Atmosphäre am Werk - Bund Deutscher Architekten

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Atmosphäre
am Werk
II Ästhetische Philosophie
Gernot Böhmes neue Ästhetik als Architekturästhetik
von Karoline Fahl
# 325098
3
Der Leib ist eine große Vernunft, eine Vielheit mit einem Sinne, ein Krieg und ein
Frieden, eine Herde und ein Hirt.
Werkzeug deines Leibes ist auch deine kleine Vernunft, mein Bruder, die du
»Geist« nennst, ein kleines Werk- und Spielzeug deiner großen Vernunft.1
Friedrich Nietzsche
2
Atmosphäre am Werk
1 Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Ein Buch für alle und keinen, in:
Werke in drei Bänden. Zweiter Bd. München 1955, S. 275–562; hier: S. 300.
Diese Arbeit wurde als Lehrforschungprojekt am Fachgebiet für Architekturtheorie der Technischen Universität Berlin bei Prof. Jörg Gleiter
im WS 2015/16 erstellt und vorgelegt.
Eidesstattliche Erklärung
Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig
verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Alle Ausführungen, die anderen veröffentlichten oder
nicht veröffentlichten Schriften wörtlich oder sinngemäß entnommen
wurden, habe ich kenntlich gemacht. Die Arbeit hat in gleicher oder
ähnlicher Fassung noch keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegen.
Mit meiner Unterschrift bestätige ich, dass ich über fachübliche Zitierregeln unterrichtet worden bin und verstanden habe. Die im betroffenen Fachgebiet üblichen Zitiervorschriften sind eingehalten worden.
Eine Überprüfung der Arbeit auf Plagiate mithilfe elektronischer Hilfsmittel darf vorgenommen werden.^
Karoline Fahl, Matrikelnummer: 325098
4
9
Atmosphäre am Werk
Inhalt
I Einleitung 7
Atmosphäre-Diskurs 7 — Ästhetisierung 7 — Ästhetische
Ökonomie 8 — Architektur und neuer Humanismus 8 —
Struktur der Arbeit 9
15
II Ästhetische Philosophie 13
Ästhetische Reflexion 13 — Ästhetischer Gegenstand 14 —
Kurze Genealogie der Ästhetik 14
17
1Alexander Gottlieb Baumgarten: Erste Ästhetik 15
Sinnlichkeit 15 — Wahrheit der Erkenntnis 15 — Klarheit der
Erkenntnis 16 — Schönheit der Erkenntnis 16 — Schönheit und
Kunst 17
20
2Immanuel Kant: Klassische Ästhetik
17
Transzendentale Ästhetik und Erkenntnis 17 — Urteilsästhetik
und Schönheit 18 — Schönheit und Kunst 19
22
3Gernot Böhme: Neue Ästhetik Ökologische Naturästhetik 20 — Rezeptionsästhetik: Wahrnehmung,
Leib und Befindlichkeit 21 — Produktionsästhetik: Ontologie,
Ding und Ekstasen 21
29
III Ästhetischer Raum und Atmosphäre
Avantgarde und neue Ästhetik 26 — Atmosphäre und Sprache 26
31
1Ästhetischer Raum und Atmosphäre
19
25
26
32
2Ko-Präsenz
Atmosphären und Atmosphärisches 28
28
33
3Bestimmung am Subjektpol
Wirklichkeit und Realität 29 — Leibliches Befinden und
Betroffensein 29 — Ingression und Diskrepanz 30 — Charaktere 30
28
36
4Bestimmung am Objektpol
Ekstasen 31 — Erzeugende 31
31
II Ästhetische Philosophie
41
42
IV Ästhetische Arbeit und Architektur
1Peter Zumthors Therme in Vals
35
36
2Dinge
42
Ort: Berg, Quelle 37 — Material: Stein, Wasser, Licht 38 —
Konstruktion: Massivbau 38 — Form 39 — Symbole 39
36
46
3Leib
Eintauchen 40 — Abtauchen 41 — Auftauchen 42
39
50
42
53
4Ästhetischer Raum und Ko-Präsenz VDiskussion
45
Architetur, Wahrheit und Werk 45 — Das architektonische Ganze
und die Atmosphäre 46 — Atmosphere is my style 47 —
Atmosphärekompetenz 47
56Literatur
50
5
I
I Einleitung
Einleitung
Die Arbeit beginnt mit einer Einleitung, die vor allem
dazu dienen soll, die Relevanz für die Beschäftigung
mit Gernot Böhmes Theorie einer neuen Ästhetik aus
architektonischer Perspektive herauszuarbeiten. Das ist
jedoch nur zu bewerkstelligen, wenn einige Begriffsklärungen bereits vorangestellt werden. So richtet sich die
Einleitung an den Begriffen Ästhetik, Ästhetisierung
und ästhetische Ökonomie aus und gibt einen erste
Orientierung. Sie schließt mit einem Überblick über
die Struktur der Arbeit.
Atmosphäre-Diskurs
Peter Zumthor hält 2003 einen Vortrag, welcher unter
dem Titel „Atmosphären“1 2006 veröffentlicht wird. In
dem Einband stellt er eine Aussage des Malers Willem
Turner an John Ruskin als Zitat voran: „Atmosphere
ist my style“. Mit dieser Haltung trifft Zumthor einen
Zeitgeist in der Architektur. Marc Wigley fasst zusammen: „Der Begriff der Atmosphäre stört den Architektur-Diskurs – er verfolgt diejenigen, die versuchen,
ihm zu entkommen, und entgeht denjenigen, die ihm
hinterherjagen.“2
Gernot Böhme ist die Jagd nach der Atmosphäre trotzdem angetreten. Der Philosoph legt Anfang der 1990er
Jahre eine philosophische Ästhetik vor, die sich auf das
Phänomen der Atmosphäre gründet. 2006 veröffentlicht Gernot Böhme „Architektur und Atmosphäre“3 .
Ein Vorabdruck der Einleitung erscheint zeitgleich
in der Architekturzeitschrift Arch+ 1784 . Das Heft
widmet sich dem Thema der Produktion von Präsenz
und führt Böhmes Atmosphäre-Begriff in Architektur
und Städtebau ein. Die breite Rezeption wird durch
Fachvorträge, Symposien und die letzte Ausgabe von
Daidalos „Konstruktion von Atmosphären“5 begleitet.
Die Aufmerksamkeit, die dadurch für die Atmosphäre
geschaffen wurde, beeinflusst in der Folge nachhaltig
den ästhetischen Diskurs in der Architektur. Seit dem
geht ihr Geist um.
„Was leistet nun die neue Ästhetik für die ästhetische
Praxis? Die erste und allgemeinste Funktion der Ästhetik ist die Erweiterung der Sprachfähigkeit.“6 Zu diesem Zweck fixiert Böhme Atmosphäre als ästhetischen
Grundbegriff. Was aber kann die neue Ästhetik von
dort aus als Architekturästhetik leisten?
Ästhetisierung
Ästhetik wird als Teildisziplin der Philosophie zugeordnet. In der Philosophie besetzt die Ästhetik den
Bereich um das „Wissen vom Sinnenhaften“7. Der
Kunstkritiker Hermann Sörgel fasst den Erkenntnisgegenstand der Ästhetik Anfang des 20. Jahrhunderts wie
folgt:
„Die Erforschung des Phänomens ist die erste Aufgabe
jeder Ästhetik; denn der Wahrnehmungsinhalt ist das
einzig Ästhetische, was voraussetzungslos gegeben ist.“8
Und präzisiert weiter:
„An dem Objekt »Haus« interessiert ästhetisch vorerst nur das Phänomen »Haus«, d.h. das wirklich, unmittelbar vom Subjekte Beobachtete. Die ästhetische
Forschung wird also weder an der Realität des Objekts
noch an den allgemeinen »apriorischen« Potenzen
des Subjekts anzuknüpfen haben, sondern einzig und
allein an dem Vorgang, der zwischen beiden stattfindet;
weder das Objekt noch das Subjekt haben an sich ästhetische Bedeutung.“9
Ästhetische Phänomene werden erstmals von dem
7
8
Atmosphäre am Werk
Philosophen Alexander Gottlieb Baumgarten Mitte
des 18. Jahrhunderts systematisch behandelt und in
eine eigene Theorie überführt, die er als Ästhetik begründet. Später transzendiert die Ästhetik auch in
andere Wissenschaftsbereiche. Vor allem die Psychologie und Soziologie widmen sich der ästhetischen
Wahrnehmung und Erfahrung. Im Zuge der „Ästhetisierungs-Euphorie der Moderne“10 fragmentiert sich
der Ästhetik-Diskurs in Wissenschaft und Kunst. Der
Neologismus des „Ästhetischen“ versucht in seiner
höchsten Unbestimmtheit die Fragmente wieder in ein
Ganzes zu integrieren.11
Wolfgang Welsch findet für diese „epistemologische
Ästhetisierung“12 den Begriff aesthetic turn, der auf
das 20. Jahrhundert als das ästhetische Jahrhundert
verweist.13 Es ist die „Zeit einer Umgestaltung auf allen Ebenen“14 und einer „prinzipiellen Ästhetisierung
von Wissen, Wahrheit und Wirklichkeit“15 Ursache für
den „Ästhetik-Boom“16 ist die Abwendung vom Positivismus und Objektivitätsideal der Aufklärung. Der
gesellschaftliche Kontext hatte sich von Grund auf gewandelt und damit die Bedingungen ästhetischer Reflexion. Die philosophische Ästhetik rückt mit neuer
Relevanz ins Zentrum der Aufmerksamkeit und steht
vor einer grundlegenden Neubestimmung.17 Vor dem
Hintergrund einer allgemeinen Ästhetisierung der modernen Welt gewinnt das „ästhetische Denken“ immer
mehr an Bedeutung. „Ästhetisches Denken geht in
seiner Wirklichkeitsdiagnostik von Wahrnehmungen
und Beobachtungen aus und prüft dann reflektierend,
inwieweit anhand ihrer ein Begreifen der Wirklichkeit
im ganzen möglich wird.“18
Ästhetisierung beschränkt sich nicht auf den Bereich
der Wissenschaft. Längst erreicht sie über Kunst, Politik und Wirtschaft auch die alltäglichsten Bereiche
unseres Lebens. Paradox jedoch bleibt, dass bei aller Ästhetisierung die Sinnlichkeit abhanden gekommen ist.
In unserer Welt, in der das Visuelle vorherrscht, gilt die
Form der ganzheitlichen Wahrnehmung als verkommene Kulturtechnik. Hier setzt Gernot Böhmes mit seiner Kritik an der ästhetischen Ökonomie an.
Ästhetische Ökonomie
Für Gernot Böhme resultiert aus dem Phänomen der
Ästhetisierung eine unbedingte Dringlichkeit für eine
neue, zeitgemäße Ästhetik. Die Notwendigkeit rechtfertigt er über eine „Kritik der Ästhetisierung des Alltagslebens“19. Die Gefahr der Ästhetisierung geht von
Machtstrukturen aus, die manipulativ auf die Lebenswelt der Individuen einwirken und ökonomische, politische, kulturelle und soziale Praxis gleichermaßen betreffen. Diese Macht zielt darauf ab, die Gefühlswelten
der Menschen zu beeinflussen und zu manipulieren.
Er führt den Begriff der ästhetischen Ökonomie ein
und erklärt: „Kritik an der Ästhetisierung des Realen
muss Kritik an der ästhetischen Ökonomie sein.“20 Die
ästhetische Ökonomie bestimmt er als eine Entwicklung des Spätkapitalismus in den Dienstleistungsgesellschaften.21 Der Strukturwandel und die Tertiarisierung
der Arbeitswelt haben dazu geführt, dass der Bereich
der ästhetischen Arbeit an Bedeutung gewinnt. Das
betrifft vor allem Werbung, Medien, Design, aber auch
Architektur und Städtebau.22 Der Bereich der ästhetischen Arbeit etablierte sich vor dem Hintergrund, dass
die Wirtschaft nicht mehr nur auf die Produktion von
Waren ausgerichtet war, sondern auf die Inszenierung
derselben.23 Das Resultat nennen Kritiker eine Welt
des Scheins, in die sich das gesellschaftliche Leben zu
Ungunsten einer Welt des Seins mehr und mehr verlagert. Aufgabe einer allgemeinen Theorie der Ästhetik
als kritische Theorie der ästhetischen Ökonomie ist es,
so die Schlussfolgerung, „den Einzelnen der Manipulation seiner Gefühle zu entreißen und ihm die Freiheit
zurückzugeben“24
Architektur und neuer Humanismus
Auch im Feld der Architektur hat der aesthetic turn
seine deutlichen Spuren hinterlassen. Für Böhme zeigt
sich in der postmodernen Architektur die Kehrseite der
Ästhetisierung. Sie „erweist sich (...) als ein Produkt ästhetischer Ökonomie.(...) Ihre Funktion besteht darin,
Szenisches zu schaffen – im Wesentlichen Szenen für
den Konsum. (...)Architektur wird zum Teilgebiet der
Warenästhetik.“25 Böhmes Diagnose lautet: „Architektur und Design arbeiten an der Welt des Ausdrucks,
der Welt der Oberfläche oder des Image, die heute die
Realität dominiert, und so sind sie zugleich mitverantwortlich für die Verdrängung der Realität.“26 Böhmes
Kritik an der Architekturproduktion zielt insbesondere auf die postmoderne Praxis als Symptom einer Welt
des Scheins, welche sich von der Welt des Seins entkoppelt hat. Las Vegas steht dafür prototypisch. Was Venturi positiv die „Architektur der Verführung“27 nennt,
diskreditiert Jürgen Habermas als neokonservatives
Kulissenwesen28 .
Peter Zumthor analysiert das postmoderne Leben wie
folgt: „Die Welt ist voll von Zeichen und Informationen, die für Dinge stehen, die niemand vollauf versteht,
weil auch diese sich letztlich wiederum nur als Zeichen
für andere Dinge erweisen. Das wahre Ding bleibt verborgen. Niemand bekommt es je zu sehen.“29 Die Kritik
lautet, die Postmoderne agiert auf der Ebene von Realität, nicht von Wirklichkeit.
Böhme liefert demgegenüber eine Ästhetik der
I Einleitung
Wirklichkeit, welche die Ästhetisierung als Produktivkraft deutet und einen neuen Humanismus auch in
der Architektur verspricht.30 Dieser neue Humanismus
wendet sich vom Anthropozentrismus der Moderne ab,
die den Menschen als von der Welt unterschiedenes
Wesen begriffen hatte, und lenkt die Aufmerksamkeit
auf das Konzept „[…] eines von Grund auf weltverbundenen Wesens (inmitten der Gemeinschaftlichkeit alles
Seienden) […].“31
Die neue Ästhetik appelliert an die Verantwortung für
die Wirkungsmacht ästhetischer Arbeit, zu der er auch
die Architektur zählt. Wahrnehmungs- und Produktionsgegenstand der neuen Ästhetik ist die Atmosphäre.
Die Atmosphäre als Paradigma einer neuen Ästhetik
transzendiert die Grenzen der klassischen Ästhetik und
greift bis in die aller alltäglichsten Sphären hinein. Mit
der Atmosphäre gibt Böhme der Architektur einen Begriff, mit dem eine produktive Ästhetik möglich wird.
Der ästhetische Raum wird konstitutiv für die architektonische Erfahrung und die Architekturproduktion
gleichermaßen. Von dort aus wird gefragt, was die neue
Ästhetik als Architekturästhetik leisten kann und wo
ihre Grenzen liegen.
beschrieben.
Der dritte Teil fasst eine Rückschau auf die neue Ästhetik von Gernot Böhme aus der Perspektive der ästhetischen Praxis. Hier wird die Therme in Vals von Peter
Zumthor als ästhetisches Lehrstück herangezogen und
an ihm Böhmes Atmosphäre-Begriff nachvollzogen.
Die Therme schafft zugleich einen Zugang zu dem ästhetischen Denken des Architekten, welcher zuweilen
über die neue Ästhetik Böhmes in Richtung einer Werkästhetik im Bereich der Architektur hinaus denkt.
Die Arbeit schließt mit einer Diskussion, die gleichsam als Plädoyer für das Schöne und die Kunst gelesen
werden kann. Gernot Böhmes neue Ästhetik wird mit
Unterstützung von Heideggers Werk-Begriff und mit
Blick auf eine Architekturästhetik kritisch diskutiert.
Hier zeigen sich die Grenzen seiner Theorie für die
Architekturpraxis und der Suche nach einer wie auch
immer gearteten ästhetischen Wahrheit, die hinausführt aus der Beliebigkeit architektonischen Schaffens.
Lässt Nietzsches „Erkenntnis, daß auch das Gewordene
wahr sein kann“33 auf eine architektonische Wahrheit
hoffen?
Struktur der Arbeit
Die Arbeit ist in drei Teile gegliedert. Der erste Teil beginnt mit der Verortung der ästhetischen Philosophie
von Gernot Böhme. Die neue Ästhetik wird der ersten
Ästhetik von Alexander Gottlieb Baumgarten gegenübergestellt, in dessen Tradition Böhme seine neue
Ästhetik stellt und mit der klassischen Ästhetik von
Immanuel Kant konfrontiert, zu der Böhme in großem
Widerspruch steht. Vordergründig ist das ästhetische
Denken, welches den Theorien zugrunde liegt, ihre
philosophischen Grundannahmen und Implikationen,
sowie die Bedingungen ihrer Entstehung (metaphysisch, anthropologisch, ökologisch).
Der zweite Teil vertieft den Atmosphäre-Begriff, wie er
von Gernot Böhme mit Rückgriff auf die Phänomenologie von Hermann Schmitz ausgearbeitet wurde.
Dass Böhme die Atmosphäre zum Grundbegriff seiner
neuen Ästhetik erhebt, zeugt von der eingangs erwähnten epistemologischen Ästhetisierung. Hier nun steht
das Ästhetische in seiner Eigenwirklichkeit und seinem Eigenwesen als ästhetischer Gegenstand im Zentrum einer neuen Ästhetik. Vor dem Hintergrund einer Architekturästhetik wird der Zusammenhang von
ästhetischem Raum (Ernst Cassirer) und Atmosphäre
(Gernot Böhme) herausgestellt, jene „entscheidenden
Begriffe, die die Architektur und den menschlichen
Leib zu vermitteln versprechen.“32 Anschließend wird
die Atmosphäre von ihrer Ding- und Leib-Seite her
1 Zumthor, Peter: Atmosphären. Architektonische
Umgebungen. Die Dinge um mich herum, Basel 2006.
2 Wigley, Marc: Die Architetur der Atmosphäre, in: Daidolos
/68 (1998), S. 18–27; hier: S. 18.
3 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre, 2. korrigierte
Aufl. 2013, München 2006.
4 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre, in: ARCH+
/178 (2006), S. 42–45.
5 Konstruktion von Atmosphären/ Constructing Atmospheres
(Daidalos/ 68), Hrsg. v. Gerhard Auer/Ulrich Conrads,
Gütersloh 1998.
6 Böhme, Gernot: Aisthetik. Vorlesungen über Ästhetik als
allgemeine Wahrnehmungslehre, München 2001, S. 177.
7 Welsch, Wolfgang: Ästhetisches Denken, 7. Aufl. Stuttgart
2010, S. 10.
8 Sörgel, Herman: Einführung in die Architektur-Ästhetik.
Prolegomena zu einer Theorie der Baukunst, München 1918,
S. 70.
9 Ebd., S. 69.
10Welsch, Wolfgang: Ästhetisches Denken [wie Anm. 7], S. 7.
11 Wildermuth, Armin: Ästhetik - Zwischen Philosophie und
künstlerischer Praxis, in: Die Aktualität des Ästhetischen,
Hrsg. v. Wolfgang Welsch, München 1993, S. 373–397, hier:
S. 375.
12 Welsch, Wolfgang: Grenzgänge der Ästhetik, Stuttgart 1996,
S. 96.
13 Ebd.
14 Welsch, Wolfgang: Ästhetisches Denken [wie Anm. 7], S. 218.
9
10
Atmosphäre am Werk
15 Welsch, Wolfgang: Grenzgänge [wie Anm. 12], S. 96.
16 Welsch, Wolfgang: Ästhetisches Denken [wie Anm. 7], S. 13.
17 Barck, Karlheinz: Ästhetik/ästhetisch, in: Ästhetische
Grundbegriffe, Absenz-Darstellung, Hrsg. v. Karlheinz
Barck/Martin Fontius/Dieter Schlenstedt/u. a. Erster Bd.
Stuttgart/ Weimar 2000, S. 308–383, hier: S. 310.
18 Welsch, Wolfgang: Ästhetisches Denken [wie Anm. 7], S.
223.
19 Böhme, Gernot: Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik,
Frankfurt/Main 1995, S. 43.
20 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 6], S. 183.
21 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre [wie Anm. 3],
S. 48.
22 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 6], S. 22.
23 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 19], S. 45.
24 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 6], S. 183.
25 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre [wie Anm. 3],
S. 10.
26 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 19], S. 18.
27 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre [wie Anm. 4],
S. 42.
28 Welsch, Wolfgang: „Postmoderne“. Genealogie und
Bedeutung eines umstrittenen Begriffs, in: „Postmoderne“
oder der Kampf um die Zukunft. Die Kontroverse in
Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft, Hrsg. v. Peter Kemper,
Frankfurt/Main 1988, S. 9–36, hier: S. 22.
29 Zumthor, Peter: Architektur Denken, Basel 2006, S. 16.
30 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre [wie Anm. 4],
S. 44.
31 Welsch, Wolfgang: Ästhetisches Denken [wie Anm. 7], S. 227.
32 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre [wie Anm. 4],
S. 44.
33 Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie, Frankfurt/Main
1970, S. 12.
12
Atmosphäre am Werk
II
II Ästhetische Philosophie
Ästhetische
Philosophie
Die Ästhetik als philosophische Disziplin verdankt
ihre Entstehung einem Kulturwandel, der mit einer
allgemeinen Hinwendung zum Subjekt beschrieben
werden kann. Das 18. Jahrhundert ist das Jahrhundert des Menschen und seinem Vermögen zum Wahren, Schönen und Guten. Hintergrund und Motiv der
Aufklärung ist die Bildung des ganzen Menschen und
ihr Ziel der „felix aestheticus“1, der glückliche Ästhetiker. Damit ist Ästhetik „nicht bloß irgendeine neue
wissenschaftliche Disziplin der Aufklärung, sondern
eine ihrer größten Hoffnungen. Am ästhetischen Wesen sollen - ab etwa 1750 - Mensch und Welt genesen.“2
Die Rede von der Ästhetik beginnt vor allem als eine
Kritik am Hyperrationalismus oder „cartesianischen
Logozentrismus“.3 Johann Wolfgang von Goethe
(1749-1832) gilt als einer der großen Kritiker am Dogma rationaler Wissenschaften. Er war der Auffassung,
dass der Mensch durchaus fähig sei in der Erscheinung
Erkenntnis über das Wesen der Dinge zu erlangen. 4
Goethe suchte in der Natur nach beschreibbaren Phänomenen die mittels sinnlicher Wahrnehmung erfahren werden. Das Paradigma seiner Naturwissenschaft
lautet: „Suche nur nichts hinter den Phänomenen, sie
selbst sind die Lehre.“5
Der erkenntnistheoretische Diskurs über die Möglichkeit sinnlicher Erkenntnis führte mit Alexander
Gottlieb Baumgarten (1714-1762) in die Ästhetik. Etymologisch leitet sich der Begriff von dem griechischen
Wort Aisthesis ab und bedeutet Wahrnehmung, Empfindung. Die Ästhetik könnte damit als Wissenschaft
von der Wahrnehmung zusammengefasst werden. Das
digitale Wörterbuch der deutschen Sprache definiert
Ästhetik als „Lehre von den Gesetzen der Kunst und
des Schönen.“6 Die Diskrepanz von Wahrnehmungstheorie zu Kunsttheorie ist offensichtlich. In ihr zeigt
sich das Abbild der bewegten Wissenschaftsgeschichte.
Im Laufe der epistemologischen Entwicklung der
Ästhetik kommt es im 20. Jahrhundert zu einer „[...]
Grundsätzlichkeit und Universalität des Ästhetischen
[...]“ und damit zu einer Ästhetisierung in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Wolfgang Welsch
argumentiert daraus die Herausbildung eines universellen ästhetischen Denkens auch in der Philosophie.7
Ästhetische Reflexion
Mit der Ästhetik konstatiert die Philosophie: „Die
Grenzen des Verstandes sind noch lange nicht diejenigen der Erfahrung.“8 Seit Immanuel Kant (1724-1804)
hat sich die Einsicht durchgesetzt, „daß die Grundlagen dessen, was wir Wirklichkeit nennen, fiktionaler
Natur sind. Wirklichkeit erwies sich immer mehr als
nicht ‚realistisch‘, sondern ‚ästhetisch‘ konstituiert.“9
Was sich uns in der Erfahrung zeigt, ist die Wirklichkeit in ihrer maßlosen Erscheinungsgewalt, sich fortlaufend verändernd, widersprechend und verbergend,
individuell, unbeständig und dynamisch.
Das grundsätzliche Problem, mit dem die Philosophie angesichts des Ästhetischen hadert, ist, „daß sie
als reflexives Denken dem erscheinenden Ereignis
hinterherhinkt. Sie faßt nicht den Akt des In-Erscheinung-tretens. (…) Reflexion vollzieht sich stets, in dem
sie Erscheinendes sich verfügbar macht und in begrifflichen und ontologischen Konstanten zum Stehen
bringen will.“10 Die Erscheinungen jedoch lassen sich
in ihrer Dynamik, Unbeständigkeit und Individualität nur schwer in die starren Zwänge statischer Begriffe
13
14
Atmosphäre am Werk
bändigen. Die philosophische Problemstellung der Ästhetik liegt in dem Begreifen-Wollen des Nicht-Begrifflichen. Die ästhetische Reflexion über das ‚Ich weiß
nicht was?‘ macht deutlich, „[...] daß sich der Anspruch
wissenschaftlichen Fragens hier in einem Ausnahmezustand befindet.“11
Alexander Gottlieb Baumgarten, der Begründer der
philosophischen Ästhetik, fragt angesichts des Willens zur Abstraktion und Begriffsbildung, wie sie dem
reflexiven Denken eigen ist: „ob die metaphysische
Wahrheit einem solchen Allgemeinen so entsprechen
mag, wie sie dem Individuum entspricht, das unter
demselben enthalten ist? (…) Was ist die Absonderung,
wenn nicht ein Verlust? Ebenso brächtest du aus einem
Marmor von unregelmäßiger Form keine Marmorkugel heraus, wenn nicht durch wenigstens soviel Einbuße an Material, in welchem Maße sie der höhere Wert
der Rundheit verlangen wird.“12
Begriffsbildung bedeutet Ordnung durch Abstraktion
und Verallgemeinerung. Wir synthetisieren was uns
in der Erscheinung gegeben ist und benutzen Begriffe, Kategorien, Systeme und Modelle um vermeintlich
Ordnung in das Chaos der Welt zu bringen. Was dabei auf der Strecke bleibt ist die ästhetische Erfahrung
selbst. Ihr widmet sich die Ästhetik.
Ästhetischer Gegenstand
Gegenstand der neuen Ästhetik ist nicht die Erscheinung sondern das Erscheinen selbst, also das „Eigenwesen des Erscheinens der Erscheinung“13 Dieses Eigenwesen wurde in den Theorien von Baumgarten, Kant
und Böhme verschieden ausgedeutet. Nehmen wir als
Beispiel das Phänomen des Schönen. Baumgarten argumentiert metaphysisch und stellt eine Verbindung
zwischen dem Phänomen des Schönen und der Vollkommenheit her. Das Schöne als gespürte Affektion ist
Ausdruck der göttlichen Vollkommenheit desjenigen
Gegenstandes auf welches sich das Schöne bezieht oder
von dem es ausgeht. Schönheit ist damit empfundene
Vollkommenheit.14 Kant schlussfolgert anthropologisch und führt das Gefühl der Lust auf das Schöne
zurück. Schönheit ist eine Affektion welche Lust im
Menschen auslöst.15 Beide Ausdeutungen – also die der
Vollkommenheit und die der Lust – sind in der Subjekt-Objekt-Falle gefangen. Baumgarten knüpft das
Schöne als Erscheinung an das Objekt, während Kant
den Beweggrund des Schönen im Subjekt aufsucht.
Böhme weiß das Schöne in seiner Eigenwirklichkeit
zu fassen und begreift es als Atmosphäre. Für das
Phänomen des Schönen bedeutet dies, dass das Schöne eine eigene Seins-Wirklichkeit besitzt. Es ist weder
dem Objekt noch dem Subjekt allein zuzuschreiben
sondern existiert in Ko-Präsenz.16
Insbesondere mit Kant reduziert sich die Ästhetik auf
die Grundbegriffe Schönheit und Kunst. Ästhetik wird
Urteilsästhetik.17 Die klassische Theorie spricht von
Schönheit im Zusammenhang mit schöner Kunst und
von Kunst in Zusammenhang mit dem schönen Geist
oder Genie, der sie hervorbringt. Böhme entwickelt
dagegen eine Ästhetik, die den Atmosphärebegriff als
Ausgangspunkt nimmt um eine neue Wahrnehmungsund Produktionsästhetik zu formulieren in deren Zentrum der menschliche Leib als wahrnehmendes oder
ergriffenes Subjekt steht. In Abgrenzung zur klassischen Ästhetik in der Tradition von Kant und Hegel
nennt Böhme seine Ästhetik neue Ästhetik und deutet
an, dass wesentliche philosophische Grundannahmen
der klassischen Ästhetik dekonstruiert und fundamental neu gedacht worden sind. So definiert Böhme bspw.
Schönheit als nur ein ästhetisches Phänomen unter vielen und Kunst deckt für ihn auch nur einen Bereich
ästhetischer Produktion ab. Damit schafft er eine Entgrenzung der klassischen Ästhetik über die Begriffe
von Schönheit und Kunst hinaus. Gegenstand seiner
neuen Ästhetik ist die Atmosphäre. Neue Ästhetik
betrachtet Atmosphärewahrnehmung im Sinne einer
allgemeinen Wahrnehmungslehre und Atmosphäreproduktion im Sinne einer umfassenden Anerkennung
ästhetischer Arbeit über die Kunst hinaus. Damit wird
die Architekturästhetik als Teilbereich einer Architekturphilosophie möglich ohne die Frage ob Architektur
überhaupt Kunst ist beantworten zu müssen. Die alte
Frage „Was ist Architektur?“ wird von der Frage „Was
ist architektonische Qualität?“ verdrängt. Die Problemstellung wird damit nicht mehr ontologisch sondern ästhetisch begründet.
Kurze Genealogie der Ästhetik
Im Folgenden geht der Blick zurück zu den Anfängen
der Ästhetik. Hier widmet sich die Arbeit dem grundlegenden Denken der ersten Ästhetik von Alexander
Gottlieb Baumgarten, dem Gründungsvater der Disziplin, anschließend der klassischen Ästhetik von Immanuel Kant, dem bis heute einflussreichsten Denker des
Faches und schließlich der neuen Ästhetik von Gernot
Böhme hinzuwenden.
Es soll verständlich werden, welche erkenntnistheoretischen Bedingungen den Schritt von der ersten über
die klassische zur neuen Ästhetik bedingt haben und
warum es für die Architektur notwendig ist eine produktive ästhetische Theorie jenseits der Urteilsästhetik
zu formulieren.
Die Theorien werden unter den Begriffen Ästhetik, Erkenntnistheorie sowie Schönheit und Kunst vorgestellt.
II Ästhetische Philosophie
Erkenntnisbedeutung des Ästhetischen ist in allen drei
Theorien angelegt. Die drei Ästhetiken müssen jeweils
mit Berücksichtigung auf ihren ideengeschichtlichen
Kontext gelesen und verstanden werden, so die Bedingungen des Wissens und das vorherrschende Welt- und
Menschenbild, in dem sich Ästhetik als Puzzleteil in
ein größeres Denksystem einordnet.
1 Alexander Gottlieb Baumgarten:
Erste Ästhetik
1725 äußerte Georg Bernhard Bilfinger (1693-1750)
erstmals die Notwendigkeit einer Theorie der Sinnlichkeit.18 Es war Alexander Gottlieb Baumgarten
(1714-1762), der das Projekt in Angriff nimmt und
für jene Theorie den Namen Ästhetik prägt. Die Entwicklung der Disziplin folgt einem Zeitgeist, dem ein
verändertes Menschenbild und Humanitätskonzept
zugrunde liegt. So ist die Ästhetik als Nebenergebnis
„[...] einer der wichtigsten Umwälzungen innerhalb
des europäischen Selbstbewusstseins überhaupt“ zu
verstehen, nämlich dem „[...] Einbruch des Individualismus in die abendländische Welt.“19 Der Mensch als
erkennendes Subjekt verändert also die philosophische
Wissenschaft.
„Indem Baumgarten die sinnlichen Apperzeptionsmodi als wesentliche Voraussetzung eines ausgeglichenen,
auf der Höhe der Zeit stehenden Menschenbildes ansieht, [...] überschreitet [er] die Schwelle zu einer neuen
Wissenschaft vom Menschen, deren Namen und Gegenstände er auf den vollen Bedeutungsumfang der
griechischen aisthēsis gründet.“20 Der Begriff Aisthesis
geht auf Aristoteles zurück und bedeutet „Wahrnehmung“, „Empfindung“.
Baumgarten verfolgt mit seinem Ästhetik-Projekt den
Zweck der „Vollkommenheit der sinnlichen Erkenntnis als solcher.“21 Damit versucht er zeitlebens die Ästhetik neben der Logik und seiner rationalen Erkenntnisform gegen den Widerstand seiner Zeitgenossen als
Erkenntnistheorie zu etablieren: „Ein Philosoph ist ein
Mensch unter Menschen, und er tut nicht gut daran,
wenn er glaubt, ein so großer Teil der menschlichen
Erkenntnis sei ungehörig für ihn“22 entgegnet er Skeptikern, die Sinnlichkeit aus dem Sündenfall herleiten
wollen.
Sinnlichkeit
Mit seinen Überlegungen zur Ästhetik führt Baumgarten die Sinnlichkeit in die Erkenntnistheorie ein.
Sinnlichkeit ist eine menschliche Fertigkeit zur sinnlichen Wahrnehmung von Phänomenen der Umwelt.
Phänomene sind Erscheinungen der Dinge in der
Wahrnehmung.
Baumgarten unterscheidet den inneren Sinn, durch
den wir die Welt als Gefühl wahrnehmen, welcher also
die Seele betrifft, und die äußeren Sinne, durch welche
wir die Welt in Bildern, Geräuschen, Gerüchen oder
Gespür wahrnehmen. 23 Sinnlich wahrnehmen ist für
Baumgarten, was uns als Gefühl eingeht, den inneren
Sinn affiziert aber auch was als sinnliche Daten der
äußeren Sinne in uns eingeht. Die sinnliche Affektion
ist eine Anschauung der Welt, wie ein Ton oder eine
Farbe. Anschauungen sind Sinnesdaten, also ein Bild,
welches in uns angesichts einer Erscheinung entsteht,
oder ein Ton, welcher angesichts eines Geräusches in
uns erklingt, oder eine Farbe, welche in uns aufscheint.
Baumgarten spricht von Schönheit als ein besonderes
Gefühl, das unsere Seele anrührt. Sie ist für Baumgarten der Widerhall von Vollkommenheit des angeschauten Dinges in uns Menschen. Die Vollkommenheit
der Erscheinungen affiziert uns durch das Gefühl der
Schönheit. 24 Schönheit ist also die sinnliche Erkenntnis der göttlichen Vollkommenheit eines Gegenstandes. Erkenntnis und metaphysische Wahrheit stehen
bei Baumgarten anders als später bei Kant noch in einem unbedingten Zusammenhang.
Wahrheit der Erkenntnis
Baumgarten beschreibt die sinnliche Erkenntnis in der
Aesthetica als „Analogon der Vernunft“25 . Ästhetik
soll analog zum logischen Denken gesicherte Erkenntnisse in Form sinnlicher Gewissheit ermöglichen.
Leibniz unterscheidet Erkenntnis nach Vorstellungsgraden in einem Stufenmodell und grenzt sie gegeneinander ab. Die Vernunft nimmt in dem Modell den
höheren Platz ein während der Ästhetik der niedere
zukommt. 26 Der Begriff „Vorstellung“ wird hier gebraucht als „durch die Kraft der Seele sich die Welt
zu vergegenwärtigen“27, also sich die Welt im Geiste
vorzustellen. Vorstellungen vermitteln sich uns durch
Begriffe, die vor dem inneren Auge das Vorgestellte
heraufbeschwören. So kann ich mir ein Haus vorstellen, ohne es wirklich und wahrhaftig vor mir zu haben,
allein dadurch dass ich einen Begriff von ‚Haus‘ habe,
eine Vorstellung von einem typischen Gebäude mit
Satteldach, Eingangstür, Fenstern und Schornstein.
In seinem Stufenmodell grenzt Leibniz die dunklen
Vorstellungen gegen die klaren, von denen er die verworrenen von den deutlichen Vorstellungen unterscheidet, die er letztlich in inadäquate und adäquate Vorstellungen aufteilt. Letztere entsprechen der
wahren Idee eines Gegenstandes und können vom
menschlichen Geist nur annähernd erreicht werden.
Das ‚höhere‘ Erkenntnisvermögen bringt danach klare
15
16
Atmosphäre am Werk
und deutliche Begriffe hervor während das ‚niedere‘
Erkenntnisvermögen dunkle und verworrene Begriffe
produziert.
Die Kritiker, allen voran Descartes zweifelten an dem
Erkenntnispotential der sinnlichen Wahrnehmung
und an den dunklen und verworrenen Vorstellungen,
die wir durch sie von den Dingen erhalten. Danach
zeigen sich Gegenstände vermittelt durch die sinnliche
Wahrnehmung immer veränderlich. Es ist nach Descartes nicht möglich, sie klar und deutlich zu erfassen
und etwas Gleichbleibendes an ihnen zu erkennen. 28
Gegen die Kritik legitimiert Leibniz die sinnliche Erkenntnis gegenüber dem höheren Erkenntnisvermögen. Er argumentiert, dass alle noch so dunklen und
verworrenen Vorstellungen Ausdruck der in Gott begründeten Ideen sind und also wahr. 29 Im Anschluss
an Leibniz liegt für Baumgarten die gesamte metaphysische Wahrheit auf dem Grund der menschlichen
Seele. Sie ist der Spiegel zum Universum und Kraft
der Seele ist der Mensch zur sinnlichen Erkenntnis fähig, auch wenn eine so erkannte sinnliche Vorstellung
dunkel und verworren bleibt, ist sie wahre Erkenntnis.
Baumgarten begründet seine Ästhetik mit Leibniz also
metaphysisch.30
Klarheit der Erkenntnis
Anders als Leibniz verortet Baumgarten die sinnliche
Erkenntnis nicht in hierarchischer, vertikaler Abgrenzung von der Vernunft sondern stellt sie als zwei Erkenntnisweisen mit verschiedenen Zugängen und Perspektiven auf die Welt nebeneinander.
Baumgarten legitimiert die Ästhetik gegenüber der Logik aus einem der Logik eigenen Mangel heraus, der im
Verlust durch Abstraktion liegt.31 Logik ist die Systematisierung von Merkmalen mit dem Ziel einer Gruppierung von Gleichen in abstrakte Kategorien und
Ordnungen (intensiv größere Klarheit). Die logische
Vorstellung der Dinge verliert das einzelne Phänomen
zugunsten der Abstraktion und Verallgemeinerung aus
dem Blickfeld. Ästhetik dagegen ist die Erfassung des
Einzelobjektes in der Mannigfaltigkeit seiner Erscheinung und Gegebenheit im Hier und Jetzt. Die sinnliche Wahrnehmung des Singulären in seiner aktuellen
Präsenz und unmittelbaren Wahrnehmbarkeit wirft
auf den Erkenntnisgegenstand ein gestreutes Licht
und ermöglicht so einen Erkenntnisgewinn durch die
Wahrnehmung der Vielheit seiner Merkmale. Ich beleuchte ihn in seiner gegebenen Vielschichtigkeit und
versuche ihn in seiner ganzen Erscheinung zu erfassen
(extensiv größere Klarheit).32
Schon in der Metaphysica stellt Baumgarten einen horizontalen Vergleich zwischen logischer und ästhetischer
Erkenntnis her und bemüht dazu die Lichtmetapher,
welche der Aufklärung ihren Namen eingebracht
hat:„Die größere Klarheit, die auf der Klarheit der
Merkmale beruht, kann intensiv größer (ein schärferes
Licht), diejenige, die auf der Menge der Merkmale beruht, extensiv größer (ein verbreiteteres Licht) genannt
werden.“33
Gemeinsam führen die logische und die ästhetische
Erkenntnisweise nach Baumgarten zur „ästhetikologischen Wahrheit“34 , deren Vollkommenheit sich aus
der logischen und der ästhetischen Wahrheit speist.
In § 440 von Baumgartens Metaphysica heißt es dazu:
„Die ästhetikologische Wahrheit ist entweder die des
Allgemeinen, der Begriffe und der allgemeinen Urteile
oder diejenige des Einzelnen und der Ideen. Jene sei die
allgemeine, diese die einzelne ästhetikologische Wahrheit. In einem Gegenstand der allgemeinen Wahrheit
wird niemals, vor allem nicht sinnlich, so viel an metaphysischer Wahrheit aufgedeckt wie in einem Gegenstand einer einzelnen Wahrheit.“35
Schönheit der Erkenntnis
Baumgarten setzt sinnliche Erkenntnis mit dem Vermögen zum Schöndenken gleich. Etwas schön zu denken erfordert die größtmögliche Übereinstimmung
des Gedachten mit der Sache in der Erscheinung.36
Schönheit entspricht also der vollkommenen sinnlichen Erkenntnis.37 Den Unterschied von ästhetischem,
also schönem und logischem Denken beschreibt er wie
folgt:
„Wenn die logische und wissenschaftliche Denkungsart ihre vornehmlichen Gegenstände [...] lieber abgesondert, nur in gewisser Bestimmung, erwägt: So
betrachtet derjenige, der schön denken will, mit dem
Analogon der Vernunft seine vornehmlichen Stoffe
am liebsten nicht allein unabgesondert, in mehrerer
Bestimmung, sondern auch in den allerbestimmtesten
Gegenständen, in denen dies möglich ist, also in Einzeldingen, in für sich bestehenden Dingen, Personen
und Ereignissen, sooft dies gegeben ist.“38
Baumgarten betrachtet die Dinge in ihrer Erscheinung
und Veränderlichkeit, als Phänomene. Die Erkenntnis eines Gegenstandes in der Wahrnehmung ist der
Versuch ihn in all seinen möglichen Erscheinungsweisen zu erfassen. Zum Beispiel, ich stehe vor einem
Haus. Ich erkenne das Objekt mit dem Dach, der Eingangstür, den Wänden und Fenstern vor mir als Haus.
Das ist ein Vergleich mit dem abstrakten Begriff, den
ich von „Haus“ habe. Wenn ich mich nun durch das
Gebäude bewege, den Beton berühre, das Holz rieche,
das besondere Fensterdetail anschaue, den Lichteinfall
bemerke, die räumlichen Verhältnisse wahrnehme,
II Ästhetische Philosophie
dann übergehe ich die abstrahierten Eigenschaften der
Haus-Kategorie und vertiefe mich in den Details und
Eigenschaften des einen Gebäudes. Mit dem Eindruck,
dass dieses Gebäude vollkommen ist, empfinde ich mit
Baumgarten Schönheit. In der sinnlichen Gegebenheit
und der Wahrnehmung des Gebäudes als Ganzes erkenne ich seine Schönheit, ohne im Detail benennen
zu können, worauf diese Schönheit zurückzuführen ist.
Ich nehme eine Menge von Merkmalen in mich auf, die
den Begriff Haus nicht erleuchten aber den Charakter
des vor mir liegenden Objekts umso deutlicher.
Schönheit und Kunst
Baumgartens Schönheitsbegriff muss im Zusammenhang seiner Erkenntnistheorie verstanden werden und
schließt zugleich eine Theorie des schönen Denkens
und der freien Künste ein.39 Kunst stellt sinnliche Erkenntnis und im Speziellen das Schöne im Kunstwerk
dar und ist damit eine Ausdrucksform sinnlicher Erkenntnis. Sinnliche Erkenntnis als Vorgang bedeutet,
dass ich mir den Erkenntnisgegenstand vorstelle, während ich mittels sinnlicher Darstellung den Erkenntnisgegenstand bezeichne. Sobald sinnliche Darstellung
eine künstlerische Form annimmt, dann ist „Kunst […]
in der Tat Erkenntnis,“40 Darstellen und Erkennen bezeichnen dann den gleichen Sachverhalt. So ist die Aufgabe der Kunst in der Darstellung die ästhetikologische Wahrheit als Annäherung an die metaphysischen
Wahrheit zu synthetisieren und in ihrer Rezeption
nachvollziehbar zu machen. Erkenntnis und Darstellung können bei Baumgarten anders als bei Kant dasselbe bedeuten, weil die Darstellung keine Begriffliche
sein muss um Erkenntnis zu sein. Kant bindet hingegen
Erkenntnis zwingend an die Begriffsbildung, weshalb
sinnliche Wahrnehmung für ihn nicht Erkenntnis sein
kann. 41
2 Immanuel Kant: Klassische Ästhetik
Immanuel Kant (1724-1804) bindet seine Ästhetik
in ein anthropologisch begründetes Erkenntnismodell ein, dass die menschlichen Vermögen in Verstand,
Urteilskraft und Vernunft ordnet. 42 Damit läutet er
einen Paradigmenwechsel ein, der den Fokus von den
Dingen als zu erkennende Entitäten zugunsten des erkenntnisfähigen Subjekts verschiebt. Kants Auffassung
ist, dass die Welt an sich und die Dinge darin für den
Menschen nicht erkennbar ist. Der Mensch vermag lediglich Erscheinungen der Dinge zu erkennen. 43 Daher
konzentriert er seine Philosophie auf die Möglichkeiten
menschlicher Erkenntnisfähigkeit und begründet auch
seine Ästhetik anthropologisch.
Sowohl Baumgarten als auch Kant schreiben der Ästhetik eine instrumentalphilosophische Bedeutung zu.
Allerdings führt Baumgartens Ästhetik zur Erkenntnis
und Kants Ästhetik zum Geschmacksurteil. Jedoch
muss bei Kant zwischen transzendentaler Ästhetik und
Urteilsästhetik differenziert werden. Erstere thematisiert Ästhetik in Bezug auf Erkenntnistheorie, während letztere Ästhetik in Bezug auf den Geschmack
behandelt.
In seinem dritten Hauptwerk der Kritik der Urteilskraft subsummiert Kant die Ästhetik unter die Urteilskraft und stellt sie in seiner Systemarchitektur zwischen
die theoretische Philosophie der Kritik der reinen Vernunft (Logik) und die praktische Philosophie der Kritik der praktischen Vernunft (Ethik). 44 Darin disqualifiziert Kant die Ästhetik als eigene Erkenntnistheorie.
Ästhetik handelt bei ihm nicht von der Fähigkeit zur
sinnlichen Erkenntnis sondern von dem Vermögen der
Beurteilung von etwas hinsichtlich seiner Schönheit
und Erhabenheit. 45 Ziel der Kritik ist „das subjektive
Prinzip des Geschmacks als ein Prinzip a priori der Urteilskraft [zu] entwickeln und [zu] rechtfertigen.“46
Im Anschluss an die Kritik der Urteilskraft wurde Ästhetik in der Philosophie und benachbarten Disziplinen
vordergründig als Theorie der Kunst und der Schönheit
verhandelt und weiter gedacht. Die kantsche Urteilsästhetik entfaltet auf die folgenden Generationen eine erhebliche Wirkmacht und fließt noch heute in die stark
fragmentierten ästhetischen Diskurse ein. Die wichtigen Gedanken Kants zur transzendentalen Ästhetik
rückten in den Hintergrund und mit ihr die Aisthesis
als Theorie sinnlicher Wahrnehmung und Erkenntnis,
wie sie von Baumgarten erstmals aufgeschrieben wurde.
Im 20. Jahrhundert werden beide Lesarten der Ästhetik
für die Philosophie wiederentdeckt. 47
Transzendentale Ästhetik und Erkenntnis
Kant widerspricht einer Ästhetik die Erkenntnistheorie sein will, stellt die sinnliche Wahrnehmung aber als
zwingend in einen Zusammenhang mit der Begriffsbildung. In der Kritik der praktischen Vernunft legt Kant
diesen Sachverhalt als transzendentale Ästhetik dar.
Welsch erkennt in der transzendentalen Ästhetik die
„[...] transzendentale Fundamentalisierung des Ästhetischen.“48 Kant hat, so Welsch, damit die Voraussetzung
für die Expansion des ästhetischen Denkens im 20.
Jahrhundert geschaffen.
Die transzendentalen Ästhetik handelt von der Kausalität sinnlich gegebener Anschauung und allgemeiner
Vorstellung. Kant stellt fest: „Gedanken ohne Inhalt
sind leer, Anschauungen ohne Begriff sind blind […].“49
Die Anschauung oder sinnliche Wahrnehmung geht
17
18
Atmosphäre am Werk
der Vorstellung von dem Gegenstand und seiner Begriffsbildung voraus und ermöglicht erst Erkenntnis.
„Denn ob sie [Anschauungen] gleich für sich allein zur
Erkenntnis der Dinge gar nichts beitragen, so gehören
sie doch dem Erkenntnisvermögen allein an […].“50
Anders als die Vorstellungen des Verstandes sind die
sinnlichen Anschauungen Erfahrungen des Hier und
Jetzt. Die sinnliche Wahrnehmung im Kontext ihrer
jeweiligen Ästhetiktheorie bedeutet die Wahrnehmung der Erscheinung eines Objektes als Präsenzerfahrung und die Affektion des wahrnehmenden Subjekts durch die Erscheinung. Raum und Zeit gelten bei
Kant als reine Anschauungsformen, welche a priori der
Wahrnehmung zugrunde liegen.51 Das heißt, alle Erscheinungen sind Erscheinungen im Hier und Jetzt, sie
haben einen Ort und eine Zeit. Gedanken oder Vorstellungen des Verstandes sind Abstraktionen, die von
Raum und Zeit enthoben sind.52
Erkenntnis ist für Kant nicht ohne Begriff möglich.
Daran schließt sich ein Erkenntnisbegriff an, der viel
enger gefasst ist als der von Baumgarten, der, wie bereits ausgeführt, der sinnlichen Wahrnehmung eine
eigene Erkenntnisfähigkeit zuschreibt.53 Erkenntnis
ist für Kant ein Abstraktionsprozess. Sie baut auf einer
Ordnung logischer Urteile auf, deren Ziel die widerspruchsfreie Begriffsbildung ist. Er arbeitet an einem
Netzwerk von wahren Begriffen, welches die Dinge
in der Welt nach Arten und Gattungen voneinander
unterscheidet. Der Begriff abstrahiert von den Dingen,
wie sie uns erscheinen zu den Dingen, wie wir sie uns
im Denken vorstellen. Das Begreifen der Dinge um
uns herum qua logos ist ein Übergang von der dynamischen, veränderlichen Welt der Erscheinungen zu
einer statischen, abstrakten Welt des Seins und der
reinen Form. Ausgehend von ihrem Allgemeinheitsgrad erfahren die Begriffe eine Hierarchisierung, die
den Menschen eine Seinsordnung gibt, ihm seine Welt
nach logischen Begriffen strukturiert.54 Von den Urteilen, deren Zweck die logische Begriffsbildung ist,
unterscheidet Kant in seiner Kritik der Urteilskraft das
ästhetische Urteil.
Urteilsästhetik und Schönheit
Urteilen ist für Kant nur dann ein Erkenntnisakt, wenn
dem Urteil Begriffe des Verstandes zugrunde liegen.
Im logischen Urteil wird eine einzelne Anschauung,
die als Vorstellung auf einen Wahrnehmungsgegenstand beschränkt ist, einem Begriff, der als allgemeine
Vorstellung auf vieles zutrifft, untergeordnet.55 Davon unterscheidet sich das ästhetische Urteil, denn es
stützt sich nach Kant allein auf den Geschmack, also
das Gefühl der „Lust und Unlust“. In §1 der Kritik der
Urteilskraft heißt es: „Das Geschmacksurteil ist also
kein Erkenntnisurteil, mithin nicht logisch, sondern
ästhetisch […].“56
Kant hat für seine Vorlesungen in Königsberg wesentlich auf die Metaphysica von Baumgarten zurückgegriffen, in denen Baumgarten bereits die Grundlagen
für seine Ästhetik formuliert hatte.57 An dem Schönheitsbegriff jedoch entzweien sich beide Philosophen.
Baumgarten setzt Schönheit als Affektion mit Vollkommenheit in Beziehung. Die Vollkommenheit eines
Gegenstandes nehme ich demnach als Empfindung
von Schönheit in der Anschauung wahr. Damit ist
Schönheit sinnliche Erkenntnis der Vollkommenheit.
So erhält der Schönheitsbegriff eine besondere Stellung
in Baumgartens ästhetischer Theorie. Er verortet die
Möglichkeit zur Erkenntnis der Vollkommenheit auf
dem Grund der menschlichen Seele. Das Vermögen zur
sinnlichen Anschauung der Dinge in ihrer Vollkommenheit ist damit in uns angelegt.
An dem Vollkommenheitsgedanken entzündet Kant
seine Kritik an der Ästhetik des Vorgängers und der
metaphysischen Grundlegung. Für Kant ist Vollkommenheit eine Bestimmung, die einen Begriff voraussetzt, weshalb Schönheit nicht mit Vollkommenheit
gleichzusetzen ist.58 Das Schöne ist keine diffuse
Wahrnehmung der Vollkommenheit von etwas sondern Ursache des ästhetischen Urteils. Das ästhetische
Urteil stützt sich auf das Gefühl der Lust und Unlust,
dem keine begriffliche Vorstellung vorausgeht.
Das Urteil erfolgt nach dem Prinzip „x ist schön“.
Schön ist, „was ohne Begriffe als Objekt eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt wird.“59 Um etwas
als schön zu empfinden, braucht es keinen Begriff von
dem Gegenstand. Das Geschmacksurteil wird durch
das Gefühl der Lust hervorgerufen.
Für Kant bedeutet Geschmack „das Beurteilungsvermögen eines Gegenstandes oder einer Vorstellungsart
durch ein Wohlgefallen oder Mißfallen ohne alles Interesse. Der Gegenstand eines solchen Wohlgefallens
heißt schön.“60 Lust und Unlust sind Affektionen, die
den inneren Sinn des Subjekts, also sein Gefühl bewegen. Ich fälle also das Geschmacksurteil aus dem rein
subjektiven Gefühl der Lust oder Unlust. Nach Kant
„ist kein objektives Prinzip des Geschmacks möglich“. 61 Trotzdem existiert der Anspruch es sei ein allgemein gültiges, objektives Urteil. Zu diesem paradoxen
Schluss kommt Kant, indem er das Geschmacksurteil
an die Bedingung des interesselosen Wohlgefallens
bindet. Der einzige Beweggrund meines ästhetischen
Urteils liegt dann in der Erfahrung mit dem Schönen.
Die Erfahrung ist eine Präsenzerfahrung und das Geschmacksurteil an das Hier und Jetzt gebunden.
II Ästhetische Philosophie
Schönheit und Kunst
Kant unterscheidet das Naturschöne als ein „schönes
Ding“ von dem Kunstschönen als „schöne Idee von
einem Ding“. Damit definiert er Kunstschönheit als
Ausdruck ästhetischer Ideen. „Schöne Kunst ist eine
Kunst, sofern sie zugleich Natur zu sein scheint.“62 Das
Vermögen der künstlerischen Darstellung des Schönen
ist ein angeborenes Vermögen des Genies. Das Genie
besitzt ein „Talent zur schönen Kunst“63 und damit Erfindungsgeist und Originalität. Freie Kunst entstammt
der schöpferischen Einbildungskraft des Genies, an
welcher sich eine schöne Idee der Betrachterin zeigt.
Die ästhetische Erfahrung der Schönheit bildet und
schult die Vernunft des Menschen. Damit weist Kant
den schönen Künsten eine wesentliche Rolle in seiner
Ethik zu.
Der Mensch als Sinneswesen untersteht den Gesetzen
der Natur. Als Vernunftwesen steht er unter den Gesetzen der Freiheit. Mit der Kritik der reinen Urteilskraft und einer darin entwickelten Ästhetik versucht
Kant zwischen diesen beiden Welten zu vermitteln.
Der Kunst kommt dabei eine wesentliche Rolle als vermittelnde Instanz zu, die ihren Ausgangspunkt in der
Natur hat. FN
Kants Theorie der Urteilskraft hat bis zum Ende des
20. Jahrhunderts die ästhetische Theorie bestimmt.
Die Entwicklung der Beurteilung als wesentliche Aufgabe der Ästhetik hat die sinnliche Wahrnehmung als
eigene Erkenntnisform verdrängt. Die gesellschaftliche
Funktion der Ästhetik lag für Kant in der Ermöglichung einer Kommunikation über Kunstwerke. 64 Daran wird deutlich, dass vor allem mit Kant die Ästhetik
in eine „Theorie der Kunst, der Kunsterfahrung und
schließlich des Kunstwerks“65 führte.
Bei Kant beschränkt sich die ästhetische Theorie mit
wenigen Ausnahmen auf das Phänomen des Schönen66
, dass sich vornehmlich im Feld der Kunst entfaltet.
Die klassische Theorie spricht von Schönheit im Zusammenhang mit schöner Kunst und von Kunst in Zusammenhang mit dem schönen Geist oder Genie, der
sie hervorbringt. Ziel ist das ästhetische Urteil über das
was schöne Kunst ist und was davon auszuschließen ist.
Schönheit ist schon das Urteil, aber was provoziert
uns zu dem Ausruf „das ist schön!“? Mit Kant wird
Schönheit als Urteil und nicht mehr als Phänomen
betrachtet. Er sucht das Phänomen am Subjekt auf,
während Baumgarten es am Objekt verortet hat. Die
Erscheinung des Schönen als Phänomen gerät aus dem
Blickfeld. Die Phänomenologie des 20. Jahrhunderts
hat sich dem Eigenwesen des Phänomens wieder angenommen. Gernot Böhme entwickelt daraus seine neue
Ästhetik.
Das 19. Jahrhundert rüttelt an der ästhetischen Einheit von Kunst und Schönheit. 67 Man vermeidet den
Schönheitsbegriff und beruft sich statt dessen auf
Aura, Echtheit, Mehr.
Er rückt außerdem das ästhetische Phänomen, seine
Wirklichkeit in der Wahrnehmung, als Erkenntnisgegenstand wieder ins Zentrum ästhetischer Betrachtung. „Die zentrale Stellung des Urteils in der Ästhetik
und ihre Orientierung an Mitteilbarkeit hat zu einer
Dominanz von Sprache, heute zu einer Dominanz der
Semiotik in der ästhetischen Theorie geführt.“68 Die Semiotik beschäftigt sich mit der Ebene der Bedeutung,
die von der Ebene der Sinnlichkeit zu unterscheiden
ist. Ästhetik aber arbeitet auf der Ebene der sinnlichen
Wahrnehmung, der Wirkung und des eigenleiblichen
Spürens.
3 Gernot Böhme: Neue Ästhetik
Gernot Böhme entwickelt seine neue Ästhetik in der
Tradition der Ästhetik als wissenschaftlicher Teildisziplin der Philosophie. Dabei beruft er sich historisch
vor allem auf eine Traditionslinie, die mit dem Namen
Alexander Gottlieb Baumgarten verbunden ist. In
Abgrenzung zur klassischen Ästhetik in der Tradition von Kant und Hegel nennt Böhme seine Ästhetik
neue Ästhetik und deutet damit an, dass er wesentliche
Grundannahmen der klassischen Ästhetik dekonstruiert und neu denkt. Er legt das Netzwerk dominanter
Vorstellungen und Modelle von dem Menschen, den
Dingen und der Welt offen und korrigiert sie um eine
konsistente allgemeine Theorie der Ästhetik schreiben
zu können.
Böhme begründet die neue Ästhetik in Abgrenzung zu
Baumgartens Metaphysik und Kants Anthropologie
ökologisch. 69 Er entwickelt eine ökologische Naturästhetik, welche Natur als Kommunikationszusammenhang versteht, in den der Mensch genauso eingebunden
ist wie alle anderen Dinge in der Natur.70 Böhme stellt
dem anthropozentrischen Weltbild der traditionellen
Wissenschaft also das Konzept von einem weltverbundenen Menschen gegenüber.
Gegenstand der neuen Ästhetik ist die Atmosphärewahrnehmung im Sinne einer allgemeinen Wahrnehmungslehre. Böhme greift hier auf Baumgarten
zurück und seinen Begriff der Aisthesis. Armin Wildermuth beschreibt Aisthesis als „die Stätte, an der
Erscheinungen - jenseits von Subjekt und Objekt - in
besonders intensiver Weise ihr Erscheinen vollziehen.“71 Gegenstand der neuen Ästhetik ist auch die Atmosphäreproduktion im Sinne einer umfassenden Anerkennung ästhetischer Arbeit über die Kunst hinaus.
19
20
Atmosphäre am Werk
So schafft Böhme eine Entgrenzung der klassischen Ästhetik über die Begriffe von Schönheit und Kunst hinaus. Er bringt das Phänomen des Schönen unter den
Atmosphärebegriff und kündigt seine Sonderstellung
in der ästhetischen Theorie auf. Gleichzeitig schließt
er die Kunst als exklusive Praxis der Hervorbringung
des Schönen aus und fasst sie als nur einen Bereich der
ästhetischen Arbeit. Er dekonstruiert also die wesentlichen Gegenstände der klassischen Ästhetik: das Schöne und die Kunst zugunsten einer Anerkennung der
Ästhetik als bedeutenden Bereich der menschlichen
Erfahrungs- und Lebenswelt.
Nach Böhme existiert innerhalb der ästhetischen
Wirklichkeit ein ästhetisches Bedürfnis sich die Umwelt nach eigenen Vorstellungen zu gestalten und nicht
zuletzt sich selbst darin zu inszenieren. Die Anerkennung dieses Bedürfnisses ist Grundvoraussetzung für
die Entwicklung einer allgemeinen Theorie der Ästhetik. „Neben die Ästhetik des Kunstwerks treten gleichberechtigt die Ästhetik des Alltags, die Warenästhetik,
die politische Ästhetik. Die allgemeine Ästhetik hat
die Aufgabe, diesen breiten Bereich ästhetischer Wirklichkeit durchsichtig und sprachfähig zu machen.“72 Im
Zentrum stehen auf der Wirkungsebene der menschliche Leib als wahrnehmendes und ergriffenes Subjekt
und auf der Erzeugungsebene das ekstatisch in die
Welt hinausweisende Ding als ergreifendes Objekt.
Die neue Ästhetik ermöglicht die Architekturästhetik
als Teilbereich einer Architekturphilosophie ohne die
Frage ob Architektur überhaupt Kunst ist beantworten zu müssen. Als Bereich ästhetischer Arbeit ist sie
zwangsläufig der Ästhetik zugeordnet. Die Frage „Was
ist Architektur/ Baukunst?“ wird von der Frage „Was
ist architektonische Qualität?“ abgelöst und die Problemstellung damit ästhetisch begründet. Letztlich geht
es Böhme um die Gestaltung der Welt, in der wir leben,
die es notwendig macht Ästhetik als produktive Theorie neu zu definieren und ethisch zu begründen.73
Mit der Einführung des Atmosphäre-Begriffs öffnet
Böhme die Ästhetik im Prinzip für alle Bereiche ästhetischer Wirklichkeit – sowohl für die Rezeption als
auch für die Produktion. So ergibt sich für Böhme eine
neue Definition für Ästhetik:
„Die neue Ästhetik ist also auf seiten der Produzenten
eine allgemeine Theorie ästhetischer Arbeit. Diese wird
verstanden als die Herstellung von Atmosphären. Auf
seiten der Rezipienten ist sie eine Theorie der Wahrnehmung im unverkürzten Sinne. Dabei wird Wahrnehmung verstanden als die Erfahrung der Präsenz von
Menschen, Gegenständen und Umgebungen.“74
Ökologische Naturästhetik
Gernot Böhme entwickelt die neue Ästhetik in der
Tradition der Aisthesis als allgemeine Wahrnehmungslehre 75 und stärkt mit Baumgarten die sinnliche
Wahrnehmung wieder als Erkenntnisform. Er argumentiert die Fähigkeit des Menschen zur sinnlichen
Erkenntnis aus dem Bereich der Natur und legitimiert
die sinnliche Wahrnehmung als genuine Erkenntnisweise der Ästhetik, weil er von einer Entsprechung von
Sender und Empfänger in der Natur ausgeht, die artenübergreifend ist.
Das bedeutet, dass alles in der Natur auf Wahrnehmbarkeit ausgerichtet ist, so wie der Mensch auch auf die
Wahrnehmungsimpulse der Umwelt abgestimmt ist.
Adolf Portmann spricht von Organen des Sich-Zeigens, von denen er ein ästhetisches Grundbedürfnis
ableitet, die eigene Anwesenheit zu artikulieren und
zwar über die physischen Grenzen des eigenen Körpers
hinaus.76 Die neue Ästhetik erkennt dieses ästhetische
Bedürfnis als Grundbedürfnis der Lebewesen an. Die
Stimme ist ein Beispiel dafür, dass ich über die Grenzen meiner rein körperlichen Erscheinung räumlich in
meine unmittelbare Umgebung hineinwirke. Ein anderes Beispiel ist die Kleidung und abstrakter, die persönliche Aura. Artikulation ist auf Wahrnehmung angelegt. Und die Welt hat uns einiges mitzuteilen. Auch
die Dinge um uns herum kommunizieren immerfort
miteinander; über Stimme, Klang, Farben, Geruch,
Beschaffenheit, Größe, Form etc. Und sie schaffen Atmosphären. Sie reagieren auf sie, beeinflussen sie, bestimmen und erzeugen sie mit.
„Als Wahrnehmungstheorie entdeckt die Ästhetik (…)
einen Grundzug der Natur, der der Wissenschaft von
Natur, jedenfalls der neuzeitlichen, entgeht“77. Böhme
kritisiert die Hegemonie naturwissenschaftlicher
Praxis über den Erkenntnisgegenstand Natur. Der
entfremdete Blick auf die Naturdinge vermittelt an
Mikroskopen, Stethoskopen oder Seismographen steht
in Kontrast zu der unmittelbaren Wirklichkeit der
Naturerfahrung. Böhme kritisiert die Methoden des
wissenschaftlichen Arbeitens. Die Dominanz dieser
Erkenntnisweisen beeinflusst unser Alltagsdenken
und greift auf Bereiche des alltäglichen Lebens über.
Das Resultat ist eine allgemeine Verkümmerung
der vollen Sinnlichkeit und mir ihr des sinnlichen
Erkenntnisvermögens.
Ausgangspunkt der neuen Ästhetik ist also die Natur
und zwar in ihrer phänomenalen Wirklichkeit. Seine
Umwelt erkennen, bedeutet sich ihren Ausdrucksweisen und Kommunikationsformen auszusetzen in der
Annahme, dass uns ein Erkenntnisvermögen in der
Sinnlichkeit gegeben ist. In den Phänomenen der Natur schärft sich unsere sinnliche Wahrnehmung und
II Ästhetische Philosophie
findet in der Natur ihre Entsprechung. Die von Böhme
formulierte ökologische Naturästhetik dient als „sinnliche Theorie der Natur“78 dem Zugang zu den Paradigmen der neuen Ästhetik, wie u.a. Leibphilosophie,
Ontologie und Produktionsästhetik.
Nach Böhme setzt die Wahrnehmung von Atmosphären die Anerkennung des ästhetischen Bedürfnisses
als Grundbedürfnis voraus. Hieran knüpft sich die
Bedingung nach einer Überwindung der klassischen
Ontologie als Ding-Ontologie und zugleich die Überwindung der Vorstellung vom desintegrierten menschlichen Geist-Körpers zugunsten einer Vorstellung vom
integrierten Leib.
Rezeptionsästhetik: Wahrnehmung, Leib und
Befindlichkeit
Unser Wahrnehmungsorgan ist der Leib. Die Leibphilosophie steht für eine Integration von Körper und
Geist und gegen das Menschenbild, welches aus der
Teilung von Körper und Geist resultiert. Das historische Problem dieser Teilung ist die Disziplinierung des
Körpers und seine Unterwerfung unter die Hegemonie des Geistes. Der Kulturmensch hält sein triebhaftes Wesen, vermittelt durch jede Art körperlicher Lust
und Begierde, mittels Vernunft in Zaum. Böhme platziert den Menschen in seine Umwelt als zu ihr gehörig
und hebt die Spaltung von Kulturmensch und Naturmensch auf.
Maurice Merleau-Ponty fordert in seiner Phänomenologie der Wahrnehmung 79 als einer der Ersten die
Überwindung des Geist-Körper und führt den Leib
in seine Wahrnehmungstheorie ein. Das Konzept des
Leibes als beseelten Körper hebt „die cartesianische
Aufspaltung“80 auf. Helmuth Plessner definiert: „Der
Leib ist, um es kurz zu sagen, unsere eigene Natur, wie
sie uns durch Selbsterfahrung gegeben ist. Der Körper dagegen ist unsere eigene Natur, wie sie uns durch
Fremderfahrung – also im Blick des Anatomen, Physiologen, Mediziners – gegeben ist.“ und bringt den
Unterschied wie folgt auf den Punkt: „Leib sein und
Körper haben.“81
Den Menschen als Einheit zu denken, wie es die Leibphilosophie tut, ist keine leichte Aufgabe, da sich Werbetexte wie „Balsam für Körper und Geist“ wiederkehrend in das kollektive Gedächtnis einschreiben. Unser
Handeln ist so sehr auf das Funktionieren unseres
physischen Körpers ausgerichtet, dass wir ihn mehr als
Werkzeug betrachten denn als zu uns gehörig. Böhme
bezieht sich in seiner neuen Ästhetik wesentlich auf die
Phänomenologie des Leibes von Hermann Schmitz.
Als Leib bin ich anwesend in der Zeit und befinde
mich im Raum.
Leibliche Wahrnehmung bedeutet, die Art und Weise
wie ich mich in Raum und Zeit befinde. Wahrnehmen
ist affektive Betroffenheit und das leibliche Spüren
der Anwesenheit von Menschen, Gegenständen und
Umgebunden bei gleichzeitigem Spüren der eigenleiblichen Anwesenheit. Sinnliche Wahrnehmung
ist affektives Betroffensein durch Atmosphären. 82 Sie
sind gleichzeitig ihr Erkenntnisgegenstand. Über das
Konzept des Menschen als Leib reintegriert Böhme die
sinnliche Wahrnehmung als Erkenntnisform in seine
allgemeine Erkenntnistheorie.
Produktionsästhetik: Ontologie, Ding und Ekstasen
Atmosphären nach Böhme sind nicht greifbar wie ein
Stuhl oder Tisch und können nicht auf dieselbe Art
und Weise erkannt werden. Nicht vier Stuhlbeine,
Sitzfläche und Lehne, die ich anfassen, begreifen und
besitzen kann. Atmosphären kann ich vor allem nicht
besitzen. Ich kann nicht nach ihnen greifen, sie nicht
anfassen und trotzdem spüre ich ihre Anwesenheit,
sie affizieren meine Empfindungen und beeinflussen
mein leibliches Befinden. Mit dieser Gewissheit geraten wir an die Grenzen unserer Vorstellung von den
Dingen und der Welt. Das Konzept von den Atmosphären verlangt also ein Überdenken ontologischer
Grundannahmen.
Böhme kritisiert die klassische Ontologie als im wesentlichen Ontologie des Dinges. Neben dem Menschen wurde die Welt der Dinge seit Descartes prototypisch für Seiendes, die in einer Abgeschlossenheit
aufgefasst und gedacht wird. 83 Jene Ding-Ontologie
behindert die Ästhetik indem sie sich dem Denken in
Atmosphären prinzipiell verwehrt und auch die Dinge
als Erzeugende von Atmosphären nicht begreifen kann.
Böhmes Ontologie geht von den Ekstasen der Dinge
aus, ihrem Heraustreten und räumlich sein und nicht
von ihrer Verschlossenheit. 84 Mit dem Ekstase-Begriff
verlässt Böhme Schmitz‘ Theorie von den Atmosphären, der sie so weit von den Dingen gelöst hatte, dass er
eine produktive Ästhetik negieren musste. Außerdem
bleibt Schmitz mit seinem Atmosphäre-Begriff auf
das Feld der Kunst beschränkt. Die Erweiterung des
Wahrnehmungsobjektes Atmosphäre auf sämtliche
Erfahrungen leiblicher Wahrnehmung bleibt er der ästhetischen Theorie schuldig. 85
Das folgende Kapitel vertieft den Gegenstand der Atmosphäre, wie sie von Gernot Böhme begriffen, beschrieben und expliziert wird. Für eine Architekturästhetik ist die Wendung des ästhetischen Gegenstandes
zum Raum von besonderer Bedeutung.
21
22
Atmosphäre am Werk
1 Welsch, Wolfgang: Ästhetisches Denken, 7. Aufl. Stuttgart
2010, S. 28.
2 Ebd.
3 Barck, Karlheinz: Ästhetik/ästhetisch, in: Ästhetische
21, § 14.
22 Ebd., S. 15, § 6a.
23 M irbach, Dagmar: Einführung Aesthetica [wie Anm. 18], S.
XXXVII.
Grundbegriffe. Absenz-Darstellung, hrsg. v. Karlheinz Barck/
24 Ebd., S. LIII–LIV.
Martin Fontius/Dieter Schlenstedt/u. a. Erster Bd., Stuttgart/
25 Baumgarten, Alexander Gottlieb: Ästhetik [wie Anm. 12], §
Weimar 2000, S. 308–383, hier: S. 322.
4 Naumann-Beyer, Waltraud: Sinnlichkeit, in: Ästhetische
38.
26 Vgl. Leibniz, Gottfried Wilhelm: Meditationes de cognitione,
Grundbegriffe. Postmoderne-Synästhesie, hrsg. v. Karlheinz
veritate et ideis [Betrachtungen über die Erkenntnis, die
Barck/Martin Fontius/Dieter Schlenstedt/u. a. Fünfter Bd.,
Wahrheit und die Ideen], in: Fünf Schriften zur Logik und
Stuttgart/ Weimar 2000, S. 534–577, hier: S. 567–568.
Metaphysik, hrsg. v. Herbert Herring, Stuttgart 1966, S. 9–17;
5 Goethe, Johann Wolfgang von: Maximen und Reflexionen,
zit. nach: Dagmar Mirbach: Einführung zur fragmentarischen
in: Goethes Werke. Hamburger Ausgabe, hrsg. v. Christian
Ganzheit von Alexander Gottlieb Baumgartens Aesthetica
Wegner, Zwölfter Bd., 6. Aufl., Hamburg 1967, zit. nach:
(1750/58), in: Baumgarten, Alexander Gottlieb: Ästhetik,
Böhme, Gernot: Aisthetik. Vorlesungen über Ästhetik als
hrsg. v. Dagmar Mirbach, Erster Bd., Hamburg 2007, S.
allgemeine Wahrnehmungslehre, München 2001, S. 108;
Goethes Ästhetik wird in der Phänomenologie des 20.
Jahrhunderts wiederentdeckt.
6 Ästhetik, in: Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache,
hrsg. v. Berlin-Brandenburgische Akademie der
Wissenschaften, Internet: http://www.dwds.
de/?qu=Ästhetik, Stand: 5.12.2015.
7 Welsch, Wolfgang: Grenzgänge der Ästhetik, Stuttgart 1996,
S. 73.
XV–LXXX, hier: S. XXXII.
27 M irbach, Dagmar: Einführung Aesthetica [wie Anm. 18], S.
LVII.
28 Gabriel, Gottfried: Erkenntnis, Berlin/ Boston 2015, S. 56.
29 M irbach, Dagmar: Einführung Aesthetica [wie Anm. 18], S.
XXXII–XXXVII.
30 Ebd., S. XXXVII.
31 Baumgarten, Alexander Gottlieb: Ästhetik [wie Anm. 12], §
560: „Ich meine in der Tat, daß es den Philosophen nunmehr
8 Ebd., S. 359.
in höchstem Maße offenkundig sein kann, daß in der
9 Welsch, Wolfgang: Ästhetisches Denken [wie Anm. 1], S. 7.
Vorstellung und in der logischen Wahrheit nur mit einem
10 Wildermuth, Armin: Ästhetik - Zwischen Philosophie und
Verlust an vieler und großer materialer Vollkommenheit
künstlerischer Praxis, in: Die Aktualität des Ästhetischen,
zurechtzubringen war, was auch immer ihnen an formaler
hrsg. v. Wolfgang Welsch, München 1993, S. 373–397, hier: S.
Vollkommenheit innewohnt. Denn was ist die Absonderung,
388.
11 Boehm, Gottfried: Der erste Blick. Kunstwerk - Ästhetik
- Philosophie, in: Die Aktualität des Ästhetischen, hrsg. v.
Wolfgang Welsch, München 1993, S. 355–369, hier: S. 357.
12 Baumgarten, Alexander Gottlieb: Ästhetik, hrsg. v. Dagmar
Mirbach, Erster Bd., Hamburg 2007, § 560.
13 Wildermuth, Armin: Der erste Blick [wie Anm. 10], S. 384.
14 Vgl. Baumgarten, Alexander Gottlieb: Ästhetik [wie Anm.
12].
15 Vgl. Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft, hrsg. v. Heiner
F. Klemme, Hamburg 2001.
16 Vgl. Böhme, Gernot: Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik,
Frankfurt/Main 1995.
wenn nicht ein Verlust?“.
32 M irbach, Dagmar: Einführung Aesthetica [wie Anm. 18], S.
XLI–XLII.
33 Baumgarten, Alexander Gottlieb/Eberhard, Johann August/
Meier, Georg Friedrich/u. a.: Metaphysik, Halle/Saale 1783, §
531; zit. nach: Ebd., S. XLII.
34 Baumgarten, Alexander Gottlieb: Ästhetik [wie Anm. 12], §
562.
35 Ebd., § 440.
36 Ebd., § 20.
37 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 5], S. 15.
38 Baumgarten, Alexander Gottlieb/Eberhard, Johann August/
Meier, Georg Friedrich/u. a.: Metaphysik. 1783, § 752; zit.
17 Ebd., S. 23.
nach: Mirbach, Dagmar: Einführung Aesthetica [wie Anm.
18 M irbach, Dagmar: Einführung zur fragmentarischen
18], S. XLIII.
Ganzheit von Alexander Gottlieb Baumgartens Aesthetica
39 Ebd., S. LV.
(1750/58), in: Baumgarten, Alexander Gottlieb: Ästhetik,
40 Ebd., S. LVIII.
hrsg. v. Dagmar Mirbach, Erster Bd., Hamburg 2007, S.
41 Ebd., S. LXIII.
XV–LXXX, hier: S. XXX.
42 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 5], S. 30.
19 Baeumler, Alfred: Kants Kritik der Urteilskraft. Ihre
Geschichte und Systematik, Halle/Saale 1923, S. 1.
20 Barck, Karlheinz: Ästhetik/ästhetisch [wie Anm. 3], S. 327.
21 Baumgarten, Alexander Gottlieb: Ästhetik [wie Anm. 12], S.
43 Welsch, Wolfgang: Grenzgänge [wie Anm. 7], S. 74.
44 Böhme, Gernot: Kants Kritik der Urteilskraft in neuer Sicht,
Frankfurt/Main 1999, S. 4.
45 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 5], S. 17.
II Ästhetische Philosophie
46 K ant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft, hrsg. v. Heiner F.
Barck/Martin Fontius/Dieter Schlenstedt/u. a. Fünfter Bd,
Klemme, Hamburg 2001, S. 164, KdU, A 144.
Stuttgart/ Weimar 2000, S. 390–436, hier: S. 395.
47 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 5], S. 15.
68 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 16], S. 23.
48 Welsch, Wolfgang: Grenzgänge [wie Anm. 7], S. 74.
69 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 5], S. 23–24.
49 K ant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft, hrsg. v. Jens
70 Ebd., S. 42.
Timmermann, Hamburg 1998, S. 130, KrV, A 51.
71 Wildermuth, Armin: Der erste Blick [wie Anm. 10], S. 378.
50 K ant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft [wie Anm. 15], S. 6.
72 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 16], S. 48.
51 „Anschauungsformen“, in: Eisler, Rudolf: Kant-Lexikon.
73 Ebd., S. 18.
Nachschlagewerk zu Kants sämtlichen Schriften, Briefen und
74 Ebd., S. 25.
handschriftlichem Nachlaß, 10. Aufl., Hildesheim/ Zürich/
75 Ebd., S. 47.
New York 1989, S. 20–25.
76 Ebd., S. 42.
52 Die Natur ist in Kants Erkenntnistheorie der „Inbegriff der
77 Ebd.
Erscheinungen“ in Raum und Zeit. Die Natur ist „Objekt aller
78 Ebd., S. 31.
möglichen Erfahrungen“ und Ausgangspunkt des Erkennens,
79 Vgl. Merleau-Ponty, Maurice: Phänomenologie der
denn sie ist die Welt in ihrer dynamischen Ganzheit. Die
wahrnehmbare Natur ist nicht an sich gegeben, aber sie ist das
Wahrnehmung, Berlin 1974.
80 K amper, Dietmar: Körper, in: Ästhetische Grundbegriffe.
„Notwendige der Wirklichkeit“, vgl. „Natur“, in: Ebd., S.
Harmonie-Material, hrsg. v. Karlheinz Barck/Martin
376–378.
Fontius/Dieter Schlenstedt/u. a. Dritter Bd, Stuttgart/
53 Gabriel, Gottfried: Erkenntnis [wie Anm. 28], S. 44.
54 Cassirer, Ernst: Mythischer, ästhetischer und theoretischer
Weimar 2001, S. 426–449, hier: S. 445.
81 Ebd., S. 426.
Raum, in: Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie
82 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 5], S. 45.
und Kulturwissenschaften, hrsg. v. Jörg Dünne/Stephan
83 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 16], S. 161.
Günzel, Frankfurt/Main 2012, S. 485–500, hier: S. 492–493.
84 Ebd., S. 200.
55 Zwenger, Thomas: Urteil, in: Online-Wörterbuch
Philosophie: Das Philosophielexikon im Internet, hrsg. v.
Wulff D. Rehfus, Stuttgart 2003, URL: http://www.
philosophie-woerterbuch.de/online-woerterbuch, Stand:
15.09.2015.
56 K ant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft [wie Anm. 15], S. 48,
KdU, A 4.
57 M irbach, Dagmar: Einführung Aesthetica [wie Anm. 18], S.
XX.
58Kant, Immanuel: Werke in zwölf Bänden, Zehnter Bd.,
Frankfurt am Main (1914) 1977, S. 34-46, http://www.zeno.
org/nid/20009190252, Stand: 05.12.2015.
59 K ant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft [wie Anm. 15], S. 58,
KdU, A 17.
60 Ebd., KdU, A 16.
61 Ebd., S. 163, KdU, A 144.
62 Ebd., S. 191, KdU, A 179.
63 Ebd., S. 198, KdU, A 187.
64 M irbach, Dagmar: Einführung Aesthetica [wie Anm. 18], S.
XX.
65 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 5], S. 12.
66 „ Die klassische Ästhetik hat nur drei oder vier Atmosphären
behandelt, nämlich das Schöne, das Erhabene – vielleicht
sollte man das Pittoreske hinzuzählen – und dann die
charakterlose Atmosphäre oder Atmosphäre überhaupt, die
Aura.“, vgl. Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 16], S.
35.
67 Reschke, Renate: Schön/Schönheit, in: Ästhetische
Grundbegriffe. Postmoderne- Synästhesie, hrsg. v. Karlheinz
85 Ebd., S. 30.
23
24
Atmosphäre am Werk
III
III Ästhetischer Raum und Atmosphäre
Ästhetischer
Raum
und
Atmosphäre
Der ästhetische Diskurs in der Architektur wird immer
wieder von der Frage nach der architektonischen Qualität bestimmt. Peter Zumthor (geb. 1943) bemisst architektonische Qualität daran, ob ein Bauwerk dazu in der
Lage ist ihn zu berühren. Er fragt gleichzeitig „Was zum
Teufel berührt mich jedoch an diesen Bauwerken? Und
wie kann ich das entwerfen?“1 Hier deutet sich bereits
das spezifisch ästhetische Problem der Architekturphilosophie und -ästhetik an. Als ästhetisch lässt sich etwas beschreiben, was uns ergreift, was wir jedoch selbst
nicht greifen können. Es kann ein unbestimmtes Mehr,
eine gewisse Stimmung, eine unbegreifliche Schönheit,
eine besondere Aura oder eine sonderbare Atmosphäre
sein, die uns anrührt. In dieser obskuren Sphäre des Vagen liegt das Phänomen des Ästhetischen, dem sich die
Ästhetik widmet. Man versucht das Phänomen der architektonischen Qualität über Begriffe wie Stimmung,
Charakter, Genius Loci, Atmosphäre oder Aura einzufangen. Worüber genau unterhält man sich aber, wenn
von architektonischer Qualität die Rede ist?
Herman Sörgel (1885-1952) hat in seiner Architekturästhetik das Ästhetische der Architekturerfahrung wie
folgt definiert: „An dem Objekt »Haus« interessiert
ästhetisch vorerst nur das Phänomen »Haus«, d.h. das
wirklich, unmittelbar vom Subjekte Beobachtete. Die
ästhetische Forschung wird also weder an der Realität
des Objekts noch an den allgemeinen »apriorischen«
Potenzen des Subjekts anzuknüpfen haben, sondern
einzig und allein an dem Vorgang, der zwischen beiden
stattfindet; weder das Objekt noch das Subjekt haben
an sich ästhetische Bedeutung.“2
Zumthors Verzweiflung angesichts der Schwierigkeiten mit dem Ästhetischen spricht sowohl die Ebene
der Ontologie an, thematisiert also die Frage nach dem
Was-sein der Atmosphäre, als auch die Ebene der Rezeption und Produktion, also die Frage nach der Möglichkeit ihrer Wahrnehmung und Erzeugung. Im folgenden
Kapitel werden diese Themen mit Gernot Böhme näher
betrachtet um Atmosphäre begrifflich noch besser fassen zu können.
Bei der architektonischen Qualität wird davon ausgegangen, dass Architektur „mehr erzeugt, als man sieht.“3
Theodor W. Adorno (1903-1969) hat das Phänomen
der Qualität gleich unter das Wort „Mehr“ zusammengefasst. Adorno hat das „Mehr“ als Begriff zur Bestimmung eines Bedeutungsüberschuss am Objekt verwendet. Vorbild ist die Naturerfahrung, denn „Natur hat
ihre Schönheit daran, daß sie mehr zu sagen scheint, als
sie ist.“4 Im Kontext der bildenden Kunst zeigt sich der
Betrachterin etwas am Kunstwerk, dass als Erscheinung
über das physische Objekt der Leinwand, der Farbe und
des Motivs hinausreicht und als diffuses Gefühl eines
„Mehr“ wahrnehmbar ist. Der Begriff ist ein Verweis
auf die Gestalttheorie und den Satz „das Ganze ist mehr
als die Summe seiner Teile“. Allerdings deutet Adorno
den Satz nicht formell sondern ästhetisch und verweist
auf das „Mehr“ als Erscheinung der Idee am Kunstwerk.
Adorno bezieht sich auf Walter Benjamin (1892-1940),
wenn er von dem Scheinen des Kunstwerkes spricht.
Benjamin hat mit dem Begriff der „Aura“ das Phänomen des aufscheinenden Kunstwerks zu begreifen und
am Aura-Begriff die Einzigartigkeit des Kunstwerks also
seine einmalige Qualität zu beweisen gesucht.5 Benjamin bringt mit dem Aura-Begriff die sinnliche Wahrnehmung wieder zurück ins Gespräch und öffnet den
ästhetischen Diskurs für die Kunst der Avantgarde und
die Auflösung des Bildbegriffs. Auch Gernot Böhme
verweist auf den Aura-Begriff von Benjamin als einen
25
26
Atmosphäre am Werk
Vorläufer seines Atmosphäre-Begriffs, mit dem er seine neue Ästhetik begründet. In der Atmosphäre findet
Böhme einen Begriff für jenes „Mehr“, was uns mal als
Schönheit, mal als Aura oder Qualität begegnet und
ergreift.
Atmosphären sind im alltäglichen Sprachgebrauch
für ästhetische Phänomene seit langer Zeit bekannt
und verbreitet. Aber erst Walter Benjamin führt über
die Aura die Erfahrung mit dem Atmosphärischen in
die ästhetische Theorie ein. Die besondere Präsenz einer Person ist im Allgemeinen als Aura bekannt. Eine
Person umgibt eine sonderbare Ausstrahlung, eine geheimnisvolle Unnahbarkeit, die deutlich spürbar wird
für Menschen die sich in ihrer Nähe aufhalten. Über
ihren physischen Körper hinaus wird die Anwesenheit
der Person in Form ihrer Aura als in der Umgebung
ausgedehnte Entität spürbar. Benjamin verwendete den
Begriff seinerzeit um an dem Phänomen der Ausstrahlung das einzigartige Wesen des Kunstwerks über seine
reine Materialität hinaus zu erfassen und zu benennen.6
Gernot Böhme fasst das Phänomen der Aura unter den
Begriff der Atmosphäre und erreicht damit eine Öffnung des ästhetischen Betrachtungsrahmens jenseits
der Kunst.7 Wie bereits im vorangegangen Kapitel erläutert, erhebt er die Atmosphäre zum zentralen Begriff
und Erkenntnisgegenstand seiner neuen Ästhetik.8
Avantgarde und neue Ästhetik
Angesichts der rasanten gesellschaftlichen Veränderungen, Industrialisierung, Technisierung, Verstädterung,
die Herausbildung einer Massen- und Konsumgesellschaft, bricht die künstlerische Bewegung Anfang des
20. Jahrhunderts mit der Kunst der bürgerlichen Gesellschaft, ihrem klassischen Kunstbegriff und seinen
Dogmen, welche u.a. die klassische Ästhetik hervorgebracht und zementiert hatte. Die Losung heißt: „Kunst
für alle! Kunst zu den Massen! Kunst auf die Straße!“9
Konstruktivismus, Expressionismus, Dadaismus, Futurismus, Surrealismus etc. sind Strömungen der Avantgarde die zeitgemäße Antworten auf die Fragen der
neuen Gesellschaft suchten. „Gegenüber Form, Symbol
und Zeichen hat die moderne Kunst die Materialität,
die Leiblichkeit, das Atmosphärische und das Ereignis
zur Geltung gebracht.“10 Damit waren die Paradigmen
der neuen Ästhetik in den Diskursen der Avantgarde
bereits enthalten.
Böhme vollzieht in der philosophischen Theorie, was
die Kunst bereits vorwegnahm. Er dekonstruiert die
klassische Ästhetik in ihrer Reduzierung auf Urteilsästhetik und Kunstkritik. Er argumentiert, dass der
Fokus der klassischen Ästhetik auf die Frage was ist
Kunst und die Praxis des Beurteilens „wahrer“ Kunst
nicht die Wirklichkeit der modernen Gesellschaft widerspiegelt und den neuen Herausforderungen einer
ästhetisierten Welt nicht gerecht wird. Spätestens mit
der Stoßrichtung der Avantgarde ist die klassische Ästhetik nach Böhme obsolet geworden. Er reagiert mit
einer Öffnung der Ästhetik jenseits der klassischen
Kunst. Sie verliert damit ihre Position als „das primäre Thema der Ästhetik“. Böhme ordnet sie als nur eine
Form der ästhetischen Arbeit unter.11 Und ästhetische
Arbeit schafft im Wesentlichen Atmosphären. Was aber
ist das?
Atmosphäre und Sprache
Der Atmosphärebegriff ist prekär, da die Erfahrung
zwischen konkret beschreibbaren Atmosphären und
einer diffusen Atmosphärewahrnehmung oszilliert.
Wissenschaft verlangt aber die Exaktheit von Begriffen
und Modellen. Die Ohnmacht der Sprache, wenn
es darum geht das Phänomen der Atmosphäre zu
begreifen, schafft ein Legitimationsproblem für
den Atmosphäre-Begriff im diskursiven Feld der
philosophischen Wissenschaft. Es herrscht eine
Sprachlosigkeit um das Phänomen der Atmosphäre,
trotzdem die Alltagssprache eine unendliche Fülle
an spezifischen Atmosphären zu charakterisieren
weiß: eine angespannte, gelöste, intime, feierliche,
gemütliche, erhebende, niederdrückende Atmosphäre,
um einige Beispiele zu nennen. Die Definition des
Phänomens selbst allerdings ist bedingt durch seine
Unschärfe und Vagheit ungleich schwieriger und hat zur
Konsequenz, dass sich der Begriff unter den Prämissen
eines wissenschaftlichen Positivismus nur schwer
behaupten kann. „Weil Atmosphären weder Substanz,
noch Akzidenz, weder rein objektiv noch rein subjektiv
sind, fallen sie quasi aus dem vernünftig Sagbaren
heraus“12 , fasst Böhme das Dilemma zusammen.
Hermann Schmitz, auf den sich Böhme immer wieder
bezieht, begegnet dem Positivismus-Problem über
die Phänomenologie. Demnach ist wirklich, was sich
mir in der Erfahrung zeigt.13 Die Atmosphäre erhält
ihre Wahrheit phänomenologisch, indem ich sie im
eigenleiblichen Spüren wahrnehme. Was aber ist das
Wesen der Atmosphäre? Wie ist sie bestimmt?
1 Ästhetischer Raum und Atmosphäre
Böhme definiert Atmosphären als „[...] räumliche
Träger von Stimmungen.“14 Er verwendet hier eine
Formulierung von Elisabeth Ströker.15 So bestimmt
er die Atmosphäre als grundsätzlich räumliches Phänomen. Raum ist „[...] immer ein gestimmter Raum
[…].“16 Für die Architektur ergibt sich daraus die wenig
III Ästhetischer Raum und Atmosphäre
verblüffende Konsequenz, dass das eigentliche ästhetische Objekt der Raum ist – seine Wirkung und Erzeugung. Allerdings sind Atmosphären „[...] randlos,
ergossen, dabei ortlos, d.h. nicht lokalisierbar.“17 Hierin
liegt sowohl das große Interesse und die Aufmerksamkeit für die Atmosphäre und Böhmes neue Ästhetik im
Bereich der Architektur als auch die bereits angedeutete Schwierigkeit damit.
Ernst Cassirer vermutet, dass „gerade das Raumproblem zum Ausgangspunkt einer neuen ‚Selbstbesinnung‘
der Ästhetik werden könne“.18 Im Raum findet die Architektur ihre eigene ästhetische Kategorie. Dabei geht
es um die ästhetische Dimension des Raumes, seine
Qualität, nicht seine Quantifizierbarkeit. Es zeigt sich,
„daß es nicht eine allgemeine, schlechthin feststehende
Raum-Anschauung gibt, sondern daß der Raum seinen
bestimmten Gehalt und seine eigentümliche Fügung
erst von der ‚Sinnordnung‘ erhält, innerhalb derer er
sich jeweilig gestaltet. Je nachdem […] wandelt sich
auch die ‚Form‘ des Raumes.“19 Hier gehen wir also von
einem ästhetischen Raumbegriff aus.
Den Raum als ästhetischen Raum oder Atmosphäre zu
begreifen, fordert seine Seinsweise heraus, also die Frage nach seinem Was-sein. Die Philosophie, allen voran
Kant, hat den Raum als Anschauung a priori definiert,
da ihm mit dem Seinsbegriff nicht beizukommen war.
In der Konsequenz hat man ihn dem Ordnungsbegriff
untergeordnet, von dort aus er in seinen Möglichkeiten und damit veränderlich gedacht werden konnte.20
Bereits Leibniz hatte den Raum als „Möglichkeit des
Beisammen“ definiert.21 Kant und Leibniz distanzieren
sich hier von dem metrischen Raumbegriff Descartes
und rekurrieren auf den topologischen Raum des Aristoteles, also den Raum der Beziehungen, Nachbarschaften und Umgebungen. Der erste ist ein quantitativer,
der zweite ein qualitativer Raumbegriff.
Raum als relativ, veränderlich und dynamisch zu denken ist auch eine moderne Vorstellung, deren Durchbruch mit der Relativitätstheorie von Albert Einstein
über die Physik hinaus gelang. Der relationale Raum
löst in der Architektur einen Paradigmenwechsel aus,
der nach August Schmarsow (1853-1936) das „Raumgefühl“ ins Zentrum des architektonischen Schaffens
stellt, wo zuvor das „Formgefühl“ maßgeblich war. Architektur wird zur „Raumgestalterin“.22
Als Architekten kennen wir den geometrischen Raum,
jenen neutralen Behälter, in den wir unsere Darstellungen hineinprojizieren: Grundrisse, Schnitte, Erdgeschosspläne, Erschließungspläne, Bebauungspläne,
3-D-Simulationen. Dieser geometrische Raum ist
ein vermessener, durch ein Koordinatensystem sich
in alle Richtungen gleichmäßig ausdehnender Raum;
unbestimmt: ohne links oder rechts, vorn oder hinten,
nah oder fern. „Diese Raumvorstellung führt dazu, dass
ästhetische Arbeit vor allem als Schaffung von Gestalten und Entwurf von Größenverhältnissen verstanden
wird.“23
Der ästhetische Raum wird qualitativ in seiner atmosphärischen Wirklichkeit und Veränderlichkeit und
nicht quantitativ in den statischen Dimensionen von
Länge, Breite und Höhe euklidisch bestimmt. Böhme differenziert daher zwischen „[...]Raum als Raum
leiblicher Anwesenheit und Raum als Medium von
Darstellungen.“24
Der Mensch des ästhetischen Raumes fließt in seiner
Wahrnehmung und leiblichen Präsenz in den Entwurfsprozess ein, nicht wie bei Vitruv oder zuletzt mit
le Corbusiers Entwicklung des Modulor nur der Körper als vermessbares Objekt. Der Mensch wird nicht als
quantifizierbares Maß der Dinge zitiert sondern qualitativ in seinem Befinden im Raum thematisiert.
„Der Raum leiblicher Anwesenheit ist durch die Kategorien zu bestimmen, nach denen unsere Umgebung
unser Gefühl hier zu sein modifiziert, also unsere Befindlichkeit.“25 Befindlichkeit definiert Böhme als
einen besonderen Sinn des Menschen, den Sinn des
„Darin-Sein“. Wir spüren die Umgebung in der wir uns
befinden und wie wir uns darin befinden. Befindlichkeit bedeutet das Spüren der eigenen Anwesenheit und
damit ist es ein Spüren des Raumes selbst. „Wir spüren,
was das für ein Raum ist, der uns umgibt. Wir spüren
seine Atmosphäre.“26 Der Raum leiblicher Anwesenheit
ist bestimmt durch „[...] Enge und Weite, durch Bewegungsanmutungen, oder Hemmungen, durch Helligkeit und Dunkelheit, durch Luzidität und Opazitäwt
etc.“27
Atmosphären sind quasi objektive Gefühlsmächte, die
sich räumlich in die Weite erstrecken.28 Das Räumliche
als Wesenszug der Atmosphären offenbart sich mir, indem ich mich ihrer Wirkung aussetze und mich hinein
bewege in ihren Wirkungsradius. Umgekehrt kann ich
mich ihrer Wirkung entziehen, indem ich mich u.a.
räumlich distanziere. Der Raum wird in seiner Raumwirkung und damit als Atmosphäre gedacht.
Die Frage, die sich für die Architektur stellt, ist wie
der ästhetische Raum gedacht in Atmosphären im
Entwurfsprozess vorgestellt, simuliert, produziert,
gesteuert und kontrolliert werden kann. Wie lassen
sich Atmosphären entwerfen, planen und erzeugen?
Diesen Fragen muss auch mit einer intensiven Untersuchung der Entstehungs- und Wahrnehmungsbedingungen von Atmosphären begegnet werden mit dem
Ziel Atmosphärekompetenz herauszubilden.29 Gernot
Böhme differenziert zu diesem Zweck zwischen einem
27
28
Atmosphäre am Werk
Subjektpol und einem Objektpol.
2Ko-Präsenz
Es ist naheliegend Atmosphäre entweder als objektive
Eigenschaft der Dinge oder als subjektives Gefühl zu
denken. Die Erfahrung, dass ich durch meine innere
Gestimmtheit die Wahrnehmung meiner Umgebung
beeinflusse, lässt leicht den Schluss zu, dass Atmosphären lediglich Projektionen der eigenen Befindlichkeit
sind. Böhme zeigt aber (anhand der Ingressions- und
Diskrepanzerfahrung), dass meine Grundstimmung
und die Atmosphäre in die ich hineingerate völlig divergieren können. Böhme führt so den Beweis, dass Atmosphäre gegenständlich wahrnehmbar ist und ergo eine
eigene Wirklichkeit besitzt und nicht beim Subjekt aufzusuchen ist.30 Was wahrgenommen wird, sind also „weder Empfindungen noch Gestalten, noch Gegenstände
oder deren Konstellationen, wie die Gestaltpsychologie
meinte“ sondern Atmosphären.31 Ebenso wenig sind Atmosphären als Eigenschaften am Objekt aufzusuchen.
Böhme definiert sie zwar als Manifestation der Präsenz
von Menschen, Dingen oder Umgebungskonstellationen32 , aber erst „durch den analytischen Blick [können]
so etwas wie Gegenstände, Formen, Farben usw. unterschieden werden.“33 Ihre Wirklichkeit besitzt die Atmosphäre als eigene Entität und Präsenz. Ihre Existenz zeigt
sich ausschließlich als Erfahrung einer Ko-Präsenz des
wahrnehmenden Subjekts mit dem Wahrnehmungsobjekt. „Atmosphäre ist die gemeinsame Wirklichkeit des
Wahrnehmenden und des Wahrgenommenen.“34
Für mich als wahrnehmendes Subjekt ist die phänomenale Wirklichkeit der Zustand der Wahrnehmung,
der eine Moment leiblich gespürter Anwesenheit, d.h.
die unmittelbare Wirkung der Atmosphäre auf mein
leibliches Befinden. Ich als Wahrnehmende bleibe in
der Wahrnehmung passiv, indem Wahrnehmen Betroffensein ist.35 Etwas macht mich betroffen. Ich kann
mich dem lediglich verschließen oder entziehen. Für
das wahrgenommene Objekt bedeutet Wirklichkeit der
aktuelle Wirkungsbereich seiner Anwesenheit. Böhme
erklärt diesen Zustand als gespürte Ko-Präsenz von
Subjekt und Objekt. Auch wenn Atmosphäre weder
auf einen erzeugenden Objektpol noch einen wahrnehmenden Subjektpol reduzierbar ist, lässt sie sich doch
aus der Perspektive ihrer Erzeugung und ihrer Wirkung
beschreiben.
Atmosphären und Atmosphärisches
Der Sachverhalt der Ko-Präsenz zeigt sich besonders
anhand der Unterscheidung von Atmosphäre und dem
Phänomen des Atmosphärischen. Gernot Böhme folgt
mit dieser Unterscheidung Hermann Schmitz. Wie die
Atmosphäre sind die Phänomene des Atmosphärischen
ebenso „unbestimmt in die Weite ergossen“ und als Erscheinung räumlich. Das Atmosphärische wird als freischwebende Qualität erfahren, die sich wie im Fall der
Kälte deutlich vom Ich unterscheiden kann. Als Beispiele für das Atmosphärische führt Böhme die Nacht, den
Herbst, die Beleuchtung, die Dämmerung, den Wind,
eine Stimme oder die Kälte an und definiert diese Erscheinungen mit Hermann Schmitz als Halbdinge.36 Er
verwendet den Begriff Halbdinge um die Tendenz zum
Dingcharakter des Atmosphärischen gegenüber den Atmosphären herauszustellen. Halbdinge sind reine Phänomene, die nur als Erscheinungen existieren und damit
nicht Erscheinungen von etwas sind.37
Die Atmosphärewahrnehmung unterscheidet sich in
der gemeinsamen Wirklichkeit von Wahrnehmenden
und Wahrgenommenen als Bedingung ihrer Existenz.
Entferne ich aus dieser Erfahrung das wahrnehmende
Subjekt „bricht die Atmosphäre zusammen“. Sie kann
nur in leiblicher Anwesenheit erfahren werden. Anders bei den Phänomenen des Atmosphärischen, die
auch unabhängig von dem wahrnehmenden Subjekt
und ohne seine affektive Betroffenheit existiert. Genau
wie Atmosphären haben Halbdinge „[...] die Seinsweise von Wirklichkeit, nicht von Realität“.38 Die Grenze
zwischen Atmosphäre und dem Atmosphärischen ist
jedoch nicht immer klar zu ziehen.
Die grundlegenden Begriffe, welche Böhme zur Charakterisierung von Subjekt- und Objektpol verwendet,
sind der „menschliche Leib“ und die „Ekstasen der Dinge“. Die neue Ästhetik stellt so den Körper-Geist-Dualismus auf der einen als auch die Ding-Ontologie auf
der anderen Seite zur Disposition – zwei Konzepte,
die unser Denken und unsere Vorstellung von uns und
der Welt bis heute dominieren. Danach sind nicht der
Körper, sondern der Leib, wie er uns durch Selbsterfahrung gegeben ist und das Ding, nicht wie es ist, sondern wie es uns erscheint, die wesentlichen Aspekte der
Atmosphärewahrnehmung.
3 Bestimmung am Subjektpol
Die Atmosphäre von ihrem Subjektpol betrachtet ist
eine Macht, die mein Befinden im Raum modifiziert:
„Sie greift bei der Befindlichkeit des Menschen an, sie
wirkt aufs Gemüt, sie manipuliert die Stimmung, sie
evoziert die Emotionen.“39 Mit dieser Charakterisierung
greift Böhme auf eine Definition von Hermann Schmitz
zurück, wie er sie innerhalb seiner Leibphilosophie herausgearbeitet hat. Darin definiert Schmitz Atmosphären als „ergreifende Gefühlsmächte“. Die Atmosphäre
III Ästhetischer Raum und Atmosphäre
lässt sich von ihrem Subjektpol her ihrer Wirkung auf
das wahrnehmende Subjekt nach bestimmen. „Sinnliche Wahrnehmung heißt dann, an der artikulierten
Präsenz der Dinge zu partizipieren.“40 Was geschieht
dabei in mir und mit mir? Wie muss ich die Atmosphäre vom Subjekt her denken?
Wirklichkeit und Realität
Um die Atmosphäre als Wahrnehmungsereignis genauer zu bestimmen, stellt Böhme der Wirklichkeit den
Realitätsbegriff gegenüber, obschon sie in der Alltagssprache synonym verwendet werden. Realität verweist
etymologisch auf die Welt der Sachen und Dinge, wie
sie mit ihren Eigenschaften gedacht werden. Wirklichkeit bedeutet demgegenüber die Art und Weise, wie die
Dinge scheinen, was ich von ihnen in der gemeinsamen
Aktualität, dem Hier und Jetzt wahrnehme. Diese Unterscheidung ist essentiell. Im Alltag ist die Realität
häufig unsere Wirklichkeit. Wir gehen um anzukommen, wir essen um satt zu werden, wir arbeiten um zu
verreisen, wir stehen um zu warten. Durch Handlungen, welche auf ein Ziel in der nahen oder fernen Zukunft ausgerichtet sind übergehen wir die Wirklichkeit
im Hier und Jetzt.
Es gibt Erfahrungen, die uns aus den realen Träumen in
die wirkliche Welt mit einem Paukenschlag zurückholen. Ich laufe gedankenversunken durch die Stadt. Ich
überquere die Straße und jemand hält mich plötzlich
und energisch zurück, mich durchfährt ein Schreck
und ich wache abrupt aus dem Tagtraum auf, das Auto
rast knapp an mir vorbei. Von einem Augenblick zum
nächsten bin ich hellwach, der Schreck sitzt mir in den
Gliedern und das ganze Außen strömt durch mich hindurch. Plötzlich nehme ich alles um mich wahr. Der
Körper zittert, das Blut rauscht in meinen Ohren. Die
ausgedehnte Weite meiner Gedanken zieht sich auf
den einen Moment an den einen Ort zusammen. Ich
bin im Hier und Jetzt ganz präsent. Diese Präsenz ist
Ausgangssituation für die Atmosphäre-Wahrnehmung.
Leibliches Befinden und Betroffensein
Wahrnehmen in Böhmes Verständnis bedeutet sich seiner eigenen Befindlichkeit gewahr zu werden. Befindlichkeit nennt er einen „spezifischen Sinn für das Darin-Sein“41 Dieser Vorgang ist als eigenleibliches Spüren
zu verstehen. „Sich leiblich spüren heißt zugleich spüren, wie ich mich in einer Umgebung befinde, wie mir
hier zumute ist.“42 Ich vergegenwärtige mich mir selbst
am Ort und spüre meine eigene Präsenz und Räumlichkeit. „Der Mensch muß wesentlich als Leib gedacht
werden“,43 schlussfolgert Böhme. Den Leibbegriff hat
sich Böhme bei Herman Schmitz geliehen, dessen
Phänomenologie im Wesentlichen eine Leibphilosophie ist. Er führt den Leib-Begriff im Gegensatz zum
Körper-Begriff ein und versöhnt den Geist mit dem
Körper. Den Unterschied beschreibt Plessner als Körper haben und Leib sein.44 Anders gesagt, der Körper
vermittelt sich uns in Fremdwahrnehmung, der Leib in
Selbstwahrnehmung. Maurice Merleau-Ponty, der den
Leibbegriff in der Wahrnehmungstheorie etablierte,
gibt in dem Zusammenhang zu denken, dass unser Leben nicht auf den Leib ausgerichtet und das leibliche
Empfinden ein Lernprozess ist, dem die Entdeckung
des eigenen Leibes noch vorausgeht.45
Atmosphären wirken indem sie mich als das wahrnehmende Subjekt „in der Weise des […] affektiven Betroffenseins heimsuchen, wobei dieses die Gestalt der […]
Ergriffenheit annimmt“46 In dem Zustand der Ko-Präsenz nehme ich mich noch nicht als unterschieden von
dem Anderen außerhalb von mir wahr und habe im
Augenblick der Erfahrung keinen Begriff von mir als
wahrnehmendes Individuum sondern gehe als Leib in
der Empfindung auf. Ko-Präsenz bedeutet auch, dass
ich die gespürte Wirkungsmacht noch nicht auf ein
Objekt oder eine Situation zurückgeführt habe sondern sie unmittelbar in ihrem Wesen als Atmosphäre
spüre. Atmosphären als quasi objektive Gefühlsmächte
manipulieren meine Befindlichkeit im Raum, sie modifizieren meinen leiblichen Raum, meine gespürte
Räumlichkeit.47 Atmosphären können mich in ihrer ergreifenden Mächtigkeit längere Zeit gefangen nehmen
oder mich nur für den Bruchteil von Sekunden in einen
Zustand des Betroffenseins versetzen.
Das leibliche Spüren ist nach Schmitz in einen Kommunikationsprozess eingebunden48 , dessen Gegenstand die Atmosphäre ist. Der Leib als Kommunikationsmedium mit der Welt sowohl als Sender, als auch
als Empfänger.
„Diese Theorie baut darauf auf, dass das eigenleibliche
Spüren den Charakter eines Antagonismus von Engung und Weitung hat.“49 Das Phänomen von Engung
und Weitung habe ich an einem Nachmittag in New
York durch meine eigenleibliche akustische Resonanz
verstanden. Ich überquerte den Platz vor der Metropolitan Opera und dem Lincoln Center for the Performing Arts und steuerte die New York Public Library
an, einen kleineren Flachbau, vor dem es einen weiteren
Platz zu überqueren galt. Vor dem Bibliothekseingang
ist eine begehbare schwarze Skulptur aus Metall installiert. Als ich unter dem Bogen hindurch trat, hörte ich
die Resonanz meiner Schritte ganz nah. Zuvor ist der
Hall im endlosen Raum der Stadt verschwunden, weil
er von keiner Häuserwand zurückgeworfen wurde. Ich
konnte mich nicht hören. Plötzlich konnte ich meine
29
30
Atmosphäre am Werk
Bewegung akustisch wahrnehmen. Akustisch verengte
ich mich auf den kleinen Raum, sehr laut. Wohingegen
sich meine Präsenz vorher unendlich groß im Raum
verlor. Ich war gewissermaßen eingetaucht in die Stadt.
Ingression und Diskrepanz
Böhme nennt die ganzheitliche sinnliche Erfassung
der Atmosphäre die ingressive Totale.50 Der Begriff
verweist auf die Wahrnehmungserfahrung der Ingression und meint die gegenständliche Erfahrung mit
der Atmosphäre indem ich in sie hineingerate. Böhme
setzt für diese grundsätzliche Wahrnehmungserfahrung den Modus des „sich Einlassens“ voraus um die
charakteristische Art und Weise von Atmosphären zu
identifizieren.51
Ingressionserfahrungen sind solche Erfahrungen, bei
denen ich Atmosphäre als Etwas außer mir wahrnehme
indem ich in sie hineingerate. In der Ingressionserfahrung zeigt sich auch das Moment des Räumlichen der
Atmosphärewahrnehmung. Böhme führt das Beispiel
des Betretens eines Raumes an, indem die angespannte Atmosphäre einer Verhandlung herrscht. Die Anspannung ist nicht lokalisierbar sondern „unbestimmt
in der Weite ergossen“. „Atmosphären sind gestimmte
Räume“, die „unsere Befindlichkeit modifizieren bzw.
uns zumindest anmuten.“52
Diskrepanzerfahrung verweist auf ein Wahrnehmungsereignis bei dem meine innere Stimmung der Umgebungsatmosphäre in krassem Gegensatz gegenüber
steht. In dem Unterschied nehme ich Atmosphäre als
Etwas außer mir als „quasi objektives Gefühl“ wahr.
Böhme führt hier das Beispiel des Trauerfalls an. In der
erfahrenen Trauer nehme ich die heitere Atmosphäre
eines Frühlingstages in Kontrast zu meiner eigenen Befindlichkeit wahr. Die Diskrepanz bleibt bestehen.53 In
der Ingressions- und Diskrepanzerfahrung heben wir
die Charaktere von Atmosphären und können ihr WasSein beschreiben.
Auf Atmosphärewahrnehmung muss man sich einlassen. Man muss diesen Wahrnehmungsmodus im Grunde erlernen. Ich muss mich auf eine Atmosphäre einlassen um fragen zu können: Wie ist die Atmosphäre? Für
die Beantwortung dieser Frage existiert in der Alltagssprache bereits ein immenses Vokabular.54 Indem ich
die Art und Weise einer Atmosphäre sprachlich erfasse,
verweise ich auf ihren Charakter, ihr Was-Sein.
Charaktere
Der Charakter von Atmosphären bezeichnet „die
charakteristische Weise, in der sie anmuten.“55 Böhme
unterscheidet fünf Gruppen von Charakteren: gesellschaftliche Charaktere (kleinbürgerlich, einfach),
Synästhesien (warm, rau), Stimmungen (heiter, ernst)
kommunikative Charaktere (freundlich, abweisend)
und Bewegungsanmutungen (gehoben, niedergedrückt).56 Allerdings verweist er darauf, dass diese Einteilung keiner abgeschlossenen Systematik folgt und es
zu Überschneidungen kommen kann oder weitere Kategorien etabliert werden müssen.57
Wärme, Helligkeit oder Kälte, aber auch Farben, Töne
und Gerüche sind solche Charaktere die Böhme der
Gruppe der Synästhesien zuordnet. Er beschreibt die
Wahrnehmung von Tönen oder Farben als „synästhetisches Einheitserlebnis“58 . Synästhesien werden danach
empfunden und lassen sich nicht einzelnen Sinnen zuordnen. Böhme argumentiert: „Die Einheit der Sinne
bestünde danach nicht in einer Beziehung zwischen
ihnen, sondern darin, dass sie alle auf das Gefühl wirken und im Gefühl gleiche oder verwandte Wirkungen
zeitigen können.“59 Ein greller Ton oder eine grelle Farbe affizieren demnach unseren Leib auf ähnliche Weise.
Bewegungsanmutungen – Bewegungssuggestionen bei
Hermann Schmitz – charakterisieren Atmosphären
dergestalt, dass sie Auswirkungen auf meine leibliche
Räumlichkeit haben. Eine solche Atmosphäre wirkt
auf mich erhebend oder niederdrückend, ich spüre eine
Enge oder Weite.60 „Das verbindende Glied zwischen
Leiberfahrungen und architekturalen Formen bildet
die Bewegungssuggestion“61 „Es sind solche Räume, die
Architekten schaffen, jedenfalls von der Seite der Benutzer her gesehen. Dabei spielt, was sie traditionell im
Auge haben, nämlich Form, Proportion und Abmessungen, durchaus eine Rolle. Nur geht es um die Weise,
wie sie erfahren werden, als Enge und Weite, als lastend
oder erhebend. Es sind dies Charaktere von Atmosphären, die auch durch die Geometrie eines Gebäudes bestimmt werden, jedoch nicht ausschließlich.“62
Der kommunikative Charakter einer Atmosphäre zeigt
sich in der zwischenmenschlichen Kommunikation.
Böhme geht von der kommunikativen Atmosphäre als
Grundvoraussetzung für Kommunikation aus. Geht
das Atmosphärische bei den Bewegungsanmutungen
vor allem von einem Objektpol aus, wird die zwischenmenschliche Atmosphäre von den beteiligten Subjekten in ihrer leiblichen Anwesenheit bestimmt. Sie
existiert lediglich in der Interaktion. Kommunikation
ist vor allem darauf ausgerichtet eine bestehende Atmosphäre frei von Störungen aufrechtzuerhalten oder diese zu bestätigen. Für gestörte Atmosphären können wir
verschiedene Attribute benennen, treten Atmosphären
erst durch Störungen wirklich deutlich hervor: gelöste,
angespannte, aggressive, oder erregte Gesprächsatmosphären offenbaren solche kommunikativen Störungen.
Gesellschaftliche Charaktere strahlen eine Atmosphäre
III Ästhetischer Raum und Atmosphäre
aus, die zu einer bestimmten Lebensform gehört. „Gesellschaftliche Charaktere, also die Atmosphäre von
Macht, Reichtum, Eleganz usw. begegnen uns im Kontext humaner Welteinrichtung, d.h. disziplinär gesprochen, der Architektur, Innenarchitektur, Werbung,
Mode, Kosmetik.“63
Sobald ich die Atmosphärewahrnehmung versuche zu
denken, verlasse ich die gemeinsame Wirklichkeit und
überführe das Phänomen in die Realität. Dem geht
ein Differenzierungs- und Abgrenzungsprozess voraus,
der aus der Wahrnehmung in Ko-Präsenz zum einen
eine Ding-Wahrnehmung macht und zum anderen die
Wahrnehmung von mir als Subjekt zur Folge hat. Zum
Beispiel berührt mich der Anblick eines Bauwerkes.
Indem ich meine Wahrnehmung auf die Anwesenheit
von Schönheit zurückführe, etablieren sich unweigerlich ein Objektpol und ein Subjektpol. Je mehr ich
diesem Etwas also nachgehe, desto klarer zieht sich die
Atmosphäre auf das Ding von dem Sie ausgeht zurück.
Hier wird sie am Ding beschreibbar ist aber selbst nicht
mehr existent.64
4 Bestimmung am Objektpol
Die Objekt-Perspektive fokussiert auf die Erzeugung
von Atmosphären. Ausgangspunkt ist die Wirklichkeit
der Erscheinungen. Das Denken in Atmosphären setzt
eine ekstatische Welt voraus. Nicht eine verschlossene
Welt stummer Objekte sondern eine Welt der Atmosphären, in der die Dinge fortlaufend ihre Anwesenheit
artikulieren. Maßgeblich ist hier nicht von stummen,
in sich geschlossenen Objekten auszugehen sondern
von Dingen, die ihre Anwesenheit auf mannigfache
Weise artikulieren. Deren Präsenz über ihre physische
Grenze hinaus wahrnehmbar ist und atmosphärisch in
den Raum hineinwirken.
Wir nehmen Objekte selten in ihrer unmittelbaren
Wirklichkeit im Raum, in ihrer Wirkung im Hier und
Jetzt wahr. Vielmehr denken wir diese Objekte in ihrer
vermeintlichen Ganzheit, als Einheit, als Totale seiner
Eigenschaften. Nach Böhme muss jedoch das Ding als
Potenz gedacht werden.
Herman Sörgel grenzt das Ding in unserer Vorstellung
und das Ding in unserer Wahrnehmung bereits Anfang
des letzten Jahrhunderts in seiner Architekturästhetik
voneinander ab: „Der Ästhetiker denkt sich zu seinem
Objekt nicht Dinge dazu, die nicht unmittelbar mit
demselben gegeben wären, es ist ihm überhaupt nicht
um die Erkenntnis des konkreten Objektes zu tun, er
fragt nicht nach den vielen Ursachen, durch welche es
entstanden ist, und weder die Gewißheit der Dinglichkeit noch der Kausalnexus mit der übrigen Körperwelt
spielen für ihn beim Objekt eine Rolle.“65
In der Wahrnehmung zeigt das Ding nur einen Teil seines Potentials, seiner möglichen Seinsweise.66 Was wir
von den Dingen wahrnehmen ist eine potentielle Seinsweise. Im Geist ergänzen wir die Eigenschaften, die es
gerade nicht offenbart. In den Eigenschaften liegt die
Realität des Objektes. Für das Scheinen eines Objektes
in der Wirklichkeit spricht Gernot Böhme von den Ekstasen der Dinge.
Ekstasen
Ekstasen sind die Weisen der Erscheinung des Dinges
in der phänomenalen Wirklichkeit. In seinem ekstatischen Sein, erscheint es in der Wahrnehmung, nicht in
all seinen denkbaren Eigenschaften. Ekstasen erklären
wodurch wir Dinge und Personen wahrnehmen und
ihre Anwesenheit im Raum spüren. Sie beschreiben
die Wirkungen der Dinge, die sie über ihre körperliche
Entität hinaus auf ihre Umgebung ausstrahlen. Und
Atmosphären sind nichts anderes als Ausdruck ihrer
Anwesenheit im Raum.
Am Beispiel der Schönheit lässt sich nachvollziehen,
wie Gernot Böhme dem Objekt das Schöne als Eigenschaft entreißt und die Schönheit lediglich als Weise
seiner Anwesenheit im Raum akzeptiert. „Die Schönheit von etwas ist in diesem Sinn sein hervorleuchtendes Was-sein, seine deutliche Präsenz als es selbst.“67 Ekstasen beschreiben die Weisen aus der ein Ding aus sich
heraustritt.68 Das Rot einer Wand zum Beispiel färbt
über die Wand an der es materiell haftet hinaus einen
ganzen Raum rötlich ein. Der Geruch von Plätzchen
in der Luft beschwören eine vorweihnachtliche Atmosphäre oder die Nachtigall im Grund kündigt mit ihrem Gesang über Kilometer die Dämmerung an.
Farben, Gerüche und Geräusche oder Töne können so
leicht als Ekstasen gedacht werden, weil sie als Äußerungsformen der Dinge wahrgenommen werden.69 In
der klassischen Ding-Ontologie werden sie als sekundäre Qualitäten der Dinge beschrieben, da sie nur in
Bezug auf ein Subjekt existieren und nicht als Eigenschaften der Dinge an sich aufgefasst werden. Aber
auch die primären Qualitäten der Dinge wie Form oder
Gestalt wirken ekstatisch in den Raum hinein. „Die
Form eines Dinges wirkt aber auch nach außen. Sie
strahlt gewissermaßen in die Umgebung hinein, nimmt
dem Raum um das Ding seine Homogenität, erfüllt ihn
mit Spannungen und Bewegungssuggestionen.“70
Erzeugende
Böhme klassifiziert die Ekstasen als Kategorien analog zu den Charaktergruppen der Atmosphären. Damit lassen sich Atmosphären auch auf der Seite ihrer
31
32
Atmosphäre am Werk
Erzeugung am Ding feststellen.71 Böhme findet dafür
den Begriff Erzeugende. Über die Erzeugenden lässt
sich herausfinden wodurch eine Atmosphäre präsent ist.
Sie strahlen etwas aus, dass sich in der Hervorbringung
von Atmosphären artikuliert.
Die Erzeugenden hat Böhme analog zu den Charakteren systematisiert indem er den jeweiligen Charakteren
Gruppen von Erzeugenden zuordnet: Für die Stimmungen nennt Böhme die Szenen als Erzeugende, für die
gesellschaftlichen Charaktere Insignien und Symbole,
für die Bewegungsanmutungen Formen und Volumina,
für die kommunikativen Atmosphären nennt er Gesten,
Mimik und Stimmfärbung sowie die Physiognomie.72
Die Zuordnung im Fall der Synästhesien ist etwa
schwieriger gelagert. Böhme nennt Farben, Töne, Stimmen und Formen, die alle potentiell warm, grell, schwer,
hell etc. wirken können und damit für diese Atmosphären verantwortlich sind. Das sind nur einige Beispiele
für Erzeugende von Synästhesien.73 Eine warme Atmosphäre kann durch unterschiedliche Erzeugende ihre
synästhetische Qualität erhalten, die sich außerdem
überlagern und verstärken können. Erzeugende synästhetischer Atmosphären transzendieren auch andere
Gruppen werden aber primär synästhetisch wahrgenommen. Das gleiche gilt für die meisten Erzeugenden,
die primär einer Charaktergruppe zugeordnet werden
können. Sie können durchaus auch für andere atmosphärische Charaktere mitverantwortlich sein.
13 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 7], S. 29.
14 Ebd., S. 25.
15 Vgl. Ströker, Elisabeth: Philosophische Untersuchungen zum
Raum, 2. Aufl, Frankfurt/Main 1977.
16 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre, in: ARCH+
/178 (2006), S. 42–45; hier: S. 45.
17 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 7], S. 29.
18 Cassirer, Ernst: Mythischer, ästhetischer und theoretischer
Raum, in: Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und
Kulturwissenschaften, hrsg. v. Jörg Dünne/Stephan Günzel,
Frankfurt/Main 2012, S. 485–500; hier: S. 487.
19 Ebd., S. 494.
20 Ebd.
21 Ebd., S. 495.
22 Wagner, Kirsten: Vom Leib zum Raum. Aspekte
der Raumdiskussion in der Architektur aus
kulturwissenschaftlicher Perspektive, in: Gebaute Räume.
Zur kulturellen Formung von Architektur und Stadt.
Wolkenkuckucksheim. Internationale Zeitschrift für Theorie
und Wissenschaft der Architektur, 9/16 (2004), Internet:
http://www.cloud- cuckoo.net/openarchive/wolke/deu/
Themen/041/Wagner/wagner.htm, Stand: 24.8.2015.
23 Böhme, Gernot: Architektur [wie Anm. 16], S. 44.
24 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre, 2. korrigierte
Aufl. 2013, München 2006, S. 16.
25 Ebd.
26 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre [wie Anm. 12],
S. 110.
27 Böhme, Gernot: Architektur [wie Anm. 16], S. 45.
28 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre [wie Anm. 12],
1 Zumthor, Peter: Atmosphären. Architektonische
Umgebungen. Die Dinge um mich herum, Basel 2006, S. 30.
2 Sörgel, Herman: Einführung in die Architektur-Ästhetik.
S. 49.
29 Ebd., S. 32.
30 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 10], S. 46.
Prolegomena zu einer Theorie der Baukunst, München 1918, S.
31 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 7], S. 48.
69.
32 Ebd., S. 33.
3 Baudrillard, Jean: Architektur. Wahrheit oder Radikalität?,
Graz 1999, S. 11.
4 Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie, Frankfurt/Main
1970, S. 122.
33 Ebd., S. 48.
34 Ebd., S. 34.
35 Ebd., S. 29.
36 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 10], S. 59–60.
5 Ebd., S. 122–123.
37 Ebd., S. 62.
6 Vgl. Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner
38 Ebd.
technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt/Main 2012.
7 Böhme, Gernot: Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik,
Frankfurt/Main 1995, S. 25.
8 Ebd., S. 34.
9 Zit. nach: Beyme, Klaus von: Das Zeitalter der Avantgarden.
Kunst und Gesellschaft 1905-1955, München 2005, S. 621.
10 Böhme, Gernot: Aisthetik. Vorlesungen über Ästhetik als
allgemeine Wahrnehmungslehre, München 2001, S. 31–32.
39 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 7], S. 39.
40 Ebd., S. 187.
41 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre [wie Anm. 12],
S. 110.
42 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 7], S. 31.
43 Ebd.
44 K amper, Dietmar: Körper, in: Ästhetische Grundbegriffe.
Harmonie-Material, hrsg. v. Karlheinz Barck/Martin Fontius/
11 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 7], S. 16.
Dieter Schlenstedt/u. a., Dritter Bd., Stuttgart/ Weimar 2001,
12 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre, 2. korrigierte
S. 426–449; hier: S. 426.
Aufl. 2013, München 2006, S. 25.
45 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 10], S. 77.
III Ästhetischer Raum und Atmosphäre
46 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 7], S. 30.
47 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 10], S. 81–82.
48 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre [wie Anm. 12],
S. 36.
49 Ebd.
50 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 10], S. 99.
51 Ebd., S. 87.
52 Böhme, Gernot: Architektur [wie Anm. 16], S. 45.
53 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 10], S. 47–48.
54 Ebd., S. 51–52.
55 Ebd., S. 87.
56 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre [wie Anm. 12],
S. 50.
57 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 10], S. 89–90.
58 Böhme, Gernot: Synästhesien im Rahmen einer
Phänomenologie der Wahrnehmung, in: Synästhesie. Leib –
Raum / Architektur. Wolkenkuckucksheim. Internationale
Zeitschrift für Theorie der Architektur 18/31 (2013),
Internet: http://cloud-cuckoo.net/fileadmin/hefte_de/
heft_31/artikel_boehme.pdf , Stand: 15.01.2016, S. 21–35;
hier: S. 29.
59 Ebd., S. 28.
60 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre [wie Anm. 12],
S. 50.
61 Böhme, Gernot: Architektur [wie Anm. 16], S. 44.
62 Ebd., S. 45.
63 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 10], S. 102.
64 Ebd., S. 42.
65 Sörgel, Herman: Einführung in die Architektur-Ästhetik [wie
Anm. 2], S. 69.
66 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 10], S. 163.
67 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre [wie Anm. 12],
S. 21.
68 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 7], S. 32–33.
69 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 10], S. 140.
70 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 7], S. 33.
71 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 10], S. 52.
72 Ebd., S. 102–103.
73 Böhme, Gernot: Synästhesien [wie Anm. 58], S. 23.
33
34
Atmosphäre am Werk
IV
IV Ästhetische Arbeit und Architektur
Ästhetische
Arbeit
und
Architektur
Hermann Schmitz‘ Phänomenologie und Leibphilosophie ist in definitorischer und erkenntnistheoretischer
Hinsicht Grundlage für Böhmes Theorie einer neuen
Ästhetik. Jedoch in einem wesentlichen Punkt weicht
Böhme von Schmitz ab. Indem Schmitz das grundlegende Phänomen der Atmosphäre von den Dingen löst
negiert er die Möglichkeit zur Atmosphäreproduktion.
„Im Unterschied zum Ansatz von Schmitz werden […]
die Atmosphären nicht freischwebend gedacht, sondern gerade umgekehrt als etwas, das von den Dingen,
von Menschen oder deren Konstellationen ausgeht und
geschaffen wird.“1 Die neue Ästhetik ist also nicht nur
Rezeptionsästhetik im Sinne einer allgemeinen Theorie
der Wahrnehmung sondern ebenso Produktionsästhetik. Aus der Perspektive der Produzierenden ist sie eine
allgemeine Theorie ästhetischer Arbeit. Ihre Aufgabe
ist die Produktion von Atmosphären.2
Böhme erinnert an die moralische Dimension ästhetischer Arbeit. Für Architektur und Design existiert für
ihn eine Pflicht gegenüber der humanen Gestaltung der
Welt in der wir leben.3 Architektur als ästhetische Arbeit ist sowohl der Erzeugungs- als auch der Wirkungsebene von Atmosphären verpflichtet.
Auf der Erzeugungsseite erwächst ihr eine Verantwortung gegenüber den Dingen. Sie bezieht sich auf
die Anerkennung und das Bewusstsein für das Ekstatisch-sein der Dinge.4 Zumthor fragt: „Wie kann man
solche Dinge entwerfen, die eine derart schöne, selbstverständliche Präsenz haben, die mich immer wieder
berührt?“ und antwortet selbst: „Ein Begriff dafür ist
die Atmosphäre.“5 Architektur muss den Dingen als Erzeugende entsprechen, die an der Hervorbringung von
atmosphärischer Wirklichkeit beteiligt sind.
Auf der Wirkungsseite existiert eine Verantwortung
gegenüber dem Menschen. Diese Verantwortung gründet auf der von Paul Valéry (1871-1945) formulierten
Erkenntnis, dass „neben der Musik die Architektur eine
von zwei Künsten ist, die den Menschen in den Menschen einschließt.“6 Architektur und die gebaute Welt
als Ganze ist für den Menschen eine Totalität, der er
sich nicht entziehen kann. Sich in einem Gebäude befinden heißt ihm leiblich ausgesetzt sein, seiner Räumlichkeit und seiner atmosphärischen Wirkmacht. Peter
Sloterdijk (geb. 1947) schlussfolgert daraus: „Zur Ethik
der Raumerzeugung gehört die Verantwortung für die
Atmosphäre“7. Architektur muss dem Menschen als
leiblich-sinnliches Wesen entsprechen.
Zumthor fügt dem eine dritte Ebene hinzu und spricht
von der Verantwortung gegenüber der Erde. Jedes
Bauwerk trotzt der Erdoberfläche einen Teil unwiederbringlich ab. Architekten verändern den Ort und
schaffen eine neue Welt, indem sie „[…] ein Stück aus
der Weltkugel herausnehmen und in eine kleine Kiste
bauen.“8 Plötzlich ist ein Innen und ein Außen oder
auch ein Öffentlich und ein Privat definiert. Die Architektur macht sich gewissermaßen schuldig an der Erde.
Architektur ist also immer ein Eingriff in die gegebene
Ordnung und die existierende atmosphärische Setzung.
Um der Verantwortung als Architekt gerecht zu werden, appelliert Böhme an die Notwendigkeit zur Herausbildung von Atmosphärekompetenz.9 Die ästhetische Erziehung der Architekten muss die Schärfung des
Wissens um die Atmosphären, ihre Erzeugung und ihre
Wirkung, umfassen: „Man muß lernen Atmosphären
wahrzunehmen [und] man muß lernen Atmosphären
zu gestalten.“10
35
36
Atmosphäre am Werk
Worauf es bei der Wahrnehmung von Atmosphären
u.a. ankommt, hat Hermann Sörgel beschrieben. Danach interessiert den Ästhetiker vordergründig: „wie
das Haus aussieht, wie es in geringerer oder größerer
Entfernung, bei hellerer oder dunklerer Beleuchtung,
bei dieser oder jener Belebung, Stimmung und Ausschmückung erscheint. Für den ästhetischen Betrachter ist ferner wichtig, daß er für diese Erscheinungen
aufnahmefähig ist, daß er dazu aufgelegt ist, daß seine
Wahrnehmung eine wache, auffassende, aufmerksame
ist und nicht durch Vorurteile und störende Einwirkungen getrübt wird.“11
Für die Gestaltung von Atmosphären existiert ein unerschöpfliches Wissen bei den ästhetischen Arbeitern,
zu denen Böhme auch die Architekten zählt. Wildermuth spricht von „praktischer Vernunft.“ Er meint
die Vernunft, die in der Alltagspraxis von Individuen
tagtäglich vollzogen wird, indem sie Entscheidungen
treffen und damit Ästhetisches verwirklichen.12 Böhme
schlussfolgert: „Diese Leute […] wissen ja von der Praxis her, wie man Atmosphären herstellt und was man
mit ihnen bewirken kann, denn sie wollen ja Befindlichkeiten erzeugen.“13
Beide Perspektiven – jene des Architekten als ästhetischen Praktiker und jene der wahrnehmenden Ästhetikerin – sind in der folgenden Untersuchung einbezogen und erhellen die Atmosphärewirklichkeit eines
Bauwerks des Architekturkanons, der Therme in Vals
von Peter Zumthor.
1 Peter Zumthors Therme in Vals
Wenn der Begriff der Atmosphäre im architektonischen
Diskurs fällt, schließt sich der Verweis auf ein Bauwerk
meist unmittelbar an: Die Therme in Vals von dem
schweizer Architekten Peter Zumthor. Auch für diese
Arbeit wird diese Ikone als gebautes Beispiel zitiert mit
dem Ziel die neue Ästhetik von Gernot Böhme an der
gebauten Wirklichkeit nachzuvollziehen.
Die Therme ging aus einem Wettbewerb hervor, den
die Gemeinde Vals als Eigentümerin des Grundstücks
1986 auslobte. Die Gemeinde hatte das Kurhotel 1983
erworben und plante den Abriss und Neubau des zu
klein gewordenen Thermalbereichs, welcher 1968 dort
errichtet wurde. Der Graubündner Architekt Peter
Zumthor entwarf, plante und realisierte schließlich das
Projekt. 1996 wurde die Felsen-Therme eröffnet. Seit
1998 ist das Bauwerk in den Architekturkanon aufgenommen und unter Denkmalschutz gestellt.
Die Planung der Therme ist von einer grundsätzlichen Frage Zumthors an die Architektur geleitet:
„Kann ich als Architekt auch das entwerfen, was eine
architektonische Atmosphäre wirklich ausmacht, diese
einmalige Dichte und Stimmung, dieses Gefühl von
Gegenwart, Wohlbefinden, Stimmigkeit, Schönheit?
Lässt sich das entwerfen (…)?“14
Im folgenden wird das Bauwerk15 mit den Begriffen
der neuen Ästhetik von Gernot Böhme analysiert.
Dies geschieht in der Unterscheidung von Ding und
Leib als die zwei Pole der Betrachtung – die Dinge als
Erzeugende und der Leib als Wahrnehmender von Atmosphären. Für die Argumentation dient das Gebäude
auf der Erzeugungsseite und ich selbst als Wahrnehmende auf der Wahrnehmungsseite als Quelle. Beide
Perspektiven werden argumentativ mit dem Praxiswissen Peter Zumthors gestützt, welches u.a. in den Veröffentlichungen „Atmosphären“16 und „Architektur
Denken“17 niedergeschrieben ist. Die analytische Trennung in Objekt- und Subjekt-Pol bezieht sich direkt auf
Gernot Böhme und hat zum Ziel die Ko-Präsenz als
Existenzbedingung von Atmosphären am Bauwerk zu
verdeutlichen und einzelne Atmosphären zu verorten
und zu benennen.
2Dinge
Der Ausgangspunkt für die Entwurfsarbeit von Peter
Zumthor sind die Dinge. Seine Architektur ist von einer Leidenschaft für die Wirklichkeit, für die reale Präsenz der Dinge geprägt. Auch Böhme konstatiert:„die
ästhetische Arbeit bleibt eine Arbeit am Ding.“18 Sein
Begriff von den Ekstasen, also die artikulierte Anwesenheit der Dinge im Raum, findet seine Äquivalenz
in Zumthors Entwurfspraxis. Letztere spricht von der
selbstverständlichen Präsenz der Dinge in der Welt, die
uns berührt und verwendet für dieses Phänomen den
Atmosphärebegriff.19
Zumthor zitiert Martin Heidegger, wenn er schreibt
„Der Aufenthalt bei den Dingen ist Grundzug des
Menschseins.“20 Seine Aspirationen als Architekt liegen
in diesem Satz begründet und der Frage, wie es möglich
ist „eine Architektur zu entwickeln, die von den Dingen
ausgeht und zu den Dingen zurückkehrt.“21 Er versucht
dabei „die Dinge um uns herum“ in ihrem Wesen zu
verstehen und sie ihrer „Eigengesetzlichkeit“22 entsprechend zu gebrauchen. Dazu gehört die Anerkennung
der ästhetischen Dimension der Dinge. Böhme gibt
hier den Begriff der „Erzeugenden“ vor, die bestimmte
atmosphärische Charaktere hervorbringen, prägen und
bestimmen und sich im eigenleiblichen Spüren manifestieren. Er fasst das ekstatisch sein als wesentliche
Eigenschaft der Dinge auf. Für Böhme und Zumthor
sind die Ekstasen der Dinge in der Natur wahrnehmbar
und beobachtbar. Das Atmosphärische ist Ausdruck
IV Ästhetische Arbeit und Architektur
und Teil ihres Daseins. Im Entwurf gilt es die Dinge in
ihrer natürlichen Präsenz zu inszenieren oder in dem
Gemachten diese besondere Präsenz hervorzubringen.
Die Arbeit an den Dingen ist also auch ästhetische Arbeit. Zumthor schlussfolgert, „dass es eine handwerkliche Seite gibt, um diese Aufgabe anzugehen, nämlich
(architektonische) Atmosphären zu schaffen.“23 Vorbilder findet er in der Natur und der gewachsenen Umgebung.24 Er spricht von wahren Dingen und führt beispielhaft Erde, Wasser, das Licht der Sonne, Landschaft
und Vegetation an.25
Die konkreten Dinge, die den Entwurf für die Therme
in Vals bestimmt haben, sind Berg, Stein und Wasser.26
Zumthor ging es darum, die innere Logik, die Eigengesetzlichkeit dieser Dinge aufzuspüren oder mit Böhme
gesprochen, ihre Potentialität und ihr Ekstatisch-Sein
zu erkennen. Hieraus leitet Zumthor Entwurfsentscheidungen ab und zwingt nicht umgekehrt den Dingen eine abstrakte Entwurfsidee auf.
Die Dinge werden als Erzeugende von Atmosphären
betrachtet. Es werden der Ort in seiner Physiognomie,
die Materialien in ihrer Beschaffenheit, Farbigkeit, Resonanzfähigkeit, Speicherfähigkeit etc., die Konstruktion in ihrer Ermöglichung von weiten und engen, hohen und niedrigen Räumen und Formen und Volumina
in ihrer Gestalt betrachtet.
Zumthor vermeidet Zeichen und Symbole die für etwas anderes stehen, als sie selbst sind und anzeigen. Der
Berg ist der Berg, das Wasser ist das Wasser, das Licht
ist das Licht und will auf nichts anderes hinweisen.
Zumthor sucht als Architekt nach dem Wesentlichen
der Dinge. Sein Anspruch ist die Dinge zu sich selbst
zu bringen. Am Ende des Schaffensprozess muss es heißen: „Die Dinge sind dann zu sich gekommen, sind bei
sich. Weil sie dann das sind, was sie sein wollen.“27
Ort: Berg, Quelle
Mit Böhme kann man von der Physiognomie des Ortes sprechen, in welche die Therme eingreift, auf sie reagiert, einwirkt und sie verändert. Auf welche Art und
Weise das Gebäude mit dem Ort kommuniziert beeinflusst die verspürte Atmosphäre, nach Norberg-Schulz
den Genius Loci des Ortes28 . Böhme spricht hier von
einer kommunikativen Atmosphäre und bezieht sich
zum einen auf die zwischenmenschliche Kommunikation, die Mimik und Gestik, schließt aber ebenso die
Physiognomie der Landschaft ein. Zumthor fragt: „Was
will dieses Haus sein, für seinen Ort in der Nebenstraße
der Stadt, in der Vorstadt, in der geschundenen Landschaft, am Hügel vor den Buchen, in der Anflugschneise, im Licht des Sees, im Schatten des Waldes?“29 Oder
am Hang der schroffen Valser Berge in 1252m Höhe,
am Ort der St. Petersquelle, die 30°C warm aus dem
Bergmassiv hervortritt, in der Nachbarschaft der Hotelanlage, nahe dem Valser Rhein, der zum Quellgebiet
des Rheins zählt und durch den abgeschlossenen Talkessel des Graubündner Dorfes fließt.
Der Berg ist das Wasser, das enge Tal, der frisch gefallene Schnee, die Kiefer, die Gamsen, das Licht, welches
sich an den Felswänden bricht oder im Schnee glitzert,
das Braunkehlchen, die Alpweiden auf denen Kühe grasen, Enzian und Schneehase, Erosion, Kargheit, Geröll,
Straßen und Brücken, Hohlraum und Kamm, Gneis,
Granit, Stein, Gletscher, Steinbruch, Bauernhäuser
und Alphütten, Pässe und Tunnel, Wege und Pfade.
Der Auftrag für den Neubau der Therme in dem Graubündner Ort Vals schreibt 1996 die Gemeindegeschichte des Ortes fort. Bereits 1893 entstand ein bescheidenes Kurhaus an der St. Petersquelle im Valsertal.
Das Bad als Programm hat eine historische Kontinuität
und ist in der Gemeindegeschichte verwurzelt. Die Bewohnerschaft votierte für einen Neubau in unmittelbarer Nähe des ansässigen Hotels.
Anders als die großen Städte die in ihrem Wesen
menschliche Landschaften sind, geht das Dorf eine
andere Liaison mit seiner natürlichen Umgebung ein.
Orte wie Vals, die in den Berg gebaut sind, sind gezeichnet von einem mühsamen Verhältnis zwischen Mensch
und Natur. Dem Berg ist nicht ohne weiteres Land abzutrotzen. Er stellt sich mit einer anderen Gewalt dem
Menschen entgegen als ein Wald oder Weiher. Das
Abarbeiten an dem Berg ist eine andere Praxis. Daher
ist er das erste Ding und primäre Material in Zumthors
Entwurf. Ziel ist es ein Gebäude zu entwerfen, dass auf
„selbstverständliche Weise mit der Gestalt und Geschichte“30 des Ortes verwächst, dort seinen Platz findet und dem Genius Loci gerecht wird. Ihn fasziniert,
wie die historischen Bauernhäuser und Alphütten „fest
im Boden verankert zu sein“31 scheinen.
Zumthor trotzt dem Berg ein Stück seiner Physis unwiederbringlich ab um an seiner Statt die Therme entstehen zu lassen. Er baut in den Berg hinein, aus dem
Berg hinaus, mit dem Stein des Berges. So trägt er etwas von der gewaltigen, erhabenen, erhebenden und
schützenden Atmosphäre des Berges in das Gebäude
hinein. Wie der Berg unzählige Geheimnisse birgt,
Höhlen und Spalten, Minerale und Quellwasser, hält
er nun eines mehr. So ist der Therme die geheimnisvolle Atmosphäre ebenso eigen wie dem Ort. Nur ein
Teil ist sichtbar und auch dieser duckt sich in der Nachbarschaft der Hotelanlage und Wohnbebauung. Der
andere Teil verschwindet gänzlich in dem Massiv. Das
Gebäude verkeilt sich spürbar im Berg und sagt „ich
gehöre hier hin“. Es sagt aber auch, „ich bin hier und
37
38
Atmosphäre am Werk
jetzt.“ Zumthor stellt den Ortsbezug nicht über einen
Baustil her sondern übersetzt seine Ideen zur Therme
in einen zeitgenössischen Bau, der ohne gebaute Referenz auskommt. So wie er Berg und Neubau in einen
Zusammenhang stellt, versucht er kein Höhlensystem
zu imitieren sondern entwirft eine klare Raumstruktur
mit präziser Setzung. Ihr liegt das Aushöhlen als Bild
zugrunde, wie das Wasser über Jahrtausende den Berg
aushöhlte. Das Raumgefüge gleicht einem porösen
Stein. An der Fassade welche sich dem Tal zuwendet,
lässt sich dieser Gedanke nachvollziehen. Große und
kleine Öffnungen zeigen die Porosität in dem sonst
monolithischen Block an.
Der Eingriff in den Kontext verlangt dem Neuen eine
Lesart ab, die in ein Spannungsverhältnis mit dem
Alten tritt. Die neuen Dinge verändern die alte Ordnung, vermögen diese aber zu komplettieren. „Mit
jedem neuen Bauwerk wird in eine bestimmte historische Situation eingegriffen. Für die Qualität dieses
Eingriffes ist es entscheidend, ob es gelingt, das Neue
mit Eigenschaften auszustatten, die in ein sinnstiftendes Spannungsverhältnis mit dem schon Dagewesenen
treten.“32 Und Zumthor schreibt weiter: „wenn ich in
der Landschaft baue, liegt mir daran, die Materialien,
mit denen ich baue, auf die historisch gewachsene landschaftliche Substanz abzustimmen. Die Stofflichkeit
des Gebauten muss mit der Stofflichkeit der Gegend
zusammenspielen.“33
Material: Stein, Wasser, Licht
Der Entwurf konzentriert sich auf einen materiellen
Dreiklang aus Stein, Wasser und Licht. Zumthor achtet
bei der Komposition der Materialien im wahrsten Sinn
darauf, ob sie zusammen klingen.34 „Dichte, Masse
oder Glanz“35 der Dinge gehen in die Komposition mit
ein. Ziel ist die den Materialien „eigenen sinnlichen
und sinnstiftenden Eigenschaften in einem neuen Licht
erscheinen (zu) lassen, Materialien zum Strahlen (zu)
bringen.“36 Der Architekt denkt mit Böhme gesprochen
die Materialien in ihren Ekstasen, also ihrer Wirkung
und nicht ausschließlich in ihren Eigenschaften. Das
unerschöpfliche ekstatische Potential von Stein, Wasser
und Licht kombiniert Zumthor um unterschiedliche
räumliche Situationen zu schaffen.
In der Therme sind große Mengen Valser Gneisplatten verbaut, die einen Kilometer taleinwärts in einem
Steinbruch abgebaut wurden. Der Stein wird per Baugesetz als traditionelle Dachbedeckung in der Region
vorgeschrieben und eingesetzt. Den schweren, harten,
kalten Stein verbindet er mit dem Wasser aus der St. Petersquelle. Der Stein ist Becken, Fußboden, Wand, Liegefläche, Treppe, Sitzfläche, Trennwand. Das Wasser ist
Dusche, Bad, Schwimmbecken, Tauchbecken, Trinkquelle und das Licht leitet, wärmt, inszeniert und bietet
Orientierung. Der massive Stein, das fließende Wasser
und das flüchtige Sonnenlicht sind Materialisierungen ungleicher Dynamiken im Raum: mal ruhend und
tragend, mal mäandernd und treibend, mal rasch und
vergänglich.
Die Dinge konkurrieren nicht miteinander, sie überlagern sich nicht sondern bergen einander, umspielen
sich, inszenieren einander, wärmen und kühlen sich.
Das Wasser bricht das Licht in unzähligen blaugrünen
Schattierungen, reflektiert die Umgebung, es streut
das Licht blau zurück in den Raum, färbt ihn ein. Der
Stein hält das weiche Wasser, leitet es, reflektiert seinen
Klang, reflektiert das Licht und absorbiert es, speichert
die Wärme und gibt sie zurück, wirft Schatten, absorbiert Geräusche und verstärkt Töne. Der Stein, glatt
und schroff, erscheint im Lichtspiel mal in warmen
grünen, mal in dunklen grauen Nuancen. Zumthor arbeitet mit den diversen Modalitäten der verwendeten
Materialien und inszeniert die unterschiedlichen Spielarten ihres Ekstatisch-Seins. Sie prägen so wesentlich
die synästhetischen Grundstimmungen der Räume.
Ihr Zusammenklang bestimmt die synästhetische Erfahrung, die sich mir als Gefühl im leiblichen Spüren
offenbart.37
Konstruktion: Massivbau
Die Materialien hängen im wahren Wortsinn an der
Konstruktion. Die Dinge erhalten innerhalb der konstruktiven Logik ihren sinnvollen Platz. Zumthor
beschreibt die Arbeit an Tragwerk und Baukonstruktion als „Kunst des Fügens“38 . Und weiter: „Im Akt
des Konstruierens liegt für mich der eigentliche Kern
jeder architektonischen Aufgabe.“39 Das Konstruieren
bedeutet Kräfte kalkulieren, bändigen, ableiten, aushalten lassen und tragen, stützen, halten, Reibung und
Spannung. Es sind atmosphärische Momente, die als
Bewegungsanmutungen leiblich empfunden werden:
das schwere, schützende Dach, die tragenden, ruhenden Blöcke, der weite fließende Raum.
Die konstruktive Logik der Therme hat in der örtlichen
Bauwirtschaft inzwischen den Namen Valser Verbundmauerwerk. Konstruktives Vorbild sind die Stützmauern alter lokaler Bergstraßen. Steinformate und Mauerwerksbild wurden speziell für das Gebäude entwickelt.40
„Steinschicht lagert über Steinschicht“ ist das ordnende Prinzip: „Gehflächen, Beckenböden, Decken, Treppen, Steinbänke, Türöffnungen - alles entwickelt sich
aus demselben durchgehenden Schichtungsprinzip.“41
Auf den aus Stein geschichteten Quadern lagern die
Deckenplatten aus Stahlbeton. Zumthor vergleicht die
IV Ästhetische Arbeit und Architektur
weit auskragenden Decken auf den Steinblöcken mit
dem Bild von Tischen. Die Stöße der Stahlbetondecken sind an einigen Stellen als Lichtfugen ausgeführt.
Es gibt nur wenige Ausbaudetails. Damit gleicht der
Rohbau im wesentlichen bereits dem fertigen Bauwerk.
Von der Konstruktion geht eine Ursprünlichkeit aus,
die nichts Anhängendes hat. Zumthor wird dem Granit konstruktiv in seiner Potenz als Werkstoff gerecht.
Im Mauerwerk kommt der auf Druck beanspruchbare
Stein zum Tragen. Konstruktion, Raum und Form verbinden sich zu einem architektonischen Prinzip. Die
ästhetische Relevanz der konstruktiven Entscheidung
liegt darin, dass sie nicht täuscht. Das Gebäude liegt als
Rohbau unverborgen und offen.
Form
„Ich beobachte an mir eine ausgeprägte Empfindlichkeit für den Zusammenhang zwischen Ort, Material
und Konstruktion.“42 Die Komposition der drei Bereiche zu einem Ganzen begreift Zumthor als Körper
der Architektur. Allerdings weist er vehement darauf
hin, dass der Körper-Begriff nicht im Sinne einer Analogie zum menschlichen Körper zu verstehen ist. „Der
Körper! Nicht die Idee des Körpers – der Körper! Der
mich berühren kann.“43 Das Geheimnis des architektonischen Körpers, seiner Anatomie, liegt in den Werkplänen verborgen. Sie offenbaren die Kunst des Fügens, die daraus erwachsenen Spannungen, Reibungen
und Kräfteverhältnisse. So hat Zumthor eine gewisse
Liebe und Leidenschaft für diese Art der Darstellung
entwickelt.44
Zu den drei genannten Parametern des Entwerfens fügt
sich nun noch eine letzte: die Form. Im Entwurfsprozess steht sie für Zumthor am Ende, wenn Ort, Material und Konstruktion bereits gefügt sind. Dann stellt er
sich die Frage: Ist diese Form schön? Zumthor spricht
von einer Leidenschaft für die Form. Im Entwurf ist sie
das letzte Maß: „Das heißt (…) mein letztes Ziel ist vermutlich: Die schöne Gestalt“45 .
Im Fall der Therme schloss sich die Formfindung erst
an, als für „die Fragen an den Ort, das Material und die
Bauaufgabe“ Antworten gefunden waren. Dann erst
entstanden „nach und nach Strukturen und Räume“46 ,
über die der Architekt selbst überrascht war und über
die er sagt, „dass sie das Potenzial einer ursprünglichen
Kraft haben, die hinter das Arrangieren von stilistisch
vorgefertigten Formen zurückreicht.“47
Am Ende befragt er sich selbst, ob die so entstandene
Form eine ist, „die ich als schön empfinde.“48 Er fragt
ob es Formen sind, die er verstehen und lesen kann.
Hier geht es darum Formalismus zu vermeiden. Ziel ist,
dass das formale Verständnis aus dem Gebrauch heraus
erwächst.
Die bestimmenden Parameter, die zu der architektonischen Form der Therme führten, sind jene von Masse
und Volumen. Dimensionierung und Setzung gründen
im Gebrauch. Einige äußere Zwänge haben außerdem
die Gebäudeform beeinflusst. Der Entwurf sollte die
Grundmauern des alten Thermalbades einbeziehen
und darauf achten den Hotelzimmern nicht die Sicht
zu nehmen.
Die formale Klarheit der einfachen Körper ermöglichen einen grundsätzlich ästhetischen Zugang. Die
Frage: „Was will der Architekt uns sagen?“ stellt sich an
dieser Stelle nicht.
Symbole
Zumthor glaubt, unsere Wahrnehmung „[...] liegt jenseits der Zeichen und Symbole.“49 Die Ansicht teilt er
mit Gernot Böhmes Wahrnehmungstheorie. Konsequenterweise hat der Architekt in der Therme fast vollständig auf Zeichen und Symbole verzichtet. Ihm geht
es um das leibliche Spüren und Erfahren und nicht um
Kognition und Denkprozesse. Dinge, deren Sinn sich
nicht phänomenologisch erschließt, hat Zumthor weitestgehend eliminiert. Dazu zählen Hinweisschilder,
Bezeichnungen, Bilder, Vermittler, etc. Die wenigen
Uhren hat er in Messingpfosten versteckt.
3Leib
Böhme selbst gibt diese Vorgehensweise vor und sagt:
„Wenn es wahr ist, dass Architektur Räume gestaltet,
so muss man, um sie zu beurteilen, sich in diese Räume
hineinbegeben. Man muß leiblich anwesend sein.“50
Die architektonische Entscheidung für eine bestimmte
Form oder Materialkombination basiert auf der antizipierten Wirkung der Dinge auf das menschliche Befinden.51 Zumthor spricht von „Alchemie“ und meint
die „Verwandlung von realen Substanzen in menschliche Empfindungen (…) im architektonischen Raum“52
Der Mensch in seiner Wahrnehmung und Leiblichkeit
steht zu den Dingen in der Architektur in einem komplementären Verhältnis. Die Präsenz der Dinge und die
emotionale Wahrnehmung des Menschen sind isotrope
Kennzeichen des atmosphärischen Ereignisses.
Die leibliche Wahrnehmung, wie sie von Böhme als Atmosphärewahrnehmung definiert wird, korrespondiert
mit den Vorstellungen von Zumthor und seiner architektonischen Praxis. Die emotionale Wahrnehmung,
wie Zumthor es nennt, also das Befinden im Raum und
die Affektion definiert er als essentiellen Bestandteil des
Menschseins.53 Damit ist Atmosphärewahrnehmung
ein grundsätzliches Parameter seiner Entwurfsarbeit.
39
40
Atmosphäre am Werk
Er kritisiert die semiotischen Theorien, die menschliche Wahrnehmung auf Zeichen und Symbole reduzieren. Die dahinter liegende Programmatik beschreibt
er wie folgt: „Gute Architektur sollte den Menschen
aufnehmen, ihn erleben und wohnen lassen, nicht ihn
beschwatzen.“54
Für Zumthor steht Architektur „ […] in einer besonders körperlichen Verbindung mit dem Leben. In meiner Vorstellung ist sie zunächst weder Botschaft noch
Zeichen, sondern Hülle und Hintergrund des vorbeiziehenden Lebens, ein sensibles Gefäss für den Rhythmus der Schritte auf dem Boden, für die Konzentration der Arbeit, für die Stille des Schlafs.“55 Was er hier
aufruft sind Situationen der Ko-Präsenz, welche der
Mensch als subjektiver Pol der Atmosphäre-Wirklichkeit und die Architektur als objektiver Pol konstituieren. Dazwischen spannt sich der ästhetische Raum.
Wie Zumthor andeutet, ist die Architektur wie ein Gefäß, als Vorbedingung da. Der Mensch aber löst seine
räumliche Bestimmung mittels leiblicher Anwesenheit
erst ein.
In dem Entwurf der Therme erlebt der Badegast durch
die Architektur vor allem sich selbst, seine leibliche
Anwesenheit im Raum. Zumthor entkleidet und bringt
ihn zu sich selbst, ein Anspruch, den er gleichfalls gegenüber den Dingen stellt. Damit ist dieser Entwurf
eine präzise Übersetzung von Gernot Böhmes neuer
Ästhetik in die Praxis. Die Leiberfahrung im Bade; das
Spüren, Riechen, Fühlen, Horchen, Hören, Schmecken,
Schnuppern, Tasten, Berühren, Wärmen, Schauen,
Entspannen ist der Architektur inbegriffen. Formen,
Materialien, Licht, Farben, Raumfolgen, Temperaturen
sind auf den spürenden Menschen abgestimmt.
Die Atmosphäre-Charaktere werden unter Berücksichtigung der Kategorien von Böhme betrachtet. In der
Wahrnehmung treten vor allem die Bewegungsanmutungen, Synästhesien und seltener Stimmungen hervor.
Auf gesellschaftliche Charaktere die sich als Zeichen
und Insignien vermitteln, hat Zumthor bewusst im
Entwurf verzichtet. Auch kommunikative Charaktere
treten in dem Bauwerk in den Hintergrund.
Es schließt sich hier ein Teil mit Wahrnehmungseindrücken an, welcher im wesentlichen der räumlichen
Choreographie des Gebäudes folgt. Die choreographische Ebene strukturiert auch die Erfahrungen als
Badegast, die mit Eintauchen, Abtauchen und Auftauchen überschrieben sind. Aus der Leibperspektive werden einzelne Atmosphären identifiziert, benannt und
beschrieben.
Eintauchen
Schleuse — Der unscheinbare Zugang zur Therme liegt
unter der Auffahrt des Hoteleingangs. Der leuchtende
Schriftzug „7132 Therme“ verweist auf den Eingang
über die Glasflügeltüren, der in eine Art Schleuse führt.
Eingangssituationen und physische Raumabschlüsse
sind prototypische Ingressionserfahrungen. Die Diskrepanz zwischen Innen und Außen ist deutlich spürbar: hell-dunkel, warm-kalt, weit-eng. Der Gang inszeniert den Weg ins Berginnere. Wie in einen Stollen
steigt man hinab in die Dunkelheit. Die Augen haben
Mühe sich an die Umgebung zu gewöhnen. Die Schleuse absorbiert das einfallende Licht.
Empfang — Der Gang weitet sich zu einem Empfangsbereich. Der kleine Raum ist diffus ausgeleuchtet,
dunkle Wände, ein kleiner Tresen, dahinter das Drehkreuz. Der quadratische Raum bringt die Bewegung
an diesem Ort zur Ruhe. Man ist angekommen. [Bewegungsanmutung] Eine Frau sitzt hinter dem Tresen
aus dunklem Holz und nimmt die vereinzelten Gäste in
Empfang.56 Gegenüber stehen zwei Sessel zum Ausruhen nach dem Anstieg über einen Pfad aus Betonplatten. Hier wird eine freundliche und intime Empfangsstimmung [Stimmung] inszeniert und hergestellt, eine
Atmosphäre des Willkommens und Aufnehmens. Das
Drehkreuz ist eines der wenigen Objekte, das durch
seine Ein- und Abgrenzungssymbolik zeichenhaft und
handlungsweisend ist.
Korridor — Mit Verlassen der Transitzone fluchtet der Blick auf das Ende des langen Korridors. Der
enge Raum drängt in seiner Gerichtetheit vorwärts,
die Schritte beschleunigen sich. [Bewegungsanmutung] Die räumliche Qualität des Korridors liegt in
der leiblichen Vermittlung des kühlen Berginneren
[Synästhesie]: das niederprasselnde Wasser, die feuchte
Umgebung, eisenhaltige Luft, das kühle Raumklima,
die kalte Oberfläche von Betondecke und -außenwand
zur Rechten und der Steinwand zur Linken, das Echo,
welches Wände, Boden und Decke zurückwerfen. Aus
der Wand rinnt Quellwasser und hinterlässt orangerote
Oxydationsspuren am Beton. Links flankiert eine Mauerwerkswand aus Valser Gneisstein den Weg. Die Einfassung des Thermalbereiches zur Linken materialisiert
das Versprechen auf das Innere des Baukörpers, den
Thermalbereich. Thermengeräusche dringen bereits gedämpft durch.
Umkleide — Von dem Korridor aus betritt man linker
Hand den Umkleideraum. Man betritt einen der tragenden Blöcke des Gebäudes. Die Raum wirkt in Kontrast zum Korridor quadratisch, gleichmäßig und überschaubar, weder eng noch weit [Bewegungsanmutung].
Der Divan aus braunem Leder zentriert den Raum.
Die warme Atmosphäre [Synästhesie] des Raumes
wird als Ingressionserfahrung gespürt. Sie steht im
IV Ästhetische Arbeit und Architektur
Gegensatz zu der Kühle des Korridors. Die warme
Lichtfärbung und angenehm temperierte Luft, das
Mahagoni der Spinde und Kabinen, welches rötlich in
den Raum strahlt, sendet Wärme aus und inszeniert
Geborgenheit [Stimmung]. Die Szene erinnert an den
dunklen, bergenden Mutterleib, von dem diese archaische Grundstimmung ausgeht.
Das Thema der Wiedergeburt, welches zum Image der
Wellnesskultur stilisiert ist, steht plötzlich im Raum.
Ich trete ein mit dem Ballast des Außen, lege ihn ab,
verwahre das alte Leben in einem der Schließfächer.
Das Rituelle des Badens, wie Zumthor es nennt, ist eine
körperliche, wie geistige Reinigung. Zum letztere zählt
das Ablegen des alltäglichen Ballasts. Ich tausche meine
Verkleidung gegen einen weißen Bademantel und ein
weißes Handtuch, Zeichen des Entspannungsimperativs. Gleichzeitig tilgt der weiße Bademantel andere
Symbole indem die Badegäste in das gleiche weiß gehüllt, gleichgemacht werden. Die Dinge die uns anhaften werden abgelegt.
Der Verzicht auf Situationen der Selbstvergewisserung
im Spiegel ist Teil der Choreographie. Die Umkleide
verzichtet auf den angeschauten Körper, den fremden
Blick auf sich selbst. Sie stimmt auf das In-sich-kehren,
das Einfahren in den Leib ein, auf das Sein im Hier und
Jetzt, die Wahrnehmung der Wirklichkeit durch den
eigenen Leib und in leiblicher Präsenz.
Empore — Die Umkleide führt über eine Tür in gegenüberliegender Richtung in den eigentlichen Thermalbereich. Der Raum offenbart sich in voller Ausdehnung.
Man spürt eine unmittelbare Weitung. [Bewegungsanmutung] Von hier aus zeigt sich die räumliche Grundstruktur des Bauwerks, man antizipiert die Pole von
innen und außen, offen und verschlossen, hell und dunkel. Um vollends in den Thermalbereich abzutauchen,
schreitet man nahezu die gesamte Ausdehnung des Gebäudes ab und begreift die architektonischen Grenzen.
In der Bewegung ändert sich die Perspektive. Man gewinnt Orientierung und Überblick über die räumliche
Landschaft in Distanz zum Geschehen.
Die Distanz erinnert an die Erfahrung in den Rängen
des Theaters [Stimmung]. Man betritt die Empore
noch als Besucherin und betrachtet das Treiben. Hier
wird Zeit gewährt zur Anpassung und Akklimatisierung. So wie Holz, dass man eine Weile in der neuen
Umgebung sein lässt um sich an das veränderte Klima
anzupassen bevor es verbaut wird, ermöglicht Zumthor
das sich Einstellen auf die Atmosphäre der Therme und
die neuen Eindrücke.
Abtauchen
Landschaft — Die flachen, langgezogenen Stufen der
Freitreppe, die hinab in die Thermallandschaft führen, erzwingen die Entschleunigung der Schritte. Ein
Lichtstrahl fällt auf die Stufen und weist den Weg hinab. Von hier aus begibt man sich auf Entdeckungsreise.57
Das Raumkontinuum im Inneren umspielt die raumhaltigen Blöcke. „Da war es für uns unglaublich wichtig, eine Art ‚freies Schlendern‘ zu produzieren, fast ein
bisschen in der Stimmung nicht von Führung, sondern
Verführung.“58 In der Bewegung ändert sich immer wieder die Perspektive und ich erfahre dynamische Raumsequenzen, die Ausblicke in die Landschaft gewähren,
ein Lichtstrahl erhellt eine Wand in der Tiefe, Vorsprünge, Rücksprünge und Versätze strukturieren den
tiefen Raum. Die Architektur vermittelt ein Gefühl
von Spannung und Entspannung. Hierin offenbart sich
dann auch der antizipierte Gebrauch des Gebäudes.
Das Schlendern ist auch eine Bewegung des Blicks, der
dem Körper räumlich voraus geht. Den Blick schweifen
lassen, während man im Wasser liegt und sich treiben
lässt. Völlige Entspannung und Ruhe kehrt ein. Intuitives Entdecken, ohne denken zu müssen, klare Strukturen, die genug offenbaren, dass ich mich nicht verloren
fühle und genug Geheimnisse bergen, die Spannung
erzeugen: „räumlichen Sequenzen, die uns führen, hinführen, aber auch loslassen und verführen. Architektur
als Raum- und Zeitkunst zwischen Gelassenheit und
Verführung“59 [Bewegungsanmutung].
Innen- und Außenbad sind auf den menschlichen Leib,
seine Temperatur und damit sein Wohlbefinden abgestimmt. Hier wird der Badegast eins mit dem Wasser,
verliert seine Körperlichkeit, erreicht einen Zustand
der Schwebe und Entspannung. Sein Blick wird ruhig,
verliert seinen Fokus, schweift in die Landschaft, welche uns der Architekt gerahmt hat.
Höhlen — Die Innenräume der Blöcke funktionieren
als Gegenpol zur Raumlandschaft und erzeugen im
Gegensatz dazu Spannungsmomente. Die ekstatische
Potentialität des Wassers, seine wechselnden Zustände,
wirken unmittelbar auf die Leiblichkeit der Badegäste.
Die unterschiedlichen Spielarten des Wassers funktionieren wie verdinglichte Atmosphären. Die Monofunktionalität des Badens zeigt sich polyfunktional
und unendlich variabel.
„Schwitzstein, Duschstein, Massageblock, Trinkstein, Ruheraum, Feuerbad, Blütenbad, Kaltbad,
Klangstein“60 sind charakteristische Namensgebungen
für die Räume, die in den massiven Granitblöcken
verborgen liegen. Jeder dieser kleinen Räume birgt
seine eigene atmosphärische Identität. Die Eingänge
wirken wie Schlupflöcher, die nicht selten ins Dunkel
führen – mal geben sie einen gelben, schwefelartigen
Schimmer preis, mal steigt Hitze auf oder lockt ein
41
42
Atmosphäre am Werk
Duft. Die Raumwirkung ist eine Erhebende und trotz
ihrer kleinen Grundrisse wirken sie weder niederdrückend noch einengend. Diese kleinen Räume der Intimität ragen auf, strecken sich, streben in die Höhe.
[Bewegungsanmutung]
Die Atmosphärewahrnehmung in den raumhaltigen
Blöcken ist über Farben, Material, Temperatur und
Licht vor allem synästhetisch vermittelt. Zumthor benutzt das Mittel der Ingression um Spannung zu erzeugen. Form, Dimension und Volumen der Höhlenräume
unterscheiden sich nur geringfügig. An drei der Räume
werden die verschiedenen isolierten Atmosphären beispielhaft gezeigt.
Kaltbad: Die Erfahrung mit dem Kaltbad ist gewissermaßen eine prototypische. Das leibliche „in den Raum
ergossen sein“ verkehrt in dem 14°C kalten Wasser
schlagartig ins Gegenteil. Man spricht davon, dass sich
im Eintauchen in das Eiskalte „alles zusammenzieht“.
Plötzlich wird uns die physische Grenze unseres Seins
bewusst, empfinden wir sie beinahe als körperlichen
Schmerz. Der blaue Anstrich der Betonwände und die
Lichtfärbung potenzieren die Atmosphäre der Kälte.
Quellgrotte: Der Eingang zu der Quellgrotte ist geheimnisvoll. Um in den Raum zu gelangen taucht man
durch eine Schleuse. Dahinter liegt ein Luftraum, eingeschlossen von Wasser und Stein. Zumthor schreibt,
„jeder Raum funktioniert wie ein großes Instrument,
er sammelt die Klänge, verstärkt sie, leitet sie weiter.“61
Das ist insbesondere wahr für den Resonanzraum der
Quellgrotte. Der Wände zeigen den gebrochenen
Gneisstein, dessen Oberfläche wie ein akustischer Verstärker funktioniert. Der Raum schließt Geräusche ein
und hält die Stimme einige Sekunden wie in einer Zeitschleife fest, so dass wir uns selbst sprechen hören. Die
Selbsterfahrung unseres Ekstatisch-Seins. Allein mit
der Stimme nehmen wir den Raum ein.
Trinkstein: Aus der schmalen Eingangsspalte kündigt
ein gelbes, schwefelartiges Licht das mystische Berginnere an. Die Luft ist kühl, feucht und eisenhaltig. Ein
enger Steg endet in einem winzigen quadratischen
Raum. In dessen Mitte stürzt das Wasser mit 29,8°C
quellwarm und eisenhaltig bodentief in ein Loch, eingesäumt von einem Messinggeländer. Wieder inszeniert
Zumthor das kalte, feuchte und dunkle Berginnere. An
dem Geländer sind Messingbecher an Ketten befestigt, mit denen ich das Mineralwasser zum Trinken abschöpfen kann. Hier setzt Zumthor eine neue Spielart
des Wassers ein. Das Quellwasser nimmt uns nicht nur
auf, warm und kalt, umspielt uns als harter Strahl oder
weiche Dusche sondern umgekehrt, nehmen auch wir
es auf, verinnerlichen es. Auch der Mensch besteht im
Wesentlichen aus diesem Element.
Auftauchen
Die leibliche Anwesenheit und Wahrnehmung des in
Wirklichkeit Gegebenen fasst die fundamentalen Erfahrung in der Therme zusammen. Zeit verliert ihr absolutes Maß. Dauer wird nicht in Stunden angezeigt,
denn Zumthor hat keine sichtbaren Uhren im Gebäude
angebracht. Als Besucherin obliegt man keiner externen Zeitbeschränkung (mit Ausnahme der Öffnungszeit), allein die persönlichen Bedürfnisse vor allem
nach Essen determinieren das Ende des Aufenthaltes.
Dauer ist subjektiv empfundene Zeit. Die innere Uhr
bestimmt den Zeitpunkt des Auftauchens.
Boudoir — Zwischen Umkleide und Eingangsbereich
passiert man einen letzten Raum: das Boudoir. An der
dunklen Wand steht ein langer Schminktisch, darüber
Spiegel, darauf Haartrockner, vor jedem Spiegel ein
Sitzhocker. Die Szene erinnert an die Schauspielergarderoben im Theater. [Stimmung] Hier präparieren die
Gäste ihre Körper – angekleidet und maskiert – wieder
für die Außenwelt. Hier versichern sie sich ihrer eigenen Identität, die, wie Zumthor kritisch anmerkt, „nur
noch glückt, wenn ich ihn [den Körper] im Spiegel oder
mit den Augen der anderen sehe?“62 Seine Architektur
stellt diesem Identitätskonzept die Leiberfahrung entgegen und eine Aussicht darauf, dass ich mich in der
Erfahrung mir selbst versichern kann.
4 Ästhetischer Raum und Ko-Präsenz
Der ästhetische Raum ist der Raum leiblicher Anwesenheit. Wie ich mich befinde ist abhängig von dem
Raum, der mich umgibt. Dieser Raum wird von Böhme als Atmosphäre begriffen. Zumthor sagt über den
Raum: „Ich nehme nicht in Anspruch zu wissen, was
Raum wirklich bedeutet. Je länger ich über das Wesen des Raumes nachdenke, desto geheimnisvoller erscheint er mir.“63 Und doch hat er eine präzise Vorstellung von den räumlichen Situationen, die er schaffen
will. Für ihn sind Räume „ureigenste Dinge, die Architektur ausmachen: Räume zu deren raumbildender
Umhüllung und raumprägenden Stofflichkeit, zu deren
Hohlform, deren Leere, Licht, Luft, Geruch, Aufnahmefähigkeit und Resonanzfähigkeit man Sorge trägt.“64
In der Therme zeigt sich diese Sorgfalt in der inszenierten Beziehung von Innen- und Außenraum, offenen
und intimen Räumen, und deren Grenzen, Schwellen und Übergänge, dem Klang der Materialien, der
Masse des Steins und dem Fließen des Wassers, dem
eindringenden Licht, seiner Reflexion auf dem Granit, die Weite des Raumes und die Geborgenheit der
Höhlen, die Wärme des Wassers und kühle des Steins.
Die Sorgfalt zeigt sich in der Orchestrierung der
IV Ästhetische Arbeit und Architektur
Erzeugenden zu gestimmten Räumen und atmosphärischen Situationen.
Zumthor schafft in Vals ein Bauwerk dessen Wesen atmosphärisch begründet ist. Mit den Dingen der Architektur schafft er einen Ort, dessen einzige Bestimmung
die Sinnlichkeit ist. In der Therme als Ort verwirklicht
sich die volle Leiblichkeit. Hier vollzieht sich jene
Ko-Präsenz, während derer sich der ästhetische Raum
aufspannt. Entfernt man den leiblich wahrnehmenden
Menschen, verliert das Bauwerk seine Relevanz und seinen Daseinsgrund.
Lebensraum, Baukunst. Stuttgart 1982.
29 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 14], S.
79–80.
30 Ebd., S. 17.
31 Ebd.
32 Ebd.
33 Ebd., S. 99.
34 Ebd., S. 86.
35 Zumthor, Peter: Atmosphären [wie Anm. 5], S. 23.
36 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 14], S. 10.
37Böhme, Gernot: Synästhesien im Rahmen einer
Phänomenologie der Wahrnehmung, in: Synästhesie. Leib –
Raum / Architektur. Wolkenkuckucksheim. Internationale
1 Böhme, Gernot: Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik.
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Zeitschrift für Theorie der Architektur 18/31 (2013),
Internet: http://cloud-cuckoo.net/fileadmin/hefte_de/
2 Ebd., S. 25.
heft_31/artikel_boehme.pdf , Stand: 15.01.2016, S. 21–35;
3 Böhme, Gernot: Aisthetik. Vorlesungen über Ästhetik als
hier: S. 28.
allgemeine Wahrnehmungslehre. München 2001. S. 178.
38 Ebd., S. 11.
4 Ebd.
39 Ebd.
5 Zumthor, Peter: Atmosphären. Architektonische
40 Zumthor, Peter: Häuser 1979–1997. Basel/ Boston/ Berlin
Umgebungen. Die Dinge um mich herum. Basel 2006. S. 30.
6 Sloterdijk, Peter: Architektur als Immersionskunst. In:
ARCH+ /178 (2006). S. 58–61; hier: S. 60.
1999. S. 157.
41 Ebd.
42 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 14], S. 99.
7 Ebd., S. 61.
43 Zumthor, Peter: Atmosphären [wie Anm. 5], S. 23.
8 Zumthor, Peter: Atmosphären [wie Anm. 5], S. 45.
44 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 14], S.
9 Ebd., S. 32.
10 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre. 2., korrigierte
Aufl. 2013. München 2006. S. 51.
11 Sörgel, Herman: Einführung in die Architektur-Ästhetik.
18–19.
45 Zumthor, Peter: Atmosphären [wie Anm. 5], S. 35.
46 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 14], S. 31.
47 Ebd.
Prolegomena zu einer Theorie der Baukunst. München 1918.
48 Zumthor, Peter: Atmosphären [wie Anm. 5], S. 30.
S. 7.
49 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 14], S. 17.
12 Wildermuth, Armin: Ästhetik - Zwischen Philosophie und
künstlerischer Praxis. In: Die Aktualität des Ästhetischen.
50 Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre. [wie Anm.
10], S. 111.
Hrsg. v. Wolfgang Welsch. München 1993. S. 373–397; hier:
51 Zumthor, Peter: Atmosphären [wie Anm. 5], S. 17.
S. 390.
52 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 3], S. 85.
13 Böhme, Gernot: Atmosphäre [wie Anm. 1], S. 18.
53 Zumthor, Peter: Atmosphären [wie Anm. 5], S. 30.
14 Zumthor, Peter: Architektur Denken. Basel 2006. S. 85.
54 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 14], S. 33.
15 Der Therapiebereich konnte für die Analyse der Therme nicht
55 Ebd., S. 12.
berücksichtigt werden.
16 Zumthor, Peter: Atmosphären [wie Anm. 5].
17 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 14].
56 Der Zugang zur Therme wird über ein Buchungssystem
begrenzt. Jeder Gast reserviert sich einen Timeslot im System.
So wird die Besucherzahl begrenzt und kontrolliert.
18 Böhme, Gernot: Aisthetik [wie Anm. 3], S. 159.
57 Zumthor, Peter: Atmosphären [wie Anm. 5], S. 43.
19 Zumthor, Peter: Atmosphären [wie Anm. 5], S. 30.
58 Ebd.
20 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 14], S. 36.
59 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 14], S. 86.
21 Ebd., S. 31.
60 Zumthor, Peter: Häuser 1979–1997 [wie Anm. 41], S. 160.
22 Ebd.
61 Zumthor, Peter: Atmosphären [wie Anm. 5], S. 29.
23 Zumthor, Peter: Atmosphären [wie Anm. 2], S. 31.
62 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 14], S. 58.
24 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 14], S. 32.
63 Ebd., S. 22.
25 Ebd., S. 16.
64 Ebd., S. 33.
26 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 14], S. 31.
27 Zumthor, Peter: Atmosphären [wie Anm. 5], S. 69.
28 Norberg-Schulz, Christian: Genius loci. Landschaft,
43
44
Atmosphäre am Werk
V
V Diskussion
Diskussion
Ästhetische Praxis setzt voraus, die Welt in ihrer ästhetischen Wirklichkeit und Wirkmächtigkeit zu begreifen und ihr Bedürfnis nach Ästhetik anzuerkennen. Für die Architektur resultiert daraus das Gebot
zum ästhetischen Entwerfen, Planen und Bauen. Mit
Böhme liegt der Kern der ästhetischen Arbeit in der
Produktion von Atmosphären. Voraussetzung ist die
Anerkennung der Atmosphäre als Seiendes (z.B. eine
geschützte Atmosphäre), deren Existenz weder dem
Subjekt (der schutzsuchenden Person) noch dem Objekt (der schützenden Mauer) allein zuzuschreiben ist.
Die Architektur trägt die Verantwortung für die Atmosphären und damit auch die Fürsorge für die ästhetische Wirklichkeit des Menschen in seiner Sinnlichkeit
und für die Dinge als Erzeugende von Atmosphären in
ihrem Ekstatisch-Sein.
Das erste Kapitel nimmt eine wissenschaftsgeschichtliche und epistemologische Verortung der neuen Ästhetik von Gernot Böhme vor. Die zwei wichtigen Ästhetiken von Baumgarten und Kant sind dort ausgeführt
um das ästhetische Denken Böhmes einordnen zu können. Die sinnliche Wahrnehmung der Ästhetik Baumgartens geht bei Böhme als „eigenleibliches Spüren“ in
die neue Ästhetik ein. Genauso wie wichtige erkenntnistheoretische Gedanken jener ersten Ästhetik. Die
Urteilsästhetik von Kant kritisiert Böhme, da sie die
Grundlagen für eine Fehlentwicklung der traditionellen Ästhetik gelegt hat. Gleichzeitig finden wesentliche
Ideen aus der transzendentalen Ästhetik Kants ihren
Weg in die neue Ästhetik. Es zeigt sich, dass Böhme
einen grundlegenden Perspektivwechsel gegenüber der
traditionellen Ästhetik vollzieht. Er wendet sich von
den ästhetischen Grundbegriffen Schönheit und Kunst
ab und etabliert seine neue Ästhetik als allgemeine Theorie der Atmosphärewahrnehmung und -produktion.
Das zweite Kapitel seziert den von Gernot Böhme ausgearbeiteten Atmosphäre-Begriff und zeigt die ontologischen Dimensionen des Phänomens auf. Die begriffliche Bestimmung der Atmosphäre wird mit Blick auf
das Projekt einer Architekturästhetik um die Dimension des ästhetischen Raums erweitert. So stellt sich heraus, dass insbesondere die Wendung zum Räumlichen
die neue Ästhetik als Architekturästhetik produktiv
macht.
Das dritte Kapitel verbindet ästhetische Theorie und
ästhetische Praxis. Die Therme in Vals von Peter Zumthor stellt sich als Lehrstück der neuen Ästhetik heraus.
Das Bauwerk vermittelt das Konzept von Atmosphäre,
wie es als ästhetischer Grundbegriff von Gernot Böhme fixiert wurde und macht die Theorie leiblich erfahrbar. Exemplarisch fallen hier Gebrauch und Ästhetik
zusammen, durchdringen sich leiblicher und architektonischer Raum und wird atmosphärische Dichte
als Resultat der Ko-Präsenz von Subjekt und Objekt
nachvollziehbar.
Das architektonische Denken Zumthors entspricht
in seinen Fundamenten den Denkansätzen der neuen
Ästhetik. Besonders in einem entscheidenden Punkt
weist der Architekt jedoch über die Grenzen der neuen
Ästhetik hinaus. Er formuliert seine Vorstellung vom
architektonischen Werk. Im Werkbegriff hallen die von
Böhme zurückgestellten Begriffe Kunst und Schönheit
wider. In dieser letzten Beobachtung spiegelt sich der
Titel der Arbeit mit der Frage „Was ist die Atmosphäre
am Werk?“.
45
46
Atmosphäre am Werk
Architektur, Wahrheit und Werk
Böhme hat ästhetische Praxis als Herstellung von Atmosphären definiert. So hat er gewissermaßen das Ganze zugunsten seiner Teile seziert. Was übrig bleibt sind
atmosphärische Fragmente, Momentaufnahmen der
Wirklichkeit. Der Diskurs über das Werk, der vor allem
in der klassischen Ästhetik noch seinen angestammten
Platz hatte, rückt damit ins Hintertreffen. Damit fehlt
der Grund auf den sich die Architektur als ästhetische
Praxis im Ganzen beziehen kann und was der Schweizer Architekt Valerio Olgiati den „Willen zum Werk“1
nennt.
Martin Heidegger hat in seinem Aufsatz „Der Ursprung des Kunstwerkes“ 1935/36 das Werk als „Träger des Geschehens der Wahrheit“2 begriffen. Für das
architektonische Feld bedeutet das Hervorbringen der
Wahrheit im Werk die Hervorbringung der Architektur
als sie selbst. Dieses Moment steckt im Grunde bereits
in der gedoppelten Bedeutung des Architekturbegriffs.
Architektur als ästhetische Arbeit schafft Architektur
als ästhetische Wirklichkeit, sie ist Ursache und Wirkung und produziert sich selbst. Auch Olgiati sieht
darin die Essenz seiner Arbeit: „Als geistig arbeitender
Mensch sehe ich mich grundlegend aufgefordert, über
das Werk eine Aussage zur Architektur zu treffen.“3
Wildermuth spricht von „Autonomie der ästhetischen
Praxis.“4 Architektur muss demnach sich selbst in ihrem
eigenen Sein produzieren.
Die Kunst des 20. Jahrhundert hat die Entwicklung
zur radikalen Selbstbezüglichkeit ihrer ästhetischen
Praxis bereits vollzogen.5 Als „autonome ästhetische
Praxis“6 produziert sie nicht Ästhetisches sondern
ist selbst das Ästhetische ohne zwischengelagerte
Verweisstrukturen.7
Die postmoderne Architektur ist gewissermaßen in die
entgegengesetzte Richtung geflohen und hat Verweise
im Film, der Photographie, der Wissenschaft und anderen fachfremden Disziplinen gesucht. Olgiati argumentiert: „[…] die Architektur hat genügend Grundlagen, um in der Disziplin zu verweilen. […] Egal wie
man seine eigene Position als Architekt zur Architektur
formuliert – das eigene Arbeiten sollte immer auf der
Grundlage der Architektur stattfinden.“8 Das liest sich
auch als Kritik an der Postmoderne, der Zumthor hinzufügt: „Architektur ist kein Vehikel oder Symbol für
Dinge, die nicht zu ihrem Wesen gehören.“9 Die einzig
mögliche Verweisstruktur bleibt jene, die auf sich selbst
verweist und Symbolisches vermeidet. Zumthor verlässt sich daran anschließend im Entwurfsprozess nicht
auf Bilder, Gedankenspiele oder Modelle, sondern auf
„ureigenste Dinge, die Architektur ausmachen: Material, Konstruktion, Tragen und Getragenwerden, Erde
und Himmel, und Vertrauen in Räume, die wirkliche
Räume sein dürfen.“10
Das architektonische Ganze und die Atmosphäre
Der Wille zum Werk bedeutet für Zumthor das Streben nach der architektonischen Ganzheit. Am Anfang
eines Entwurfs steht für ihn daher die Frage: „Was
will dieses Haus werden, als Objekt des Gebrauchs, als
sinnlicher Körper, mit Material gefügt und fest konstruiert, als Gestalt, zur Form gebracht die dem Leben
dient?“11 Die Frage impliziert woran Zumthor als Architekt gelegen ist. Er arbeitet an einer Kohärenz im
Werk. „Jede Berührung, jede Verbindung, jede Fuge ist
da, um der Idee des Ganzen zu dienen und die ruhige
Präsenz des Werkes zu verstärken.“12 In erster und letzter Konsequenz arbeitet er an einer architektonischen
Idee, welche das Sein seiner Bauwerke begründet: „Details haben auszudrücken, was die Grundidee des Entwurfs an der betreffenden Stelle des Objektes verlangt:
Zusammengehörigkeit oder Trennung, Spannung oder
Leichtigkeit, Reibung, Festigkeit, Zerbrechlichkeit … .
Details, wenn sie uns glücken, sind nicht Dekoration.
Sie lenken nicht ab, sie unterhalten nicht, sondern sie
führen hin zum Verständnis des Ganzen.“13 Die Idee des
architektonischen Ganzen erfüllt sich nach Zumthor,
wenn „[...] alles aufeinander [verweist] und sie [...] das
nicht auseinandernehmen [können]. Der Ort, der Gebrauch und die Form.“14
Zumthor vergleicht den Entwurfsprozess mit der Komposition in der Musik.15 Auch Olgiati stellt eine Analogie von architektonischem Entwerfen und Ausführung
mit Komposition und Interpretation in der Musik
her.16 Der Architekt liefert analog zum Komponisten
fertige Werkpläne, welche die innere Ordnung des Werkes in der Sprache der Architektur kommunizieren: in
Grundrissen, Schnitten, Ansichten, Lageplänen und
vor allem in zahlreichen Detailzeichnungen. Sie sind
die Vorwegnahme der Wirklichkeit in der Architektur.
„Werkpläne haben den Charakter von anatomischen
Zeichnungen. Sie zeigen etwas von dem Geheimnis
und der inneren Spannung, die der fertig gefügte architektonische Körper nicht mehr ohne weiteres preisgibt“17, so Zumthor.
Diese „Idee des architektonischen Ganzen“ ist grundsätzlich ästhetisch zu verstehen. Die Frage nach der
Idee im Werk geht in dem traditionellen Diskurs um
das Schöne in der Kunst auf, wenn Zumthors Aussage an Hegel erinnert, der das Schöne als das Scheinen
der Idee thematisiert. Und die Idee begreift er aristotelisch als dasjenige organisierende Prinzip, „[...] was
die Naturdinge in geringerem oder größerem Maße zur
Einheit organisiert.“18 Die Sonderstellung des Schönen
V Diskussion
als besondere Atmosphäre am Werk, hat Böhme aufgegeben ohne einen alternativen Ansatz zu formulieren.
Hier stößt seine neue Ästhetik als Architekturästhetik
an ihre Grenzen, da sie dem Willen zum Werk in all
seinen Implikationen nicht zu fassen bekommt. Was
aber leistet die neue Ästhetik dessen ungeachtet als
Programm für die Architektur?
Atmosphere is my style
Die Atmosphäre öffnet der Architekturpraxis die Tür
zur Wirklichkeit. Der Begriff ermöglicht den architektonischen Raum ästhetisch und damit atmosphärisch
verstehen und entwerfen zu können. Das ist umso bedeutender, denn wie Wolfgang Welsch festhält: „Die
Wirklichkeit ist von heutiger technologischer Warte aus gesehen aus formbarstem, leichtestem Stoff.“19
Wenn der Verwirklichung in der Architektur keine
Grenzen mehr gesetzt sind, gilt es umso mehr die Wirkung und Möglichkeit zur Verwirkung des Gebauten
einzukalkulieren. Dass sich ein Dach mehrfach auffaltet, heißt noch nicht, dass ich darunter gern im Regen
auf den Bus warte.
Böhme macht deutlich, dass der ästhetische Raum gedacht als Atmosphäre weder vom Menschen noch von
den Dingen zu lösen ist. Eine Idee hat unter dem Gesichtspunkt keine Bedeutung, wenn sie sich nicht in
dem Verhältnis der Ko-Präsenz verwirklicht.
Böhme hat mit der neuen Ästhetik einen eigenen
Sinnzusammenhang für die Architekturpraxis gestiftet, den er mit dem Titel „Atmosphäre" überschrieben
hat. Mit der Turner-Referenz ‚Atmosphere is my style‘20 verpflichtet Zumthor seine Arbeit diesem Sinnzusammenhang. Wenn der Stil-Verweis Grenzen und
Gebote der architektonischen Arbeit impliziert, dann
ist die Grenzziehung, die Zumthor seiner Praxis zumutet die Wirklichkeit. Zumthor sucht nach einer Praxis,
die Bauwerke hervorbringt, die „nicht etwas darstellen, sondern etwas sein“21 wollen. Sein Entwurfsprinzip ist der Präsenz verpflichtet oder wie Roemer van
Toorn in der Eingangs zitierten 178. Ausgabe der Zeitschrift Arch+ zusammenfasst: „Der Prüfstein ist hier
nicht eine Vision, sondern eine Leidenschaft für die
Wirklichkeit.“22
gehen.
Das setzt zuerst ein Bewusstsein für die ästhetische
Konstitution der Welt voraus. Wirklichkeit muss nach
Welsch „im ganzen als ästhetisches Konstrukt“23 gedacht werden. Wirklichkeit ist ästhetischer Raum.
Darin bin ich leiblich anwesend. Diese Anwesenheit
ist immer ein Befinden in Atmosphären. Meine Befindlichkeit reagiert auf Atmosphären, wird durch
sie affiziert, bestimmt und verändert. Ihnen bin ich
leiblich ausgesetzt. Auf der Rezeptionsseite bedeutet
Kompetenz die Herausbildung von Atmosphärewahrnehmung, die eine Sensibilität für das eigenleibliche
Befinden im Raum voraussetzt.
Auf der Produktionsseite bedeutet Kompetenz das
Wissen um die Möglichkeitsbedingungen der Erzeugung von Atmosphären. Dazu zählen ein Wissen von
dem Ekstatisch-Sein der Dinge und ihr Potential den
ästhetischen Raum atmosphärisch zu bestimmen und
charakteristische Atmosphären zu produzieren.
So ist es möglich Räume zu gestalten und eine spezifische atmosphärische Dichte zu erzeugen, in der sich
verschiedene Atmosphäre-Charaktere überlagern, ergänzen und einander durchdringen.
Der atmosphärische Entwurf unterscheidet sich in seinem Gestaltungswillen von dem konzeptionellen Entwurf. Letztere funktioniert fast ausschließlich auf der
abstrakten Ebene der Repräsentation, während ersterer
sich auf der konkreteren Ebene der Wirklichkeit und
Präsenz bewegt. Der Architekt ist dann vor allem dem
Ort, den Dingen, den Menschen und ihrer gemeinsamen Wirklichkeit verpflichtet. Die Wirkmacht entfaltet sich nach Zumthor in der konkreten Arbeit an den
Werkplänen. Damit bedeutet atmosphärisches Entwerfen ganzheitliches Entwerfen und integriert Entwurf,
Planung und Bauen.
Wie sich die Idee und die Wahrheit ins Werk setzt und
ob sich eine eigene Atmosphäre am Werk zeigt, steht
auf einem anderen Blatt geschrieben.
1 Schoper, Tom: Ein Haus. Werk – Ding – Zeug? Gespräche
mit Gion A. Caminada, Hermann Czech, Tom Emerson,
Hans Kollhoff, Valerio Olgiati, Wien 2016, S. 166.
2 Vgl. Heidegger, Martin: Der Ursprung des Kunstwerkes, in:
Atmosphärekompetenz
Einer Architekturästhetik, die sich auf den Atmosphärebegriff stützt, muss die Wirklichkeit als Maß dienen.
Um das zu bewerkstelligen, geht es Gernot Böhme in
seiner Architekturästhetik auch im ästhetische Bildung. Wenn man die neue Ästhetik als Architekturästhetik ernst nimmt, muss es um die Herausbildung
von Atmosphärekompetenz im architektonischen Feld
Holzwege, hrsg. v. Martin Heidegger, 7. Aufl., Frankfurt/
Main 1994; Zum Wahrheitsbegriff bei Heidegger vgl.
auch Keiling, Tobias: Kunst, Werk, Wahrheit. Heideggers
Wahrheitstheorie in Der Ursprung des Kunstwerkes, in:
Heideggers Ursprung des Kunstwerkes. Ein kooperativer
Kommentar, hrsg. v. David Espinet/Tobias Keiling,
Frankfurt/Main 2011, S. 66–95.
3 Ebd., S. 147.
47
48
Atmosphäre am Werk
4 Wildermuth, Armin: Ästhetik - Zwischen Philosophie und
künstlerischer Praxis, in: Die Aktualität des Ästhetischen,
hrsg. v. Wolfgang Welsch, München 1993, S. 373–397; hier: S.
389.
5 Ebd., S. 391.
6 Ebd., S. 389.
7 Ebd., S. 390.
8 Schoper, Tom: Ein Haus. Werk – Ding – Zeug? [wie Anm. 1],
S. 176.
9 Zumthor, Peter: Architektur Denken, Basel 2006, S. 26.
10 Ebd., S. 33.
11 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 8], S. 79–80.
12 Ebd., S. 15.
13 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 8], S. 15–16.
14 Zumthor, Peter: Atmosphären. Architektonische
Umgebungen. Die Dinge um mich herum, Basel 2006, S. 69.
15 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 8], S. 12.
16 Vgl. Schoper, Tom: Ein Haus. Werk – Ding – Zeug? [wie
Anm. 1], S. 175; Peter Zumthor: Architektur Denken, Basel
2006, S.12.
17 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 8], S. 18.
18 Böhme, Gernot: Aisthetik. Vorlesungen über Ästhetik als
allgemeine Wahrnehmungslehre, München 2001, S. 70.
19 Welsch, Wolfgang: Grenzgänge der Ästhetik, Stuttgart 1996,
S. 15.
20 Zumthor, Peter: Atmosphären. Architektonische
Umgebungen. Die Dinge um mich herum, Basel 2006.
21 Zumthor, Peter: Architektur Denken [wie Anm. 8], S. 34.
22 Toorn, Roemer van: Ästhetik als Form der Politik, in:
ARCH+ /178 (2006), S. 88–93; hier: S. 90.
23 Welsch, Wolfgang: Grenzgänge [wie Anm. 19], S. 10.
V Diskussion
49
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Atmosphäre am Werk
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