Innere Medizin Hypothyreose – Hautsymptome beim Hund Stefanie Peters Einleitung Die Hypothyreose gehört zusammen mit dem spontanen Hyperadrenokortizimus zu den häufigsten endokrinen Erkrankungen des Hundes. Ihr variables klinisches Bild und die mitunter schwierige Diagnostik machen sie gleichzeitig auch zu einer der am häufigsten überdiagnostizierten Erkrankungen. Am häufigsten wird beim Hund die natürlich vorkommende, primäre (thyroidale) Hypothyreose gesehen (in mehr als 90 % der Fälle). Bei dieser Form kommen vermutlich eine genetische Grundlage sowie geographische Faktoren ursächlich mit in Betracht. Als Ursachen sind eine lymphozytäre immunvermittelte Thyreoiditis und eine idiopathische Thyroidatrophie beschrieben, doch geht man mittlerweile davon aus, daß die Atrophie das Endstadium der chronischen Thyreoiditis darstellt. Differentialdiagnostisch abzugrenzen von der „echten“ Hypothyreose ist das sehr häufige „Euthyroid Sick Syndrome“ – eine Reduktion der Thyroxinproduktion ohne eigentliche Funktionsstörung der Schilddrüse. Mögliche Ursachen sind Corticoide (v.a. bei spontanem oder iatrogenem Hyperadrenokortizismus), diverse Medikamente (z.B. Phenobarbital, Sulfonamid-Trimatho­ prim-Kombination, NSAID) oder bestimmte Erkrankungen (z.B. tiefe Pyodermien), ‡ „Beeinflussung des TT4-Spiegels“. 24 Prädispositionen Generell wird die Altersprädisposition mittelalter bis älterer Tiere (6-8 Jahre) angegeben. Neueren Untersuchungen zufolge beginnen die Veränderungen innerhalb der Schilddrüse gerade bei prädisponierten Tieren aber bereits deutlich früher, oft schon mit 2-3 Jahren. Bei ihnen können die klinischen Symptome – meist subtil beginnend und langsam progressiv - auch bereits in diesem Alter beginnen. Vor allem sind Tiere großer Rassen und Riesenrassen betroffen. Eine Rassenprädisposition ist u.a. beschrieben für Golden und Labrador Retriever, Dogge, DSH, Schnauzer (Riesen- und Mittel-), Chow Chow, Irischen Wolfshund, Neufundländer, Malamute, Englische Bulldogge, Airedale Terrier, Irischen Setter, Bobtail, Afghane, Spitz und Dackel. Möglicherweise besteht eine Prädisposition für kastrierte Tiere. Symptome Die Hypothyreose wird auch „der große Imitator“ genannt: Eines oder mehrere der nachfolgenden Hautsymptome können auftreten und mit einem oder mehreren extrakutanen Symptomen kombiniert sein. Auch ausschließlich kutane oder ausschließlich extrakutane Symptome können vorliegen, so dass sich die Diagnostik schwierig gestalten kann. Die „klassischen Hautsymptome“ Ein häufiges und oft gar nicht realisiertes Frühsymptom ist eine nicht-entzündliche und nicht-pruriginöse Alopezie im Bereich des Nasenrückens. Sie kann auch über längere Zeit als einziges (Haut)Symptom bestehen bleiben, ehe sich andere hinzugesellen (Abb. 1). Abb. 1: Golden Retriever mit hyperpigmentierter, nicht-entzündlicher Alopezie des Nasenrückens als Frühsymptom einer Hypothyreose Eine bilateral symmetrische Alopezie ist klassisch, aber nicht immer vorhanden. Sie zeigt sich vor allem im Bereich des Rumpfes, während Kopf und Gliedmaßen praktisch unverändert bleiben (typisches Verteilungsmuster bei Endokrinopathien). Die Alopezie ist primär nicht entzündlich und nicht pruriginös, die Haut in dem betroffenen Bereich kann oft schon früh hyperpigmentieren. Trockenes, sprödes, glanzloses Fell und schlecht nachwachsende Haare z.B. nach dem Scheren (Abb. 2). Bei Hypothyreose kommt es ebenso wie bei anderen Endokrinopathien zu einen sogenannten telogenen Arrest – die Haare im telogenen Wachstumsstadium werden nicht durch neue, anagene, nachwachsene Haare aus dem Follikel „entfernt“, sondern gehen irgendwann verloren und werden nicht ersetzt, so dass sich langsam eine Hypotrichose und Alopezie entwickeln bzw. nach Haarverlust durch Scheren nicht genügend anagene Haare produziert werden können. Die telogenen Haare, die nicht fachpraxis Nr. 51, Juni 2007 Innere Medizin Abb. 2: Golden Retriever mit schlecht nachwachsenden Haaren nach Ausscheren zur Ultraschalluntersuchung, ansonsten bestanden ausschließlich extrakutane Symptome (Leistungsrückgang, verlängerter Anöstrus, Gewichtszunahme), Haut und Fell waren völlig unverändert ersetzt werden, können „überaltern“ und spröde und glanzlos wirken. Auch Farbveränderungen sind möglich (z.B. von schwarz ‡ rostbraun) (Abb. 3). Die noch vorhandenen Haare sind leicht zu epilieren. Selten ist eine Hypertrichose bei Hypothyreose, sie tritt vor allem bei Boxern und Irischen Settern auf. Meist besteht parallel eine Seborrhoe (meist Seb. sicca, seltener Seb. oleosa). Im Gegensatz zum Hyperadrenokortizismus ist die Hautdicke normal oder sogar – bei Myxödem (durch Akkumulation von GlykosaminoglykanMetaboliten in der Dermis, die vermehrt Wasser binden) – gesteigert. Dies verleiht den Tieren den in einschlägigen Lehrbüchern vielzitierten „tragischen Blick“, der aber zweifellos kein pathognomonischer Befund dieser Erkrankung ist! Die Hautoberfläche kann sich bei Hunden mit Hypothyreose kühler anfühlen. Ein weiteres häufiges Symptom ist die verminderte Abwehr der Haut gegenüber verschiedenen Keimen, v.a. gegenüber Bakterien (Staphylococcus intermedius) und Hefen (v.a. Malassezia pachydermatis). Dies äußert sich klinisch in der verstärkten Neigung zu Sekundärinfektionen (Abb. 4). fachpraxis Nr. 51, Juni 2007 Abb. 4: Auch Sekundärinfektionen mit Malassezien, die dann sekundären Pruritus verursachen, sind häufig bei Hypothyreose Abb. 5: Die Neigung zu Sekundärinfektionen kann örtlich begrenzt sein Abb. 3: Golden Retriever mit schlechterer Fellqualität und Fellverfärbung sowie der Neigung zu rezidivierender oberflächlicher Pyodermie, als weitere Symptome bestanden Leistungsrückgang und deutliche Bradykardie Diese kann großflächig/generalisiert oder nur lokalisiert (Abb. 5) auftreten: Bei Patienten mit rezidivierender Follikulitis, mit rezidivierender Otitis externa und mit Pododermatitis (Abb. 6) evtl. mit interdigitaler Furunkulose sollte differentialdiagnostisch auch eine Hypothyreose bedacht werden (Abb. 7). Auch stark hyperkeratotische, evtl. zystisch veränderte und sekundär infizierte „Liegeschwielen“ sind nicht selten auf eine Hypothyreose zurückzuführen (Abb. 8). Eine tiefe Pyodermie (Furunkulose, Zellulitis) evtl. auch mit Allgemeinsymptomen ist gleichfalls möglich, entwickelt sich aber in der Regel erst aus einer oberflächlichen Pyodermie. Cave: Eine oberflächliche Pyodermie bei Hypothyreose kann zu so starkem Pruritus führen, dass er als Allergie fehldiagnostiziert und mit Corticosteroiden behandelt wird – eine häufige Ursache für tiefe, iatrogen verursachte Pyodermien! (Abb. 9, 10) Abb. 6: Neigung zu rezidivierender Pododermatitis 25 Innere Medizin Eine verzögerte Wundheilung, etwa nach Operationen, kann gleichfalls Hinweis auf eine Hypothyreose geben (Proliferation und Metabolismus der Fibroblasten werden reduziert und die Kollagensynthese verändert). Aus den gleichen Gründen sind auch übermäßige Bindegewebseinlagerun­ gen und somit Kallusbildung mit Neigung zu Sekundärinfektionen häufig (Abb. 11). Abb. 7: Labrador Retriever mit multiplen rezidivierenden interdigitalen Pyogranulomen bei Hypothyreose Abb. 8: stark hyperkeratotische, oberflächlich erodierte „Liegeschwielen“ am Ellenbogen eines Golden Retriever mit Hypothyreose Abb. 9: Ausgedehnte Follikulitis bei einem Kurzhaardackel mit Hyperthyreose. Die bakterielle oberflächliche Infektion verursachte starken Pruritus, so dass eine Allergie vermutet und mit Corticoid-Injektionen behandelt wurde. 26 Ungewöhnlich, aber möglich ist das Auftreten einer spontanen generalisierten „Alters“-Demodikose, also einer erstmals auftretenden Demodikose ohne immunsuppressive Vorbehandlung: Hier fehlt der Einfluss der Schilddrüsenhormone auf die Funktion von T- Lymphozyten und neutrophile Granulozyten, was die Proliferation des Kommensalen Demodex canis erlaubt. Speziell bei Pododermatitis ist eine Pododemodikose die erste Differentialdiagnose, die abgeklärt werden sollte. Extrakutane Symptome: Allgemeine Symptome sind die häufigsten und bestehen meist aus Lethargie (Abb. 12, 13), evtl. sogar Somnolenz, Leistungsrückgang, Adipositas und Thermophilie, eventuell auch Verhaltensänderungen bis hin zur Aggression. Als kardiovaskuläres Symptom fällt bei der klinischen Untersuchung häufig eine Bradykardie auf, auch Veränderungen im EKG sind üblich. Augenveränderungen äußern sich beispielsweise als corneale Lipidose, Keratoconjunctivitis sicca und Ulzera. Rüden zeigen nicht selten Abb. 10: Derselbe Hund. Die Corticoidbehandlung hat aus der oberflächlichen eine tiefe bakterielle Infektion (Furunkulose) gemacht. Abb. 11: Tiefe, fistelnde Kalluspyodermie bei einem Bullterrier mit Hypothyreose. Abb. 12: „Klassische“ kutane und extrakutane Symptome bei einem Golden Retriever: Lethargie, Adipositas, Leistungsschwäche sowie Alopezie und Hyperpigmentierung im Rumpfbereich. Kopf und Gliedmaßen bleiben ausgespart. Die verbliebenen Haare erscheinen trocken und sind leicht epilierbar. fachpraxis Nr. 51, Juni 2007 Innere Medizin chung von Hautbiopsien ist oft nicht diagnostisch, meist zeigen die Proben mit orthokeratotischer Hyperkeratose, epidermaler Atrophie, epidermaler Melanose, follikulärer Keratose und Dilatation und Atrophie, Telogenisierung der Haarfollikel und Talgdrüsenatrophie die unspezifischen Veränderungen einer Endokrinopathie. Vakuolisierte hypertrophe Mm. Arrectores pilorum, dermales Mucin und eine verdickte Dermis hingegen sind, so vorhanden, verdächtig für Hypothyreose. verringerte Libido und mangelhafte Spermiogenese, Hündinnen verlängerten Anöstrus und Infertilität. Neuromuskuläre Veränderungen sind weniger häufig und reichen von unklaren Lahmheiten, Ataxie, Larynxparalyse, Megaösophagus, Myopathien, Orientierungsstörungen bis hin zu Paresen, Konvulsionen und Koma. Selten sind gastrointestinale Störungen (Vomitus, Diarrhoe) und Nierenversagen. Diagnose Der TT4-Wert gilt als ScreeningWert mit hoher Sensitivität. Allerdings sollten vor seiner Bestimmung unbedingt eine tiefe Pyodermie oder eine ausgedehnte oberflächliche Pyodermie therapiert sein. Auch sollte bedacht werden, dass er durch zahlreiche Faktoren beeinflusst wird: Beeinflussung des TT4-Wertes: l Physiologisch: Jahres- und Tageszeit, Rasse (Jagdhunde, manche Windhundrassen!), Alter, Zyklusstand l Andere Erkrankungen (Diabetes mellitus, tiefe Pyodermie, Hyperadrenokortizismus ...) ‡ Erniedrigung l Medikamente: Glukokortikoide, Salizylate, Phenylbutazon u.a. NSAID, Trimethoprim-Sulfonamidkombinationen, Phenobarbital, Phenytoin, Diazepam, Mitotane, Furosemid, Androgene, Östrogene... ‡ Erniedrigung Soll nun geklärt werden, ob die Hautsymptome aufgrund einer Hypothyreose oder eines „Euthyroid sick syndrome“ bestehen, sind zur Diagnostik in der Regel ein komplettes „Schilddrüsenprofil“ oder ein TSH-Stimulationstest anzuraten. Letztere gilt als „Gold Standard“, weil er als einziger eine Beurteilung der Stimulationskapazität der Schilddrüse erlaubt, ist aber leider durch das verwendete humane rekombinante TSH sehr teuer. fachpraxis Nr. 51, Juni 2007 Abb. 13: Derselbe Hund. Beachten Sie die Stellen im Flankenbereich, an denen tiefe Hautgeschabsel auf Demodex canis entnommen worden sind. Weitere Untersuchungen Trichogramm (mikroskopische Untersuchung ausgezupfter Haare): Hier zeigen sich fast alle Haare in der telogenen Phase („telogener Arrest“), gleichfalls ein typischer Befund bei Endokrinopathien und nicht spezifisch für die Hypothyreose. Blutuntersuchungen: l Leichte normozytäre, normochrome, nicht-regenerative Anämie (bei ca. 30%) l Erhöhung von Cholesterin/Triglyceride (bei ca. 50-70%) – cave Fehlinterpretationen und andere Ursachen für erhöhte Werte l Erhöhung der CK (bei <50%) l Evtl. Erhöhung von: LDH, AST, ALT, AP Biopsien: 1. Durch Schilddrüsenbiopsie kann eine Hypothyreose i.d.R. gut diagnostiziert und sehr leicht zwischen primärer und sekundärer Hypothyreose differenziert werden. 2.Die histopathologische Untersu- Therapie: Die Therapie der Hypothyreose besteht in der Substitution von T4. Das Medikament der Wahl ist Levothyroxin in der Dosierung von 0,02 mg/kg 2-mal täglich. Diese Dosierung ist um ein Vielfaches höher als die in der Humanmedizin eingesetzte, da T4 beim Hund um ein Vielfaches schneller metabolisiert wird (10-16h vs 7 Tage!) und schlechter nach oraler Gabe resorbiert wird. Eine Thyreotoxikose ist extrem selten. Selten treten Nebenwirkungen wie Ängstlichkeit, Keuchen, Unruhe, Tachykardie, Hitzeintoloranz, PD/PU, Diarrhoe, Pruritus oder Pyrexie auf. Etwa 2–3 Monate nach Beginn der Therapie sollten Blutspiegelkontrollen des T4 („post pill-Test“ 4 Stunden nach der morgendlichen Tablettengabe) erfolgen und die Dosis ggf. adaptiert werden. Eine Reduktion der Tagesdosis oder der Übergang zur 1-mal täglichen Gabe kann erwogen werden. Mit einer Besserung der Symptome ist nach einigen Tagen bis Wochen bezüglich des Verhaltens zu rechnen. Die Hautsymptome und die meisten extrakutanen Symptome zeigen eine 27 Innere Medizin Besserung erst nach einigen Monaten, bei Veränderungen wie Neigung zu bakterieller Follikulitis kann es sogar bis zu einem Jahr dauern, bis die Besserung sichtbar wird. Leidet der Hund unter Hyperadrenokortizismus, sollte dieser zunächst therapiert und kein T4 substituiert werden. Bei Herzerkrankungen und bei alten Tieren wird empfohlen, mit einer niedrigeren Dosis zu beginnen und diese langsam zu steigern: Zunächst gibt man 0,005 mg/kg 2-mal täglich für 2 Wochen, dann 0,01 mg/ kg 2-mal täglich für weitere 2 Wo- 28 chen und zuletzt 0,015 mg/kg 2-mal täglich. Prognose Die Prognose bei Hypothyreose ist sehr gut, eine lebenslange Substitutions-Therapie ist allerdings erforderlich. Erfahrungsgemäß ist es sehr empfehlenswert, dem Tierbesitzer eine ungefähre Perspektive zu geben, wann mit der Besserung welcher Symptome zu rechnen ist: Am schnellsten ändern sich meist Allgemeinbefinden und Verhalten der Tiere (Wirkung meist binnen 2-3 Wochen bemerkbar). Bis zum sichtbaren Nachwachsen von Haaren sowie der Besserung neurologischer Symptome können 2–3 Monate vergehen. Die Neigung zu Sekundärinfektionen kann selbst bei korrekter Therapie bis zu 12 Monaten bestehen bleiben – auch hierauf sollte der Besitzer unbedingt hingewiesen werden, um Enttäuschungen zu vermeiden, weil trotz der Therapie der Primärerkrankung die Sekundärinfektionen immer wieder auftreten, wenn auch zunehmend seltener und schwächer! Anschrift der Verfasserin: Dr. Stefanie Peters Tierärztliche Klinik Dr. Dr. h.c. Hans-Joachim Koch Am Schönenwald, 55765 Birkenfeld fachpraxis Nr. 51, Juni 2007