Skriptum zum Vorkurs Mathematik Dr. Hartwig Bosse 30. August 2017 2 Inhaltsverzeichnis 1 Allgemeine Rechenhilfen 1.1 Brüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Rechnen mit Dezimalbrüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Bruchrechnen: Rechnen mit “echten” Brüchen . . . . . . . . . . . 1.3.1 Multiplikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Kürzen und Erweitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Addition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Rechnen mit allgemeinen Brüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Wurzeln im Nenner: Erweitern mit 3. binomischer Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 7 8 8 9 9 10 13 13 2 Potenzen 2.1 Rechenregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Ganzzahlige Exponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Brüche als Exponenten (Wurzeln in Exponentialschreibweise) 2.1.3 Negative Exponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Null als Exponent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Null hoch Null . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 15 16 16 17 17 18 3 Funktionen 3.1 Wichtige Vokabeln . . . . . . . . 3.2 Eine Funktion Definieren . . . . 3.3 Darstellung von Funktionen . . . 3.3.1 Tabellarische Darstellung 3.3.2 Graphische Darstellung . 3.4 Eigenschaften von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 21 21 22 22 22 24 4 Polynome 4.1 Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Nullstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Lineare Polynome . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Quadratische Polynome . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Für Profis: Nullstellen quadratischer Polynome . 4.2.4 Nullstellen allgemeiner Polynome: Faktorisieren 4.2.5 Polynomgleichungen aus rationalen Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 25 25 27 29 31 32 34 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 INHALTSVERZEICHNIS 5 Differentialrechnung 5.1 Vom Differenzenquotienten zur Ableitung 5.2 Berechnen von Ableitungen . . . . . . . . 5.2.1 Die Grundableitungen . . . . . . . 5.2.2 Kettenregel . . . . . . . . . . . . . 5.3 Kurvendiskussion . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Die erste Ableitung . . . . . . . . . 5.3.2 Die zweite Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 37 39 39 40 41 41 42 6 Integralrechnung 6.1 Unbestimmte Integrale . . . . 6.1.1 Die Konstante . . . . 6.1.2 Die Lösungsregeln . . 6.1.3 Die Grundintegrale . . 6.1.4 Einfache Substitution 6.1.5 Partielle Integration . 6.2 Bestimmte Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 45 45 46 46 46 48 49 7 Vektoren und analytische Geometrie 7.1 Was sind Vektoren und wo tauchen sie auf? . . . . . . . . . . 7.1.1 Vektoren in Kartesischen Koordinaten . . . . . . . . . 7.2 Rechnen mit Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Darstellung von Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Geradengleichungen und Ebenengleichungen . . . . . . . . . . 7.4.1 Geraden in Punkt-Richtungs-Form . . . . . . . . . . . 7.4.2 Ebenen in Punkt-Richtungs-Form und Normalenform 7.4.3 Wechsel zwischen den Ebenen-Formen . . . . . . . . . 7.5 Klassische Aufgabenstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 51 51 52 59 61 61 61 64 64 8 Matrizen 8.1 Was sind Matrizen und wozu sind sie da? . . . . . . . . . . . . . 8.2 Rechnen mit Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Matrixmultiplikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Determinanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.1 Das Parallelotop im R3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.2 Berechnung und Rechenregeln für Dimensionen 2 und 3 . 8.4.3 Ausblick Studienwissen: Berechnung der Determinante für . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . allgemeine Dimensionen 67 67 68 72 73 74 74 75 9 Wahrscheinlichkeitsrechnung 9.1 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Wahrscheinlichkeiten und Zählen . . . . . . . . . . 9.2.1 Zählen aller Ereignisse . . . . . . . . . . . . 9.3 Zufällige Ereignisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Absolute und relative Häufigkeit . . . . . . . . . . 9.5 Wahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.6 Bedingte Wahrscheinlichkeit und Unabängigkeit . . 9.7 Zufallsvariablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.8 Erwartungswert, Varianz und Standardabweichung . . . . . . . . . 79 79 79 80 80 81 81 82 83 84 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorwort “Das Buch der Natur ist mit mathematischen Symbolen geschrieben.” (Galileo Galiliei) Mathematik ist für viele Fächer ein wichtiges Grundlagenfach. Entsprechend wird die Mathematik in vielen Fächern - vor allem den naturwissenschaftlichen - in der Lehre ausgiebig betont. Die meisten Professoren werden sagen: zu recht. Einige Studenten werden sagen: leider. Der Vorsemesterkurs, zu dem Sie das Skriptum in den Händen halten, ist genau für solche Studierenden als Starthilfe zwischen Schule und Hochschule gedacht: Der Kurs bietet eine Zusammenfassung des grundlegenden mathematischen Schulwissens - in überschaubarer Zeit. An wen richtet sich dieser Kurs? Das Skript richtet sich an Studierende -Anfänger wie höhere Semester- die für ihr Fachgebiet eine Auffrischung von Mathematikwissen wollen oder benötigen: Also an alle die ihr mathematisches Schulwissen nicht mit der nötigen Sicherheit beherrschen. Die Veranstaltung ist allerdings nicht für Mathematikstudenten gedacht. Was kann dieses Skript nicht? Wegen des knappen Umfanges, kann dieses Skript zusammen mit dem Kurs nur eine “erste Hilfe” in Sachen Schulmathematik sein. Es wird vermutlich niemandem möglich sein, zwei Schuljahre Mathematik in 6 Tagen zu wiederholen. Studierende, denen Schulwissen fehlt, bitten wir also daran zu denken, dass dieser Kurs diese Defizite nicht “auf magische Art wegzaubert”. Mathematik ist am Ende eine Sprache (s. Zitat) und um eine Sprache aktiv zu beherrschen muss man Vokabeln (hier: Fakten) und Grammatik (hier: Rechenregeln) lernen – und vor allem: üben. Entsprechend möchten wir alle interessierten Studenten bitten, die am Ende angefügte Literaturliste einmal genauer anzuschauen. Wir wünschen allen Einsteigern, Wiedereinsteigern und Auffrischern viel Erfolg beim weiteren Lernen der eigentümlichen Sprache aller Naturwissenschaften! 5 6 INHALTSVERZEICHNIS Danksagungen Vielen Dank an Ralph Neininger und Anton Wakolbinger für die Organisation dieses Mathematik-Einführungskurses und an Dr. Reinhard Steffens und Ralf Lehnert für die Hilfe beim Erstellen der Vorversion dieses Skriptes. Ferner und vor allem danke ich Christine Gärtner für das exzellente Korrekturlesen. Kapitel 1 Allgemeine Rechenhilfen 1.1 Brüche Brüche sind gleichzeitig die wohl einfachsten Objekte in diesem Kurs und gleichzeitig neben Vorzeichenfehlern die größte Quelle einfacher Flüchtigkeitsfehler. Deswegen stellen wir hier noch einmal die wichtigsten Rechenregeln und möglichen Fehlerquellen vor. Rationale Brüche Ein rationaler Bruch besteht aus “Zähler geteilt durch Nenner” wobei Zähler und Nenner natürliche Zahlen sind, also Zahlen aus N. Ein Beispiel ist 34 mit Nenner 4 und Zähler 3. Der Zähler zählt wie viele Viertel es sind, hier sind es drei Viertel. 3 4 Der Nenner benennt den Bruch (gibt ihm einen Namen) hier sind es “Viertel ”. Gemischte Brüche Brüche bei denen der Zähler größer ist als der Nenner, lassen sich als gemischte Brüche schreiben, also in der Form a + cb mit a ∈ Z. Ein Beispiel: 9+2 9 2 2 11 = = + =3+ 3 3 3 3 3 Schreibweise “1 34 ” für 1 + 3 4 unbedingt vermeiden! Die übliche Schreibweise von 1 + 34 als “1 34 ” (also “ein-dreiviertel”) ist zwar außerhalb der Mathematik gebräuchlich ist aber unbedingt zu vermeiden! Schreibt man “ 2 13 ” und meint damit 2+ 13 so ergibt sich das folgende Problem Kurzschreibweise wird gelesen als: 2 x = 2 ·x 1 1 2 1 2 = 2 · = 6= 2+ 3 3 3 3 7 8 KAPITEL 1. ALLGEMEINE RECHENHILFEN 1.2 Rechnen mit Dezimalbrüchen Wieso soll ich die komplizierten Rechenregeln für Brüche lernen, wenn ich sowieso alles mit dem Taschenrechner viel schneller berechnen kann?? Rechnen mit dem Taschenrechner in Dezimalbrüchen ist recht bequem, wenn man die gegeben Brüche erst einmal in einen Dezimalbruch umgewandelt hat. Allerdings ergeben sich mitunter falsche Ergebnisse, wenn man es mit periodischen Dezimalbrüchen zu tun bekommt. Dezimalbrüche Rationale Brüche lassen sich auch als “Kommazahlen” schreiben, fachsprachlich “Dezimalbrüche ”. Jedem bekannt sein sollte, dass ein halber Liter 0, 5` sind, es gilt hier also 12 = 0, 5. Hier ein paar Beispiele für Dezimalbruch-Schreibweisen, die man kennen sollte: 1 10 1 100 1 1000 1 2 1 4 1 8 = 0, 1 = 0, 01 = 0, 001 = 0, 5 1 3 = 0, 3 = 0, 33333 · · · = 0, 25 = 0, 125 Rechnet man gewöchliche rationale Brüche in Dezimalbrüche um, so können periodische Brüche entstehen (wie zum Beispiel 13 ). Das Rechnen mit periodischen Dezimalbrüchen mit Stift und Zettel ist anstrengend, aber der Taschenrechner ist hier keine echte Hilfe - wie Beispiel 1.1 zeigt. Rechnen mit Dezimalbrüchen ist bequem aber unvorteilhaft Vorteil: Rechnungen wie Addieren und Multiplizieren verlaufen recht einfach, zB. Dezimalbruch-Form einfach 0.25 + 0.21 = 0.46 und ist leicht zu berechnen. 1 4 + 21 10 lautet in Zwei klare Nachteile: Punktabzug bei periodischen Dezimalbrüchen! • Das Umwandeln von rationalen Brüchen in Dezimalbrüche kann zu komplizierten periodischen Zahlen führen. Beim Rechnen mit diesen Zahlen führt das zum Runden, also zu ungefähr richtigen bzw. falschen Ergebnissen. In Klausuren: Punktabzug! • Beim Rechnen mit Dezimalbrüchen können Rechnungen, die Normalerweise durch einfaches Kürzen zu erledigen wären, überraschend schwer werden. Beispiel 1.1 (Rechnen mit Dezimalbrüchen ist unvorteilhaft) Man sieht leicht, dass das Pro7 dukt 11 · 11 7 nach dem Kürzen einfach nur 1 ergibt. In Dezimalbrüchen ausgedrückt und im Taschenrechner berechnet sieht die Rechnung dagegen so aus: 7 11 · 11 7 ' 0.63636364 · 1.57142857 = 1.00000000481 Mit anderen Worten: Um Bruchrechnen ohne Taschenrechner kommt man in der Mathematik nicht herum, wenn man genaue Ergebnisse berechnen möchte! Schaut man sich die Bruchrechenregeln einmal an, so sind bis auf die Addition von Brüchen die Regeln recht harmlos und umsetzbar. Es gilt also eigentlich nur das Addieren von Brüchen zu üben! 1.3 Bruchrechnen: Rechnen mit “echten” Brüchen Es gibt im wesentlichen vier wichtige Rechenoperationen für Brüche: 1.3. BRUCHRECHNEN: RECHNEN MIT “ECHTEN” BRÜCHEN 9 Rechnen mit rationalen Brüchen • Addieren auf Hauptnenner erweitern, dann etagenweise addieren. • Multiplizieren Nenner-mal-Nenner & Zähler-mal-Zähler. • Teilen multiplizieren mit dem Kehrwert des Nenners. • Kürzen erst ausklammern im Nenner und Zähler, dann kürzen. ! Klammern setzen! Die einfachste dieser Operationen ist die Multiplikation, die anderen Operationen sind etwas schwieriger. a c a·c · = b d b·d 1.3.1 Multiplikation Für zwei Brüche ab und Zähler-mal-Zähler. c d ist das Produkt a·c b·d . Hier muss man also Nenner-mal-Nenner nehmen und Bei Multiplikation: Klammern setzten ! Wegen “Punkt-vor-Strichrenung” muss man Klammern setzten wenn im Zähler oder Nenner eine Addtion (bzw eine Summe oder Differenz) steht: 2 4x + 3 · 3 5 = 2 · (4x + 3) 3·5 = 8x + 6 15 2 4x + 3 · 3 5 6= 2 · 4x + 3 3·5 = 8x + 3 15 X Das obige Beispiel zeigt einen typischen Füchtigkeitsfehler, den man unbegingt vermeiden sollte. Also beim Ausmultiplizieren großer Brüche immer Klammern setzen! a · (c) c = a · (b) b 1.3.2 Kürzen und Erweitern Beim Kürzen von Brüchen gibt es eine immens wichtige Regel: Erst ausklammern, dann kürzen! Mit dieser Regel vermeidet man den Fehler, falsch aus Summen zu kürzen. Kürzen Beim Kürzen eines Bruches entfernt man einen Faktor, der sowohl den ganzen Zähler als auch den ganzen Nenner teilt: 5 · (3) 3 15 = = 20 5 · (4) 4 Beim Kürzen: Klammern setzten ! Um keinen Fehler beim Kürzen von komplizierten Brüchen zu begehen, sollte man stets den zu kürzenden Faktor ausklammern: 4a + 8 12a + 8 = 4 · ( a + 2) 4 · (3a + 2) = a+2 3a + 2 4a + 8 12a + 8 = 4·a+8 4 · 3a + 8 6= a+8 3a + 8 X 10 a c + = b d a·d + c·b b·d KAPITEL 1. ALLGEMEINE RECHENHILFEN 1.3.3 Addition Idee: der HauptNENNER Alle Brüche haben einen Namen, den Nenner: Der Bruch 73 heißt drei Siebtel“, und gemeint ist: drei Stück vom Typ Siebtel. ” Brüche mit gleichem Nenner addieren ist einfach. Bei der Addition von Dingen mit gleichem Namen, addiert man lediglich die Anzahlen: 3 Äpfel plus 2 Äpfel ergibt 5 Äpfel. 3 2 5 7 + 7 = 7 3 Siebtel plus 2 Siebtel ergibt 5 Siebtel. Brüche mit verschiedenem Nenner addieren ist schwieriger. Bei der Addition von Dingen mit verschiedenem Namen, muss man zusätzlich einen neuen Namen finden, einen passenden Oberbegriff also: 3 Äpfel plus 2 Birnen ergibt 3+2 Stück Obst. Will man Brüche mit verschiedenem Nenner addieren, so muss man die Brüche passend erweitern, so dass beide Brüch den selben Nenner/Namen bekommen. Bei der Addition und bei der Subtraktion von Brüchen muss man beide Brüche zunächst auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Dies ist zwar etwas umständlich aber absolut notwendig, denn Brüche mit gleichem Nenner addieren ist einfach: “Drei-viele” Siebtel plus “zwei-viele” Siebtel ergeben “fünf-viele” Siebtel - ganz wie beim Addieren von drei Äpfeln plus vier Äpfeln: 3 2 5 + = 7 7 7 Das heißt: Solange die Brüche gleich heißen (zB. Siebtel oder “b-tel”) kann man ganz einfach addieren: a c a+c + = b b b Brüche mit verschiedenem Nenner addieren: Will man Brüche mit verschiedenem Nenner addieren, so muss man die Brüche passend erweitern, so dass beide Brüch den selben Nenner bekommen. Addition per einfachem Erweitern: Die einfachste Methode Brüche auf einen Nenner zu bringen ist, jeweils mit dem anderen Nenner zu erweitern. Dies ist aber gleichzeitig sehr rechenaufwändig, weil die verwendeten Zahlen schnell sehr groß werden: 5 3 5 · 20 3 · 12 100 + 36 136 + = + = = 12 20 12 · 20 20 · 12 240 240 Hier muss man den entstandenen Bruch nun mühsam (mit 8) kürzen, und erhält 17 30 . Will man beim Addieren von rationalen Brüchen kleinere Zahlen bekommen, so muss man die Brüche auf den Hauptnenner bringen: Der Hauptnenner ist das kleinste gemeinsame Vielfache (kgV) der beiden auftretenden Nenner. 1.3. BRUCHRECHNEN: RECHNEN MIT “ECHTEN” BRÜCHEN 11 Berechnen des kgV zweier Zahlen Zum Berechnen des kleinsten gemeinsamen Vielfachen zerlegt man die gegeben Zahlen in ihre Faktoren, das kgV ist dann das Produkt aller auftretenden Faktoren, gemeinsame Faktoren werden dabei nur einmal benutzt. Ein Beispiel: Es soll das kgV von 42 und 120 berechnet werden. 1. Ein erstes Zerlegen der Zahlen liefert: 42 = 6 · 7 und 120 = 12 · 10. 2. Vollständiges Zerlegen liefert: 42 120 = = 2 2 ·2 | ·2 ·3 ·7 ·2 ·3 ·5 {z } gemeinsame Faktoren z kgV (42, 120) = 2 ·2 }| { ·2 ·3 ·5 · 7 = 24 · 35 = 840 Addition von Brüchen: Auf den Hauptnenner bringen Ein Beispiel: Es soll 7 11 15 + 20 berechnet werden. 1. Berechnen des kgV der Nenner 15 und 20 . 15 20 = 5 = 5 kgV (15, 20) Probe: 60 = 4 · 15 = ·3 ·2 · 2 5 ·3 · 2 · 2 = 60 60 = 3 · 20 und 2. Erweitern der Brüche auf sechzigstel mittels der Faktoren aus der Probe: 11 4 · 11 44 = = 15 4 · 15 60 7 3·7 21 = = 20 3 · 20 60 3. Addition der erweiterten Brüche: 11 7 + 15 20 = 44 21 + 60 60 = 65 60 12 KAPITEL 1. ALLGEMEINE RECHENHILFEN Exkurs: Warum gilt eigentlich 1 = 0, 9 ? Üblicherweise beantworten Mathelehrer das mit einer Rechnung, die die Sache nicht viel klarer macht: ⇒ 1= 1 3 = 0, 33333333 · · · 3· 13 = = = 3· 0,33333333 · · · 0,99999999 · · · 0, 9 Offensichtlich ist “eins” das selbe wie “drei Drittel”. Das wiederum ist identisch mit “drei mal 0, 333 · · · ”, und das ergibt “0, 999 · · · ”. Also muss “eins” das selbe sein wie “0,9”. Leider macht ein solcher Rechentrick die Sache nicht viel klarer und vielleicht ist man sich bei solchen Rechnungen nicht bei jedem Schritt hunderprozentig sicher, dass er auch korrekt ist. Deswegen hier noch ein anderer Versuch zu erklären, warum 0, 9 = 1 gilt: Haben 1 und 0,9 eigentlich einen Abstand? Wir stellen (wenig überraschend) fest, dass zwei Zahlen a und b gleich sind, wenn ihr Abstand zueinander gleich Null ist. Der Abstand zwischen einer größeren Zahl a und einer kleineren b ist übrigens a − b. Ein Beispiel: Der Abstand zwischen 5 und 3 ist 5 − 3 = 2, diese Zahlen haben also einen echten Abstand, sie sind also nicht gleich. Welchen Abstand aber haben a = 1 und b = 0,9? Welchen Wert hat also a − b = 1 − 0,9? Den Abstand können wir zwar (noch) nicht berechnen, aber was wir sicher wissen ist, dass 1−0,9 < 0, 001 gilt: 1 − 0,9 = 1 −0, 999999 · · · = 1 −0, |{z} 999 −0, 000 |999 {z· ·}· erst die ersten 3 = 0, 001 & dann die restlichen neuner abziehen. . . −0, 000999 · · · | {z } hier wird von 0, 001 noch was abgezogen! ⇒ 1 − 0,9 < 0, 001 Nach dem gleichen Schema können wir aber auch zeigen, dass 1 − 0,9 < 0, 00001 gilt und dass 1 − 0,9 < 0, 0000001 gilt. Es gilt sogar · · · · · 000000} 1 1 − 0,9 < 0, |000000 · · · ·{z etc. 1000 Stück Der echte Abstand d := 1 − 0,9 zwischen 1 und 0,9 ist also eine Zahl, die kleiner als jeder noch so winzige Abstand den wir uns ausdenken können. Es gilt: 1 − 0,9 = d < ε für jeden möglichen echten Abstand ε mit ε > 0. Der einzige Abstand der also in Frage kommt ist d = 0 (Abstände sind nie negativ!). Die zwei Zahlen 0,9 und 1 haben also den Abstand Null – sie sind also gleich! 1.4. RECHNEN MIT ALLGEMEINEN BRÜCHEN 1.4 1.4.1 13 Rechnen mit allgemeinen Brüchen Wurzeln im Nenner: Erweitern mit 3. binomischer Formel Das ohnehin nicht einfache Rechnen mit Brüchen wird noch etwas schwieriger, wenn es sich um Brüche handelt, in denen Wurzeln im Nenner vorkommen. Wie vereinfacht man zum Beispiel √ √ 6+ 2 2+ 2 √ + √ ? (1.1) 1+ 2 1+3 2 Hier hilft erweitern mit der dritten binomischen Formel. Die allgemeine Fromulierung dieses Tricks, bei dem die Wurzel im Nenner verschwindet lautet: √ √ √ c c · (a − b) c a− b c · (a − b) √ = √ · √ = = √ 2 a2 − b a+ b a+ b a− b a2 − b An unserem Beispiel in (1.1) angewendet erhalten wir für die beiden Terme: √ 2+ 2 √ 1+ 2 √ √ √ √ √ √ 2 √ 2+ 2 1− 2 2−2· 2+1· 2− 2 − 2 √ · √ = = = = 2 √ 2 −1 1+ 2 1− 2 12 − 2 √ √ √ 2 √ √ √ √ 6+ 2 6+ 2 1−3 2 6 − 18 · 2 + 1 · 2 − 3 2 −17 2 √ √ = √ · √ = = = 2 1 − 32 · 2 −17 1+3 2 1+3 2 1−3 2 Also ergibt sich √ √ 2+ 2 6+ 2 √ + √ 1+ 2 1+3 2 = √ 2+ √ 2 14 KAPITEL 1. ALLGEMEINE RECHENHILFEN Kapitel 2 Potenzen Dass man 2 + 2 + 2 zu 3 · 2 verkürzt, kennt vermutlich jeder, für die Multiplikation gibt es eine ähnliche Abkürzung, die Potenzen. Man verkürzt 4 · 4 · 4 zu 43 . Um mit diesen Ausdrücken zu rechnen gibt es einige Rechenregeln: 2.1 Rechenregeln Die folgenden Rechenregeln für Potenzen gelten für alle Exponenten. Aus Regeln (1) bis (3) lassen sich die weiteren Regeln folgern. Rechenregeln 2+4 viele (1) n x ·x m = x (n+m) z }| { 5 · 5 = 5 · 5 · 5 · 5 · 5 · 5 = 52+4 2 Produktregel 4 3-viele n m (2) x (n·m) = (x ) (3) xn · y n = (x · y) (4) x−n = 1 xn (5) x1/n = √ n (6) x0 = 1 00 = 1 x 3 2 Exponentenregel 5 n = z }| { ) 3·2-viele = 53·2 5 ·5 ·5 2−viele 5 ·5 ·5 53 ·23 =5·5·5·2·2·2 =(5·2) · (5·2) · (5·2)=(5·2)3 entfernt 2-viele durch Kürzen 1 3+(−2) 53 · 5−2 = 5 · 5 · 5 · für x 6= 0 5 · 5 =5 = 51 für x > 0 und n ∈ N Achtung: Es gilt im Allgemeinen (a + b)n 6= (an + bn ) und an 6= na . Die Rechenregeln (4)-(6) sind eigentlich Definitionen, d.h. die entsprechenden Werte für ab wurden passend zu den Rechenregeln (1)-(3) gewählt. Im Folgenden zeigen wir, wie sich die Rechenregeln (4)-(6) aus den Rechenregeln (1)-(3) herleiten lassen. Zunächst jedoch zeigen wir, wie sich die Regeln (1) und (2) begründen lassen. 15 16 KAPITEL 2. POTENZEN 2.1.1 Ganzzahlige Exponenten Der Ausdruck x3 ist die Kurzfassung von “multipliziere die Zahl x 3-mal mit sich selbst”, also x3 = x·x·x. Genauso definieren wir für eine beliebige ganze Zahl n: xn := x | · x ·{zx · · · x} n−mal n Der Term x heißt “die n-te Potenz von x”, man nennt dabei x die Basis und n den Exponenten. Beispiel: 43 ist die “dritte Potenz von vier ” und ergibt 4 · 4 · 4 = 64. Die Rechenregeln (1) und (2) lassen sich -für ganzzahlige Exponenten - durch Umgruppieren der abgekürzt geschriebenen Produkte begründen: Produktregel Für Exponenten die Summen sind gilt x(n+m) = |x · x ·{zx · · · x} n m x | · x ·{zx · · · x} · x | · x ·{zx · · · x} = x · x = (n+m)−mal (n)−mal (m)−mal Exponentenregel Und für Exponenten, die Produkte sind gilt x(n·m) = x · · · · · x · x · x} | · x · x · · · ·{z (n·m)−mal = (x · x · x · · · x) · (x · x · x · · · x) · · · (x · x · x · · · x) {z } | {z } | {z } | (n)−mal (n)−mal | = (n)−mal {z } (m)−mal m (xn ) · (xn ) · · · (xn ) = (xn ) {z } | (m)−mal Exkurs: Binomische Formeln Der Ausdruck (a + b)n lässt sich ohne Wissen über a und b nicht weiter vereinfachen. Die einzig möglich Umformung von (a + b)n ist also das Ausmultiplizieren und Zusammenfassen der Terme. Besonders wissenswert sind die drei binomischen Formeln, sie lauten wie folgt: (a + b)2 = (a − b)2 = (a + b)(a − b) = 2.1.2 a2 + 2ab + b2 a2 − 2ab + b2 a2 − b2 Brüche als Exponenten (Wurzeln in Exponentialschreibweise) Jetzt wissen wir was x2 ist, aber was ist x0.75 ? Die Antwort ergibt sich aus den Rechenregeln, zusammen 75 mit der Tatsache, dass die Zahl 0.75 ein Bruch ist, nämlich 100 = 34 . Wurzeln in Exponentialschreibweise Für x ≥ 0 und Brüche k n k mit k, n ∈ N gilt: x n := k √ n x . 2.2. NULL ALS EXPONENT 17 Warum man man so mit Brüchen im Exponenten verfährt, lässt sich am Beispiel von x(1/2) erkennen: √ Damit die Rechenregel (1)√auch für x(1/2) gilt, muss x(1/2) einen speziellen Wert haben, nämlich: √ √ x. Der Grund ist der Folgende: x ist die Zahl, die mit sich selbst multipliziert, x ergibt, also x · x = x. Genau das gleiche gilt für x1/2 : 1 1 (2) x( 2 ) · x √ √ x · x 1 1 x( 2 + 2 ) = x(1) = = x = x √ 1 Das heißt, wir erhalten x 2 = x. 1 ist die Zahl, die 5-mal mit Für andere Brüche funktioniert das ganz analog, die Zahl x( 5 ) beispielsweise √ sich selbst multipliziert x ergibt, also die fünfte Wurzel von x, oder 5 x: x( 5 ) · x( 5 ) · x( 5 ) · x( 5 ) · x( 5 ) · = x( 5 + 5 + 5 + 5 + 5 ) = x1 = x 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 3 Auf diese Art lässt sich x( 4 ) berechnen: Mit Rechenregeln (1) und (2) [und zuletzt (4)] ergibt sich 3 1 1 1 x( 4 ) = x( 4 ) · x( 4 ) · x( 4 ) = 2.1.3 x( 4 ) 1 3 = 3 √ 4 x . Negative Exponenten Negative Exponenten Für x 6= 0 gilt: x−n := 1 xn . Auch dies kann man aus der Rechenregel (1) folgern. Für x−2 gilt zum Beispiel: x−2 · x3 = x−2+3 = x1 = x. Teilt man auf beiden Seiten durch x3 erhält man: x−2 = Also gilt x−2 = 1 x2 , und dies verträgt sich auch mit der Rechenregel (2): x 2.2 6x 1 x = = 2. x3 6x · x · x x −3 =x (−1)·3 = x (−1) 3 = 1 x1 3 = 1·1·1 1 = 3 x·x·x x Null als Exponent Auf den ersten Blick ist nicht unbedingt klar, was x0 ergibt: Null als Exponent Für jedes x ∈ R gilt: x0 := 1, es gilt insbesondere 00 = 1. Auch dies lässt sich mit den bereits bekannten Rechenregeln begründen. Mit Regeln (1) und (4) erhält man: 1 x0 = x1+(−1) = x1 · x(−1) = x · = 1 x Es gilt also: x0 = 1. 18 KAPITEL 2. POTENZEN Motivation 40 = 1 Betrachtet man die Multiplikation von 4 mit Zahlen wie in der Grundschule als “so-oft-die-vier-nehmen” so bekommt man das folgende Problem mit “null mal vier”: 4 · 2 = zwei mal die 4 addieren = 4+4 =8 4 · 1 = ein mal die 4 addieren = 4 =4 4 · 0 = kein mal die 4 addieren = ??? ←−Muss man hier “leer” lassen?!? Für Grundschüler kann “null mal vier” in der Tat ein Problem sein. Allerdings stellt sich bei genauem Hinsehen schon bei “ein mal die vier addieren” die Frage worauf denn addieren? Schließlich wird beim bloßen Hinschreiben einer vier ja nichts addiert!! Lösen kann man all diese Verwirrung, indem man sich klarmacht, dass alle Additionen bei einer Null beginnen, am besten Grundschulgerecht mit “Äpfeln”: Das stetige Hinzufügen von jeweils vier Äpfeln, sollte mit einem leeren Teller beginnen, der Null. Korrekt hätte es also heißen müssen: 4 · 2 = zwei mal die 4 zur Null addieren = 0 + 4 + 4 = 8 4 · 1 = ein mal die 4 zur Null addieren = 0 + 4 =4 4 · 0 = kein mal die 4 zur Null addieren = 0 =0 Hier hat jede 4 auch ihr eigenes Plus-Zeichen, alle vieren sind also gleich, in der Version oben ohne Null ist die erste vier jeweils “etwas besonderes” weil sie kein Plus hat. Analog dazu ist 42 = zwei 41 = ein 40 = kein 2.2.1 der “leere Teller” mit dem man mal die 4 auf 1 multiplizieren mal die 4 auf 1 multiplizieren mal die 4 auf 1 multiplizieren bei = = = der Multiplikation beginnt die eins: 1 · 4 · 4 = 16 1·4 = 4 1 = 1 Null hoch Null Für x = 0 gilt ebenso x0 = 1, es gilt also 00 = 1. Es mag unlogisch erscheinen, dass “die Zahl Null null-mal mit sich selbst multipliziert” Eins ergeben soll, aber es hat einen einfachen Grund: Es verträgt sich mit den bisher betrachteten Rechenregeln (1)-(4). Folgt man diesen Regeln, so sieht man, dass die Zahl 00 ihr eigener Kehrwert sein muss, damit die Regeln (1)-(4) gültig bleiben: 00 = 0−0 = 1 1 0 0 ← hier sollte besser nicht Null stehen! Damit ist “Null hoch Null” sein eigener Kehrwert, und die einzige Zahl “die ihr eigener Kehrwert ist” ist Eins! Also: 00 = 1. 2.2. NULL ALS EXPONENT 19 Exkurs: Geschichte Dass man 00 := 1 definiert, war tatsächlich nicht immer unumstritten. Bis Anfang des 19. Jahrhunderts hatten Mathematiker ohne große Diskussionen 00 = 1 gesetzt. Der Mathematiker Cauchy zeigte jedoch, dass 00 als Resultat in Grenzwertbetrachtungen ambivalent ist. Er zeigte, dass falls f (a) = f (b) = 0 gilt, limx→a f (x)g(x) beliebige Werte annehmen kann, je nach dem Verhalten von f und g. 1833 präsentierte Guillaume Libri einige Argumente für 00 = 1, die in der Folge kontrovers diskutiert wurden. Zur Verteidigung von Libri veröffentlichte Möbius einen Beweis seines Lehrers Johann Friedrich Pfaff, der im Wesentlichen zeigte, dass limx→0+ xx = 1 gilt. In der Folge verstummte die Kontroverse, aber noch im Jahr 1992 lehnte Donald Knuth in einem wissenschaftlichen Artikel entschieden ab, dass 00 undefiniert gelassen wird. Denn setzt man 00 = 1 nicht voraus, verlangen viele mathematische Theoreme eine Sonderbehandlung der Null, wie zum Beispiel der binomische Satz n X n k n−k (x + y)n = x y k k=0 0 für die Fälle x = 0 oder y = 0. Die Konvention 0 = 1 ist also sinnvoll, weil sie die Formulierung vieler mathematischer Ausdrücke vereinfacht. 20 KAPITEL 2. POTENZEN Kapitel 3 Funktionen In diesem Abschnitt werden die mathematischen Begrifflichkeiten rund um Funktionen eingeführt. Grob gesagt ist eine Funktion eine Rechenvorschrift, die angibt, wie aus einer Variable der Funktionswert berechnet werden kann. Eine Funktion drückt also den eindeutigen Zusammenhang zwischen der Variable und dem zugehörigen Funktionswert aus, d.h. zu jedem Wert der Variablen gibt es genau einen Funktionswert und nicht mehrere. Physikalische Größen lassen sich beispielsweise aus anderen messbaren Größen berechnen: Beispielsweise ist die Energie, die in einer fallenden 5kg-Hantel steckt, eine Funktion der Höhe h aus der sie Fällt: Energie = (Masse · Erdbeschleunigung · h) also E(h) = 5 · 9, 89 · h. Natürlich gilt dies nur für positive Werte von h, und dies motiviert den Begriff des Definitionsbereichs. 3.1 Wichtige Vokabeln Eine Funktion f besteht aus drei wesentlichen Elementen: 1. Der Definitionsbereich gibt an, welche Werte in die Funktion eingesetzt werden können. 2. Die Zuordnungsvorschrift gibt an, wie man aus den eingesetzten Werten den Funktionswert ausrechnet. 3. Der Wertebereich gibt an, welche Werte die Funktion annehmen kann. Ganz offiziell besteht also jede Funktion aus diesen drei Angaben: 1. Welche werte (Definitionsbereich) 2. werden wie (Zuordnungsvorschrift) 3. wohin abgebildet (Wertebereich). Um eine Funktion zu definieren, müssen also alle drei Angaben angegeben werden. 3.2 Eine Funktion Definieren Betrachten wir zum Beispiel die Funktion f mit der Zuordnungsvorschrift “ziehe die Wurzel aus der eingesetzten Zahl”. Diese Funktion f ist nur für positive reelle Zahlen1 definiert und das Ergebnis ist 1 Die positiven reellen Zahlen bezeichnet man mit R+ 21 22 KAPITEL 3. FUNKTIONEN wieder eine positive reelle Zahl. Dies beschreibt man wie folgt in der Definition von f : f : R+ x −→ 7→ R √+ x (Definitons − und Wertebereich) (Zuordnungsvorschrift) Die Pfeile −→ und 7→ haben hier besondere Bedeutungen und können nicht vertauscht werden. Der erste Teil der Definition gibt Definitionsbereich (links) und Wertebereich (rechts) an. Der zweite Teil sagt zunächst wie die Variable heißt (hier “x”) und gibt dann die Zuordnungsvorschrift an. Für die Funktion mit der Zuordnungsvorschrift “quadriere den Input” kann die Definition also wie folgt aussehen: g: R t −→ 7→ R+ t2 Funktionen für Profis Meistens jedoch werden Definitionsbereich und Wertebereich “unterschlagen”, wenn es um Funktionen geht, bei denen klar ist von wo nach wo die Funktion abbildet. Entsprechend ist die Zuordnungsvorschrift das, was man landläufig als “die Funktion” bezeichnet. Wenn Definitions- und Wertebereich klar sind, ist dies auch zulässig. Man sagt (umgangssprachlich) also “die Funktion x2 ” statt (mathematisch korrekt) “die Funktion die x aus R nach x2 in R+ abbildet”. 3.3 Darstellung von Funktionen Funktionen können alles mögliche auf alles mögliche abbilden, und die Zuordnungsvorschrift sagt wie. Oft ist die Zuordnungsvorschrift eine Formel (z.B. x 7→ x3 ), dies muss aber nicht immer der Fall sein. 3.3.1 Tabellarische Darstellung Die Angabe, welche Partei wie viele Prozente aller Wählerstimmen bekommen hat, ist eine Funktion, die die Menge der Parteien auf die Zahlen von 0 bis 100 abbildet. Die Zuordnungsvorschrift ist jedoch keine Formel sondern eine Tabelle. Solche Tabellen entstehen auch beim Messen in wissenschaftlichen Experimenten: Zeitpunkt in min. 0 1 2 3 4 ◦ Temperatur in C 22.5 23.2 25.1 27.8 29.3 Auch Funktionen, deren Zuordnungsvorschrift eine Formel ist, können Tabellarisch dargestellt werden, so zum Beispiel die Funktion g(t) = t2 : t= g(t) = 0 0 1 1 2 4 3 9 4 16 5 25 6 36 Die Tabellarische Darstellung ist hilfreich, um den Graphen einer Funktion zu zeichnen, mit dem wir uns im Folgenden beschäftigen. 3.3.2 Graphische Darstellung Die graphische Darstellung einer Funktion ist die Kurve der Funktion, d.h. eine Zeichnung, die eine Linie im x-y-Koordinatensystem zeigt, die für jedes x durch den passenden Funktionswert y = f (x) verläuft. Ein Beispiel findet sich in Abbildung 3.1. 3.3. DARSTELLUNG VON FUNKTIONEN 23 F : R x → 7 → R x4 + 7x2 − 5x3 − 5x + 6 Abbildung 3.1: Der Graph einer Funktion 24 KAPITEL 3. FUNKTIONEN 3.4 Eigenschaften von Funktionen Eine Funktion f : D → W heißt • injektiv (linkseindeutig), wenn jedes y ∈ W höchstens ein Urbild x ∈ D hat. D. h. aus x1 6= x2 folgt f (x1 ) 6= f (x2 ). • surjektiv, wenn jedes y ∈ W mindestens ein Urbild x ∈ D hat. D. h. für alle y ∈ W gibt es ein x, so dass f (x) = y gilt. • bijektiv (eineindeutig), wenn sie injektiv und surjektiv ist. D. h. jedes y ∈ W hat genau ein Urbild x ∈ D. (mindestens eins: surjektiv; höchstens eins: injektiv). • gerade, wenn für alle x ∈ D auch −x ∈ D ist, und f (x) = f (−x) gilt. Der Graph von einer geraden Funktionen ist spiegelsymmetrisch zur y-achse. • ungerade, wenn für alle x ∈ D auch −x ∈ D ist, und f (x) = −f (−x) gilt. Der Graph von einer geraden Funktionen ist punktsymmetrisch zum Koordinatenursprung. Eine injektive Funktion f nennt man eine “Injektion”. Die Vorstellung bei der Auswahl des Wortes “injektiv” war, dass f die Werte in D in die Zielmenge W “injiziert”, d.h. es gehen keine Punkte des Definitionsbereiches “verloren”. Beispiel 3.1 Die Funktion f : R → R, x 7→ x3 ist ungerade und bijektiv (injektiv und surjektiv): 3 3 • Es gilt f (−x) = (−x) = − (x) = −f (x). Also folgt f (x) = −f (−x), und f ist ungerade. • Für jeden Wert y ∈ R im Wertebereich gibt es ein Urbild x, so dass y = f (x) = x3 gilt: √ x = 3 y wenn y ≥ 0 und p x = − 3 |y| wenn y < 0. f ist also surjektiv. • Gilt x1 6= x2 für x1 , x2 ∈ R so folgt f (x1 ) 6= f (x2 ). f ist also injektiv. Beispiel 3.2 Die Funktion f : R → R, x 7→ x2 ist gerade und sie ist weder injektiv noch surjektiv: 2 2 • Es gilt f (−x) = (−x) = (x) = f (x). Also folgt f (x) = f (−x), und f ist gerade. • Für den Wert y = −1 im Wertebereich R gibt es kein x, so dass y = f (x) = x2 gilt, d.h. f ist nicht surjektiv. • Für x1 = 2 und x2 = −2 gilt f (x1 ) = 4 = f (x2 ), d.h. f ist nicht injektiv. Beispiel 3.3 Die Funktion f : R → R, x 7→ x3 − x + 1 ist surjektiv, nicht injektiv sowie weder gerade noch ungerade: • Es gilt f (−x) = (−x)3 − (−x) + 1 = −x2 + x + 1 und −f (x) = −x3 + x − 1. Also folgt f (x) 6= f (−x), und f (x) 6= −f (−x). • Es gilt f (−1) = 1 = f (1), also ist f nicht injektiv. • Für jedes y ∈ R gibt es ein x ∈ R mit f (x) = y. Leider ist dies nicht einfach zu zeigen. Kapitel 4 Polynome 4.1 Definitionen Polynome sind einfache, glatte Funktionen (s. Abschnitt 3), deren Eigenschaften sich relativ leicht ablesen lassen. Ein Polynom ist die Summe aus mehreren Termen der Form a · xk wobei a eine beliebige (reelle) Zahl ist und k eine ganze Zahl. Zum Beispiel sind 3 + 2x + 52 x2 und 4x3 − x5 Polynome. Allgemeine Form eines Polynoms Die allgemeine Form eines Polynoms lautet p(x) = a0 + a1 x1 + a2 x2 + . . . + an xn (wobei an 6= 0 gilt) Hier ist “x” die Variable, für die spezielle Werte eingesetzt werden können. • Die reelle Zahlen a0 , . . . , an ∈ R heißen die Koeffizienten des Polynoms p. • Der Wert n (der größte auftauchende Exponent) heißt Grad des Polynoms p. • Der Term an heißt Leitkoeffizient, der Term an xn Leitterm von p. Für p(x) = 4x3 − x5 , zum Beispiel, ist −x5 der Leitterm und −1 ist der Leitkoeffizient. Namenskoventionen Man nennt ein Polynom. . . • vom Grad 1 ein lineares Polynom: x, 2x + 3, x− 1 2 • vom Grad 2 ein quadratisches Polynom: x2 , 4x2 + 3x + 1, −x2 + x • vom Grad 3 ein kubisches Polynom: x3 , 9x3 + 2x2 + 3x + 1 3x3 + 2x Für Polynome höheren Grades sagt man einfach “ein Polynom vom Grad vier ” usw. 4.2 Nullstellen Eine Nullstelle eines Polynoms p ist eine Zahl x0 für die p(x0 ) = 0 gilt. Das Lösen von Polynomgleichungen der Form p(x) = q(x) ist eine wichtige Aufgabe in vielen Bereichen. Dies kann stets auf das Finden von Nullstellen zurückgeführt werden. Das Finden von Nullstellen von 25 26 KAPITEL 4. POLYNOME x3 x2 x p(x)=x4 +7x2 −5x3 −5x+6 Abbildung 4.1: Polynome und ihre Graphen linearen und quadratischen Polynomen ist vergleichsweise einfach. Bei Polynomen höheren Grades wird es schwieriger. Beispiel 4.1 Will man Beispielsweise x2 + 3 = 2x + 2 lösen, so ergibt sich durch abziehen von 2x + 2 auf beiden Seiten eine neue Gleichung, die einer Nullstellensuche entspricht: ⇔ x2 + 3 x2 − 2x + 1 = 2x + 2 = 0 k − 2x − 2 Nach Vereinfachen mittels binomischer Formel lautet die letzte Gleichung (x−1)·(x−1) = 0 (binomischen Formeln s. (4.5) in Abschnitt 4.5). Entsprechend lautet die Lösung hier: x = 1. Der Vereinfachungsschritt am Ende des letzten Beispiels nennt man Faktorisieren. Zunächst schauen wir uns das Lösen von Polynomgleichungen für lineare, dann für quadratische und schließlich für allgemeine Polynome an. Dort werden wir dann das Faktorisieren wieder antreffen. Besondere Gleichungen Manchmal trifft man in Aufgaben auf besonders seltsame Gleichungen: 0 = 1 Gleichungen ohne Lösung. Endet man nach gewöhnlichen Gleichungsumformungen mit einer Gleichung der Form 0 = 1, so hat die Ausgangsgleichung keine Lösung. 0=0 Alle x sind Lösung. Endet man nach gewöhnlichen Gleichungsumformungen (ohne auf beiden Seiten mit 0 zu Multiplizieren) mit einer Gleichung der Form 0 = 0, so ist jedes x ∈ R eine Lösung der Ausgangsgleichung. Beispiel 4.2 Gesucht sind die Lösungen der Gleichung 2x2 + 1 = 2x2 + 1. Durch abziehen von 2x2 + 1 auf beiden Seiten eine neue Gleichung: 2x2 + 1 = 2x2 + 1 ⇔ 0 = 0 k − 2x2 − 1 Diese Gleichung list sich wie folgt: “Welche x leisten, dass die Gleichung 0 = 0 gilt? ”. Da 0 = 0 stets gilt, und zwar unabhängig von x, kann jedes x ∈ R “dies leisten”. Damit ist auch jedes x eine Lösung der Ausgangsgleichung. 4.2. NULLSTELLEN 27 6x+1 5 p(x) = 2x + 1 4x+3 4 3 ← Höhe m = 3 − 1 = 2 2 Abschnitt b = 1 −3 −2 −1 1 2 3 4 5 x −1 −2 −3 Abbildung 4.2: Lineare Polynome Beispiel 4.3 Gesucht sind die Lösungen der Gleichung 5x + 2 = 5x + 1. Schon jetzt ist abzusehen, dass kein x diese Gleichung je erfüllen kann. Durch abziehen von 5x + 1 auf beiden Seiten eine neue Gleichung: 5x + 2 ⇔ 1 = 5x + 1 = 0 k − 5x Diese Gleichung list sich wie folgt: “Welche x leisten, dass die Gleichung 1 = 0 gilt? ”. Da 1 = 0 nie gilt, und zwar unabhängig von x, kann kein einziges x ∈ R “dies leisten”. Damit ist auch kein einziges x eine Lösung der Ausgangsgleichung. 4.2.1 Lineare Polynome Ein lineares Polynom hat die allgemeine Form p(x) = mx + b. Dabei heißt • m die Steigung von p und • b heißt der Achsenabschnitt von p. Der Graph eines linearen Polynoms ist eine Gerade (s. Abbildung 4.2), daher stammt auch die Bezeichnung linear“. Der Wert b heißt Achsenabschnitt“, weil der Graph (s. Abschnitt 3) von p die y-Achse im Wert ” ” b schneidet. Der Wert m gibt die Steigung“ des Graphen von p an, d.h. wie sehr der Graph von p ansteigt ” (oder fällt wenn m negativ ist), wenn man auf der x-Achse einen Schritt“ der Länge 1 macht. ” Bemerkung 4.1 Den Graphen einer Funktion (s. Abschnitt 3) nennt man auch Kurve“ (im Sinne von: ” Fieberkurve). Der Graph eines linearen Polynoms ist also eine schnurgerade Kurve“! ” Lineare Gleichungen Herauszufinden, wo zwei lineare Polynome den gleichen Funktionswert annehmen ist eine wichtige, grundlegende Aufgabe (s. Aufgabe ??). Betrachtet man die entsprechenden Graphen, bedeutet dies, den Schnittpunkt der beiden zugehörigen Graden auszurechnen (s. Abbildung 4.2). Man löst dies durch Umstellen: 28 KAPITEL 4. POLYNOME Beispiel 4.4 Seien p, q lineare Polynome gegeben durch p(x) := 6x + 1 q(x) := 4x + 3, dann berechnet man x0 , so dass p(x0 ) = q(x0 ) gilt wie folgt: p(x0 ) = q(x0 ) ⇔ 6x0 + 1 = 4x0 + 3 (subtrahiere 4x0 und 1 auf beiden Seiten) ⇔ 2x0 = 2 (teile durch 2 auf beiden Seiten) ⇔ x0 = 1 Exkurs: Der Dreisatz Der klassische Dreisatz ist mathematisch gesehen das Aufstellen und Lösen einer linearen Gleichung. Das Aufstellen ist relativ einfach. Man schreibt die zu errechnende Größe (die Variable) und die bekannten Größen in ein einfaches Schema, s. (4.1). Dabei kommen Größen, die sich entsprechen, unter bzw. übereinander. Den trennenden Strich ersetzt“ man dann einfach durch Bruchstriche und ein ” Gleichheitszeichen und formt um. Beispiel 4.5 5 Fische kosten 10 Euro. Wie viele Fische erhalte ich für 2 Euro? Fische x 5 ' ' Euro 2 10 =⇒ x 5 = 2 10 ⇔ x=5 · 2 10 =1 2 3 =4 (4.1) Fische Euro Für 2 Euro erhält man also einen Fisch (in diesem Beispiel). Beispiel 4.6 15 Birnen kosten 6 Euro. Wie viel kosten 10 Birnen? Birnen 10 15 ' ' Euro x 6 =⇒ Birnen Euro Zehn Birnen kosten also 4 Euro (in diesem Beispiel). 10 15 = x 6 ⇔ x=6 · (4.2) 4.2. NULLSTELLEN 4.2.2 29 Quadratische Polynome Quadratische Polynome haben die allgemeine Form f (x) = ax2 + bx + c wobei a, b, c reelle Zahlen sind. Das Lösen von Polynomgleichungen mit quadratischen Polynomen kann entweder mittels quadratischer ” Ergänzung“ oder abgekürzt mit der p − q Formel geschehen. [Die “Mitternachtsformel” ist eine Variante der p-q-Formel, die die gleichen Lösungen liefert wie die p-q-Formel.] Leider heißt die Formel aus historischen Gründen p-q-Formel, und gleichzeitig haben sich Mathematiker dazu entschlossen, Polynome häufig mit p oder q zu bezeichnen. Dies gilt es auseinander zu halten. p-q-Formel Sowohl für die p-q-Formel als auch zum quadratischen Ergänzen bringt man die Polynomgleichung zunächst auf die Normalform, indem man durch a (den Leitkoeffizienten) teilt. ax2 + bx + c = 0 ⇔ x2 + ab x + ac = 0 (allgemeine Form) (Normalform) |:a Hier gilt: Die beiden Gleichungen sind äquivalent (und das obwohl die beiden verwendeten Polynome verschieden sind!). Äquivalent heißt hier: Eine Zahl x löst die erste Gleichung genau dann wenn x die zweite Gleichung löst. Entsprechend können wir davon ausgehen, dass die Nullstellen eines Polynoms x2 + px + q berechnet werden sollen (p, q sind hier reelle Zahlen). p-q-Formel Gleichung Lösungen Gilt falls p 2 2 x2 + px + q = 0 r p p 2 −q x1/2 = − ± 2 2 (Normalform) (p-q-Formel) − q ≥ 0. Das Zeichen ± wird verwendet, weil es zwei Lösungen gibt: r r p 2 p 2 p p x1 = − + −q und x2 = − − −q 2 2 2 2 Dies gilt allerdings nur, wenn der Ausdruck die Gleichung keine Lösung! p 2 2 − q unter der Wurzel nicht negativ ist. Ansonsten hat Beispiel 4.7 Gesucht sind die Nullstellen des Polynoms f (x) := 2x2 + 3x + 2. Zunächst normieren wir f (x), indem wir durch 2 teilen, und verwenden dann die p-q-Formel: 2x2 +3x +2 = 0 ⇔ x2 +3/2x+1 = 0 (allgemeine Form) (Normalform) Hier gilt also p = 3/2 und q = 1. Mit der p-q-Formel ergibt sich: x1/2 = −2/3 ± p (2/3)2 − 1 = −2/3 ± p (4/9) − (9/9) = −2/3 ± p −(5/9) Weil der Radikant −(5/9) negativ ist, gibt es keine (reelle) Lösung. Das Polynom f (x) hat also keine Nullstellen. Der Graph des Polynoms ist in Abbildung 4.3 dargestellt. 30 KAPITEL 4. POLYNOME 2x2 +3x+2 Abbildung 4.3: Ein Quadratisches Polynom ohne Nullstelle Quadratische Ergänzung Die quadratische Ergänzung ist die lange Form“ der p − q-Formel, und fußt auf der Idee, die folgende ” binomische Formel zu nutzen: p (x + )2 2 x2 + 2 = p 2 x+ p 2 2 = x2 + px + p 2 (4.3) 2 Beim Rechnen fragt man also “womit muss ich x2 + px ergänzen, damit es zur binomischen Formel 2 ’wird’ ? ”. Antwort: mit (p/2)2 . Dazu muss in der Normalform die Zahl q durch p2 ersetzt“ werden, ” diese Folge von Operationen heißt “quadratische Ergänzung”: Quadratische Ergänzung x2 + px + q ⇔ x2 + px p 2 ⇔ x2 + px + | {z 2 } ⇔ (x + p2 )2 ⇔ = = 0 −q = −q + = 2 −q + p2 q 2 ± −q + p2 q p 2 − p2 ± −q 2 (x + p2 ) = x = (Normalform) p 2 2 quadratisches Ergänzen mit p 2 2 Binomische Formel (4.3) (p − q−Formel) Wie bei der p-q-Formel kommt es natürlich drauf an, ob die Wurzel auf der rechten Seite definiert ist. Gilt p 2 − q ≥ 0, gibt es eine oder zwei Lösungen. Falls nicht, hat die Gleichung keine Lösung. 2 4.2. NULLSTELLEN 31 Diskriminante Ob ein quadratisches Polynom eine Nullstelle hat, kann man auch anhand der Diskriminante feststellen. Die Diskriminante ist vereinfacht gesagt ein Anzeiger dafür, welches Vorzeichen der Radikant in der p-qFormel hat. Diskriminante Polynom Diskriminante ax2 + bx + c = 0 D := b2 − 4ac Wert negativ Null positiv (allgemeine Form) von D (D < 0) (D = 0) (D > 0) Lösungen der Gleichung keine genau eine zwei verschiedene Beispiel 4.8 Gesucht sind die Nullstellen des Polynoms f (x) := 3x2 + 2x + 1. Die Diskriminante lautet 22 − 4 · 3 · 1 = −8. Dieses Polynom hat also keine Nullstellen. Exkurs: Binomische Formeln Ganz allgemein sollte man die drei Binomischen Formeln können, z.B (a + b)2 = a2 + 2ab + b2 . Zur Nullstellenberechnung bei Polynomen sind sie aber auch hilfreich: dabei ersetzt man einfach a durch x in den bekannten Formeln: Im Folgenden nehmen wir an, dass b ∈ R eine reelle Zahl ist. Die entsprechenden binomischen Formeln erhält man durch ausmultiplizieren und zusammenfassen: (x + b)2 (x − b) 2 (x + b)(x − b) 4.2.3 = x2 + 2bx + b2 2 = x − 2bx + b = x 2 −b (4.4) 2 (4.5) 2 (4.6) Für Profis: Nullstellen quadratischer Polynome Es gibt einen schnellen Weg die Nullstellen eines quadratischen Polynoms zu raten. Aber aufgepasst: In jedem Fall mit den gefundenen Nullstellen die Probe machen! Lässt sich ein Polynom x2 + ax + b als Produkt von linearen Polynomen schreiben, so kann man die Nullstellen direkt ablesen! Zum Beispiel hat f (x) = x2 − 5x + 6 = (x − 2) · (x − 3) eine Nullstelle bei x = 2 und eine bei x = 3. Der Grund ist der Folgende: f (x) ist Null, wenn einer der beiden Faktoren (x − 2) bzw. (x − 3) den Wert Null hat. Dies ist genau bei x = 2 und bei x = 3 der Fall. Achtung Vorzeichen: Das Polynom f (x) = (x − 5) · (x − 3) hat eine Nullstelle bei 5 und nicht bei −5. Das Polynom f (x) = (x + 5) · (x − 3) hat eine Nullstelle bei −5 und nicht bei 5. Beide haben natürlich noch eine weitere Nullstelle bei x = 3. Der “Trick” zum schnellen raten von Nullstellen ist nun, ein gegebenes quadratisches Polynom x2 + px + q in seine Faktoren zu zerlegen. Dazu beobachten wir das folgende: (x + a) · (x + b) = x2 + (a + b) x + |{z} a·b | {z } p q 32 KAPITEL 4. POLYNOME Trifft man also auf f (x) = x2 + 7x + 12 so sucht man a und b mit: a+b=7 und a · b = 12 Die Lösung hier ist a = 4 und b = 3, es gilt also f (x) = x2 + 7x + 12 = (x + 3) · (x + 4) und f (x) hat somit Nullstellen bei x = −3 und x = −4. 4.2.4 Nullstellen allgemeiner Polynome: Faktorisieren Das Berechnen von Nullstellen von Polynomen höheren Grades ist leider schwierig. Denn: bei Polynomen von höherem Grad ist es nicht mehr ohne weiteres möglich, die Nullstellen mit einer Formel zu errechnen! Es ist tatsächlich so, dass es für Polynome vom Grad 3 und 4 ähnliche Formeln zur Berechnung der Nullstellen gibt wie die p-q-Formel. Für Nullstelen von Polynomen vom Grad 5 und höher gibt es jedoch keine solchen Formeln mehr! Exkurs: Der Satz von Abel-Ruffini Der Satz von Abel-Ruffini besagt, dass es Polynome vom Grad 5 gibt, deren Nullstellen sich nicht mittels Wurzelausdrücken zusammen mit den üblichen Operationen +, −, · und / ausdrücken lassen. Ein Beispiel dafür ist das Polynom x5 − x + 1, das nur eine reelle Nullstelle bei x0 ' −1.167303978 . . . besitzt. Um 1770 gelang es Joseph Louis Lagrange die bis dahin bekannten Tricks zum Berechnen von Nullstellen von Polynomen zu einer generellen Methode zusammenzufassen. Unbefriedigend blieb, dass diese Methode bei Polynomen von Grad 5 und höher nicht immer funktionierte. Im Jahr 1799 legte Paolo Ruffini, einen Beweis vor, der zeigen sollte, dass sich die entsprechenden Nullstellen tatsächlich nicht durch eine geschlossene Formel ausdrücken lassen, die nur Wurzelausdrücke enthält. Allerdings fußte sein Beweis zum Einen auf einer unbewiesenen Annahme, zum Anderen wollten die Kollegen einfach nicht wahrhaben, dass eine “so einfache Aufgabe” keine “einfache Lösung” haben sollte. Erst als Niels Henrik Abel den Beweis von Ruffini 1824 vervollständigte, mussten die Mathematiker endgültig einsehen, dass Nullstellen für Polynome höheren Grades im Allgemeinen nur angenähert, nicht jedoch berechnet werden können. Möchte man eine solche Nullstelle berechnen bleiben zwei Möglichkeiten: • Das Newton Verfahren, das eine solche Nullstelle annähert, • Raten gefolgt von Polynomdivision. Hier wollen wir uns nur der zweiten Möglichkeit widmen. Nullstellen “raten” Jedes Polynom p(x) läßt sich als Produkt von linearen und quadratischen Polynomen schreiben. Die linearen Polynome beschreiben dabei die Nullstellen des Polynoms p. Zum Beispiel gilt f (x) = x4 + 7x2 − 5x3 − 5x + 6 = (x − 2)(x − 3)(x2 + 1). An dieser Zerlegung erkennt man, dass das Polynom f (x) zwei Nullstellen hat, eine bei x = 2 und eine bei x = 3 (s. Abbildung 4.1). Das Polynom (x2 + 1) hat keine Nullstelle weil x2 ≥ 0 gilt und damit x2 + 1 ≥ 1. Multipliziert man die Terme (x − 2)(x − 3)(x2 + 1) aus, so erkennt man, dass die Werte 2 und 3 der beiden Nullstellen den konstanten Term von f , die 6, teilen. Dies ist generell so: 4.2. NULLSTELLEN 33 Hat ein Polynom p(x) = a0 + a1 x1 + a2 x2 + . . . + an xn ausschließlich ganzzahlige Koeffizienten, so sind alle ganzzahligen Nullstellen Teiler von a0 . Achtung: Dies heißt nicht, dass p tatsächlich ganzzahlige Nullstellen hat! Aber wenn p ganzzahlige Nullstellen hat, dann sind diese Teiler von a0 . Beispiel 4.9 Es gilt die Nullstellen von p(x) := (2x2 + 10x + 12) zu bestimmen. Als Teiler von 12, dem konstanten Term von p, kommen in Frage: −12, −6, −4, −3, −1 sowie 1, 2, 3, 4, 6, 12. Weil p(x) nur positive Summanden enthält, versuchen wir es mit den negativen Teilern. Einsetzen liefert: p(−1) = 2 · (−1)4 + 10 · (−1) + 12 = 4 6= 0 p(−3) = 2 · (−3)4 + 10 · (−3) + 12 = 0 Also ist −3 eine Nullstelle von p(x) und q(x) := (x − (−3)) = (x + 3) ein Teiler von p(x) (aufgepasst mit dem Vorzeichen!). Um die weiteren Nullstellen von p(x) = (2x2 + 10x + 12) zu bestimmen, müssen wir p(x) durch (x + 3) teilen. Dies geschieht mittels Polynomdivision und ergibt (s. nächster Abschnitt): (2x2 + 10x + 12) : (x + 3) = (2x + 4). Polynomdivision Die Polynomdivision funktioniert ähnlich zur gewöhnlichen schriftlichen Division. Beim bestimmen des Teilers allerdings ist in jedem Schritt auf das Monom mit dem größten Grad (der Leitterm). Beispiel 4.10 Gesucht ist p(x)/q(x) wobei p(x) := (2x2 + 10x + 12) und q(x) := (x + 3). Wir rechnen (2x2 + 10x + 12)/(x + 3) mittels Polynomdivision aus: Schritt 1 Berechne das Verhältnis der Leitterme der beiden Polynome, hier 2x2 /x = 2x ( wie oft passt x ” in 2x2 ? Antwort: 2x-oft“). Dieses Monom 2x ist der erste Lösungsteil. ” ( 2x2 +10x +12) : (x + 3) = 2x ← (hier kommt noch mehr) Schritt 2 Dann zieht man von dem ursprünglichen Polynom p(x) das 2x-Fache von q(x) ab, also 2x · (x + 3) = 2x2 + 6x. Nach dem Abziehen bleibt ein Polynom p̃(x) = p(x) − 2x · (x + 3). ( 2x2 +10x +12) : (x + 3) −( 2x2 + 6x) ( 0 + 4x) = 2x k 2x · (x + 3) = (2x2 + 6x) Schritt 3 Man bringt den nächsten Term von p(x) nach unten. Das Polynom p̃(x) = 4x + 12 hat einen kleineren Grad als p (der Leitterm v. p fällt weg!). ( 2x2 +10x +12) : (x + 3) −( 2x2 + 6x) ↓ 4x +12 = 2x Jetzt wieder holt man die Schritte 1 − 3 mit dem polynom p̃. Schritt 1: 4x/x = 4 (Wie oft passt x in 4x) Schritt 2: Abziehen von 4 · (x + 3) = 4x + 12 34 KAPITEL 4. POLYNOME ( 2x2 +10x +12 ) : (x + 3) −( 2x2 + 6x) ↓ 4x +12 −(4x +12) 0 + 0 = 2x + 4 k 4 · (x + 3) = (4x + 12) Mögliche Fehler Vor der Polynomdivision müssen die Monome beider beteiligten Polynome nach absteigendem Grad sortiert werden: Falsch: ( 4x +2x6 +12) : (x2 + 3x + 1) = . . . Richtig: Falsch: ( 2x6 +4x +12) : (x2 + 3x + 1) 6 2 ( 2x +4x +12) : (x + 1 + 3x) = ... = ... Division mit Rest: Der Restsatz Die Polynomdivision muss nicht unbedingt aufgehen!! Der verbleibende Rest muss dann im Ergebnis als Bruch notiert werden: Division mit Rest Beispiel: Gesucht ist p(x)/q(x) mit p(x) := 2x2 + 10x + 16 und q(x) := (x + 3). Rechnung: ( 2x2 +10x +16 ) : (x + 3) −( 2x2 + 6x) ↓ 4x +16 −(4x +12) 0 + 4 = 2x + 4 4 + (x+3) k 4(x + 3) = (4x + 12) Der verbleibende Rest lässt sich vorhersagen, wenn man durch ein lineares Polynom dividiert: Restsatz: Wird ein Polynom p(x) durch (x − a) dividiert, dann ist p(a) der Rest. Im obigen Beispiel liefert die Polynomdivision von p(x) = 2x2 + 10x + 16 durch x + 3 liefert: (2x2 + 10x + 16) = (2x + 4) · (x + 3) + 4 mit dem Rest 4 = p(−3). Der Restsatz gilt, weil nach dem Divisionsalgorithmus p(x) = q(x) · (x − a) + r gilt, wobei r der Rest der Division ist. Insbesondere gilt: p(a) = q(a) · (a − a) + r = r. Aus dem Restsatz erkennt man, dass die Polynomdivision stets aufgeht, wenn a eine Nullstelle von p ist: Ist a eine Nullstelle des Polynoms p(x), dann ist (x − a) ein Teiler des Polynoms, d. h. p(x) = q(x) · (x − a), wobei grad(q) = grad(p) − 1. 4.2.5 Polynomgleichungen aus rationalen Gleichungen Nicht immer bekommt man die Polynomgleichungen, die man lösen soll direkt gegeben. Hier betrachten wir den Fall, dass man die zu lösende Polynomgleichung erst aus einer Gleichung mit Polynom-Brüchen herstellen muss. Solche Brüche aus Polynomen nennt man rationale Funktionen, ganz analog zu den Bruch-Zahlen wie 43 ∈ Q, die im Fachbegriff rationale Zahlen heißen. 4.2. NULLSTELLEN 35 Rationale Funktionen Eine Funktion der Form p(x) q(x) (wobei p(x) und q(x) Polynome sind) heißt rationale Funktion. Um eine Gleichungen aus rationalen Funktionen in eine Polynomgleichung umzuformen, muss man auf beiden Seiten der Gleichung mit dem Hauptnenner multiplizieren – ganz wie bei normalen Brüchen. Dabei sind drei Dinge zu beachten: 1. Besteht der Hauptnenner aus einem Produkt (wie (x) · (2x − 1) im Beispiel), so ist es im Allgemeinen nicht clever, dieses Produkt auszumultiplizieren! Ohne Auszumultiplizieren lässt sich am Ende besser Kürzen. 2. Der Hauptnenner von mehreren Brüchen ist häufig das Produkt der Nenner. Manchmal ist der Hauptnenner jedoch einfacher. Dies zu entdecken kann erhebliche Arbeit ersparen. 3. Mit Nullstellen des Hauptnenners ist Vorsicht geboten: Sind sie eine Lösung der neuen Polynomgleichung, so muss man sie unbedingt zur Probe in die Ausgangsgleichung einsetzen! Beim Multiplizieren mit dem Hauptnenner gehen also keine Lösungen verloren, es können aber neue Lösungen entstehen. Es gibt also möglicherweise Lösungen der neuen Polynomgleichung, die nicht Lösungen der ursprünglichen Gleichung sind! Machen Sie also mit allen Lösungen der Polynomgleichung eine Probe und setzen Sie sie in den Hauptnenner ein! Hier das allgemeine Vefahren für eine Gleichung in Rationalen Funktionen: Gegeben p1 (x) p2 (x) p3 (x) + = q1 (x) q2 (x) q3 (x) 1. Vorbereiten: 1.1 Bestimmen des Hauptnenners h(x) (ein Polynom). Dies kann q1 (x) · q2 (x) · q3 (x) sein, es kann aber schon genügen, Teile der Polynnome qi miteinander zu Multiplizieren. 1.2 Multiplizieren mit h(x) auf beiden Seiten. 1.3 Kürzen aller verbliebenen Brüche. 2. Rechnen: Lösen der entstehenden Polynomgleichung. 3. Probe: Einsetzen der Lösungen xi in h(x). 3.1 Falls h(xi ) 6= 0, dann ist xi eine Lösung Ausgangsgleichung. 3.2 Falls h(xi ) = 0, dann Probe mit xi in der Ausgangsgleichung. 36 KAPITEL 4. POLYNOME Beispiel: Berechnen Sie die Lösungen der Gleichung 4x−1 x . = 4x−1 x = x+2 2x−1 ⇒ (4x − 1) · (2x − 1) = (x + 2) · x [Ausgangsgleichung] [Polynomgleichung] x+2 2x−1 ⇔ 8x2 −6x +1 = x2 + 2x ⇔ −7x2 +8x −1 = 0 [Normalform] ⇔ x2 − 87 x + 17 = 0 [p-q-Formel] ⇔ x1/2 = −(− 74 ) ± ⇔ x1 = [Probe] 1 7 q 16 49 − 7 49 = | · x · (2x − 1) | − x2 − 2x 4 7 ± 3 7 x2 = 1 Der Hauptnenner ist h(x) = 2x · (2x − 1). h(x1 ) = x1 · (2x1 − 1) = 1 7 · (2 71 − 1) 6= 0. h(x2 ) = x2 · (2x2 − 1) = 1 · (2 − 1) 6= 0 1 7 und 1 sind echte Lösungen der Ausgangsgleichung. Kapitel 5 Differentialrechnung Die Ableitung f 0 (x) einer Funktion f (x) gibt die Änderung der Funktion f am Punkt x an: • Ist f 0 (e x) positiv, so wächst f bei x e. • Ist f 0 (e x) negativ so fällt f bei x e. Die Ableitung gibt also die Änderungsrate der Funktion an. Wir kennen einige solcher Änderungsraten (also Ableitungen!) aus dem Alltag: • Die Inflationsrate entspricht der Änderung der Preise der Waren, die wir kaufen. • Die Geschwindigkeit eines Autos entspricht der Größe der Änderung des Ortes des Autos: Große Geschwindigkeit heißt hier “viel Ortsänderung pro Zeiteinheit”. • Die Beschleunigung des Wagens ist die Änderung der Geschwindigkeit des Wagens (große Beschleunigung heißt: Der Wagen wird “schnell” schneller), dies ist also eine Ableitung einer Ableitung. Im Herbst 1972 verwendete Richard Nixon -zu dem Zeitpunkt der Präsident der USA – als erster USPräsident die dritte Ableitung in einer öffentlichen Rede: “Die Rate mit der die Inflation wächst, hat sich verringert.” [Notices of the American Mathematical Society, Vol. 43, No. 10, Oct. 1996.] Das Ableiten von Funktionen zusammen mit der Nullstellenbestimmung ist ein wichtiges Hilfsmittel bei der Suche von Maxima und Minima einer Funktion. Wichtige wirtschaftliche Größen lassen sich als Funktion beschreiben, die Suche nach einem Maximum entspricht dann oft der Suche nach einer kostengünstigen Vorgehensweise. 5.1 Vom Differenzenquotienten zur Ableitung Die “Steigung” gibt (außerhalb der Mathematik) an, wie steil ein Berg ist. Die Steigung eines Berges kann man angeben, indem man mitteilt, wie viel Meter Höhe man gewinnt – relativ zur waagerechten Distanz. Die Steigung ist also “gewonnene Höhenmeter H” geteilt durch die “waagerechte Länge B” der horizontal zurückgelegten Strecke. Je mehr Höhe man pro waagerechten Schritt gewinnt, umso steiler ist der Berg. Ganz analog lässt sich die Steigung einer Geraden aus dem Graphen der Funktion ablesen: Man zeichnet ein Steigungsdreieck ein und teilt den Höhengewinn H durch die Breite B (s. Abb. 5.1a). Wie aber berechnet man die Steigung einer Funktion, deren Graph nicht schnurgerade ist? Bei einem gekrümmten 37 38 KAPITEL 5. DIFFERENTIALRECHNUNG Graphen ist es nicht mehr so leicht zu sagen, wie steil der Graph an einem bestimmten Punkt ist. Es ist aber leicht möglich, die Steigung grob zu schätzen. Um die Steigung in einem Punkt a zu schätzen, startet man in a, nimmt einen beliebigen anderen Punkt x und berechnet um wie viel der Graph zwischen a und x ansteigt (s. Abb. 5.1a). Steigung: a f( )− a 1 − x f( x 1 f (x) a) f( )− x 2 −a ( f x2 a) f( )− x 3 −a ( f x3 H=f (x)−f (a) a) f( − a x) − ( x f H B g: (a) )−f f (x4 −a x4 = n gu 0 f (a) ei s ) St f (a) B=x−a a a x3 x Abb. 5.1a: Der Differenzenquotient f (x)−f (a) x−a x3 x3 x2 x2 x1 Abb. 5.1b: f 0 (a) ist der Grenzwert von f (x)−f (a) x−a Abbildung 5.1: Die Steigung als Grenzwert des Differenzenquotienten Differenzenquotient Betrachten wir die Verbindungsstrecke s zwischen den Punkten (a, f (a)) und (x, f (x)) in Abbildung 5.1a. Die Steigung von s kann man als grobe Näherung der Steigung von f an der Stelle a nehmen. Die Steigung von s läßt sich zudem einfach ermitteln: Der Graph von s steigt auf einer Strecke der Länge B = x − a um H = f (x) − f (a) Einheiten an (s. Abb 5.1a). Die Steigung von s errechnet man also wie folgt f (x) − f (a) x−a (Differenzenquotient). (a) Der Differenzenquotient D(x) := f (x)−f gibt für jeden Punkt x 6= a eine Näherung der Steigung von x−a f im Punkt a. Die Näherung D(x) ist umso besser, je dichter x an a heranrückt (s. Abbildung 5.1b). Man könnte also annehmen, dass die Steigung von f im Punkt a ganz einfach “D(a)” ist. Leider ist (a) D(x) für x = a aber nicht definiert: Setzte man x = a, so erhielte man D(a) = f (a)−f = 00 , dies ist a−a ein nicht definierter Ausdruck! Steigung als Grenzwert Um letztendlich die Steigung von f im Punkt a zu bestimmen, wollen wir also wissen, was mit D(x) passiert, wenn x beliebig dicht an a heranrückt, ohne dass jedoch x = a gilt. Dies nennt man “den (a) Grenzwert bilden”, gesucht ist lim f (x)−f . Falls dieser Grenzwert existiert (s. [Kem98]), setzen wir x−a x→a f 0 (a) := lim x→a f (x) − f (a) . x−a Der Ausdruck für f 0 (a) bedeutet nicht, dass man in D(x) für x einfach den Wert a einsetzt. Man setzt viel mehr Zahlen xi in D ein, die gegen a streben, und schließt aus dem Verhalten von D(xi ), wohin D(xi ) strebt (s. Abbildung 5.1b). 5.2. BERECHNEN VON ABLEITUNGEN 39 Details zum Thema Grenzwerte würden den Rahmen dieses Skriptes sprengen, interessierte Leser können sich unter [Kem98] informieren. Beispiel Gesucht ist die Ableitung der Funktion f (x) := x2 im Punkt a. Der Differenzenquotient lautet x2 − a2 (x + a)(x − a) f (x) − f (a) = = = (x + a). x−a x−a x−a und wir erhalten f 0 (a) = lim x→a f (x) − f (a) x−a = lim (x + a) = 2a. x→a 0 Ganz generell gilt also: f (x) = 2x. Der Trick beim Ermitteln der Ableitung ist also erst umzuformen und dann den Grenzwert zu bilden. Mittels Differenzenquotient wurden die im nachfolgenden Abschnitt genannten Ableitungen ausgerechnet. Um eine gegebene Funktion jedoch tatsächlich abzuleiten, bedient man sich einfacher Rechenregeln, die wir nun vorstellen. 5.2 Berechnen von Ableitungen Um eine Funktion abzuleiten, muss man nicht unbedingt Grenzwerte von Differenzenquotienten ausrechnen: Die meisten Funktionen sind letztlich nur aus kleineren Untereinheiten zusammengesetzt, etwa das Produkt oder die Summe zweier Funktionen. Um also eine Funktion abzuleiten, muss man 5 Grundableitungen auswendig wissen, und 3 Ableitungsregeln kennen, die aussagen, wie man mit Summen, Produkten und der Verkettung von Funktionen umgeht. Aus dieser Kombination von “Vokabeln” und “Grammatik” lassen sich dann (fast) alle Funktionen erzeugen. Grundableitungen (xn )0 = n · xn−1 für alle n 6= 0 0 ln(x)0 = x−1 cos(x)0 =− sin(x) (ex ) =ex sin(x)0 = cos(x) Kombinationsregeln 0 (f (x) + g(x)) =f 0 (x) + g 0 (x) (c · f (x)) 0 =c · f 0 (x) für Konstanten c ∈ R 0 (f (x) · g(x)) =f 0 (x) · g(x) + f (x) · g 0 (x) 0 0 f (x) (x)g 0 (x) = f (x)g(x)−f g(x) (g(x))2 f (g(x))0 (Linearität) =f 0 (g(x)) · g 0 (x) (Produktregel) (Quotientenregel) (Kettenregel) Die Regeln und Grundableitungen sollten Sie auswendig lernen! Bevor wir uns den Grundableitungen und Rechenregeln im Einzelnen widmen, beachten Sie folgendes: Die rechten Seiten aller drei Regeln lassen sich berechnen, indem man eine Ableitung nach der anderen berechnet! Beim Ableiten geht es also immer “Schritt für Schritt”. 5.2.1 Die Grundableitungen Für eine feste Zahl n ∈ R ist f 0 (x) = n · xn−1 die Ableitung von f (x) = xn . Dabei muss n ∈ R nicht unbedingt eine natürliche Zahl sein: 40 KAPITEL 5. DIFFERENTIALRECHNUNG f 0 (x) = n·xn−1 n f (x) =xn 0 1= x0 0·x−1 = 0 1 2 3 x= x1 x2 x3 1·x0 2·x1 3·x2 1 x x−1 −1 1 2 - 12 √ = (−1)·x−2 = − x12 1 − 21 2 ·x 1 x = x2 √1 x =1 = 2x 1 = x− 2 = 1 √ 2 x 3 − 12 ·x− 2 = − 2(√1x)3 Die einzige Potenz von x die auf diese Weise nicht entstehen kann ist x1 = x−1 . Wäre 1/x die Ableitung einer Funktion der Form f (x) = xn , so müsste diese den Exponenten n = −1 + 1 haben. Die zugehörige Stammfunktion müsste also f (x) = x0 lauten, die Ableitung von dieser Funktion ist jedoch f 0 (x) = 0. Entsprechend ist 1/x die Ableitung einer Funktion die nicht die Form xn hat, nämlich ln(x). Dies wird beim Integrieren - der Umkehr des Ableitens - wichtig. 5.2.2 Kettenregel Die Kettenregel erleichtert das Ableiten von verschachtelten Funktionen. Um die Kettenregel f (g(x))0 =f 0 (g(x)) · g 0 (x) anzuwenden, muss man zuerst die innere Funktion g(x) und die äußere Funktion f (x) finden. Dies ist nicht immer ganz einfach, manchmal ist wegen Vereinfachungsregeln die äußere Funktion versteckt. Um die äußere Funktion sichtbar zu machen, sucht man nach ihrem Klammernpaar und fügt es gegebenenfalls selber ein. Beispiel 5.1 Gesucht ist die Ableitung von F (x) = cos(x2 ). Hier ist die äußere Funktion cos(x) in die für x die innere Funktion x2 eingesetzt wurde. Um die Ableitung von F zu berechnen • leitet man zunächst cos(x) ab und erhält − sin(x). • dann ersetzt man x durch die innere Funktion x2 und erhält − sin(x2 ). • dann multipliziert man mit 2x, der Ableitung der inneren Funktion, und erhält: − sin x2 · 2x. Die Ableitung lautet also F 0 (x) = − sin x2 · 2x. Beispiel 5.2 Gesucht ist die Ableitung von F (x) = e4x . Hier ist die äußere Funktion ex in die für x die innere Funktion 4x eingesetzt wurde. Die Ableitung lautet also F 0 (x) = e(4x) · 4. Achtung: Ein typischer Flüchtigkeitsfehler ist, x4 mit e4x bezüglich der Ableitungsregel zu verwechseln: Die Ableitung von e4x ist 4e4x aufgrund der Kettenregel. Die Ableitung lautet nicht 4e3x - wie es analog bei (x4 )0 = 4x3 der Fall ist! 5.3. KURVENDISKUSSION 41 Beispiel 5.3 Gesucht ist die Ableitung von F (x) = sin2 (x). Hier ist die äußere Funktion “unsichtbar”, 2 weil man ihre Klammern weggelassen hat. Leichter wird es wenn man F (x) so schreibt: (sin(x)) hier ist also f (x) = (x)2 die äußere Funktion und g(x) = sin(x) die innere. Die Ableitung lautet also F 0 (x) = 2 (sin(x)) · cos(x). äußere Fkt Kompakt mit Klammern ln(x2 ) = 2 sin (x) = 1 ex = f (g(x)) ln x2 (sin(x)) 2 f (x) g(x) g (x) ln (x) 1 (x) x2 2x (x) (2x) sin(x) cos(x) 1 (x) 1 − (x) 2 ex ex 1 (ex ) Kurvendiskussion 5.3.1 Die erste Ableitung Ableitung 0 f (x) 2 5.3 innere Fkt 0 0 f (g(x)) · g 0 (x) 1 (x2 ) · 2x 2 (sin(x)) · cos(x) − (ex1)2 · ex Die Ableitung einer Funktion spiegelt das Steigungsverhalten der Funktion wieder, Abbildung 5.2 zeigt die Bedeutung der ersten Ableitung am Beispiel zweier Extrempunkte, einem lokalen Maximum und einem lokalen Minimum. f (x) eig un g< 0 Ste igu Ste ig u ng St ng > 0 >0 lokale Extrema: Steigung = 0 f 0 (x) f 0 (x) = 0 f 0 (x) = 0 Abbildung 5.2: Bedeutung der ersten Ableitung Ein lokales Maximum entspricht einem “Buckel” des Graphen, also einem Punkt a, an dem der Funktionswert f (a) größer ist als bei den “Nachbarpunkten”. Für eine Senke (lokales Minimum) des Graphen gilt das genaue Gegenteil. Mathematisch definiert man “Buckel” und “Senke” wie folgt: 42 KAPITEL 5. DIFFERENTIALRECHNUNG a ist lokales Maximum von f , wenn f (x) < f (a) für alle x 6= a in einer Umgebung von a. a ist lokales Minimum von f , wenn f (x) > f (a) für alle x 6= a in einer Umgebung von a. Die lokalen Maxima und Minima von f nennt man die Extrempunkte von f . Vor einem lokalen Maximum a muss der Graph ansteigen [d.h. f 0 (x) > 0] , nach dem Punkt a muss der Graph fallen [d.h. f 0 (x) < 0] (s. Abbildung 5.2). Entsprechend gelten also am lokalen Maximum zwei Dinge: • Es gilt: f 0 (a) = 0. • Der Graph steigt vor a an, fällt danach ab: Die Steigung f 0 wird also vom Zahlenwert her immer kleiner, d.h. die Änderung von f 0 [also (f 0 )0 ] ist an der Stelle a negativ! Es gilt also: f 00 (a) < 0. Für eine Senke (lokales Minimum) gilt das genaue Gegenteil: f 00 (a) > 0. Ein Punkt a ist • ein lokales Maximum von f falls f 0 (a) = 0 und f 00 (a) < 0 gilt. • ein lokales Minimum von f falls f 0 (a) = 0 und f 00 (a) > 0 gilt. Achtung: Wenn sowohl f 0 (a) = 0 und f 00 (x) = 0 gelten, ist der Punkt a möglicherweise weder ein lokales Maximum noch ein lokales Minimum. Um in diesem Fall herauszufinden, wie f sich im Punkt a verhält, müssen dann weitere Ableitungen von f betrachtet werden. Für eine vollständige Betrachtung aller möglichen Fälle verweisen wir auf [CR00]. 5.3.2 Die zweite Ableitung Die zweite Ableitung einer Funktion f spiegelt die Krümmung des Graphen von f wieder: f 00 (x)<0 f 00 (x)>0 f 00 (x)=0 Graph unterhalb der Tangente. Graph kreuzt die Tangente. Graph oberhalb der Tangente. Abbildung 5.3: Bedeutung der zweiten Ableitung Gilt f 00 (a) < 0, so sinkt die Steigung f 0 (x) um a. Also ist ist der Graph bei x-Werten mit x < a steiler als bei a, und bei x-Werten mit a < x flacher als bei a (s. Abbildung 5.3 links). Dies bedeutet, dass der Graph unter der Tangente in a “durchtaucht”. Das Gegenteil gilt für Punkte, an denen f 00 (a) > 0 gilt, hier verläuft der Graph oberhalb der zugehörigen Tangente. 5.3. KURVENDISKUSSION 43 Wendepunkte und die Krümmung eines Graphen Stellen Sie sich den Graphen einer Funktion als eine Straße von oben gesehen vor (s. Abbildung 5.3). Lässt man in Gedanken ein Fahrzeug auf dem Graphen von f (x) fahren, und zwar von kleinen x-Werten in Richtung größerer x-Werte, so fährt das Fahrzeug am Punkt a • eine (leichte) Rechtskurve, wenn f 00 (a) < 0 gilt. • eine (leichte) Linkskurve, wenn f 00 (a) > 0 gilt, Die Größe von f 00 (x) beschreibt wie eng diese Kurve bei x ist, deswegen nennt man f 00 (x) die Krümmung von des Graphen f . Dort wo die zweite Ableitung verschwindet, ändert sich die Kurvenrichtung unseres Fahrzeuges. Entsprechend nennt man Punkte, an denen f 00 (x) = 0 gilt Wendepunkte der Funktion. 44 KAPITEL 5. DIFFERENTIALRECHNUNG Kapitel 6 Integralrechnung Das Integrieren einer Funktion kann man auf drei verschiedene Arten betrachten: • Das Integrieren einer Funktion f (x) entspricht dem Auffinden einer Funktion F (x), deren Ableitung f (x) ist, d.h. es gilt F 0 (x) = f (x). Eine solche Funktion F nennt man Stammfunktion von f . Als R Formel ausgedrückt schreibt man F (x) = f (x)dx. Damit beschäftigt sich Abschnitt 6.1. • Der Prozess des Integrierens einer Funktion ist interessanterweise gleichzeitig eine FlächenberechRb nung: Der Wert a f (x)dx := F (b) − F (a) gibt die Fläche zwischen dem Graphen von f (x) und der x-Achse an (Dabei werden die Flächenanteile unterhalb der x-Achse abgezogen.). Damit beschäftigt sich Abschnitt 6.2. • Dass ein Integral eine Fläche misst, liegt daran, dass ein Integral letztendlich als einen Grenzwert definiert ist, der aus einer Flächenberechnung hervorgeht. Ein Integral ist also letztlich ein Grenzwert, und dies ist von Bedeutung wenn man beispielsweise Funktionen in mehreren Variablen integriert. Dieses Skript wird hierauf nicht eingehen, wir bitten den interessierten Leser sich in [Kem98] (S. 345 ff.) über die Eigenschaften des Integrals als Grenzwert zu informieren. Im Folgenden beschäftigen wir uns ausschließlich mit dem Lösen von Integralen, dabei gilt es, unbestimmte und bestimmte Integrale zu berechnen: R f dx(x)dx ein unbestimmtes Integral. Man nennt R b f (x)dx ein bestimmtes Integral. a 6.1 6.1.1 Unbestimmte Integrale Die Konstante R Ein unbestimmtes Integral f (x)dx entspricht der Suche nach einer Funktion F , deren Ableitung f (x) ist. Jede Funktion hat jedochunendlich viele Stammfunktionen, die sich nur um eine Konstante unterscheiden: 0 0 Zum Beispiel gelten x2 = 2x und x2 + 10 = 2x. Also sind sowohl x2 als auch x2 + 10 mögliche Stammfunktionen von 2x. Diesem Umstand trägt man Rechnung, indem man der Stammfunktion eine Konstante anhängt, meistens c genannt: Z 2xdx = x2 +c 45 46 KAPITEL 6. INTEGRALRECHNUNG Das +c soll daran erinnern, dass man bei der Wahl der Stammfunktion einen Freiheitsgrad hat. Man kann nämlich – je nach Kontext – die passende Konstante c wählen. 6.1.2 Die Lösungsregeln Zum Berechnen von Integralen zerlegt man komplexere Funktionen in kleinere Unterfunktionen, die sich integrieren lassen. Ziel ist es also, lange Funktionsausdrücke mit einer der 4 Integrationsregeln auf eine der einfachen, lösbaren 5 Grundintegrale zu reduzieren: R cos(x)dx = R sin(x)dx = − cos(x)+c R ex dx = 5 Grundintegrale R n 1 xn+1 +c für alle n 6= −1 (x )dx = n+1 R 1 = ln(x)+c x dx sin(x)+c ex +c Im Folgenden ist F (x) eine Stammfunktion von f (x), es gilt also 4 Integrationsregeln R R af (x)dx = a f (x)dx R R R f (x) + g(x)dx = f (x)dx + g(x)dx +c R f ( g(x) ) · g 0 (x) dx = F ( g(x) )+c R R f (x) · g(x)dx = F (x)g(x) − F (x)g 0 (x)dx 6.1.3 R f (x)dx = F (x)+c. (Konstanten) (Linearität) (einfache Substitution) (Partielle Integration) Die Grundintegrale Die Funktionen der Form xα mit α ∈ R, α 6= −1 sind nicht immer leicht als solche zu erkennen: α= xα = Es gilt also zum Beispiel Z Z √ xdx = x1/2 dx 1 2 √ 1 n x √ n x −2 −n 1 x2 1 xn 1 1 2 x(1+1/2) +c = x3/2 +c = x3/2 +c. (1 + 1/2) (3/2) 3 R Unter Rden Funktionen der Form xα mit α ∈ R nimmt x−1 eine Sonderrolle ein: x1 dx = ln(x)+c. Die 1 Regel xα dx = α+1 xα+1 +c kann nicht für α̃ = −1 gelten, weil sonst im Nenner der Stammfunktion Null stünde: α̃ + 1 = −1 + 1 = 0. Entsprechend ist die Stammfunktion von x−1 eine besondere Funktion, nämlich ln(x). 6.1.4 = Einfache Substitution Einfache Substitution: Suche den Malpunkt vor g 0 ! • Es tauchen eine Funktion g und ihre Ableitung g 0 auf. • Die Ableitung g 0 steht “pur” und unverändert da. • Vor g 0 steht ein Malpunkt. Die Substitutionsregel 6.1. UNBESTIMMTE INTEGRALE R 47 f ( g(x) ) · g 0 (x) dx = F ( g(x) )+c (einfache Substitution) ist die Umkehrung der Kettenregel beim Ableiten: Für zwei Funktionen F und g gilt F (g(x))0 = F 0 ( g(x) ) · g 0 (x). Wenn man also einen Ausdruck der Form f ( g(x) ) · g 0 (x) vorfindet, so genügt es die äußere Funktion f R zu integrieren, also F (x) = f (x)dx zu lösen, und in das Ergebnis g(x) einzusetzen: F (g(x)). Beispiel 6.1 Gesucht ist gilt also R 3x2 · cos x3 dx. Hier gilt: Die Ableitung von g(x) := x3 ist g 0 (x) = 3x2 . Es 3x2 · cos x3 = g 0 (x) · cos(g(x)). Der Integrand hat die nötige Form um die Substitutionsregel anzuwenden. Es genügt alsoR die Stammfunktion von cos(x) zu berechnen. Aus der Tabelle der Grundintegrale entnimmt man, dass cos(x)dx = sin(x)+c gilt. Mit g eingesetzt erhält man: sin x3 +c. Insgesamt ergibt sich Z 3x2 cos x3 dx = sin x3 +c. Passe den konstanten Faktor an! Manchmal passt fast alles, um die Substitutionsregel anzuwenden – bis auf den konstanten Vorfaktor der Funktion (s. Beispiel 6.2). In diesem Fall kann man durch geschicktes Einfügen einer “1” nachhelfen: R Beispiel 6.2 Gesucht ist 17x2 ·cos x3 dx. Dies entspricht – bis auf den Vorfaktor – genau dem Beispiel 6.1. Passt man die Konstante geeignet an, so kann man die Substitutionsregel verwenden. Z Z Z 17 1 2 3 2 3 · 3x cos x dx = 3x2 cos x3 dx 17x cos x dx = 17 3 3 Finde den Malpunkt! Es ist nicht immer einfach zu sehen dass der Integrand tatsächlich die richtige Form f ( g(x) ) · g 0 (x) hat. Drei Anhaltspunkte helfen dabei weiter: • Es tauchen eine Funktion g und ihre Ableitung g 0 auf. • Die Ableitung g 0 steht “pur” und unverändert da. • G und g 0 sind durch einen Malpunkt getrennt. Die Anwendungsregeln der einfachen Substitution gleichen also der Suche nach dem Term ·g 0 (x) samt seinem Malpunkt. Der letzte Anhaltspunkt ist nicht immer leicht zu sehen und muss manchmal künstlich eingefügt werden: R 2 Beispiel 6.3 Gesucht ist x22x +1 dx. Hier tauchen im Integranden die Funktion g(x) := x + 1 und ihre Ableitung auf: g 0 (x) = 2x. Leider hat der Integrand trotzdem (noch) nicht die benötigte Form. Fügt man den impliziten Malpunkt ein, wird aber deutlich, dass hier f (x) := x1 die äußere Funktion ist: Z 2x dx = x2 + 1 Z 2x · 1 dx = ln x2 + 1 +c (x2 + 1) 48 KAPITEL 6. INTEGRALRECHNUNG R 0 Beispiel 6.4 Gesucht ist ln(x) x dx. Hier hat sich g gut versteckt: Erst wenn man den Malpunkt einführt, sieht man im Integranden sowohl die Funktion g(x) := ln(x) als auch ihre vorher versteckte Ableitung g 0 (x) = x1 : Z Z ln(x) 1 dx = ln(x) · dx x x Was aber ist hier die äußere Funktion f(x)? Um f zu sehen, muss man das Klammerpaar von f sichtbar machen: Die Substitutionsregel erwartet die Klammern der Funktion f links und rechts von g(x), wenn sie nicht da sind, fügen wir sie einfach ein: ln(x) = (ln(x)). Die Funktion f lautet also R f (x) = (x), R denn setzt man g in f ein, ergibt sich: f (ln(x)) = ln(x). Die Stammfunktion von f ist f (x)dx = xdx = 21 x2 . Für das Gesamtintegral ergibt sich also: Z Z ln(x) 1 1 2 dx = (ln(x)) · dx = (ln(x)) +c. x x 2 6.1.5 Partielle Integration Partielle Integration: Suche den Juniorpartner! • Es tauchen zwei Funktionen f · g durch einen Malpunkt getrennt auf. • Die Ableitung des Juniorpartners g 0 ist einfach. R • Das Integral des Seniorpartners F := f dx ist leicht berechenbar. • Der Term F · g 0 lässt sich vermutlich leichter integrieren als f · g. Das Anwenden der partiellen Integration löst das gegebene Integral nicht, es verschiebt die Integration jedoch auf ein - hoffentlich - einfacheres Integral: Z Z f (x) · g(x)dx = F (x)g(x) − F (x)g 0 (x)dx Die partielle Integration lohnt sich dann anzuwenden, wenn man im Integranden ein Produkt f (x) · g(x) vorfindet, von denen eine der beiden Funktionen beim Ableiten verschwindet oder deutlich einfacher wird (z.B. x, x2 , ln(x)), und die andere Funktion sich leicht integrieren lässt (z.B ex , cos(x), sin(x)). Achtung: Das Minuszeichen auf der rechten Seite der partiellen Integration lädt zum Verrechnen durch R Vorzeichenfehler ein. Setzen Sie immer Klammern, wenn sie den Term − F (x)g 0 (x)dx am Ende tatsächlich berechnen! R Beispiel 6.5 Gesucht ist x cos(x)dx. Hier ist leicht zu sehen, dass x eine einfache Ableitung hat und cos(x) leicht zu integrieren ist. R x · cos(x)dx (∗) = x · sin(x) − R 1 · sin(x)dx ↑ ↓ f (x) = cos(x) F (x) = sin(x) g(x) = x g 0 (x) = 1 ←−− − (∗) Nebenrechnung 1 · sin(x) | {z } neuer Integrand x sin(x) − Klammern! x sin(x)− ↓ ↓ = x sin(x) − (− cos(x)) = x sin(x) + (cos(x)) 6.2. BESTIMMTE INTEGRALE 49 Hier sieht man, wie sehr sich die Nebenrechnung vorab lohnt: Man sieht nachdem man f integriert und g abgeleitet hat sehr schnell, ob der neue Integrand wirklich einfacher ist als der alte. Man sieht an R Beispiel 6.5 auch, wie leicht sich ein Vorzeichenfehler einschleichen kann, wenn man die Lösung von − sin(x)dx nicht in Klammern setzt. 6.2 Bestimmte Integrale Ein Integral mit eingesetztenR Integrationsgrenzen nennt man ein “bestimmtes Integral ”. Ist F eine Stammfunktion von f , d.h. es gilt f (x))dx = F (x)+c, dann gilt Zb b f (x)dx = [F (x)]a := F (b) − F (a). a Das obige Integral liest sich: “Integral von f -von-x in den Grenzen von a bis b”. Die eckigen Klammern mit den angeschriebenen Grenzen a und b steht insgesamt für den Term F (a) − F (b). Merkregel: “obere Grenze minus untere Grenze”. Die sonst bei Integralen auftauchende Konstante +c kann hier weggelassen werden, sie fällt im Term (F (b)+c) − (F (a)+c) = F (b) − F (a)+c−c = F (b) − F (a) Rb sowieso weg. Anschaulich berechnet a f (x)dx die Fläche zwischen x-Achse und dem Graphen der FunkR6 tion, negative Bereiche werden dabei abgezogen. Das Resultat kann also wie im Beispiel von 1 cos(x)dx durchaus negativ werden, siehe Abbildung 6.1. R6 6 cos(x)dx = [sin(x)]1 = sin(6) − sin(1) ' −1.120886483 1 Flächengröße wird addiert. Flächengröße wird abgezogen. Abbildung 6.1: Ein “bestimmtes Intergal” berechnet die Fläche unter dem Graphen 50 KAPITEL 6. INTEGRALRECHNUNG Kapitel 7 Vektoren und analytische Geometrie 7.1 Was sind Vektoren und wo tauchen sie auf ? Ein Vektor in der Schulmathematik ist -etwas unpräzise gesagt- zunächst einmal eine Spalte mit Zahleneinträgen. Allerdings haben Vektoren eine geometrische Bedeutung, diese lässt sich auf zwei verschiedene Weisen verstehen: Zum einen kann man einen Vektor als einen Punkt im Raum auffassen. Beispielsweise ist der uns umgebende Raum in dem wir leben dreidimensional: Wählt man einen festen Bezugspunkt, so lässt sich jeder Punkt in unserem Universum durch einen Vektor mit drei Einträgen (Höhe, Breite, Länge) relativ zu diesem Punkt beschreiben. Solche Vektoren nennt man in der Literatur oft “Ortsvektoren”. Andererseits repräsentieren Vektoren in der Physik Kräfte, also eine Messgröße die mit einer Richtung einhergeht: Im Gegensatz zu “Zahlen-Messgrößen” wie Temperatur oder Masse, muss man um eine Kraft vollständig zu beschreiben nicht nur angeben wie groß die Kraft ist, sondern auch in welche Richtung sie wirkt. Solche Verschiebe-Vektoren haben Ihren Startpunkt nicht immer in der Null. Vektoren haben also geometrische Eigenschaften und gleichzeitig sind Vektoren im Wesentlichen nur eine Spalte mit Zahleneinträgen. Um also mit Vektoren zu arbeiten, muss man lernen wie man geometrische Aussagen (“Zwei Geraden Schneiden sich”) in mathematischen Gleichungen ausdrückt. Ein wesentlicher Lerninhalt dieses Kapitels ist also das Übersetzen von Geometrie in Algebra1 . 7.1.1 Vektoren in Kartesischen Koordinaten In diesem Skript verwenden wir eine etwas sehr vereinfachte Definition eines Vektors: Für eine natürliche Zahl n ist Rn der n-dimensionale Vektorraum. ein Vektor ~v in Rn ist eine Spalte mit n Zahleneinträgen. Die Einträge eines Vektors ~a ∈ Rn sind also reelle Zahlen, die man mit a1 , a2 , . . . an bezeichnet. Die allgemeine Form eines solchen Vektors ~a lautet: a1 a2 ~a = . . .. Zum Beispiel ist 1 Algebra 5 3 an 5 ein Element aus R2 und 4 ein Element aus R3 . 8 ist der Bereich der Mathematik, der sich mit Gleichungen beschäftigt. 51 52 KAPITEL 7. VEKTOREN UND ANALYTISCHE GEOMETRIE Vektoren kann man geometrisch auf zwei weisen auffassen: • Als Punkte im Raum, sogenannte Ortsvektoren oder • als “Verschiebe-Vektoren”2 , gegeben durch eine Verschiebe-Richtung und eine Verschiebe-Länge. 2 Beispielsweise beschreibt der Vektor ~a = einen Punkt, der im R2 bei x = 2 und y = 4 liegt. 4 Verschiebt man nun diesen Punkt ~a um beispielsweise 7 Einheiten in x-Richtung und um 2 Einheiten 7 ~ in y-Richtung, so kann man dies auffassen als eine Anwendung des Verschiebe-Vektors b = (s. 2 Abbildung 7.1). tor” -Vek 6 ebe rschi e V “ ~b als 5 4 2 7 3 2 1 r vekto rts ~b als O 2 7 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Abbildung 7.1: Anschauliche Darstellung eines Vektors. 7.2 Rechnen mit Vektoren Multiplikation mit einer Zahl Die Multiplikation eines Vektors ~a mit einer Zahl λ ∈ R berechnet man wie folgt: a1 λ · a1 a2 λ · a2 λ · ~a = λ · . = . für eine Zahl λ ∈ R. .. .. an λ · an Aus dieser Rechenregel ersieht man, dass zum Beispiel 2 · ~a = ~a + ~a gelten muss: a1 2 · a1 a1 + a1 a2 2 · a2 a2 + a2 2 · ~a = λ · . = . = = ~a + ~a. .. .. .. . an 2 · an an + an Geometrisch entspricht die Multiplikation eines Vektors mit einer Zahl λ also einer Streckung bzw. einer Stauchung von ~a um den Faktor λ, 2 Das Wort Verschiebe-Vektor ist kein mathematischer Fachbegriff und dient in diesem Kapitel nur der Veranschaulichung 7.2. RECHNEN MIT VEKTOREN 53 • für 0 < |λ| < 1 ist λ · ~a kürzer als ~a. • für 1 < |λ| ist λ · ~a länger als ~a. Ist λ negativ, so kehrt sich die Richtung eines Vektors ~a beim Multiplizieren mit λ um, der Vektor −~a = (−1) · ~a zeigt also genau entgegengesetzt zu ~a (s. Abbildung 7.2). a −~ ~a 2· ~a 3· ~a Abbildung 7.2: Streckung eines Vektors. Addition Man kann Vektoren mit gleich vielen Einträgen addieren oder von einander abziehen (Dies geht mit Vektoren mit verschieden vielen Einträgen nicht!). Für ~a und ~b in Rn gilt: ~a + ~b = a1 a2 .. . + an b1 b2 .. . = bn a1 + b1 a2 + b2 .. . an + bn Die Addition zweier Vektoren ~a und ~b entspricht geometrisch dem Aneinanderhängen der Pfeile (siehe Abbildung 7.3). Die Subtraktion zweier Vektoren, ~a −~b, wird einfach als Addition von ~a und −~b aufgefasst. 2 +7 6 e Kopi 5 ~ von b 2 4 +2 7 ~a 3 ~b ~a + 2 4 ~b 1 2 4 2 7 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Abbildung 7.3: Addition zweier Vektoren. + 7 2 = 2+7 4+2 = 9 6 54 KAPITEL 7. VEKTOREN UND ANALYTISCHE GEOMETRIE 3 −5 −5 4 3 −~b −2 4 −2 ~a 2 ~b ~a ~b − 1 2 0 5 −1 −2 3 4 − 5 2 = 3−5 4−2 = −2 2 −4 −3 −2 −1 0 1 2 3 4 Abbildung 7.4: Subtraktion zweier Vektoren. Geometrisch bedeutet dies, dass man den Vektor ~b mit umgekehrter Richtung an den Vektor ~a hängt (siehe Abbildung 7.4). In Koordinatenschreibweise sieht dies dann naheliegenderweise so aus. b1 a1 − b1 a1 a2 b2 a2 − b2 ~a − ~b = . − . = . .. .. .. an bn an − bn Für die Addition von Vektoren und die Multiplikation mit einer Zahl gelten die selben Rechenregeln, die man schon von “normalen Zahlen” kennt: • Kommutativgesetz: ~a + ~b = ~b + ~a • Assoziativgesetz: ~a + ~b + ~c = ~a + ~b + ~c • Distributivgesetze: (λ + µ) · ~a = λ · ~a + ~b = λ · ~a + µ · ~a λ · ~a + λ · ~b für λ, µ ∈ R Skalarprodukt Bisher haben wir nur die Multiplikation eines Vektors mit einer Zahl definiert. Das Ergebnis war ein gestreckter bzw. gestauchter Vektor. Es ist aber auch möglich Vektoren mit Vektoren zu multiplizieren, 7.2. RECHNEN MIT VEKTOREN 55 das Ergebnis ist hier allerdings eine Zahl. Das Skalarprodukt von ~a und ~b ist definiert als b1 + * a1 a 2 b2 h ~a, ~b i = . , . = a1 · b1 + a2 · b2 + . . . + an · bn . .. .. bn an Das Skalarprodukt wird manchmal auch mit “ ~a • ~b ” bezeichnet. Wichtig: Das Ergebnis eines Skalarproduktes ist stets eine Zahl (und kein Vektor). Es gibt außer dem Kreuzprodukt keine Vektormultiplikation bei der ein Vektor herauskommt! 2 2 Beispiel 7.2.1 Sei ~a = 1 und ~b = −4, dann gilt 5 6 * + 2 2 1 , −4 = 2 · 2 + 1 · (−4) + 5 · 6 = 30 . 5 6 Für das Skalarprodukt gelten die folgenden Rechenregeln: Für ~a, ~b, ~c ∈ Rn und λ ∈ R gelten: • h~a, ~bi = h~b, ~ai (Symmetrie) • h~a, ~b + ~ci = h~a, ~bi + h~a, ~ci (Linearität) • hλ~a, ~bi = λh~a, ~bi und h~a, λ ~bi = λh~a, ~bi Länge Die Länge eines Vektors ~v bezeichnet man mit ||~v ||, genannt “Betrag von ~v ”. Man verwendet also bei Vektoren doppelte Betragsstriche – im Gegensatz zum bereits bekannte Betrag für Zahlen (z.B. | − 3| = 3). a Die Länge eines Vektors im R2 kann man mit dem Satz des Pythagoras leicht berechnen: b || a b || = p a2 + b2 . Man beachte, dass der Term unter der Wurzel in dieser Formel den Wert a b a , hat. Allgemein b gilt für einen Vektor ~a ∈ Rn : Länge von ~a = ||~a|| := q a21 + a22 + . . . + a2n = p h~a, ~ai . 56 KAPITEL 7. VEKTOREN UND ANALYTISCHE GEOMETRIE √ b2 a = a2 + || || b c b a Abbildung 7.5: Länge eines Vektors. Geometrische Anschauung des Skalarproduktes Für zwei Vektoren ~a 6= 0 und ~b 6= 0 sei α der Winkel zwischen diesen Vektoren. Es gilt damit sofort: 0 ≤ α ≤ π (in Grad gemessen bedeutet dies: Der Winkel ist zwischen 0◦ und 180◦ ). Für das Skalarprodukt gilt dann: h~a, ~bi = ||~a|| · ||~b|| · cos (α) Aus dieser Formel ergeben sich zwei wichtige Eigenschaften: Zum einen, kann man durch Umstellen der Gleichung den Winkel α wie folgt berechnen: ! h~a, ~bi . α = arccos ||~a|| · ||~b|| Zum anderen sieht man: Stehen ~a und ~b senkrecht aufeinander, so ist α = π/2 und cos(α) = 0 und damit gilt: Ist ~a senkrecht zu ~b, so ist h~a, ~bi = 0. (7.1) Geometrie Der Wert von “||~b|| · cos(α)” ist geometrisch gesehen die “Länge des Senkrechten Schattens von ~b auf ~a” (s. Abbildung 7.6). Das Skalarprodukt < ~a, ~b > bestimmt also grob gesagt das Folgende: “Wie viel von ~b zeigt in Richtung von ~a?”. 1 1 0.8 0.8 0.6 0.6 0.4 ~b 0.4 0.2 0 =< ~a 0.2 ~a α) cos( } · | ~ | z ||b { ~> | ~a,b ~b 0 1 ) cos(α } ||~b|| · {z | a,~b> ~ =< 1 Abbildung 7.6: Geometrische Anschauung des Skalarproduktes. 7.2. RECHNEN MIT VEKTOREN 57 Kreuzprodukt Im 3-dimensionalen Raum (und nur dort!) gibt es eine weitere Möglichkeit das Produkt zweier Vektoren zu definieren: Das Kreuzprodukt. Das Ergebnis dieses Produkts ist diesmal allerdings ein Vektor. Es gilt a1 b1 a2 b3 − a3 b2 ~a × ~b = a2 × b2 := a3 b1 − a1 b3 . a3 b3 a1 b2 − a2 b1 Das Kreuzprodukt hat seinen Namen daher, dass die jeweils auftauchenden Produkte “über kreuz” gebildet werden: Beispiel 7.2.2 1 a 2·c−3·b 2 × b = 3 · a − 1 · c 3 c 1·b−2·a ◦ ~a × ~b = · · · ~a × ~b = ◦ · 2·c − 3·b · ~a × ~b = · ◦ 1 a b ! ⊕ 2 XX !! Xc 3! X a 1Q 2 Q Q b ⊕ 3 Qc 3·a − 1·c 1·b − 2·a ⊕ 1 XX! !a Xb !!X 2 3 c Beispiel 7.2.3 2·c−3·b 1 a 2 × b = 3 · a − 1 · c 3 c 1·b−2·a 1 5 2·4−3·1 5 2 × 1 = 3 · 5 − 1 · 4 = 11 3 4 1·1−2·5 −9 Die Formel für das Kreuzprodukt ist auf den ersten Blick recht unübersichtlich. Die folgende Regel führt das Kreuzprodukt auf das Berechnen der Determinante zurück, was sich vermutlich leichter merken lässt. Hierzu benötigen wir die drei Einheitsvektoren im R3 : 1 ~e1 := 0 0 0 ~e2 := 1 0 0 ~e3 := 0 1 Ersetzt man nach der Berechnung der folgenden Determinante ê1 , ê2 und ê3 durch die drei Einheitsvek- 58 KAPITEL 7. VEKTOREN UND ANALYTISCHE GEOMETRIE toren ~e1 , ~e2 und ~e3 im R3 , so erhält man das Kreuzprodukt: ê1 a1 b1 ~a × ~b = det ê2 a2 b2 = (a2 b3 − a3 b2 ) · ê1 + (a3 b1 − a1 b3 ) · ê2 ê3 a3 b3 a2 b3 − a3 b2 0 + a3 b1 − a1 b3 0 = 0 0 a2 b3 − a3 b2 = a3 b1 − a1 b3 a1 b2 − a2 b1 + (a1 b2 − a2 b1 ) · ê3 0 0 + a1 b2 − a2 b1 Geometrie Das Kreuzprodukt zweier Vektoren liefert einen dritten, neuen Vektor. Dieser neue Vektor hat wichtige geometrische Eigenschaften (s. Abbildung 7.7). Für zwei Vektoren ~a und ~b gilt stets: • der Vektors ~a × ~b steht senkrecht sowohl zu ~a als auch zu ~b. ~a × ~b • die Länge des Vektors ~a × ~b ist gleich dem Flächeninhalt des von ~a und ~b aufgespannten Parallelogramms. Flächengöße: ||~a × ~b|| ~b ~a Abbildung 7.7: Das Kreuzprodukt zweier Vektoren. Rechenregeln Für das Kreuzprodukt gelten die folgenden Rechenregeln: Für ~a, ~b, ~c ∈ Rn und λ ∈ R gelten die folgenden Regeln (Linearität): • (λ · ~a) × ~b = λ · ~a × ~b (Linearität bzgl. Multiplikation) • ~a × (~b + ~c) = ~a × ~b + ~a × ~c (Linearität bzgl. Addition) 7.3. DARSTELLUNG VON VEKTOREN 59 Um sich diese Rechenregeln zu merken kann man in Gedanken kurz das “×” durch ein “·” (“Mal”) ersetzen. Dann sieht man, dass die Rechenregeln den normalen Regeln für “+” und “·” ähneln. 7.3 Darstellung von Vektoren Im folgenden geht es darum, Vektoren in anderen Koordinaten anzugeben. Dazu fassen wir hier Vektoren als Ortsvektoren auf, wir gehen also davon aus, dass die Vektoren im Nullpunkt beginnen. 2-dimensionaler Raum R2 Sei ~a ein 2-dimensionaler Vektor, dass heisst ein Vektor in der Ebene R2 . Zum einen können wir ~a mit a2 r ϕ a1 Abbildung 7.8: Darstellung eines 2-dimensionalen Vektors. Hilfe des kartesischen Koordinatensystems beschreiben, in dem wir die Länge von ~a in Richtung der xAchse mit a1 und die Länge von ~a in Richtung der y-Achse mit a2 bezeichnen. Dies bezeichnet man als kartesische Darstellung. Wir schreiben dann a1 ~a = . a2 Zum anderen können wir auch ~a durch die Angabe der Länge r und des Winkels ϕ mit der x-Achse beschreiben. Dies bezeichnet man als Darstellung von ~a in Polarkoordinaten. Wir schreiben dann ~a = (r, ϕ) . In der folgenden Tabelle sind die Umrechnungsformeln für den Wechsel zwischen den Darstellungen zusammengefasst. a1 Gegeben mit a1 , a2 > 0 a2 Gegeben (r, ϕ) p ϕ a21 + a22 = arctan aa12 a1 a2 = r · cos(ϕ) = r · sin(ϕ) r = 60 KAPITEL 7. VEKTOREN UND ANALYTISCHE GEOMETRIE 4 Beispiel 7.3.1 Sei ~a in kartesischen Koordinaten gegeben als . Die Länge von ~a ist dann r = 3 √ √ √ 42 + 32 = 16 + 9 = 25 = 5. Für den Winkel ϕ gilt: ϕ = arctan 34 , dass heisst ϕ ≈ 37o . Also schreibt sich ~a in Polarkoordinaten als (5, 37o ).3 3-dimensionaler Raum R3 Auch im 3-dimensionalen Raum kann jeder Vektor ~a auf naheliegende Weise mit Hilfe kartesischer Koordinaten beschrieben werden. Wir bezeichnen hier wiederum die Länge von ~a in Richtung der x-Achse mit a1 , die Länge von ~a in Richtung der y-Achse mit a2 und die Länge von ~a in Richtung der z-Achse mit a3 . Wir schreiben dann a1 ~a = a2 . a3 a3 r ψ a1 ϕ a2 Abbildung 7.9: Darstellung eines 3-dimensionalen Vektors. Im 3-dimensionalen bietet sich außerdem die Beschreibung durch sogenannte sphärische Koordinaten (oder auch Kugelkoordinaten) an. Dazu gibt man die Länge r von ~a sowie zwei Winkel ϕ und ψ an. Der Winkel zwischen x-Achse und der Projektion von ~a auf die xy-Ebene wird mit ϕ bezeichnet und der Winkel zwischen ~a und der Projektion von ~a auf die xy-Ebene wird mit ψ bezeichnet (siehe Abbildung 7.9). Es gelten die Umrechnungsregeln in Tabelle 7.1 für den Wechsel zwischen den Darstellungen. Beispiel 7.3.2 Gegeben sei ~b in Kugelkoordinaten als (8, 30o , 45o ). Dann gilt nach Tabelle 7.1: b1 = 8 · cos 30o · cos 45o ≈ 4.9, b2 = 8 · sin 30o · cos 45o ≈ 2.8 und b3 = 8 · sin 45o ≈ 5.7. Also insgesamt 4.9 8 · cos 30o · cos 45o ~b = ≈ 2.8 . 4 · cos 45o 8 · sin 45o 5.7 3 Exakt müsste es natürlich (5, arctan 3 4 ) heißen, wir begnügen uns hier aber mit der Näherung. 7.4. GERADENGLEICHUNGEN UND EBENENGLEICHUNGEN a1 Gegeben a2 mit a1 , a2 , a3 > 0 ap 3 r = a21 + a22 + a23 ϕ = arctan ψ = arctan √ a2 a1 a3 a21 +a22 61 Gegeben (r, ϕ, ψ) a1 = r · cos ϕ · cos ψ a2 = r · sin ϕ · cos ψ a3 = r · sin ψ Tabelle 7.1: Umrechnungstabelle zwischen kartesischen Koordinaten und sphärische Koordinaten. 7.4 Geradengleichungen und Ebenengleichungen Mit den nun bekannten Notationen und Rechenregeln können wir Geraden und Ebenen beschreiben und mit ihnen rechnen. 7.4.1 Geraden in Punkt-Richtungs-Form Geraden treten sowohl im R2 als auch im R3 auf, genauer gesagt ist das Konzept einer Gerade in allen Räumen der Form Rn stets dasselbe: • Geometrisch gesehen ist eine Gerade eine (unendlich lange) gerade Linie durch den Raum. • Algebraisch gesehen ist eine Gerade eine (besondere) Punktmenge aus unendlich vielen Punkten. Um die Punktmenge einer Geraden g zu beschreiben benötigt man die Angabe eines beliebigen Stützpunktes ~a auf g und der Angabe der Richtung ~b der Gerade. Die Punkte auf der Geraden sind dann alle Punkte der Form ~a + λ~b wobei λ eine Zahl aus R ist. Jeder Punkt ~x der Geraden lässt sich dann schreiben als ~x = ~a + λ~b für ein λ ∈ R (Punkt-Richtungs-Form). Diese “Punkt-Richtungs-Form” der Geraden kann man sich vorstellen wie die Beschreibung einer Autobahn: Der Stützvektor ~a gibt als Ortsvektor quasi die Auffahrt auf die Autobahn an. Der Richtungsvektor ~b gibt an, in welche Richtung man von ~a aus laufen darf (s. Abbildung 7.10). Die Addition ~a + 2, 734 · ~b liest sich dann als: “Gehe zum Startpunkt ~a. Laufe von dort aus 2, 734-Einheiten in Richtung ~b”. 7.4.2 Ebenen in Punkt-Richtungs-Form und Normalenform Eben treten im R3 auf (allerdings lässt sich das das Konzept einer Ebene auch in Räumen der Form Rn definieren). Eine Ebene ist • geometrisch gesehen eine (unendlich weite) flache Fläche im R3 . • algebraisch gesehen eine (besondere) Punktmenge des R3 aus unendlich vielen Punkten. Man kann die Punktmenge einer Ebene E auf zwei verschiedene Arten beschreiben: • Konstruktiv: Die Punkt-Richtungs-Form beschreibt wie sich die einzelnen Punkte der Ebene “herstellen” lassen. • Beschreibend: Die Normalenform ist eine Gleichung, die alle Punkte der Ebene erfüllen. KAPITEL 7. VEKTOREN UND ANALYTISCHE GEOMETRIE ~a + 2 · ~ b 62 ~a +~ b ~b g ~a ~b g ~a Abbildung 7.10: Eine Gerade g im R2 , mit Punkt-Richtungsform ~a + λ · ~b. Beide Ansätze haben ihre Vor- und Nachteile. Will man beispielsweise prüfen, ob eine gegebene Gerade g und die Ebene E sich schneiden, so ist es günstig die Punktbeschreibung der Geraden (Punkt-RichtungsForm) in die Normalengleichung der Ebene einzusetzen: Erfüllt ein Punkt aus g die Gleichung für E, so schneidet g die Ebene E. Ebenen in Punkt-Richtungs-Form Um eine Gerade zu beschreiben benötigt man die Angabe eines beliebigen Stützpunktes ~a auf g und der Angabe der Richtung ~b der Gerade. Die Punkte auf der Geraden sind dann alle Punkte der Form ~a + λ~b wobei λ eine Zahl aus R ist. Für eine Ebene E funktioniert dies ganz genauso, nur müssen hier zwei Lauf-Richtungen ~b und ~c angegeben werden: ~x = ~a + λ~b + µ~c für λ, µ ∈ R ~c +~ b+ ~a ~a ~c ~b (Punkt-Richtungs-Form). ~c E ~b ~a ~b + ~a + 2· ~c Abbildung 7.11: Eine Ebene E im R3 in Punkt-Richtungs-Form ~a + λ~b + µ~c. 7.4. GERADENGLEICHUNGEN UND EBENENGLEICHUNGEN 63 Die oben beschriebenen Darstellungen heißen Punktrichtungsform oder auch Parameterdarstellung der Geraden bzw. der Ebene. Ebenen in Normalenform Eine weitere und häufig nützliche Darstellung einer Ebene ist die sogenannte Normalenform. Dazu benötigen wir das Skalarprodukt: Eine Ebene E im R3 kann man eindeutig angeben, in dem man einen zur ebene senkrechten Vektor ~n angibt (den Normalenvektor ) und eine rechte Seite b ∈ R, die angibt, wie weit die Ebene vom Nullpunkt entfernt ist: * + x x E := y : ~n, y = b (Normalenform). z z 0 Beispiel 7.4.1 Wir wählen den Normalenvektor ~n = 0 , der parallel zur z-Achse in einem drei1 x dimensionalen Koordinatensystem zeigt und als rechte Seite wählen wir 2. Die Punkte y , für die z gilt * + 0 x 0 , y = 2 , 1 z sind letztendlich alle die Punkte mit einem z-Wert 2. Dies ist eine Ebene, die parallel zur x-y-Ebene liegt und die z-Achse in z = 2 schneidet. Geometrisch gesehen, macht also der Normalenvektor ~n einen “Zahlenstrahl” auf, und eine Ebene * + x x E := y : ~n, y = b z z ist eine “Wasseroberfläche” die senkrecht zu ~n steht. Die Rechte Seite b ∈ R gibt dabei an, wie weit diese “Wasseroberfläche” von der Null weg ist. ~n E Abbildung 7.12: Eine Ebene im R3 durch 0 mit Normalenvektor ~n. 64 KAPITEL 7. VEKTOREN UND ANALYTISCHE GEOMETRIE x Beispiel 7.4.2 Alle Punkte y , für die gilt z *x 1+ y , 1 = 0 , z 2 1 bilden eine Ebene E durch den Nullpunkt im R3 . Der Vektor ~n = 1 ist hier der Normalenvektor der 2 Ebene. Alle Punkte, für die *x 1+ y , 1 z 2 =c mit einer reellen Konstante c gilt, liegen auf einer Ebene E 0 , die parallel zu E liegt. Analog zu Beispiel 7.4.2 funktioniert dies auch für Geraden im R2 . Das heisst, wir können jede Gerade g x beschreiben als die Menge der Punkte , für die y x , ~n − c = 0 y mit geeignetem Normalenvektor ~n und geeigneter Konstante c gilt. 7.4.3 Wechsel zwischen den Ebenen-Formen Will man eine Ebene E gegeben in Punkt-Richtungsform E = {~a +λ·~v +µ· w ~ : λ, µ ∈ R} in Normalenform bringen so benötigt man einen Normalenvektor ~n und eine Rechte Seite b ∈ R. Diese berechnet man aus den Richtungsvektoren ~v , w ~ und dem Fußpunkt ~a wie folgt: ~n := ~v × w ~ b :=< ~n, ~a > Zur Begründung: • Der Normalenvektor ~n muss senkrecht zu beiden Richtungsvektoren ~v , w ~ der Ebene sein. Also verwendet man am zweckmäßigsten das Kreuzprodukt und berechnet den Vektor ~n := ~v × w. ~ • Die rechte Seite b, muss nun so gewählt werden, dass der Fußpunkt ~a die Gleichung < ~n, ~a >= b erfüllt (denn ~a ist Teil der Ebene, und die Punkte ~x in der Ebene sollen am Ende ja allesamt die Gleichung < ~n, ~x >= b erfüllen). Also wählt man b :=< ~n, ~a >. 7.5 Klassische Aufgabenstellungen Im folgenden schauen wir uns die Rechenwege für klassische Aufgabenstellungen an: 7.5. KLASSISCHE AUFGABENSTELLUNGEN 65 Gegeben sei eine Gerade g im R3 in Punkt Richtungsform g = {~a + λ~u} und eine Ebene E ebenfalls im R3 . Wo schneiden sich g und E? 1) Berechne die Punkt-Richtungsform von E (falls noch nicht bekannt). Ist E = {~c + λ · ~v + µ · w ~ : λ, µ ∈ R} dann gilt: ~n := ~v × w ~ und b :=< ~n, c > 2) Setze ~a + λ~u ein um λ zu berechnen: < ~n, ~a + λu >= b. (Hier sollte jetzt λ die einzige Variable sein, ~a, ~n, ~u sind also “echte Zahlen-Vektoren.) 3) Gibt es keine Lösung λ, so schneiden sich g und E nicht. Sonst schneiden sie sich in dem Punkt, der entsteht wenn man die Lösung λ0 in ~a +λ~u einsetzt. Ist E in Punkt-Richtungsform gegeben, so lohnt es sich bei einer solchen Aufgabe die Normalenform von E auszurechnen: Kennt die Normalenform von E = {x ∈ R3 : < ~n, ~x >= b}, so weiß man, dass alle Punkte p~ in E die Gleichung < ~n, p~ >= b erfüllen. Also muss man nur “~a + λ~u” (die allgemeine Form der Punkte in g) in die Gleichung einsetzen. 66 KAPITEL 7. VEKTOREN UND ANALYTISCHE GEOMETRIE Kapitel 8 Matrizen 8.1 Was sind Matrizen und wozu sind sie da? Eine Matrix A ∈ Rm×n ist eine Tabelle von m mal n Zahlen, die in einem rechteckigen Schema von m Zeilen und n Spalten angeordnet sind. Beispiel 1 1 2 3 4 A = 7 2.5 −2 9 ist eine Matrix in R3×4 also eine Matrix mit 3 Zeilen und 4 Spalten. π 0 17 4 Die Einträge einer Matrix können beliebige Zahlen sein. Eine Matrix mit m Zeilen und n Spalten nennt man m × n-Matrix (sprich m-Kreuz-n-Matrix“). Als Namen für Matrizen dienen üblicherweise lateinische ” Großbuchstaben: A, B, C, . . . Allgemeine Form einer Matrix Eine m × n-Matrix A ∈ Rm×n ist eine Matrix mit m Zeilen und n Spalten. Wir bezeichnen mit Aij jeweils den Eintrag in der i-ten Zeile und der j-ten Spalte. Die allgemeine Form einer solchen Matrix lautet: Breite n i B B Höhe m Der Leser nimmt immer zuerst die Höhe der Matrix wahr, deswegen steht m vorne. A= A1,1 A2,1 A3,1 .. . A1,2 A2,2 A3,2 .. . A1,3 A2,3 A3,3 .. . ··· ··· ··· .. . A1,n A2,n A3,n .. . Am,1 Am,2 Am,3 ··· Am,n In A ∈ Rm×n steht die erste Dimensions-Variable m“ für die Höhe der Matrix. Dies kann man sich ” merken, indem man sich vorstellt, dass ein (virtueller) Leser, der von links nach rechts angelaufen kommt“ ” immer zuerst die Höhe der Matrix wahrnimmt. Beispiel 2 1 2 A1,1 = 1 A1,2 = 2 Sei A = 5 4. Dann ist A eine 3 × 2-Matrix mit A2,1 = 5 A2,2 = 4 7 6 A3,1 = 7 A3,2 = 6 67 68 KAPITEL 8. MATRIZEN Matrizen sind sehr nützliche Hilfsmittel in einer Vielzahl von Anwendungen. Sie eignen sich als Kurzschreibweise für größere Mengen von Daten. Die wahrscheinlich wichtigste solcher Anwendungen sind lineare Gleichungssysteme. Beispiel 3 Betrachten wir die folgenden beiden linearen Gleichungen: 4x1 +6x2 −2x2 −8x3 −8x3 = 0 = 0 Die wichtige Information dieses Systems steckt lediglich in den Koeffizienten der beiden Gleichungen. Wir können diese in einer Matrix A zusammenfassen, indem wir im Eintrag Aij den Koeffizienten von xj in der i-ten Gleichung schreiben. Taucht xj in der i-ten Gleichung nicht auf, so setzten wir Aij = 0. Hier lautet die Matrix A also 4 6 −8 A= . 0 −2 −8 Mit den Rechenregeln, die wir in Kürze lernen werden, können wir das Gleichungssystem dann folgendermaßen schreiben: x1 0 4 6 −8 = · x2 . 0 0 −2 −8 x3 8.2 Rechnen mit Matrizen Transposition Die transponierte oder gespiegelte Matrix AT der Matrix A ist die Matrix, die durch Vertauschung von Zeilen und Spalten aus A hervorgeht. Der Eintrag in der i-ten Zeile und j-ten Spalte von AT ist der Eintrag in der j-ten Zeile und der i-ten Spalte von A. Beispiel 4 −1 0 −1 7 10 3 A= 7 AT = 0 3 −19 10 −19 Addition Die Addition von zwei Matrizen A und B ist komponentenweise definiert, addiert werden die Einträge von A und B an gleichen Positionen. Das heißt, ist C := A + B so ist der Eintrag in der i-ten Zeile und j-ten Spalte Cij gleich Aij + Bij . Es gilt also: Cij = Aij + Bij Beispiel 5 3 7 1 5 2 3 + 0 4 2 −1 3+3 5−1 5 1 = 7 + 0 3 + 1 = 7 2 1+2 4+2 3 4 4 6 8.2. RECHNEN MIT MATRIZEN 69 Ganz analog definieren wir natürlich die Subtraktion A − B ganz einfach als die komponentenweise Subtraktion aller Einträge. Die Addition von zwei Matrizen ist nur definiert, wenn sie beide die gleiche Anzahl von Zeilen und auch die gleiche Anzahl von Spalten haben. Beispiel 8.2.1 3 2 5 −1 1 2 + 7 1 6 2 ist nicht definiert. Multiplikation mit Skalaren Die Multiplikation einer Matrix A mit einem Skalar λ ∈ R funktioniert genauso wie bei Vektoren: Man multipliziert jeden Eintrag von A mit λ. Ist B = λ · A, so gilt: bij = λ · aij Beispiel 8.2.2 1 5 · 7 5 2 3 4 5·1 4 7 = 5 · 7 5·5 −1 5·2 5·3 5·4 5·4 5 5 · 7 = 35 5 · (−1) 25 10 15 20 20 35 −5 Bei der Multiplikation einer Matrix mit einem Skalar müssen wir uns keine Gedanken um passende Zeilenund Spaltenanzahl machen. Diese Multiplikation ist immer definiert. Es gelten die folgenden Rechenregeln: Rechenregeln für Addition und Multiplikation mit Skalaren Seien A, B und C (m, n)-Matrizen und seien λ, µ ∈ R Skalare. Dann gelten: • A+B =B+A • (A + B) + C = A + (B + C) • λ(µA) = (λµ)A = µ(λA) • (λ + µ) · A = λA + µA • λ · (A + B) = λA + λB (Kommutativgesetz der Addition) (Assoziativgesetz der Addition) (Assoziativgesetz der Multiplikation) Multiplikation mit Vektoren Die Multiplikation einer Matrix A mit einem Vektor ~v ist so definiert, dass die in A gespeicherten Koeffizienten wieder an die entsprechenden Einträge von ~v multipliziert werden. Das Berechnen von A ·~v erfolgt also zeilenweise, für jede Zeile von A wird eine Summe berechnet: 70 KAPITEL 8. MATRIZEN Matrix-Vektor-Multiplikation Für eine Matrix A ∈ Rm×n mit n Spalten und einen Vektor ~v ∈ Rn mit n Einträgen gilt: A11 · v1 + A12 · v2 + · · · +A1n · vn A11 A12 · · · A1n v1 A21 A22 · · · A2n v2 A21 · v1 + A22 · v2 + · · · +A2n · vn · . = A · ~v = . .. .. .. .. . . .. .. .. .. . . . . . . . vn Am1 · v1 + Am2 · v2 + · · · +Amn · vn Am1 Am2 · · · Amn Das Ergebnis der Multiplikation A · ~v ist also ein Vektor aus Rm . In Beispiel 3 haben wir bereits eine Multiplikation von einer Matrix A mit einem Vektor ~x gesehen. Dort wurde die Multiplikation verwendet, um die linke Seite eines Gleichungssystems in Kurzschreibweise zu notieren. Beispiel 6 1 9 7 5 9 · 1 +7 · 2 +5 · 3 9 + 14 + 15 38 = · 2 = = 8 6 4 8 · 1 +6 · 2 +4 · 3 6 + 8 + 12 26 3 2 −1 1 · 2 + 5 · (−1) + 2 · 1 + 1 · 0 1 5 2 1 2 7 2 1 · −1 = 1 2 · 2 + 7 · (−1) + 2 · 1 + 1 · 0 = −1 3 9 2 0 −1 3 · 2 + 9 · (−1) + 2 · 1 + 0 · 0 0 Interpretation der Matrixmultiplikation Die Multiplikation eines Vektors ~v mit einer Matrix A lässt sich auf zwei Weisen verstehen: a) Es wird zeilenweise ein Skalarprodukt berechnet, das Skalarprodukt der i-ten Zeile von A mit ~v . 2 4 6 3 6 9 1 2 ·1 2 · = 3 ·1 3 + 4 ·2 + 6 ·2 + 6 ·3 + 9 ·3 * * = + 2 1 4 ,2 3 6 + 3 1 2 , 6 3 9 6 9 b) Es werden Vielfache der Spalten von A addiert – mit Vorfaktoren aus ~v . 2 4 6 3 6 9 1 2 ·1 · 2 = 3 ·1 3 + 4 ·2 + 6 ·2 + 6 ·3 + 9 ·3 = 2 3 ·1+ 4 6 ·2+ ·3 Diese Anschauung ist wichtig, um zu verstehen, wie eine Matrix als Abbildung geometrisch funktioniert. 8.2. RECHNEN MIT MATRIZEN y ~v = 3 2 =3· 1 0 +2· 71 y 0 1 A · ~v = 3 · 2 0 +2· 1 1 x x Der i-te Eintrag des Ergebnisvektors w ~ = A · ~v ist definiert als das Skalarprodukt der i-ten Zeile von A mit ~v . D.h. v1 + T P v2 ai,n , . = nj=1 aij · vj . .. * (w) ~ i |{z} = ai,1 ai,2 ... i-ter eintrag v. w ~ vn Der Stoff bisher war recht trocken. Schauen wir uns also mal an, wozu man das Gelernte so alles verwenden kann. Beispiel 8.2.3 Stellen wir uns vor, wir sind Pizzabäcker bzw. Pizzabäckerin. Es gelten die folgenden Preise für Zutaten in unserem Lieblingsgeschäft: Zutat Teig Tomatensauce Salami Pilze Käse Preis 2 Euro 1,50 Euro 3 Euro 1 Euro 2,50 Euro In unserem Angebot haben wir die folgenden Pizzen (oder heißt es Pizzas?): Pizza Margherita Funghi Salami Pizza mit alles“ und doppelt Käse ” Zutaten Teig, T.sauce, Käse Teig, T.sauce, Pilze, Käse Teig, T.sauce, 12 Packung Salami, Käse Teig, T.sauce, Salami, Pilze, 2 Käse Wir möchten jetzt möglichst schnell den Preis für unsere Pizzen berechnen. Um den Preis einer Pizza zu bestimmen, können wir nun den Zutatenvektor mit dem Preisvektor multiplizieren. Für eine Pizza Funghi sieht das so aus: 2 Euro 1, 50 Euro (1 Teig, 1 T.sauce, 0 Salami, 1 Pilze, 1 Käse) · 3 Euro = 7 Euro 1 Euro 2, 50 Euro 72 KAPITEL 8. MATRIZEN Um den Preis aller Pizzen auf einmal zu berechnen, können wir die Zutatenvektoren in eine Matrix schreiben und den Preisvektor mit dieser Matrix multiplizieren. 2 1 1 0 0 1 6 1, 50 7 1 1 0 1 1 1 1 1 0 1 · 3 = 7, 50 2 1 12, 50 1 1 1 1 2 2, 50 Unsere Preise lauten also: Pizza Margherita Funghi Salami Pizza mit alles“ und doppelt Käse ” Preis 6 Euro 7 Euro 7,50 Euro 12,50 Euro Zurück zur Theorie. Eine weitere sehr wichtige Eigenschaft von Matrizen ist, dass sie lineare Abbildungen beschreiben. Genauer: Sei A eine Matrix mit m Zeilen und n Spalten, dann definiert A eine Abbildung vom Rm in den Rn : A : Rm ~v → Rn 7→ A · ~v Diese Abbildung ist linear, was bedeuted, dass für alle ~v1 , ~v2 ∈ Rm und für alle λ ∈ R gilt: A · (~v1 + ~v2 ) = A · ~v1 + A · ~v2 8.3 und A · (λ~v ) = λ(A · ~v ) . Matrixmultiplikation Das Produkt A · B zweier Matrizen A und B kann nur dann gebildet werden, wenn die Spaltenanzahl von A gleich der Zeilenanzahl von B ist. Ist A eine (m, n)-Matrix und B eine (n, r)-Matrix (Anzahl der Spalten von A = n = Anzahl der Zeilen von B), so ist die Produktmatrix C = A · B eine (m, r)-Matrix mit den Einträgen cik = Pn j=1 aij · bjk b1,k + * ai,1 ai,2 b2,k = . , . . .. .. ai,n bn,k In anderen Worten: Der Eintrag von C in der i-ten Zeile und j-ten Spalte ist das Skalarprodukt der i-ten Zeile von A mit der k-ten Spalte von B. Beispiel 8.3.1 Sei 3 A = 0 4 1 −1 2 und B = 2 −1 0 . 1 8.4. DETERMINANTEN 73 Da die Anzahl der Spalten von A gleich 2 ist so wie auch die Anzahl der Zeilen von B, können wir das Produkt C = A · B berechnen. Wir erhalten den Eintrag in der ersten Zeile und ersten Spalte von C als das Produkt der ersten Zeile von A mit der ersten Spalte von B. D.h.: T 2 c11 = 3 1 , = 3 · 2 + 1 · (−1) = 5 . −1 Analog erhalten wir c21 c31 c12 c22 c32 T 2 −1 , = 0 · 2 − 1 · (−1) = 1 −1 T 2 4 2 , = 4 · 2 + 2 · (−1) = 6 = −1 T 0 3 1 , = =3·0+1·1=1 1 T 0 0 −1 , = = 0 · 0 − 1 · 1 = −1 1 T 0 4 2 , = =4·0+2·1=2 . 1 = 0 Insgesamt gilt also 5 C = 1 6 1 −1 . 2 D = B · A ist nicht definiert, da die Anzahl der Spalten von B nicht gleich der Anzahl der Zeilen von A ist. Die Rechenregeln für die Multiplikation (siehe Tabelle 8.1) von Matrizen sind etwas komplizierter als die der Addition und der Multiplikation mit Skalaren. Besonders zu beachten ist, dass das Kommutativgesetz hier nicht mehr gilt. D.h. im Allgemeinen ist A · B 6= B · A. Selbst wenn beide Produkte definiert sind, gilt nicht immer die Gleichheit. Seien A, B und C Matrizen. Dann gelten: • (A · B) · C = A · (B · C) (Assoziativgesetz) • A · (B + C) = A · B + A · C (Distributivgesetz) • A · B 6= B · A (Kommutativgesetz gilt nicht) • (A · B)T = B T · AT (Reihenfolge ändert sich) Tabelle 8.1: Rechenregeln für die Matrixmultiplikation. Interpretieren wir Matrizen wiederum als lineare Abbildungen, so entspricht das Produkt zweier Matrizen der Hintereinanderschaltung zweier linearer Abbildungen. 8.4 Determinanten Die Determinante ist eine Funktion. Sie weist jeder quadratischen Matrix A ∈ Rn×n eine Zahl det(A) zu, diese Zahl heißt dann “die Determinante von A”. Die Determinante lässt sich also nur aus quadratischen Matrizen (Zeilenzahl ist gleich Spaltenzahl) berechnen. 74 KAPITEL 8. MATRIZEN Die Determinante misst das (orientierte) Volumen des von den Spalten von A aufgespannten Parallelotops (s. Def 7, Bsp. 8). Hat dieses Volumen den Wert 0, dann zeigen die Spalten von A nicht in “echt verschiedene” Richtungen (genauer sagt man: die Spalten von A sind dann linear abhängig). Dies hat zur Folge, dass mit einer solchen Matrix A nicht alle Gleichungssysteme A · ~x = ~b lösbar sind. Diese geometrische Interpretation der Determinante als Volumen ist also im wesentlichen Interessant für den Fall det(A) = 0. Das Parallelotop im R3 8.4.1 Hat die quadratische Matrix A ∈ R3×3 die Spalten ~a1 , ~a2 , ~a3 ∈ R3 , so ist die Determinante von A das orientierte Volumen, des von ~a1 , ~a2 , ~a3 aufgespannten Parallelotops1 . Die Orientierung bedeutet hier ein Vorzeichen, dass die Reihenfolge der Vektoren wiederspiegelt. Definition 7 Für 3 Vektoren ~a1 , ~a2 , ~a3 ∈ R3 sei P({~a1 , ~a2 , ~a3 }) := {λ1 ·~a1 + λ2 ·~a2 + λ3 ·~a3 : 0 ≤ λ1 , λ2 , λ3 ≤ 1} . Für die Matrix A ∈ R3×3 mit Spalten ~ai schreibt man auch kurz P(A) für P({~a1 , . . . , ~an }) Beispiel 8 Sind die ~a1 , . . . , ~an linear unabhängig Sind die ~a1 , . . . , ~an linear abhängig z y so ist P(A) das Parallelotop mit Kanten parallel zu den ~ai . so ist P(A) flach. z y 2 x x Die Determinante det(A) einer Matrix A ∈ Rn×n ist das orientierte Volumen von P(A). Das tatsächliche Volumen ist in den seltensten Fällen interessant! Was wirklich interessiert ist der Fall det(A) = 0: Ist die Determinante 8.4.2 Berechnung und Rechenregeln für Dimensionen 2 und 3 Die Formel zur Berechnung des der Detereminante einer quadratischen Matrix A lässt sich am besten durch ein Verfahren ausdrücken. Wir werden zwei solcher Verfahren kennenlernen, eines für Matrizen der Dimension R2×2 und eines für Matrizen der Dimension R3×3 1 das Parallelotop ist die dreidimensionale Verallgemeinerung des Parallelogramms im R2 . 8.4. DETERMINANTEN 75 Determinantenformel für A ∈ R2×2 a c 2×2 Es sei A ∈ R mit A = dann lässt sich det(A) über das Bilden von 2 Summanden b d berechnen: ·c −b ⊕ a c Man erhält det(A) = a · d − b · c b d a· d Sarrusregel für A ∈ R3×3 Es sei A ∈ R3×3 a mit A = b c α β γ x y dann lässt sich det(A) über das Bilden von 6 Summanden z berechnen. Für das Ermitteln der Summanden schreibt man die drei Spalten von A in ein Schema und wiederholt die ersten beiden Spalten. Dann bildet man drei “Abwärts-Produkte” mit positivem Vorzeichen, und drei “Aufwärts-Produkte” mit negativem Vorzeichen. Die Detrminante ist dann die Summe dieser 6 Produkte: ⊕ ⊕ a α x b β y c γ z ·x ·a ·α ·β γ·y z·b c − − − ⊕ a b c α β γ Man erhält: det(A) = a ·β ·z −c ·β ·x +α ·y ·c +x ·b ·γ −γ ·y ·a −z ·b ·α a· α· x·b β· y· z c ·γ Keine “Sarrusregel” für A ∈ Rn×n mit n ≥ 4 Für quadratische Matrizen mit Dimensionen größer als 4 gibt es keine Berechnungsregel analog zur Sarrusregel! Die Determinante ist nicht additiv Im Allgemeinen gilt nicht det(A + B) = det(A) + det(B), 1 0 0 det = 1 6= 0 = det 0 1 0 | {z =0 8.4.3 wie das folgende (einfache) Beispiel zeigt. 0 1 0 + det 1 0 0 } | {z } =0 Ausblick Studienwissen: Berechnung der Determinante für allgemeine Dimensionen Ab Dimension n = 4 gibt es keine “einfachen” Rechenregeln für die Determinante mehr, es gibt jedoch ein recht überschaubares allgemeines Berechnungsverfahren: Die Berechnung der Determinante einer großen Matrix wird dabei auf das Berechnen mehrerer “kleinerer” Determinanten reduziert. Die kleineren Matrizen entstehen dabei durch das Streichen eines (bestimmten!) 76 KAPITEL 8. MATRIZEN Zeilen- und Spalten-Paares der Hauptmatrix: Definition 9 (Streichungsmatrix) Für eine Matrix A ∈ Rn×n und zwei Indices k, ` ∈ {1, . . . , n} k,` ∈ R(n−1)×(n−1) die jenige Matrix, die aus A hervorgeht durch ist die Streichungsmatrix A Streichen der k-ten Zeile und Streichen der `-ten Spalte : A1,1 .. . Ak−1,1 A = Ak,1 Ak+1,1 . .. An,1 ··· A1,`−1 A1,` .. . ··· Ak−1,`−1 ··· Ak,`−1 ··· Ak+1,`−1 ··· An,`−1 A1,1 . .. Ak−1,1 k,` A = Ak+1,1 .. . An,1 ··· ··· A1,`+1 Ak−1,` Ak,` Ak+1,` .. . An,` A1,n .. . Ak−1,`+1 ··· Ak−1,n Ak,`+1 ··· Ak,n Ak+1,`+1 ··· Ak+1,n .. . An,`+1 ··· An,n A1,`−1 .. . A1,`+1 .. . ··· ··· Ak−1,`−1 Ak−1,`+1 ··· Ak−1,n ··· Ak+1,`−1 .. . Ak+1,`+1 .. . ··· Ak+1,n .. . ··· An,`−1 An,`+1 ··· An,n A1,n .. . Beispiel 10 1 A := 2 3 a b c α β γ ⇒ 1 a 2,2 = 2 b A 3 c α 1 β = 3 γ α γ 1 2,3 = 2 A 3 a b c α 1 β = 3 γ a c Definition 11 Für eine A ∈ Rn×n mit n ∈ N \ {0} gilt: • Falls n = 1 gilt, so hat A = (A1,1 ) genau einen Eintrag A1,1 ∈ R und des gilt det(A) = A1,1 • Falls n > 1 gilt, so können wir eine Spalte ` ∈ {1, . . . , n} wählen und nach dieser Spalte die Determinante entwickeln n X i,` det(A) = (−1)i+` Ai,` · det A i=1 Bemerkung 8.1 Das Vorzeichen (−1)i+` für das Element Ai,` ist nur bestimmt durch die Zahlen i und `, d.h. bestimmt durch die Position in der i-ten Zeile und `-ten Spalte. Die Zahl (−1)i+` ist also unabhängig von der Dimension n (und auch unabhängig vom Wert Ai,` ). Hilfreich zum Ermitteln des korrekten Vorzeichens ist eine “Vorzeichen-Matrix”: Man trägt in einer Matrix 8.4. DETERMINANTEN 77 in Zeile i und Spalte ` nur das Vorzeichen von (−1)i+` ein, dies sieht dann wie folgt aus: + − − + + − + − + − + − + für R3×3 − + − + + − + − − + − + für R4×4 Beispiel 12 a c Für A := ∈ R2×2 gilt stets: det(A) = a · d − c · b. b d Entwickelt man die Determinante nach der ersten Spalte so erhält man: a c a c det(A) = (1) · a · det +(−1) · b · det b d b d = Beispiel 13 1 Es sei A := 2 3 4 5 6 = 1 4 7 (−1) · 4 · det 2 5 8 3 6 9 2 8 −4· det 3 9 = d −b· det c 7 8 . Entwickelt man die Determinante nach der zweiten Spalte so erhält man: 9 det(A) = a· det −4· (2 · 9 − 3 · 8) 1 4 7 +(1) · 5 · det 2 5 8 3 6 9 1 7 +5· det 3 9 5· (1 · 9 − 3 · 7) 1 4 7 +(−1) · 6 · det 2 5 8 3 6 9 1 7 −6· det 2 8 6· (1 · 8 − 2 · 7) Beispiel 14 Beim Entwickeln der Determinante nach einer Spalte (bzw. Zeile) sollte man eine Spalte (bzw. Zeile) mit vielen Nulleinträgen wählen. Hierdurch veringert sich der Rechenaufwand erheblich! 1 2 3 4 5 6 7 8 9 1 Es sei A = 1 0 0 0 0. Entwickeln nach Zeile 3, dann nach Original-Zeile 4 und dann nach 0 2 0 0 0 0 0 1 0 0 Original-Zeile 5 liefert: 2 3 4 5 3 4 5 7 8 9 1 4 5 = +1 · 2 det 8 9 1 = +1 · 2 · 1 · det det(A) = +1 · det 2 0 0 0 9 1 1 0 0 0 1 0 0 78 KAPITEL 8. MATRIZEN Entwickeln nach einer Spalte ist für große Matrizen ungeignet. Das rekursive Enwickeln einer Determinante nach einer Zeile oder Spalte ist für “große” Matrizen im Allgemeinen zeitlich schlicht nicht möglich: Um eine 10×10-Matrix zu durch Entwickeln zu berechnen muss man 10!-viele Summanden addieren: Für das Entwickeln einer 10×10-Matrix addiert man 9 Unterdeterminaten von Matrizen der Größe 9 × 9. Für das Entwickeln jeder dieser 10-vielen 9×9-Matrizen addiert man (jeweils) 9 Unterdeterminaten von Matrizen der Größe 8×8. Jetzt hat man bereits 10 · 9 Summanden. Verfährt man beim Entwickeln bis zum Ende, so hat man schließlich 10 · 9 · 8 · · · 2 · 1 = 10! viele Summanden. Während 10! = 3 628 800 ' 3, 6 Mio Summanden noch schnell addiert sind, benötigt man bei 33! Summanden zum Addieren bereits länger als das Universum alt ist!2 Die Determinante einer allgemeinen Matrix A ∈ R33×33 zu berechnen ist also durch mit der Methode “Entwickeln nach einer Spalte” nicht möglich. Für große matrizen verwendet man also andere Verfahren zur Berechnung der Detereminante, die wir hier nicht weiter ausführen. 2 . . . und das selbst auf dem aktuell schnellsten Computer der Welt! Kapitel 9 Wahrscheinlichkeitsrechnung In der Wahrscheinlichkeitsrechnung befasst man sich mit den Gesetzmäßigkeiten des zufälligen Eintretens bestimmter Ereignisse aus einer vorgegebenen Menge von Ereignissen. Dabei wird stets vorausgesetzt, dass diese Versuche unter unveränderten Bedingungen beliebig oft wiederholt werden können. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung besitzt eine Vielzahl von Anwendungen in anderen Bereichen der Mathematik aber vor allem auch in anderen Wissenschaften (Physik, Biologie, Psychologie, Ökonomie, Ingenieurwesen, Medizin, ... ). 9.1 Übersicht Beim Umgang mit Wahrscheinlichkeiten gibt es drei Stufen: 1. Wahrscheinlichkeiten: Das berechnen oder abschätzen wie Wahrscheinlich bestimmte Ergebnisse auftreten. 2. Erwartungswert: Das berechnen des Durchschnittspreises von zufälligen Ereignissen, wenn man den Ergebnissen Preise zuordnet. 3. Varianz: Das Abschätzen wie weit die Ergebnisse um den Durchschnittswert streuen. 9.2 Wahrscheinlichkeiten und Zählen Um die Wahrscheinlichkeit zu berechnen, dass bei einem zufälligen Ereignis ein bestimmtes (gewünschtes) Ergebnis eintritt, benötigt man zwei Informationen: 1. wieviele mögliche Endergebnisse gibt es, und 2. wieviele dieser Endergebnisse liefern das gewünschte Ergebnis. Die Wahrscheinlichkeit P (gew. Ergebnis), dass das gewünschte Egebnis eintritt ist dann P (gew. Ergebnis) = Anzahl möglicher Fälle gewünschtes Ergebnis tritt ein. Anzahl aller möglichen Endergebnisse Nehmen wir einmal an wir werfen einen Würfel dessen 6 Seiten (ungewöhnlicherweise) mit den Buchstaben A, B, C, D, E, F beschriftet ist. Nun wollen wir wissen, wie wahrscheinlich es ist, dass wir ein A oder ein B würfeln. Unter den sechs möglichen Endergebnissen {A,B,C,D,E,F} befinden sich zwei gewünschte Ergebnisse nämlich {A,B}. 79 80 KAPITEL 9. WAHRSCHEINLICHKEITSRECHNUNG In zwei von sechs Fällen würfelt man also ein A oder ein B. Die Wahrscheinlichkeit ist also P (A oder B würfeln) = 2 1 6 = 3 . Man erwartet also in einem Drittel der Fälle eine A oder ein B zu würfeln. Dieses Einfache Beispiel versteckt, wie schwierig es sein kann, die gewünschten Ereignisse oder auch nur alle möglichen Ereignisse zu zählen. ein kurzes Beispiel: Angenommen, auf Ihrer persönlichen Weltkarte gibt es 10 Orte, die sie alle einmal besuchen wollen. Wieviele mögliche Reihenfolgen gibt es, in der Sie diese Orte besuchen? 9.2.1 Zählen aller Ereignisse Es gibt vier typische, immer wiederkehrende Fälle für die man zählen muss, wieviele Gesamtereignisse es gibt. Diese werden verwirrenderweise mit verschiedenfarbigen Kugeln beschrieben, die aus einer Urne gezogen werden. Außer Mathematikern zieht aber niemand mehr so oft Dinge aus Urnen. Deswegen haben wir drei andere Beispiele Gewählt. • Ziehen mit zurücklegen: Aus den Ziffern 0 − 9 eine dreistellige Zahl schreiben: Es gibt zusammen mit (0, 0, 0) tausend solche Zahlentripel. • Ziehen ohne Zurücklegen: Drei Städte in unterschiedlicher Reihenfolge besuchen: Es gibt 6 = 3 · 2 · 1 verschiedene Reihenfolgen. 9.3 Zufällige Ereignisse Ein Zufallsexperiment ist ein Experiment, dass als Ergebnis eines von mehreren möglichen Ergebnissen hat, deren Ausgang sich nicht genau vorhersagen lässt. Die Menge aller möglichen Ergebnisse heisst Ergebnismenge und wird mit Ω bezeichnet. Ein einzelnes Ergebnis eines Zufallsexperiments wird mit ω bezeichnet. Beispiel 9.3.1 Das Werfen einer Münze ist ein solches Experiment mit ungewissem Ausgang. Als mögliche Ergebnisse haben wir Kopf K und Zahl Z, also Ω = {K, Z}. Beispiel 9.3.2 Beim Werfen eines Würfels können die Zahlen 1, 2, 3, 4, 5 oder 6 auftreten. Hier ist also Ω = {1, 2, 3, 4, 5, 6}. Ein Ereignis A ist eine Teilmenge von Ω (in Zeichen A ⊂ Ω). Ein Ereignis ist also eine Menge von möglichen Versuchsausgängen. Beispiel 9.3.3 Beim Werfen eines Würfels betrachten wir das Ereignis A: Eine gerade Zahl wird gewor” fen“. Hier ist also A = {2, 4, 6} ⊂ {1, 2, 3, 4, 5, 6}. Wir sagen, ein Ereignis A tritt ein, wenn das Ergebnis ω des Zufallsexperiments in A ist. ω ∈ A ⇔ A ist eingetreten. ω 6∈ A ⇔ A ist nicht eingetreten. Das Ereignis Ω heisst sicheres Ereignis, denn es tritt für jedes Ergebnis ω ein. Das unmögliche Ereignis ∅ ist ein Ereignis, dass nie eintreten kann. Man kann Ereignisse A und B zu neuen Ereignissen kombinieren: • Vereinigung: A ∪ B = {ω : ω ∈ A oder ω ∈ B} • Durchschnitt: A ∩ B = {ω : ω ∈ A und ω ∈ B} 9.4. ABSOLUTE UND RELATIVE HÄUFIGKEIT 81 • Komplementärereignis: Ā = {ω : ω 6∈ A} • Differenz: A\B = {ω : ω ∈ A und ω 6∈ B} Es gilt A\B = A ∩ B̄. Zwei Ereignisse heißen disjunkt oder unvereinbar, wenn A ∩ B = ∅ gilt. Die Ereignisse A und B können also nicht gemeinsam auftreten. Beispiel 9.3.4 Beim Werfen eines Würfels betrachten wir das Ereignis A = Eine gerade Zahl wird ” geworfen“ und B = Eine Zahl kleiner als 3 wird geworfen“. Also A = {2, 4, 6} und B = {1, 2}. Es gilt ” dann A ∪ B = {1, 2, 4, 6}, A ∩ B = {2}, Ā = {1, 3, 5}, B̄ = {3, 4, 5, 6} und A\B = {4, 6}. A und B sind nicht disjunkt, da A ∩ B = {2} = 6 ∅. 9.4 Absolute und relative Häufigkeit Es sei A ein bestimmtes Ereignis eines Zufallsexperiments, das man n-mal unter gleichen Bedingungen wiederholt. Die Anzahl derjenigen Versuche, bei denen A eintritt, heisst absolute Häufigkeit von A und wird mit hn (A) bezeichnet. Der Quotient rn (A) = hn (A) n heisst relative Häufigkeit von A. Die relative Häufigkeit von A ist also die Anzahl der Versuche bei denen A auftritt geteilt durch die Gesamtanzahl der Versuche. Beispiel 9.4.1 Wir werfen 10-mal mit einem Würfel und betrachten dabei die Ereignisse A = Eine ” gerade Zahl wird geworfen“ und B = Eine Zahl kleiner als 3 wird geworfen“. Also A = {2, 4, 6} und ” B = {1, 2}. Es treten folgende Würfe auf: 2, 6, 4, 5, 3, 1, 2, 3, 4, 1. Wir haben also h10 (A) = 5, 9.5 h10 (B) = 4, r10 (A) = 5 , 10 r10 (B) = 4 . 10 Wahrscheinlichkeit Wir gehen im Folgenden immer davon aus, dass die Ereignismengen Ω endlich sind. Die Wahrscheinlichkeit für ein Ereignis A ist das Verhältnis der Anzahl der Ereignisse in A zur Gesamtanzahl der möglichen Ereignisse. Wir schreiben p(A) für die Wahrscheinlichkeit von A (p steht für probability“). ” |A| Anzahl der Elemente in A = p(A) = Anzahl der Elemente in Ω |Ω| So beträgt beispielsweise die Wahrscheinlichkeit eine 6 zu würfeln 16 , also p({6}) = 16 und die Wahrscheinlichkeit beim Münzwurf Kopf“ zu erhalten betrag̈t 21 , d.h. p( Kopf“) = 12 . ” ” Listen wir nun zunächst einige grundlegende Eigenschaften der Wahrscheinlichkeit auf. • Für jedes Ereignis A gilt: 0 ≤ p(A) ≤ 1 • p(Ω) = 1 • p(A ∪ B) = p(A) + p(B), falls A ∩ B = ∅ 82 KAPITEL 9. WAHRSCHEINLICHKEITSRECHNUNG • p(A ∪ B) = p(A) + p(B) − p(A ∩ B), falls A ∩ B 6= ∅ • p(Ā) = 1 − p(A) für das Komplementärereignis Ā • A ⊆ B ⇒ p(A) ≤ p(B) Beispiel 9.5.1 Unser Zufallsexperiment sei wiederum das Werfen eines Würfels und wir betrachten wiederum die Ereignisse A = {2, 4, 6} und B = {1, 2}. Dann gilt: • p(A) = 3 6 = 1 2 • p(B) = 2 6 = 1 3 • p(A ∪ B) = 4 6 • p(Ā) = 1 2 • p(B̄) = 2 3 9.6 = 2 3 Bedingte Wahrscheinlichkeit und Unabängigkeit Häufig steht, bevor das Ergebnis eines Zufallsexperiments bekannt ist, schon die Information zur Verfügung, dass das Ergebnis zu einer bestimmten Teilmenge der Ergebnismenge gehört. Unter diesen neuen Bedingungen ändern sich natürlich die Wahrscheinlichkeiten für den Ausgang des Experiments. Beispiel 9.6.1 Betrachten wir beispielsweise das Ereignis A Eine ungerade Zahl wird gewürfelt“ so ” beträgt die Wahrscheinlichkeit p(A) = 21 . Stellen wir uns vor, der Würfel wurde nun bereits geworfen, wir bekommen über das Ergebnis aber lediglich mitgeteilt, dass die gewürfelte Zahl kleiner als 4 ist. Das heisst, es sind nur noch die Ergebnisse 1,2 und 3 möglich. Die Wahrscheinlichkeit, dass die gewürfelte Zahl unter dieser Bedingung ungerade ist, ist also p(A|B) = 23 . (Hier bezeichnet B das Ereignis Eine Zahl ” kleiner als 4 wird gewürfelt“.) Für Ereignisse A und B definieren wir die bedingte Wahrscheinlichkeit von A unter der Bedingung B als p(A|B) = p(A ∩ B) . p(B) Wir nennen zwei Ereignisse A und B unabhängig, wenn deren Eintreten keinerlei Einfluss aufeinander hat. Genauer gesagt verlangen wir, dass sich die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten von A durch die Gewissheit, dass B eintritt, nicht ändert (also p(A) = p(A|B) gilt). Mathematisch präzise definieren wir: A und B heißen unabhängig, wenn p(A ∩ B) = p(A) · p(B) gilt. Beispiel 9.6.2 Unser Zufallsexperiment sei der zweimalige Wurf eines Würfels. Ereignis A sei Im zweiten ” Wurf fällt eine 6“ und Ereignis B sei Im ersten Wurf fällt eine 6“. Die Wahrscheinlichkeit von A beträgt ” 1 6 unabhängig davon, ob im ersten Wurf eine 6 fällt oder nicht. A und B sind daher unabhängig. Bevor wir zu den Zufallsvariablen kommen betrachten wir nochmal ein Beispiel um die bereits gelernten Begriffe zu trainieren. 9.7. ZUFALLSVARIABLEN 83 Beispiel 9.6.3 In einer Schublade befinden sich 20 Socken. Darunter sind 10 schwarze, 3 rote, 3 blaue, 2 grüne und 2 weisse. Wir ziehen nun blind nacheinander zwei Socken aus der Schublade. Wir definieren Ereignis A als Beide Socken sind schwarz“ und Ereignis B als Beide Socken haben die gleiche Far” ” be“. Bestimmen wir zunächst p(A). Die Wahrscheinlichkeit beim ersten Ziehen eine schwarze Socke zu 1 erhalten ist 2 . Haben wir im ersten Versuch eine schwarze Socke gezogen, so sind nur noch 9 der verblei9 benden 19 Socken schwarz. Die Wahrscheinlichkeit eine weitere schwarze Socke zu ziehen ist also 19 . Die Wahrscheinlichkeit das beide Ziehungen schwarz liefern ist also das Produkt dieser Wahrscheinlichkeiten, d.h. 9 1 9 = . p(A) = · 2 19 38 Um p(B) zu berechnen, müssen wir die Wahrscheinlichkeiten dafür, dass wir zwei schwarze Socken ziehen, zwei rote Socken ziehen, zwei blaue Socken ziehen, zwei grüne Socken ziehen oder zwei gelbe Socken ziehen addieren. Wir berechnen wie im ersten Fall 6 3 2 · = und p( Zwei blaue“) = p( Zwei rote“) = ” ” 20 19 380 2 1 2 p( Zwei grüne“) = p( Zwei gelbe“) = · = . ” ” 20 19 380 Die Wahrscheinlichkeit für B beträgt also 9 6 6 2 2 106 53 + + + + = = ≈ 0.28 = 28% . 38 380 380 380 380 380 190 Die Wahrscheinlichkeit, dass wir zwei schwarze Socken gezogen haben unter der Bedingung, dass wir zwei gleiche gezogen haben, ist also p(B) = p(A|B) = p(A ∩ B) p(A) 9 190 90 = = · = ≈ 0.85 = 85% . p(B) p(B) 38 53 106 Die beiden Ereignisse A und B sind nicht unabhängig, da p(A ∩ B) 6= p(A) · p(B). 9.7 Zufallsvariablen Eine Zufallsvariable ist eine Funktion X : Ω → R, die jedem Elementarereignis ω ∈ Ω genau eine reelle Zahl zuordnet. Wie die Ergebnisse ω eines Zufallsexperiments hängen auch die Werte von X vom Zufall ab. Für die Wahrscheinlichkeit, dass eine Zufallsvariable einen bestimmten Wert annimmt, schreiben wir abkürzend p(X = k), was eigentlich bedeuted p({ω ∈ Ω : X(ω) = k}) . Beispiel 9.7.1 Der Besitzer eines Jahrmarktstands bietet folgendes Spiel an. Beim Werfen zweier Würfel erhält die Spielerin 10 Euro, wenn beide Würfel 6 zeigen und 2 Euro, wenn einer der Würfel 6 zeigt. Ein Wurf kostet 1 Euro. Wir bezeichnen mit X die Zufallsvariable, die den Gewinn der Spielerin beschreibt. Es gilt also: {(6, 6)} 7−→ X 10 − 1 = 9 {(6, 1), (6, 2), . . . , (6, 5), (1, 6), (2, 6), . . . , (5, 6)} X 7−→ 2−1=1 {(1, 1), (1, 2), . . . . . . . . . , (5, 5)} X 0 − 1 = −1 7−→ 1 36 , Daraus erhalten wir die Wahrscheinlichkeiten p(X = 9) = fassen wir nochmal in einer Tabelle zusammen: Werte von X 9 1 Wahrscheinlichkeiten 36 p(X = 1) = 1 -1 10 36 25 36 10 36 und p(X = −1) = 25 36 . Dies 84 9.8 KAPITEL 9. WAHRSCHEINLICHKEITSRECHNUNG Erwartungswert, Varianz und Standardabweichung Häufig interessiert man sich für den mittleren Wert“ einer Zufallsvariablen. Das entspricht dem erwar” teten Wert bei einer häufigen Wiederholung des Experiments. In unserem Beispiel 9.7.1 wäre das der erwartete Gewinn bzw. Verlust der Spielerin. Um einen solchen Mittelwert zu bilden, gewichten wir die möglichen Werte X(ω) der Zufallsvariable mit den jeweiligen Wahrscheinlichkeiten p(ω) und summieren darüber. Wir definieren dann X E(X) = X(ω) · p(ω) . ω∈Ω Dies nennt man den Erwartungswert von X. Beispiel 9.8.1 Kommen wir zurück zu obigem Jahrmarkt-Spiel. Wir hatten folgende Tabelle erarbeitet. Werte von X Wahrscheinlichkeiten 9 1 -1 1 36 10 36 25 36 Der erwartete Gewinn der Spielerin, der dem Erwartungswert der Zufallsvariablen X entspricht, beträgt also 1 10 25 6 1 E(X) = 9 · +1· + (−1) · =− = − ≈ −0.17 . 36 36 36 36 6 Die Spielerin verliert also im Mittel ca. 17 Cent pro Spiel. Die Varianz und die Standardabweichung sind Größen, die die Streuung einer Zufallsvariablen um den Erwartungswert beschreiben. Genauer gesagt definieren wir die Varianz von X als 2 Var(X) = E X − E(X) und die Standardabweichung von X als σX = p Var(X) . Beispiel 9.8.2 Bei unserem Jahrmarkt-Spiel aus Beispiel 9.7.1 beträgt die Varianz 2 1 · p(ω) X(ω) − − 6 ω∈{9,1,−1} 2 2 2 1 1 1 10 1 25 = 9+ · + 1+ · + −1 + · 6 36 6 36 6 36 3699 411 = = ≈ 2.85 1296 144 q und demnach beträgt die Standardabweichung 411 144 ≈ 1.69. Var(X) = X Literaturverzeichnis [CR00] Richard Courant and Herbert Robbins, Was ist mathematik?, Springer, Berlin, Heidelberg, New York, 2000. [Kem98] Arnfried Kemnitz, Mathematik zum studienbeginn, vieweg, 1998. [Sch01] W. Scharlau, Schulwissen mathematik: Ein Überblick, Vieweg Braunschweig, 2001. [SGT00] W. Schäfer, K. Georgi, and G. Trippler, Übungs- und arbeitsbuch für studienanfänger., Teubner, Wiesbaden, 2000. [SS01] W. Schirotzek and S. Scholz, Starthilfe mathematik, Teubner, Wiesbaden, 2001. 85