Hebammen-Standpunkte Kaiserschnitt ohne strenge medizinische Indikation Bund Deutscher Hebammen e.V. Herausgeber: Bund Deutscher Hebammen e.V. Gartenstr. 26 76133 Karlsruhe Tel. 0721- 9 81 89- 0 [email protected] www.bdh.de © 2007, 2. überarbeitete Auflage, 1000 Stück Satz: Büro für Gestaltung, 76149 Karlsruhe Druck: Wilhelm Stober GmbH, 76344 Eggenstein Kaiserschnitt ohne strenge medizinische Indikation Seit Ende der 90er Jahre hat sich die Zahl der Kaiserschnittgeburten in Deutschland mehr als verdoppelt, so dass heute jedes vierte Kind durch einen Kaiserschnitt geboren wird (27% im Jahr 2006). Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielfältig und werden kontrovers diskutiert. Eine Studie der WHO (1995) belegt, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Betreuungsmodus während der Schwangerschaft und der Interventionsrate während der Geburt. In Gesundheitssystemen, in denen die Schwangeren unter dem entscheidenden Einfluss von Ärzten stehen – wie zum Beispiel in Brasilien, Mexiko und den USA - findet sich eine Kaiserschnittrate von bis zu 80%. In Ländern, in denen die Grundversorgung gesunder Schwangerer dagegen vorwiegend durch Hebammen geschieht – wie in den Niederlanden, Skandinavien und Neuseeland – finden sich weniger Risikoschwangerschaften und -geburten, weniger Interventionen und das bei gleichzeitig guter Gesundheit von Mutter und Kind (Angelica Ensel 2007). Eine groß angelegte Studie über Kaiserschnitte der Uni Bremen hat gezeigt, dass in den wenigsten Fällen „die Sectio der Geburtsmodus der persönlichen Wahl“ gewesen ist, sondern, dass durch ein Zusammenspiel verschiedener Bedingungen, von den Frauen ein Kaiserschnitt als Alternative zur Spontangeburt akzeptiert wird (Petra Kolip 2006). Bereits Anfang der 90er Jahre hat die WHO auf die Widersprüche in der westlichen Welt zwischen üblicher geburtshilflicher Routine und tatsächlicher medizinischer Notwendigkeit hingewiesen. In diesem Zusammenhang wurde auch kritisiert, dass 90% der angewandten geburtshilflichen Interventionen keine wissenschaftlich abgesicherte Basis hätten (WHO 1995). Bezogen auf die Kaiserschnittrate bedeutet das folgendes: Die optimale Kaiserschnittrate ist bis heute nicht bekannt, dennoch scheint es so, dass es „oberhalb eines sehr niedrigen Levels“ – Enkin beziffert diese Untergrenze mit 5% - „kaum noch Verbesserungen im Outcome1 erreicht werden“ (ebd. 2006: 347). Vielfach wird beim Kaiserschnitt ohne strenge medizinische Indikation vom „Wunschkaiserschnitt“ gesprochen. Dieser Begriff erweckt den Eindruck, 1 Ergebnis dass der Wunsch nach einer operativen Geburt Ausdruck der Selbstbestimmung schwangerer Frauen sei. Bei genauem Hinsehen können wir erkennen, dass dieser Wunsch häufig der Angst vor den Unwägbarkeiten einer Geburt entspringt. Wir beobachten, dass die Befürworter des „Kaiserschnitts auf Wunsch“ diese Unsicherheit der Frauen verstärken, indem sie von „unkalkulierbaren Risiken“ einer normalen Geburt sprechen. Die Unsicherheit und Angst der Frauen betrachten wir Hebammen als physiologisch, denn diese Empfindungen sind durchaus typisch für neue und unbekannte Lebenssituationen. Deshalb ist unsere Antwort auf Verunsicherung eine frühzeitige, verständnisvolle und Sicherheit gebende Begleitung durch eine Hebamme – vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende der Stillzeit. Nach heutigem Wissensstand sprechen zahlreiche Faktoren gegen einen geplanten Kaiserschnitt ohne strenge medizinische Indikation (Enkin u.a., KTM Schneider 2005). Das wissen auch die Krankenkassen. Nach eigenen Angaben fühlen sie sich aber außer Stande, die gestellten Indikationen einer Überprüfung zu unterziehen. Die Vorstellung, dass der Kaiserschnitt, zumindest für das Kind der ungefährlichste Geburtsmodus sei, lässt sich aufgrund der Datenlage nicht aufrechterhalten (F. Sayn-Wittgenstein 2006:69). Bei einer „primären Sectio“ (Kaiserschnitt vor Einsetzen der Wehentätigkeit) sind die Gefährdungen für das Neugeborene größer als bei einer Spontangeburt. Geplante Kaiserschnitte werden in der Regel zwei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin durchgeführt, daher sind die Kinder häufig noch nicht „ausgereift“ und wegen der mangelnden hormonellen Stimulation nicht auf die Geburt vorbereitet. Atem- und Anpassungsschwierigkeiten, wie zum Beispiel das „wet lung syndrom“2 , sind häufiger zu beobachten (35 Promille bei primärer Sectio, im Gegensatz zu 5 Promille bei einer vaginalen Geburt) und machen auch bei reifen Kindern einen kurzfristigen Aufenthalt auf einer Neugeborenenintensivstation nötig (Schneider 2005: 50). Schnittverletzungen durch das Öffnen der mütterlichen Bauchdecke finden sich bei 1-3% der Neugeborenen, insbesondere bei Vorderwandpla2 In der Lunge befindet sich Fruchtwasser, das bei der normalen Geburt beim Durchtritt durch das Becken der Frau herausgedrückt wird. zenta, starker Blutung und oder wenn das Gesicht des Kindes direkt an der Schnittstelle liegt (ebd). Bezogen auf die mütterliche Seite lässt sich sagen, dass die Komplikationsrate durch moderne Operationstechniken und Anästhesieverfahren einen niedrigen Stand erreicht hat. Dennoch haben wir ein bis zu neunfach erhöhtes Sterblichkeitsrisiko für die Mütter beim Kaiserschnitt. Die mütterlichen Komplikationen treten hauptsächlich postoperativ auf und zeigen sich in Form von Darmverschluss, Thrombosen und Embolien sowie durch Störungen der Wundheilung mit und ohne Infektionen. Der „Geburtsschmerz“ wird in die Zeit nach der Operation verlegt und beeinträchtigt die Frauen gerade dann, wenn sie sich in Ruhe und Muße ihrem Neugeborenen zuwenden möchten. Die Frau wird um ihr Geburtserlebnis gebracht. Sie umgeht durch eine operative Geburt zwar den Geburtsschmerz, wird aber auch um das Gefühl gebracht, die Geburt aus eigener Kraft gemeistert zu haben. Das Bonding3 zwischen Mutter und Kind und das erste Stillen sind nach einer operativen Geburt erschwert. Frauen mit Kaiserschnitt sind im Nachhinein häufiger unzufrieden mit diesem Geburtsmodus, als Frauen nach Spontangeburten und würden beim nächsten Kind eine andere Art der Geburt wählen. Der Zustand nach einem Kaiserschnitt ordnet die Frau in der nächsten Schwangerschaft einer Risikoklientel zu. Nach bekannt werden einer erhöhten Gefahr einer Uterusruptur (G. C. S. Smith, 2003) finden sich in der letzten Zeit wieder ansteigende Zahlen von Kaiserschnitten bei Folgekindern, die Ärzte aus Sorge um Regressansprüche vorsorglich empfehlen. In den Folgeschwangerschaften kommt es häufiger zu Früh- und Totgeburten, Mangelentwicklung der Kinder und Störungen im Zusammenhang mit der Nachgeburt. Auch die Unfruchtbarkeitsrate ist erhöht, die Anzahl möglicher Kinder begrenzt. Murray Enkin schreibt, dass „in denjenigen Industrieländern, in denen Hebammen die hauptverantwortlichen Fachkräfte für gesunde Frauen mit normalen Schwangerschaftsverläufen sind“ diese bessere mütterliche und kindliche Ergebnisse haben „wie zum Beispiel niedrigere perinatale Sterblichkeitsraten, und niedrigere Kaiserschnittraten, verglichen mit In3 Liebevolle zwischen Mutter und Kind: dustrieländern, in denen viele oder die Mehrzahl der gesunden Frauen in der Schwangerschaft von geburtshilflichen FachärztInnen betreut werden (2006: 43). Die Mitglieder im Bund Deutscher Hebammen fühlen sich durch dieses Wissen bestärkt, und verlangen eine strengere Indikationsstellung für eine operative Geburt. Angesichts der stetigen Zunahme von Kaiserschnitten ohne strenge medizinische Indikation fordert der Bund Deutscher Hebammen: Die Vermeidung von Komplikationen und das Vermeiden von unnötigen Eingriffen muss oberstes Ziel der Geburtshilfe und der zukünftigen Gesundheitspolitik werden. Ein Abrechnungssystem, das unnötiges Eingreifen honoriert, setzt in der Geburtshilfe falsche wirtschaftliche Anreize. Eine unabhängige und einfühlsame Information der Frauen über die Nachteile eines Kaiserschnitts auch im Hinblick auf Folgeschwangerschaften. Krankenkassen und Politik müssen ein klares Bekenntnis zu interventionsarmen Geburten und ein klares NEIN zu Kaiserschnitten ohne Indikation formulieren. Die Kosten, die durch einen Kaiserschnitt ohne strenge medizinische Indikation entstehen, dürfen nicht länger dem Solidarsystem zugemutet werden. Deshalb schlagen wir die schrittweise Einführung eines Vergütungsabschlages (innerhalb des jeweiligen Levels) für Kliniken mit einer besonders hohen Kaiserschnittrate vor. Wir vom Bund Deutscher Hebammen leisten unseren Beitrag gegen die steigenden Kaiserschnittzahlen, indem wir auf die Vorteile der vaginalen Geburt verweisen. Der natürliche Geburtsbeginn am Ende einer Schwangerschaft, ist in der Regel der optimale Zeitpunkt für ein Kind, um auf die Welt zu kommen. Wenn die vaginale Geburt interventionsarm verläuft und einfühlsam begleitet wird, dann wird die „normale Geburt“ ein positives und intensives Erleben für Mutter und Kind. Wir betrachten es als eine wichtige Aufgabe von Hebammen, schwangere Frauen zu ermutigen, ihr Vertrauen in die eigene Kraft zu stärken, um mit dem Schmerz während der Geburt umgehen zu können. Ein aktives Gebären gibt den Frauen die Chance, eigene Stärke zu erleben. Das Wissen, kritische Lebenssituationen gestalten und bewältigen zu können, ist eine Erfahrung, die große innere Kraft und Selbstvertrauen verleiht. Dies sind wichtige Fähigkeiten für die Vorbereitung auf die neue Rolle als Mutter. Wir Hebammen richten deshalb unser Augenmerk auf die angemessene Balance zwischen Geschehenlassen und Eingreifen mit der Absicht, das Selbstvertrauen und den Kompetenzzuwachs der Frauen zu unterstützen und zu stärken. Wir Hebammen können durch unser Angebot Einfluss nehmen auf eine Absenkung der Kaiserschnittzahlen. Darüber hinaus muss aber auch die gesellschaftlich relevante Arbeit gesehen werden, die Hebammen im Zusammenhang mit Frauen- und Familiengesundheit leisten: durch unsere einfühlsame und kompetente Begleitung vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende der Stillzeit fördern wir das Zusammenwachsen als Familie und stärken das zukünftige gesundheitliche Wohlergehen von Mutter und Kind. Literatur Enkin, Murray u.a.: Effektive Betreuung während Schwangerschaft und Geburt. Ein evidenzbasiertes Handbuch für Hebammen und Geburtshelferinnen; Huber 2006 Ensel, Angelica: Kaiserschnitt: Eine Abkürzung mit Folgen, In: Natur & Heilen 7/2007: 26-36 Kolip, Petra und Lutz, Ulrike: Die GEK - Kaiserschnittstudie, Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse, GEK-Edition, 2006 Sayn - Wittgenstein, Friederike Hrsg.: Geburtshilfe neu denken. Bericht zur Situation des Hebammenwesens in Deutschland, Huber 2006 Schneider, KTM. u.a.: Ist die hohe Kaiserschnittrate vertretbar?, DHZ 5/2005: 50 Smith, Gordon C.S.: Caesarean section and risk of unexplained stillbirth in subsequent pregnancy, In: Lancet 2003, 362: 1178-84 WHO : Bericht über angemessene Geburtstechnologie, Genf 1995 Bund Deutscher Hebammen e.V.