Orientierende klinisch-neurologische Untersuchung Inspektion der

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Kapitel 5 · Nervensystem
Patienten mit neurologischen Vorerkrankungen weisen
häufig anästhesiologisch relevante Besonderheiten auf.
Um eine optimale perioperative Betreuung gewährleisten zu können, muss der Anästhesist mit neurologischen
Symptomen (. Tabelle 5.1) sowie den zugrunde liegenden Störungen und den daraus erwachsenden Komplikationsmöglichkeiten vertraut sein. Bei der präoperativen Untersuchung sollen neurologische Störungen und Ausfälle
dokumentiert werden, um etwaige Veränderungen im Verlauf erkennen zu können.
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Orientierende klinisch-neurologische
Untersuchung
5.1
Um eine möglichst umfassende Untersuchung durchzuführen,
sollte ein standardisiertes Schema eingehalten werden (. Tabelle 5.2). Dieses Vorgehen erlaubt eine schnelle Orientierung
über den aktuellen Gesundheitsstatus des Patienten und gestattet die umfassende und individuelle Narkoseplanung.
Inspektion der Augen
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5.1.1
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! Die orientierende neurologische Beurteilung beinhaltet immer eine Untersuchung der Augen. Untersucht und dokumentiert werden: Bulbusstellung, Lichtreaktion, Pupillenweite und Kornealreflex.
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Beim bewusstseinsgestörten Patienten ist die Stellung der Bulbi von Bedeutung:
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. Tabelle 5.1. Leitsymptome neurologischer Störungen
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Krampfanfälle
4 Fokal
4 Generalisiert
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Fokale Ausfälle
4 Motorische Störung an
Extremitäten
4 Hirnnervenausfälle
4 Hemiparese
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Symptome eines
erhöhten Hirndrucks
4 7 Kap. 5.3.2
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Zeichen eines
meningealen
Reizsyndroms
4
4
4
4
Störungen des
peripheren
Nervensystems
4 Sensorische/motorische
Bewusstseinsstörung
4 Somnolenz
4 Stupor
4 Koma
Psychopathologische
Befunde
4 Gedächtnisstörungen
4 Halluzinationen
4 Antriebs- und Affektstörungen
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Kopfschmerzen
Übelkeit/Erbrechen
Photophobie
Nackensteifigkeit
Störungen an Extremitäten
4 Pathologische Reflexe
Bulbusstellung
4 Divergenz und spontane Pendelbewegungen zeigen
eine funktionelle oder anatomische Hirnstammschädigung in der Brücken-/Mittelhirnregion
4 Konjugierte Abweichungen der Bulbi zur Seite lassen auf eine Störung im Stammhirn oder in der Brücke
schließen
4 Spontane Vertikalbewegungen sind als ein prognostisch ungünstiges Zeichen zu werten.
Bei hellem Umgebungslicht stellt das Öffnen der Augenlider
bereits einen adäquaten Reiz für den Pupillenreflex dar. Durch
abwechselndes Abdecken der Augen wird die Beurteilung der
konsensuellen Lichtreaktion ermöglicht.
Wichtige Hinweise auf die Lokalisation einer Schädigung
liefert die Pupillenweite
Pupillenweite
4 Eine mäßige Miosis (Pupillendurchmesser: 2–3 mm)
kann durch eine Läsion im Subthalamus bedingt sein.
4 Läsionen in der Brückenhaube führen wegen Unterbrechung der sympathischen Fasern zu einer bilateralen maximalen Miosis (Pupillendurchmesser: 1 mm).
4 Als Auslöser einer starken Mydriasis (Pupillendurchmesser: 7–11 mm) kommt eine subtotale Mittelhirnschädigung in Betracht.
4 Schwere Mittelhirnschädigungen sind an einer mäßigen Mydriasis (Pupillendurchmesser: 4–6 mm) mit
gleichzeitig verlangsamter Lichtreaktion erkennbar.
4 Anisokorie tritt v. a. nach einer Schädigung des N. oculomotorius auf.
Der Kornealreflex wird durch Berühren der Kornea mittels
eines kleinen Tupfers von lateral überprüft (vgl. 7 Kap. 5.3.3
Hirnnervenausfälle).
5.1.2
Untersuchung der Extremitäten
Am Ende der orientierenden neurologischen Untersuchung
werden die Extremitäten untersucht. Die Oberflächensensibilität kann durch feine Berührung und Schmerzreize (z. B.
. Tabelle 5.2. Orientierende klinische Untersuchung
Bewusstsein
4 Ansprechen, Anfassen, ggf.
Schmerzreiz
4 Glasgow Coma Scale
Augen
4 Bulbusstellung
4 Pupillenreflexe (Lichtreaktion)
4 Kornealreflex
Extremitäten
4 Oberflächensensibilität
4 Muskeltonus/Muskelkraft
4 Pyramidenbahnzeichen
(z. B. Babinski)
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5.2 · Anatomie und Physiologie
Kneifen) geprüft werden. Häufig berichten Patienten nach gezieltem Nachfragen von Taubheitsgefühlen. Je nach Sitz der
Läsion findet sich eine segmentale (sensible Hinterwurzel des
Rückenmarks), periphere (peripherer Nerv) oder eine halbseitenförmige Ausbreitung (zentrale Störung).
Um Störungen der motorischen Funktion zu untersuchen,
sind die beiden Qualitäten Muskeltonus und Muskelkraft zu
prüfen. Der Tonus von Armen und Beinen wird durch bilaterale, abwechselnde, nichtrhythmische Bewegungen überprüft.
Die Muskelkraft wird durch einen beidseitigen Händedruck
und durch den Armhalteversuch (der Patient hält mit geschlossenen Augen beide Arme mit gespreizten Fingern ausgestreckt vor sich) geprüft.
Sowohl Dehnungszeichen (z. B. Meningismusprüfung, Lasègue-Zeichen) als auch Pyramidenbahnzeichen (z. B. Babinski-Gruppe) können untersucht werden, um Ausgangswerte
für den weiteren Verlauf zu haben.
5.2
Anatomie und Physiologie
5.2.1
Zentrales Nervensystem
Zur Anatomie von Hirnhäuten und Rückenmark 7 Kap. 34.
Hirndurchblutung und Hirnstoffwechsel
Blutversorgung
Der zerebrale Blutfluss (»cerebral blood flow«, CBF) beträgt
beim Erwachsenen 45–65 ml/100 g/min (12–15% des Herzzeitvolumens), das intrakranielle Blutvolumen liegt konstant bei
ca. 100–150 ml.
! Die Blutversorgung des zentralen Nervensystems erfolgt
über die Aa. carotis internae und die Aa. vertebrales. Diese
Gefäße sind anatomisch, aber nicht immer auch funktionell
über den Circulus arteriosus cerebri (Willisi) verbunden.
Die beiden Aa. carotides internae sind über die Aa. communicantes posteriores mit den Aa. cerebri posteriores, die aus
der A. basilaris entspringen, verbunden. Nach rostral ist die
A. carotis interna der einen Seite über die A. cerebri anterior,
A. cerebelli superior
A. cerebelli inferior posterior
A. cerebelli
inferior anterior
. Abb. 5.1. Arterielle Versorgung des Gehirns mit Circulus arteriosus cerebri
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