre am Werk?“. 45 46 Atmosphäre am Werk Architektur, Wahrheit und Werk Böhme hat ästhetische Praxis als Herstellung von Atmosphären definiert. So hat er gewissermaßen das Ganze zugunsten seiner Teile seziert. Was übrig bleibt sind atmosphärische Fragmente, Momentaufnahmen der Wirklichkeit. Der Diskurs über das Werk, der vor allem in der klassischen Ästhetik noch seinen angestammten Platz hatte, rückt damit ins Hintertreffen. Damit fehlt der Grund auf den sich die Architektur als ästhetische Praxis im Ganzen beziehen kann und was der Schweizer Architekt Valerio Olgiati den „Willen zum Werk“1 nennt. Martin Heidegger hat in seinem Aufsatz „Der Ursprung des Kunstwerkes“ 1935/36 das Werk als „Träger des Geschehens der Wahrheit“2 begriffen. Für das architektonische Feld bedeutet das Hervorbringen der Wahrheit im Werk die Hervorbringung der Architektur als sie selbst. Dieses Moment steckt im Grunde bereits in der gedoppelten Bedeutung des Architekturbegriffs. Architektur als ästhetische Arbeit schafft Architektur als ästhetische Wirklichkeit, sie ist Ursache und Wirkung und produziert sich selbst. Auch Olgiati sieht darin die Essenz seiner Arbeit: „Als geistig arbeitender Mensch sehe ich mich grundlegend aufgefordert, über das Werk eine Aussage zur Architektur zu treffen.“3 Wildermuth spricht von „Autonomie der ästhetischen Praxis.“4 Architektur muss demnach sich selbst in ihrem eigenen Sein produzieren. Die Kunst des 20. Jahrhundert hat die Entwicklung zur radikalen Selbstbezüglichkeit ihrer ästhetischen Praxis bereits vollzogen.5 Als „autonome ästhetische Praxis“6 produziert sie nicht Ästhetisches sondern ist selbst das Ästhetische ohne zwischengelagerte Verweisstrukturen.7 Die postmoderne Architektur ist gewissermaßen in die entgegengesetzte Richtung geflohen und hat Verweise im Film, der Photographie, der Wissenschaft und anderen fachfremden Disziplinen gesucht. Olgiati argumentiert: „[…] die Architektur hat genügend Grundlagen, um in der Disziplin zu verweilen. […] Egal wie man seine eigene Position als Architekt zur Architektur formuliert – das eigene Arbeiten sollte immer auf der Grundlage der Architektur stattfinden.“8 Das liest sich auch als Kritik an der Postmoderne, der Zumthor hinzufügt: „Architektur ist kein Vehikel oder Symbol für Dinge, die nicht zu ihrem Wesen gehören.“9 Die einzig mögliche Verweisstruktur bleibt jene, die auf sich selbst verweist und Symbolisches vermeidet. Zumthor verlässt sich daran anschließend im Entwurfsprozess nicht auf Bilder, Gedankenspiele oder Modelle, sondern auf „ureigenste Dinge, die Architektur ausmachen: Material, Konstruktion, Tragen und Getragenwerden, Erde und Himmel, und Vertrauen in Räume, die wirkliche Räume sein dürfen.“10 Das architektonische Ganze und die Atmosphäre Der Wille zum Werk bedeutet für Zumthor das Streben nach der architektonischen Ganzheit. Am Anfang eines Entwurfs steht für ihn daher die Frage: „Was will dieses Haus werden, als Objekt des Gebrauchs, als sinnlicher Körper, mit Material gefügt und fest konstruiert, als Gestalt, zur Form gebracht die dem Leben dient?“11 Die Frage impliziert woran Zumthor als Architekt gelegen ist. Er arbeitet an einer Kohärenz im Werk. „Jede Berührung, jede Verbindung, jede Fuge ist da, um der Idee des Ganzen zu dienen und die ruhige Präsenz des Werkes zu verstärken.“12 In erster und letzter Konsequenz arbeitet er an einer architektonischen Idee, welche das Sein seiner Bauwerke begründet: „Details haben auszudrücken, was die Grundidee des Entwurfs an der betreffenden Stelle des Objektes verlangt: Zusammengehörigkeit oder Trennung, Spannung oder Leichtigkeit, Reibung, Festigkeit, Zerbrechlichkeit … . Details, wenn sie uns glücken, sind nicht Dekoration. Sie lenken nicht ab, sie unterhalten nicht, sondern sie führen hin zum Verständnis des Ganzen.“13 Die Idee des architektonischen Ganzen erfüllt sich nach Zumthor, wenn „[...] alles aufeinander [verweist] und sie [...] das nicht auseinandernehmen [können]. Der Ort, der Gebrauch und die Form.“14 Zumthor vergleicht den Entwurfsprozess mit der Komposition in der Musik.15 Auch Olgiati stellt eine Analogie von architektonischem Entwerfen und Ausführung mit Komposition und Interpretation in der Musik her.16 Der Architekt liefert analog zum Komponisten fertige Werkpläne, welche die innere Ordnung des Werkes in der Sprache der Architektur kommunizieren: in Grundrissen, Schnitten, Ansichten, Lageplänen und vor allem in zahlreichen Detailzeichnungen. Sie sind die Vorwegnahme der Wirklichkeit in der Architektur. „Werkpläne haben den Charakter von anatomischen Zeichnungen. Sie zeigen etwas von dem Geheimnis und der inneren Spannung, die der fertig gefügte architektonische Körper nicht mehr ohne weiteres preisgibt“17, so Zumthor. Diese „Idee des architektonischen Ganzen“ ist grundsätzlich ästhetisch zu verstehen. Die Frage nach der Idee im Werk geht in dem traditionellen Diskurs um das Schöne in der Kunst auf, wenn Zumthors Aussage an Hegel erinnert, der das Schöne als das Scheinen der Idee thematisiert. Und die Idee begreift er aristotelisch als dasjenige organisierende Prinzip, „[...] was die Naturdinge in geringerem oder größerem Maße zur Einheit organisiert.“18 Die Sonderstellung des Schönen V Diskussion als besondere Atmosphäre am Werk, hat Böhme aufgegeben ohne einen alternativen Ansatz zu formulieren. Hier stößt seine neue Ästhetik als Architekturästhetik an ihre Grenzen, da sie dem Willen zum Werk in all seinen Implikationen nicht zu fassen bekommt. Was aber leistet die neue Ästhetik dessen ungeachtet als Programm für die Architektur? Atmosphere is my style Die Atmosphäre öffnet der Architekturpraxis die Tür zur Wirklichkeit. Der Begriff ermöglicht den architektonischen Raum ästhetisch und damit atmosphärisch verstehen und entwerfen zu können. Das ist umso bedeutender, denn wie Wolfgang Welsch festhält: „Die Wirklichkeit ist von heutiger technologischer Warte aus gesehen aus formbarstem, leichtestem Stoff.“19 Wenn der Verwirklichung in der Architektur keine Grenzen mehr gesetzt sind, gilt es umso mehr die Wirkung und Möglichkeit zur Verwirkung des Gebauten einzukalkulieren. Dass sich ein Dach mehrfach auffaltet, heißt noch nicht, dass ich darunter gern im Regen auf den Bus warte. Böhme macht deutlich, dass der ästhetische Raum gedacht als Atmosphäre weder vom Menschen noch von den Dingen zu lösen ist. Eine Idee hat unter dem Gesichtspunkt keine Bedeutung, wenn sie sich nicht in dem Verhältnis der Ko-Präsenz verwirklicht. Böhme hat mit der neuen Ästhetik einen eigenen Sinnzusammenhang für die Architekturpraxis gestiftet, den er mit dem Titel „Atmosphäre" überschrieben hat. Mit der Turner-Referenz ‚Atmosphere is my style‘20 verpflichtet Zumthor seine Arbeit diesem Sinnzusammenhang. Wenn der Stil-Verweis Grenzen und Gebote der architektonischen Arbeit impliziert, dann ist die Grenzziehung, die Zumthor seiner Praxis zumutet die Wirklichkeit. Zumthor sucht nach einer Praxis, die Bauwerke hervorbringt, die „nicht etwas darstellen, sondern etwas sein“21 wollen. Sein Entwurfsprinzip ist der Präsenz verpflichtet oder wie Roemer van Toorn in der Eingangs zitierten 178. Ausgabe der Zeitschrift Arch+ zusammenfasst: „Der Prüfstein ist hier nicht eine Vision, sondern eine Leidenschaft für die Wirklichkeit.“22 gehen. Das setzt zuerst ein Bewusstsein für die ästhetische Konstitution der Welt voraus. Wirklichkeit muss nach Welsch „im ganzen als ästhetisches Konstrukt“23 gedacht werden. Wirklichkeit ist ästhetischer Raum. Darin bin ich leiblich anwesend. Diese Anwesenheit ist immer ein Befinden in Atmosphären. Meine Befindlichkeit reagiert auf Atmosphären, wird durch sie affiziert, bestimmt und verändert. Ihnen bin ich leiblich ausgesetzt. Auf der Rezeptionsseite bedeutet Kompetenz die Herausbildung von Atmosphärewahrnehmung, die eine Sensibilität für das eigenleibliche Befinden im Raum voraussetzt. Auf der Produktionsseite bedeutet Kompetenz das Wissen um die Möglichkeitsbedingungen der Erzeugung von Atmosphären. Dazu zählen ein Wissen von dem Ekstatisch-Sein der Dinge und ihr Potential den ästhetischen Raum atmosphärisch zu bestimmen und charakteristische Atmosphären zu produzieren. So ist es möglich Räume zu gestalten und eine spezifische atmosphärische Dichte zu erzeugen, in der sich verschiedene Atmosphäre-Charaktere überlagern, ergänzen und einander durchdringen. Der atmosphärische Entwurf unterscheidet sich in seinem Gestaltungswillen von dem konzeptionellen Entwurf. Letztere funktioniert fast ausschließlich auf der abstrakten Ebene der Repräsentation, während ersterer sich auf der konkreteren Ebene der Wirklichkeit und Präsenz bewegt. Der Architekt ist dann vor allem dem Ort, den Dingen, den Menschen und ihrer gemeinsamen Wirklichkeit verpflichtet. Die Wirkmacht entfaltet sich nach Zumthor in der konkreten Arbeit an den Werkplänen. Damit bedeutet atmosphärisches Entwerfen ganzheitliches Entwerfen und integriert Entwurf, Planung und Bauen. Wie sich die Idee und die Wahrheit ins Werk setzt und ob sich eine eigene Atmosphäre am Werk zeigt, steht auf einem anderen Blatt geschrieben. 1 Schoper, Tom: Ein Haus. Werk – Ding – Zeug? Gespräche mit Gion A. Caminada, Hermann Czech, Tom Emerson, Hans Kollhoff, Valerio Olgiati, Wien 2016, S. 166. 2 Vgl. Heidegger, Martin: Der Ursprung des Kunstwerkes, in: Atmosphärekompetenz Einer Architekturästhetik, die sich auf den Atmosphärebegriff stützt, muss die Wirklichkeit als Maß dienen. Um das zu bewerkstelligen, geht es Gernot Böhme in seiner Architekturästhetik auch im ästhetische Bildung. Wenn man die neue Ästhetik als Architekturästhetik ernst nimmt, muss es um die Herausbildung von Atmosphärekompetenz im architektonischen Feld Holzwege, hrsg. v. Martin Heidegger, 7. Aufl., Frankfurt/ Main 1994; Zum Wahrheitsbegriff bei Heidegger vgl. auch Keiling, Tobias: Kunst, Werk, Wahrheit. Heideggers Wahrheitstheorie in Der Ursprung des Kunstwerkes, in: Heideggers Ursprung des Kunstwerkes. Ein kooperativer Kommentar, hrsg. v. David Espinet/Tobias Keiling, Frankfurt/Main 2011, S. 66–95. 3 Ebd., S. 147. 47 48 Atmosphäre am Werk 4 Wildermuth, Armin: Ästhetik - Zwischen Philosophie und künstlerischer Praxis, in: Die Aktualität des Ästhetischen, hrsg. v. Wolfgang Welsch, München 1993, S. 373–397; hier: S. 389. 5 Ebd., S. 391. 6 Ebd., S. 389. 7 Ebd., S. 390. 8 Schoper, Tom: Ein Haus. Werk – Ding – Zeug? [wie Anm. 1], S. 176. 9 Zumthor, Peter: Architektur Denken, Basel 2006, S. 26. 10 Ebd., S. 33. 11 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 8], S. 79–80. 12 Ebd., S. 15. 13 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 8], S. 15–16. 14 Zumthor, Peter: Atmosphären. Architektonische Umgebungen. Die Dinge um mich herum, Basel 2006, S. 69. 15 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 8], S. 12. 16 Vgl. Schoper, Tom: Ein Haus. Werk – Ding – Zeug? [wie Anm. 1], S. 175; Peter Zumthor: Architektur Denken, Basel 2006, S.12. 17 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 8], S. 18. 18 Böhme, Gernot: Aisthetik. Vorlesungen über Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre, München 2001, S. 70. 19 Welsch, Wolfgang: Grenzgänge der Ästhetik, Stuttgart 1996, S. 15. 20 Zumthor, Peter: Atmosphären. Architektonische Umgebungen. Die Dinge um mich herum, Basel 2006. 21 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 8], S. 34. 22 Toorn, Roemer van: Ästhetik als Form der Politik, in: ARCH+ /178 (2006), S. 88–93; hier: S. 90. 23 Welsch, Wolfgang: Grenzgänge [wie Anm. 19], S. 10. V Diskussion 49 50 Atmosphäre am Werk Literatur Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie, Frankfurt/ Main 1970. Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre, 2. korrigierte Aufl. 2013, München 2006. Auer, Gerhard/ Ulich Conrads (Hrsg.): Konstruktion von Atmosphären/ Constructing Atmospheres (Daidalos/ 68), Gütersloh 1998. Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre, in: ARCH+ /178 (2006), S. 42–45. Ästhetik, in: Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, hrsg. v. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Internet: http://www.dwds.de/?qu=Ästhetik. Stand: 5.12.2015. Baeumler, Alfred: Kants Kritik der Urteilskraft. Ihre Geschichte und Systematik, Halle/Saale 1923. Barck, Karlheinz: Ästhetik/ästhetisch, in: Ästhetische Grundbegriffe. Absenz-Darstellung, hrsg. v. Karlheinz Barck/Martin Fontius/Dieter Schlenstedt/ Burkhart Steinwachs/Friedrich Wolfzettel, Erster Bd, Stuttgart/ Weimar 2000, S. 308–383. Baudrillard, Jean: Architektur. Wahrheit oder Radikalität?, Graz 1999. Baumgarten, Alexander Gottlieb: Ästhetik: Zwei Bände, Band 1: §§ 1-613 / Band 2: §§ 614-904, Einführung, Glossar, hrsg. v. Dagmar Mirbach, Hamburg 2007. Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt/Main 2012. Beyme, Klaus von: Das Zeitalter der Avantgarden. Kunst und Gesellschaft 1905-1955, München 2005. Boehm, Gottfried: Der erste Blick. Kunstwerk - Ästhetik - Philosophie, in: Die Aktualität des Ästhetischen, hrsg. v. Wolfgang Welsch, München 1993, S. 355–369. Böhme, Gernot: Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik, Frankfurt/Main 1995. Böhme, Gernot: Kants Kritik der Urteilskraft in neuer Sicht, Frankfurt/Main 1999. Böhme, Gernot: Aisthetik. Vorlesungen über Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre, München 2001. Böhme, Gernot: Synästhesien im Rahmen einer Phänomenologie der Wahrnehmung, in: Synästhesie. Leib – Raum / Architektur. Wolkenkuckucksheim. Internationale Zeitschrift für Theorie der Architektur 18/31 (2013), Internet: http://cloud-cuckoo. net/fileadmin/hefte_de/heft_31/artikel_boehme. pdf , Stand: 15.01.2016, S. 21–35 Cassirer, Ernst: Mythischer, ästhetischer und theoretischer Raum, in: Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, hrsg. v. Jörg Dünne/Stephan Günzel, Frankfurt/Main 2012, S. 485–500. Eisler, Rudolf: Kant-Lexikon. Nachschlagewerk zu Kants sämtlichen Schriften, Briefen und handschriftlichem Nachlaß. 10. Aufl. Hildesheim/ Zürich/ New York 1989. Gabriel, Gottfried: Erkenntnis, Berlin/ Boston 2015. Heidegger, Martin: Der Ursprung des Kunstwerkes, in: Holzwege, hrsg. v. Martin Heidegger, 7. Aufl., Frankfurt/Main 1994. Kamper, Dietmar: Körper, in: Ästhetische Grundbegriffe. Harmonie-Material, hrsg. v. Karlheinz Barck/ Martin Fontius/ Dieter Schlenstedt/ Burkhart Steinwachs/ Friedrich Wolfzettel, Dritter Bd, Stuttgart/ Weimar 2001, S. 426–449. Kant, Immanuel: Werke in zwölf Bänden, Zehnter Bd., Frankfurt am Main (1914) 1977, Internet: http://www.zeno.org/nid/20009190171, Stand: 05.12.2015. Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft, hrsg. v. Jens Timmermann, Hamburg 1998. Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft, hrsg. v. Heiner F. Klemme, Hamburg 2001. Keiling, Tobias: Kunst, Werk, Wahrheit. Heideggers V Diskussion Wahrheitstheorie in Der Ursprung des Kunstwerkes, in: Heideggers Ursprung des Kunstwerkes. Ein kooperativer Kommentar, hrsg. v. David Espinet/ Tobias Keiling. Frankfurt/Main 2011, S. 66–95. Ströker, Elisabeth: Philosophische Untersuchungen zum Raum. 2. Aufl, Frankfurt/Main 1977. Leibniz, Gottfried Wilhelm: Meditationes de cognitione, veritate et ideis [Betrachtungen über die Erkenntnis, die Wahrheit und die Ideen], in: Fünf Schriften zur Logik und Metaphysik, hrsg. v. Herbert Herring, Stuttgart 1966, S. 9–17. Wagner, Kirsten: Vom Leib zum Raum. Aspekte der Raumdiskussion in der Architektur aus kulturwissenschaftlicher Perspektive, in: Gebaute Räume. Zur kulturellen Formung von Architektur und Stadt. Wolkenkuckucksheim. Internationale Zeitschrift für Theorie und Wissenschaft der Architektur, 9/16 (2004). Internet: http://www.cloud-cuckoo.net/ openarchive/wolke/deu/Themen/041/Wagner/ wagner.htm. Stand: 24.8.2015. Merleau-Ponty, Maurice: Phänomenologie der Wahrnehmung, Berlin 1974. Mirbach, Dagmar: Einführung zur fragmentarischen Ganzheit von Alexander Gottlieb Baumgartens Aesthetica (1750/58), in: Baumgarten, Alexander Gottlieb: Ästhetik, hrsg. v. Dagmar Mirbach. Erster Bd, Hamburg 2007, S. XV–LXXX. Naumann-Beyer, Waltraud: Sinnlichkeit, in: Ästhetische Grundbegriffe. Postmoderne-Synästhesie, hrsg. v. Karlheinz Barck/Martin Fontius/Dieter Schlenstedt/Burkhart Steinwachs/Friedrich Wolfzettel, Fünfter Bd, Stuttgart/ Weimar 2000, S. 534–577. Norberg-Schulz, Christian: Genius loci. Landschaft, Lebensraum, Baukunst, Stuttgart 1982. Reschke, Renate: Schön/Schönheit, in: Ästhetische Grundbegriffe, Postmoderne-Synästhesie, hrsg. v. Karlheinz Barck/Martin Fontius/Dieter Schlenstedt/Burkhart Steinwachs/Friedrich Wolfzettel, Fünfter Bd, Stuttgart/ Weimar 2000, S. 390–436. Schoper, Tom: Ein Haus. Werk – Ding – Zeug? Gespräche mit Gion A. Caminada, Hermann Czech, Tom Emerson, Hans Kollhoff, Valerio Olgiati, Wien 2016. Sloterdijk, Peter: Architektur als Immersionskunst, in: ARCH+ /178 (2006), S. 58–61. Sörgel, Herman: Einführung in die Architektur-Ästhetik. Prolegomena zu einer Theorie der Baukunst, München 1918. Toorn, Roemer van: Ästhetik als Form der Politik, in: ARCH+ /178 (2006), S. 88–93. Welsch, Wolfgang: „Postmoderne“. Genealogie und Bedeutung eines umstrittenen Begriffs, in: „Postmoderne“ oder der Kampf um die Zukunft. Die Kontroverse in Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft, hrsg. v. Peter Kemper, Frankfurt/Main 1988, S. 9–36. Welsch, Wolfgang: Grenzgänge der Ästhetik, Stuttgart 1996. Welsch, Wolfgang: Ästhetisches Denken, 7. Aufl, Stuttgart 2010. Wigley, Marc: Die Architetur der Atmosphäre, in: Daidolos /68 (1998), S. 18–27. Wildermuth, Armin: Ästhetik - Zwischen Philosophie und künstlerischer Praxis, in: Die Aktualität des Ästhetischen, hrsg. v. Wolfgang Welsch, München 1993, S. 373–397. Zumthor, Peter: Häuser 1979–1997, Basel/ Boston/ Berlin 1999. Zumthor, Peter: Atmosphären. Architektonische Umgebungen. Die Dinge um mich herum, Basel 2006. Zumthor, Peter: Architektur Denken, Basel 2006. Zwenger, Thomas: Urteil, in: Online-Wörterbuch Philosophie.w Das Philosophielexikon im Internet, hrsg. v. Wulff D. Rehfus, Stuttgart 2003. 51