Schuldenbremse - Fiskalpakt – Investitionen

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Schuldenbremse - Fiskalpakt – Investitionen
Von Hilde Mattheis, MdB
Am 12.05.2012 hat der Bundesrat neue Vorbehalte gegen den Fiskalpakt vorgebracht und
sich dafür ausgesprochen, die Entscheidung über den Fiskalpakt nicht „unter Zeitdruck“ zu
fällen. Diese Haltung wird von der Parteispitze und der SPD-Bundestagsfraktion unterstützt.
Unabhängig davon ist eine Verschiebung eine wichtige Unterstützung für den französischen
Präsidenten Hollande.
Die DL 21 hat sich mit dem Papier „Der Fiskalpakt gefährdet Recht, Demokratie, politischen
Zusammenhalt und sozialen Frieden in der Europäischen Union und seinen Mitgliedsstaaten“
positioniert. Kernaussage ist „Der Fiskalpakt muss neu verhandelt werden“. Hierzu sollen in
diesem Papier Erläuterungen abgegeben und Zusammenhänge dargestellt werden.
1. Vorbemerkung
Die hohe Verschuldung der europäischen Mitgliedstaaten ist vor allem eine Folge der
Finanzmarktkrise.
Die Finanz- und Bankenkrise hat die Staatsschulden in Irland um 83 Prozent, in Griechenland
um 55 Prozent, in Spanien und Portugal um 33 Prozent und in der EURO-Zone insgesamt um
21 Prozent in die Höhe getrieben. Und auch für Deutschland ist der Schuldenstand von 64
Prozent um fast 20 Prozent auf fast 84 Prozent angewachsen.
Diese extreme Neuverschuldung wurde durch die Folgekosten für die Bankenrettung, die
Bekämpfung der realwirtschaftlichen Krise und durch den Rückgang der Steuereinnahmen
verursacht.
Dadurch haben viele Staatshaushalte der EU-Staaten ein großes Refinanzierungsproblem.
Statt die Refinanzierung der Mitgliedstaaten von dem Renditedruck der Finanzmärkte zu
befreien und deren weitere Verschuldung mit Hilfe der Europäischen Zentralbank (EZB) und
möglicher gemeinsamer Instrumente (wie etwa „Eurobonds“ oder eine „Bank für öffentliche
Anleihen“) zu stoppen, wurden unbegrenzt Rettungsschirme „aufgespannt“.
Damit wurde das Gegenteil bewirkt: Die Staaten sind überschuldeter als je zuvor und sollen
nun mit Hilfe des Fiskalpakts zu einem harten Sparkurs verpflichtet werden.
Vorbild für diesen harten Sparkurs ist die in Deutschland im Krisenjahr 2009 eingeführte
Schuldenbremse und der Glaube, dass nur eine europaweite strikte Schuldenbremse die
überschuldeten Staatshaushalte konsolidieren würde. Außerdem wird angenommen, dass es
durch die Einführung strenger Regeln für die Staatsverschuldung zu einem
Glaubwürdigkeitsgewinn an den Finanzmärkten komme und die Staatsfinanzierung
wiederum erleichtere.
Hilde Mattheis, MdB,
14. Mai 2012
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Bislang wurden allerdings die schon bei der Einführung der deutschen Schuldenbremse
vorgebrachten Kritikpunkte eher bestätigt als widerlegt.
Schon 2009 wurden alternative Strategien zur Haushaltskonsolidierung vorgebracht, die vor
allem darauf abzielten, mittels Stärkung der Steuereinnahmen und Zukunftsinvestitionen für
künftige Generationen vorzusorgen. Auch in der SPD gab es heftigen Widerstand gegen die
Schuldenbremse. Dass die kritischen Stimmen sich nicht durchsetzen könnten, lag
hauptsächlich 1. an den Konjunkturpaketen I und II (80 Mrd. Euro), die zur
Krisenbewältigung beschlossen wurden und 2. an der Zeitschiene für die Einhaltung der
Schuldenbremse (2016 für den Bund und 2020 für die Länder).
Der Stadtkämmerer von München Dr. Ernst Wolowicz hat die politische Situation im April
2009 – in der Diskussion vor Einführung der Schuldenbremse - so beschrieben:
„Sich in einer Situation, wo nur durch massive neue Staatsverschuldung und Staatseingriffe
in die Wirtschaft der Kollaps der Weltwirtschaft zunächst und hoffentlich auch nachhaltig
verhindert werden konnte und in einer Zeit, die empirisch zeigt, wie wenig vorhersagbar
wirtschaftliche Entwicklungen sind, sich den Kopf über die Staatsverschuldung in den Jahren
ab 2016 bzw. 2020 zu zerbrechen, mag zwar ehrenwert sein, aber wenig zielführend zur
Lösung aktueller und zukünftiger Probleme der Finanzierbarkeit der Aufgaben der
öffentlichen Hand.“
Durch den Fiskalpakt würde eine Schuldenbremse für Bund und Länder schon 2014
greifen.
Und wie vor Verabschiedung der nationalen Schuldenbremse wird in der aktuellen
wirtschaftspolitischen Diskussion ganz selbstverständlich von der Notwendigkeit eines
Fiskalpaktes ausgegangen. Umso dringlicher müssen wir dazu eine öffentliche
Auseinandersetzung und Diskussion anstoßen und führen.
2. Zu den Ursachen der deutschen Staatsverschuldung
Die Gründe für den Anstieg der Staatsschulden in Deutschland liegen auf der Hand: Die
finanziellen Lasten im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung, umfangreiche
Steuersenkungen sowie riesige konjunktur- und wachstumsbedingte Steuerausfälle.
Abgesehen von der Steigerung des Schuldenstands um fast 20 Prozent in Folge der
Finanzmarktkrise, waren es in Deutschland vor allem die wiederholten Steuersenkungen der
letzten Jahrzehnte sowie eine massive Lohnzurückhaltung, die den Staat in eine strukturelle
Unterfinanzierung geführt haben.
Einnahmen und notwendige Ausgaben stehen seit Jahren in einem krassen Missverhältnis.
Hilde Mattheis, MdB,
14. Mai 2012
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Insgesamt haben die Steuerrechtsänderungen seit 2000 dem Staat rund 350 Milliarden Euro
entzogen. Ohne die Erhöhung der Mehrwertsteuer ab 2007 würden seither jährlich weitere
20 Milliarden Euro an Einnahmen fehlen.
Berücksichtigt man auch noch die schon seit 1997 nicht mehr erhobene Vermögensteuer,
kämen als Minimum jährlich nochmals 4,6 Mrd. Euro hinzu (das ist der Betrag, der im letzten
Jahr ihrer Erhebung eingebracht wurde). Ver.di rechnet heute sogar mit 20 Milliarden Euro
jährlich, die eine ein-prozentige Vermögensteuer mit großzügigen Freibeträgen einbringen
könnte.
In den letzten zehn bis zwölf Jahren hätte der Staat somit eine halbe Billion Euro zusätzlich
einnehmen können. Das ist immerhin fast ein Viertel der gegenwärtigen Schulden von Bund,
Ländern und Gemeinden. Die Steuerquote ist im Zeitraum von 1975 bis 2011 von 24% auf
21% gesunken.
Die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Staatsausgaben lag in Deutschland
zwischen 1998 und 2008 bei nominal 1,4 Prozent, d.h. die Inflation ist nicht berücksichtigt.
Der Durchschnitt in der alten EU lag mit 3,9 Prozent fast drei Mal so hoch.
Hinzukommen langfristig schwerwiegende Investitionslücken in den Bereichen Infrastruktur
und Bildung. Im Ländervergleich liegt Deutschland mit Bildungsinvestitionen von lediglich
4,7% des BIP um rund einen Punkt unter dem OECD-Durchschnitt von 5,7%.
Und trotz dieser „Sparpolitik“ hatte die Staatsverschuldung der Bundesrepublik
Deutschland vor Beginn der Krise 2008 einen Betrag von rund 1,6 Billionen Euro erreicht.
Die Zinsausgaben beliefen sich 2008 auf 15% des Bundeshaushaltes.
Aber anstatt das Ruder herumzureißen und für eine gerechte Steuerpolitik zu sorgen, wurde
die Schuldenbremse durchgepaukt.
3. Die deutsche Schuldenbremse und der Europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspakt
Die Schuldenbremse ist eine verfassungsrechtliche Regelung, die Anfang 2009 beschlossen
wurde. Sie soll die Staatsverschuldung Deutschlands begrenzen.
Der Deutsche Bundestag hat der Regelung der Schuldenbremse am 29. Mai 2009
zugestimmt und mehrere dafür notwendige Verfassungsänderungen in die Wege geleitet.
Für die Verfassungsänderung votierte am 12. Juni 2009 auch der Bundesrat mit Zwei-DrittelMehrheit. Die Länder Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein stimmten
der Regelung nicht zu.
Nach der Verkündung ist das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 91c, Art. 91d,
Art. 104b, Art. 109, Art. 109a, Art. 115, Art. 143d) am 1. August 2009 in Kraft getreten.
Hilde Mattheis, MdB,
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Entsprechend der Regelung der deutschen Schuldenbreme soll die strukturelle, also nicht
konjunkturbedingte, jährliche Nettokreditaufnahme des Bundes maximal 0,35 % des
Bruttoinlandsproduktes betragen. Den Bundesländern ist die Nettokreditaufnahme ganz
verboten. Ausnahmen sind bei Naturkatastrophen oder schweren Rezessionen gestattet.
Die Einhaltung der 0,35 % Grenze ist für den Bund ab dem Jahr 2016 zwingend vorgesehen,
das Verbot der Nettokreditaufnahme der Länder tritt ab dem Jahr 2020 in Kraft. Ein
Stabilitätsrat aus Vertreterinnen und Vertretern des Bundes und der Länder soll die
Einhaltung der Konsolidierungsregeln überwachen.
Die Schuldenbremse macht Bund und Ländern seit 2011 verbindliche Vorgaben zur
Reduzierung des Haushaltsdefizits: Grundsätzlich sind die Haushalte von Bund und Ländern
ohne Kredite auszugleichen. Diese Vorgabe aus dem Europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspakt orientiert sich am mittelfristigen Ziel des strukturell ausgeglichenen
Haushalts.
Wesentliche Rechtsgrundlage des Stabilitäts- und Wachstumspakts ist Art. 126 des AEUVertrags, der festlegt: „(1) Die Mitgliedstaaten vermeiden übermäßige öffentliche Defizite.
(2) Die Kommission überwacht die Entwicklung der Haushaltslage und der Höhe des
öffentlichen Schuldenstands in den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Feststellung
schwerwiegender Fehler.“
Die Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion haben sich im Rahmen des Stabilitätsund Wachstumspaktes auf die Einhaltung der gemeinsamen Regeln zur nachhaltigen
Sicherung einer stabilitätskonformen Fiskalpolitik verpflichtet.
Die fiskalpolitischen Konvergenzkriterien für den Eintritt in die Währungsunion – ein
Haushaltsdefizit von nicht mehr als 3 % und eine Schuldenstandsquote von höchstens 60 %
des nominalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) – sind dauerhaft als Obergrenze festgeschrieben.
Die Mitgliedstaaten haben außerdem vereinbart, einen ausgeglichenen oder überschüssigen
Gesamthaushalt anzustreben.
Jährliche „Stabilitätsprogramme“ sollen zeigen, in welchem Zeitrahmen und auf welche
Weise das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts erreicht werden kann. Für die Einhaltung
dieser Vorgaben sind zunächst die Mitgliedstaaten als Gesamtstaat verantwortlich. Deshalb
sollen innerstaatliche Regelungen in föderal strukturierten Mitgliedstaaten sicherstellen,
dass die jeweiligen Gliedstaaten gemeinsam die Einhaltung der Stabilitätskriterien
gewährleisten.
Hatten sich bis zum Ausbruch der Finanzkrise die EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahmen von
Griechenland zwar nicht rigoros, aber in der Tendenz an die Einhaltung bzw. Erreichung
dieser Zielvorgaben gehalten bzw. erfüllt, so wurde diese Politik für ein langfristig
sicherzustellendes Haushaltsgleichgewicht durch die Kosten einer zum Teil völlig
kontraproduktiven Krisenbekämpfung völlig zurückgeworfen.
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Anstatt an die erfolgreiche Krisenbekämpfung in Deutschland mittels der
Konjunkturpakete anzuknüpfen und diese in anderen Mitgliedstaaten anzuwenden bzw.
europaweite Investitionsprogramme und etwa einen Marschallplan für Griechenland
aufzulegen, wurden die tief von der Krise getroffenen Staaten zu Sparmaßnahmen mit
schuldenverschärfenden Wirkungen gezwungen.
Und - obwohl diese politische Medizin für die Wirtschaft der Krisenländer wie lähmendes
Gift wirkte, soll sie nun mit Hilfe des sogenannten Fiskalpakts europaweit verabreicht
werden.
4. Der Fiskalpakt verschärft die Vorgaben der deutschen Schuldenbremse
Der Fiskalpakt verschärft für die Vertragsparteien auch das „traditionelle“ Defizitverfahren
nach den Verträgen der Europäischen Union.
Auf dem EU-Gipfel am 2. März 2012 unterzeichneten 25 der 27 EU-Mitgliedsstaaten (ohne
Tschechien und Großbritannien) den europäischen Fiskalpakt (Vertrag über Stabilität,
Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion - SKSV-Vertrag). Eine
Änderung der EU-Verträge wurde von der britischen Regierung abgelehnt. Deshalb wurde
der Fiskalpakt als ein völkerrechtlicher Vertrag beschlossen, der Anfang 2013 in Kraft treten
soll.
Der Vertrag beinhaltet eine verpflichtende Schuldenbremse (0,5% des BIP), den
mittelfristigen Schuldenabbau (überschreiten die Gesamtschulden 60% des BIP, muss
jährlich ein Zwanzigstel des Schuldenanteils oberhalb der 60% abgebaut werden), die
Einführung neuer Institutionen (Euro-Gipfel, bestehend aus Staats- und Regierungschefs der
Euro-Länder, dem Präsidenten der Europäischen Kommission; der EZB-Präsident wird
eingeladen) und regelt darüber hinaus das Sanktionsverfahren bei Nicht-Einhaltung der
Regelungen (automatischer Korrekturmechanismus, finanzielle Sanktionen, Berichtspflicht
gegenüber und Überwachung durch Rat und Europäische Kommission).
Während bisher ein Staat, der sich im Defizitverfahren befindet, eigenständig darüber
entscheiden kann, durch welche Maßnahmen er das Defizit abbauen will, muss er künftig ein
„Haushaltsprogramm“ aufstellen, in dem im Einzelnen die Strukturreformen beschrieben
sind, die zu einer wirksamen und dauerhaften Korrektur des übermäßigen Defizits auf den
Weg gebracht und umgesetzt werden müssen. Das Haushaltsprogramm ist der EUKommission und dem Rat zur Genehmigung vorzulegen und wird von ihnen überwacht.
Beschlossen wurde der Fiskalpakt ohne Rücksicht auf die realen Fähigkeiten der
Mitgliedstaaten, die neuen Haushaltsziele erreichen zu können.
Schon vor der Einführung der nationalen Schuldenbremse gab es erhebliche Vorbehalte, ob
– vor allem die Bundesländer – die Haushaltsziele erreichen können. So hat Gustav Horn
(IMK) vorgerechnet: „Selbst bei einer solchen Konjunkturentwicklung – das entspräche einer
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Wachstumsrate des realen Bruttoinlandsprodukts von im Schnitt 1,5 Prozent bis 2020 – ist
die Schuldenbremse für das Saarland nicht einzuhalten.“ und das Gleiche gilt, wenn nicht für
eine Reihe weiterer Bundesländer zumindest auch für Bremen und Schleswig-Holstein.
Umso unwahrscheinlicher wird die Einhaltung des Fiskalpakts:
Entgegen der Behauptung, dass der Fiskalpakt „keine zusätzlichen finanziellen
Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte haben wird“ (BT-Drs. 17/9046) werden die
bisher in Deutschland gültigen Schuldenregeln verschärft.
Bereits ab 2014 und nicht erst 2016 (für den Bund) bzw. 2020 (für die Länder) würden sie
rechtsgültig, wenn der Fiskalpakt zeitlich wie vorgegeben umgesetzt würde. Erschwerend
kommt hinzu: Die Verschuldungsgrenze des Fiskalpaktes umfasst alle öffentlichen Schulden
auch die der Kommunen und der Sozialversicherungssysteme.
Vor Ausbruch der Finanzkrise lag die Schuldenquote Deutschlands lediglich bei 64,9 Prozent.
Mittlerweile belasten die Hilfen für die Krisenstaaten den deutschen Haushalt bis 2013 mit
mittlerweile 85 Milliarden Euro, wie das Kieler IfW-Institut errechnet hat, und ein Ende des
Anstieges ist nicht abzusehen. Insgesamt dürften die Staatsschulden dieses Jahr um 57
Milliarden auf 2,137 Billionen steigen und damit die Schuldenquote von 80,9 auf 81,6
Prozent erhöhen.
„Die Bundesrepublik hat Schulden in Höhe von rund 82 Prozent des BIP – also 22
Prozentpunkte zu viel. Davon muss laut Fiskalpakt jedes Jahr 5 Prozent abgebaut werden.
Der Pakt verpflichtet Deutschland also zu jährlichen Extra-Einsparungen von mehr als einem
Prozent des BIP. Das sind 25 bis 30 Mrd. Euro und damit 2,5 Prozent der Staatsausgaben –
mehr, als der Bund im Jahr für Hartz IV ausgibt.. (…) Italien muss im Jahr nach Einführung der
neuen Regel 48 Milliarden Euro, also fast 7 Prozent der gesamten Staatsausgaben einsparen,
Griechenland sogar fast 12 Prozent.“ (DGB)
„Sparen, sparen, sparen ist das Mantra mit dem Angela Merkel von EU-Gipfel zu EU-Gipfel
reist. Im eigenen Land nimmt die Kanzlerin es damit aber offenbar nicht so genau: So hat die
Regierung … ihre Sparziele für den eigenen Bundeshaushalt im vergangenen Jahr nicht
einmal zur Hälfte erreicht. Nur 42 Prozent der Summe, die Union und FDP im
Bundeshaushalt 2011 einsparen wollten, wurden tatsächlich nicht ausgegeben. (…)
Auch für dieses Jahr liegt die Regierung hinter ihrem Plan zurück: Von den ursprünglich
vorgesehenen Einsparungen in Höhe von 19,1 Milliarden Euro ist nicht einmal die Hälfte
umgesetzt. Für das kommende Jahr decken die konkreten Maßnahmen, die bisher
beschlossen wurden, sogar nur ein Drittel des avisierten Sparvolumens ab.“ (Spiegelonline.de, 11.3.2012)
5. Perspektive: aktive Zukunftsvorsorge in Form öffentlicher Investitionen
Die Befürworter der Schuldenbremse führen immer wieder die Behauptung ins Feld, dass
Staatsschulden künftige Generationen belasten. Diese Sichtweise lässt die Tatsache außer
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Acht, dass diese Belastung von dann vorhandenen Voraussetzungen für ein nachhaltiges
Wachstum abhängig ist.
Dazu gehören ohne Wenn und Aber öffentliche Investitionen in die Infrastruktur, in das
Bildungssystem und in die Forschung. Nur damit lässt sich Wohlstand in die Zukunft und für
die nächsten Genrationen übertragen.
Eine Volkswirtschaft vererbt der nächsten Generation nicht nur Schulden und
Notwendigkeiten, sondern auch gesicherte und nachhaltige Grundlagen und
Wahlmöglichkeiten für künftige Entwicklungspfade.
Die Schuldenbremse bzw. der Fiskalpakt sind unzweifelhaft verbunden mit erheblichen
Einbußen bei der Versorgung der Bevölkerung mit öffentlichen Gütern, Dienstleistungen und
sozialer Sicherheit. Wenn dabei fast zwangsläufig notwendige zentrale Zukunftsinvestitionen
unterbleiben, dann ist zudem der viel beschworenen Generationengerechtigkeit nicht
gedient.
Aber auch wenn man sich bei dieser Debatte auf die pure ökonomische Sichtweise
reduzieren will, muss man zur Kenntnis nehmen, dass z.B. Bildungsinvestitionen eine
überdurchschnittliche volkswirtschaftliche Rendite zwischen 8 und 12% ausweisen. Deshalb
wäre - auch rein ökonomisch gedacht - zur Erhaltung und Verbesserung der
Wettbewerbsfähigkeit zumindest eine Anhebung der Bildungsinvestitionsquote auf den
Durchschnitt der OECD erforderlich.
Deshalb kann von einem Verteilungskonflikt zwischen den Generationen keine Rede sein,
sondern allenfalls von einem Konflikt zwischen gegenwärtigen und künftigen Steuerzahlern
über die Begleichung der Staatsschulden. Ein Lösungsansatz liegt in einer gerechteren
Besteuerung für die Ermöglichung von Zukunftsprogrammen.
Vor dem Beschluss der Schuldenbremse hatten u.a. auch Prof. Dr. Peter Bofinger und Prof.
Dr. Gustav Horn auf die Gefahren der Schuldenbremse aufmerksam gemacht. Die
Entwicklung seither hat ihre Warnungen mehr als bestätigt.
Sie haben aber auch ein Alternativkonzept und eine alternative Lösungsstrategie
vorgeschlagen, auf die es jetzt zurückzugreifen und sie weiterzuentwickeln gilt - sowohl auf
nationaler als auch auf europäischer Ebene.
„Die Schuldenbremse verkürzt das zentrale Ziel der Zukunftsvorsorge einer Volkswirtschaft
auf die Stabilisierung des Schuldenstandes der öffentlichen Hand.
Mit dieser eindimensionalen Sichtweise fällt sie konzeptionell weit hinter die von den
meisten Finanzwissenschaftlern und auch vom Sachverständigenrat befürwortete „goldene
Regel“ zurück.
Diese sieht vor, dass öffentliche Investitionen durch Kredite finanziert werden können. Die
„goldene Regel“ erkennt also an, dass es neben der passiven Zukunftsvorsorge, die in einer
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Begrenzung der Verschuldung besteht, auch eine aktive Zukunftsvorsorge in der Form
öffentlichen Investitionen geben muss.“
In der Fassung des Artikels 115 GG vor der Schuldenbremse wurden mit der „goldenen
Regel“ unter Investitionen nur Sachinvestitionen definiert.
„Es wäre deshalb zweckmäßig, einen neuen Investitionsbegriff zu definieren, der vor allem
Ausgaben für Bildung, Forschung und Entwicklung sowie den Umweltschutz einschließt.“
Jetzt hat auch der italienische Ministerpräsident Mario Monti vorgeschlagen, dass
Ausnahmen vom Fiskalpakt beschlossen und die Vorschriften des Fiskalpakts gelockert
werden. Die europäischen Haushaltsgrenzen sollen durch eine "goldene Regel" ersetzen
werden, die Schulden nur für Investitionen erlaubt: „Monti schlägt vor, dass für die
kommenden drei Jahre Ausgaben für bestimmte öffentliche Investitionen von den
Begrenzungen des Fiskalpakts ausgenommen werden. Als Beispiele für solche Projekte
nannte Monti die Erneuerung der Netze für Breitbandverbindungen oder
grenzüberschreitende Energienetze.“ (Frankfurter Allgemeine, 14.05.2012)
Andere Konzepte für „wachstums- und nachhaltigkeitswirksamen Ausgaben“ liegen schon
länger vor. Es gilt sie aufzugreifen, in die öffentliche Diskussion einzubringen und sie politisch
zu befördern und durchzusetzen.
Einen Vorschlag, der eine Tür in diese Richtung öffnen kann, haben Achim Truger und
Henner Will aufgezeigt. Sie weisen darauf hin, dass es bei den noch ausstehenden
Regelungen für die Umsetzung der Schuldenbremse auf Länderebene „grundsätzlich sinnvoll
sein (kann), wesentliche Investitionsbereiche in Sondervermögen mit eigener
Verschuldungsmöglichkeit auszulagern, um so die Wirkungsweise der Goldenen Regel zum
Wohle zukünftiger Generationen wiederherzustellen.“
Sollte der Fiskalpakt gegen alle Bedenken beschlossen werden, muss eine solche Tür bei der
Umsetzung des Fiskalpakts in nationale Gesetzgebung aufgemacht und offen gehalten
werden.
Mit dem Verbot der Nettokreditaufnahme für die Länder wird es zu einer „strukturellen
Einnahmenlücke“ kommen, wie Truger und Will warnen: Sie belastet die (Länder-)Haushalte
und „muss daher durch entsprechendes Handeln auf der Bundesebene geschlossen werden.
Wenn es ein Interesse an einer wirksamen Begrenzung der Staatsverschuldung und an
Zukunftsinvestitionen vor allem in die Bildung gibt, dann müssen die Länder und ihre
Kommunen auch mit den notwendigen Einnahmen ausgestattet werden, um diese Ziele
erreichen zu können. Weitere Steuersenkungen, wie sie die Bundesregierung immer noch
plant, wären dagegen vollkommen kontraproduktiv.
Wenn der Bund ein Interesse an einer bundesweit möglichst einheitlichen und reibungslosen
Umsetzung der Schuldenbremse und der Reduktion der strukturellen Defizite hat, dann
sollte er den Ländern im Gegenzug für ihre Kooperation höhere Einnahmen zubilligen. (…) es
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kann nicht in seinem Interesse sein, wenn in Deutschland ab dem Jahr 2020 möglicherweise
17 unterschiedliche Schuldenbremsen nebeneinander existieren.“
Dazu und aus Gründen einer größeren Steuergerechtigkeit muss es eine deutlich spürbare
Beteiligung der großen Vermögen und Einkommen am Steueraufkommen geben, also
einen höheren Spitzensteuersatz, eine Vermögenssteuer, eine gerechte Erbschaftsteuer,
eine zeitlich begrenzte Vermögensabgabe und eine Finanztransaktionssteuer zum
Ausgleich der Bankenrettungskosten.
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