Psychosomatische Grundversorgung

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Lernziele:
nach diesem Vortrag werden Sie…
• …die Definition der Psychosomatik benennen
können
• …die diagnostische und therapeutische
Vorgehensweise der hausärztlichen
psychosomatischen Grundversorgung (PSG)
beschreiben können
• …erklären können, welche Rolle die Angst bei der
psychosomatischen Erkrankung spielt, wie sie sich
somatisieren kann, und welche Folgen für den
Patienten dies hat
• …die DD der psychosomatischen Erkrankung
darstellen können
• …die Grundregeln der Psychopharmakotherapie
erklären können
Lass die Finger von Manuela!
Psychosomatische Grundversorgung im
hausärztlichen Bereich
Johannes Jäger
04.06.2014
Lehrbereich Allgemeinmedizin
...welche Manuela??
Definition der Psychosomatik
• Psychosomatik ist die umfassende
Betrachtung von Krankheitsentstehung und
–heilung unter Berücksichtigung seelischer
und körperlicher Einflüsse (Heinroth, 1818)
Psychosomatik in meiner Praxis:
Spielt sie überhaupt eine Rolle?
• Selbstverständlich! In die Hausarztpraxis
kommen täglich 10-30% Patienten mit einer
psychischen Erkrankung!
• Studien beweisen: Psychiater therapeutisch
nicht erfolgreicher als Allgemeinärzte!
• Therapeutische Optionen der PSG oft
ausreichend, da leichtere Fälle in der
Allgemeinpraxis überwiegen.
• Eine Qualifikation ist notwendig!
Der Allgemeinarzt ist doch kein
Nervenarzt, oder?
• Stimmt; und doch ist er für viele Patienten
die erste Anlaufstelle, für die meisten die
einzige!
• Warum?
– Vertrauen zum Hausarzt ist wichtig und
erleichtert für ihn den Problemzugang
– Praxispatienten oft Spiegelbild der
Allgemeinbevölkerung: Widerwille gegen Gang
zum Psychiater
Hauptaufgaben allgemeinärztlicher
Psychotherapie :
• Symptombeseitigung
• Stabilisierung in Krankheits- und
Krisensituationen
• Hilfe zur Annahme und Bewältigung von
chronischem Leiden, unheilbarer Krankheit
und Sterben
• Vermittlung von Einsicht in die pathogene
Bedeutung auslösender Ursachen im
seelischen Erleben und im sozialen Umfeld
• Motivation des Patienten zur Änderung von
Einstellung und Verhalten
Diagnose der psychosomatischen
Erkrankung
• Verdacht auf psychosomatische Genese
besteht, wenn:
– Eine organisch ausgerichtete Therapie nicht
oder nur minimal erfolgreich ist.
– Der Patient auffällig viele redundante
diagnostische Eingriffe hinter sich hat!
– Störungsbilder im Bereich verschiedener
Organsysteme gleichzeitig auftreten.
– Sich organische Störungsbilder chronifizieren.
Leitsymptom der psychosomatischen
Störung:
die ANGST
• Prävalenz in der Bevölkerung: 8-15%
• Frauen zwischen 25-44 Jahren sind doppelt
so häufig erkrankt wie gleichaltrige Männer
• In 80% der Fälle entwickeln sich initiale
Störungen vor dem 25. Lebensjahr
• Häufigkeit von Angstpatienten in der
Hausarztpraxis: bis zu 33%
Angst?
Die kennt doch jeder, oder?
• Stimmt! Angst ist grundsächlich nichts
krankhaftes, sondern eine wichtige,
lebenserhaltende Emotion, die vorübergehend
auftritt und uns befähigt, reale Gefahren
wahrzunehmen und zu bewältigen!
• Sie wird erst dann zur Krankheit, wenn sie in
unangemessener Relation zur auslösenden
Situation steht, als unerträglich empfunden wird
oder unverhältnismässig lange anhält!
• Angst lässt sich weder durch Vernunft, noch durch
Willen bekämpfen!
Verbalisierung der Angst
• Angst wird, insbesondere von Männern, selten
direkt geäußert. Im Gespräch tauchen jedoch
psychosozial akzeptierte Angstäquivalente auf:
Stress
Überlastung
Überarbeitung
Die Spirale der Angst:
ANGST
Funktionelle Beschwerden
Hypochondrische Fehlverarbeitung
Verstärkung der ANGST
Verstärkung funktioneller Beschwerden
Panikattacke, „Nervenzusammenbruch“
Somatisierung der Angst:
Herz-Kreislaufsystem
•
•
•
•
Thorakales Druckgefühl
„Dyskardie“
„Herr Doktor, es drückt
mir das Herz ab!
Extrasystolie
Ich glaubte schon, mein
Tachykardie
Herz bleibt stehen!“
Somatisierung der Angst:
Gastrointestinaltrakt
• Diarrhoen
• Obstipation
• Dysphagien
??
„Ich bring´nichts mehr
hinunter.
Ständig habe ich ein
Druckgefühl; wie eine
Faust im Magen!“
Somatisierung der Angst:
Bewegungssystem
• Ständige Myalgien
• Verspannungen und Muskelkrämpfe
• „Weichteilrheumatismus“
„Mir tut ständig ALLES weh!
Häufig habe ich Schmerzen
wie Stromschläge, in immer
wechselnder Ausstrahlung!“
Somatisierung der Angst:
Urogenitalsystem
•
•
•
•
Reizblase
Blasenentleerungsstörungen
Erektionsstörungen
„Ständig habe ich
Dyspareunie
Unterleibsentzündungen,
aber mein Frauenarzt
findet einfach nichts!!“
Somatisierung der Angst:
Atmungsorgane und Haut
•
•
•
•
•
Asthmatische Beschwerden
„nervöser“ Husten oder Schnupfen
Urtikaria
Chron. Ekzem
Hyperhydrosis
Somatisierung der Angst:
Die Folgen für den Patienten
• Viele psychosomatisch Erkrankte werden,
nicht zuletzt durch die Möglichkeit des
„doctor hopping“, multiplen und immer
wiederkehrenden diagnostischen Eingriffen
unterzogen, deren Resultate in der Regel
„normal“ sind.
• Ergebnis: „Ihnen fehlt nichts!!“
• PS: „Kommen Sie in drei Monaten
nochmal!“
ANGST:
Komorbidität
• Zwei Drittel der Betroffenen leidet
zusätzlich an Depressionen, Alkohol- und
Medikamentenabhängigkeit.
• Erhöhte Rate an familiärer und sozialer
Dysfunktion
• Bei Paniksyndrom: erhöhtes Suizidrisiko
Kooperation mit Spezialisten, evtl.
auch Krankenhaus-Einweisung notwendig!
Diagnostische/therapeutische
Vorgehensweise
•
•
•
•
•
•
Körperliche Untersuchung
Psychische Exploration
Beschwerden ernst nehmen
Patient zum Sprechen bringen
Ihn sprechen lassen
Verbalisierung der Konflikte fördern
Diagnostische/therapeutische
Vorgehensweise
• Hilfestellung bei der Wahrnehmung
seelischer Konflikte
• Umschaltung von der somatischen auf die
psychische Ebene
• Evtl. Stabilisierung des Patienten mit einem
geeigneten Medikament
• Einsatz von psychotherapeutischen und
Entspannungsverfahren
Grundvoraussetzungen des
psychosomatisch orientierten
Gesprächs:
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Angemessene Vorbereitung
Ruhige Gesprächsatmosphäre
Ausreichend Zeit
Gute Stimmung
Patienten aussprechen lassen, zuhören
Zwischen den Zeilen hören
Patienten beobachten
Verständnis für die Beschwerden zeigen
Erklärungsmodelle anbieten
Diagnostische Fragen zur
Psychosomatik
• Welche Beschwerden belasten Sie
momentan am meisten?
• Wann traten diese erstmals auf?
• Gab es zu dieser Zeit besondere
Lebensumstände, die Sie belasteten?
• Gibt es auch jetzt etwas, das Sie bedrückt?
• Kennen Sie Situationen, in denen sich Ihre
Beschwerden verstärkt bemerkbar
machen?
Diagnostische Fragen zur
Psychosomatik
• Gibt es auch Situationen, in denen Sie sich
besonders gut fühlen, nicht an Ihre
Beschwerden denken?
• Bitte beschreiben Sie Ihre Beschwerden
noch einmal detailliert!
• Was versuchen Sie selbst, um Ihre
Beschwerden in den Griff zu bekommen?
• Was glauben Sie, könnte die Ursache Ihrer
Beschwerden sein?
„Umschalten“ auf die seelischeEbene:
der richtige Zeitpunkt!
• Wie haben Sie sich damals gefühlt, als die
Beschwerden erstmals auftraten?
• Warum kamen die Beschwerden gerade
damals?
• Das muss ja schlimm gewesen sein!
• Das muss doch irgendeinen Grund gehabt
haben!
• Lassen Sie uns überlegen, woher das
kommt!
DD: psychosomatische Störung oder
Depression?
• Hilfen zur Abgrenzung:
– Checkliste nach GASTPAR
– Standardisiertes Interview nach
KIELHOLZ
– HAMILTON-Angst-Skala (HAMA)
– HAMILTON-Depressions-Skala (HAMD)
Standardisiertes Interview
(nach KIELHOLZ)
1. Können Sie sich noch freuen?
2. Fällt es Ihnen schwer, Entscheidungen zu
treffen?
3. Haben Sie noch Interesse an etwas?
4. Neigen Sie in letzter Zeit vermehrt zum
Grübeln?
5. Plagt Sie das Gefühl, Ihr Leben sei sinnlos
geworden?
Standardisiertes Interview
(nach KIELHOLZ)
6. Fühlen Sie sich grundlos müde,
schwunglos?
7. Haben Sie Schlafstörungen?
8. Spüren Sie irgendwelche Schmerzen,
einen Druck auf der Brust?
9. Haben Sie wenig Appetit, Gewicht
verloren?
10. Haben Sie Schwierigkeiten in sexueller
Hinsicht?
Grundregeln der
Psychopharmakotherapie
• Richtige Indikation
• Unterstützung der nicht-medikamentösen
Therapie
• Ausgeprägte anxiolytische Wirkung
• Geringe Nebenwirkungen des Medikaments
• Kein Abhängigkeits- und
Gewöhnungspotential
• Zeitlich begrenzte, vom Arzt gesteuerte
Therapie
Psychosomatische Grundversorgung:
Kasuistiken
• Thomas Z:
– 41 Jahre, Lagerverwalter. Geschieden. Ein
Kind.
• Hans S:
– 28 Jahre, Fabrikarbeiter. Ledig.
• Stefan M:
– 44 Jahre, arbeitslos. Verheiratet. Zwei
Kinder.
Psychosomatische Grundversorgung:
Kasuistiken
• Heidi A:
– 39 Jahre, Sekretärin. Verheiratet. Ein Kind.
• Heinz L:
– 47 Jahre, Lagerverwalter. Z.Zt. arbeitsunfähig.
Verheiratet. Keine Kinder.
Fazit
• Die psychosomatische Grundversorgung ist ein
fester und unausweichlicher Bestandteil der
hausärztlichen Versorgung.
• Die Betreuung des psychosomatisch
erkrankten Patienten erfordert viel
Einfühlungsvermögen, Geduld und Kraft.
• Sie wird jedoch belohnt durch dankbare und
zufriedene Patienten: Vertrauen bindet!
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